sprachlose kommunikation

die anschrift am eingang des tschechischen nationalmuseums verspricht eine ausstellung zur mammut-jagd. doch interesssiert im ersten stock der präsentationen vor allem die venus von vestonice. die unverändert mysteriöse frauenfigur, geschaffen vor rund 25´000 jahren, stammt von menschen, die noch keine eigentliche sprache und keine wirkliche schrift kannten, sehr wohl aber haltungen und gesten, vielleicht auch schon mimiken anderer menschen zu deuten wussten.


venus von vestonice, der gegenwärtige publikumsmagnet im prager nationalmuseum (fotos: stadtwandererInnen, anclickbar)

die mammut-jagd des sprechenden abenteurers

mammuts verweisen uns auf weit vergangene, aber schwer definierbare zeiten. es muss mächtige gletscher gehabt haben. das klima muss rau, kalt und feucht zugleich gewesen sein. die flora war dazu passend einfach; sie bot nicht allen tieren alles nötig zu jeder zeit. deshalb wanderten sie in regelmässigen zyklen quer durch die weiten landschaften.

die frühmenschen selber musste eine weite entwicklung zurückgelegt haben, um solches grosswild jagen zu können. sie mussten schon weit zuvor aufrecht gehen gelernt haben, und sie mussten in einem langen prozess einen verstand entwickelt haben. schliesslich mussten sie schon über eine sprache verfügt haben, um sich in gruppen organisieren zu können.

denn nur so war man in der lage, schlagkräftige banden von vielleicht 20 blutsverwandten männern zu bilden, und nur so konnte gegen grossgewachsende tiere bestehen. alleine, einzig mit einem speer, der ältesten waffe des menschen, ausgerüstet, wäre der kampf aussichtslos gewesen. man musste schon die wassertränken der wandernden tiere kennen, und man musste ihnen auch fallen bauen können, um sie dann gemeinsam zu überwältigen.

die zeit, in der die mammutjagd entstand, kannte vor allem das holz, den stein und die knochen als zentrale materiale. der metallgebrauch war noch fremd; und kunststoffe gab es sowieso noch nicht. der stein wurde aber nicht einfach so gebraucht; man hat ihn auch nicht beliebig gehauen. vielmehr hat man die fähigkeit entwickelt, eine idee von einem werkzeug zu haben, gepaart mit der fertigkeit, dieses auch herzustellen: mahlsteine für das getreide entstanden, hacken und beile für das schlagen wurden angefertigt, und klingen für scharfe schnitte und die jagd fabrizierte man bereits planmässig.


tschechisches nationalmuseum in prag: blick nach innen und aussen (fotos: stadtwanderer, anclickbar)

die symbolisierte frauenfigur des sprachlosen künstlers

ob die heutigen menschen wegen den mammuts ins tschechische nationalmuseum kommen, kann ich nur schwer beurteilen. die gut gemachte ausstellung spricht wohl vor allem abenteurer an. die übrigen erwachsene dürften eher kommen, um die mysteriöse venus von vestonice zu sehen. anders als das kräftig gewachsene grosswild ist sie zierlich, zehn, vielleicht 12 zentimenter gross.

wer hat sie geschaffen? ein mann oder eine frau? ist sie ein realbild, oder ein idealbild? stellt sie eine frau während oder ausserhalb der schwangerschaft dar? genaues weiss man ueber die venus von vestonice nicht. und man erfährt es an der ausstellung auch nicht. geradezu sinnbildlich hierfür wird die geheimnisvolle frauenfigur auch nur im dunkeln dargestellt. einzig ein gebündelter lichtkegel wirft ein wenig erhellendes auf sie. fotografieren darf man sie nur gegen aufpreis; dabei bleibt blitzen untersagt. es ist gerade so, als wollte man sagen, man solle der venus von vestonice, einer der ältesten frauendarstellungen überhaupt, ihr mzsterium belassen.

ein gesicht, das uns ihren charakter verraten würde, hat die venus nicht; das haar wiederum ist nur angetönt. dank dem geschliffenen stein wirkt die haut glatt, doch erscheint sie nicht ganz nackt; um die lenden trägt sie einen möglicherweise eine gurt. dennoch überragt der unterleib alles. die beckenknochen stehen kantig heraus, lassen die schulter schmächtig erscheinen. im profil sieht man einen ausholenden hintern, und auch der weit vorstehende bauch wird sichtbar. es mangelt der figur an einer wirklichen taille, die den unter- und oberkörper in zwei gleichwertige hälften teilen würde.

am auffälligsten ist der grossen bauchnabel. wäre die figur lebensgross, hätte sicher ein hühnerei in der ausgedehnten mulde platz. auch die vulva ist sichtbar, wenn auch nur angetönt. riesig sind dagegen die brüste, grossen melonen gleich. sie wiegen schwer. die warze ist fast zu unterst, und das schluesselbein wirkt fast so wie ihre aufhängung. arme und beine schliesslich sind nur angetönt, die hände und füsse fehlen ganz; letztere sind vielleicht abgebrochen.

im dunkeln ist die farbe der venusfigur schwer zu bestimmen. vorherrschend ist das grau. es gibt aber auch weisslich flecken, und je nach lichteinfall schimmert im stein etwas grün oder blau mit. der spiegel hinter der figur reflektiert das wenige licht, das auf sie fällt, so geschickt, dass einzelne teile ihres körpers zu funkeln scheinen.


impressionen aus der mammutausstellung im prager nationalmuseum (fotos: stadtwanderer, anclickbar)

die erklärungsversuche der sprechenden und schreibenden wissenschafterInnen

marija gimbutas, die litauischen archäologin, verfolgt mit ihren forschungen zu den verschienenen figurinnen, die man kennt, die these, dass wir mit den plastiken die grosse göttin, die erste dargestellte gottheit überhaupt, vor uns haben. auffallend sei nämlich, dass im gravettien, wie die epoche, in der die ersten figuren gehäuft entstanden, nur frauen dargestellt werden. sie vermutet, die ersten glaubensvorstellungen hätten mit den mysterien von der geburt, dem stauen über das stillen und des wieder verstörenden menstruationszyklus zusammengehangen. angenommen wird von weiteren anthropologen auch, dass der frühmensch den konnex von geschlechtsverkehr und geburt nicht kannte. unter dieser bedingung muss der geburtsvorgang selbstverständlich als grosses wunder erschienen sein. gebärende frauen müssen viel geheimnisvoller und wundersamere wesen gewesen sein als männer.

ob die menschen im gravettien schon eine eigentliche sprache, die ueber einzelne laute hinaus ging, hatten, ist nicht gesichert. vielmehr geht man heute davon aus, dass sie erst die zweite von drei denk- und verhaltensweisen bekannt haben, die wir heute beherrschen: genannt sei einmal das episodische lernen, wie es heute noch bei affen beachtet werden kann. es besteht ganz aus reaktionen auf die unmittelbare umwelt; es funktioniert vollends in der gegenwart und das gedächtnis besteht nur für bestimmte ereignisse in bestimmten kontexten. alles, was erlernt wurde, geht mit dem tod wieder verloren. sodann sei das mimetische denken und handeln erwähnt, das der aufrecht gehende mensch, der homo erectus, beherrschte. er hatte begriffen, dass das ueberleben in einer gesellschaft geschieht, die sich durch kooperation und koordination auszeichnet. er hatte indessen keine eigentliche sprache, entwickelte aber eine kultur, die auf nachahmung von gebärden bestand. in der entwickelten phase konnte auch die mimik gedeutet werden. das jedoch liess handeln zu, das kreativ war und kreativ beantwortet werden konnte und somit die elementare form der kommunikation darstellt. diese wiederum war nötig, um bewusst zu lernen, und gelerntes wie etwa die beherrschung des feuers und anderer fertigkeiten auch weiter geben zu können.

aus diesem frümenschen ist vor 100’000 bis 200’000 der homo sapiens entstanden. er hat seinen ursprungsort, afrika, verlassen und die ganze welt bevölkert. sein gehirn ist gewachsen, seine kognitiven fertigkeiten haben zugenommen. vor rund 40’000 jahren wurde er im heutigen vorderen orient zum homo sapiens sapiens, dem weisen weisen menschen. diesem immer noch mimentisch denkenden und handelnden menschen gelang es, mit der symbolisierung der natur kunstwerke zu schaffen. die bekannten höhlenmalereien mit tierbildern gehören ebenso dazu, wie die frauenstatuen. eine unverändert stumme welt, die uns ohne sprache und ohne schrift bis heute mehr begeistert als alle höher entwickelte mammut-jägerei.

stadtwanderer

cal

ich bin der berner stadtwanderer. ich lebe in hinterkappelen und arbeite in bern. ich bin der felsenfesten überzeugung, dass bern burgundische wurzeln hat, genauso wie ich. also bin ich immer wieder auf der suche nach verästelungen, in denen sich die vergangene kultur in meiner umgebung versteckt hält.

Ein Gedanke zu „sprachlose kommunikation“

  1. Lieber Stadtwanderer
    Erstaunlich, was du in ein paar Ferienwochen hineinpackst. Und wir Daheimgebliebenen werden immer wieder mit interessanten Geschichten überrascht. Danke dir! Dein Artikel über die Venus von Vestonice hat mir gefallen. Ja das waren noch Zeiten, als die Frauen hoch geachtet waren. Da brauchte es kein Gleichstellungsgesetz, dass sich in der heutigen Zeit doch nicht durchsetzen kann, was früher selbstverständlich und heute längst wieder fällig ist…
    Wer sich mit frühmenschlichen Kulturen vertieft auseinandersetzen möchte, dem sei auch das Buch \\\"Ursprünge und Befreiungen, die sexistischen Wurzeln der Kultur\\\" von Carola Meier-Seethaler empfohlen.

    Adelheid (Im Gedenken an Brunhilde)

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