Ochsentour, 5. Teil: Parlaments- und Bundesratswahl ganz im Zeichen des Freisinns

Der Bundesstaat auf dem Papier wurde erst mit der ersten Wahl von Parlament und Regierung greifbar. Die Freisinnigen feierten einen totalen Sieg.

Am Morgen des 6. November 1848 weckten 155 Böllerschüsse die Stadt Bern. 44 galten den Ständeräten, 111 den Nationalräten. Denn es war der Tag, an dem in der provisorischen Bundesstadt des neu gegründeten Bundesstaates die erste Session eröffnet wurde.
Gefeiert wurde das Ereignis mit einem rauschenden Fest, das im Konzertsaal des Gesellschaftshauses „Hotel de Musique“ stattfand. Heute ist es in Bern besser als „DuTheatre“. Bekannt. Leider wurde der Konzertsaal bei der Renovation 1905 ausgehöhlt, sodass der historische Ort nicht mehr existiert.
Das Fest wurde überschwänglich beschrieben. Es soll auch lange gedauert haben. Jedenfalls begannen die Verhandlung anderntags nicht ordentlich um 8 Uhr, sondern nachmittags um 15 Uhr.

Freisinnige resp. radikale Mehrheit
In beiden Kammer hatten die Freisinnigen bei den vorangegangenen Wahlen eine erdrückende Mehrheit bekommen. In der Großen Kammer stellten sie 98 der 111 Nationalräte, und im der kleinen Kammer waren es 38 von 44.
Genau genommen war das nicht korrekt, denn der «Freisinn» war keine Partei, sondern eine Bürgerbewegung mit verschiedenen Strömungen, zusammengehalten durch Gründung des Bundesstaates. 82 der freisinnigen Nationalräte zählten effektiv zu den Radikalen, 10 zu den Liberalen und 6 zu den Demokraten. Im Ständerat waren 30 der 38 Freisinnigen Radikale, 8 Liberale. Demnach hatten eigentlich die Radikalen die Mehrheit in beiden Kammern.
Doch auch das war nicht so sicher. Einig waren sich die Radikalen in der antiklerikalen, vor allem gegen die katholische Kirche gerichteten Grundhaltung. Ein konkretes Programm existierte darüber hinaus nicht. Wie alle Fraktionen war auch die der Radikalen vor allem ein Netzwerke um herausragende Figuren. Zu diesen gehörte der Radikale Alfred Escher aus Zürich, der bald schon als Eisenbahnbaron bekannt wurde, da er das wohl wichtigste Geschäft beeinflusste.
Soziologisch gesehen waren alle Männer, die meisten Teil des aufstrebenden Bürgertums. Viele waren hohe Offiziere, meist Obersten der Schweizer Armee. Starb einer, wurde das in der Todesanzeige vor dem Nationalratstitel vermerkt.

Erste Bundesratswahl
Wichtigstes Traktandum der ersten Session war die Wahl des ersten Bundesrats. Sie fand am Mittwoch der zweiten Woche statt.
Zuerst wurde die fest versprochenen Sitze für die Kantone Bern, Zürich und Waadt bestimmt. Als erster Bundesrat wurde bereits im ersten Wahlgang Ueli Ochsenbein gewählt. Aus dem Kanton Zürich obsiegte Jonas Furrer aus Winterthur, aus der Waadt Daniel-Henri Druey. Alle drei galten als Radikale. Danach wurden die vier freien Sitze bestimmt. Gewählt wurden Friedrich Frey-Herose aus dem Aargau, Martin Munzinger für den Kanton Solothurn, Matthias Naeff aus dem Kanton St. Gallen und der Tessiner Stefano Franscini.
Je drei waren vor der Wahl in den Bundesrat National- resp. Ständeräte gewesen. Regierungsrat Druey wäre auch in der kleinen Kammer gesessen, hätte er die Wahl nicht ausgeschlagen gehabt.
5 der ersten Bundesräte waren reformiert, 2 katholisch, aber keiner aus einem ehemaligen Sonderbundskanton. Je einer vertrat die Sprachminderheiten, fünf die Mehrheit. Bis auf Franscini waren alle Bundesräte in der Kommission gewesen, welche die Verfassung ausgearbeitet hatte. Erster Bundespräsident wurde der Zürcher Bundesrat Jonas Furrer.
Damit war die Schweiz nach damaliger Vorstellung ausgestattet mit Parlament und Regierung und souverän. Es wurde Zeit, den Bundesvertrag von 1848, der immer noch galt, nun aufzulösen.

Bern Bundesstadt
Die Geschäfte der ersten Session waren aber noch nicht erledigt.
Die wichtigsten Entscheidungen des Parlaments betrafen den Sitz des Bundes und die Arbeitsweise das Zweikammer-Parlaments.
Bei der Bundesstadt obsiegte Bern eindeutig über Zürich und Luzern. Verkehrswege, Brückenstadt zwischen Sprachräumen, gute Verteidungsanlagen und eine gemütliche Atmosphäre wurden als Argumente genannt. Im Hintergrund spielte aber mit, dass die radikale Regierung des Kantons Bern Gratislokalitäten offeriert hatte.
Nur hatte sie diese noch nicht! Das heutige Bundeshaus West, vormals das Bundesratshaus konnte erst nach neun Jahren bezogen werden. Es beherbergte Regierung, Parlament und Bundeskanzlei in einem.

Ochsenbeins Sturz
Nicht ganz sicher war und ist die politische Verortung des ersten Bundesrat. Offiziell waren es vier Radikale (nebst den bereits genannten auch Franscini) und drei liberale. Doch zweifelte man von Anbeginn, wo Ochsenbein stand. Wahrscheinlich entschied er am häufigsten wie die Liberalen, aber mit Abweichungen in die radikale und auch konservative Richtung. Das trug ihm schon früh das Attribut eine «Verräters» der «Opportunisten» ein. Vielleicht hätte man in der heutigen Sicht auch ausgleichender Staatsmann sagen können!
Jedenfalls war Ochsenbein der erste Bundesrat, der nach nur sechs Jahren nicht mehr gewählt wurde. Das hatte auch mit dem Wahlsystem zu tun. Es funktionierte ab 1851 nach dem informellen Prinzip der Komplimentswahl. Dafür mussten alle Bundesräte am Ende der dreijährigen Legislaturperiode zurücktreten, für den Nationalrat kandidieren, und nur mit Kompliment der gelungenen Parlamentswahl wieder vor die Bundesversammlung treten.
Ochsenbein scheiterte bei der zweiten Wiederwahl. Die Radikalen hatten seine Wahl in den Nationalrat vereitelt. An seiner Stelle wurde der Radikale Jakob Stämpfli, sein ewiger Gegenspiel aus dem Berner Seeland, neuer Berner Bundesrat.

cal

ich bin der berner stadtwanderer. ich lebe in hinterkappelen und arbeite in bern. ich bin der felsenfesten überzeugung, dass bern burgundische wurzeln hat, genauso wie ich. also bin ich immer wieder auf der suche nach verästelungen, in denen sich die vergangene kultur in meiner umgebung versteckt hält.

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