die städte als stiefkinder der nation organisieren sich

die schweiz besteht aus gemeinden, kantonen und dem bund. so will das das staatskundelehrbuch, und so reden auch die meisten politikerInnen. glatt übersehen wird dabei, dass die schweiz, wie jedes andere entwickelte land auch, vor allem aus städten besteht, die wesentlichen den staat tragen.

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bern, stadt und kanton, in der urbanen schweiz

zürich, genf und basel verstehen sich als metropolitanregionen. ob bern hierzu gehört oder nicht ist strittig. unstrittig ist aber, dass auch metropolitanregionen koordiniert werden müssen.

genau unter diesem titel trafen sich heute die vertretungen von zürich, genf/lausanne und basel in bern. 50 fachleute aus politik und wirtschaft erörterten den stand der metropoliandiskussion in der schweiz. dabei kam zum ausdruck, dass bern eine sonderrolle als politikzentrum zukomme. das müsse in der zukünftigen raumgestaltung der schweiz berücksichtigt werden, war man sich einig.

“es gibt keine metropolitanregionen ohne hauptstadtregion”, sagte alexander tschäppät, der gastgeber, an seine regierungssitz. die anwesenden bürgermeister, stadt- und regierungspräsidenten pflichteten ihm bei.

das ist ein guter auftakt, bei dem es aber nicht bleiben darf. denn jetzt geht es darum, die klippen zu meistern, die auf dem weg zu einem solchen stadtverständnis lauern.

als erstes muss sich bern als hauptstadtregion präsentieren, als eine stadt, die in der lage ist, den unmittelbaren raum in der agglomeration zu einigen, das mittelbare gebiet von biel über solothurn, burgdorf, thun, fribourg und neuchâtel zu organisieren, um auf der höhe der metropolen zu sein.

als zweites muss die hauptstadtregion bern ihren status im eigenen kanton klären. und der kanton bern muss dazu stehen, dass der regionalgedanke für sich gesehen zwar wichtig, für eine ausstrahlung darüber hinaus aber zu wenig akzentuiert ist. der kanton bern braucht eine superregion, um die ihre spezialitäten in der politik pflegt, sich als dienstleistungszentrum zwischen den sprachregionen anbieten und so nach aussen mithalten kann.

als drittes werden alle urbanen regionen der schweiz gefordert sein. denn sie werden mit ihren eigenen und umliegenden kanton um eine neues verhältnis ringen müssen. ja, sie werden den föderalismus der schweiz neu definieren müssen. damit die 5 grossen städte und die 10 mittleren und kleinen städte nicht einfach den fast 3000 gemeinden subsummiert werden. denn der bund besteht nicht nur aus kantonen und die gliedern sich nicht einfach in gemeinden.

die stiefkinder der nation müssen aus ihrem schattendasein heraustreten und die schweiz neu begründen.

stadtwanderer
(heute in genf, nicht in bern …)

cal

ich bin der berner stadtwanderer. ich lebe in hinterkappelen und arbeite in bern. ich bin der felsenfesten überzeugung, dass bern burgundische wurzeln hat, genauso wie ich. also bin ich immer wieder auf der suche nach verästelungen, in denen sich die vergangene kultur in meiner umgebung versteckt hält.

3 Gedanken zu „die städte als stiefkinder der nation organisieren sich“

  1. Die eigentliche Arbeit liegt wohl weniger in den Städten als in den angrenzenden Gemeinden. Letztere mögen zwar sehr gern von der Städte-Infrastruktur profitieren, sich aber z. B. auch finanziell daran zu beteiligen steht ausser Frage. Die umliegenden Gemeinden sehen absolut kein Interesse an einer engeren Anbindung, da sie a) ihre Souverenität in Gefahr sehen und b) sie dadurch auch in die (finanzielle) Pflicht genommen würden.

    Gegen dieses Verhalten sind die Städte machtlos, selbst wenn sie viel Aufwand in die Agglomerationsbestrebungen investieren. Vielleicht mangelt es einfach an “Beweisen”, welche die heute schon vorhandene Bedeutung der Städte aufzeigt.

    Diese könnte aber mittels Stadtmauern, Strassenzölle und Drehkreuze verdeutlicht werden. Natürlich ist das illusorisch, würde man das real so umsetzen wollen. Aber wir tragen alle ein Handy mit uns, welche eine Ortung erlaubt. Man hole demnach die Einwilligung einiger repräsentativer Test-Personen aus Stadt und angrenzenden Gemeinden ein, um diese Daten verwenden zu dürfen, definiert virtuelle Stadtmauern, Strassenzölle und Drehkreuze und schon liesse sich veranschaulichen, wer wo zugegen ist. Ähnlich der Erhebung der Konsumentenpreise seitens BfS könnten die Test-Personen diese Bewegungen noch mit weiteren Angaben, namentlich den Ausgaben, ergänzen, um so auch zu sehen, inwiefern die jeweils aufgesuchte Stelle (Umsatz, Eintritte usw.) und mit ihr die Stadt (Steuereinnahmen) davon profitiert.

  2. Hierzu noch ein kurzer Hinweis auf ein Buch, das ich schon vor einiger Zeit auf französisch gelesen habe, und das nun auch auf Deutsch vorliegt: Joelle Kunz; Schweizer Geschichte einmal anders. Erschienen Ende letzten Jahres im Tobler Verlag.
    Es ist ein Buch über die Schweiz und ihre Geschichte, und da denken die meisten, nicht schon wieder, die kennen wir doch, zumindest in groben Zügen, seit dem langweiligen Geschichtsunterricht in der Schule. Reicht dies nicht? Für die Einzelheiten sind ja die Historiker da. Sie zweifeln zwar an der Existenz von Wilhelm Tell und sind auch nicht sicher, ob und was auf dem Rütli wirklich geschah, aber weil sie diese Zweifel immer wieder in neuen Büchern ausbreiten, verhelfen Tell und den 3 Rütli – Verschwörern dazu, dass sie im Bewusstsein der meisten Schweizerinnen und Schweizern fest eingeritzt sind. Die Schweiz, das ist 700 Jahre ungebrochener Freiheitswille, brüderliche Zusammengehörigkeit und tapfere Abwehr aller äusseren Feinde. Festredner, politisch Parteien und Gruppierungen zelebrieren diese Schweizergeschichte jedes Jahr von Neuen. Dadurch bekommt sie ihren Wert im politischen Alltag, wird quasi zum Allgemeingut. Der Nachteil davon, es wird die Illusion genährt, die Schweizer Geschichte sei hinlänglich bekannt, nichts Neues! Dadurch stirbt die Neugier. Neugier ist aber die Triebfeder jeder Entwicklung. Wo sie erlischt, verdorrt der Geist und die Geschichte bleibt stehen. Die Neugier ist eine der besten Eigenschaften des Menschen. Ohne sie hätte er nicht überlebt auf dem garstigen und unwohnlichen Planeten Erde. Neugier ist der Wunsch, etwas zu wissen, was man einfach kennen möchte, das aber im Moment unnütz zu sein scheint. Dass das so Gefundene sehr wohl später doch noch gebraucht werden kann, dass solche Entdeckungen aus purer Neugier die Welt verändert haben, zeigt die Geschichte der Wissenschaften eindrücklich. Dies sollte jenen Politikern eine Warnung sein, die beim Regieren immer nur Nützlichkeit verlangen und Bestehendes verwalten wollen. Eine neugierige Person wendet demgegenüber ein: „Hallo ihr Regenten, Verwalter und Alleswisser, schaut, da ist noch was, das habt ihr nicht gesehen! Dadurch bekommt Bekanntes plötzlich ein anderes Aussehen, und die Gegenwart plötzlich eine neue Perspektive. Eine solche Person ist Joëlle Kuntz. Sie hat eines Tages entdeckt, dass die verbreitete Vorstellung, die Schweizer Geschichte sei bekannt, eine Illusion ist. Vielmehr gibt es eine Menge unbekannter, wenig bedachter und nie erwähnter Dinge zu finden und zu erzählen sind. Dabei geht Für Joëlle Kuntz von einem wohltuend konkreten Geschichtsverständnis aus. Sie forscht nicht nach jenem geheimnisvollen geistigen Kern der Schweiz, dem verborgenen Nationalcharakter. Sie fragt vielmehr: Was ist in der Schweiz geschehen, in dieser Stadt hier und in jener dort? Und sie greift fröhlich die spannendsten Epochen heraus, um sie zu schildern und unsere Gegenwart darin zu spiegeln. So geraten die Städteporträts zu einer Hauptattraktion des Buches. An ihnen zeigt sich, wie sehr die Schweiz immer von wirtschaftlichen Prozessen bestimmt und gesteuert war. Mehr noch: Wie sehr die Schweiz von den Anfängen an mit den umliegenden Ländern verknüpft war. Die Urner, Schwyzer und Unterwaldner haben nicht abgeschlossen in ihren Bergtälern gewohnt und still für sich von der Landwirtschaft gelebt (als Selbstversorger). Sie waren vielmehr über den Alpen hinweg auf die Lombardei und das Piemont ausgerichtet, haben ihren Käse über den Gotthard nach Italien exportiert. Die Pässe hatten damals wie heute eine gesamteuropäische Funktion, und das liess sich damals wie heute nutzen und vermarkten. Die präzis geschilderte politische wie wirtschaftliche Vernetzung der Schweiz mit Frankreich – sei es über die Genfer Banken, sei es über die exportierten Söldner – verleiht der Schweizer Geschichte ein ganz neues Profil. Joëlle Kuntz berichtet nichts, was bisher nicht bekannt war, aber sie mischt die Fakten anders auf. Dadurch aktualisiert sie Geschichte mit Blick auf das, was heute in der Politik und in der Wirtschaft abgeht. Dabei fällt vor allem der neue Blickwinkel, zum Verständnis der Schweiz auf. Ich habe fast auf jeder Seite wieder ein „aha- Erlebnis“ gehabt, so kurzweilig kann Joëlle Kuntz von diesem merkwürdigen, durch Zufälle, Glück und politische Kunst langsam zusammengeschusterten Land, unserer Schweiz, erzählen und zwar hauptsächlich – wie der Stadtwanderer – anhand von Wanderungen durch die Städte.

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