Stadtwanderung zum Klimawandel: 4. Station Nydeggkirche oder die Stadt Bern – Nutzniesserin der Klimaerwärmung

Die Legende zur Gründungsstadt
Dem Vernehmen nach wurde Bern 1191 gegründet. Die Legende besagt, Herzog Berchtold von Zähringen habe den Sporn in der Aareschlaufe ausgewählt und seinen Dienstmannen gesagt, das erste Tier, das sie in den nahegelegenen Wäldern erlegen würden, solle der Stadt im Niemandsland den Namen geben.
Es war ein Bär!
Das war fast unschlagbar, denn die Berner machten daraus Bärn. Man bedenke, es wäre eine Wildsau gewesen oder ein Dachs. Dann wären wir jetzt Dachsenhausen oder Willisau.
Doch Biologen zweifeln am gängigen Narrativ Berns. Sie glauben nicht, dass es im 12. Jahrhundert hier noch Bären gab. Dafür war im Aaretal schon zu viel Wald verschwunden, und zu viele Menschen lebten in der Umgebung. So war Köniz seit dem 200 Jahren Sitz eines Klosters mit mächtigem Einfluss auf die Siedler in der Umgebung.

Der Landesausbau
Was war geschehen? – Die Geschichtswissenschaft spricht vom Landesausbau oder Binnenkolonisation, während dem neues Land urbar gemacht worden war.
Das war ein europäischer Prozess zwischen dem 7. und 15. Jahrhundert. Als Hauptphase gelten das 10. bis 14. Jahrhundert. Der Wald wurde auf 40 Prozent der Fläche zurückgedrängt, nur wenig mehr als heute, aber sicher viel weniger als währen der Zeit der Waldlandschaft. Dafür entstanden neue Sielungen, Aecker und Wiesen, um Mensch und Tier zu ernähren. Doch nicht nur die Umwelt, auch die Wirtschaft, die Gesellschaft und die Herrschaft änderten sich mit dem Landesausbau grundlegend.
Vor allem die Wirtschaftsgeschichte hat auf die agrartechnische Revolution verwiesen, mit der die Erträge stiegen. Die Gesellschaftsgeschichte spricht vom einem exemplarischen Bevölkerungswachstum. Die Herrschaftsgeschichte schliesslich zeigt, dass sich der waldbesitzende König zusehends eine Aristokratie gegenübersah, welche den Landesausbau betrieb.
Gemeint sind damit Klöster, die in unbewohnte Gebiete vordrangen, Adelshäuser, die Landesherrschaften anstrebten und schliesslich auch Städte, die für ökonomische Entwicklung sorgten.
Die neuere Geschichtsschreibung stellt das Ganze jedoch in den Kontext der nachweislichen, mittelalterlichen Klimaerwärmung. Klimahistoriker:innen sind sich heute sicher, dass es ab dem 10. Jahrhundert erstmals seit Römerzeiten wieder wärmer wurde und dies bis ins 14. Jahrhundert so blieb, wenn auch mit Unterbrüchen. Der mittlere Unterschied ist gemäß Rekonstruktionen nocht gigantisch, aber sichtbar gegenüber der kalten Zeit der Völkerwanderung. Deshalb die These: Ohne diese war,Phase wäre die Entwicklung hin zu einer offenen Landschaft mit neuen Siedlungen und Äckern nicht möglich geworden.

Die Herzöge von Zähringen
Das wichtigste Adelshaus in unserer Gegend waren die Zähringer aus der Umgebung von Breisach. Sie standen als Grafen im Dienste von Papst und Kaiser, der sie zu Herzögen machte. Nur war gerade kein Stammesherzogtum im Reich frei, sodass die Zähringer Rektoren im zerfallenen Königreich Burgund wurden. Das begann im westlichen Mittelland und reichte das Rhonetal hinunter bis ans Mittelmeer. Es galt als schwer regierbar, denn es war durchsetzt von Gottesstaaten, mit Bischöfen wie in Lyon, aber auch mächtigen Klöstern wie der Cluniazenser und Ordensleute, die alle Gott und den Papst verehrten, aber weniger den Kaiser und seine Getreuen.
Die Zähringer machten daran, die früheren Grafschaften Burgunds zu erobern. Alles begann in Herzogenbuchsee. Burgdorf wurde ihre erste Burg mit Stadt im Mittelland. Von da aus war Lausanne das unmittelbare Ziel, aber auch Sion und Genf. Denn die drei Bistümer bildeten früher das Königreich Hochburgund, die Pforte ins weitläufige Rhonetal.
Doch der ambitionierte Plan scheiterte. Denn der Bischof von Lausanne stellte sich den Zähringern entgegen, und seine Vasallen besiegten die Kolonisatoren zweimal militärisch. Hinzu kam, dass der Kaiser selber eine burgundische Prinzessin geheiratet hatte und nun der Auffassung war, das Rektorat sei obsolet geworden. Die Zähringer konzentrierten sich in der Folge darauf, Herren im Aaretal zu sein. Dazu gründeten sie Freiburg im Üechtland als neue Frontstadt und Bern als Brückenstadt zwischen Burgdorf und Freiburg.

Der Standort in der Aareschlaufe
Den Standort in der Aareschlaufe wählten Berchtold mit Bedacht. Denn der Sporn war einfach zu verteidigen. Der Sulgenbach konnte umgeleitet werden, sodass er mitten durch die Gründungsstadt floss.
Die sonnige Südseite ging an die Dienstmannen der Zähringer, die schattige Nordseite ging an die Stadtklöster und die Matte entlang der Aare wurde zu einem separaten Dorf für Gewerbler.
Heute weiss man, die Zähringer bauten ihre Burg, wo die Nydeggkirche steht und wir gerade sind. Sie war durch einen Graben vom Sporn getrennt. Auf dem hatte es mehrere Einschnitte, allenfalls frühere Aareverläufe. Der erste davon bildete das natürlich Ende der Stadt bei heutigen Zygloggenturm. Dazwischen entstanden vier Quartiere, von einer Längs- und einer Querstrasse geteilt. Ein Marktplatz gab es nicht, was zeigt, nicht das Wirtschaftliche trieb die Zähringer an, vielmehr die nüchterne Erschliessung des gewonnenen Landes.
Die Erschliessung des Landes rechts der Aare
Die Zähringer verbanden mit ihren Städten erstmals dauerhaft das Gebiet zwischen Aare und Voralpen. Damit erschlossen sie Täler wie das Emmental, verbanden aber auch die Orte quer zu diesen. So entstand nebst der Linie entlang dem Jurasüdfuss ein zweiter Weg durch das Mittelland, der fest in ihrer Hand war. Das hatte vor ihnen niemand gewagt oder gekonnt. In später Zeit galt gar Thun als Zentrum der Zähringer.
Herzog Berchtold, der Städtegründer und Strassenbauer, wurde damit nicht nur reich; er wäre auch beinahe König geworden. Die Kurfürsten hatten sich bereits für ihn entschieden, als er auf den Titel zugunsten der Staufer verzichtete, dafür aber weitere Städte am Rhein als Abgeltung bekam.
Berchtold starb am 18. Februar 1218. Mit ihm endete auch die Manneslinie der Herzogdynastie. Berchtolds Witwe Clementia bekam Burgdorf. König Friedrich II. nahm Bern unter seine Fittiche, denn die Stadt stand auf Königsland. Um den Rest stritten sich die alemannischen Kyburger und die burgundischen Savoyer. Der Kaiser verheiratete sie, doch der Ehefrieden hielt nicht lange. Der Grafenkrieg zwischen ihnen endete unentschieden.
Um den Rivalitäten ein Ende zu bereiten, machte König Adolf von Nassau Bern 1294 zur Königstadt und befreite sie damit von feudalen Abgaben. Bern interpretierte das so, dass man den Schultheissen, wörtlich den Schulheisser oder Steuereintreiber, nun selber stellte. Der König im Rheintal konnte nicht tun, selber war er nie in Bern aufgetaucht.

Selbstbewusste Pionierstadt
Zu den Besonderheiten der Brückenstadt gehörte, dass sie es so fertigbrachte, einen Landesherren, der sie dauerhaft beherrscht hätte, zu vermeiden. An seine Stelle stand ein selbstbewusstes Stadtrittertum mit Besitzungen in der Umgebung, das zum Königreich hielt, aber selber entschied, was im Aaretal zu tun und zu lassen war.
1339 eroberte Bern mit Hilfe der Innerschweizer die königliche Festung Laupen. Die burgundischen Barone, die Stadt Freiburg und der Gegenkaiser wurden dabei militärisch besiegt. Bern gab sich dabei das Wappen mit rot für das Kaiserreich, gelb für die Freiheit und dem Bären für die Stärke.
Stadtgründungswelle als Beweis der mittelalterlichen Klimaerwärmung
Die Stadt Bern ist nicht die einzige mittelalterliche Stadt, die vom Landesausbau, dem Bevölkerungswachstum und Klimawandel profitierte. Als sie gegründet, gab es auf dem Boden der heutigen Schweiz 35 Städte. Hundert Jahre später zählte man das fünffache. Insgesamt entstanden rund 200 mittelalterlich Städte während der Stadtgründungswelle zwischen 1150 und 1340 – ein Phänomen, dass die Stadtgeschichte während davon danach kannte. Weitere Adelshäuser, die Städte gründeten, um ihre Macht zu sichern, waren die Kyburger vor allem in der heutigen Ostschweiz, die Habsburger entlang der Reuss und die Savoyer in der Westschweiz.
Auch wenn nicht alle Stadtgründungen aus dem 12. bis 14. Jahrhundert überdauerten, sind die der sichtbarste Beweis für die mittelalterliche Warmphase und ihrer Kraft, Natur, Kultur und Zivilisation zu verändern.
Die Freude Berns dauerte allerdings nicht lange. 1342 kam schlechtes Wetter mit viel Regen auf, die Ernten blieben aus und die Menschen hungerten. Noch wusste sie nicht, dass in China eine Pandemie ausgebrochen war, die man nicht einmal dem Namen nach kannte, aber auch die Aarestadt in Kürze ereilen sollte.

cal

ich bin der berner stadtwanderer. ich lebe in hinterkappelen und arbeite in bern. ich bin der felsenfesten überzeugung, dass bern burgundische wurzeln hat, genauso wie ich. also bin ich immer wieder auf der suche nach verästelungen, in denen sich die vergangene kultur in meiner umgebung versteckt hält.

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