Ochsenbein, Teil 4: Bundesstaatsgründung zwischen Patriotismus und europäischen Banken

Die Sache war gar nicht so einfach! Bei der Einführung der ersten Bundesverfassung galt noch der Bundesvertrag des Wiener Kongresses von 1815. Der hatte die Schweizerische Eidgenossenschaft begründet, aber auch der Basis eines einfachen Staatenbundes mit souveränen Kantonen. Die Bundesverfassung begründete einen neuen Bundesstaat. Das bedeutete, dass Souveränitätsrechte von den Kantonen zum Bund übertragen wurde.

Einstimmigkeit oder Mehrheit
Doch die versammelte Tagsatzung im Berner Auesseren Stand konnte kein Protokoll mit der Zustimmung aller Kantone zur Kenntnis nehmen, die Bundesverfassung in Kraft setzten und sich auflösen.
Denn nur 15.5 der 22 damals Kantone hatten ihr zugestimmt. Dagegen hatten die Sonderbundskantone Zug, Schwyz, Uri, Ob- und Nidwalden sowie Wallis gestimmt. Hinzu kam Appenzell Innerrhoden, das davor noch neutral gewesen war. Und auch der Kanton Tessin hatte die neue Bundesverfassung abgelehnt.
Zwei Kantone des Sonderbunds waren dafür auf der Ja-Seite. Doch bestanden Zweifel an der Entscheidung. In Freiburg hatte nur das liberal dominierte Parlament zugestimmt. Eine Entscheidung der Bürger lag nicht vor. Luzern hatten zwar korrekt abgestimmt, aber nach der Veto-Regel. Diese zählte die Nicht-Stimmenden automatisch zur Ja-Seite.

Die politische Entscheidung
Es brauchte eine politische Entscheidung. Sie sollte sagen, was Sache sei.
Die Antwort lautete: «gültig».
Das war ein revolutionärer Bruch mit der Tradition, wie namhafte Juristen es bis heute nennen.

Der Durchbruch zu modernen Schweiz
Immerhin hatte man an diesem denkwürdigen 12. September eine neue demokratische und föderalistische Republik geschaffen und die das republikanische Ancien Regime nach einem halben Jahrhundert definitiv hinter sich gelassen.
Man konnte Stolz sein!
Wie wir heute wissen, war es von allen europäischen Umbrüchen im Revolutionsjahr 1848 die einzige bleibende Gründung eines neuen Staates. Diese Republik glich nur der Zweiten in Frankreich, die 1852 definitiv endete. In allen Nachbarstaaten sass die Monarchen ab 1849 wieder fest im Sattel.

Gründe für den Erfolg
Zu den Gründen für die frühe und feste Etablierung einer moderne Republik zählt nach heutiger Auffassung zuerst der Kompromiss zwischen Demokratieprinzip mit der Gleichheit alles Männer und dem Föderalismusprinzip, das die Kantone als teilautonomen Staaten im Bund beliess. Zudem kannte die Schweiz schon lange eine republikanische Tradition, die man mit der aufkommenden Bürgergesellschaft nun erneuerte.
Ein weiterer Grund bestand darin, dass der neue Bundesstaat auf den Aufbau einer Infrastruktur für die Industriegesellschaft ausgerichtet war. Die Binnenzölle verschwanden. Die Schweizer Franken wurde eingeführt. Gegründet wurden die Schweizerische Post. Zudem sah man eine Technische Hochschule vor.

Mit der Eisenbahn ins Industriezeitalter
Eisenbahn und Banken als Motoren der Industrialisierung
Ein Spezialfall war das Eisenbahnwesen. Seit den frühen 1840er Jahre machte die Eisenbahn, die sich von Grossbritannien aus über den Kontinent ausgebreitet hatte, an den Landesgrenzen in Basel und Lindau halt. Die Teststrecke mit der Spanisch-Brötli-Bahn zwischen Baden und Zürich kaschierte den grossen Nachholbedarf nur notdürfte.
Das Eisenbahnwesen gehöhrten vorerst nicht zu den Kantonsaufgaben. Die Kantone vergaben Konzessionen an private Gesellschaften, an denen sie beteiligt waren. Dennoch mangelte es Geld, sodass der Eisenbahnbau vorerst auf europäisches Kapitel angewiesen. Erst mit der Gründung der Schweizerischen Kreditanstalt entstand in Zürich ein eigenes Institut geschaffen, das der neuen
Herausforderung gewachsen war.

Der Uebergang mit zwei Grundgesetzen
All das wäre nicht möglich gewesen, hätte nach dem 12. September eine Intervention des Auslandes stattgefunden. In der anziehenden, antirevolutionären Stimmung, wäre das durchaus möglich gewesen. Vermittelnd auf der Seite der Schweizerischen Eidgenossenschaft stand letztlich nur Grossbritannien.
Als innerschweizerische Garantie der eigenen Souveränität verstand man die rasche Etablierung eigener Behörden. Bereits am 14. September wurden die Kanton angehalten, bis am 6. November ihre Nationalräte zu wählen. Dann sollten sie sich in Bern, der provisorischen Hauptstadt, versammeln und 10 Tage später den ersten Bundesrat wählen.
Bis dann liess man den Bundesvertrag von 1815 in Kraft. Das sollte das Ausland beruhigen. Erst als der Bundesrat vereidigt war, hob man ihn einseitig auf.
Obwohl das im Vertrag des Wiener Kongresses gar nicht vorgesehen gewesen war. Das war nochmals ein Bruch mit der Rechtstradition!

cal

ich bin der berner stadtwanderer. ich lebe in hinterkappelen und arbeite in bern. ich bin der felsenfesten überzeugung, dass bern burgundische wurzeln hat, genauso wie ich. also bin ich immer wieder auf der suche nach verästelungen, in denen sich die vergangene kultur in meiner umgebung versteckt hält.

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