einander auf augenhöhe begegnen

der kanton bern entscheidet am 26. september 2010 über das ausländerstimmrecht in seinen gemeinden. klaus armingeon, mitglied des initiativkomitees “zäme läbe – zäme schtimme” erklärte der bz von heute, warum er sich dafür einsetzt.

82021835-28289590neuenburg ging 1848 voraus, es folgte der jura bei der kantonsgründung. seither haben fribourg, genf und waadt das ausländerstimmrecht auf kommunaler ebene in ihre verfassung eingeführt. jetzt entscheiden bern und basel darüber.

heute gabs einen grossen bahnhof in bern. der neue deutsche bundespräsident christian wulff war im bundeshaus staatsgast. für den kleinen bahnhof verantwortlich war klaus armingeon, gebürtiger stuttgarter, der in thun lebt, seit 1994 an der berner universität professor für politikwissenschaft ist, und sich nach 12 jahren in der schweiz einbürgern liess.

die ausländerdebatte sei bisher entweder rechtspopulistisch oder sozialpädagogisch geführt worden. beides sei falsch, sagt armingeon und plädiert für eine emotionslose bestandesaufnahme: ein fünftel der bewohnerInnen in der schweiz sind ausländer. unter den erwerbstätigen ist es gar ein viertel. oder etwas vereinfacht ausgedrückt: jeder vierte franken in der schweiz werde von einem ausländer erwirtschaftet. doch damit nicht genug: die schweiz beschäftigt im europäischen vergleich überdurchschnittlich viele hoch qualifizierte ausländer, deren ausbildung im ausland erfolgte. die wirtschaft, das gesundheitswesen und die bildungsanstalten des landes würden ohne diese nicht mehr funktionieren, und die finanzierung der sozialwerke wäre gefährdet. so seine analyse.

die einbürgerung in der schweiz sei anspruchsvoll, meint der eingebürgerte. man müsse lange hier gelebt haben, hat viel aufwand und zahle dafür kräftig. das sei so und es werde wohl auch so bleiben. gerade deshalb ist er für eine beschleunigung der politischen teilnahme. die initiative schlage das mit dem stimmrecht auf gemeindeebene vor.

ihre annahme im kanton wäre ein positives signal, hofft der initiant. die gemeinden könnten dann selber entscheiden, was sie machen wollten. wer das stimmrecht ausdehne, könnte die ausländer mit der einbindung in die lokalen entscheidungsprozesse besser integrieren. damit könnte auch eine sachliche diskussion über ausländer in der schweiz angestossen werden. dies sein höchste zeit!

politischen zuspruch bekommt das komitee mit solchen argumenten von links, aus deren kreisen das volksbegehren stammt. widerspruch findet es auf der rechten seite. der grosse rat war mit 80 zu 71 recht knapp dagegen. zur meiner grossen überraschung, sprach sich auch die berner zeitung, die das interview führte, für die vorlage aus. sollte es am 26. september ein ja geben, ist damit zu rechnen, dass die grösseren städte des kantons das ausländerstimmrecht einführen, während dies auf dem land wohl nur zögerlich der fall sein dürfte.

doris leuthard, die bundespräsidentin der schweiz, meinte heute mit einem augenzwinkern zu ihrem kollegen wulff: die schweiz sei nicht nur die kleine schwester deutschland. die gute positionierung in zahlreichen rankings belege, man begegne deutschland auf augenhöhe. gerade das möchten zahlreiche ausländerInnen, die hier gut integriert sind, mit den schweizerInnen bald auch tun können, wenn es um fragen der schulen, des verkehrs, der fürsorge und der umwelt geht. denn steuern zahlen sie jetzt schon.

stadtwanderer

sprachgrenzschlängeln

von weitem gesehen spricht man gerne vom klaren und tiefen röstigraben. von nahem ist das ganze viele komplizierter. erfährt man beim wandern in der grenzregion oder im buch “Die Röstigrabenroute“.

26435786zjean-françois bergier, der kürzlich verstorbene doyen der schweizer historiker, war skeptisch, wenn man vom röstigraben sprach. denn ein loch entlang der sprachgrenze sah er nie. vielmehr zog er die französische metapher des vorhangs vor, in realität bestehend aus sprachen, mentalitäten und weltdeutungen. der röstigraben kam für ihn vor allem im fernsehen vor, das ihn mit seiner auf sprache und region beruhenden eigenheiten vertiefe, meinte er. für die deutschschweizerInnen wurde die französischsprachige schweiz zur romandie, obwohl genf und sitten, lausanne und fribourg, porrentruy und neuchâtel nur beschränkte gemeinsamkeiten haben. genau das gilt auch umgekehrt, wenn die französischsprachigen via fernsehen auf die deutsche schweiz schauen, und die mit dem allgegenewärtigen zürich gleichzetzen oder von den finsteren kräften aus der suisse profonde bestimmt sehen.

an dieser kritik ist einiges richtig. denn es gibt in der schweiz auch andere gegensätze als die sprachregionen. zum beispiel die der städte, ihrem umland, der berge und der täler. zum beispiel die der offenen und verschlossen kulturen. zum beispiel die der konfessionen, die kollektiv oder individuell ausgerichtet sind. zum beispiel die der schichten, die vermögend oder arm sind. überall, und auch entlang der sprachgrenzen.

der journalist christoph büchi, der viel über die verschiedenen verhältnisse in den schweizer regionen nachgedacht hat, glaubt, die alltagskulturen seien entscheidend, die sich in dialekten und kleidungen zeigten, aber auch im humor, der phantasie und der kunst äusserten. das zentrale an den sprachregionen erkennt er einzig in den grössenordnungen: die deutschsprachige schweiz hat viel mehr einwohnerInnen als alle sprachminderheiten zusammen, die ihrerseits ungleich zahlreich zusammengesetzt sind. das lässt verbreitet eine mischung aus ignoranz- dominanzgefühlen genauso wie abwehrreflexe dazu. deshalb existierten die sprachgrenzen vor allem im alltag der minderheiten.

das mag auch erklären, weshalb traditionelle sprachmischungen seit dem 20. jahrhundert vor allem auf der französischen seite am verschwinden sind. einwanderungen aus der deutschsprachigen schweiz – ein phänomen, das mit der uhrenindustrie zusammen hing – gingen wegen des rückgang an arbeitsstellen zurück. wer blieb, passte sich spätestens in der zweiten generation an, und wer das nicht wollte, bekam den politkulturellen druck der lokalen mehrheit zu spüren, wie es der neuenburger sprachforscher frédéric chiffelle ausdrückt. umgekehrt wird die sprachliche integration in der deutschsprachigen schweiz erschwert, weil man sowohl le bon allemand wie auch das patois, die standardsprache wie auch den dialekt, lernen müsste. spätestens an diesem scheitern die meisten einwandererInnen. begründet werden konnte das lange mit der suprematie des romanischen über das germanische, die sich namentlich bei den französischsprachigen mitbürgerInnen erfreute und wenig integrativ wirkte.

biel/bienne ist die einzige stadt, die ganz generell auf ihre zweisprachigkeit in der mehrsprachigen schweiz setzt, sich kulturellen einflüssen aus paris, zürich, basel und – wenn es sein muss auch bern – offen zeigt, eine verbindung zwischen juratälern und mittelland sucht, reichtum wie armut kennt und verschiedene konfessionen, nationalitäten und ideologien achtet. die stadt ist denn auch das eigentliche zentrum der sprachgrenzregion im westen der schweiz. deren vielfalt zwischen neumühle an der elsässisch-schweizerischen grenze und dem matterhorn im übergangsgebiet der schweiz zu italien kennen zu lernen, ist das ziel des sprachgrenzschlängelns, wie es philipp bachmann in seinem ebene erschienen buch im rotpunktverlag vorschlägt. 22 routen hat er ausgeheckt, die interessierte wanderer stück für stück mal dies-, mal jenseits der sprachgrenze fgehen können, die einen über berge führen und in tälern rasten lassen, die einen mal landschaften geniessen und mal auch städte im kulturmix entdecken lassen.

ich habe das buch “Die Röstigrabenroute” heute in murten gekauft, und es mit gewinn in morat gelesen, auprès du lac, wie man die dortigen gestade am murtensee nennt.

stadtwanderer

ge-schichten aus oschwand

der erstmals gemeinsam vom stadt und kanton verliehene berner literaturpreis ging diese woche an lukas hartmann, schriftsteller aus köniz. in seiner dankesrede sprach er ausgiebig über oschwand, einem unbekannten ort in der nähe von herzogenbuchsee, in dem sich die halbe europäische geschichte spiegle. das sei typisch für bern, auch, dass man das nicht wisse.

hartmann_3neuer berner literaturpreisträger lukas hartmann

“Im Blick auf diesen kleinen Ort könnte ich von Uranvorkommen erzählen, von schwarzen Perlen, von einer Hühnerrupfmaschine, vom Erdbeermareili, von milionenteuren Bildern, von der Waffen-SS, vom Berliner Theatertreffen, vom polnischen Krakau.”

denn in oschwand unterrichtete vor 40 jahren nicht nur der junge lehrer hans-rudolf lehmann alias lukas hartmann. hier begegnete er auch verschiedenartigsten menschen direkt oder indirekt, die einen bleibenden eindruck hinterliessen.

zum beispiel ein nicht namentlich genannter lehrerkollege, der 1940 wegen hitler ausriss, um als freiwilliger in der waffen-ss zu dienen; nach ostfronterfahrungen und amerikanische gefangenschaft kehrte er in die heimat zurück, um die jugend zu unterrichten.
zum beispiel cuno amiet, der bekannte solothurner maler, der 60 jahre lang in der oschwand sein atelier hatte, götti von alberto giacometti, maler aus stampa war und auch bruno hesse, dem sohn von bekannten hermann, die malerei beibrachte.
zum beispiel städter paul nizon, der gemäss seinen eigenen tagebüchern in der oschwand seinen landdienst verbrachte, und da die kraft des landlebens kennen lernte.
zum beispiel lina bögli, die hauptfigur in christoph marthalers gleichnamigem theaterstück, die schliesslich in kraukau landet, aber aus der oschwand war.
zum beispiel albert bitzius, pfarrvikar in herzogenbuchsee, der regelmässig in der gegend spazierte, um als jeremias gotthelf sein erdbeermareili im tschaggeneigraben entstehen zu lassen, der mit dem mutzgraben in oschwand identisch ist.
zum beispiel ernst glanzmann, dem wunderdoktor aus der oschwand, der daselbst sowohl seltsame schwarze perlen entdeckte, die sich als ausscheidungen von prähistorischen seeigeln entpuppten, als auch mit einem selber gebastelten geigerzähler uran auf dem gemeindebann aufspürte, und, hätte der kanton nicht interveniert, am liebsten eine kleine atomexplosion auf dem gemeindebann ausgelöst hätte.

der frühere journalist lehmann kommentierte das im berner progr so: “Sie sehen, zu welchen Abenteuern eine gründliche Recherche führt. So werden Schichten freigelegt, die zur Ge-Schichte werden, so ergeben sich Zusammenhänge, überall, und genau das ist mein Stoff – es ist der komplexe Stoff des Lebens.” genau das ist es, was der ausgezeichnete als schriftsteller macht: recherche und intuition verbinden, oder in seinen worten: “Ich finde und er-finde.”

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alles nur wegen einer hasenscharte

dällenbach fragt den verkehrspolizisten: “darf man einen polizisten kamel nennen?” dieser verneint, das sei beamtenbeleidigung. da will kari es wissen: “darf man zu einem kamel polizist sagen?” nun ist die antwort positiv, und der scherz folgt auf den fuss: “also, gute nacht, herr polizist!”

D„llebach_Kari_281was bleibt: ein schuh, ein brief und die liebe. annermarie, als sie vom tod von dällenbach erfährt.

man lacht. obwohl man die pointe kennt. denn regisseur kurt früh hat dällenbach kari mit seinem film aus dem jahre 1970 schweizweit bekannt gemacht und ein bild des stadtoriginals aus der jahrhundertwende gezeichnet, das unradierbar in uns steckt. jedenfalls bei mir ist das. seine tochter katja früh hat nun das buch zum musical “dällenbach kari” geschrieben. moritz schneider und robin hoffman haben es vertont, und andreas gergen führte auf der thuner seebühne regie. eines kann man nach dem besuch im oberland mit bestimmtheit sagen: den charakteren der porträtierten menschen kommt man im film näher, dafür wird man im musical voll von den heftigen emotionen der traurigen lebensgeschichte ergriffen.

alles beginnt mit einer hasenscharte. kari wird dafür schon in der schule gehänselt. sein einziger kamerad ist fritz, der ihm bernische lebensweiseheiten beibringt: er sei schön und reich, kari gescheit und lustig. das sei und bleibe so. wegen einer frau geraten sich die beiden schulfreunde jahre später in die haare. fritz ist aufstrebender oberst und politiker. kari hat einen schlecht frequentierten coiffeursalon. fritz ist sein erster und bester kunde, der ihm rät, mehr unter die leute zu gehen, um sich beliebt zu machen. da lernt der scheue eine tochter aus angesehenem patrizierhause kennen und verliebt sich. doch die geisers wollen vom minderen gewerbler aus der altstadt nichts wissen, denn ihre annemarie ist schon längst fritz haeberli versprochen, dessen einfluss geld in die leere fabrikantenkasse bringen soll. als sich die drei am fest auf der allmend treffen, kommt es zum eklat. annemarie tanz mit kari. fritz kränkt seinen nebenbuhler, indem er ihn einen unnützen hasenscharter schimpft und ihn zum duell herausfordert. der kneift, verfällt freund alkohol und verdirbt im streit die liebe annemaries.

fünfzehn jahre lange verlaufen die lebenswege in der ober- und unterschicht getrennt. da macht sich annemarie an der seite von fritz gedanken, weil seine politische karriere stockt. populärer müsse er werden, genauso wie kari zwischenzeitlich mit seiner volkstümlichkeit sei. fritz zögert, geht dann in den coiffeursalon seinen ehemaligen kameraden, um sich das haar schneiden zu lassen, nicht ohne einen fotografen mitzunehmen. auch kari ist zurückhaltend, schneidet dem bundesratsanwärter jedoch ein schweizerkreuz ins haar, damit jeder sehe, dass ihm der patriotismus über den kopf hinaus wachse.

alles endet, wie es in einem drama enden muss: fritz falliert bei der wahl und stirbt bei einem autounfall. kari geht an seine beerdigung, begegnet da witwe annemarie, wobei ihre liebe zueinander wieder erwacht und sie ein paar werden. kari kann so der weinflasche und seinen saufkameraden entkommen. doch seine leber ist schon krank, und als er weiss, keine woche mehr zu leben, ersäuft er den krebs im schnaps und sich in der aare, während sich die ahnungslose annemarie die frohen farben ihrer zweiten hochzeit ausmalt. ihr bleibt nur ein schuh von kari mit abschiedsbrief, der die beerdigung mit anschliessendem essen mit hame und wein regelt, bei dem man allseits lustig sein soll.

tatsächlich lebte tellenbach karl von 1877 bis 1931. im bernischen walkringen geboren, hatte er 30 jahre lang in bern einen coiffeursalon an der neuengasse 4. weil die leute auf der strasse, selbst die kunden beim rasieren gedankenlos über seine hasenscharte lachten, scherzte der sprücheklopfer mit ihnen, um mitlachen zu können und nicht in sein inneres schauen zu müssen. schliesslich nahm sich der depressive in der nacht zum 1. august das leben.

immer wieder erwacht dällenbachs zweites leben. hanspeter müller-drossaart spielt die hauptrolle pfiffig und einfühlsam zugleich. carin lavey ist seine wunderbare partnerin, die als tochter gefällt, als ehefrau überzeugt und als liebende hinreissend ist. die bühne, auf der sie wirken, ist einfach, wie es sich für bern gehört: der zytgloggenturm ist in der mitte, und alle geschichten entstehen, indem die schauspieler aus bodenfenstern kommen und in sie wieder verschwinden. einzig ein drehbarer coiffeurstuhl und zwei tischreihen skizzieren die umgebung in der altstadt.

das stück hat längen und tempi, aufregende soli und ein mitreissendes ensemble. gelegentlich lacht man herzergreifend, doch dann könnte man vor schmerz heulen. es ist ein wenig wie auf der achterbahn! 76’000 begeisterte zuschauerInnen hatte das freiluft-musical in diesem jahr. keine der früheren produktionen auf der thuner seebühne war so erfolgreich, sodass man sich für 2011 viel vorgenommen hat: was heute samstag im berner oberland derniere feiert, wird ab kommenden frühling in zürich gastieren, um die heisskalte mischung des liebeslebens eines berner stadtoriginals mit folgenreicher hasenscharte in die limmatstadt zu zaubern.

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entstand die schweiz 1291? – ein provokativer vortrag

das thema ist ernst: ist die schweiz 1291 gegründet worden? darüber werde ich ende september in thun sprechen. denn das glaubte man 1891 ganz fest und feierte den geburtstag der schweiz ausgiebig. 100 jahre später liess sich das festen nicht einfach wiederholen. nicht zu unrecht, sage ich. denn 1791 gab es gar kein gedenken an einen solche gründungstag, genauso wenig wie 1691, 1591, 1491 und 1391. was also ist sache?

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geschichte hat einen doppelten wortsinn, wie golo mann immer wieder betont hatte: es ist das geschehene in früheren zeiten und die erzählung darüber in der jetzt-zeit. geschichte ist, woran man sich später erinnert, könnte man das auch nennen. darin spiegelt sich eben nicht nur die vergangenheit, sondern auch die gegenwart.

unsere erinnerung an “1291” entstand 1891 aufgrund des wunsches der nationalen einheit. bern feierte die legendäre stadtgründung von 1191; erstmals fanden sich die alten patriziergeschlechter und die neuen bürgerfamilien zu einem festakt zusammen. die angst vor der aufkommenden arbeiterschaft liess die alten gegensätze in den hintergrund treten.

der bund nahm das zum willkommenen anlass, ebenfalls ein versöhnungsfest zu veranstalten. freisinnige und konservative, die sich im sonderbundskrieg von 1847 noch mit waffen gegenüber standen, beendeten ihren politischen dauerzwist: der erste kk-vertreter wurde in den bundesrat aufgenommen, und die volksinitiative zur partialrevision der bundesverfassung wurde auf druck der konservativen zugelassen.

zudem wurden die unterschiedlichen gedächtniskulturen wurden zusammengelegt: der fortschrittgedanke der freisinnigen mit ihrem nationalen raumdenken verband sich mit der mythologe der innerschweiz, welche die unabhängigkeit der kleinen räume von allen herrschaften seit den habsburger vögten in der tell-figur bewahrt hatte. ferdinand holder hat dieser these mit seinem tellbild den treffenden ausdruck gegeben.

allerdings wurde der geburtstag der schweiz dazu von 1307 auf 1291 verlegt. historiker wilhelm öchsli begründete die verschiebung in einem eigens für den bundesrat geschriebenen geschichtswerk, indem er der älter auffassung des humanisten ägidius tschudi widersprach, der die gründung der schweiz auf 1307 durch den bund von brunnen datiert hatte. 1891 führte das zu einem tollen fest, 1907 indessen zu einem beschämenden besuch einer kleinen bundesratsdelegation an der kleinstfeier zum 600. geburtstag der schweiz.

der (de)konstruktivismus, der im gefolge von michel foucault seinen platz in der geschichtswissenschaft erobert hat, fragt golo mann radikalisierend nicht mehr, was war, sondern warum man sich wann an was erinnert. das ist eine ideologiekritische position, welche die produktionsbedingungen von geschichte in der jeweiligen gegenwart reflektiert. ich mag das, denn es hindert einen daran, geschichte für absolut zu setzen. allerdings bin ich kein ganz grosser anhänger der daraus auch abgeleiteten beliebigkeit von geschichten, wie das die postmoderne immer wieder auch propagiert.

mein vortrag in thun, soll zeigen, wie schweizer geschichte im bewusstsein darüber, dass sie immer auch schweizer gegenwart ist, aussehen könnte. hier nur die wichtigsten stichworte dazu: die politische gleichheit von mann und frau ist in der schweizer demokratie 1971 eingeführt worden. die direkte demorkatie ist von 1874, der föderalistische bundesstaat mit bund und kantonen datiert von 1848. moderne ideen begründeten 1798 die helvetische republik, die sich von vormaligen ancien regime so klar unterschied. 1648 wurde die eidgenossenschaft reichsunabhängig, und 1499 erkämpften sich die schlachtenbummler der verschiedenen orte ihren autonomen status im kaiserreich. davor war man rund 100 jahre kräftig (zusammen) gewachsen, denn war im mittelalter war, kann kaum als schweiz bezeichnet werden.

wer gar nicht an eine gründung der schweiz glaubt, der sieht sie entstehen und an ihren konflikten wachsen, wie dem waldsterben 1984, dem generalstreik 1918, der liberal-radikalen bewegungen nach 1830, der reformation von 1528 und dem investiturstreit 1076. denn die schweiz ist eine produktive verarbeitung von regionalismen, von religionsspaltungen, von ideologien, von sozialen auseinandersetzungen und von ökologiedebatten.

ich mache es klar: mit meinem vortrag zum fulehung will ich vor dem mittelalterverein thun die these begründen, dass die schweiz nie wirklich gegründet worden ist, sondern aus den gegengebenheiten heraus entstand. sie ist keine digitalfoto, die sekundengenau datiert werden kann, sondern ein farbbild, wie man es früher im wasserbad entwickelt hat. und: immer mehr fällt das licht der gegenwart in die dunkelkammer der vergangenheit, ohne dass es immer gleich scheinen würde. deshalb ändert sich auch die geschichte der schweiz von zeit zu zeit.

wohlan!

stadtwanderer

ps:
eine übersicht über all meinen vorträge bis ende jahr gibt es hier!

der bärenstadt einen bärendienst erwiesen

oswald sigg, pensionierter regierungssprecher der schweiz, greift die profilierung berns hauptstadtregion in der nzz am sonntag – und begründet seine kritik mit der grossen bärenliebe. ein bärendienst, den er da bärenstadt erweist, füge ich an.

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oswald sigg beobachtet die tägliche abstimmung mit füssen und macht sich gedanken dazu. denn in bern pilgern täglich einheimische und auswärtige in grosser zahl zum neuen bärenpark.

gut so, sag ich da, genauso wie der in bern lebende zürcher kolumnist. doch kann ich den politischen lehren, die er daraus zieht, überhaupt nicht folgen.

denn der doktor der sozialwissenschaften sieht in der bärenliebe den beweis, dass die berner zu bärentypischer gemütlichkeit, politischem beamtentum, und behäbiger bundesstadt fähig sind, – zu mehr nicht. punkt!

stadtpräsident tschäppät, sonst vernünftig, habe sich in dieser frage von falschen beratern einlullen lassen und kämpfe nun auch für bern als aufgewertete hauptstadt.

und das mag sigg scheinbar nicht. dafür greift der früher erfolgreiche kommunikator in die unterste schublade der rhetorik-mottenkiste. bern wollen mit europäischen zentren wie paris, london oder berlin gleichziehen, unterstellt er. obwohl das deklarierte ziel der hauptstadtregion ist, den anschluss an die schweizerischen metropolen zu finden.

dafür bekommt der sonntagsschreiber der nzz den lacherpreis. genau für die von ihm selbst gewählte übertreibung wird der pensionär nämlich in 20 minuten zitiert. weil bern in den zürcher medien schlecht redet.

einen bärendienst erweist sigg damit dem land und der stadt.

stadtwanderer

wie es zu den berner bärenlebkuchen kam

man kennt die sage, wie die stadt bern zu ihrem namen kam. ich habe sie hier auch schon erzählt. nun bin ich auf eine fortsetzungssage gestossen, welche den bogen von der stadtgründung im zeichen der bären hin zur den berner lebkuchen schlägt. sie hat mir so gut gefallen, dass ich sie hier ungekürzt wiedergebe.

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“Unweit von der Stelle, an der der Herzog den Bären erlegt hatte, irrte eine junge Edelfreu mit einem Töchterlein im Arm durch das dornige Dickicht des Waldes. Ein schwerer Schlag hatte sie heimatlos gemacht.
Plötzlich krachte es im Unterholz. Sie erschraken bis ins Mark, denn eine grosse Bärin tappte daher. Das Tier aber zog freundlich brummend an ihnen vorbei und tat ihnen nichts zu leide.
Kaum hatten sie sich erholt, stand ein zähnfletschender Wolf vor ihnen. Kein Zweifel, er würde sie verschlingen. als sie vor Entsezten schrien, erschien die Bärin wieder.
Wer weiss, vielleicht hatte der Isegrim einmal eines ihrer Jungen gerissen, auf jeden Fall stürzte sich die Bärin auf den Wolf. Diese fügt ihr gefährliche Bisswunden zu. Schliesslich gelang es der Börin, ihm mit einem Prankenschlag das Genick zu brechen.
Das Schreien, Knurren und Brüllen lockte die Jäger aus der Burg Nydeck herbei. Beim Anblick der noch lebenden Bärin legte einer der Schützen einen Pfeil in den Bogen. Doch Mechthildis sprang dazwischen.
“Schonet den Bären, meinen Retter!”, rief sie.
Die Bärin, aus vielen Wunden blutend, schleppt sich fort. Wiederholt blieb sie stehen, richteten den Blick auf Mechthildis und brummte. Endlich verstand die Edelfrau.
Die Bärin wollte, dass man ihr folge. Bald darauf kamen sie an einer Börenhohle. Zwei niedliche Junge, die die Heimkehr ihrer Mutter erwarteten,. stürzten sich auf die Bärin. Sie konnten ihnen gerade nicht einmal das Gesicht lecken und Mechthildis zum allerletzten Mal in die Augen blicken. Dann verschied sie.
Die erstaunten Jäger finden die beiden Bärchen und nahmen sie zusammen mit der Frau und ihrem Töchterlein mit zur Burg. Als Herzog Berchtold vernahm, was geschehen war, war er zutiefst besorgt-. Sofort liess er sein Pferd sattel und ritt zur Höhle. Beim Anblick der tapferen Bürin, die da in einer Blutlache lag, hielt er einen Moment inne. Dann gelobt er:
“Du stabst, weil due Wehrlose mit deinem Leben verteidigt hast. Ich will dein Erbe sien! Hier will ich eine Stadt bauen zur Zuflicht der Bedrängten. Bern soll sie heisst, und ein schwarzer Bär soll ihr Wappen sein!”
Der Bau der Stadt mit dem Bären auf dem Wappen ging zügig voran. Ueber die Bärenhöhle wurde das Rathaus gebaut. Die Höhle selber wurde zur Schatzkammer der neuen Stadt. Die beiden Bärenwelpen wurde in der Burg aufgezogen und immer gut behandelt. Die Stadtbäckerei wurde damit beauftragt, ihnen besonders schmackhaftes Brot zu bakcen. Junge Ritter machten es sich zum Vergnügen, mit ihnen zu ringen und ihre Kräfte und ihren Mut an ihnen zu messen.
Als dann die Weihnachtszeit kam, buk die edle Mechthildis mit Honig und feinen welschen Gewürzen den ersten echten Berner Lebkuche. Auf dem Gebäck waren die Bärin und ihre Jungen abgebildet.”

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(aus: wolf-dieter storl: der bär. krafttier der schamanen und heiler, AT Verlag, 2009, 3. Auflage)

huttwil – die stadt des übergangs

wir sitzen im garten eines stattlichen restaurants, nahe der hauptstrasse durch huttwil und trinken eine ovo, bevor die erkundungsreise durch den ort im obersten langetental beginnt, die um das werden, das aufbegehren und das wachsen der 5000 einwohnerInnen zählenden kleinstadt zeigt.

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stationen einer stadtwanderung: das huttwil von 1834, die krone, schauplatz des streits im bauernkrieg, und leuenberger denkmal im stadtpärkli von huttwil (fotos: stadtwanderer)

rasch entpuppt sich unser “hotel krone” als früherer sitz des schultheissen nach dem 30jährigen krieg im 17. jahrhundert. niedergebrannt wurde es 1653 bis auf die grundmauern, da der schultheiss zu “huttu” zur stadt bern hielt, während sich die stadtbewohner den bauern anschlossen, die landauf, landab aufbegehrten. “klaus leuenberger” steht noch heute unter der statue im kleinstpark bei der gewerbeschule, “obmann der bauern”. im volksmund war niklaus leuenberger der “könig der bauern”.

während des krieges hatten die bauern im emmental gute geschäfte gemacht, doch nach dem friedensschluss fielen die preise und die armut auf dem land nahm zu. in wolhusen schlossen sie ihren bauernbund, verfassten einen bundesbrief wie seinerzeit die innerschweizer gegen die habsburger vögte, und forderten die patrizier in den städten als neue “habsburger” heraus. doch waren diese nicht zu konzessionen gewillt, unterdrückten den aufstand gewaltsam und richteten die anführer, unter ihnen held leuenberger, hin.

bern und luzern bestimmen das schicksal der kleinstadt im übergang seit der landadel in huttwil nichts mehr zu sagen hat. die im 9. jahrhundert waren es die adalgoze, von den man nicht viel weiss, dann die grafen von fenis, schliesslich die grafen von rheinfelden, eigentliche vorläufer der herzöge von zähringen. bei deren aussterben 1218 wurde huttwil kyburgisch, geriet im grafenkrieg zwischen savoyen und kyburg in den strudel der widersacher. deshalb wurde der flecken mit einer mauer befestigt und erhielt er einen schultheiss.

in der schlacht von laupen 1339 war man auf geheiss des adels auf österreichisch-burgundischer seite, gegen bern, verlor mit den herrschaften aber den krieg. huttwil wurde von berner truppen aus rache im jahr darauf vollständig zerstört, später wieder aufgebaut. der guglerkrieg um das kloster st. urban, destabilisierte die herrschaft der kyburger nur zwei generationen später erneut. huttwil wurde 1378 an die freiherren von grünenberg verpfändet, und gelangte über einen mittelsmann 1408 an die stadt bern, die ihr territorium kräftig ausdehnte. huttwil kam so zum amt trachselwald, ohne aussicht, selber einmal ein regionales verwaltungszentrum zu werden. das interesse der stadt bern an huttwil beschränkte sich nach der reformation auf einen sicheren ort nahe der kantonsgrenze zu luzern und damit auch an der scheidelinie zwischen den konfessionen.

seinen eigentlichen aufschwung erlebte huttwil im 19. jahrhundert. 1834 brannte der ort nach der liberalen revolution im kanton nun zum dritten mal nieder, und wurde er im spätklasizistischen stil wieder aufgebaut. die strassenführung im kern verläuft seither geometrisch, einzig die reformierte kirche widersetzt sich den geraden. die vorherrschende länge des städtchens im oberen langetental wird durch die eisenbahn, deren station leicht ausserhalb des zentrums liegt, verstärkt. die verbesserten verbindungswege liessen am ende des 19. jahrhunerts neben dem traditionellen gewerbe vor allem die möbelfabriaktion aufkommen, die bis zur krise am ende des 20. jahrhunderts die meisten arbeitsplätze stellte. seither stagniert die bevölkerungszahl bei knapp 5000 einwohnern. nicht alle, die in huttwil aufwachsen, wollen bleiben!

huttwil, wird mir nach einem aufenthalt klar, ist eine kleinstadt des übergangs zwischen ehemals burgundischem und alemannischem gebiet, zwischen adelherrschaften im südosten und nordwesten, zwischen bern und luzern. die topografie prägt diesen raum des transits, der durchgang zu fuss, zu pferd, mit kutsche, bahn oder auto verstärkt in. für einheimische wie der einheimische gross- und gemeinderat adrian wüthrich genauso für zaungäste, wie den vorbeibloggenden

stadtwanderer.

im mittelpunkt des mittellandes im mittelalter

bevor sich die eidgenossenschaft etablierte, hatte das mittelland des mittelalters einen herrschaftlichen mittelpunkt: den schlossberg von melchnau, von wo aus die herren von langenstein-grünenberg ihre tätigkeiten zwischen den habsburgern und bern entwickelten, bis sie zerrieben wurden.

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impressionen von der ruine langenstein-grünenberg im bernischen melchnau (fotos: stadtwanderer)

auf dem melchnauer schlossberg sollen frührer durch burgen gestanden sein. von der schnabelburg sieht man heute nichts mehr. die burg langenstein erkennt man nur noch in umrissen. denn der sandstein, in den sie gebaut worden war, wurde bis ins 19. jahrhundert gebrochen. dafür sieht man die grundmauern der burg grünenberg mit burgfried, zwei palassen und einer kapelle noch recht gut. bericht vom rundgang durch die verbliebenen ruinen, di im mittelalter mittelpunkt des mittellandes waren.

gruenenberg_rekonstruktion_kleindie herren von langenberg stammten aus dem oberaargau. ihr sitz war die auf der burg ob melchnau. ihre grosse tat war die stiftung des klosters st. urban, unten im benachbarten rottal. das war 1194. doch nur wenig später sterben sie aus. die grünenberger, eigentlich ministeriale der konstanzer bischöfe, begüterte freiherren im mittelland, markgräflerland und elsass, traten das prominente erbe an. 1218, bei der heirat zwischen den grafen von kyburg und savoyen, amtet ihre ulrich gar als trauzeuge.

geschickt platzierten sich die grünenberger in der gefolgschaft der grafen, herzöge und könige von habsburg, ohne ihre selbständigkeit zu verlieren. das gelingt unter anderem auch dadurch, dass sie mit den schultheissen von bern, insbesondere den von bubengergs, heiratspolitik betrieben. ihren eigentlichen höhepunkt hatten die grünenberger 1375 im guglerkrieg, geführt von angeblich erbberechtigten nachfahren der habsburger aus der champagne, die einen verheerenden feldzug ins mittelland unternahmen, das kloster st. urban besetzten, dann aber von den bauern der gegend unter führung der grünenberger geschlagen und von den berner aus dem mittelland vertieben wurden.

doch nur 8 jahre später, im burgdorfer krieg, standen die freiherren erstmals auf der falschen seite, und verloren sie mit den kyburgern gegen die ausgreifende stadt bern. 11 jahre später wiederholte sich das gleiche in der schlacht von sempach, wo sie auf habsburgischer seite kämpften und gegen die ebenso expansive stadt luzern unterlagen. das ist typisch für die eidgenossenschaft dieser zeit: der adel wird durch die städte verdrängt, deren stadtherren und gewerbetreibende zur neuen herrschaftlichen und ökonomischen oberschicht auch im oberaargau avancieren und die streitsüchtige adelsherrschaften durch verwaltungsmässig geführte territorialherrschaften ablösen.

noch einmal versuchen die grünenberger fuss zu fassen, verlagerten ihren hauptsitz nach rheinfelden und breisach, deren stadtherren sie vorübergehend werden. 1428 wohnten sie dem berühmten ritterturnier in basel bei, bei dem sich abenteurer aus aller welt massen und über das cervantes seinen don quixote schrieb.

doch mit den neuen verbindungen gerieten die grünenberger endgültig in die europäische territorialpolitik, und gingen sie endgültig unter. denn im alten zürichkrieg kämpfen sie erneut auf habsburgischer seite gegen bern, schwyz und basel, und wurden sie in der schlacht bei st. jakob an der birs vom den den habsburgern herbeieilenden truppen des angehenden französischen könig vernichtend geschlagen. so bleibt ihnen nichts mehr anders übrig, als ihren besitz im oberaargau direkt oder indirekt an die stadt bern zu verkaufen.

beim streifzug durch die ruinen wird mir klar, wie bedeutsam das adelsgeschlecht der freiherren von langenstein und grünenberg nicht nur als klostergründer, sondern auch als grund- und gerichtsherren mitten im mittelland waren, bevor sich die eidgenössische territorialpolitik bermerkbar machte, die alles, was nach habsburg aussah in den strudel zog, bis nur noch wenige grundmauern von ihrer grösse zeugen.

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die berner bären als filmthema

die berner bären kennen ein ungebrochenes interesse. jetzt soll ein dokumentarfilm zu bern und ihren bären in geschichte und gegenwart entstehen.

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dea artio, die bärengöttin von muri bei bern: ältestes zeugnis des bärenkultes in bern aus gallorömischer zeit

daniel bodenmann ist filmemacher. der neue bärenpark hat es ihm angetan. dazu will er einen dokumentarfilm drehen. doch interessiert ihn nicht nur die gegenwart, die begeisterung für urs und berna, der unfall mit dem behinderten oder der fehltritt mit den kostenüberschreitung. nein, es geht ihm um das verhältnis der berner zu ihren bären. um das zu verstehen, will er in der geschichte graben, den bär im wappen ergründen, und die bären in bern im bärengraben auferstehen lassen, und ihre tiefe wirkung auf die hiesige mentalität aufzeigen.

wir treffen uns erstmals beim zytglogge, kennen uns nicht. das rendez-vous, durch dritte eingeleitet, kann nur am 1. april stattfinden. das lässt skepsis aufkommen, die aber rasch verschwindet, als wir uns begrüssen. wir beschliessen einen spaziergang durch die stadt bis zum bärenpark zu machen. doch bleiben wir schon wenige meter danach stehen.

der bär ist seit 1513 ein ständiger gast in bern, beginne ich zu erzählen. damals kehrten die berner als stolze schlachtensieger in novarra beim mailand nach hause. als zeichen ihrer macht hatten sie einen bären dabei, den sie den franzosen abgenommen hatten. 1798 revanchierten diese sich. sie schleppten den berner bär nach paris ab, und erst einige jahre später kam bern wieder zu einem seiner wappentiere.

die legende will es, das bern seit der stadtgründung mit den bären verbunden sei. herzog berchtold soll nach vor dem aufbau der stadt erklärt haben, das erste tier, das man im eichenwald erlege, solle dem ort den namen geben. und da es ein bär war, hiess die stadt hinfort bern. das jedenfall wissen wir aus den alten stadtchroniken. doch sind die gut 200 jahre nach der stadtgründung aufgeschrieben worden.

unten an der aare erzähle ich dem filmemacher meine version, wie die stadt zu ihrem namen kam. die stelle an der alten untertorbrücke ist seit jeher ein übergang. denn die aare muss hier durch zwei felssteine mit 60 meter distanz durch. ein fähre erleichterte die überfahrt, und die gab es hier seit menschengedenken. das dürfte dem ort den namen gegeben haben. denn berna ist keltisch ein schlitz, ein engnis, und genau das meinte man mit der stelle, wo die aare durch musste und man sie auch einigermassen sicher überqueren konnte.

als die zähringer an die aare kamen, bauten sie ihre burg auf linke aareseite genau an die stelle, wo man die fähre überwachen konnte. denn für den wegn nach freiburg, lausanne und genf war der übergang von hoher bedeutung. ob sie selber im namen des bären bern regierten, ist nicht belegt. denn zur stadtgründung gibt es kaum quellen. erst als die zähringer ausgestorben waren und stadt zur reichsstadt erhoben wurde, kam der deutsche könig nach bern, und gab ihr ein siegel, das den bär enthält.

ich vermute deshalb, dass er eine art stellvertreter wurde. dass es in der nähe einer werdenden stadt noch bären gab, ist unwahrscheinlich. vielmehr wurde bewusst an die germanischen mythologie angeknüpft, um denn das prachttier lässt, wenn es sich mit einem menschen vereinigt, ein neues volk entstehen. der rückgriff war wohl auch so gemein. in der gegegend, die am ende des 12. jahrhunderts grenzland war zwischen burgundisch-savoyischen und schwäbisch-kyburgischen ansprüchen, sollte allen gezeigt werden, dass hier ein neues spezielles völkchen entsteht, das stolz ist auf seine stadt, und diese auch zu verteidigen weiss.

meinem filmemacher stockt der atem. ich solle es ihm nicht übel nehmen, das sei alles spannend, aber etwas viel aufs mal. auf jeden fall will er mich bald schon mit kamera und mikrophon interviewen. jetzt ist nur zu hoffen, dass das grosse projekt zustande kommt, den bärengeschichten weiss ich noch ein menge zu erzählen.

stadtwanderer

alles falsch: berner regierungsratswahlen müssen neu ausgezählt werden!

ein zählfehler hat das ergebnis der jüngsten regierungsratswahlen im kanton bern verfälscht. heute morgen soll die korrektur bekannt gemacht werden.

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fertig luschtig: heute wird die alte regierung verkünden, dass die neue gar nicht so zusammengesetzt sei, wie das offizielle foto vormache.

john antonakis, markting-professor in lausanne, war am montag morgen ausser sich. noch am samstag hatte die bernerzeitung seine wahlprognose für den neuen berner regierungsrat publiziert. am sonntag abend war dann klar, dass das ergebnis nicht mit der vorhersage übereinstimmte.

“da muss ein fehler unterlaufen sein”, diktierte antonakis um 0815 seinen studentInnen ins notizbuch. doch übte er so nicht selbstkritik, denn er war überzeugt, dass man sich in bern beim auszählen getäuscht habe. noch nie seien die prognosen des gurus falsch gewesen, wussten die studis nach der vorlesung zu berichten. und so waren auch sie überzeugt, das ihr wettfavorit, marc jost, der neue sunnyboy der evp, wegen eines irrtums um einen posten in der berner regierung geprellt worden war.

am dienstag war die geschichte als kolumne aus dem uni-campus im le temps zu lesen gewesen, und eine kopie davon wurde in der ehrwürdigen staatskanzlei neben dem berner rathaus etwas verschämt unter den spitzenbeamtInnen herumgereicht. in der nacht auf mittwoch schlief dann staatsschreiber kurt nuspliger, der oberste wächter über die wahlen, schlecht. denn im dunkeln erinnerte er sich an eine unrühmliche geschichte, die sich in winterthur zugetragen hatte. bei den wahlen in den dortigen gemeinderat hatte man jüngst vergessen, die stimmen aus dem e-voting-test zu den stimmen auf den wahlzetteln hinzuzuzählen. an der staatsschreiberkonferenz sei der fall kritisch, jedoch mit dem hinweis diskutiert worde, das könne passieren, wenn man nun auch virtuelle wahlzettel habe.

“du heiliger strohsack!”, soll nuspliger mitten in der nacht geschrien und schon um 0400 in seinem büro über dem protokoll gebrühtet haben, erzählt man sich nun hinter vorgehaltener hand. denn, ihm sei in den sinn gekommen, auch im berner oberland habe ein solcher test stattgefunden. von thun bis brienz hätten alle gemeinden um die oberländerseen daran teilgenommen. und ausgerechnet diese nicht-wahlzettel habe man am sonntag nicht zu den wahlzettel gerechnet.

alles, was seither zum wahlergebnis kommuniziert worden sei, musste also falsch sein. wenn nur der rickebacher res nicht wieder aus seiner haut fahre und sage, das sei nestbeschmutzung, dachte sich der staatsschreiber. denn dann werde der haas adi mit gestellter brust behaupten, er habe immer gesagt, alles was aus der rotgrünen regierung komme, sei schönfärberei. und das werde nun an ihm, dem ehrbahren beamten, hängen bleiben.

am donnerstag morgen nun wird der staatsschreiber dem alten regierungsrat bericht machen müssen, weiss der stadtwanderer. denn auch er war am mittwoch im rathaus, um ein kabel abzuholen, dass er am sonntag vergessen hatte. dabei erfuhr er, dass unmittelbar nach der eilends einberufenen morgensitzung ein neues protokoll zu den regierungsratwahlen veröffentlicht werde. um alles wieder ins lot zu bringen, werde nuspliger dem regierungsrat beantragen, die montagsausgabe der bz und des bundes amdonnerstag mit den neuen ergebnissen auf staatskosten nachdrucken zu lassen, sodass man wenigstens in der geschichtsschreibung nichts von dem fehler merken werde.

und davor werde man umgehend vier briefe schreiben müssen. einen an marc jost, der dank des nachzählens an sechster stelle stehe und regierungsrat werde, an philippe perrenoud, neu achter, dass er nur dank der juraklausel wieder regierungsrat sei, und einen an beatrice simon, dass sie nun siebte sei, an sich gewählt wäre, aber ausscheide, weil sonst keiner aus jura bernois in der regierung sitzen würde. der vierte brief schliesslich soll an professor john antonakis mit der bitte gehen, inskünftig das protokoll der regierungsratswahlen gleich selber zu schreiben.

stadtwanderer

svp an bdp-siegesfeier

am sonntag abend ging es in berns krone hoch zu und her. die bdp hatte die bar des restaurants gemietet, um quasi über die gasse den ebenen im rathaus verkündeten grosserfolg der partei bei den regierungs- und grossratswahlen zu feiern.

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plötzlich wieder vereint: bdp- und svp-protagonisten während des wahlkampfes, in dem sie sich nichts geschenkt hatten, feierten gegen mitternacht gemeinsam sieg und niederlage bei den wahlen (foto: stadtwanderer)

die stimmung war schon ziemlich ausgelassen, als ich nach erledigte arbeit gemeinsam mit mark balsiger (“wahlbistro”) auf ein bier wollte, und wir in der kronen-bar ordentlich hängen blieben. beatrice simon, frisch gewählte regierungsrätin des kantons bern, gab dem parteieigenen tv gerade noch auskunft, als wir eintraten. dann sprach sie noch einige worte mit uns, bevor ihr man sie ins heimatlich seedorf lotste. gerne hätte ich noch mehr gehört, über die schlammschlachten, die in ihrer früheren parteiumgebungen bis in den letzten moment vor der wahl angezettelt wurden. doch haben alle verständnis, als sie gehen will.

lorenz hess, im hauptberuf pr-berater, grossrat und kommunikationschef der bdp analyisierte den erfolg der bdp wie folgt: in jeder partei gibt es wählerInnen, die enttäuscht sind, weil man mit maximalforderungen position beziehe, ohne an sachliche lösungen zu denken. genau die habe man mit einem konsequenten auftritt angesprochen. gelb-schwarz, die farben des erfolgreichen berner fussballclubs yb, habe man gewählt, um unverwechselbar zu sein in einer zeit, wo alles auf hellblau und hellgrün mache. darüber hinaus habe man den strassenwahlkampf gepflegt, weil der mehr überzeuge und mobilisiere als teure werbung und zeitaufwendige internetauftritte.

der schweizerische parteipräsident hans grunder lief gerade zur hochform in seinem überblick zu den 25 bestätigten und eroberten sitze im berner grossen rat auf, als die türe aufging – und ausgerechnet die rechte konkurrenz in den saal drängte. einige versprengte stadtberner svpler drängten in die bar, und es war nicht klar, wer über wessen anwesenheit mehr erstaunt war. jedenfalls markierte die bdp sofort kampfbereitschaft und hielten ihre vertreter am zentralen tisch die guten plätze für besetzt, sodass thomas fuchs und erich hess nichts anderes als das stehen im zweiten glied übrig blieb.

dennoch verging das lachen den protagonisten beiden parteien, die sich im wahlkampf unter hopp-rufen der bernerzeitung bekämpft, gleichzeitig aber auch hochgeschaukelt hatten, nicht. ganz anders war das bei reto nause, cvp-gemeinderat in bern, der hinter seinem nicht ganz ersten burgdorfer bier sass, und sich beklagte, dass er den boden vorbereitet hätte für die neue bürgerliche mitte, doch jetzt die bdp erbe. als die wahlanalytiker gehen wollten, riet er zum bleiben, die arbeit morgen sei keine ausrede zum nach hause gehen, denn auch er müsse um 0730 beginnen, um beim stadtpräsidenten seine video-kameras zu verteidigen.

ich hoffe nur, in der kronen-bar hatte es nicht schon eine versteckte kamera, denn da geschah noch so manches, das sich für eine youtube-filmchen von der bdp-siegesfeier eignen würde.

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hochrechnen wie bei den regierungsratswahlen 1986

am sonntag bin ich wieder hochrechner bei den kantonalen wahlen – wie vor 24 jahren. eine erinnerung an die erlebnisse während der erstmalige durchführung vor dem grossen moment vom wochenende.

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1986 war die spannung vor den berner wahlen riesig. die existenz schwarzer kassen, mit denen der berner regierungsrat die berntreuen jurassier in den volksabstimmung unterstützt hatte, löste verbreiteten unmut aus. die freie liste entstand, und gemeinsam mit der sp errang sie die mehrheit im bernischen regierungsrat. viel hätte aber nicht gefehlt und die svp hätte diese mehrheit für sich alleine beanspruchen können. ganz aus der regierung gekippt wurde dabei die fdp, – ein novum in der berner geschichte.

der journalist hans räz, damals verantwortlicher des “regi” bei radio drs, fragte angesichts der spannenden ausgangslage die uni bern an, eine hochrechnung zu realisieren. das forschungszentrum für schweizerische politik, wie das heutige institut für politikwissenschaft damals hiess, war in einer schwierigen übergangsphase, – und nahm die herausforderung an.

zusammen mit hans hirter bereitete ich unsere erste hochrechnung vor. der interessierteste kandidat war ueli augsburger, der svpler, der neu in die regierung drängte. am liebsten wäre er selber vor dem compi gesessen, denn er glaubte, alles noch besser zu können. das war auch nach seiner wahl so, bis er über werner k. rey, den finanzspekulanten, den er nach bern gelotst hatte, stolperte und sein milliardenloch die steuerzahlerInnen stopfen mussten. gar nichts hielt markus ruf, jungtürke der schweizer demokraten und ewiger student an der uni, von der neuerung. dahinter steckten unausgegorene soziologische theorien, die stets versagt hätten, wandte er am mikorphon ein. pierre rom, der damalige parteisekretär der fdp, nahm das dankbar auf, als er die ersten ergebnisse sah, welche die fdp-kandidatInnen auf die plätze ausserhalb der regierung verwies.

in der tat schwankten unsere hochrechnungen bis in den abend zwischen einem sieg für die svp resp. einem möglichen durchbruch für rotgrün. schliesslich war es klar: die svp hatte vier der damals neun sitze gemacht, und die sp kam auf drei. die freie liste und die fdp mussten in einen zweiten wahlgang, denn ihre bewerberInnen verpassten das absolute mehr.

bis der stattfand, wurde nicht nur in bern staub aufgewirbelt. in tschernobyl explodierte der atommeiler und versetzte halb europa in angst und schrecken. genau das, vor dem die grün angehauchten freien immer gewarnt hatten, und ebenso genau das, was die fdp stets für unmöglich gehalten hatte. von dem moment an wussten alle, dass nicht nur radioaktivität aus der ukraine in der luft lag, sondern auch eine politische sensation im staate bern.

die hochrechnung zum zweiten wahlgang machte schnell alles klar. auf sich gestellt, war die fdp zu schwach, ihre regierungsbeteiligung zu verteidigen. denn die svp trat zum zweiten wahl gar nicht mehr an. dafür unterstützten die sozialdemokratInnen die bewerbungen der freien. zusammen schafften sie die erste rotgrüne mehrheit in einer berner regierung.

pierre rom kritisierte die hochrechnung an diesem tag nicht mehr. vielmehr nahm er zur kenntnis, was er befürchtet hatte, und verabschiedete sich schon früh aus dem rathaus. er habe im wahlkampf seine familie vernachlässigt, zu der er voll und ganz stehe, sagte er mit, als er ging.

vor dem rathaus feierte die freie liste ein fest mit ihrer jamaika-band. leni robert und benjamin hofstetter waren die beiden neuen freien regierungsrätInnen. hofstetter verirrte sich nach dem sieger-interview im radio drs in der obersten etage des rathauses in den zahllosen gängen des parlamentsgebäudes, bis er wenigstens den weg zurück zu uns fand. gerne führten wir ihn aus dem haus, um mit seinen leuten sein konnte.

was an diesem sonntag in den ehrwürdigen hallen alles geschieht, erzähle ich nicht erst in einem halben jahrhundert, sondern gleich auf hier.

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gemeindegrenzen neu bepflanzen

meine leserInnen kennen harald jenk als fleissigen besucher und kommentator auf dem stadtwanderer. jetzt nimmt er gemeinsam mit anderen politikerInnen eine idee auf, von der hier auch schon die rede war: wenn die beiden städte bern und köniz mehr kooperieren würden, hätte das zentrum der agglomeration bern mit 175000 einwohnerInnen schlagartig mehr gewicht.

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die drei musketiere der neuorganisation des berner raums pflanzen heute schon neue ortsschilder: die hauptstadtregion ist ihr gemeinsames ziel.

michael aebersold, giovanna batagliero und harald jenk posierten heute gemeinsam an der grenzen zwischen bern und köniz. die beiden stadtparlamentarierInnen und der grossrat hoben dabei die gemeindegrenzen schon mal symbolisch auf, indem sie ein ortsschild mit dem aufdruck “hauptstadtregion” einpflanzten.

gemeint ist damit das projekt, den grossraum bern neu zu strukturieren: die zu schaffende hauptstadtregion soll die grossflächigen, kantonsübergreifenden vorhaben wie die des verkehrs vorantreiben und koordinieren. die seit kurzem bestehende regionalkonferenz bern-mittelland will die gemeinden der berner agglomerationen unter der obhut des kantons enger miteinander verbinden. und der verein “bern neu gründen” beabsichtigt, die zusammenarbeit der kerngemeinden soweit zu intensivieren, dass auch zusammenschlüsse von bern und umliegenden gemeinden möglich werden.

letzteres wurde von michael aebersold und giovanna battagliero im berner stadtrat exemplarisch bearbeitet. man wollte wissen, wie der stand der kooperationen zwischen bern und köniz ist, und wo der berner gemeinderat ausbaupotenziale sieht. ihnen hat sich nun der grossrat aus köniz angeschlossen. auf seinem eigenen blog schreibt er: “Das Wichtigste ist, dass die Hauptstadtregion Schweiz und die Hauptstadtregion Bern für die Bürgerinnen und Bürger an Sichtbarkeit gewinnen, damit sich diese mir ihr auch identifizieren können.” genau deshalb schritten die drei sp-politikerInnen heute mit der neubepflanzung der gemeindegrenzen heute zur tat.

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die hauptstadtregion macht einen weiteren entscheidenden schritt

die kantone wallis, freiburg, neuenburg und solothurn sowie 15 städte wollen mit stadt und kanton bern die hauptstadtregion bilden. damit will man die drei metropolitanregionen der schweiz politisch und infrastrukturell vernetzen.

2008 lancierte das bundesamt für raumplanung seinen bericht zu den metropolitanregionen in der schweiz. zürich, genf/lausanne und basel wurden darin als zentren der wirtschaftlichen entwicklung in der schweiz mit internationalem anspruch empfohlen. bern jedoch blieb aussen vor.

mitte 2009 traten der berner stadtpräsident alexander tschäppät und der berner volkswirtschaftsdirektor andreas rickenbacher an die öffentlichkeit und lancierten die idee, der grossraum bern solle zur hauptstadtregion werden. ein grundlagenbericht hierzu erschien anfangs 2010 und ging in die vernehmlassung. diese ist jetzt abgeschlossen, und das erhoffte interesse hat sich konkretisiert. bis ende 2010 soll der verbund nun verbindliche gestalt annehmen, sodass die hauptstadtregion als äquivalent zu den drei metropolitanräumen dem bund präsentiert werden kann.

die stärke der hauptstadtregion liegt zweifelsohne im politzentrum bern. das hielt vor einer woche auch die berner geografieprofessorin heike mayer in der bernerzeitung fest. sie verglich den grossraum bern mit jenem von washington. ökonomisch rangiert dieser deutlich hinter den zentren wie new york, boston oder san francisco. und dennoch ist washington für die politische koordination unentbehrlich.

jetzt macht sich auch bern mit verbündeten auf diesen weg. anders als der espace mittelland erwartet man nicht mehr, dass kantone und ihre zentren exklusiv beitreten. vielmehr will man ein netzwerk werden, dass die anderen einheiten mit ihrer aussenperspektive im innern zum beispiel verkehrstechnisch verknüpft. das ist ein neues, und vielversprechendes modell.

stadtwanderer

das esch musig!

bern am ende des 15. jahrhundert: das ist eine lebensfrohe stadt mit stolz über sieg im kampf gegen den herzog von burgund. das ist eine marktstadt für das lokale gewerbe wie für den fernhandel aus frankreich und italien. und das ist eine stadt der musik, der gaukler und der pfeifer. in der kirche ertönt die orgel, die chöre erfüllen ihren raum mit gesang, und in den bürgerhäusern horcht man den tönen der instrumente, welche die renaissance verkörpern.

musik
doch in der stadt, die überschwängliche lebte, mehrten sich nach einer generation des überflusses die zeichen der umkehr: die reformation erfasste 1528 die politik und die kirche. die klöster wurden geschlossen, der staat wurde neu geordnet. das leben auf der strasse folgte strengen regeln, fast so wie im hochmittelalter. die künstler verschwanden mit samt ihren werken. singen, tanzen und musizieren wurden bis auf weiteres verboten. sitte und zucht waren wieder angesagt!

doch so ist die geschichte: sie bewahrt die erinnerung an das vergangene im stadtbild, in bibliotheken und in archivschachteln. die musik aus dem spätmittelalter ist zwar verstummt, aber sie ging nicht verloren. sie verbirgt sich immer noch in berns gassen, sie bleibt festgehalten in zahllosen notenbüchern, und sie inspiriert unentwegt die zeitgenössischen mediävistInnen.

zum beispiel in der könizer kirche, dem sakralster, herrschaftlichsten und geheimnisvollsten ort unserer gegend, wo seit diesen tagen eine ausstellung zu spätmittelalterlichen melodien gezeigt wird und ab nächsten sonntag eine serie von vorträgen zum thema mit musikalischen und kulinarischen genüssen.

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in die fremde gegangen – und fremd geblieben

im kommenden jahr feiert new bern in north carolina das 300jährige bestehen – und anderem mit einer ausstellung und einem video im berner historischen museum. wirklich näher bringt mir das die amerikanische stadt jedoch nicht.

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logo zu den feierlichkeiten in new bern

die karriere von christoph von graffenried verlief zur wende vom 17. zum 18. jahrhundert genau so, wie man es von einem patriziersohn erwartete: heirat im angesehenen kreis der stadtadeligen, studium im ausland, eintritt in die politik, landvogt in yverdon. der nächste schritt wäre die aufnahme in den kleinrat, der berner stadtregierung, gewesen. hätte es nicht einen familienzwist gegeben, der vater und sohn trennte.

christoph beschloss auszuwandern. im frühling 1710 reiste über basel, rotterdam und london in die neue welt, nahm im namen des englischen königs land, um eine hafenstadt an den gestaden des atlantiks zu bauen. new bern nannte er sie – in erinnerung an die alte heimat.

auf der suche nach rohstoffen ausserhalb des stadtbodens geriet von graffenried mit den indianischen ureinwohnern in konflikt, wurde er gefangen genommen, und als er wieder frei war, konnte er nur konstatieren, dass new bern weitgehend zerstört worden war und sich die meisten neusiedler davon gemacht hatten.

auch der stadtgründer blieb nicht mehr lange im wilden amerika. 1713 kehrte er ohne jegliches geld nach bern zurück. die neue welt sah er nie mehr. vielmehr verfolgte er den weg der alten welt weiter, wurde schlossherr in worb, und verstarb er daselbst weitgehend vereinsamt.

viele der bernerInnen, die mit von graffenried emigriert waren, kehrten nicht zurück. vielmehr wanderten sie in der neuen welt weiter und liessen sich beispielsweise in new york nieder, um ein teil des american dreams zu werden.

das alles hat die beziehungen zwischen old and new bern nicht befördert. zwar erinnert das stadtwappen von new bern an den berner bär im berner wappen, und man findet auch einige strassenschilder in new bern, welche an die stadtgründernamen erinnern. doch sonst sind die beiden städte ihre eigenen wege gegangen.

darüber kann auch die jubiläums-ausstellung im berner historischen museum nicht hinweg täuschen. zu klassisch ist der aufbau, zu sparsam wird mit dem material umgegangen, um interessierte zu überraschen. die internet-seite dazu ist “nett”, aber nicht packend, sodass von einem neuanfang nicht die rede sein kann. kein einziges projekt wird vorgestellt, dass die menschlichen verbindungen zwischen den namensvetterstädten über die gründungsfamilie hinaus befördern würde.

so bleibt ein fazit nach dem ausstellungsbesuch: vor dreihundert jahren gingen einige berner in die fremde, wurden von den fremden nicht eben freundlich empfangen. die beiden bern verhalten sich seither wie fremde – und dürften es auch über die anstehenden feierlichkeiten hinaus so bleiben. schade!

stadtwanderer

bilder unseres alltags

wer bloggt, kommuniziert. nicht nur mit den mitteln des textes, sondern auch des bildes. grund genug, sich einem herausragenden bebilderer unserer gegenwart zu widmen.

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kulturmix vor dem bundeshaus – vor lauter patriotismus nichts mehr sehen – tour de suisse (wie im fernsehen, aber echt)

yves maurer, der berner fotograf, um den es hier geht, beschreibt sich selber so: “Kritiker, Nörgler, Grübler. Vernarrt in Bilder.” er ist autodidakt, wenn es ums bildermachen geht, denn berufe hat er viele, aber andere. seinen charakter fasst er in der kürzestform wie folgt zusammen: “Kaffeeliebhaber, Beobachter, Freigeist, – reisewütig.” die ersten drei eigenschaften sprechen mich direkt an, das vierte müsste ich mit “wander-wütig” übersetzen. verbindend wirkt wiederum: “Stets bereit den unbekannten Weg einzuschlagen!” das habe ich mir für 2010 notiert.

yves maurers bilder kennen wir teilweise aus den medien. zum beispiel das nach dem unfall im bärenpark, als der angefallene mann von der ambulanz auf der bahre abtransportiert wurde. betroffenheit auslösen, ohne sensationen zu produzieren, das ist das motto des bebilderers.

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nach dem zibelemärit – berner moderne und tradition – bubenstreich in der pfadi

und genau das ist es, was mir am besten gefällt. und ein triple a verdient: aufmerksam, aussagereich, aber nicht aufdringlich sind die momentaufnahmen maurers. sie alle sind aus seinem alltag, manchmal dem aus aller welt, häufig aber aus dem in bern. denn sein point of view – auf dem internet dokumentiert – spricht an, was im konfliktreichen jahr 2009 in der schweiz jenseits des lauten geschrei geschah.

genau deshalb setze ich es als weihnachtsstern über die feiertag, und empfehle die bebildungern meiner leserschaft ganz herzlich.

stadtwanderer

wo die zauberformel ausgeheckt wurde

der stadtwanderer führte auf seiner weihnachtsführung für die fdp schweiz deren heutige bundespartei- und bundesratsfunktionäre unter anderem dorthin, wo die zauberformel für die sitzverteilung im bundesrat entstand.

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schliessfachraum schanzenpost heute: ort, wo sich die generäle der parteien in ruhe trafen, um sich zur etablierung der zauberformel abzusprechen (foto: stadtwanderer).

die historische bundesratswahl
am morgen des 17. dezember 1959 wählte die vereinigte bundesversammlung eine neue bundesregierung. gleich vier bundesräte waren zu wählen. das resultat kennt man: die sp wurde mit gleich zwei sitzen in den bundesrat integriert. die kk (heute cvp) und die fdp verloren je einen.

vor der wahl schaute alles auf phillipp etter. 25 jahre war der zuger schon bundesrat gewesen. zurücktreten wollte der konservative doyen jedoch nur, wenn auch ein freisinniger gehen würde, damit die sp als wählerstärkste partei je einen sitz der kk und der fdp bekommen könnte.

lanciert wurde die wahl am 19. november 1959. etter und der freisinnige hans streuli erklärten in einer konzertierten aktion ihren gemeinsamen rücktritt. nur einen tag später demissionierte auch thomas holenstein, und bloss 4 tage trat auch giuseppe lepori aus gesundheitlichen gründen zurück.

aus eigener kraft hätte die kk ihre position nicht halten können, doch entschied sie sich, gemeinsame sache mit der sp zu machen. denn mit ihr hatte man ebenfalls eine mehrheit unter der bundeskuppel.

die rechnung ging auf. am abend hatten die sp, kk und fdp je zwei bundesräte, die bgb einen. die bürgerlichen regierungsweise der schweiz nahm damit ihr ende. das regierungsoppositionssystem von 1848 wich damit dem konkordanzsystem. die vier grossen parteien waren in der landesregierung integriert, was politische stabilität garantiert. die kk war vom katholisch-konservativen pol im bundesrat zur mehrheitsbeschafferin geworden, die sowohl mit der fdp wie auch mit der sp regieren konnte. damit die kk nicht des linkskurses verdächtigt wurde, wählte man nicht die offiziell bundesratskandidaten der sp, sondern andere sozialdemokraten.

der königsmacher
stratege dieser bundesratswahl war der aargauer martin rosenberg. der generalsekretär der kk formte aus der katholisch-konservativen partei eine bürgerliche zentrumskraft, die mit der sp sozial- und infrastruktur betrieb, mit der fdp aber unerverändert finanz- und wirtschaftspolitik prägte. das war die neue dynamik, die nur ein parteipolitisch und personell veränderter bundesrat ermöglichte, und 44 jahre lange die parteipolitische formierung des schweizer bundesrates bestimmen sollte.

die legende, die ein nachfolger von rosenberg verbürgert, will es, dass sich der kk-stratege und sein sp-partner fst schon symbolisch in der berner schanzenpost trafen. gelegenheit zum unbeobachteten trefen bot der morgendlich gang zum postfach, das die parteigeneräle von damals noch selber lehrten. dabei legte man dabei die täglichen zwischenziele fest, um am wahltag die gewünschte parteipolitische vertretung im bundesrat zu haben.

nun weiss fdp-general stefan brupbacher, wo die kk seiner partei den dritten sitz im bundesrat strittig machte. fragt sich nur, wann er dem stadtwanderer erzählt, wo vor der bundesratswahl des 16. septembers 2009 der entscheidende ort war, an dem er mit der svp und teilen der sp den angriff der cvp auf den zweiten fdp-sitz erfolgreich abwehrte und die wahl von didier burkhalter sicherte!

stadtwanderer

game over für das finnding


“Wir haben das Online-Spiel entfernt. Es tut uns leid, wenn wir damit die Gefühle der einen oder anderen Person verletzt haben sollten.”

diese entschuldigung steht seit heute auf der website des games “finnding”. denn das geschmacklose spiel ist zwischenzeitlich von der bildfläche verschwunden. nicht ganz unfreiwillig, vermute ich.

die spendenbuttons, die das spiel zum test von sympathien zu tier und mensch hochstilisierten, waren ohne einwilligung von “wwf” und “denk an mich” aufgeschaltet worden. das ist schon ziemlich fies. der wwf drohte mit rechtlichenschritten, und die behindertenorganisationen distanzierten sich von der spendenmöglichkeit.

gewusst haben beide organisationen nichts von ihrem glück, und geld bekommen haben sie auch keins. denn allfällige spenden ging gleich aufs konto der herstellerfirma. übel, nenn ich das.

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spannender als jedes game: finn in natura beobachten (foto: yves maurer)

bernd schildger der berner tierparkdirektor bringt die sache einmal mehr auf den punkt: wie man aus einer tragödie geld- oder marktingmässigen vorteil schlage wolle, sei für ihn schlicht nicht nachvollziehbar, sagte er dem berner lokalfernsehen.

ich kann nur anfügen, dass finn gestern gemütlich im park sass, sich ein wenig im neuschnee wälzte, und allenfalls nach einer taube schnappte, wenn sie ihn reizte.

finn ist weder ein teddybär, noch jagt er menschen, damit sich gamer daran ergötzen können!

stadtwanderer