zerfallener staat und organisierte anarchie.

eine kleine wanderung durch das berner dorf ringgenberg. anlass, den wandel der herrschaft vom kaiser zur stadt bern im oberland zu rekonstruieren.


burg und kirche ringgenberg vom brienzersee aus gesehen

1310 soll er in rom gewesen sein. 1328/9 ebenfalls. das erste mal war er mit könig heinrich vii., dem luxemburger, unterwegs; das zweite mal begleitete er könig ludwig, den wittelsbacher. beide herrscher kehrten als kaiser über die alpen zurück und bedankten sich bei ihrer treuen gefolgschaft mit reichslehen, deren verwaltung man ihnen überliess. das brachte reichtum in die gegend.

johannes von ringgenberg, von dem hier die rede ist, blieb der nachwelt als hochmittelalterlicher spruchdichter in erinnerung. 17 verse sind in der manesse handschrift, dem berühmtesten werk zum damaligen laienliedgut, überliefert. die urteile über die qualität der dichtung von johannes gehen weit auseinander. im 14. jahrhundert galt er in ulrich boners fabelsammlung als grosses vorbild seiner zeit, während ihn die allgemeine deutsche biografie ende des 19. jahrhunderts als unfähigen plagiator wahrer minnesänger darstellt.

heute war ich in ringgenberg, die burg besichtigen – oder was davon noch steht. der hügel, gut sichtbar über dem brienzersee, war mir aus der ferne bekannt. dennoch war ich bis jetzt nie vor ort gewesen. wie man den inschriften entnehmen kann, wurde sie wohl 1380 zerstört; danach wurde sie jedenfalls nicht mehr gebraucht. im 17. jahrhundert baute man über einem teil der ruine ein barockkirche, die heute noch als gotteshaus dient. darin gedenkt man mit einem grossen schild den herren von ringgenberg für ihre zeit auf der burg.

150 jahre herrschten die herren von ringgenberg über das obere aaretal. ihre ursprünge dürften in raron im wallis und brienz im bernbiet liegen, von wo aus sich ein führendes adelsgeschlecht über diverse alpentäler ausgebreitet hatte. die zähringer haben sich 1211 an ihnen die zähne ausgebissen – bei ihrem versuch, einen eigenen weg nach süden über die grimsel und den griespass zu erschliessen. doch an den herren von raron kamen sie nie vorbei. ende der eroberungen!

die herren von ringgenberg treten erst danach urkundlich in erscheinung. cuno, der grossvater von johannes, liess die burg ringgenberg um 1230 erbauen. kurz darauf ist er als reichsvogt im dienste von kaiser friedrich ii. bezeugt. der befand sich im streit mit dem papst um die vorherrschaft im reich. höhepunkt der krise war der versuch des weltlichen oberhauptes, die oberitalienischen städte für sich einzunehmen, die traditionellerweise dem kirchlichen gehöhrten. genau deswegen wurde der kaiser 1245 auf dem konzil von lyon mit dem kirchenbann belegt. moralisch war er damit erledigt; wo sein militär hinreichte, hielt es sich aber bis zu seinem tod 1250. und danach setzte das interregnum ein, die sog. kaiserlose zeit.

das alles machte die wege von nord nach süd interessant, aber auch unsicher. von den von ringgenberg wird berichtet, dass sie auch die schadburg ausserhalb ringgenbergs errichtet hätten, um sie als kerker zu verwenden; für alle, die den handel zwischen interlaken und brienz stören wollten. ob die burg je fertig gestellt wurde, weiss man nicht so genau; die quellen berichten von fehden, die cunos arbeit und leben beendet hätten.

was nun folgt hat nicht einfach einen faden: es ist das pelle-melle des chaos, aus dem eine neuen herrschaft in der peripherie entsteht.

wenn es um reichsfragen ging, war man in ringgenberg nicht alleine. denn das nahe gelegene kloster interlaken war eine reichtsgründung aus dem 12. jahrhundert. 1224 kam es unter die schrimherrschaft der stadt bern. zu zeiten könig rudolf i. dehnten sich auch die habsburger in die alpentäler aus; alles was einmal dem reich gehört hatte, sollte an den könig gehen. rudolfs sohn könig albrecht verfolgte die gleichen ziele, was ihm verschiedene feindschaften gerade auch im oberen aaretal einbrachte. 1308 gingen die von ringgenbergs einen burgrechtsvertrag mit bern ein, der gegen habsburg gerichtet war; fortan hauste man auch in der aarestadt, und man war mitglied des dortigen grossen rates.

die königliche gefolgschaft setzte wohl unter den söhnen von johannes gleichen namens ein, weshalb bisweilen unklar ist, wer was machte. jedenfalls waren man nun ein rittergeschlecht, und folgte man den kaiseraspiranten. im lokalen gümmenen- und laupenkrieg zwischen bern und habsburg zeigte man sich neutral, was wohl weise war. denn anders als die weissenburger im benachbarten simmental, die für ihre unterstützung des habsburgischen freiburg militärisch angegriffen wurden, blieb man in ringgenberg von berner überfällen verschont. dennoch, bern übernahm spätestens in den 1330er jahren die führende rolle im oberen aaretal. das reichtsland hasli ging mit dem frieden im gümmenenkrieg an die stadt, und auch das untere simmental erhielt einen berner landvogt.

mitte des 14. jahrhunderts setzte die wütende pest allen in der region zu; die rede ist, dass beide söhne von johannes von ringgenberg zwischen 1348 und 1350 verstorben seien. 1380 erhoben sich die bauern rund um den ringgenberg gegen die alte herrschaft, was das ende der burg und des geschlechts deren von ringgenberg bedeutete.

meinerseits habe ich heute ein höchst anschauliche lokalgeschichte kennen gelernt, deren architektonische, literarische und politische spuren noch sichtbar den brienzersee überragen und das dorf ringgenberg kennzeichnen. irgendwie erinnterte mich das ganze an eine spannende diskussion, die ich am freitag im zug hatte. damals ging es um zerfallene staaten und lokale strukturen, die entstehen. von denen sagt man, dass sie nicht durch grosser herrschaft, aber durch eine organisierte anarchie bestimmt würden. genauso wie in ringgenberg, als die macht des kaisers zerfiel, und sich ringgenberger, interlakner, habsburger und berner um eine neues modell der lokalen vorherrschaft bemühten.

stadtwanderer

cal

ich bin der berner stadtwanderer. ich lebe in hinterkappelen und arbeite in bern. ich bin der felsenfesten überzeugung, dass bern burgundische wurzeln hat, genauso wie ich. also bin ich immer wieder auf der suche nach verästelungen, in denen sich die vergangene kultur in meiner umgebung versteckt hält.

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