stephan van bergens blick auf berns tote

zu den spannendsten journalisten in bern zählt stephan van bergen. eigentlich kenne ich ihn nicht direkt. doch, er hat mich einmal interviewt, im nachgang zur volksabstimmung über die abkommen zwischen der schweiz und der europäischen union zu schengen und dublin, denn ich habe in meiner analyse “bahnhofbuffet olten” versucht, über den sozio- und politkulturellen wandel in den heutigen agglomerationen des mittellandes hinzuweisen. das hat ihm gefallen, und mir hat auch sein interview gefallen. ansonsten nehme ich stephan van bergen aber nur aus der zeitung, also indirekt: er redigiert, seit jahren – denke ich – in der berner zeitung die rubrik “zeitpunkt”. sie ist nicht fernab vom zeitgeschehen. aber sie ist distanziert dazu. dem leiter der rubrik gelingt es selber oder durch seine mitarbeitenden in höchst seltener weise, interessante aufhänger zu finden, und diese mit bedacht zu analysieren. präsentiert wird das jeweils am samstag, und es macht mir freude, das beim kaffee, normalerweise im glatz nebenan, regelmässig zu lesen.

zu den bemerkenswertesten analysen, die stephan van bergen in den letzten jahren geliefert hat, gehört ohne zweifel der kulturhistorisch interessante artikel über berns scheu mit grossen toten, erschienen am 28. oktober 2005, gerade richtig zu allerheiligen und allerseelen. ich habe den für einmal – und sinnigerweise – auf dem rosengarten gelesen, auf der suche nach den letzten sonnenstrahlen über bern.

man weiss es eigentlich: michael bakunin liegt im bremgartenfriedhof begraben, der grosse anarchist. und dennoch spricht fast niemand davon. aber auch bei toten, die aus der stadt kamen herrscht merkwürdige seltenheit. mani matters grab ist kein ort, wo man hingeht, und des kulturschaffenden aus den 60er gedenkt, auch wenn an seine lieder noch im ohr hat. stadtarchivar emil erne erklärt das so: «Bern wird bezeichnenderweise nicht als Haller- oder Einstein-Stadt vermarktet, sondern als Unesco-geschützte Altstadt, als Leistung eines Kollektivs». so gibt es selbst zu polit-grössen der letzten 200 Jahre kaum biografien, – nicht mal über den legendären stadtpräsidenten reynold tschäppät, dessen sohn alexander heute im amt ist.

van bergen folgert daraus: ruhm ist vergänglich, schon zu lebzeigen, aber erst recht danach. das müsste dällenbach kari (eigentlich karl tellenbach), denn sein grab ist ganz in vergessenheit geraten. man weiss nicht einmal mehr, wo es war. der tod kümmere sich, so van bergen, aber auch nicht um hierarchien und sei vergesslich. «Wenn mer tot sy, symer de alli glich», habe die zu lebzeiten standesbewusste berner patrizierin madame de meuron typischerweise gesagt.

auf den nüchternen friedhöfen hierzulande habe der tod, bilanziert van bergen, ein besonders leichtes spiel. die Gräber seien sauber aufgereiht, gestaltungsvorschriften würden masslosigkeiten aller art und ästhetischen überschwang verbieten. wenn früher in bern galt: auffallen verboten, kein kopf habe den anderen überragen dürfen, und selbst die architektur der stadt habe mit ihrer ordentlichen normiertheit danach gehandelt, dann sei dies auch heute noch auf den friedhöfen ganz besonders der fall. man bekomme den eindruck, grabsteine würde sich in bescheiden ducken, wenn man vorbei gehe. in bern habe man, so schriftsteller kurt marti, habe man ein sprödes und gebrochenes verhältnis zu leuten, die “nicht in ein schema passen2. wissen muss er es, denn er hat als pfarrer zahllose beerdigung auf berner friedhöfen geleitet.

immerhin lockere sich gegenwärtig einiges, wenn auch mit vorsicht: das grab des grossen malers paul klee sei nun auf dem plan des schosshaldenfriedhofs vermerkt. und an einstein denkt man im umbenannten physikalischen institut der stadt vermehrt. selbst friedhofgärtner wie thomas hug und hansueli meier würden es begrüssen, wenn die stadt ein broschüre über grosse tote in bern herausgeben würde, denn sie könnte die vergangenheit hinter den grabsteinen sichtbar machen. prominentenlisten werden intern schon gehandelt.

anläss gäbe es genug: so sind auf dem bremgartenfriedhof prominente begraben wie die berner nobelpreisträger charles-albert gobat, theodor kocher, nationale politiker wie robert grimm, philipp etter und traugott wahlen, diplomaten wie carl lutz, das humanitäre gewissen der schweiz, juristen wie eugen huber, der schöpfer des zivilgesetzbuches, oder georg wander, der berner unternehmer. ja, schoggikönige gibts auch andere: camille block liegt auf dem heutigen jüdischen friedhof, genauso wie der philosph marx horkheimer, dem begründer der frankfurter schule. getrud kurz, die flüchtlingsmutter, karl rappen, die fullballtrainerlegende, und natürlich auch paul klee liegen auf dem schosshaldenfriedhof begraben. d

und wenns noch etwas dauert, bis bern eine prominentengräberliste hat, dann geht internet schon mal vor; eine erste kurzversion davor gibts unter

Bremgartenfriedhof
Schosshaldenfriedhof

friedhofwanderer

cal

ich bin der berner stadtwanderer. ich lebe in hinterkappelen und arbeite in bern. ich bin der felsenfesten überzeugung, dass bern burgundische wurzeln hat, genauso wie ich. also bin ich immer wieder auf der suche nach verästelungen, in denen sich die vergangene kultur in meiner umgebung versteckt hält.

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