«Die Umwelt wirkt auf uns zurück»

Im neuesten “NZZ Geschichte” schreibt Sabine Höhler: «Die Natur kommt ohne den Menschen aus. Sie ist das, was ausserhalb von uns ist. Die Umwelt hingegen ist sozial gewordene Natur; sie ist eine Natur, die immer auf den Menschen bezogen ist.» Was ist damit gemeint?

Das Jahr ohne Sommer in Europa, ohne Monsun in Indien

Das illustriert die Umwelthistorikerin mit zwei treffenden Beispielen.
1815 explodierte der Vulkan Tambora auf Indonesien. Eine ungeheure Aschewolke verdunkelte den Himmel. Augenzeugen berichteten von einer Naturkatastrophe mit unmittelbaren Wirkungen für die Region. Davon erfuhr man weltweit wenig.
Trotzdem erlebten die Menschen in Europa die Folgen intensiv. 1816 ist das Jahr ohne Sommer. Denn die Sonne war andauernd verdunkelt. Es regnete ununterbrochen. Ueberschwemmungen, Kälte und Frost waren allgegenwärtig. In der Schweiz gab es die letzte umfassende Hungerskrise. Noch dominierten religiöse Deutungen, wonach es sich um eine Rache Gottes gehandelt habe.
Erst in der umwelthistorischen Rückschau konnte man das Jahr ohne Sommer als vulkanischen Winter interpretieren. Denn eine global verstandene Umwelt braucht Vergleiche, räumliche und zeitliche. Das wurde erst Mitte des 19. Jahrhunderts möglich, als Dampfschifffahrt, Telegrafie und Massenmedien die Welt zusammenwachsen liessen.
Anders reagierte die Menschheit auf den Vulkanausbruch von Krakatau 1883. Auch das war in Indonesien. Und auch das war ungeheuer. Doch war man nun vorgewarnt. Forscher und Laien konnten das Ereignis in Echtzeit verfolgen. Damit war von Anfang an klar, was die Ursache der neuen Umweltkatastrophe war.
In Indien wurde der Vulkanausbruch von 1815 anders interpretiert. Denn es blieb der Monsun aus. Dürre breitete sich aus, das Trinkwasser wurde rar, und es brachen Seuchen aus. Eine Jahrhundert-Pandemie nahm ihren Lauf. Denn durch den Ueberseehandel breitete sich die Cholera nach Zentralasien, Afrika und Europa aus.
Auch das blieb nicht ohne Auswirkungen selbst auf die Schweiz. 1869 war das Jahr der Cholera in unserem Land. Im Kanton Zürich beschleunigte sie das Ende der repräsentativen Demokratie, welche durch die direkte Demokratie mit Volksrechten gegen die Vorherrschaft des grossbürgerlichen Freisinns abgelöst wurde.

Von der Miasma- zur Bakterien-Theorie

Europa reagierte mit dem Aufbau einer öffentlichen Gesundheitsfürsorge. Grossbritannien ging 1831 mit dem ersten Gesundheitsamt voraus. Dieses definierte die Seuche als Folge einer unhygienischen Umwelt, der sich der Staat vor allem in den Städten annehmen müsse.
1854 entdeckte der britische Arzt John Snow, dass sich die Krankheit nicht zufällig verbreitete, sondern von lokalen Hotspots aus. Und diese stammten aus verunreinigten Wasser aus der Themse.
Das entkräftete die vorherrschende Miasma-Theorie, wonach faule Luft für die Ausbreitung von Krankheiten entscheidend war. Nun kam die Bakterientheorie und mit ihre die moderne Epidemiologie auf.
Speziell Grossstädte wurden deshalb zu den ersten Regulierungsobjekten der Umweltpolitik. Diese wurde nun technisch verstanden, und sie hatte hohe politische Implikationen, vor allem auf die Entstehung des Gesundheitswesens und der Hygiene als Lehre des (Ueber)Lebens.

NZZ Geschichte: Alles hängt zusammen. Die Entdeckung der Umwelt. Nr. 40, Mai 2022

cal

ich bin der berner stadtwanderer. ich lebe in hinterkappelen und arbeite in bern. ich bin der felsenfesten überzeugung, dass bern burgundische wurzeln hat, genauso wie ich. also bin ich immer wieder auf der suche nach verästelungen, in denen sich die vergangene kultur in meiner umgebung versteckt hält.

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