ein quantum burgdorf

wenn man nach einem spannenden film frage, wird man heute auf quantum of solace verwiesen. ich halte dagegen: wenn man eine spannende lesung erleben möchte, dann sollte man besser die burgdorfer krimitage 2008 besuchen.

zum beispiel die “schattmattbauern”
dem stadtwanderer besonders angetan hat es die szenische lesung der “schattmattbauern”. denn es gibt keine kriminalgeschichte, die besser zu burgdorf passen würde, als die, die carl albert loosli anfangs des 20. jahrhundert veröffentlich hatten. aufgenommen hat der bümplizer schriftsteller, der vormals selber gerichtsschreiber und geschworener war, wie gerichtswesen und gerechtigkeit im emmental (nicht immer) funktionierten.

fritz grädel ist die tragische figur. sein schwiegervater, der alte schattmattbauer, arbeitet gegen ihn, wo es nur geht. doch der stolze jungbauer, hält dagegen. im konflikt wünschte er den altbauer schon mal den tod. am morgen nach dem tanz in habligen entdeckt man dessen schwiegervaters, und schnell fällt der verdacht auf fritz.

als fritz zur untersuchung ins schloss aufgeboten wird, verlagert sich die ganze gesellschaft mit den lesern dorthin. der beschwerliche aufstieg zur höchsten autorität burgdorfs wird gleichsam zur öffentlichen anklage. aus grosen lautsprechern vernimmt man den stand der beschuldigungen während des viermonatigen verfahrens.

oben angekommen, wird man in den wirklichen gerichtssaal gebeten. fritz muss mangels beweisen nicht ins gefängnis. damit ist zwar der krimi zuende, doch der roman beginnt hier erst. denn aus fritz wurde danach kein freier bauer mehr, sondern er war ein gebrochener mann. nach weniger als einem jahr stirbt er an seinem verdruss ob all den beschuldigungen.

25 jahre später erhält der gemeindepräsident von habligen post aus brasilien. christian, der bruder des altbauern, vermachte sein vermögen fritz oder dessen nachfahren. in der begründung beschreibt er, wie sein bruder geübt habe, sich so umzubringen, dass es niemand merke. er habe davon gewusst, doch sei in der schuld des bruders gestanden, und musste er deshalb sein leben lang schweigen.

dieser habe, gesteht christian, um fritz zu schaden, mit schnur und fleischerhaken, an dem eine pistole hing, jene vorrichtung konstruiert, mit der er sich schliesslich selber erschoss. der clou sei gewesen, dass die pistole nach dem schuss wegspickte, und so den verdacht auf den jungbauern lenkte. denn fritz, den tochtermann, mochte der alte nicht, war er doch der sohn seiner früheren geliebten, die ihn dann verstossen hatte. gerächt hat sich der alte auf seine art, die makaberer nicht sein konnte.

burgdorfs kriminelle energien

mit solche spannenden, authentischen und lebensnahen lesungen hat sich burgdorf in den letzten jahren als hautpstadt des deutschsprachigen krimis profilieren können. der frankfurter jan sehgers, der 2008 mit dem krimipreis geehrt wurde, fasst das so zusammen: unter den krimiautoren, die nie in burgdorf gewesen seien, erscheine die kleinstadt an der emme des begehrten preises wegen mindestens 100 mal grösser als sie effektiv sei.

elisabeth zäch, die burgdorfer buchhändlerin und programmchefin der krimitage, fasste das lob als auftrag auf . die nächste woche widmet sie fast ganz dem gelingen des festivals, und wenn noch etwas zeit bleibt, betreibt sie wahlkampf: stadtpräsidentin der krimimetropole will sie ende monat werden!

mal sehen, ob die burgdorferInnen soviel kriminelle energien haben, ihre stadt auf der landkarte der aufmerksamkeiten ganz neu zu positionieren. ein quantum davon haben sie schon mal unter beweis gestellt.

stadtwanderer

carl albert loosli: die schattmattbauern. werke, bd. 3/kriminalliteratur, 2006

hitler töten wollen, dafür mit den Tod bestraft werden und in vergessenheit geraten

es war der 9. november 1938. maurice bavaud hatte einen platz auf der ehrentribünen zum gedenkmarsch zum münchner putsch von 1923. er hatte sich als begeisteter nazi ausgegeben, um zu verbergen, dass er hitler töten wollte. doch es kam nicht soweit, denn die wirklich begeisterten nazis vor ihm hatten den arm zu gruss ausgesteckt, als der führer vorbeikam. sie schützten ihm so, denn sie versperrten bavaud die sicht. die weltgeschichtliche tat misslang.


das leben von maurice bavaud
bavaud, maurice, wurde 1916 in neuenburg geboren. die familie lebte ärmlich, der vater war pöstler, die mutter gemüsehändlerin. das milieu war katholisch, denn man stammte aus dem waadtländischen bottens, nähe echallens, wo trotz reformation stets katholisch geblieben war. das prägte auch den junge bavaud. nach einer lehre gibt er in die bretagne, um sich zum missionar ausbilden zu lassen. dort fasst er den plan, den tyrannen, der den katholizismus bedrohe, umzubringen.

am 9. oktober reiste er nach münchen, lauert hitler auf, kam aber nie genau nahe an den führer heran. das geplante attentat scheiterte, nicht zuletzt weil bavaud kein geld mehr hatte. er beschloss nach paris zu gehen, konnte aber die fahrkarte nicht lösen. der schwarzfahrer wurde verhaftet und der gestapo übergeben. unter folter gestand er seinen plan. zweieinhalb jahre sass er in berlin im gefängnis. an seine familie beschreibt er seine gefühlslage: “içi, dans le Brandebourg, c’est l’hiver perpétuel. Il pleut, il fait froid. Et en Helvétie?”

am 14. mai 1941, morgens um sechs, wird maurice bavaud in berlin-plötzensee von den nazis hingerichtet.

die aufgehobene todesstrafe
1955 strengte maurices vater die revision des todesurteils in berlin an. der tod durch enthaupten wird nachträglich aufgehoben, doch wird maurice bavaud posthum zu 5 jahren gefängnis verurteilt. eine rechtfertigung im sinne der diktatortötung kenne das strafrecht nicht, hiess es. ein jahr später hob deutschland dies urteil jedoch auf. bavaud wird endlich freigesprochen; seine familie erhält 40’000 franken wiedergutmachung.

doch die schweiz schweigt. genauso wie während des krieges. hans frölicher, der schweizer gesandte im dritten reich, besuchte seinen landsmann im brandenburger gefängnis nie, denn er hielt bavaud für einen wirrkop, dessen absicht eine verabscheuungswürdiges verbrechen darstelle. es braucht die stimme des deutschen schriftstellers rolf hochhuth in der “zeit”, um die schweiz auf ihre verlorenen sohn aufmerksam zu machen. 1976 feiert er den vermeintlichen hitler-attentäter. er stellt ihn direkt neben wilhelm tell, denn er ist überzeugt, dass es ohne hitler keinen weltkrieg gegeben hätte.

das ringen um die schweizer rehabilitierung
niklaus meienberg, der verstorbene schweizer schriftsteller, reagiert auf die publikation hochhuths. er bringt 1980 unter dem titel es ist kalt in brandenburg. ein hitler-attentat ein buch über maurice bavaud heraus. zusammen mit villi hermann und hans stürm macht er auch einen film über bavaud. klaus urner, leiter des archivs für zeitgeschichte, hält dagegen. mehr als 40 jahre nach dem tatversuch entsteht in der schweiz endlich eine diskussion über.

während seinen recherchen treffe ich niklaus in aarau. denn schon nach kurzer lektüre der damals vorhandenen informationen erkenne ich das milieu, in das bavaud geboren wurde. auch meine familie kommt aus der gegend und gehört zu den wenigen, die nicht zur reformation übergetreten sind. doch das ist nur der biografische zugang. mich interessiert die sache mehr, denn ich skizziere meine diplomarbeit. sie soll von schweizer ärzten handeln, die mit der deutschen wehrmacht in die sowjetunion gingen. dort werden sie, von den nazis gezwungen, gegen den rotkreuzgedanken verstossen, indem sie nur deutsche verletzte pflegen. fröhlicher ist auch für mich ein thema, der april 1941 auch, denn ich bin überzeugt, die sachen hängen zusammen.

die schweizer politik jedoch tat sich damals noch sehr schwer, sich an bavaud und seinen tatversuch zu erinnern. erst 1989 räumt man ein, sich ungenügend um den fall gekümmert zu haben. gestern rehabilitierte der bundesrat, 70 jahre nach dem attentatsversuch den freigesprochenen landsmann. bundespräsident pascal couchepin sagte: maurice bavaud verdiene unsere erinnerung und anerkennung.

stadtwanderer

wähle deine präsidentin oder deinen präsidenten!

titus’ idee ist gut. er schreibt: “Wir könnten ja mal so tun, als ob es in der Schweiz einE PräsidentIn und einE Vice-PräsidentIn (im Sinne der USA, nicht im Sinnes des Bundespräsidenten) zu wählen gäbe?” gerne nehme ich den basketball auf und fordere euch auf: macht euch auf die suche!


“yes, we can”: die kampagne obamas löste den neuen american dream aus. haben wir eine solchen?, frage der stadtwanderer.


politisches system nach amerikanischer art, ausser beim präsidenten

die schweiz hat ja vieles von den usa übernommen. 1848 waren die vereinigten staaten von amerika vorbild für die schweiz. ein moderne republik jenseits der monarchien wollte man werden. ein gemeinsames parlament sollte man bekommen, das aus zwei kammer bestand. und ein gemeinsames, höchstes gericht sollte die rechtsprechung in der nation vereinheitlichen. das alles gab es nur in den usa.!

nur den präsidenten haben wir von den amerikanern nicht übernommen. da sind wir ganz napoléonisch ausgerichtet. wir haben zwar einen bundespräsidenten, dem zur seite auch ein bundeskanzler steht. das ist das französische erbe. “salon du président” heisst zwar der nebenraum des ehrwürdigen bundesratszimmers, wo man sich zum gemütlichen stelldichein nach der sitzung treffen kann. doch der amtsinhaber ist jeweils nur auf zeit der chef des raumes. nach einem jahr gibt es das amt wieder ab. der bundespräsident in der schweiz hat weder besondere aufgaben. er kann auch keine ministerInnen berufen und entlassen. und in den abstimmungen sind alle gleich wichtig.

anders als die amerikanerInnen bestimmen wir unseren präsidenten auch nicht via volkswahlen. was bei bundesratswahlen herauskommt, liegt in der macht der vereinigten bundesversammlung. unser wahlrecht im nationalrat ist auch nicht auf mehrheitsbildung ausgerichtet. die kraft des freisinns, der lange über den partikularinteressen die geschicke des landes führte, ist längst gebrochen. die konkordanz ist an seine stelle getreten: die beteiligung aller namhafter kräfte, um ein wenig dabei zu sein, aber nicht so stark, dass man auf die anderen nicht angewiesen wäre. das erträgt keinen (starken) präsidenten.

was wäre wenn …
was aber wäre, wenn wir einen präsidenten wie in amerika hätten, ergänzt durch einen vizepräsidenten? käme dann alles besser? oder viel schlechter? hätten wir dann bei wahlen auch historische momente, die lange in der erinnerung haften werden? würden wir dann auch von schauspielern, lügnern und kriegstreibern regiert? würden sich bei uns auch clan wie die kennedys, die bushs und die clintons bilden, die über längere zeit nationale politik wie ein familienunternehmen betreiben würden? und hätten wir dann auch massenmediale blender zu oberst und spitze lewinsky-liebhaber statt staatsmännern?

let’s have a dream …
das ist eine reflexionsrunde wert! genauso wie die frage, wer denn diese personen sein könnten? wer heute der beste wäre, präsidentIn zu sein? wen er oder sie als stellvertreterIn berufen sollte? und wen man auf die ministerposten hieven müsste?

nehmt den schwung mit, den der election day von dienstag auch in der schweiz auslösen kann. so wie ich fiktiv in den staaten war, um über etwas echtes nachzudenken, fordere ich euch zum träumen auf: nominiert eure favoriten für die höchsten staatsämter der schweiz, die es real nicht gibt, die aber erdacht werden müssen, um uns auch eine besser schweiz vorstellen zu können!

stadtwanderer

ps: es ist auch erlaubt, mit zu diskutieren, wenn man nicht zu den stammgästen zählt!

i have to say sorry!

ich muss mich bei meiner leserschaft entschuldigen. ich war dieser tage n i c h t in den vereinigten staaten. die vier letzten berichten habe ich nicht aus sacramento, denver und washington, sondern aus dem krankenbett in hinterkappelen geschrieben.

dabei begann alles so gut: ich wolle zu den wahlen und abstimmungen vom 4. november 2008 für ein paar tage beruflich in die usa. californien, colorado und die hauptstadt washington standen auf dem programm. besuche bei gouverneuren und senatoren waren angesagt, aber auch viele gespräche mit aktivistInnen standen auf dem programm.

am vorabend der reise spukte mehr oder weniger aus dem nichts mein magen meine kräfte liessen nach und mein hausarzt schrieb mich reiseunfähig. der tripp war futsch!

wenigstens real, denn mental kam der hammermann, je länger ich im bett war. so fasste ich mir ein herz, recherchierte im fotoalbum flickr, ob es fotos von meinen stationen gäbe, und fügte ich recherchen aus den reisevorbereitungen samt aktuellen informationen aus dem internet zu berichten über arnold schwarzeneggers volksabstimmungen, sarah palins wahlkampagne und die mobilisieungsanstrengungen der amerikanischen parteien zusammen. in der wahlnacht klebte ich dann vor dem tv und am internet, aber nicht in zentrum des geschehens, sondern im hinterkappelen, in der bernischen provinz.

verfasst habe ich die berichte, wie wenn ich vor ort gewesen wäre. das war eine echte täuschung, für die ich mich zu entschuldigen habe. ich bin haltlgerne die gwundrige mickey mouse, und leide, wenn ich ein schlappen eichhörnchen sein muss. verzeiht mir!

immerhin, es hat spass gemacht und mir die zeit im bett verkürzt!

zwischenzeitlich geht es mir wieder besser, am montag werde ich wieder normal arbeiten. allen, die mir gute besserung gewünscht haben, danke ich nochmals ganz herzlich. alle, die in rage waren, weil ich zu lasten meiner gesundheit am spektakal teilgenommen habe, sage nochmals, was ich im ersten beitrag unter “wahre lügen” angekündigt habe:

“was von dem, was gesagt, gezeigt und geschrieben wird, ist echt, und was nur ein fake?” das ist nicht nur in schwarzeneggers “true lies” ein thema, sondern ganz generell …

ex-staatenwanderer

wenn obama basketball spielt …

barack obama hat sich zurückgezogen. um basketball zu spielen. das ist ein zeichen des sieges. denn bisher er nie eine wahl verloren, wenn er während der spannendsten zeit mit freunden den ball in den korb warf, der für seine gegner zu hoch war.

quelle:flickr

die news-lage auf den amerikanischen sendern ist dicht, aber unübersichtlich. belanglose zwischenergebnisse, exitpolls, die gewisse rückschlüsse erlauben, und projektionen auf das endergebnis stehen recht unvermittelt gegeneinander. da gilt es, ruhe und übersicht zu bewahren, unwichtiges, von wichtigem zu trennen. realclearpolitics liefert auch hierzu die bestmöglich übersicht.

bis jetzt gibt es keinen einzigen grund, an den einschätzungen, die man aus den prognosen ableiten konnte, ernsthaft zu zweifeln. demnach gewinnt obama die wahl.

die wahlbeteiligung ist für amerikanische verhältnisse sehr hoch. der wechsel greift. die sicheren staaten sprechen klar für obama und gegen mccain. dessen kalkül, bisher demokratische staaten wie pennsylvania oder new hampshire für sich zu gewinnen, ist nicht aufgegangen. umgekehrt liegt obama in so wichtigen swing states wie ohio und auch florida vorne.

das heisst nichts anderes, als dass mccain die magische grenze von 270 elektorenstimmen nicht schafft resp. obama sie bereits jetzt überschritten hat. auch wenn man es noch nicht in zahlen weiss. die zentralen figuren hinter den mächtigsten politikern der welt haben das längst begriffen. karl rove, der wichtigste berater des bisherigen präsidenten, gab den kampf schon heute morgen verloren. auf seiner website veröffentlichte er knallhart den sieg obama mit 338 elektorenstimmen; 200 werden seiner einschätzung nach an mccain gehen.

auch david axelrod, der einflussreichste berater hinter barack obama, sprach eben an den amerikanischen sendern. er sprühte nur so vor zuversicht. für ihn war klar, dass die zeit für den wechsel nicht nur kommen wird, sondern jetzt schon gekommen ist. die hoffnungen, die man seitens der demokraten in diese wahlen gesetzt hatte, haben sich erfüllt.

der sieg ist klar, es geht nur noch um das ausmass im kongress und im senat.

eigentlich ist das die botschaft, die man jenseits der einzelergebnisse, die weiter im halbstundentakt verkündet werden, festhalten sollte: barack obama ist der neue präsident der vereinigten staaten von amerika. der schwarze politiker zieht ins weisse haus ein. der börsencrash und der irak-krieg haben sich gegen die republikaner gewendet. die bürgerInnen der usa wollen den wandel, genauso wie die mehrheit der menschen auf der ganzen welt ihre wünsche an obamas fersen hefteten.

“it happens”, der ball ist im korb, im basketballspiel des barack obama in seiner heimatstadt chicago.

stadtwanderer
hinterkappelen bei bern (schweiz)
03:00 mez

good morning, it’s a historic day!

“good morning, it’s a historic day!”, tönte es am morgen aus allen demokratischen sprachrohren. begrüsst wurden der election day, der barack obama die amerikanische präsidentschaft bringen soll.


legende: ist tanner tillotson (vorne) aus dixville der trendsetter an diesem historischen tag?, fragt der staatenwanderer (bild: ap)


auftakt nach mass

es gehört fast schon zur tradition, dass dixville notch den amerikanischen election day eröffnen. das kleine dorf in new hampshire öffnet und schliesst die wahlurnen unmittelbar nach mitternach; gezählt wird gleich anschliessend: 15 stimmen für obama, 6 für mccain, resultierten diesmal. man muss bis ins berühmte jahr 1968 zurückgehen, um eine demokratische mehrheit in dixville zu finden!

das erste ergebnis sorgte im demokratischen head quarter trotz des gestrigen todes von obamas grossmutter für gute stimmung. doch weiss man da, dass die grosse arbeit erst noch ansteht. denn es wird bei den wahlen 2008 eine wahlbeteiligung von mehr als 70 prozent erwartet; für us-verhältnisse könnte gar ein rekordergebnisse herausschauen.

die mobilisierungskampagne
beide parteien setzen heute auf die mobilisierung der 150 million wählerInnen, die sich registieren liessen. obama warnte die seinen vor tagen: ein wahlsieg in den umfragen sei nichts, nur ein wahlsieg in den wahllokalen zähle. seither ist alles darauf ausgerichtet, die menschen, die überzeugt sind, den demokraten zu wählen, zur tat zu bewegen.

typisch hierfür ist ein video, das die demokraten motivieren soll. gezeigt wird, wie das wahlergebnis verkündet wird: mccain siegt mit einer stimme vorsprung. das wurmt: wäre ich nun auch gegangen, hätte obama doch gewinnen können. der sünder, der den wahltag vergessen und damit die politik bestimmt hatte, wird denn auch beim namen genannt; er soll zu spüren bekommen, was er verscherbelt hat.

die demokraten greifen damit ein dilemma auf, das die wahlforscher schon länger beschäftigt: was ist mein persönliches interesse, wählen zu gehen, wo doch die chance, dass meine stimme den ausschlag gibt, fast null ist?, lautet die frage. denn wer individualistisch argumentiert, wie das viele amerikaner tun, kann leicht zum schluss kommen, nichtwählen sei gleichwertig wie irgend etwas wählen.

wahlkampf in der schweiz – wahlkampf in den usa
die schweiz könnte sich eine scheibe von dieser art wahlkampf abschneiden. wählkämpfe in der schweiz bestehen häufig darin, einer gruppe verdienter parteimitglieder die ausarbeitung eines programms zu übertragen, einen befreundeten politologen das ganze bewerten zu lassen, um dann direkt zum werber zu gehen, der schon längst eine idee für ein gutes wahlplakat hatte, das er nun umsetzt. um die zeitungen dafür zu interessieren, plaziert man noch einige bezahlte inseraten in der lokalpresse.

in den usa finden die wahlkämpfe zwar auch in den medien statt. doch darüberhin sind ganze stäbe freiwilliger, die auf die mobilisierung des elektorates aus sind. die vorwahlen sichern, dass sich die parteigebundenen wählerschaft frühzeitig identifiziert. danach realisiert man grossveranstaltungen, um in regionen, die parteipolitisch umkämpft sind, die entscheidung zu beeinflussen. und schliesslich kommt das klinkenputzen von tür zu tür, die mobilisierung telefon- und sms-aktionen.

die vorzeitige stimmabgabe
21 monate lang hagt barack obama kampagne geführt. 450 million dollar hat er ausgegeben, knapp doppelt so viele wie sein gegner. damit hat alles bisherige auf den kopf gestellt. das heute ein historischer tag ist, bekommt so eine doppelte bedeutung.

nicht mitgehalten hat mit diesem tempo und ausmass die modernisierung der wahllokale. die wahlmaschinen, welche die stimmabgabe registrieren, bleiben knapp bemessen. deshalb sind diesmal 34 gliedstaaten dazu übergegangen, die vorzeitige stimmabgabe zuzulassen. in vier jahren soll das landesweit möglich sein. man hofft, so den drohenden kollaps am election day vermeiden zu können. den das gedränge ist nach stunden langem schlange stehen gross. man rechnet mit einer minute zeit, die man hat, seine stimme für den präsidenten, für das repräsentantenhaus und für den senat abzugeben. abgesehen von den 11 governorwahlen, und den volksabstimmungen in den staaten.

bis gestern hatten bereits mehr als 30 millionen us-amerikanerInnen ihr kreuz gemacht. ob für obama oder für mccain weiss man nicht, doch sieht man der registrierung an, ob es sich um wählende der demokratischen oder republikanischen partei handelt. angenommen, sie wählt auch die partei, für die sie sich registrieren liessen, kann man jetzt schon abschätzen, wer führt. einen schweizer wahlbeobachter wie mich schüttelt es dabei kräftig: denn nicht nur die beteiligung wird umgehend kommuniziert, auch die voraussichtlichen kräfteverhältnisse werden in den medien bekannt gemacht.

ist dixville überall in den usa?

demnach scheint dixville nicht nur ein dorf zu sein, an das man sich alle vier jahre erinnert. vielmehr steht es 2008 stellvertretend für viele orte in den vereinigten staaten. denn heute morgen führten die demokraten mit 57 prozent vor den republikanern mit 43 prozent der stimmen.

morgen wissen wir es (hoffentlich!), ob es richtig war, heute schon zu sagen: “good morning, the new united states!”

town rambler
between denver and washington

no, you can’t!

keine politische bewerbung polarisiert gegenwärtig so wie die von sarah palin. die wiederauferstandene muttergottes ist sie für die einen, ein miserabler abklatsch von paris hilton für die andern. ein augenschein des stadtwanderers.


sarah palin, the running mate von john mccain, wie sie sich gerne gibt und wie sie gesehen wird

die newcomerin in der amerikanischen politik
in den drei tagen nach der nomination von sarah palin (sprich: pale-in) als republikanische running mate lasen mehr als eine million menschen ihren im englischen mächtig frisierten wikipedia-eintrag, was diesen auf platz 1 der nachgeschlagenen beiträge im global verfügbaren internet-lexikon brachte.

zwischenzeitlich weiss man auf der ganzen welt mehr über stärken und schwächen der gouverneurin aus alaska als man auf wikipedia nachlesenkann. zwar brachte das liebkind der religiösen rechten in den usa zunächst einen mächtigen schub in die john-mccain-rally, traf das gemischte doppel doch die schwäche obamas kampagne, nachdem er sich mit hillary rodham clinton überworfen hatte und nur im herrendoppel antrat.

doch dann offenbarte sich im knallharten mediensystem der usa rasch, wo die schwäche von sarah palin ist: in den tv-interviews konnte die alles entscheidende fernsehnation live miterleben, wie wenig frau von nationaler politik verstehen darf, um bei den republikanischen grossvätern gehätschelt zu werden.

die bisherigen reaktionen
überheblicher elitismus sei nicht angebracht, kritisieren seither die republikanischen editorialisten die negativ-kampagne der intellektuellen städter gegenüber der politikerin aus wasilla. in der tat, fragt man die menschen im mittleren westen, gibt es nicht nur schlechte zensuren. die 46jährige wirkt als energischer motor auf den politbühnen der republikanern, denn sie ist viel enthusiastischer als der 71jährige vietnam-veteran. die vierfache mutter strahlt die typisch amerikanische unbekümmertheit aus, die den imperfekt der politischen lösungen in den usa rechtfertig: sie ist lebensfreudig, optimistisch und unverdrossen. und: ihr berühmt gewordener zeigefinger an der rechten hand weiss, wo es inskünfig ganz allgemein entlang gehen soll!

palin wirkt auf die konservativen amerikaner aktiv, ja attraktiv. dabei ist sie nie schulmeisterlich, aber meisterlich. das hat sie zur vorbild für viele gemacht, sie sich liebend oder auch verachtend in ihr widerfinden. ihre hochgesteckte frisur wirkt stilbildend, die palin-brille ist ein markenzeichen und ihre feuerroten jacket sind kult.

selbst die comediantInnen kommen nicht mehr an palin in all ihre facetten vorbei. tina fey ist nur die bekannteste unter ihnen, die selbst palin zum lachen brachte. weniger öffentliche freude dürfte die vizepräsidentschafts-bewerberin dagegen haben, wenn stripperinnen ihren jugendsünden nacheifern. die werbung hat den trend zur beliebten immitation der letztlich unbeschriebenen newcomerin in de amerikanischen sofort erkannt und nachgedoppelt. palin als elch-jägerin und barracuda-fischerin garantieren bodenständigkeit, die sich zur kompetenten air force pilotin weiterentwickelt oder sich auch im patriotischen bikini als waffennarr präsentiert.

doch damit nicht genug: die gegner haben edvard münch hervorgeholt, um die angst vor palin zu symbolisieren; generell machen sie mit subkultureller streetart auf ihre sichtweise der kandidatin aufmerksam.

personalisierung ja, mehrheitsthemen nein
von der politikwissenschaftlichen wahlforschung, die von amerikanischen professoren geprägt wird, habe ich gelernt, dass es selbst in den usa mit ihrer traditionell hohen parteibindung schwierig ist, parteien als ganzes zu kommunizieren. deshalb greift man hierzulande gerne auf vereinfachende konzepte wie die personalisierung oder themenzuspitzung zurück.

effektiv ist es palin gelungen, sich in ganzer kurzer zeit in den staaten wie auch auf der welt bekannt zu machen. keine kampagne hat die aufmerksamkeit der amerikanischen öffentlichkeit so focussiert wie ihre. im imagekorrektur der partei war der alten garde abgewirtschafte neokons nur recht, denn sie sind nur noch ein müder abklatsch der konservativen revolution, die ronald reagan vor einem viertel jahrhundert eingeleitet hatte.

doch ist es sarah palin nicht gelungen, auch nur ein drängendes politisches thema so zu besetzen, dass sie als mögliche präsidentin der usa ernst genommen werden kann. kreationismus in der schule, rigidste abtreibungspolitik und verbot gleichgeschlechtlicher ehen lässt bei der minderheit der religiösen fundamentalisten das herz schneller schlagen. doch für die mehrheit muss man in der wirtschafts-, gesellschafts- und aussenpolitik punkten, wo sich bei palin eine ebnso grosse leere wie in den taschen der wallstreetler öffnet. lawrence eagleburger, früherrer republikanischer secretary of state der vereinigten staaten, ist denn auch überzeugt, dass palin das amt, das sie anstrebt, nicht ausfüllen könnte.

so ist es nicht verwunderlich, dass es die lokalen geschichten über amtsmissbrauch der gouverneurin, über doppelmoral in familie und politik durchschlagend bis in die weltpresse schaffen und nur misstrauen gegenüber einer republikanischen kandidatur für das amerikanische präsidium zulassen.

auch bei mir, sodass mir nur eins bleibt: no, they can’t!

town rambler
denver, colorado

wahre lügen

wie treffend bidu mit seinem nächtlichen kommentar war: ich bin kein schlappes eichhörnchen nicht, sondern eine gwundrige maus. das mit dem durchfall war eine täuschung. hier mein erster bericht aus den staaten.

direkte demokratie in california am beispiel der “prop. 11”
kalifornien ist die grösste direkte demokratie der welt. 37 millionen menschen sind hier stimmberechtigt. anders als bei uns wird abgestimmt, wenn wahlen sind. 12 vorlagen, sog. propositions, liegen diesmal zur entscheidung auf.

um einen direkten eindruck vom geschehen zu bekommen, besucht unsere reisegruppe die abschliessende medienkonferenz des gouvernors arnold schwarzenegger zu “proposition eleven”. keine einfache sache, denn es geht um die interessen der parteien,auf die der regierungschef angewiesen ist.

bisher konnte das parlament die wahlkreise festlegen. gemäss einer initiative soll das inskünftig eine kommission von 14 mitgliedern, bestehend aus 5 demokraten, 5 republikanern und 4 parteilosen, machen.

schwarzeneggers kampagne

arnies auftritt im garten vor seinem regierungssitz ist ausgesprochen professionell. der ehemalige bodybilder, leicht in die jahre gekommen, profitiert davon, ein überzeugender schauspieler zu sein. sein habitus ist staatsmännisch, seine worte sind gewählt. er kommt gleich zu sache, und er hält sich kurz.

er verspricht weniger parteienmacht, wenn man, wie er, “prop. 11” zustimme. denn das parlament habe kein interesse an wahlkreisreformen, das die bisherigen gewählten nicht stütze. das erhalte die bestehende macht, weiss der republikanische gouvernor, und es bevormunde die bürgerInnen, setzt er nach.

schwarzenegger sind vor allem die wirtschaftsverbände gefolgt. sie haben, nebst den freunden des regierungschefs, die unterschriften für die volksabstimmung gesammelt, und sie bilden mit ihm die pro-kampagne. eine illustre schar prominenz aus politik verstärkt das komitee, das namentlich in den wichtigen zeitungen wie die los angeles times unterstützung findet.

die letzte umfrage macht vorteile für die befürworterInnen sichtbar. leicht anwachsende 45 prozent stehen auf ihrer seite. die gegnerschaft hat bisher nur 30 prozent hinter sich. und 25 prozent sind eine knappe woche vor der abstimmung unschlüssig. das kenne ich!

von schwarzeneggers gegenspielern hören wir wenig. doch sie werben im fernsehen. senatorin barbara boxer führt die opposition an. ihr ist es vor allem gelungen, ihre demokratische partei in dieser frage auf die nein-seite zu ziehen. nancy pelosi, die mächtige präsidentin des amerikanischen repräsentantenhauses in washington, weiss sie auf ihrer seite.

die gegnerInenn wettern wegen den kosten gegen “prop. 11”. kalifornien sei hoch verschuldet; es können sich ein neues wahlkreisgremium, dessen mitglieder je 300 dollar im tag kassieren würde, nicht leisten. das muss schwarzenegger treffen, der im demokratischen kalifornien vor allem wegen der misswirtschaft seine vorgängers gouvernor geworden ist. auf der nein-seite lässt man denn auch kein argument gegen die momentane macht aus: hinter dem rücken der wahlkreisexperten würden sich partikularinteressen unabhöngig von der politik durchsetzen, ist ihr giftigstes argument.

schweiz und kalifornien im vergleich

die befürworter stecken 2,5 mio. dollar in die kampagne; die gegner haben nur 1 million. darüber spricht man in kalifornien ganz ohne scham. und auch der gouvernor schweigt nicht wenige tage vor der entscheidung, die mittels umfragen bis zum schluss begleitet wird.

trotz dieser offensichtlichen differenz zur schweiz, erinnert der abstimmungskampf in vielem an das, was man aus der schweiz kennt: wenn lokale interessen im spiel sind, haben die parteien mühe, ihre exponenten hinter sich zu scharen; die wirtschaft sponsort kampagnen, welche die parteienmacht brechen, und die medien favorisieren die exponenten, die (warum auch immer) als personen für ein ja oder nein stehen.

wer gewinnt, wissen wir in der wahlnacht. wer mitfieber will zu “prop. 11” kann dies via ballotpedia tun, einer hervorragenden übersicht über alle 152 volksabstimmungen, die am kommenden dienstag in den vereinigten staaten stattfinden.

vom sinn des einblicks vor ort

einen vorteil hat es allerdings, direkt vor ort zu sein: in den tagen, in denen wegen börsencrash, verschuldungsfalle und rezessionsängsten jeder jedem misstraut, ist “credibilty” ein doppeldeutig entscheidendes wort. was zählt, ist was man in den eigenen händen hat und was man selber gesehen hat. das könnte fast zum schlagwort über die auslaufenden amtszeit des präsidenten werden, der mit einer lüge einen krieg entfachte, von der sich mittlerweile sein eigener aussenminister von damals distanziert hat.

in kalifornieren hat das noch mehr brisanz, denn eine der hauptrollen, die arnold schwarzenegger inne hatte, war ausgerechnet die in “true lies”, den wahren lügen. genau das ist es, was man nicht zu unrecht in der politischen debatte hier immer wieder hinterfragt: was von dem, was gesagt, gezeigt und geschrieben wird ist echt, und was nur ein fake. denn wahre lügen sind beides!

town rambler

nachtrag:
die vorlage wurde schliesslich mit 50.6 prozent zustimmung angenommen!