berns grosser aufbruch?!

als die franzosen 1798 bern und die alte eidgenossenschaft besetzten, ordneten sie politischen farbenlehre neu. ausdruck dieser tiefgreifenden veränderung in der politischen kultur der werdenden moderne war die trikolore, die neue fahne der helvetischen republik: grün-rot-gold waren nun die farben des fortschritts, den die intellektuellen patrioten vorantreiben wollten. das hinterliess in bern spuren: die damals fünf stadtbezirke wurden nach den farben der helvetik beschriftet, ergänzt um die nicht-farben schwarz und weiss. bis heute werden berns strassenschilder so gestaltet.

bis auf eines: seit neuestem ist der wegweiser über die kornhausbrücke in knalligem orange. das ist keine postmoderne beliebigkeit, sondern hat einen klar benennbaren hintergrund: was die bernerInnen von 1798 für fast unmöglich hielten, die erstmalige besetzung ihrer stadt durch fremde truppen, war für die bernerInnen von 2008 genauso überraschend. die tatsache nämlich, dass eine sportart eine nation derart begeistern und mobilisieren kann und schliesslich 100000 menschen mit ihren stars in die ferne ziehen, um siegen und verlieren zu sehen! die prächtigen fotos vom bundesplatz, der orange tatzelwurm auf der kornhausbrücke, die ausgelassenen fans im stadion wie auch in der stadt werden darin in erinnerung gerufen, bis schliesslich auch das wasser in den brunnen berns orange leuchtet. die texte dazu, verfasst von urs frieden, charles beuret und philipp zinniker, sind kurz und knapp, mehr legenden als synthesen, sodass man ein fast schon glaubt, ein kinderbuch vor sich zu haben, an dem man sich blätternd und staunend erfreut. immerhin, ein politkulturelles kinderbuch, das aufnimmt, wie glücklich-strahlend bern in den tagen während der euro wirkte.

eine frage, die ich an die buchautoren, die veranstalter, die bernerInnen und an die fussballfans in ganz europa stelle, kann ich mir nicht verkneifen: war das einfach eine einmalige gefühlsaufwallung in der stadt? oder war das mehr? gab es endlich andere bilder von bern, oder auch eine änderung im image der stadt? oder anders gesagt:

hat man mit der investitions berns in die euro08 eine verpuffende oder eine nachhaltige wirkung erzielt?

um es noch deutlicher zu sagen: bis heute empfindet man 1798 als einschnitt in der staats- und stadtgeschichte berns. zurecht erinnern uns die strassenschilder bis heute daran. wird 2008 eine ähnliche wirkung erzielen, sodass unsere nachfahren 2218 zu recht auf der kornhausbrücke stehe können, das strassenschild bestaunen und sich sagen werden: das war der grosse umbruch?

stadtwanderer

urs frieden et al.: das orange wunder. bern feiert die EURO 2008. bern 2008.

cal

ich bin der berner stadtwanderer. ich lebe in hinterkappelen und arbeite in bern. ich bin der felsenfesten überzeugung, dass bern burgundische wurzeln hat, genauso wie ich. also bin ich immer wieder auf der suche nach verästelungen, in denen sich die vergangene kultur in meiner umgebung versteckt hält.

13 Gedanken zu „berns grosser aufbruch?!“

  1. Als das wunder von bern wird der gewinn der fußball-weltmeisterschaft in der Schweiz durch die deutsche fussball-nationalmannschaft gegen die favorisierte nationalmannschaft ungarns bezeichnet. Das endspiel, das mit einem 3:2 für deutschland endete, fand am 4. Juli 1954 im bern vor 65.000 zuschauern statt.

    Der titelgewinn löste in deutschland einen freudentaumel aus. Neun jahre nach ende des zweiten weltkriegs schien er ein ganzes volk aus den entbehrungen und depressionen der nachkriegszeit zu reissen. Der titelgewinn stand am anfang des deutschen wirtschaftswunders war also durchaus nachhaltig für deutschland und für europa.
    welche nachhaltige wirkung das orange wunder von bern für bern oder für europa auslösen soll (ausser einer neuen orangen beschriftung) ist für mich ebenso unklar wie für den stadtwanderer. erstes schied holland im viertelfinal aus und es herrscht in holland wenig freude über die euro 08 und zweitens war diese in bern schon nach 3 gruppenspielen zu ende. eine schöne erinnerung waren die 3 gruppenspiele mit holländischer beteiligung alleweil und dank den holländern haben die bernerinnen und berner gelernt, wie man trotz oder dank sehr viel bier laut aber friedlich feiern kann. damit es zu “grossen afubruch” käme bräuchte es allerdings wohl noch etwas mehr, vor allem an “eigenleistungen”, denn die hölländer werden es für bern wohl kaum (allein) richten können.

  2. als zuschauer mitwanderer und mitfeiernde, wird für diese euro für uns nachhaltig bleiben. die idee mit dem orangen strassenschild finden wir schön, ein sinniges denkmal – ohne protz echt stark. für jeden stadtführer ein gewinn.

  3. schön war’s! legendär unsere stadtwanderung in mitten der “oranjes”! aber leider muss ich dem röstigraber recht geben. ich denke nicht das wir hier von nachhaltigkeit profitieren, eventuell 10 holländische touristen nächstes jahr mehr aber dann hat es sich dann schon 🙁

    leider sind unserer stadtpolitiker nicht so klever das damalige fest zu einem boom auszunutzen, sind halt gar langsame berner.

  4. dieses orangfarbene wunder wiederholt sich ja alle zwei jahren in all den städten, in denen die holländer bei der euro oder wm station machen. ich kann mich selbst nur gut an ähnliche bilder aus stuttgart erinnern. die aber irgendwann von anderen bildern überlagert wurden.

    vor allem in bern hat es so einschneidend gewirkt. war es nur etwas ganz neues, was in der schweiz so nicht bekannt war? oder ist es bei euch tatsächlich einschneidender, sind die veränderungen daraus langfristiger?

    ich bin gespannt.

  5. Lieber Stadtwanderer,

    Luzern war 1798 gleich zweimal besetzt. Zuerst von den Innerschweizern und danach von den Franzosen. Farblich scheint das nicht viel verändert zu haben. Ausser der Bauchbinde von Statthalter Rütimann und den Zwangskokarden der Bürger hatte nur wenig die Farben der Helvetik angenommen.
    Erstaunlich, dass du fast zeitgleich mit mir des 210-jährigen Jubiläums gedenkst!

    San Ju

  6. lieber san ju
    danke für die ergänzung.

    die quartiereinteilung und häusernummerierung geht auf die erfahrungen in paris zurück. zu beginn des 16. jahrhunderts war die unübersichtlichkeit an der seine so gross geworden, dass man nicht mehr anderes konnte.

    in bern hat man zwei mal anlauf genommen:

    zuerst nummerierte man einfach die häuser durch. man begann bei der untertorbrücke, ging die stadt hinauf und schlicht sich nummerisch wie ein tatzelwurm durch die gassen, von unten nach oben und von oben nach unten, bis man einmal durch war. damit hatten die rund 1000 häuser der damaligen stadt je eine nummer (und nicht nur bewohnerInnen). das system war zwar administrativ genügend, für die orientierung auswärtiger aber völlig unzureichend. deshalb hat man, nur zwei monate nach beginn der besatzung nochmals von vorne begonnen. zwischenzeitlich war die eidgenössische verfassung angenommen worden, die helvetische republik war politische realität geworden, und jetzt nutzte man die farben, um die traditionellen vennerquartiere (verwaltet von den zünftten, zuständig für das aufgebot beim militär und bei feuersbrunst) für jedermann sichtbar zu machen. man darf nicht vergessen, dass zwischen 10000 und 20000 franzosen zeitweise in bern einquartiert waren, die vorher noch nie in der stadt waren.
    die farben hat man dann auf die strassenschilder angewendet, und die häuser pro strasse durchnummeriert. das war schon deutlich übersichtlicher.

    ausser der französischen beschriftung der strassen hat man das system der helvetik bis 1882 belassen, dann ist man zum heutigen system mit ungeraden und geraden nummer übergegangen.

    vielleicht hilft die zweiteilung zu erklären, dass man in luzern anders vorgegangen ist. weiss nämlich nicht, wie gross luzern damals war, und ob die nummerierung insgesamt, nicht quartiers- resp. strassenweise erfolgte.

    aber du kannst mir sicher helfen!

  7. noch was!
    klar weiss ich um die 210 jahre der franzosenbesatzung, und auch um die 160 jahre, welche die schweizerische eidgenossenschaft in form des modernen bundesstaates am kommenden freitag wird …
    einen tag vor dem europäischen tag des denkmals!

  8. @mischa
    leider sind unserer stadtpolitiker nicht so klever das damalige fest zu einem boom auszunutzen

    Dieses Palaver über die angeblichen Zauderer in Bern, welcher couleur auch immer, scheint mir doch mittlerweile etwas gar beliebig, seltener auch staubtrocken. Und genau dort, in dieser Kategorie möchte ich Herrn mischas Zitat auch gewünscht sehen. Was mich an dieser Art des Kommentierens entfremdet, ist die süffisante und zynische Anbiederung, eines scheinbaren Zustandes, welche gerade durch diese explizite Haltung der Eigenpassivität bestärkt wird.
    Aber lassen Sie mich noch ein frohes Wort sprechen. Ich sehe grosse Veränderungen, wenn ich auf diese Stadt schaue. Bern ist gewachsen! Das meine ich jetzt weder in einem ökonomisch noch einem allgemein quantitativen Sinne. Bern hat meines Ermessens eine gewisse kritische “Grösse” erreicht. Und lassen Sie mich das dazwischen schieben, dies hätte Sie wohl auch mit einer bürgerlich dominierten Politik getan. Bern ist ein Platz, an dem ein Schweizer Politiker in intimen Kongressräumen die Hände mit einem chinesischen Manager schüttelt , sich ein Teilzeitangestellter bequem auf seinem Longboard der Aare entlang gleiten lässt, sich der talentierte Jungkünstler von Zürich her kommend, über das Viadukt gleitend ehrfürchtig und voller Vorfreude die erleuchtete Stadtsilhouette bestaunt, sich der Jungunternehmer ein Zeitungsinserat über die bevorstehende Restauranteröffnung im seinem Wohnviertel zu freuen vermag, sich ein holländischer Tourist verdutzt eine Träne aus dem Auge drückt , nachdem er durch dumpfe Orgelklänge angelockt, die Französische Kirche verlässt, sich der Innerrhoder Wirtschaftsberater für einen hauch eines Momentes in New York wähnt, während er im abendlichen Regen den Baldachin passiert, um sich im Loeb Lebensmittel ein Gnagi zu besorgen, sich der Schüler beim überschreiten der Lorrainebrücke kurz die merkwürdige Frage stellt, ob er sich immer noch Rastalocken machen lassen solle, beim Anblick der versammelten Drogenabhängigen?
    und all jenes absorbiert sich dann irgendwie wiederum durch sich selbst. Erst durch eine solche Koexistenz zeichnet sich für mich wahre Grösse ab. Ich wollte sie nur darüber informieren, werter mischa – darauf stossen und es erfühlen müssen Sie natürlich selbst.

  9. lieber titus
    danke, war ja mal mit beatrice, der projektleiterin, in bern wandern, vor der euro. gut sie ist eine marathoniski, und ich ein einfacher spaziergänger.
    sie hatte mir in ansätzen von ihren überlegungen berichtet. es ging auch damals um die nachhaltigkeit, im innern und im äussern. und es ging auch um fragen, wie dem beitrag für die volksgesundheit in den städten, aber auch um imagebildung für die schweiz und die austragungsorte.
    die notiz habe ich heute im blick am abend auch gesehen.
    werde versuchen, mir die studie zu beschaffen, und mal wandern zu erzählen darüber.
    stadtwanderer

  10. @ prognostiker

    danke, schönes märchen! weder die linke noch die rechte wurde angegriffen. die stadt hat charisma. erzählen sie mir aber bitte nichts über den tatendrang der regierung, ich bin bei der stadt. tatenlos sind die, die faust im sack machen, nicht aber die die sich äussern! weil, die haben sich ja gedanken dazu gemacht. ausserdem lesen sie doch bitte die kommentare, in diesem blog, zu den metropolitanregionen!

    lieber titus

    das BASPO bestätigt die aussage vom röstigraber, leider.

  11. @ Mischa
    Yep. Zudem fand die Befragung vom 30. Juni – 24 Juli 2008 statt. Da ist der Pegel der Glückshormone noch relativ hoch…

  12. em titus wotti säge dass er rächt het. im juli beni zemlech verliebt gsi. miner schmätterlinge im buch hei weder ganz höch ghaa-
    wo d’euro zbärn gsi esch, beni jo grad zrotterdam gsi. i chanech säge dholländer wo no diheime gsi si hei gnau uf bärn glueget. si hei met eerne brüetsche oder schwoschene telifoniert ond im färnsee hät mer dbilder vode fäns gsee wo zbärn gsi. fei e sach esch das gsi!
    öpp das aahautet zwiifleni. dstemmig esch tou gsi u aui hei froid gha. aber das het bi de holländer nor wenig met bärn zzüe gha mee met eerer mannschaft. das esch jedes mol so wä si ane meisterschaft göö.
    med em tschuute esches haut fasch echli so wie met de schmätterlenge. die flüüget grad emol e sommer lang höch …

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