es waren staatsbürgerinnen ohne stimmrecht

den langen weg zum frauenstimmrecht hat die berner geschichtsprofessorin beatrix mesmer anhand der politik der frauenverbände im 20. jahrhundert nachgezeichnet. ihr schluss, erst damit, dass frauenrechte als teil der menschenrechte gesehen wurde, kam es zum durchbruch.

978-3-0340-0857-0während des ersten weltkrieges bauten die frauen auf vorleistungen wie die freiwillige nationale frauenspende.
in den ersten kantonalen abstimmungen nach dem krieg, die das frauenstimmrecht vorsahen, honorierten die männer das nicht.

dann setzten die frauen auf die doppelte qualifizierung der mädchen für beruf und haushalt, um den ihnen zu mehr ökonomischen einfluss zu verhelten.
doch das scheiterte angesichts der tiefen wirtschaftskrise der dreissigerjahre.

schliesslich versuchte man es nach dem zweiten weltkrieg über den einsitz in expertenkommissionen, um auf die gesetzgebung einfluss zu nehmen.
das zeigte bescheidene erfolge, wie beispielsweise bei der staatsbürgerschaft verheirateter frauen.

erst die rezeption der menschenrechtsdeklaration verhalf dem frauenstimmrecht zum durchbruch. sämtliche verbände fanden sich einer arbeitsgemeinschaft zusammen, welche in kantonen und auf bundesebene volksabstimmungen verlangten.
dank einer neuen demonstrationskultur wurde der öffentliche druck so gross, dass 1971 die wichtige etappe in der gleichstellung der geschlechter in der schweiz gelang.

am 6.6.1971 stimmten die frauen erstmals wie die männer in einer eidgenössischen sache ab.
aus staatsbürgerinnen ohne stimmrecht waren nach einer langen und beschwerlichen wanderung vollwärtige stimmbürgerInnen geworden.

stadtwanderer

cal

ich bin der berner stadtwanderer. ich lebe in hinterkappelen und arbeite in bern. ich bin der felsenfesten überzeugung, dass bern burgundische wurzeln hat, genauso wie ich. also bin ich immer wieder auf der suche nach verästelungen, in denen sich die vergangene kultur in meiner umgebung versteckt hält.

16 Gedanken zu „es waren staatsbürgerinnen ohne stimmrecht“

  1. Weder die bürgerliche Frauenbewegung, noch die bürgerliche Gesellschaft waren in der Lage, das Frauenwahlrecht einzuführen.
    Es brauchte radikale Frauen einer neuen Generation, bis die Männer begriffen, dass ihre Zeit der Alleinherrschaft vorbei war. Die bürgerlicher Frauen musste lernen, dass es Forderungen braucht, für die man sich konsequent einsetzt.
    Ein Teil der bürgerlichen Frauen hat das bis heute nicht begriffen.

  2. Die Analyse ist wohl sicher richtig: erst der Wunsch der Eidgenossenschaft die EMRK anzuerkennen verhalf dem Frauenstimmrecht zum Durchbruch. Allerdings um dein Preis einer Überforderung des Souveräns. 1971 war wohl das letzte Jahr in dem die Schweizerin 2,1 Kinder zur Welt brachte, das für den Erhalt der Willensnation unerlässliche Minimum. Mit einer Reihe von Fehlanreizen, die in die Annahme der Mutterschftsversicherung 2004 gipfelte wurde die Schweiz zum Einwanderungsland umgebaut bei wachsendem Wohlstand. Wie in den Jahren nach 1815 die Männer sich dem Schützenwesen widmeten (um eine erneute Besatzung des Landes zu verhindern), das in der Folge stark subventioniert wurde, so müssten nun die vollständig gleichberechtigten Frauen sich zu eidgenössischen “Gebärvereinen” zusammenschliessen um als verantwortliche Staatsbürgerinnen, das für den Fortbestand der Willensnation “Not-wendige” in geschwisterlicher Einigkeit (“eidgenössische Gebärfreundschaften”) voranzutreiben. Dass diese Vision nur als Satire interpretierbar erscheint, zeigt, dass die 1971 erfolgte politische Gleichberechtigung zusammen mit der Übernahme des (einklagbaren!)Grundrechte-Katalogs der EMRK 1974 (1999 in die Verfassung importiert) zu einem Mentalitätswandel geführt hat, der zur Abschaffung und Auflösung der Eidgenossenschaft führen kann. Gruner, der Altmeister der Schweizer Politologie, warf darum 1978 die Frage auf: “Ist die schweizerische Eidgenossenschaft zerstörbar”. Der Zustand Europas, das seit 1948 die einklagbaren Menschenrechte kennt, zeigt, dass die EMRK noch nie auf einem Schlachtfeld verteidigt wurde (Srebrenica ist das traurige Fanal dazu). Dass der mächtigste europäische Flächenstaat nun die allgemeine Wehrplicht ausgesetzt hat, spricht Bände. Ja, die EMRK hat durch den durch sie ausgelösten Geburtenausfall dazu geführt, dass die EMRK gar nicht auf dem Schlachtfeld zu verteidigen ist (anders als der Islam und das Judentum mit Geburtsquoten von 2,4 bis 2,7). Die EMRK ist das Werte-System einer untergehenden Zivilisation.

  3. at gg
    besteht ein direkte zusammenhang zwischen stimm- und wahlrecht einerseits, und den von ihnen skizzierten umständen, zum beispiel bei der mittleren kinderzahl?

  4. Der Zusammenhang besteht meiner Ansicht nach, in der spezifischen Ausformung des “helvetischen Aktivbürgers”, die in Europa einmalig war. Schon der durchreisende Fichte fand hier ein Bürgertum vor, das etwa in Zürich auf ganz andere Art und Weise öffentliche Verantwortung mittrug als der deutsche Bürger je in seiner Geschichte durfte (ausser vielleicht in einzelnen Handelsrepubliken der Hansa). Die Mutterschaft war in der Landi 39 explizit zu einem “staatsbürgerlichen Beitrag” der Frau stilisiert worden, daher auch die Idee, nur den Müttern die Staatsbürgerschaft zu verleihen. Dadurch, dass 1971 das “Fräulein” die gleichen Rechte bekam wie der “Wehrmann” wurde ein grosser Anreiz zu Heirat und Mutterschaft abgeschaft. Mit dem Wegfall des Konkubinatsverbotes 1972 blieb nur noch die Heiratsstrafe (die früher ein staatliches “Abschöpfen” der unbezahlten Hausarbeit der Frau darstellte). Die heute im Ständerat verabschiedete Regelung des Namenrechts schliesslich führt zur gänzlichen Schleifung dessen, was als “das ganze Haus” das patriarchale Erfolgsmodell Alt-Europas war. Die sinkende Stimmbeteiligung von 1971 bis 1995 ist dadurch gegeben, dass für Männer unattraktiv wird, was jedes “Fräulein” auch darf. Erst mit dem Auftritt des massiven Testorsteron-Politikers Blochers, fanden die verirrten Männer an die Urne zurück und von diesem Erfolg (jenem der SVP), der ihnen das wiederentdeckte Stimmrecht brachte können sie nicht genug bekommen.

  5. Sorry: es muss heissen: “nur den Müttern das Stimmrecht zu erteilen”. Der Wandel vom germanischen Pflicht-Staat zum römisch-rechtlichen Anspruchs- und Leistungsstaat kommt in diesem in den 70er Jahren vollzogenen Wandel zum Ausdruck. Die meinungsmachende Intelligenz hat diesen Wandel als “Modernisierung” beschrieben. Der ländlich-paternatlistische Protestantismus (SVP) sah in diesem Vorgang eine Verluderung der Verantwortlichkeiten.

  6. Der Titel “Es waren Staatsbürgerinnenn ohne Stimmrecht” bildet heute das Echo zu “Es sind nun Väter ohne Sorgerecht”, weil das ganze soziale Umverteilungssystem vom Wehrmann auf die alleinerziehende Mutter umgestellt wurde.

  7. komisch, dass gerade die demokratischste aller Parteien (so behauptet sie zu sein)gegen das Frauenstimmrecht war ..

  8. @raffnix: Die SVP-Männer, Bauern und Gewerbler, ahnten, dass die politisch gleichberechtigten “Wybervölcher” weniger Kinder gebären würden. Es waren noch Generationen, die sich an die Schweiz als Auswanderungsland erinnern konnten und nicht mit den zwei Dogmen gross geworden waren: 1. Eine Frau darf abtreiben (was über 10’000 mal pro Jahr geschieht) 2. die Schweiz ist ein Einwanderungsland.
    Wenn ein Volk ausstirbt, spielt es auch keine grosse Rolle mehr, ob nun die Frauen stimmberechtigt waren oder nicht.

  9. at giorgio girardet
    an ihrer argumentationen zum genannten zusammenhang überzeugt eines nicht.
    die geburtenzahl geht in europa in zahlreichen ländern zurück, seit 1950 resp. 1970, ganz unabhängig davon, ob sie das frauenwahlrecht eingeführt haben oder nicht.
    die übliche erklärung ist soziologischer natur (besser ausbildung, emanzipation, neues rollenverständnis), nicht wirklich politischer.

  10. @giorgio

    und die Frage, was die Schweiz zum Auswanderungsland gemacht hat, kann leicht mit Armut begründet werden.

    Ob sich die SVP wohl die Armut zurückwünscht?
    Ich sage aber damit nicht, dass in der Zuwanderung heutigen Ausmasses das Heil liegt.
    Im Gegenteil, es profitieren nur die Bauern, Gewerbe (KMU) und die Grosswirtschaft.
    Dem Volk bringt das nichts.

  11. @Raffnix
    Die Geburtenrate erreichte 1965 ihren Höhepunkt. Sie sank dann wegen dem “Pillenknick”, die Abtreibungsliberalisierung und die politische Gleichberechtigung der Frau haben in der Schweiz den Geburtenrückgang akzentuiert. Länder, welche keine direkte Demokratie kennen und kein Milizsystem, wo also noch “Könige” und “Untertanen” sind (Schweden, Norwegen, Finnland), da spielt es keine Rolle, ob nun auch die Frauen zum Stimmvieh gehören oder nicht. Darum ist dort auch – wie in Frankreich – die Geburtenrate höher als in der Schweiz. Die Tatsache der Volksouveränität überfordert die Schweizerin. Die Schwedin und die Französin muss weder vier Mal im Jahr abstimmen, noch unterliegt sie – etwa im Kanton Uri – dem Amtszwang des Vollbürgers. Darum meine ich: “Direkte Demokratie” & “Frauenstimmrecht” = anthropologische Überforderung des Souveräns = untergehende Kultur.

  12. @Stadtwanderer
    Wie oben dargelegt tritt in der Schweiz neben der Soziologie das einmalige “Desing der Staatsbürgerschaft” des “helvetischen Aktivbürgers” hinzu, das weit weniger einfach zu “gendermainstreamen” ist als ein “Untertan”.

  13. zu girardet:
    den schweizer sonderfall in ehren. doch: was das einmalige desing der staatsbürgerschaft mit dem sinken der geburtenrate zu tun.
    ich will nicht verhehlen, dass ich ihrer argumentation immer weniger folgen kann.
    obwohl ich mich seit 20 jahren mit dem thema beschäftige und zwei bücher zur “staatsbürgerschaft in der schweiz” – gerade auch im europäischen vergleich verfasst habe.

  14. @Giorgio
    Zitat: Die Tatsache der Volksouveränität überfordert die Schweizerin.

    Da du dies weder begründet nocht mit Argumenten unterlegt hast, bin ich eher der Meinung, dass du dich selbst überforderst.

    Das Ausblieben der Störche hat wohl eher einen Einfluss auf den Geburtenrückgang als deine abwegigen, zusammenhanglosen Sprüche.

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