körpersprache des bundesrates

ein glückliches neues jahr, wünsch ich da! ganz besonders denen, die wie ich, wandernd unterwegs sind.

meinen job verrichte vornehmlich sitzend; gelegentlich mache ich das auch stehend. deshalb habe ich mich vor drei jahren entschieden, mehr bewegung in meinen arbeitsalltag zu bringen. stadtwandern ist seither mein motto.

das scheint nun abzufärben. immer mehr menschen wollen sich bewegen, vorankommen, ein neues ziel erreichen. diese welle hat nun auch den schweizerischen bundesrat erfasst. nach 14 gruppenbildern, auf denen unsere landesregierung sass oder stand, ist sie nun beim 15. shooting bewegt aus der fotosession gekommen!

doch wofür stehen bewegte körper? – für bewegte politik? das habe ich mir bei der bildbetrachtunggefragt, und ich habe genauer nachgeschaut, was die körpersprache des bundesrates zu beginn des (wahl)jahres 2007 so alles zum ausdruck bringt.


offizielles bild der schweizer landesregierung 2007: ist der bundesrat nun wie der stadtwanderer unterwegs? wozu? wohin? einzeln? gemeinsam?, fragt der stadtwanderer bei seiner bildinterpretation (foto: bundeskanzlei, anclickbar)

gruppenbild mit damen

in der mitte ist die bundespräsidentin zu sehen, micheline calmy-rey, – erst die zweite frau, die dem gremium vorsteht. auch aussen wird es von zwei frauen umrandet: doris leuthard, unser kücken im bundesrat, und annemarie huber-hotz, die bundeskanzlerin, beide bekannt als grosse anhängerinnen der konkordanz, umgarnen die männer, als müssten sie mögliche ausreisser im zaun halten.

am besten eingerahmt ist pascal couchepin, der neue vize im bundesrat; halb versetzt, von vorne rechts, sind samuel schmid und hans-rudolf merz zu sehen, von vorne links figurieren die beiden zürcher pfarrerssöhne moritz leuenberger und christoph blocher.

schwung- und standbein

zunächst die politischste aller botschaften auf dem bild: hober-hotz, merz, schmid, couchepin und blocher haben ein rechtes standbein! calmy-rey, leuenberger und leuthard! stehen dagegen auf dem linken.

calmy-rey wiederum wagt das schwungbein am weitesten vor, kecker auf jeden fall als leuenberger, der es ihr nachmachen möchte, sich aber offensichtlich nicht so getraut. und bei leuthard hängt das schwungbein noch etwas abwartend in der luft, – ganz so, als wollte es sagen: doris, es ist ein weiter weg bis dijon! auffällig ist, dass die fdp-magsitraten das schwungbein weit hinten haben. vielleicht wollen sie so zum ausdruck bringen, dass sie sich von ihrem linken parteiflügel abgesetzt haben, – vielleicht schwingt da auch ein wenig verhallte dynamik des traditionsreichen freisinns mit.

schmid jedenfalls ist als einziger absolut korrekt auf dem boden des bundeshauses: er steht auf beiden beinen; wenn auch das rechte den takt angibt, so stabilisiert doch das linke die position. huber-hotz wirkt, ähnlich wie leuenberger, nur zaghaft beschwingt, während man sich bei blocher des eindrucks nicht erwehren kann, er klatsche mit dem rechten fuss gleich die letzte linke fliege, die es in der beamtenschaft des bundeshauses noch geben soll.

hemdsärmlig und verdeckt

drei mitglieder unserer landesregierung wirken auf dem gruppenbild etwas hemdsärmlig: calmy-rey und leuenberger, die beiden sozis, und auch blocher zeigen, dass sie nicht nur korrekt gekleidet sind, sondern auch darunter was tragen. das hat wohl mit dem zeitpunkt der aufnahme zu tun: die drei haben im dezember 06, als es galt, das wahljahr 07 anzuwärmen, ihre eigenen leseweisen der konkordanz sichtbar gemacht: leuenberger bleibt, weil blocher alles kaputt machen will, und blocher bleibt, weil leuenberger schon alles kaputt gemacht hat. calmy-rey wiederum will vermitteln, damit der bundesrat in den wesentlichen fragen wieder ganze (aufbau)arbeit leistet.

bei calmy-rey kommt in der kleidung indess auch etwas nonchalance zum ausdruck: anders als bei doris leuthard, bei der der gurt wie bei einer ministrantin den körper klar in oben und unten teilt und die trägerin so vom linksalternativen lager abgrenzt, sitzt der gurt bei calmy-rey lässig-tief, sodass das ganze fast schon ein wenig wie wilder westen wirkt. leuenberger hält da unter den sozis dialektisch dagegen: keiner trägt einen so dezenten stoff wie der vertreter der toscana-fraktion und nur er ist in elegantem grau gekleidet. seine kravatte schliesslich kreuzigt jeden versuch, politische einseitigkeit zu signalisieren, auf gestelzter brust. nur sein hosenbein will nicht recht dazu passen; ganz zerknittert ist es, – angesichts der schläge, die sein meister als past-bundespräsident jüngst einsammelt hat, nachvollziehbar.

drei hände fallen auf: zunächst bei blocher und schmid, deren hände den rücken zeigen, fast so, als müssten die beiden liberalkonservativen parteigänger etwas verbergen: einen staatsstreich, oder nur der nächste coup gegen den konkurrenten aus dem eigenen lager? “ich könnte, wenn ich nur dürfte”, scheinen sie beide sagen zu wollen; da ist calmy-rey unverblümter, wenn sie die linke hand fast schon zur faust ballt: “ich kann – und ich will!”, ist ihre energische botschaft.

kraft und krampf

müsste ich sagen, von wem auf dem bild die kraft ausgeht, würde ich die beiden svp-mannen zuerst erwähnen. sie machen, gestärkt durch die harte parteischule mit ihren einpeitschern den entschlossensten eindruck. und sie ergänzen sich, würde schmid sagen, während seine partei beifügen würde, sie würden sich widersprechen. Denn schmid hat die linke schulter vor, während blocher mit der rechten raum schafft.

ganz anders der beiden konkurrenten aus dem rechten lager: die beiden freisinnigen wirken gehemmt. Sie sind verkrampft, denn es fehlt der erfolg. merz wirkt auf der linken körperseite fast wie gelähmt, und rechts wird er verdeckt. couchepin wiederum zieht die linke hoch, fällt aber rechts ab, sodass dass ganze wenig ausgeglichen wirkt. huber-hotz scheint das zu merken. sie muss den daumen der linken hand angestrengt einpacken, um nicht mit ihm auf den wunden punkt zu drücken.

locker-unverbraucht ist eigentlich nur leuthard. da merkt man, dass sie im gremium erst frisch dabei ist. sie hält auch noch distanz zu kollege blocher; – gerade mal die ellbogenspitzen überlagern sich, während alle anderen kräftig mit den ellbogen eine oder zwei personen in schach halten!

das jahr des lächelns

nach mehreren jahren der kritik scheint man sich grossmehrheitlich geeinigt haben, nun das jahr des lächelns zu verkünden. calmy-rey kann das wie keine(r ) sonst. darob vergisst man fast das hohe durchschnittsalter der landesregierung. süsser noch als sie lächelt allerdings das jüngste mitglied, doris leuthard, während merz eher unvorteilhaft grinst. blocher wiederum gibt seine eigene interpretation der präsidialen devise zum besten: er zeigt gleichzeitig am meisten zähne, und er hat die obere reihe zum zubeissen schon ausgefahren!

nur einer lacht nicht: samuel schmid. nicht sein schnurbart würde ein zaghaftes lächeln verdecken, für das er sich schämen würde. nein, der vbs-chef lächelt überhaupt nicht. wahrscheinlich ist er in diesem gremium der einzige, der sich im wahljahr nichts vormacht; dafür spricht auch, dass er, anders als die andern, nicht in die kamera schaut, sondern gerade aus. ganz so, als wollte er sagen: mein wanderziel kenne nur ich! die anderen gehen, ganz schon vom kommenden wahlkampf beseelt, via die fotografin julie de tribolet auf das staunende publikum zu!

und die botschaft für die zukunft?

immerhin, man wirkt geschlossener als auch schon und dynamischer als bisher. man ist, fast schon wie der stadtwanderer unterwegs. ein wesentlicher unterschied bleibt indessen: der stadtwanderer zeigt sich draussen in der stadt und beschäftigt sich mit geschichte; die landesregierung bleibt im bundeshaus, denn sie bleibt auf die hohe politik im bundesratszimmer ausgerichtet. fast schon scheint es, als wolle man den weg dorthin stürmen, denkt sich der stadtwanderer, und hofft, das schweizer kreuz am boden werde dabei nicht zu arg zertrampelt.

ob die mitglieder des bundesrates bis ende jahr alle ankommen, einzeln ein- und austreten, oder gemeinsam regieren werden? das weiss nicht einmal der stadtwanderer im voraus, weshalb er gespannt auf den 1. januar 2008 wartet, wenn die kecke königin abgegangen sein wird und der gross gewachsene könig sich anschicken wird, die politische symbolik der landesregierung neu zu orchestrieren.

ein glückliches jahr wünsch ich auf all jenen, die wandernd unterwegs sind!

stadtwanderer

cal

ich bin der berner stadtwanderer. ich lebe in hinterkappelen und arbeite in bern. ich bin der felsenfesten überzeugung, dass bern burgundische wurzeln hat, genauso wie ich. also bin ich immer wieder auf der suche nach verästelungen, in denen sich die vergangene kultur in meiner umgebung versteckt hält.

0 Gedanken zu „körpersprache des bundesrates“

  1. lieber stadtwanderer
    auch dir, du vorwärtsschreitender wünsche ich ein ganz tolles 2007 voller neuen erkenntnissen und vor allem voller interessanten erlebnissen auf deinen spannenden und verwinkelten wegen.

    mit einem breiten schmunzeln habe ich dir bei obiger analyse zugehört, immer wieder auf und runter scrollend um genau zu schauen ob ich deine beobachtungen teilen kann und/oder inwieweit mein eigenes bild der situation durch meinen blickwinkel noch zu ergänzen wäre 😉
    anyway, beim nächsten schritt verändert sich eh das ganze bild und ob dem mehrmaligen hin und zurück wirken längst nicht mehr alle magistraten so, wie sie eigentlich gerne möchten…

    tschühüss lieber stadtwanderer, auf ein neues bloggjahr und auf viele spassige und ernstere onlinebegegnungen
    gruss rinaa

  2. liebe rinaa
    herzlich dank für die netten worte; das in der bewegung alles vergänglich ist, stimmt zwar schon, aber nur halb, ein fluss, der fliesst, ist in keiner sekunde gleich wie in der nächsten, und dennoch kann man den fliessenden fluss (im normalfall) beschreiben. das ist es gerade, was ein bild von menschen unterwegs ausmacht. kein detail ist gleich wie das nächste, und dennoch ist es typisch. genau das wollte ich anhand dieses bildes herausfinden. mag sein, dass das eine oder andere nur für den moment gilt. das alles beobachtete vergänglich ist, glaube ich aber nicht!

  3. Lieber Stadtwanderer,

    kann das ein Zufall sein? Vor allem die beeindruckende Beinarbeit von
    Pascal. Und wurden unsere Bundesräte wohl eingeweiht?

    herzliche Grüsse und e guets Nöis

  4. guten tag domainmax.
    danke für den anderen domainname. natürlich ist das nicht das gleiche. denn bei ihnen geht es ja nicht um eine weitere kandidatur in der ominösen wahl. aber es geht um luzern; – und ich stelle mit bezug auf meinenbeitrag fest: die stadt ist auch nach der niederlage von 1848 weiterhin top im rennen!
    stadtwanderer

  5. Schöne Analyse, die soeben im Züri-Berliner-Neujahrsbeitrag mit einer Verlinkung geehrt wird.
    Wir sind gespannt wie die Politarena der Schweiz im Vorfeld der Wahlen 2007 durch die Blogosphäre stolpern wird. Und ob einer der dynamischen Bundesräte, eine der Bundesrätinnen schnellen Schrittes sich ein Blog anlegen wird. Ich wage es zu bezweifeln: denn Bloggen frisst Zeit. Züri-Berlin staunt auch nach all den Monaten, dass den geschätzten Stadtwanderer das Blogger-Burnout nach einer un-glaub-lich hohen Textproduktionsfrequenz noch nicht eingeholt hat.
    Beste Wünsche für 2007!

  6. liebe sarah, herzlichen dank, das bloggen braucht zeit, mehr zeit, als ich gedacht hatte, da hast du recht. ich schreibe in der regel aber nur, was ich eh wusste oder recherchiert habe, dann hält sich das in grenzen. und das mache ich häufig des nachts, wenn ich nicht schlafen kann, weil ich mir am tag zu wenig zeit nehme … von burnout aber kann noch gar keine rede sein, vielmehr sprudle ich nur so von ideen.
    gruss stadtwanderer

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