bilanz der mächtigen

rating sind eine beliebte sache geworden, vor allem bei den medienschaffenden. sie wollen heute regelmässig wissen, wer top ist, und wer flopt. das schönste an ratings sind aber die veränderungen. nicht nur oben und unten interessiert, sondern auch besser und schlechter. das erhöht die spannung! doch was macht macht aus? wer macht macht-ratings? und noch viel allgemeiner: was eigentlich ist macht? der stadtwanderer macht sich dazu gedanken …

die machtfrage

die zeitschrift bilanz will regelmässig erfahren, wer am mächtigsten ist in der schweiz. sie will wissen, wer der fürst ist, den niccolo di bernando dei machiavelli anfangs des 16. jahrhundert beschrieben hat, um als sekretär der republikaner bei den wieder installierten medici in florenz gehör zu finden.


macht ist die möglichkeit, seinen willen durchzusetzen, selbst gegen den willen anderer (anclickbar)

wer über macht philosophiert, darf nicht nur die perspektive der mächtigen einnehmen. macht ist auch die möglichkeit, widerstehen zu können. wer sich überall anpasst, ist letztlich ohnmächtig, selbst wenn er an die macht kommt. wer dagegen sich selber bleibt, wird mächtig, wie uns der einsame mensch auf dem pekinger tien an mien platz lehrte, der die panzer der macht in die schranken wies.

klar, die bilanz macht sich das einfacher: sie legt kein grundsatzwerk über machttechnik vor, das die welt auch 500 jahre später noch diskutieren wird. sie recherchier auch nicht über den wiederstand. eher noch zeichnet sie machttheorien nach, welche die machtaufteilung zwischen staat, wirtschaft und gesellschaft aufzuspüren, wie es die moderne systemtheorie für die moderne welt leistet.

anders als die abstrakten theoretiker hat die bilanz aber einen konkreten zugang: macht, das haben die wirtschaftsführer, das findet sich bei politiker, und das gibt es unter den kulturschaffenden. um diese macht zu bestimmen, lässt die bilanz verschiedene jurien bilanz ziehen, über das vergangene jahr. diese darf personen nominieren, die bewertet werden sollen. und sie bewertet die personen, die nominiert worden sind.

ich kann nicht allgemein beurteilen, was ratings wert sind. doch bin ich gelegentlich in solchen jurien dabei, und gelegentlich werde ich auch bewertet. muss ich meine bewertung abgeben, mache ich das nie spontan. denn dann sitzt einem der letzte eindruck zu stark im nacken. ich wähle immer jene aus, die für mich top sein können, und informiere mich nochmals, was sie gemacht haben, in den medien, in meiner erinnerung und in meinem umfeld. dann erst mache ich meine beurteilungen einzeln, und am schluss erstelle ich meine reihenfolge, wie wenn ich allein juror wäre. wenn es möglich ist, vergleiche ich das mit früheren, gleichen übungen, und korrgiere meine allfällig überzeichneten eindrücke. meist wird mir erst dann bewusst, was da den ausschlag gibt: medienpräsenz, gute, schlechte presse, aber auch besondere ereignisse und manchmal sogar schleichende trends! das ist dann auch für mich interessant, ohne dass ich das im detail preisgeben würde.

was da so raus kommt, kann man in der zeitschrift “bilanz” von heute lesen. bei den politgrössen, war ich auch dabei, bei den anderen kann ich nichts dafür… dafür können sich alle leserInnen vom stadtwanderer frei dazu äussern:

die mächtigen der gegenwart

rubrik wirtschaftsmacher:

1. daniel vasella (1)
2. marcel opsel (2)
3. peter brabeck-letmathe (4)
4. peter wufli (3)
peter spuhler (6)

sonderrubrik paragrafenkönige (wirtschaftsanwälte, erstmals bewertet, nicht vergleichbar)

1. peter böckli
2. rolf watter
3. peter nobel

rubrik politgestirne

1. doris leuthard (2)
2. ueli mauerer (1)
3. christoph blocher (9)
4. hans-jürg fehr (11)
5. pascal couchepin (9)

rubrik kulturgiganten

1. jacques herzog und pierre de meuron (1)
2. peter von matt (4)
3. claude nobs (2)
4. alexander pereira (3)
5. folg fehlbaum (-)

rubrik abc-schützen (medienunternehmer/schaffende)

1. michael riniger (-)
2. peter hartmeier (3)
3. peter rothenbühler (6)
4. andreas durisch (12)
5. werner de schepper (2)

rubrik einflüsterer (meinungsmacher, erstmals separat bewertet, deshalb nicht vergleichbar)

1. frank a. meyer
2. roger de weck
3. gerhard schwarz

rubrik sachkämpfer (interessenvertretung)

1. jakob kellenberger (2)
2. serge gaillard (6)
pierre triponez (8)
4. simonetta sommaruga (-)
5. paul rechsteiner (9)

rubrik weichensteller (wissenschaft)

1. patrick aebischer (2)
2. alexander zehnder (3)
3. ernst hafen (-)
4. bruno s. frey (-)
5. silvio borner (-)

was macht macht aus

macht, hat die bilanz festgelegt, erkennt man an vier indikatoren:

. dem einfluss im eigenen bereich,
. dem einfluss über den eigenen bereich hinaus,
. dem mass, in dem die eigene position befestigt ist, und
. der möglichkeit, sich notfalls gegen den willen anderer durchzusetzen.

letzeres ist unzweifelbar max weber, dem deutschen soziologen zu beginn des 20. jahrhunderts, entlehnt, der in “wirtschaft und gesellschaft formulierte: macht ist “jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel, worauf diese Chance beruht.” weber interessierte sich also nicht, ob macht durch zwang entsteht, ob sie durch geld steuert, ob sie durch sex verführt, oder ob sie durch wissen einfluss nimmt. ihm ging es gerade nicht um die ressourcen der macht, sondern um ihre strukturen: eben, um die einflussnahme durch akteure, die in beziehungen zwischen menschen, zwischen gruppen oder zwischen gesellschaften führend sind.

die definitionsmacht der definitionsmächtigen

nicht in der bilanz stand es, dafür hat es aber die sonnstagszeitung herausgefunden: definitionsmacht haben in der heutigen zeit vor allem medienakteure. also die konzepter für redaktionen, die chefredaktöre und ihre sufflöre, die paradiesvögel unter den journalistInnen, die es verstehen, gelesen zu werden, und die expertInnen, die von ihnen immer dann eingesetzt werden, wenn sie einen standpunkt vertreten, einen erklärungsansatz präsentieren, eine idee lancieren, die in die these eines artikels oder in das konzept eines e-formates passen. die am häufigsten von der presse und der arena zitierten analysten politischer, gesellschaftlicher und medialer trends in der schweiz sind:

1. franz jäger
2. thomas held
3. claude longchamp
4. iwan rickenbacher
5. andreas ladner

die idee und das konzept solcher ratings für die sonntagszeitung hat übrigens regula stämpfli entwickelt, selber an 13. stelle der einflussreichsten analystInnen. verwendet wird das rating von der soz jedoch ohne autorenangaben. zu ihr schreibt marco morell: sie sei auf dem besten weg, den etablierten arena-tauglichen männern den rang abzulaufen, denn sie werde stetig präsenter. definitorisch heisst das einflussreicher, in den journi-jargon übersetzt jedoch häufig: gefährlicher. so schrieb die weltwoche typisch schweizerisch und ganz unverblümt, der auf dem platz drei befindliche politologe sei der “einflussreichste, und deshalb gefährlichste meinungsmacher” … so ist es halt: die journalistischen definitionsmächtigen haben ihre lieblinge unter den wissenschaftlichen definitionsmachtigen, sie kupfern bei ihnen ab, aber nur genau das, was ihnen gerade passt, und in der form, wie es ihnen gerade passt!

die macht des stadtwanderns

nun, wir von stadtwanderer wissen, dass das journalistische heute stets zugespitzt ist, aufgebauscht wird und übertrieben ist, um aufmerksamkeit beim staunenden publikum für die eigene schreibe zu generieren. wir wissen, dass die politikwissenschaft la science du pouvoir ist, und das das ins deutsche übersetzt zwei wendungen ergibt: die wissenschaft der macht, aber auch die wissenschaft der mächtigen. also bleiben wir ein wenig auf distanz, zu macht der mächtigen, und zur definitionsmacht der definitionsmächtigen.

wir sind einfach auch gelassener! nicht zuletzt, weil man bundesräte, wirtschaftskapitäne, stararchitekten, chefredaktoren und professoren ganz einfach auf berns strassen spazieren sieht. wir wissen denn auch, was die treffendste definition der macht ist: jede Chance, innerhalb einer stadt unbemerkt zu bleiben, gleichviel, worauf diese Chance beruht. werde mich mal achten, wen ich unerkannt alles vor die schuhe resp. vor die linse kriege!

stadtwanderer

bilanz-rating (nur für abonennten frei zugänglich, was ja auch eine machtfrage ist)

cal

ich bin der berner stadtwanderer. ich lebe in hinterkappelen und arbeite in bern. ich bin der felsenfesten überzeugung, dass bern burgundische wurzeln hat, genauso wie ich. also bin ich immer wieder auf der suche nach verästelungen, in denen sich die vergangene kultur in meiner umgebung versteckt hält.

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