bewusste provokation, damit man merkt, was es geschlagen hat

man hat schon lange auf seine stimme gewartet. denn er ist einer der besten kenner der region bern. und er war in jeder diskussion darüber, ob bern ein metropolitanraum sei oder nicht dabei. nun hat er sich in der berner zeitung ausgiebig geäussert. kaum zur freude der berner regierungen, schätze ich. doch gerade das ist seine absicht.


paul messerli ist eher von kleiner statur. er wirkt eher ruhig. gerade deshalb sollte man ihn nicht unterschätzen: der geografieprofessor an der berner universität ist ein knallharter analytiker, ein exzellenter kenner der grossregion bern, und ein grosser geist oben drein.

nun hat er sich in einem grossen interview in der berner zeitung in die laufende debatte über die definition der metropolitanräume eingemischt. die gemüter in der berner stadt- und kantonsregierungen wird er damit nicht beruhigt haben; vielmehr dürfte die angeschobene debatte über die stellung berns in der schweiz und europas jetzt erst recht losgehen.

deshalb fasse ich die argumente messerlis hier schon mal zusammen:

erstens: metropolitanregionen sind stadtregionen, die als produkt der wirtschaftlichen globalisierung eine neue ebene von zentralität erreichen, die weit über die landesgrenzen hinausreicht. die schweiz hat wohl zwei solcher metropolitanregionen: jene zürichs und jene genfs. diskutabel ist, ob basel zu zürich zählt oder eine eigene metropolitanregion ist.

zweitens:
aus globaler perspektive wäre es ungünstig, wenn sich alle regionen in die gleiche richtig entwickeln. besser ist es, wenn jede seiner stärken bewusst wird und die pozenziale erkennt. der raumbericht des bundesamtes ist eine realistische auslegeordnung der räume und funktionen der schweiz.

drittens:
berns stärken liegen bei der politik und im verkehr. die schwäche sind bei der internationalen anbindung, den spezifischen diensten für wirtschafts-, finanz- und informationsflüsse und der innovationskraft.

viertens: der bericht ist jedoch unpräzise, sollte man die raumplanerische einteilung dazu benützen wollen, künftig unterschiedliche pro-kopf-finanzflüsse des bundes in die regionen zu leiten. da ist die aufregung unter den berner politikerInnen berechtigt.

fünftens: bern ist umgeben von einem kranz mittelgrosser städte. gemeinsam kann dieser raum ein wirtschaftlich und kulturell interessantes städtenetz sein. freiburg, neuenburg und solothurn können sich auch zu den nächstgelegenen metropolitanräumen orientieren. bern stünde dann als zentrum der ländlichen schweiz alleine da.

sechstens: bern hat das grösste interesse, die entwicklung des städtenetzes voranzutreiben, um nicht marginalisiert zu werden. bern muss nicht etwas hochreden, das nicht ist, aber seine hausaufgaben machen. dazu braucht es ein leadership, wie es etwa bei der durchführung der euro ’08 sichtbar wurde, in institutionellen fragen jedoch fehlt.

am schluss des interviews wird paul messerli konkret. er geht davon aus, dass das bundesamt für raumplanung bewusst provoziert habe, damit man in bern merke, was es geschlagen hat. genau daran strickt der renommierte geografieprofessor mitten im städtischen wahlkampf munter weiter.

stadtwanderer

bisherige beiträge in dieser sache:
die neue dynamik der städteregionen auch in bern vorantreiben
die definitionsmächten
völker, hört die signale
bern grollt

cal

ich bin der berner stadtwanderer. ich lebe in hinterkappelen und arbeite in bern. ich bin der felsenfesten überzeugung, dass bern burgundische wurzeln hat, genauso wie ich. also bin ich immer wieder auf der suche nach verästelungen, in denen sich die vergangene kultur in meiner umgebung versteckt hält.

12 Gedanken zu „bewusste provokation, damit man merkt, was es geschlagen hat“

  1. Richtig, Bern fehlt eine internationale Anbindung. Die internationalen Organisationen sind in Genf zu Hause, und die multinationalen Firmen ziehen Zürich und Basel vor.
    Berns Chance könnte aber sein, sich via Tourismus, via Sport und Kultur der Welt zu empfehlen.
    Dafür bräuchte es vorwärts gewandte Unternehmer, die international vernetzt sind. Rückwärts gewandte Burger sind da überhaupt nicht mehr zeitgemäss.

  2. @ pesche

    bern ist international, siehe die botschaften der weltpostverein und viele zentralen von internationalen organisationen. klar alles hängt bei drittens. bern ist eine stadt der politik und da liegt die stärke. die präsidenten und politiker der anderen länder sollen und müssen nach bern und nicht nach zürich, genf oder basel kommen.

    wir brauchen nicht mehr internationale anbindungen. was wir brauchen ist sechstens, den leadership.

    vergleiche mit den usa. washington ist genau wie bern. keine internat. anbindung aber politisch. in washington wurde auch nicht die finanzkrise (zumindest örtlich) ausgelöst, dies war an der wallstreet (n.Y.).

  3. lieber berner
    vielleicht bereichert es eure diskussion, wenn ihr euch mal die liste der mtropolitanregionen aus europäischer sicht anschaut:

    http://en.wikipedia.org/wiki/Largest_European_metropolitan_areas

    das mass der dinge sind moskau, istanbul, london und paris. mithalten können in der umgebung der schweiz mailand, münchen, stuttgart und lyon. nur gerade zürich, die europäische kleinstadt mit ihrer region, sind hier auf der höhe der zeit.

    wenn man über dieses thema spricht, sollte man unbedingt die innerschweizerischen gepflogenheiten und masstäbe vergessen. das hat der rührige professor aus bern absolut recht.

  4. Das bringt mich dann zu Jean-Jacques Rousseau, welcher bereits 1762 in “Rêveries du promeneur solitaire” die folgende Vision der Schweiz zeichnete:

    “Il n’y a que la Suisse au monde qui présente ce mélange de la nature sauvage et de l’industrie humaine.

    La Suisse entière n’est pour ainsi dire qu’une grande ville dont les rues larges et longues plus que celle de St. Antoine, sont semées de forêts, coupées de montagnes, et dont les maisons éparses et isolées ne communiquent entre elles que par des jardins anglais.”

  5. @ fipu

    logisch, hängt der vergleich, da hasst Du recht. ist aber bei der kleinen schweiz auch schwierig einen treffenden vergleich zu finden. betrachten wir nun die schweiz als eine einzige metropolitan region, steigen die chancen extrem. drei internationale flughäfen, verkehrstechnisch ausgebaut, wirtschaft und industrie gut verteilt und angegliedert, erholungsgebiete erschlossen und ausgebaut etc.etc. so hat die schweiz als metropolitanregion international riesen chancen. rein geografisch und vom flächenmaas sind wir dann mit den internationalen metropolitanregionen ebenwürdig. leider ist das problem, dass kein kanton oder keine gemeinde dazu ja stimmen würde, dass die schweiz als eine metroplotianregion anzusehen sei. 🙁

  6. @ titus

    die schweiz als eine metropolitan region, was meinst Du, wäre doch eine lösung;-) viellichet sogar im sinn von rousseau!

  7. es ist keine einfache sache, wie ich feststelle. in der tat gibt es zwei sehr unterschiedliche betrachtungsweisen:

    zunächst die äussere, die aus globaler perspektive frage, wer was zur weltwirtschaft, weltgesellschaft und weltkultur beitragen kann. von daher sind die ganz grossen urbanen zentren bevorteilt. die schweiz hat wohl nicht mehr als zwei von diesen, oder nur eines. das sind dann die metropolitanregionen zürich und genf, oder nur die von zürich.
    wenn wir von einem zentrum ausgehen, dürfte bern wie basel zur metropolitanregion zürich gehören.
    wenn wir von zwei ausgehen, ist die antwort schwierig, denn bern ist dann entweder nichts oder die verbindung zwischen beiden zentren.

    dann die innere, die aus der schweizerischen perspektive. da ist bern die viertwichtigste stadtregion, hinter zürich, genf und basel. wie man das benennt, ist aus meiner sicht sekundär.
    in der optik von prof. messerli kommt es auf spezialitäten darauf an, die man pflegen und global einbringenkann. das wäre dann beispielsweise die medizinaltechnik, der spitalstandort und ähnliches. in der optik vieler politiker selbst dieses denken nicht durch, weshalb ich den anstoss verstehe. da denkt man weiterhin streng binnenorientiert-föderalistisch-hierarchisch. und dann ist bern unbestritten die bundesstadt und das politische zentrum.

    ich würde es wünschen, wenn man die vorurteile aus beiden seiten (“weltfremde hinterwäldler” resp. “blasierte angeber”) aufgeben würde und an den effektiven problemen arbeiten würde.

  8. Ich habe mich jetzt tagelang zurückgehalten und wollte mich in genau diese Diskussion nicht einmischen, weil ich hier fast nicht sachlich bleiben kann, weil das Thema für mich zu emotional aufgeladen ist. Aber jetzt muss ich trotzdem:

    Ich habe 7 Jahre in Bern gelebt und habe die Stadt dann fluchtartig verlassen. Ich war auch 7 Jahre in Basel (auch kein einfaches Pflaster). Kenne Graubünden (Chur), das Aargau (Baden) und Tessin (Locarno) nicht schlecht.

    Aber in keiner Schweizer Stadt bin ich mit soviel fataler Selbstgerechtigkeit konfrontiert worden.

    Bern hätte sehr wohl das Zeugs, in der ersten Liga mitzuspielen. Bern hat – oder hätte – viel zu bieten. – Aber egal, was man anzubieten hat: Wenn man dem Fremden immer wieder unter die Nase reibt, dass er Fremder ist und auch immer Fremder bleiben wird, dann ist das ätzend.

    Fünf Mal habe ich in jenen Jahren den Spruch hören müssen: Weisst du, was das schönste ist an Zürich? – Antwort: Der Zug zurück nach Bern. Oder diesen: Ein Berner kommt in Bern auf die Welt, besucht hier den Kindergarten und dann das Gymnasium und schliesslich wird er hier begraben.

    In Bern hatte ich immer wieder das Gefühl, wie in Melasse zu schwimmen. Es ist alles so unheimlich süss und so unendlich träge.

    Auch ich würde mir wünschen, es ginge ohne Vorurteile. Aber als Cosmopolitin und Einzelgängerin hatte ich in Bern zum ersten Mal in meinem Leben das Gefühl, an einer Stadt und ihren Bewohnerinnen und Bewohnern zu ersticken. Berner und Bernerinnen bleiben gerne und sich, lassen andere nur sehr ungerne herein. Meine anfängliche grosse Liebe zu dieser Stadt wandelte sich in grosse Frustration.

    Vor nicht allzu langer Zeit erblödete sich ein Berner Kulturredaktor im Magazin des Tages-Anzeigers, all diese Vorurteile, die die Berner insbesondere den Zürchern gegenüber haben, noch einmal so deftig zu zelebrieren und damit auch diesen offensichtlichen und total unnötigen Minderwertigkeitskomplex zu zementieren (Artikel mit meinem Namen verlinkt). Es ist so kleinlich. – Denn Tatsache ist: In Zürich triffst du alle und jeden und musst schon sehr viel Glück haben, auf einen eigentlichen Zürcher zu stossen. Es hat hier so viele tolle Menschen wie Hohlköpfe wie in Bern auch.

    Der langen Rede Sinn: Neben allem, was eine Stadt zu bieten hat, ist es ihre Ausstrahlung, wie sie ihre Sache bietet und präsentiert. Wie sie sich öffnet, oder nicht. Und es sind die Menschen, der Stadt, die diese Botschaft transportieren können, und sonst nix und niemand.

  9. lieber eisvogel,
    gut gibs blogs und pseudonoyme, sodass man auch mal dampf ablassen kann, ohne dass man gleich überall mit dem finger geheissen wird!
    die mangelnde offenheit für neues und anderes ist sicher ein grosses thema, an dem die bernerInnen arbeiten müssen.
    ich versuchs mal vorsichtig aufzunehmen
    stadtwanderer

  10. @ Eisvogel & Stadtwanderer
    Ist es denn nicht schon fast “urschweizerisch”, gegenüber Zuzügern generell misstrauisch zu sein, egal wohin man geht?

    Zürich ist auch für mich ein Schmelztiegel. Was daraus entsteht, kann man “metropolitan” nennen. Nur hat das für mich irgendwie etwas Unfassbares. Es erscheint mir so wie ein Chamäleon, welches sich immer den aktuellen Gegebenheiten anpasst, welche sich laufend ändern.

    Sich anzupassen hat einen unterordnenden Charakter. Man agiert nicht, man setzt nicht Trends, sondern man passt sich an, man reagiert. Positiv ausgedrückt kann man dieses Verhalten auch “flexibel” nennen 😉 .

    Was dabei untergeht – so scheint mir: Es fehlt ein klares Bekenntnis, wohin man gehen will. Zürich hat sich seine heutige Rolle nicht ausgesucht. Wäre dem nicht so, hätte man raumplanerisch sicher einiges anders gemacht (Verkehrengpässe, Fluglärm, usw.).

    Um bestimmen zu können, wohin man gehen will, braucht’s eine gewisse Verbundenheit mit jener Region, in welcher man lebt. Man kann nicht etwas verändern, das einem nicht irgendwie am Herzen liegt. Das ist aus meiner Sicht Zürichs Schwachpunkt. Man kommt und geht und niemand fühlt sich so richtig mit der Stadt und seiner Umgebung verbunden.

    Das Selbstverständnis Zürichs, die Verbundenheit Berns und die Offenheit Genfs wäre wohl eine ideale Mischung.

  11. @ eisvogel

    ich verstehe Deine frustration die Du in bern erlebtest. aber wie titus schreibt, ist das des schweizers misstrauen. ich selber lebte sechs jahre in zürich. und bei meiner abschiedsfeier sangen sie immer noch:”zieht den bernern die lederhosen aus” (erwachsene zürcher) 🙁

    @ alle

    fipu hat geschrieben, dass unserer metropolitanregionen kleinvieh sind. ich habe früher schonmal geschrieben, dass es komisch sei in der kleinen schweiz von verschiedenen metropolitanregionen zu sprechen. sind wir den wirklich so “kleinkarierte” denker? sind wir den wirklich die letzten verteidger, auf dieser welt, des föderalismus und der kommunen? dies in der heutigen zeit wo eine internationale finanzkrise nicht regional abhängt sonder die falsche finanzpolitik von diversen ländern und firmen war. da ist auch keine region schuld, auch wen alle von der wallstreet labern.

    aber wie man sieht, schafft man es in der schweiz nicht einmal ein einheitliches schulsystem auf die beine zu stellen, danke svp, armselig 🙁

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