revolutionäre woche

war das eine revolutionäre woche! doch was ist daraus geworden? – eine erinnerung an die wilden februartage im jahre 1848 beim fast schon frühlingshaften abendspaziergang.


februarrevolution ’48: zum dritten mal entzündet sich der revolutionäre funke nach 1789 und 1830 in paris

februar-revolution

wir schreiben das jahr 1848, februar 1848. zuerst bebte frankreich. könig louis philippe I. dankte nach nur drei tagen revolution in paris ab; die republik auferstand. doch kündigte sich in london schon die nächste revolution an: karl marx und friedrich engels veröffentlichten das manifest der kommunistischen partei, das weltweit zum programm der revolutionären arbeiteravantgarde werden sollte. – und in bern? es tagte die verfassungsgebende versammlung, die der schweiz ihre erste eigene bundesverfassung geben sollte; sie wurde in wenigen wochen ausgearbeitet und sollte zum grundlagenwerk der ersten stabilen demokratie in europa werden.


provosorische regierung von alphonse delamartines, kaiser napoléon III., nationalwerkstätten von louis blanc

frankreich: monarchie oder republik?

am 22. brach in frankreich die februarrevolution aus. der verhasste ministerpräsident françois guizot hatte ein republikanischen bankett verboten, das die einführung des allgemeinen (männer)wahlrechtes diskutieren wollte. den demokraten verschiedenster richtungen platzte der kragen: in paris begannen unkontrollierte strassen- und barrikadenkämpfe! guizot musste dem druck weichen. der liberale alphonse de lamartine bildete eine provisorische regierung, bestehend aus seinem anhang, aber auch aus linken und rechten vertretern. der geschwächte könig, louis philippe I., dankte am wochenende ab; wenige tage später machte er sich nach england in sein exil auf. die provisorische regierung lamartines setzte auf rasche reformen im innern: in paris wurden national-werkstätten eröffnet, um die grosse zahl arbeitsloser zu beschäftigen; in den kolonien wurde die sklaverei verboten, und im inland schaffte man die todesstrafe ab. das allgemeine (männer)wahlrecht wurde nach wenigen wochen eingeführt und brachte in den ersten wahlen den konservativen den sieg. die linke putschte im juni gegen die demokratisch gewählte regierung, was die konterrevolutionäre auf den plan rief. louis napoléon, der neffe von napoléon bonaparte, mischte sich nun in die politik ein und wurde im winter ’48 mit grossem mehr zum präsidenten der republik gewählt. lange sollte er sich an diese legitimation nicht halten; vielmehr riss er 1851 die macht diktatorisch an sich, und nur ein jahr später begründete er das 2. kaiserreich. die ’48er bewegung war damit in frankreich dahin. bis heute, könnte man sagen, schwelt der konflikt zwischen republikanern und royal-istInnen …


manifest der kommunistischen partei: das weltweit wirksame programm der proletariatsavantgarde wird geboren

die welt: bourgeoisie oder proletariat?

mehr bewegung in der linken politik verlangten am 21. febraur 1848 karl marx und friedrich engels. der philosoph und der unternehmer publizierten in london in manifest der kommunistischen partei. sätze, die man heute noch kennt, wurden geprägt. das manifest beginnt mit: “Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst des Kommunismus”, und es endet mit dem Aufruf: „Proletarier aller Länder, vereinigt euch!” die nur 30 seiten, welche marx und engels für den bund der kommunisten verfasst hatten, begründete die kommunistische weltsicht: die bourgeoisie und das proletariat werden zu den treibenden kräften des gegenwärtigen klassenkampfes erklärt; dieser soll politisch geführt werden, gegen die bourgeoisie, welche den mittelstand konservieren und sich das lumpenproletariat erkaufen wolle. dagegen forderten die revolutionäre, die hegel vom kopf auf die füsse stellten, eine proletarische bewegung “der ungeheuren mehrzahl im interesse der ungeheuren mehrzahl”. vorerst sollte das proletariat national kämpfen, dann die offene revolution anstreben. und hierfür müsse sie von den entschiedensten teilen aller arbeiterparteien, der kommunistischen, geführt werden. denn diese werde das kämpferische proletariat zur herrschenden klasse erheben. „Mögen die herrschenden Klassen vor der kommunistischen Revolution zittern. Die Proletarier haben nichts in ihr zu verlieren als ihre Ketten. Sie haben eine Welt zu gewinnen.“ die wirkungen dieses aufrufs sind bekannt: schon im juni ’48 trennten sich die wege der liberalen und linken in frankreich und schafften so eine voraussetzung für die rückkehr der monarchie. weder in preussen noch in deutschland kam die linke, wie sie erwartet hatte, an die macht. dafür siegten die kommunisten 70 jahre später in der russischen revolution unter lenin und realisierten unter stalin die diktatur des proletariates. 1949 riefen die maoisten mit der volksrepublik china die asiatische variante des kommunismus aus, und 1959 etablierten sie in kuba die lateinamerikanische. in der sowjetunion und ihren satellitenstaaten zerfiel die kommunistische herrschaft unter gorbatschev 1989.


verfassung der schweizerischen eidgenossenschaft, vom 12. september 1848

die schweiz: ein- oder allparteienregierung?

und in der schweiz? in der gleichen revolutionären woche, in der der französische könig abdankte und das kommunistische manifest propagiert wurde, tagten in bern die sieger des sonderbundeskrieges, um die neue bundesverfassung zu beraten. am 17. februar 1848 waren sie zusammengekommen, um der schweiz erstmals ein selbstbestimmtes, modernes grundgesetz zu erkämpfen. keine diktate in paris odeer wien sollten mehr zu einer verfassung, zu akten oder verträgen der schweiz erhoben werden. liberale und radikale kräfte fanden sich in bern zusammen, um einen eigenen bundesstaat zu gründen. weil die revolutionen, die im 48er geist geboren wurde, in den nachbarländern scheiterten, wurde die schweiz bis 1918 eine republikanische insel inmitten von monarchien. damit siegte die ’48 revolution wenigstens hier! doch brauchte es zur festigung ihrer politischen institutionen die integration oppositioneller kräfte. erst die verfassung von 1874 ermöglichte mit ihrem übergang von der repräsentativen zur direkten demokratie die aussöhnung katholisch-konservativen mit dem bundesstaat. die freisinnige einparteienregierung wurde schrittweise zur bürgerlichern mehrparteienregierung umgebaut. selbst die vorherrschaft des bürgerblocks ging 1959 in der konkordanzregierung auf, welche die interessen aller grossen parteien rechts wie links vereint. 1999 war man darüber hinaus bestrebt, in einem zweiten anlauf, den verfassungen von ’48 resp. ’74 ein neues, einheitliches gesicht zu verleihen, um für das 21. jahrhundert eine tragfähig rechtsgrundlage der politik zu schaffen.


gelungen!, dass die gelungene ’48er revolution in den deutschen lehrbüchern fehlt …

die bilanz des revolutionären spaziergangs

die polarisierung zwischen monarchie und republik, die in der französischen revolution gründete und die februarrevolution von ’48 prägte, fand in der schweiz keinen richtigen nährboden. schweizerische politologen, die heute vordenker der guten politik sein sollten, interessieren sich kaum mehr dafür; vielmehr sind sie mit der gegensätzlichkeit einer parlamentarisch geführten demokratie nach amerikanischem vorbild und dem system der volksrechte in der eigenen demokratie beschäftigt. scheu denken sie bisweilen darüber nach, die demokratisierung europas in sinne der volksherrschaft zu propagieren, – ein hauch von ’48 schwingt da noch mit.

aber auch die zweite polarisierung, welche das revolutionsjahr 1848 prägte, machte in der schweiz nicht schule: der antagonismus zwischen bourgeoisie und proletariat ist für die analyse der schweizerischen situation fast ganz obsolet geworden. maximal spricht man von bürgertum und arbeiterschaft, überdeckt sie aber gerne mit den gemeinsamkeiten als stimmbügerInnen. und das hat folgen: statt das demokratische bündnis wie in frankreich durch die radikalisierung der arbeiterschaft nach kommunistischem vorbild zu sprengen, bemühte sich der freisinn als staatgründer, schrittweise eine bündnis demoraktischer parteien zu bilden. katholiken, arbeiter und mittelständler wurden in ihr herrschaftssystem eingebunden. konkordanz statt alternanz ist zum politkulturelle selbstverständnis der schweiz geworden.

dem stadtwanderer ist beides recht, wie ihm sein gedanklicher rückblick auf die drei wichtigsten ereignisse in der revolutionären woche von ende febraur 1848 beim abendspaziergang lehrte.

stadtwanderer

cal

ich bin der berner stadtwanderer. ich lebe in hinterkappelen und arbeite in bern. ich bin der felsenfesten überzeugung, dass bern burgundische wurzeln hat, genauso wie ich. also bin ich immer wieder auf der suche nach verästelungen, in denen sich die vergangene kultur in meiner umgebung versteckt hält.

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