vom kollektiven überleben zur individuellen selbstentfaltung

200 jahre hielt der linthkanal zwischen walen- und zürichsee. dann musste das grösste wasserbauwerk schweiz renoviert werden. gestern wurde es wieder eröffnet. ein augenschein des analytikers.

es sind alles mädchen, die summen, singen und scherzen. ihr motto: nach jahren der herrschaft durch bauleute sei es zeit, die linth wieder selber einzunehmen. toleriert werde noch ein schleusenwart, der den wasserstand im kanalsystem regeln dürfe; dafür suche man gegenwärtig den fähigsten. im strengen personal assesment verfahren seien die gemeindepräsidenten der umliegenden gemeinden aufgefallen; favorit sei der pensionierte von schänis, weil er am besten wisse, wann seine leute nasse füsse hätten.

der applaus im grossen festzelt war dem jungen piratinnen-chor sicher. denn er gefiel nicht wegen der gekonnten outfits, der eingängigen musik und der kecken sprüche. vielmehr brachte er auch zum ausdruck, dass man in der in der linthebene stolz auf die fertigestellte renovation des grössten wasserbauwerkes der schweiz sei.

angefangen hatte alles mit dem hochwasser von 1999 und 2005. dabei wurde klar, dass die alten dämme aus torf nicht mehr für immer stand halten würden. knapp 10 jahren plante man, 5 weitere war man am bauen. 123 millionen schweizer franken hat das alles gekostet, wovon 55 vom bund kamen, 68 die vier kantone st. gallen, schwyz, glarus und zürich als mitglieder des linthkonkordates beisteuerten.

willy haag, präsident der beteiligten kantone, ging auf die geschichte des projektes ein. ursprünglich habe man nur an bautechnik gedacht. doch dann sei wegen gesetzlichen auflagen der erhalt der natur hinzu gekommen. das habe interessenkonflikte erzeugt: die landbesitzer wollten nichts hergeben, und die umweltschützer forderten immer mehr ökologie. schliesslich habe das bundesgericht entscheiden müssen.

12 bundesrätInnen haben in den letzten 60 jahren den linthkanal besucht, zuletzt doris leuthard, festrednerin der feier zur neueröffnung. sie betonte, wie wichtig die zusammenarbeit zwischen bund und kantonen gewesen sei, denn nur mit kooperativem verhalten von bauern, reitern und wwf sei man in der lage, bauwerke und konflikte dieser art zum vorteil vieler zu bauen und zu regeln.

die linthkorrektur als gesamteidgenössisches unterfangen: das gilt sei 1804, als der damalige bauingenieur hans konrad escher, genannt “von der linth”, mit der idee vor die tagsatzung trat, ein kantonsübergreifendes, neuartiges kanalsystem von mollis bis lachen zu errichten. sein grosses ziel war es, die regelmässigen überschwemmungen inbesondere in weesen am ende walensee zu verhindern, die genauso viele schäden an landschaft und kulturland wie mücken und krankheiten mit in die gegend brachten. 1807 begann man mit dem bau, der 200 jahre hielt.

bis heute zählt der linth-scher-kanal zu den bedeutendsten symbolen der helvetischen republik, die sichtbaren fortschritt brachten. ein werbefilm zum linthwerk unter dem motto “weitsicht bringt zukunft“, der an der eröffnungsfeier gezeigt wurde. schlug die brücke von der vergangenheit in die gegenwart, vom kampf für das kollektive überleben bis hin zu den verschiedenartigsten wünschen der individuellen selbstentfaltung. denn ein kanal ist heute nicht einfach ein kanal; er ist naherholungsgebiet und biosphäre in einem. politikwissenschafter wie ronald inglehart halten das für eine der typischen wertverschiebungen der gegenwart, welche die politik ganz anders als früher heute herausfordern würden. das wissen von ingenieuren reicht da nicht mehr, es kommen freizeitspezialistInnen und ökologInnen hinzu, wenn es gilt, die verschiedenen erwartungen zu koordinieren.

die jungen piratinnen kümmerten die hochtrabenden worte und gefühlsbetonten bilder im festzelt zu benken nicht. sie entführten die bundesrätin symbolisch auf auf die bühne, wo sie zum zahlreich erschienen publikum sprach, derweil die jungen mädchen hinter die bratwürste der ehrengäste machten.

stadtwanderer

cal

ich bin der berner stadtwanderer. ich lebe in hinterkappelen und arbeite in bern. ich bin der felsenfesten überzeugung, dass bern burgundische wurzeln hat, genauso wie ich. also bin ich immer wieder auf der suche nach verästelungen, in denen sich die vergangene kultur in meiner umgebung versteckt hält.

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