ganz falsch!

es ist klar: ich lag ganz falsch!

meine favoritInnen für den oder die schweizerIn des jahres 2007 haben sich weder generell noch speziell durchgesetzt. keiner meiner vorschläge für die herausragende leistung des vergangenen jahres einer persönlichkeit aus politik, wirtschaft, gesellschaft, kultur und show wurde vom stimmenden tv-publikum gewürdigt. und auch in der gesamtbilanz, der wahl zum schweizer des jahres, traf ich den geschmack der mehrheit nicht.

der schweizer des jahres 2007

denn gewonnen hat gestern abend jörg abderhalden. 20,8 prozent der voten aus der bevölkerung entfielen auf ihn. damit übertrumpfte der dreifache schwingerkönig mitbewerberInnen wie ernesto bertarelli, carla del ponte, marc forster und edith hunkeler.


jörg abderhalden, der überraschende schweizer des jahres 2007

mit jörg abderhalden wurde gänzlich unerwartet der beste schwinger aller zeiten zum schweizer des jahres gekürt: “Ich bin sehr überrascht, dass ich als kleiner Schwinger hier gewinnen darf. Ich danke alle für meine Wahl.”

überrascht waren aber auch die meisten anwesenden im zürcher hallenstadion. den mit dem preis des schweizer des jahres sollte eine persönlichkeit gewürdigt werden, die im zurückliegenden jahr durch kreativität, mut, eigenwilligkeit und innovation aufgefallen war.

sicher, jörg abderhalden hat 2007 souverän das schwingen am “eidgenössischen” in aarau gewonnen. zum vierten mal in folge stand er dabei im schlussgang, und zum dritten male seit 1998 obsiegte er auch. das ist sicher eine individuell beachtliche leistung, zumal das in der gut 100jährigen geschichte der schwingerfest bisher niemandem gelungen ist.

wofür steht die gewürdigte leistung?

doch sind schwingerfeste audruck einer innovativen kultur? – ganz sicher nicht! anders als in jedem cupsystem, bestimmt kein los, wer gegen wen antritt, sondern legt ein kampfgericht fest, wer in welchem gang gegen wen in den ring steigt. kommt es innert 10 minuten nicht zu einem eindeutigen plattwurf, gibt es keine nachspielzeit, sondern legt wiederum das kampfgericht fest, wer der aktivere und damit der relative böse war. was dabei herauskommt, gleicht einem gottesurteil: niemand zweifelt es an, denn der sieger eines schwingerfestes wird umgehend zum könig gekürt, erhält als zeichen seiner macht einen jungen stier, und wird auf den schulter der andern schwinger herumgeführt. auf die anderen warten kränze, wenn man in die kränze des kampfgerichtes gekommen ist, und sonst bleibt nur der gabentisch als trostpreis. frauen sind bei der siegerehrung willkommen; wollen sie mitschwingen, tut man diese als unnützes wyberzügs ab.


impressionen vom eidgenössischen 2007 in aarau, an dem jörg abderhalden zum dritten mal schwingerkönig wurde (quelle: http://www.jabderhalden.ch/)

ganz bewusst halten die schwinger an der tradition der ländlichen gesellschaft fest, die in den voralpengebieten überlebt hat. anders als im ancien régime, wo der schwinger auch an die bösen bauern erinnerte, die sich mal auch gegen die eigene herrschaft auflehnen konnten, werden schwingerfeste seit seit dem 19. jahrhundert als teil der abgrenzung gegen die aussenwelt inszeniert. 1805 riefen die zurückgekehrten berner patrizier das unspunnenfest der schwinger, der steinstosser und der hornusser ins leben, um das konservativ denkende landvolk gegen die herrschaft napoléons zu mobilisieren, die neue ideen ins land gebracht hatte. als diese vom städtischen bürgertum im bundesstaat auf schweizerische art und weise realisiert worden war, mobilisierte man das schwingen und steinstossen ganz bewusst wieder ideologisch. zum nationalturnen wurde es nun erhoben, um sich ganz bewusst von der turnbewegung abzugrenzen, die der deutsche turnvater jahn in preussen ins leben gerufen hatte. und 1895 wurde der schwingerverband gegründet, um die eidgenössischen als teil des popularisierten nationalbewusstsein zu lancieren, in den die verschiedenen regionalen traditionen der kampfsportart zu einer einheitlichen, schweizerischen zusammenzufassen, deren zelebrierung im turnfest die alten gegner, die konservativen und die liberalen nun im eidgenössischen geiste versöhnen sollte.

was seither an turnfesten geschieht, ist ohne zweifel populär. die grösste sportveranstaltung der schweiz war das eidgenössische 2007. 200’000 menschen kamen, um den drei tage dauernden kämpfen im extra hierfür auf- und später wieder abgebauten stadtion beizuwohnen; 50’000 waren allein beim schlussgang anwesen. viel prominenz zeigte sich auch. der aarauer stadtpräsident, auf dessen boden das fest ausgerichtet worden war, der aargauer landammann, der dem ok vorstand, und samuel schmid, der sportminister, liessen es sich nicht nehmen, dem neuen schwingerkönig abderhalden persönlich gratulieren! das will ich nicht einmal schlecht reden.


impressionen vom empfang des schwingerkönigs im heimatlichen nesslau (quelle: http://www.jabderhalden.ch/)

doch ist das der leistungsausweis, um schweizer des jahres zu werden? – so urchig jörg abderhalden, der stämmige nesslauer aus dem st. gallischen toggenburg ist, so durchschnittlich erscheint auch seine biografie: schreiner ist er von beruf. geheiratet hat er andrea, geborene hämmerle, eine tochter und einen sohn haben beide, und skilaufen, jassen respektive töff fahren zählt der neuen musterschweizer zu seinen hobbies. das ist doch ein ganz normales landleben, das sich auf der bühne der swissaward-gala auch so präsentierte: wuchtig in der statur, wortkarg in der aussage.

ein vorbild für die toggenburger jugend mag jörg abderhalden sein, ob der neue kleinjogg auch ein neues vorbild für die schweiz ist, kann man gut und gerne bezweifeln. die wahl vom samstag abend brachte sicher emotionale befindlichkeit der rückwärts gerichteten (deutsch)schweiz zum ausdruck: mut und kreativität, die leistungen entstehen lässt, die es sonst nirgends gibt, die der menschheit einen nutzen bringen, dem gemeinwohl aller kulturen dienen und damit der schweiz ihre unverwechselbare zukunft sicher, mag man da jedoch kaum erkennen.

zurück zu den eigentlichen zielen!

doch damit genug: ich lag mit meinem empfehlung für herausragendes aus der schweiz im jahre 2007 ganz falsch! ich gebe, zu ich stand neben den schuhen.


zurück zu den wurzeln: der swissaward soll herausragendes küren, das eigenwillig, mutig, kreativ und innovativ ist

deshalb will ich auch nicht den eindruck erwecken, dass das gottesurteil des tv-publikums ebenfalls ganz falsch war. wenn galas wie die gestrige, in die die srg ssr idée suisse mächtig prestige investiert, aber mehr als ein volksfest des momentanen zuschauergeschmacks sein sollte, müsste man sich wieder vermehrt besinnen, was das ziel der aufwändigen übung ist: nämlich das herausregende an der schweiz herauszuarbeiten!

mit dem eindruck, da gestern ganz falsch entschieden zu haben, war ich im saal der kür jedenfalls nicht alleine.

stadtwanderer

cal

ich bin der berner stadtwanderer. ich lebe in hinterkappelen und arbeite in bern. ich bin der felsenfesten überzeugung, dass bern burgundische wurzeln hat, genauso wie ich. also bin ich immer wieder auf der suche nach verästelungen, in denen sich die vergangene kultur in meiner umgebung versteckt hält.

9 Gedanken zu „ganz falsch!“

  1. Ach, Stadtwanderer, das ist reine Unterhaltung, weshalb es auch nicht so darauf ankommt, wer ausgezeichnet wird …

  2. Ich muss das entgegnen.
    Die Schweiz ist sehnsüchtig nach ihrer Tradition, doch lebt sie nicht davon. Sie befindet sich mitten in Europa, und sie tut so, wie wenn das eine Insel wäre.
    Die Kritik vom Stadtwanderer ist absolut berechtigt. Einmal mehr hat sich die Vergangenheit gegenüber der Zukunft durchgesetzt. Einmal mehr wurde die Tele-Vision der Deutschschweiz stellvertretend mit dem Bild des ganzen Landes verwechselt.

  3. Und wie wär\\\\\\\’s würde man über die Kriterien nachdenken, die zum Schweizer der Jahres führen? Zum Beispiel, wenn statt dem Egoismus zu frönen die Förderung der Zusammenhaltes der Schweiz zur wichtigsten Voraussetzung für die Auszeichnung würde: Wäre dann der Schwingerkönig nicht Gold richtig?

  4. Interessanter Artikel in der NZZ am Sonntag: Östereich schlägt Schweiz in allen Belangen: Die Börse ist dort in den letzten 10 Jahren 6(!) mal mehr gestiegen, sie investieren mehr in den Tourismus, sind freundlicher, haben ein höhere Handelsbilanz, usw…

    Ist der Titel wie das Zurückfallen gegenüber Österreich Ausdruck von Rückwärtsgewandheit der Bevölkerung oder lediglich ein Hinweis auf das Alter des SF Publikums?

  5. Mit dieser Entscheidung hat sich die Schweiz einmal mehr von ihrer introvertierten Seite gezeigt. Ihre Fähigkeit zur Extraversion war immer schwach und hat gleich nochmals gelitten.
    Es geht mir nicht nur um Selbstdarstellung. Ich will keine PR für die Schweiz. Aber es geht mir um die Teilhabe unseres Landes an dem, was auch ausserhalb unserer Grenzen geschieht, den Wissenschaft und Technik sind heute die wichtigsten Formen der internationalen Zusammenarbeit.
    Das hätte man auszeichnen sollen!
    So wird man von Aussen her gesehen einmal mehr sagen: die Spielen am liebsten mit sich selber. Lassen wir sie doch …

  6. brot und spiele…sportler geniessen ein hohes ansehen, werden zudem von den medien enorm gepuscht, alle anderen haben kaum chancen, da zu elitär oder zu wenig bekannt. man sehe sich nur die schweizer des jahres der vergangenen jahre an. nur leute mit sehr hohem sozialem engagement wie beat richner haben ebenfalls chancen, auf die anderen schaut man eher mit neid (man stelle sich nur vor, ein banker stünde zur wahl).
    zugegeben, ich war von der wahl auch enttäuscht.

  7. Man hätte ruhig konkreter werden können: Jetzt haben wir 6 Schweizer des Jahres, sechs Deutschschweizer und 5 Männer sind darunter.
    Die Regeln der Auswahl reproduzieren ein rückwärtsgewandtes Bild der Mehrheitsschweiz, das einmal bestand. Heute wird das Bild im traditionellen Stil erneuert, um nicht ganz unterzugehen.
    Deshalb Jörg Abderhalden, Deutschschweizer Mann der Tradition!

  8. ich bezweifle nirgends, dass jörg abderhalden nicht eine der typischen kulturen der schweiz repräsentieren würde.

    doch ist die verleihung des swissaward etwas anderes als die auszeichnung einer der schweizerischen kulturen. es ist ein preis, der an eine verdiente person geht, die sich im vergangenen jahr durch eigenständigkeit, mut, kreativität und innovation ausgezeichnet hat!

    kritik ist doch nicht einfach besserwisserei, es ist eine einladung zur offenen diskussion, die ja zu diesem thema schon ganz ordentlich stattfindet.

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