von der pfadabhängigkeit der zukünfte in europa (und in der schweiz)

das buch verspricht vieles. was es hält, wird sich weisen. denn das unterfangen, “eine geschichte europas in unserer zeit” zuschreiben, ist nicht ohne tücken, dafür mit umso grösserem reiz verbunden. für europäerInnen wie für schweizerInnen.

im vorwort dankt andreas wirsching, der heutige direktor des instituts für zeitgeschichte in münchen seinen früheren historiker-kollegInnen an der uni augsburg. denn ohne ihre intellektuelle unterstütztung wäre es nicht möglich gewesen, das unterfangen zu schreiben: die geschichte euorpas seit dem fall der berlinier mauer.

historiker wirsching wagt das unterfangen – im deutschen sprachraum wohl als erster mit einer systematischen absicht. seine kernfrage lautet: “Wie steht es um die europäische Integration? Wächst Europa zusammen oder bricht es auseinander?”. kein wissenschafter, auch kein experte wisse darauf eine unbestrittene antwort, warnt er gleich zu beginn, um sich selber zu erinnern: kein historiker soll sich übernehmen.

immerhin, wirsching präsentiert den kern einer sinnvollen antwort: es dürfte nur wenige epochen der neueren geschichte gegeben haben, in denen binner zweier jahrzehnte ein solche gewaltiger zuwachs an freiheit zu verzeichnen war wie nach 1989. das treffe nicht nur für die postkommunistischen staaten im osten zu; es gelte auch für den westen, ausgelöst durch den euro, gefolgt vom freien verkehr für waren, dienstleistungen und kapital. erstmals, so der beobachter, zeichne sich ein gemeinsamer erfahrungsraum der europäerInnen ab.

nicht ohne gefahren!, ist der bemerkenswerte nachsatz zur hauptantwort. auch hier: es reiche nicht, auf die politische und sozialen verwerfung im osten zu verweisen. die kulturellen risiken seien auch im westen sichtbar geworden. globalisierung und individualisierung hätten neue formen der kulturellen diversität hervorgebracht, über deren folgen bis heute heftig gestritten werde. denn wie jede freiheit, habe auch die aktuelle ihren preis.

was dann folgt, muss man erst noch verdauen: knapp 500 seiten hat das neueste geschichtsbuch, auf denen die demokratischen revolutionen nach 1989 behandelt werden, wo es um die entwicklungen im östlichen europa geht, das gemeinsame europa als poltisiches projekt behandelt wird, von den herausforderungen der globalisierung die rede ist, bevor es um die kulturelle selbstbesinnung und europäische identität geht. das alles mündet im schlusskapitel, vielsagend mit “krise u n d kovergenz” übertitelt.

ein bild verfolgt der autor für seine leserschaft über alle diese ausführungen hinaus. es kann auch genommen werden, um die aussicht auszuleuchten. denn wirsching ist vom konzept der pfadabhängigkeit von politik überzeugt. probleme, die es zu hauf gäbe, würden ein projekt nicht einfach zu scheitern führen, mahnt er an, sondern zur lösungssuche herausfordern, die auf dem pfad schon einmal eingesetzter werkzeuge gesucht und gefunden werde.

auf gut deutsch: “mehr europa” zu wollen, treibe den prozess der konvergenz europa ebenso an wie die permanente krise. ausser es ereignet sich wieder eine revolution. und auf gut schweizerdeutsch hiesse pfadabhängigkeit dann: selbständig bleiben zu wollen, treibe den prozess der divergenz ebenso an wie die zunehmende vernetzung. ausser …

stadtwanderer

cal

ich bin der berner stadtwanderer. ich lebe in hinterkappelen und arbeite in bern. ich bin der felsenfesten überzeugung, dass bern burgundische wurzeln hat, genauso wie ich. also bin ich immer wieder auf der suche nach verästelungen, in denen sich die vergangene kultur in meiner umgebung versteckt hält.

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