stadtwandern vor 150’000 fans

das wird eine grosse herausforderung: am kommenden freitag den 13 habe ich meine nächste stadtwanderung in bern: vor 15 gästen und 150’000 fans!

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die demokratie-tour ist schon lange abgemacht. für eine gruppe aus thun, rund um heinz fahrni, dem säckelmeister des mittelalter!thun-vereins. das alles ist kein problem: demokratie leuten zu erklären, die sich in finanzen oder mittelalter auskennen, ist zwar nicht ohne, aber lösbar!

doch nun kollidiert der termin mit dem fussballspiel italien-rumänien, und findet im unmittelbaren vorfeld von frankreich-niederlande in der stadt bern statt. nach dem montag-erlebnis erwartet man ja unmengen von fans in der stadt bern. und genau das wird die herausforderung sein: den link zu finden, der meine 15 gäste u n d die 150’000 zuschauer begeistern wird! werde noch daran arbeiten …

stadtwanderer

start:

17 uhr 30 beim gerechtigkeitsbrunnen in der berner altstadt (geschlossene gesellschaft, steht jedenfalls in meinen notizen)

ps:

soeben hat die berner stadtregierung entschlossen, extra für uns eine dritte fanzone in der stadt einzurichten. es kann also nichts mehr nicht schief gehen …

bild:

tagesanzeiger

die stadt als stadion

weder der berner bundesplatz, noch der benachbarte waisenhausplatz sind ein fussballfeld. es ist kein rasen in der stadt, auf dem ein spieler gegen einen torwart einen elfmeter schiessen könnte. und doch ist das publikum da. so zahlreich wie noch nie. die meisten sind heute orange, von oben bis unten. die wenigsten sind blau, wenigstens des t-shirts wegen.

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die farbenlehre ist ganz nützlich. wenn der schreie von der orangenen seite kommen, dann sind die hupländer im angriff, und wenn sich die stimmen in blau anschwellen, waren die tifosi im gegnerischen strafraum. wobei niemand in der stadt ernsthaft damit rechnet.

diese signalsprache lernt man rasch, wenn man nicht in der vordersten reihe ist und keinen blick auf die mega-leinwand werfen kann. denn so bleibt man auf dem laufenden, wie das spiel im weit entfernten berner wankdorf real steht. dort ist ja die prominenz, und es sind die elite-fans anwesend.

für die vielen normalen supporterInnen, die sich kein ticket leisten oder keines ergattern konnten, ist die stadt das stadion. die zuschauerzahl multipliziert sich so fast ins unendliche. genauso wie die gefühlswallungen der anhängerInnen. denn alle sollen heute dabei sein dürfen, wenn gefühle ausbrechen, freudentränen fliessen, trauer die menge erfasst.

mit emotionen wartet man jedoch nicht, bis das abendliche em-spiel beginnt. denn die wahrhaftigen fans sind seit dem morgen in der stadt. sie haben die cafes gestürmt, vielleicht in einem souvenirladen geschmöckert, sicher einige biers getrunken, um ich im nahen stadtpark ausgzuruhen

schon über mittag waren sie wieder auf der gasse. haben gelacht, getanzt und sich gefreut. fliegt ein ball durch die luft, sammelt sich die energie in der masse spürbar. denn jeder möchte den kopfball kicken, der zum entscheidenden tor führt. und wenn er misslingt, applaudiet die menge rundherum lachend. denn die stimmung ist mehr ausgelassen als auf angriff angestellt.

wo ein brunnen ist, kommt es unweigerlich zur männershow. schon steht der berner söldner auf dem peiler im holländer-nationaldress wache, und sein hund hat einen italiener-tanga über die ohren gestreift erhalten. im brunnentrog toben sich die oranjer aus, bis selbst das wasser die farbe ihren hosen annimmt.

unter dem druck der masse scheint nun die stadt zu schwanken. wenn die fans auf der terassenrestaurant in fahrt kommen, schwappt die stimmung schon mal über die ganzen plätze. dann vereinigen sich die vielen stimmen zum kollektiv. damit jeder in der stadt weiss, wer die lufthoheit inne hat.

public viewing ist in bern neu. das phänomen mit grossleinwänden, fanzonen und massenaufläufen ist erst im 21. jahrhundert aufgekommen. 2002 wurde es in südkorea kreiiert. und seither globalisiert sich die bewegung. sie erfasst die menschen aller kontinente, die bei grossen sportereignisse freiwillige zu botschafterInnen ihrer länder werden.

getreiben wird die bewegung allerdings durch den kommerz. breitflächige werbung wacht über den massen. plakate und schaufenster reizen die blicke, und artikel, die dazu da sind, identifikationen zu schaffen, finden in der aufkommenden trance reissenden absatz. nichts ist dem zufall überlassen, selbst wenn überall volounters die arbeit verrichten.

zu zehntausenden sind vor allem die holländer heute in bern. nie wurde die stadt in so kurzer zeit so umfassend schnell und gründlich besetzt. immerhin, die allermeisten kickerfreunde sind friedlich, scheuen sich letztlich doch, eine schlechte falle zu machen. und fürchten wohl auch die zahlreich patroullierenden sicherheitskräfte.

unmittelbar vor dem ominösen spiel gegen den weltmeister strömen die holländer aus allen richtungen in die altstadt. die kramgasse füllt sich, und der kornhausplatz gehört im nu den flachländern. selbst über die aarebrücke dehnen sie sich aus, soweit das auge reicht. kein stehtplatz ist heute nicht besetzt heute!

sie freuen sich, dass sie aus der stadt ein stadion, aus den strassen schauplätze und aus den trottoirs tribünen gemacht haben, ohne dass wirklich jemand weiss, wer eigentlich gewinnt oder verliert. selbst wenn in der aufgekommenen stimmung nie jemand daran gezweifelt hat, dass holland 3:0 siegen würde.

stadtwanderer

mehr bilder vom tag:

berns (g)arten

zuerst ist da nur der berner botanische garten. dann sieht man ein plakat, eine statue und einige wartende. schliesslich entführt schauspieler matthias zurbrügg sein publikum in die ebenso spannenden wie tragischen geschichten zu albrechts von hallers (g)arten.

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haller zwischen bern und göttingen

der kleine albrecht haller wurde am 16. oktober 1708 geboren. aus seiner familie stammte im 16. jahrhundert berns reformator, und dessen nachfahren gehörten in bern zu den patriziern, wenn auch nicht zu den höchstgestellten. doch albrecht mochte keiner der unter gleichen werden. er war herausragend. im geist, nicht mit seiner macht. und so wurde er arzt. forscher. wissenschafter. und dichter.

zu gerne wäre albrecht schon in jungen jahren auch berner politiker, später wohl auch staatsmann geworden. doch dafür war haller einfach nicht angepasst genug. denn er sagte, was er dachte. mehr noch: er schrieb es auch auf, und er liess es gar drucken!

zum beispiel mit seinem gedicht über die “die alpen“. darin lobte er das einfache, unverbrauchte leben der hirten in den bergen, das er dem luxus und der prestigesucht seiner zeitgenossen in der stadt gegenüber stellte.

deshalb musste der erwachsene albrecht haller auswandern, um vorwärts zu. die neu gegründete königliche universität göttingen nahm ihn 1737 noch so gerne als biologen und anatomen auf, und sie ermöglichte es ihm, einen mustergültigen botanischen garten mit allen pflanzenarten, die man damals zu unterscheiden lernte, aufzubauen. in der ferne war seine schaffenskraft noch grösser als zuhause, sodass man bis heute mühe hat, sich einen überblick über sein wissen zu verschaffen. zurecht bezeichnet man ihn einen der universalgelehrten seiner zeit, der sich schliesslich mit königlichem erlass auch von haller nennen durfte.

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haller zwischen vergangenheit und gegenwart

genau aus dieser ferne kommt im ein-mann-stück von christine ahlborn, das matthias zurbrügg spielt, ein sebastian hallter nach bern. nein, er ist kein uneheliches kind des professors; der name steht nur symbolisch für die rückkehr albrecht von hallers im jahre 1753 ins unaufgeklärte, patrizische bern.

ganz unten muss haller nochmals anfangen: einfacher abwahrt im rathaus war der grossrat, als er seine professur aufgab, um in bern wieder fuss zu fassen. später wurde er salzdirektor in bex, weit weg in der waadt, und erst am schluss seines befrachteten lebens stieg er im bernischen gesundheitswesen bis zu seinem tod 1777 zu einer art generelsekretär auf.

zeit seines lebens war albrecht von haller ein gemässigter aufklärer gewesen. der montesquieu von bern quasi. er stellte die wissenschaft über die religion, und er brauchte den verstand, um die gewohnheiten zu kritisieren. doch er war wohl nicht nur herausragend für seine zeit; für viele seiner zeitgenossen war sein charakter schlicht monsterhaft.

das alles muss sebastian haller, den fiktiven studenten aus göttingen, nicht kümmern. das “wandern ist des hallers lust” singt er, als er aus dem norden in albrechts vaterstadt ankommt. und er erzählt munter, was der grosse haller in göttingen für möglichkeiten geboten bekam, die man ihm in bern verwehrt hatte. wenn matthias zurbrügg, der in diesem kurzen freilichtbühnenstück in viele rollen schlüpft, hingegen hallers mentor, den späteren schultheissen friedrich von steiger, mimt, dann bricht die verachtung für den nonkonformisten haller hinter jedem stein im berner botanischen garten erneut hervor.

christine ahlborn lanciert deshalb albrecht von haller neu: als teemixer. sei lässt ihn symbolisch im botanischen alpengarten umher wandern, um margrit, die weise kräuterfrau zu treffen, die so vieles über die pflanzen im gebirge weiss, dass es der professor nur pflücken und in sein herbarium einkleben muss. was ihm dabei am meisten gefällt, kippt er in einen eigenen kräutertee, der ihn, so die hoffnung der autorin, noch berühmter machen wird, als er es schon ist.

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berns (g)arten in hallers (g)arten

in der knappen halben stunde, die man rund um die statue hallers im berner botanischen garten verbringt, erfährt man in kürze einiges über die herausragendste persönlichkeit im bern des 18. jahrhunderts, und man spürt, wie komplex die erinnerung an sie ist, auch wenn sich der geburtstags hallers demnächst schon zum dreihundertsten mal jährt.

für alle, die sich für berns (g)arten in der vergangenheit interessieren oder das schicksal des unangepassten in berns (g)arten kennen, ist das stück eine abwechslungsreiche sonntägliche zugabe zur naturhistorischen ausstellung im boga.

wandern sie einmal mit, wenn es wieder heisst: halleri, hallera, hallerititititida …

stadtwanderer

zum programm

foto: stadtwanderer

“bern wirkt wunder”

bild-049.jpgpatriotisch gesprochen hatten die schweizer pech. der lattenschuss war so was von ärgerlich. 10 zentimeter tiefer, und vonlanthens ball wäre im gegnerischen lattenkreuz verschwunden. sportlich ausgedrückt können die schweizer jedoch unverändert keine tore schiessen, – egal ob es sich um vorbereitungs- und meisterschaftsspiele handelt.

entgegen allen guten vorsätzen war ich heute während des spiels schweiz gegen tschechien in der stadt. wo menschen sind, zieht es einen einfach hin.! dem sog der masse kann ich mich einfach nicht entziehen. genau 1 minute vor spielbeginn war ich an der ominösen, illegal aufgestellten euro-tafel, die uns wochenlang vorgerechnet hatte, wann endlich das spiel der spiele beginnt.

mein erstes “public viewing” auf dem bundesplatz war schrecklich. pumpenägeli voll war das grosse gatter. ich kam mir vor wie ein schaf, das wartet, ins bundeshaus geführt zu werden. bei der eingangskontrolle nervten sich schon die ersten, die nicht eingelassen wurden. und so hatte ich schnell mal ein nachsehen, und räumte meinen viertelquadratmeter für eine anderes schaf.

die kleinen bars auf dem kornhausplatz und in der aarbergergasse waren da viel gemütlicher. überall interessierte menschen, die einen am fussball, die anderen andern am mädchen nebenan. aber alle blieben korrekt. gelegentlich war da auch ein bronco oder eine polizistin, die aufwallungen im gemüt noch schneller konterten als valon behrami auf die fehler der tschechen reagierte.

natürlich war das grobe foul gegen unsere freiheit ein stimmungsdämpfer. der ganze spuk könnte für alex schon nach einer halbzeit vorbei gewesen sein. tränen bei profis sind eher selten und fliessen kaum grundlos.

in bern sorgte natürlich die einwechslung von hakan mächtig für stimmung. man war restlos überzeugt. die schweizer nati ist jetzt so gut wie es yb jüngst in basel war.

“scheiss euro 08” steht auf kleinen klebern, die heute überall in der stadt angebracht wurden. trotz ihrer recht hohen zahl gehen sie allerdings schon flächenmässig unter. die pro-werbung für die em domininert fast so haushoch wie weiland bei der einbürgerungs-initiative.

die leute, die heute so zahlreich in der stadt sind, haben politik längst weggekippt. sie freuen sich, wenn die grazile cubanerin serviert, gerade weil sie das im portugiesen-dress macht. und die riesigen dunkelhäutigen sicherheitsmenschen irritieren in den fanzonen auch niemanden. eigentlich ganz gut, das politische kommunikation nicht nachhaltig ist.

“huere geili stimmig ir stadt”, meinte der jugendliche zuschauer neben mir. und stösst mit mir an, als die zweite halbzeit anfängt. “bern wirkt wunder” steht auf unseren bechern. doch das ist nur werbung, die stapi tschäppät als teil seiner wiederwahlkampagne abgesegnet hat. und so bleibt das wunder denn auch aus.

die schweiz verliert das eröffnugnsspiel zur euro08 0:1. soviel habe ich sogar als fussballbanause begriffen.

stadtwanderer

die krux grosser parteien in der schweiz

das neue thema kündigt sich an: die fussball-europameisterschaft. meine prognose für den final: frankreich-kroation, und frankreich gewinnt. ich gebe allerdings zu, dass ich gar nichts verstehe von fussball. das ist ja in der politik nicht ganz der fall. und diese woche war politisch, wie kaum eine zuvor. deshalb meine ernsthafter gemeinte einschätzung zur politischen entwicklung, die ich als historiker mache.

parteien, die auf nationaler ebene 28 prozent erreichen, haben mühe, das auf die dauer zu halten oder gar zu steigern, sie neigen dazu, durch neue parteien konkurrenziert zu werden.

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quelle: tages-anzeiger, 2.6.08

man errinnert sich: die svp war im vergangenen oktober mit 28,9 prozent wählerInnen-anteil und 62 nationalratsitzen nicht nur wahlsiegerin; sie erreichte damit ein für schweizerische verhältnisse einmaliges ergebnis in der volkskammer.

die bisherigen erfahrungen mit grossen parteien

bisherige leaderin war die fdp, die 1919 auf 60 sitze und 28,8 prozent stimmen kam. das leitete sich vor allem aus den zeiten ab, als noch das majorzwahlrecht galt, währenddem die fdp die parlamentswahlen klar dominierte, danach sank die fdp fast kontinuierlich ab, konnte sich nur 1951 und 1971 wieder steigern, und ist sie heute bei den bekannten 15.8 prozent.

unter proporzbedingungen schaffte es die sp 1928 auf 27.2 prozent und 56 sitze, und erreichte sie 1955 27 prozent bzw. 55 nationalratsmandate. nach 1928 konnte sie das politisch nicht ummünzen, nach 1955 schon. vier jahre später stieg die damalige oppositionspartei mit 2 bundesräten in die oberste liga der schweizerischen parteien auf. doch gelang es ihr danach nie mehr, als ihre elektorale stärke ganz anzuknüpfen, obwohl sie sich zwischen 1995 und 2003 stets verbessert. der hauptgrund liegt darin, dass sie konkurrenz im eigenen lager bekommen hatte, zuerst durch die neue linke, dann durch die grünen resp. grünliberalen, die ihr aus der opposition wählerInnen streitig machten.

die cvp wiederum hatte ihr historisches hoch unter proporzbedingung 1963 mit 23.3 prozent wähleranteil und 48 nationalratssitzen. sie profitiert damals von der neuen dynamik, die sich aus der zauberformel für den bundesrat ergeben hatte. doch kippte diese recht rasch ins gegenteil, und die cvp erhielt mit dem ldu vorübergehend eine erhebliche konkurrenz in der politischen mitte, die nicht nur gemässigte zentrumswähler, sondern auch aufkommende nonkonformisten zwischen den blöcken ansprach. sie versuchte sich mit einem volksparteienkonzept 1971 neu zu plazieren, was ihr bis ende der 70er jahren auch gelang. wie die fdp leidet sie seit her jedoch an innerer demobilisierung und an der konkurrenz der svp.

die herausforderungen für die svp

diese wiederum schien dem bisherigen gesetz der grösse von parteien unter proporzbedingungen 2007 entrinnen zu können. mit ihrem starken mobilisierungsfähigkeit, die sich durch abgrenzung gegen über den anderen parteien, aber auch den massenmedien ausdrückte, die personell und thematisch stark zugespitzt agierte und die auf einer recht eisernen parteidisziplin von oben her geführt basierte, schaffte sie bei den letzten nationalratswahlen, was bisher niemandem gelungen war.

doch nun zeigen sich, für den historiker, nicht überraschend die grenzen der grösse. der druck von oben funktioniert nur, solange man erfolg hat. diese sind mit dem offiziellen oppositionskurs schwieriger zu erreichen, denn die inneren widersprüche der partei zeigen sich auf kantonaler und lokaler ebene deutlicher als auf der nationalen. sie führen zu richtigungskäpmfen zwischen national- und liberalkonservativ geprägten exponenten, die sich an der frage der regierungsbeteiligung einerseits, des politischen umgangs mit dem gegner anderseits entzündete. dies weitet sich aktuell in den bekannten ausschlüssen aus, denen wiederum spaltungstendenzen folgen.

der stand der dinge

gegenwärtig sind vier positionen zu erkennen:

erstens jene von bundesrätin eveline widmer-schlumpf und der bündner svp, die mit der vaterpartei gebrochen haben und entschieden sind eine neue zukunft suchen,

zweitens jene von bundesrat samuel schmid, der gruppen bubenberg, die eine liberale svp ausserhalb der schweizerischen svp wollen, aber zögern, mit ihr zu brechen, solange die position der basis nicht bestimmt ist,

drittens jene von peter spuhler, der in der breit verankerten svp thurgau gelernt hat, dass in einer volkspartei verschiedene meinung platz haben müssen und das als erfolgsrezept auch der svp schweiz empfiehlt, und

viertens jene der parteileitung und insbesondere christoph blochers, die weder inhaltlich noch stilistisch kompromisse eingehen will und durchhalteparolen herausgibt, weil sie das als abkehr vom bisherigen konsequenten kurs, der die partei nach vorne gebracht hat, betrachtet.

noch ist offen, was daraus wird. zwischen ende des aufstiegs und sturm im wasserglas scheint einiges möglich.

zunächst wird sich die partei selber finden müssen. sie wird damit zeichen setzen, die bei den anderen parteien, bei den wirtschaftsverbänden, in den medien und in der öffentlichkeit gelesen werden und so mitbestimmen werden, wie sich die elektorale kraft der svp inskünftig entwickelt. parteien. die wählerschaft zeigt zunehmend gegenreaktionen und grenzt sich bewusster von der oppositionspartei svp ab.

der blick nach vorne: ab jetzt nur noch fussball

das ist zwar keine handfeste prognose, wie beim tschutten, die auch bald auf ihre richtigkeit überprüft werden kann. es ist aber eine historisch genährte einschätzung der gegenwärtigen entwicklungen, die der stadtwanderer mal so stehen lässt. und sich freut, wenn frankreich im em-final gewinnt …

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undemokratisch?

ich tagi von gestern stand folgender, bemerkenswerter leserbrief:

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quelle: tages-anzeiger, 3. juni 2008

über die schlussfolgerung will ich mich hier nicht äussern. wir machen weder für noch gegen parteien werbung. der erste satz indessen ist bemerkenswert.

der souverän ist der inhaber der obersten staatsgewalt. in monarchien ist das der könig. in republiken indessen ist es das volk.

die schweiz ist seit 1848 eine republik. die staatsgewalt ging damals vom volk (der nation) und von den kantonen (den staaten) aus, und sie verband sich im bundesstaat.

in repräsentativen demokratien bestimmt der souverän über die verfassung, und er nimmt die wahl der organe wahr, die demokratisch legitimiert sind. in der schweiz ist der souveränitätsbegriff seit 1874 weiter entwickelt. denn volk und stände müssen auch über einzelne verfassungsänderungen resp. -zusätze entscheiden, und das volk kann auch über gesetzesänderungen abstimmen, wenn es will.

wenn sich der souverän bei den abstimmung vom wochenende in undemokratischer art und weise über den volkswillen hinweg gesetzt hätte, hätten sich die stimmenden, die kantone und ihre aktiven bürgerInnen, die den souverän bildeten, mit ihrem direktdemokratischen akt über den volkswillen hinweg gesetzt. doch der volkswille wird in direkten demokratien nicht anders als mittels volksabstimmungen bestimmt. das kann nicht undemokratisch sein!

logisch gesehen geht das also nicht auf. es gibt meines erachtens nur zwei möglichkeiten, dem problem zu entrinnen:

erstens, die stimmbürgerInnen, die sich in volksabstimmungen äussern, und die Kantone, die sich so auch vernehmen lassen, wären nicht mehr souverän.

oder zweitens, der volkswille wird mittels einer neuartigen, mir weiters nicht bekannten form bestimmt.

bin gespannt, wer mir das problem löst!

stadtwanderer

fragen über fragen

wenn ich meine reaktionen sammle, die ich seit dem sonntag beim wandern, in cafes und bei der arbeit zur lage der schweiz bekomme, merke ich so richtig, wie viele fragen sich plötzlich auftun. nicht nur für mich, auch für die menschen rund um mich herum, für viele menschen vielerorts.

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deshalb meine nachfragen:

was ist eigentliche geschehen, und wie könnte es weiter gehen?

ich liste mal fragen auf, und sie alle, die regelmässig oder gelegentlich hier beim “stadtwanderer” vorbei schauen, sind gebeten, ihre anworten zu geben. und zwar zu:

erstens, was ist seit dem abstimmungswochenende vom 1. juni 2008 anders? wie waren die unüblichen ergebnisse, namentlich zur einbürgerungsinitiative möglich? die nein-kampagne zur einbürgerungsinititive kann es ja nicht gewesen sein – doch was dann hat die wende ins nein bewirkt?

zweitens, was geschieht mit der svp? war sie nur konsequent, oder hat sie einfach übertrieben? kommt blocher zurück, oder scheidet er aus der politik aus? gelingt der svp gang in den jungbrunnen der opposition, oder ist es ein marsch in die bedeutungslosigkeit? hat die svp eigentlich eine oppositionsstrategie, oder reagiert sie nur noch auf ereignisse, die ihr bisher fremd waren?

drittens, entsteht eine neue bürgerliche regierungspartei, regional oder nation, die mit anstand, sachbezogen und dossierfest politisieren und so auch überzeugen kann? gibt es eine thematische nische, um sich unverwechselbar zu etablieren? wer wären die personen, die das in der führung und kommunikation leisten könnten?

viertens, sind die verbliebenen regierungsparteien in der lage, der svp in der opposition stirn zu bieten? gibt es eine gemeinsame strategie zwischen sp, fdp/lp und cvp/evp/gfl? braucht es einen einbezug der grünen? oder soll man bei der nächst möglichen gelegenheit einen aus der svp reihen in den bundesrat aufnehmen? und was ist das regierungsprogramm, über das 2011 angerechnet werden soll?

fünftens, jetzt, wo wir grosse regierungs- und grosse oppositionsparteien haben, haben wir da auch ein passendes politisches system dazu? ist die konkordanz am ende, weil weder die inhaltliche noch die arithmetische konkordanz funktionieren? müssen die svp-kommissionspräsidenten im eidg. parlament jetzt zurücktreten, und werden svp-bundesrichter noch durch parteikollegen ersetzt? und brauchen wir einen koalitionsvertrag der regierungsparteien, gegen den sie kein referendum ergreifen dürfen?

sechstens, steuern wir auf gute oder schlechte zeiten zu? ist die abstimmung über die personenfreizügigkeit die grosse weichenstellung? oder warten wir einfach, bis neuwahlen kommen, auch wenn das erst in drei jahren ist?

siebtens, hat die schweiz heute visionen, gestalter und treiber, die sie fortbewegen können? was ist ihr inhalt, und wer ist ihr bester kommunikator?

ich freue mich auf antworten, auch wenn sie nur eine oder einige der fragen über fragen aufnehmen!

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bild: flickr

hoher besuch aus korea

am letzten freitag abend war noch meine stadtwanderung mit meinem hohen besuch aus korea. der war eben erst um die halbe erde angereist, um in bern gleich als erstes in die geschichte der demokratie in der schweiz eingeführt zu werden.

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(foto: bruno kaufmann)

viel zum gelingen der tour beigetragen hat jun-ho chang, politik-professor in soeul, der in münchen studiert hatte und der, soweit ich rückmeldungen bekommen habe, ausgezeichnet zwischen deutsch und koreanisch übersetzte und interpretierte. besondere freude hatte professor chang, als ich ihm zeigte, wo einst georg friedrich hegel in bern gelebt hatte, denn chang hat über eben diesen hegel als begründer internationaler normen der weltgesellschaft doktoriert. vor überraschung hat er mich gleich umarmt! er fand übrigens auch meinen vortragsstil speziell. am anfang musste er immer wieder ein wenig lachen. er sagte beim nachtessen, er sei es nicht gewohnt gewesen, dass ein wissenschafter so herzhaft aus dem leben gegriffen anschaulich-bildhaft und dramatisch-energisch erzähle.

die gruppe selber war im auftrag der korea democracy foundation unterwegs. diese wird seit 2001 staatlich gefördert und hat die aufgabe, an der demokratisierung der gesellschaft zu arbeiten. das formelle war der gruppenleitung ganz besonders wichtig. beim nachtessen hat die stiftung mit dem stadtwanderer gleich einen eigentlichen freundschaftsvertrag signiert. bald wandere ich also auch in soeul! vor dem neuen baldachin hat man mich schon mal umgebung von kreanischen parlamentariern fotografiert.

während und nach der führung hatten wir einige interessante diskussionen über die bestimmung von demokratie, vor allem über moderne und vormoderne demokratievorstellungen. diese debatte ist nicht nur für die schweiz von belang, sondern ganz offensichtlich auch für korea. dr. lee, die weltgewandte delegationsleiterin, zum beispiel war der auffassung, in korea gäbe es mehr vormoderne traditionen von demokratie als moderne.

da waren sie natürlich bei mir gerade an der falschen adresse: denn meine demokratieführung leitet demokratie nicht auf der polis-herrschaft der antiken griechen städte ab, weil diese keine vorstellung von der gleichberechtigung aller menschen entwickelt hatte. das gehört für mich unverzichtbar zu den demokratischen grundwerten.

vielmehr begründe ich bei meinen führungen demokratie in der europäischen aufklärung, dem naturrecht, den menschenrechten und in den ideen der französischen revolution. und das hat meine teilnehmerInnen, glaub ich, durch die vermittlung von professor chang verstanden zu haben, schon mal ganz stark herausgefordert. nicht nur die zeitverschiebung, die meine mitwandererInnen in ihren immer schwerer gewordenen beinen mitschleppten!

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albertus tee

der tag war hart. viele eindrücke. aber kaum sonnenschein. ich habe im studio gearbeitet, und das wandern sich auf einige meter zwischen computer und analysepult. doch gegen schwache nerven und fehlenden schlaf gibt es ein untrügerisches rezept: den albertus tee!

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am morgen mochte ich fast nicht aufstehen. ich war noch so verschlafen, als der wecker um 6 uhr zur tagwacht blies. und im zug nach zürich habe ich gleich wieder geschlafen. schade für den café latte, den ich auf der berner welle erstanden hatte. in zürich war er kalt.

der paukenschlag des abstimmungstages war deutlich. um viertel vor zehn orientierte uns eine mittelgrosse stadt in der innerschweiz über den stand der dinge aufgrund der schriftlichen abstimmung. da war mir alles klar. das gibt neineinein! unsere eigenen erhebungen bestätigten und verfeinerten dies bis 14 uhr. 36-25-31 sind die neuen masse des svp-modells.

jetzt mag ich fast nicht ins bett gehen. der tag ist noch weitgehend unverarbeitet. er dreht und dreht sich in mir. ich hatte eben noch eine feine unterhaltung mit der slowakei. das dortige radio vermeldete das hauptergebnis des tages in den 6 uhr schlagzeilen: die schweiz verschärft das einbürgerungsrecht nicht!

um mich doch noch zu beruhigen, habe ich zwei mittel: ein wenig bloggen, und einen albertus tee, aus dem klostergarten. guet nacht!

stadtwanderer