die grösste bernerin

wenn ich die wahl hätte, würde ich anna seiler zur herausragendsten bernerin aller zeiten machen. denn sie hat fast unscheinbar bleibendes in der stadt bern geschaffen: das seilerin hospital, aus dem die “insel”, das berner universitätsspital, hervorgegangen ist.

auf stadtwanderschaft …

ich mache mich auf den weg zu anna seiler haus im spitalareal. zu fuss geht es stadtauswärts, richtung güterbahnhof. ich ziehe vorbei an strassenabzweigungen und eisenbahnschienen. ich sehe plakatwände und bürgerhäuser, die der umgebung schon fast den charakter eines aussenquartiers geben. eigentlich ist es ein kurzer weg, für eine lange geschichte.

vorschau auf anna seiler

im 14. jahrhundert ist bern eine austrebende stadt. nach der gründung 1191 durch die zähringer zur erschliessung des üchtlandes zwischen aare und saane, war man eine reichsstadt geworden, vorübergehend savoyisch und schliesslich auch habsburgisch bestimmt. 1293 legt der deutsche könig die aufgabe der stadt neu fest: sie solle im territorium rund herum die rechte des reichs wahrnehmen. die savoyer wurden schon 5 später definitiv vertrieben; und den habsburgern botet man 1339 in der schlacht von laupen die stirn. ein jahr später schlosst man frieden mit dem vorderösterreichischen adel, und 1350 machte man gleiches mit dem hause savoyen und seinen vasallen in der vaud

der aufstieg der stadt war begünstigt durch eine epochale wirtschaftskrise. seit 1315 wurde es spürbar kälter, und es regnete mehr; die kleine europäische eiszeit, die bis in 17. jahrhundert dauern sollte, brach an. die entlegenen gebiete wurde nicht mehr besiedelt; umgekehrt wuchs städte wie bern schnell an. mehrfach musste die gründungsstadt bis mitte des 14. jahrhunderts erweitert werden.

doch dann traf auch die stadt bern der schlag, den die pest in ganz europa ausgelöst hatte: von asien herkommend, breitete sie sich ab 1347 über das schwarze und das mittelmeer aus. sie drang die rhohne hinauf nach genf, und verbreitete sich von da weg auf dem ganzen mittelland. ein viertel der stadtbevölkerung berns starb.

für alle, die der einfachen bevölkerung schutz versprochen hatten, entwickelten die pestjahre mitte des 14. jahrhunderts zur grossen krise: die familie des schultheissen, johannes von bubenberg, wurde (vorübergehend) vertrieben; die kirchen in stadt und land zerfielen, ob den eskapaden der pfarrherren. der weltliche und himmlische adel verkam, sodass die bürgerlichen schichten (ebenfalls vorübergehend) die herrschaft in der stadt übernahmem.

nun orientierte man sich eidgenössisch. mit der innerschweiz stand man seit deren sieg in morgarten über habsburg in einem soldverhältnis; dieses hatte sich in laupen bezahlt gemacht. 1353 ging man einen ewigen bund ein, genauso wie luzern und zürich das gemacht hatten. das bündnissystem der 8örtigen eidgenossenschaft entstand auf den trümmern der gesellschaft, welche die pest hervorgebracht hatte.

… weiter auf wanderschaft …

ich biege links ab, und ich trete ins areal des inselspital ein. überall schon ist das anna seiler haus gut sichtbar angeschrieben. gott sei dank, denn es ist ganz am anderen ende des weitläufigen spitalareals auf der ehemaligen kreuzmatt. der symbolträchtigste wegweiser verweist unten nach links zu anna seiler, im oberen schilderrahmen, der nach rechts gibt, gähnt nur noch leere. sie hat bleibendes geschaffen; die vielen herren der medizin nach ihr sind gekommen und gegangen.

einblick in leben und wirken anna seilers

von anna seiler weiss man eigentlich fast nicht. das historische lexikon der schweiz nennt als geburtsjahr 1348; das ist sicher falsch, denn so wäre die tatkräftige frau 12jährig verstorben.

man weiss, dass anna zum stadtadel gehörte und dass sie witwe war; ihr mann war möglicherweise in der pestwelle umgekommen. kinder entsprangen der ehe keine. anna arbeitete im spital zu den predigern, dem krankenpflegestation des dominikanerklosters. 1354, im jahre nach berns bündnis mit den eidgenossen, verfasste sie ihr testament, das der schultheiss bezeugte; in feierlichen wort hält sie darin ewige gründung des seilerinspitals fest:

“In Anbetracht, dass nichts gewisser ist als der Tod, aber nichts ungewisser als die Stunde des Todes, habe ich, von niemandes Arglist bewogen, sondern wissend, gesund und wohlbedacht und nach reiflicher Überlegung, sowie mit dem Rat und der Erlaubnis des Schultheissen, des Rates und der Zweihundert, lediglich um Gottes Willen und zum Heil und Trost und stetem ewigem Glück meiner Seele und der Seelen meiner Vorfahren und aller Gläubigen, zum Trost der Stadt und Burgerschaft Berns, und damit die sechs Werke der Barmherzigkeit um so besser erfüllt werden, ein ewiges Spital gestiftet. In diesem Spital sollen ständig dreizehn bettlägerige und dürftige Personen aufgenommen sein, sowie drei weitere ehrbare Personen, die den Dienst als Pfleger der armen Bettlägerigen versehen sollen“.

die geschichte des spitals, dass mit anna seilers geld und testament entsteht, ist wechselvoll. die berner, die nach der schlacht von murten zu einem neuerlichen anstieg als kaufleute und söldnerführer ansetzten, vergessen anna seiler vermächtnis schnell. sie funktionierten das spital in ein altersheim für neureiche um. erst reformation setzt den bunten treiben dieser alten 1531 ein jähes ende. in den enteigenten räumlichkeiten des dominikanerklosters wurde das seilerin spital als städtisches hospital neu eröffnet.

man nennt es jetzt inselspital, und es steht dort, wo heute die inselgasse ist. der name kommt aus der gründungszeit der stadt, als die aare noch inseln hatte, die von frauenklöstern besiedelt waren. 1288, als könig rudolf von habsburg die unbotmässig stadt belagerte, flüchteten die klosterfrauen hinter die stadtmauern und fanden im predigerkloster bei den dominikanern aufnahme.

34 betten hat die neu eröffnete insel im reformierten staate bern nun. die ersten doctores und apotheken, die sich in der stadt niederliessen, übernahmen den medizinischen dienst. sie machen die ersten fachvisiten, und sie bestimmen, wer entlassen wurde resp. wer wie weiter gepflegt werden sollte. 1713 brennt jedoch das ganze spital nieder; niemand weiss warum. neu errichtet wurd es, und 1724 bezog man ein fast schon königliches hospital mit 82 betten; niemand weiss, ob es anna seiler gefallen hätte.

1798 geht dieses der stadt verlustig für alle zeiten verlust. zuerst wird es zum französischen militärspital umfunktioniert; danach kommt es 1809 an den neuen canton bern. 1841 stellt dieser den autonomen status der stadt in der stadt, den man bis ans ende des 18. jahrhunderts gewesen war, wieder her. dafür übernimmt die insel die medinische ausbildung der studenten an der kantonalen hochschule.

1885 zügelt man ein letztes mal, hinaus auf die kreuzmatte, wo das inselspital heute noch steht. die gebäulichkeiten von damals sind allerdings weitgehend verschwunden. in den 60er und 70er jahren des 20. jahrhunderts werden sie vollständig ersetzt, und es entsteht eines der modernen europäischen spitälermit vielen hundert betten, wie man es heute noch kennt. dieses umfasst e heute mehr als 40 kliniken und institute, organisiert in 9 departementen, welche nach unternehmerischen grundsätzen geführt werden.

und es gibt immer noch das “anna seiler haus”!

… fast am ziel meiner stadtwanderschaft!

das anna seiler haus bildet den abschluss des spitalareals bei lory-platz. der bau wirkt eher unscheinbar, etwas veraltet. der eingang hat den charme der 50er jahre. das entree ist unpersönlich: eine kleine handbibliothek zur linken mit der aufschrift “selbstausleihe” und ein restaurant gerade aus sind schon fast alles. links und rechts geht es in das 6stöckige haus, wo die neuropsychologie und die urologie der insel unterbracht sind.

rückschau auf anna seiler

die stadt erholte sich nur langsam von der pest, die anna seilers leben geprägt hatte. erst im 16. jahrhundert hatte man wieder so viele einwohnerInnen wie davor; und erst anfangs des 19. jahrhunderts baute man das mittelalterlich gebliebene areal der gründungsstädte erheblich aus. man sah viele phasen nach anna seilers tod: die frühe eidgenössische mit den eroberungskriegen; die spätmittelalterliche blüte mit dem ganzen reichtum aus den europäischen schlachtfeldern;die reformation, nach der man nichts mehr zu lachen hatte; das orthodox-protestantische regime, das die bernische republik beherrschte; der absolutismus der patrizier, der von den franzosen gestützt werden musste; die konservative reaktion, den liberalen umschwung und den beitritt zur schweizerischen eidgenossenschaft, deren hauptstadt man schliesslich wurde.

an der inselgasse, dort, wo einst das seilerinspital in den leer stehenden räumen des dominikanerklosters wiedereröffnet wurde, redet man heute noch über das gesundheitswesen. allerdings weniger praktisch, mehr administrativ. heute ist das eidgenössische departement des innern dort zu hausse, dessen vorsteher bis heute gesundheitsminister der schweiz ist; einmal regierte sogar eine gesundheitsministerin an der insel gasse, und suchte den geist anna seilers in der pflege bedürftiger menschen wach zu halten!

am ende der welt

der garten hinter dem seilerhaus ist klein, aber lauschig. ein paar kräftige bäume spenden schatten über einer kleinen sitzecke. eine frauenskulptur steht im garten, fast etwas verschämt. dahinter ist noch ein kleiner weg, der zum letzten teich im areal führt: entenhausen könnte man meinen, doch sind die vögel ausgezogen. nur eine wild gestikulierende männerplastik bestimmt die szenerie am ende der berner spitalwelt!

stadtwanderer

ps:
natürlich hat anna seiler auch einen brunnen in bern, – der beim käfigturm. bis ins 19. jahrhundert hiess er aber gar nicht so, sondern bym kefiturm, beim gefängnisturm. erst max howald, der berner lokalhistoriker des 19. jahrhudnerts, glaubte in der schönen brunnenfigur, die wahrscheinlich vom freiburger bildhauser hans gieng mitte des 16. jahrhunderts geschaffen worden war, die krankenschwester anna seiler zu erkennen.

sie lebt wirklich während jahrhunderten unscheinbar allgegenwärtig in ern, – die frau, die die pest besiegen half!

cal

ich bin der berner stadtwanderer. ich lebe in hinterkappelen und arbeite in bern. ich bin der felsenfesten überzeugung, dass bern burgundische wurzeln hat, genauso wie ich. also bin ich immer wieder auf der suche nach verästelungen, in denen sich die vergangene kultur in meiner umgebung versteckt hält.

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