Mit Lobbywatch auf Stadtwanderung

Ich war zu Besuch bei der «Konkurrenz». Denn auch «Lobbywatch» führt, wie ich selber auch, Stadtwanderungen zum Lobbyismus in Bern durch. Mein Bericht.

Anti-Lobbying-Aktivisten
Otto Hofstettler und Thomas Angeli sind im Hauptamt Redaktoren beim «Beobachter». Seit rund 10 Jahren betätigen sie sich im ehrenamtlichen Nebenamt auch als Lobby-Beobachter.
Angefangen hat das mit der Schaffung einer Datenbank, die bestrebt war, Licht ins Wirrwarr der Interessenbindungen von Parlamentsmitgliedern zu bringen. Darauf aufbauend ist Lobbywatch entstanden. Hinzu gekommen sind die beliebten Stadtrundgänge meist während der Legislaturperiode, die aus der Aktualität berichten.
Das ist die absolute Stärke der Führungen von Lobbywatch. Konkret, anschaulich und gut verständlich. Nicht alles bleibt unbestritten, was die beiden Aktivisten recherchieren und berichtet. Aber man nimmt zwischenzeitlich vieles gelassener.

Die Hierarchie der Anlässe
Zu den Besonderheiten der gestrigen Führungen zählte, dass auch der grüne Nationalrat Felix Wettstein teilnahm. Er selber war vor der Wahl ins Parlament Kinder-Lobbyist und schafft seit seiner Wahl auf der eigenen Webseite regelmässig Transparenz, was während den Sessionen in Bern so geht. Vor allem erklärte der Solothurner gestern die symbolische Bedeutung der Gastronomie für die Interessenvertretung: Werden die ParlamentarierInnen ins Bellevue-Palace eingeladen, handle es sich um einen erstklassigen Anlass. Zweitklassig sei es, wenn man sich beispielsweise im Lorenzini oder in der Schmiedstube treffe. In beiden Fällen gäbe es immer gutes Essen und meist auch informative Gespräche. Finde der Anlass dagegen direkt im Bundeshaus selber statt, sei er dritt- oder vierklassig, auf rasche Abwicklung der Geschäfte ausgerichtet, und es gäbe Sandwiches.

Orte des Lobbyings
Begonnen hat alles auf dem Bundesplatz, wo die Führung auch endete. Dazwischen machten man halt, wo sich Verbände ihren Lobbying-Sitz in Bern haben, wo professionelle Agentur tätig sind oder wo man sich zum ungezwungenen Gedankenaustausch trifft.
So an der Hotelgasse, wo es um die Einflussnahme auf die Rauchergesetzgebung gehe.
So vor DigitalSwitzerland, wo man die private eID unterstützt habe.
So vor der Schmiedstube, wo sich die Landwirtschaftslobby regelmässig treffe.
So vor dem Schweizerhof, wo Apple, iPhones und Kreislaufwirtschaft zusammen kommen.
Oder so vor der Agentur furrerhugi, wo man eine Kampagne zur Versorgungssicherheit mit Strom konzipiert habe.
Stets ging es um ein konkretes Beispiel aus den jüngsten Parlamentsverhandlung, die der Einflussnahme durch Verbände, Interessengruppen oder (ausländischen) Firmen ausgesetzt gewesen seien.

Umstrittener Einfluss des Lobbyings
Wie weit Beeinflussung reicht, wurde aber nicht immer klar. Das lag nicht an den Stadtführern, sondern an der Sache selber.
Offensichtlich wurde der Einfluss bei den Abstimmungen über die Agrarinitiativen 2021 und die im Parlament gebodigt neue Agrarpolitik. Weniger eindeutig war es aber bei der eID, die in der Abstimmung an einer gut gemachten Kampagne aus der Zivilgesellschaft scheiterte. Nochmals anders liegt der Fall beim Raucherschutz, wo zwei Lager einander gegenüberstanden, die sich beide mit Lobbying verstärkt hatten und so auch streckenweise neutralisierten. Schliesslich wurde die Kampagne zur Versorgungssicherheit vorzeitig publik, was ihr einen Teil der Wirkung nahm. Bei der Kreislaufwirtschaft hielten die zwei Lobby-Aktivisten schlicht fest, ausländischen Akteure fehle häufig das Wissen für die Feinmechanik der hiesigen politischen Prozesse.

Was sich bei den Wahlen 2023 ändert
Optimistisch zeigt sich Lobbywatch für die Zukunft. In die öffentliche Diskussion über die Einflussnahme Privater auf die Politik sei Bewegung gekommen. Die Transparenzinitiative habe die alten Fronten aufgeweicht. Sie wurde zwischenzeitlich sogar zurückgezogen, weil das Parlament selber einen tragfähigen indirekten Gegenvorschlag ausgearbeitet hat. Der werde bei den Wahlen 2023 erstmals zum Tragen kommen. Er sei zwar von rotgrüner Seite initiiert worden. Dank jüngeren Parlamentarier und Parlamentarierinnen aus den bürgerlichen Parteien mit einem neuen Lobby-Verständnis mehrheitsfähig geworden. Das werde die Zukunft bestimmen.

Zu einseitig auf das Parlament ausgerichtete Führung
Selber habe ich den Rundgang als lehrreich erlebt, selbst wenn ich den fast ausschliesslichen Focus mit der Einflussnahme auf das Parlament nicht teile. Beim Warten auf die Führung auf dem Bundesplatz, habe ich per Zufall einen zurückgetretenen Parlamentarier getroffen. Seine Diagnose war typisch – und anders: Mit der Professionalisierung der Politik habe eine krasse Verlagerung der politischen Entscheidungen Richtung Exekutive, sprich Bundesrat und Verwaltung, stattgefunden. Zudem wächst der Einfluss des hybrid gewordenen Mediensystems auf die Gestaltung der vorherrschenden öffentlichen Meinung. Beides hat die Parlamentsarbeit relativiert. Doch darüber schwieg sich die Wanderung leider fast ganz aus.

cal

ich bin der berner stadtwanderer. ich lebe in hinterkappelen und arbeite in bern. ich bin der felsenfesten überzeugung, dass bern burgundische wurzeln hat, genauso wie ich. also bin ich immer wieder auf der suche nach verästelungen, in denen sich die vergangene kultur in meiner umgebung versteckt hält.

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