nicht alles gold was glänzt

wenn es um wirtschaftsförderung geht, ist man in bern von zürich regelmässig beeindruckt. wer es sich etwas differenzierter ansieht, denkt, die standortförderungsorganisatio “greater zurich aerea” sei der hebel hierfür. und wer ganz genau hinsieht, merkt, dass bei weitem nicht alles gold ist, was glänzt.

gza1seit 12 jahren arbeitet die gza als agentur für standortmarketing für den raum grosszürich. diese woche kündigte die direktion der kantonalen volkswirtschaft an, dass es zu einer neuausrichtung kommen werde. nun veröffentlicht die nzz von heute eine evaluierung, welche die univ. st. gallen gemacht hatte – mit kritischer bilanz.

die gza agiert in form einer aktiengesellschaft und hat dafür ein jahresbudget von 4 millionen chf. hauptaufgabe ist es, firmen in den wirtschaftsraum zürich zu holen. die evaluierung zeigt, dass das nur die hälfte der effektiven tätigkeiten umfasst. die andere hat sich aus der sache heraus entwickelt, ohne strategisch geführt und mit den instanzen der kantone und städte koordiniert zu sein. typisch, sage ich da, und verweise ich auf meinen gestrigen artikel!

die ansiedlungspolitik halte sich in grenzen, schreib der bericht weiter. zwischen 2005 und 2008 seienh 133 firmen erfolgreich angeworben worden. total habe das 549 arbeitsplätze gebracht. die regel seien kleinstfirmen, grosse fische sind selten. pro geschaffenem arbeitsplatz bezahle die allgemeinheit 24000 chf.

das profil der organisation wird denn auch kritisiert. erwogen werden drei neuausrichtungen: der erste pfad sieht vor, die gza zu einem reinen gremium der beteiligten kantone und städte zu machen. der zweite schlägt ebenfalls vor, sich von den unternehmen zu trennen, und die aufgaben der gza ganz in die kantonale volkswirtschaftsdirektion zu integrieren.

im dritten modell würde die public-private-partnership bestehen bleiben, die aufgaben der gza aber auf den ursprungszweck zurückgeführt werden. die tätigkeitsfelder und organisationsstrukturen müssten dann ganz auf das marketing ausgerichtet werden, das neue firmen gewinnt.

unter dem strich bleibt: viel weiter ist zürich auch nicht als bern, wenn es um aktive standortwerbung geht. die eben geschaffene hauptstadtregion schweiz mit städten und kantonen kommt einer der propagierten neuausrichtungen letztlich sehr nahe.

stadtwanderer

die stadt neu denken

es war eine gediegene atmosphäre. im hotel bellevue tafelten, wie jeden dienstag, die berner rotarier. dazu erhalten sie einen vortrag. gestern nun war ich an der reihe. um über die stadt in geschichte, gegenwart und zukunft nachzudenken.

tschaeppaet_berngelingt bern der sprung aus der tiefe nach ganz oben, wie es die hauptstadtregion beabsichtigt?

peter ziegler, präsident der vereinigung, selber politikwissenschafter und ex-chefredaktor des “bund”, hatte mich als stadtwanderer eingeladen, beflügelt von den sensibilitäten für das urbane, etwas über die lage in bern zu berichten. die jüngste entscheidung, die haupstadtregion schweiz zu gründen, bildete einen unerhofft eindrücklichen rahmen.

meine these zum gestrigen vortrag lautete: in der schweiz dominiert das selbstverständnis als ländliche kultur. die gemeinde ist die kleinste zelle der politischen gemeinschaft. letztlich würde sie sich gerne autonom verwalten. doch sie hört zum ämtern, kantonen, zum bund, und sie teilt sich ihre aufgaben mit den verschiedenen staatlichen ebenen. ihre überragende bedeutung erhielt die gemeinde in den 1830er jahren. die herrschaftlichen verhältnisse des ancien régimes wurden durch das aufbegehrende volk gründlich zerschlagen. das zentralistische modell, das die franzosen während der helvetischen republik einführen wollten, wurde abgelehnt, denn das dezentrale galt sichere bremse gegen die ansprüche der partrizier, zünfte und städtbürger, die sich immer als etwas besseres sahen.

damit geriet auch die schweizer stadt, politik-, verwaltungs- und wirtschaftszentrum in einem gewesen war, in die krise. ihre zukunft lag nicht mehr in der politisch abgesicherten sozialen herrschaft, denn mit der trennung von stadt und kanton und der gleichsetzung von stadt und gemeinde verlor sie ihre herausragende stellung. für die wirtschaftliche entwicklung in die breite, auch für die demokratisierung der politik war das unerlässlich – und anfänglich auch verkraftbar, lebten doch in der agrargesellschaft nur 10 prozent der menschen in der schweiz in einer stadt.

doch heute ist das alles ganz anders. mehr als vier fünftel der ökonomischen wertschöpfung werden in den urbanen gebieten erbracht. mehr als zwei drittel der einwohnerInnen leben in einer stadt oder in einer agglomerationsgemeinde rund herum. die industrialisierung hat die städte vergrössert, verstärkt, aber auch verändert. um den mittelalterlichen kern vieler städte sind neue quartiere entstanden, bisweilen sozial gehoben, bisweilen sozial bescheiden. die verlagerung der ökonomischen aktivitäten vom zweiten in den dritten sektor hat die gerade in den städte die neuen dienstleistungen im gesundheitswesen, in bildungsstätten, im handel, in banken, in versicherungen rasch anschwellen lassen. das leben auf dem grünen wurde lebensinhalt der städterInnen und hat das urbane von den zentren hinaus in die peripherien getragen. aktuelle schlägt das pendel wiederum. nicht zuletzt mit der neuen migration ist die kernstadt wieder attraktiver, wirtschaftlich, sozial und kulturell, und sie boomt, mit allen vor- und nachteilen.

mit dieser rasanten entwicklung von der stadt des 18. zu jener des 21. jahrhunderts hat die politische entwicklung nicht mitgehalten. sie ist im wesentlichen im volksdenken des 19. jahrhunderts stehen geblieben, verbunden mit einigen, eher technokratisch ausgerichteten neuerungen, die in der nachkriegszeit schrittweise eingeführt worden sind. die probleme hat das nicht wirklich behoben: so fallen die steuern dort an, wo man wohnt, nicht aber wo man arbeitet oder die freizeit verbringt. mit querfinanzierungen versucht man das gröbste zu vermeinden. doch kann das nicht darüber hinweg täuschen, dass wir in vielem über quartierfragen entscheiden, nicht über kernfragen.

den versuch, das alles wieder ins lot zu bringen, erleben wir gegenwärtig, insbesondere in bern. der kanton hat sich dezentralisiert, aber auf mittlerer stufe, denn er will mit regionalkonferenzen übergeordente fragen wie verkehr, soziales und kultur besser koordinieren. idealistInnen halten das für ein viel zu schwerfällige staatsreform, fordern, bern neu zu gründen, das heisst durch fusionen starke kernstädte in den wichtigen agglomerationen entstehen zu lassen. noch findigere zeitgenossen haben ermittelt, dass es dem kanton bern besser gehen würde, wenn er sich nach basler vorbild in bernstadt und bernland teilen um noch mehr subventionen zu erhalten. das alles zeugt davon, dass man nach neuen politischen strukturen sucht, die der gewandelten wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen realitäten rechnung tragen. weil die jetzigen nicht mehr greifen.

eines wurde mir bei den vorbereitungen zum gestrigen vortrag klar: die urbanität der schweiz hat sich in den letzten 15 jahren stark entwickelt. die ruralität ist in die defensive geraten. gerade deshalb erhebt sie sich in den hergebrachten strukturen so kraftvoll – vor allem aber als abwehr alle dessen, was man mit stadt und abstieg auf dem land in verbindung bringt, dem der abstieg effektiv droht. das blockiert uns gegenwärtig, was der bewältigung von stadt/land-konflikten wenig dienlich ist. es blockiert aber auch die perspektivische betrachtungsweise. man denkt nicht mehr an das, wass die städte in zukunft für den staat bedeuten werden, was sie brauchen, um international zu bestehen, und innerhalb der schweiz ihrer effektiven rolle gerecht zu werden.

man denke, hörte ich nach meinem vortrag einen kommentar, stadtführungen seien fürs gemüt, dabei seien sie eine herausforderung für den intellekt.

stadtwanderer

übrigens: die informativsten politische städteporträts der schweiz findet man auf dem web unter badac.

hauptstadtregion gerade noch rechtzeitig aus der taufe gehoben

nach vielen diskussionen, zahlreichen initiativen und einer planungsstudie ist die hauptstadtregion schweiz aus der taufe gehoben worden.

gruendungsvorstandder gründungsvorstand mit den co-präsidenten rickenbacher und flury an der spitze

fünf kantone, 17 städte und 3 regionale organisation haben am letzten donnerstag die hauptstadtregion schweiz gegründet. co-präsidenten des vereins sind vorläufig andreas rickenbacher, sp-regierungsrat und volkswirtschaftsdirektor des kantons bern, und kurt fluri, stadtpräsident von solothurn und fdp-nationalrat.

drei ziele verfolgt der verein:

• die gemeinsame identität stärken und die vernetzung verbessern, um das vorhandene potential der region optimal zu nutzen.
• die nähe zur politik vermehrt als wirtschaftliches kapital nutzen und die damit verbundene wertschöpfungskette stärken.
• die hauptstadtregion schweiz im schweizerischen raumkonzept schweiz gleichwertig positionieren wie die metropolitanregionen.

das ist lobenswert: denn die vorläuferorganisation, der espace mittelland, musste schliesslich ohne grosse ausstrahlung erlangt zu haben, beerdigt werden. nun hat die politik angebissen, realistische vorgaben gemacht, und ein erstes budget gesprochen. damit lässt sich ab 2011 ein netzwerk aufbauen, das einfluss nimmt, auf kommende raumanalysen, und auf institutionelle neuerungen.

symbolisch wurde der verein im inselspital gegründet, einem der zentralen wirtschaftsfaktoren der hauptstadtregion. denn das medizincluster der region kann sich sehen lassen. möglich wäre es auch gewesen, die gründung mitten im bahnhof bern vorzunehmen, weil dieser für die vernetzung des westlichen mittellandes absolut zentral ist.

im arbeitsprogramm 2011 figurieren zahlreiche konkrete projekte:

• hauptstadtfunkition: wissenschaftliche analyse der volkswirtschaftlichen bedeutung der hauptstadtfunktion und definition von massnahmen zur stärkung der entsprechenden wertschöfpungskette,
• s-bahn: aufbau eines integrierten öv-gesamtsystems mit einer leistungsfähigen s-bahn als rückgrat,
• öv-knoten bern: vertretung des projekts «Zukunft Bahnhof Bern» durch gemeinsame lobbyarbeit auf aundesebene,
• raumkonzept schweiz: zusammenarbeit bei stellungnahmen und gemeinsame lobbyarbeit bei der umsetzung des raumkonzepts,
• universitätsspital insel und weitere allianzpartner»: positionierung der hauptstadtregion als kompetenzregion für ein anwendungsbezogenes gesundheitswesen im in- und ausland,
• mehr- und fremdsprachige und internationale matura: schliessung einer lücke in der hauptstadtregion.

ich freue mich, dass das netzwerk noch knapp rechtzeitig fertig geworden ist, um die wichtigste aufgabe zu erfüllen, wie ich sie auf der website formuliert habe: “Berns Stärke als Politzentrum hat nationale Reichweite. Darauf muss man setzen und Berns Rolle national ausrichten – als zentrale Schaltstelle der drei schweizerischen Metropolitanräume Zürich, Basel und Genf/Lausanne.”

stadtwanderer

lob dem schwindenden gemeinwohl

“Selbstverständlich zurückzugreifen auf die Konensressourcen eines von einer breiten Mehrheit geteilten Gesellschaftsvertrages ist heute nicht mehr möglich.” georg kohler, der das sagt, forschte als professor für politische philosophie an der universität zürich unter anderem zum schweizerischen selbstverständnis. darüber schreibt er in der woche nach dem ja zur ausschaffungsinitiative in der nzz am sonntag ein essay zu lage der nation.

011106BEX500wenn politik zur pokerrunde jede(r) gegen jede(n) verkommt, stirbt das gemeinwohl – und damit auch die fähig, in einer welt des globalen verhandels sinnvoll bestehen zu können.

kohler zentrale frage lautet “Wie kann ein Land, dessen Lebensformen stets darin bestanden hat, in grösstmöglicher Weise neutral zu bleiben, mit der Tatsache einer mehr und mehr supranational regulierten Welt fertig werden?” seine antwort ist nicht einfach: kluge politik erfordere heute anpassung an normen, die man nicht selber gesetzt habe; sie verlange ein gefühl für die stimmungslagen von funktionseliten, welche die multipolare welt beherrschten.

kohler weiss es selber: das alles widerspricht dem kollektiven unbewussten der schweiz. dieses sei durch den krieg bestimmt worden, aus dem der wille zum zusammenhalt jenseits kultureller unterschiede entstanden sei. heute bestimme indessen nicht der krieg das geschehen, sondern die verhandlung. in verhandlungen zu bestehen, setze gemeinsame ziele voraus, die man kohörent verfolge. genau daran kranke die schweiz.

denn die inneren polarisierungen hätten tiefe gräben in den boden für eine gemeinsamen strategie jenseits der abkapselung geschlagen. anders als auch schon, seien nicht mehr verschiedene interessen die ursache. vielmehr gehe es um das eigene, den kampf um das selbstverständnis der schweiz.

die nationalkonservative seite habe mit ihrer abgrenzung von allem zunächst die besseren karten, sei es durch den rückgriff auf mythen in der geschichte oder durch die mobilisierung von unsicherheit angesichts realer veränderungen. doch all das sei trügerisch, hält kohler dezidiert dagegen, denn in der jetztzeit könne man sich gar nicht mehr abkoppeln. die bewältigung der grossen probleme der gegenwart liesse sich nur druch kooperationen lösen.

zu dem, schliesst kohler, ist die schweiz der gegenwart nicht mehr in der lage. innerlich zerrissen, beschäftige sie sich nicht mehr mit dem aussenpolitischen notwendigen, sondern nur noch mit dem eidgenössisch verträglichen. sie wähle nicht mehr den kompromiss, sondern setze auf extreme. das sei gefährlich. sinnvoller sei die suche nach dem gemeinwohl, was stets das “gut schweizerische” gewesen sei. wer das beschädige, falsch oder überflüssig finde, “der tue dem Land keinen Dienst”, meint philosoph georg kohler.

stadtwanderer

mitten in der konservativen revolution?

es ist ein grosses wort, die konservative revolution. momentan ist es in vieler leute mund, um den umbruch zu kennzeichnen, den wir gegenwärtig erleben. und so frage ich meine kritische leserschaft: stimmt das alles?

2010-48-cover-smallumittelbar nach den sieg der svp bei den national- und ständeratswahlen 2007 proklamierte christoph mörgeli die konservative revolution. der trend verweise nach rechts, und die svp müssen in medien, in schulen und in der verwaltung gestärkt werden.

spätestens mit der abwahl von christoph blocher aus dem bundesrat galt das papier des zürcher historikers als überholt. auch bei mir. angesagt war eine sachorientiert politik unter partnern mit respekt füreinander. die svp schlingerte eine weile, ging vorübergehend in die opposition und musste zusehen, wie sich der konkordanz-orientierte flügel abspaltete und zur bdp wurde.

mit der finanzmarktkrise begann jedoch ein neues kapitel auch der schweizer politik. das vertrauen in banken wurde erschüttert, als der staat der praktisch insolventen ubs mit 68 milliarden franken aushelfen musste. hinzu kam der druck der usa, aber auch der eu mit den schwarzen listen, der zur aushöhlung des bankgeheimnisses und neuen doppelbestreuerungsabkommen mit zahlreichen staaten führt. die politische aufarbeitung des ganzen ist noch im gang; sie hat den missmut der bürgerschaft gestärkt. die abstimmungsniederlagen der behörden bei der minarettabstimmung, aber auch bei der bvg vorlage zeigten dies exemplarisch.

seither ist die stimmunglage mehr oder minder aufgewühlt. die debatte um die anti-abzocker-initiative des schaffhauser unternehmers thomas minder steht exemplarisch hierfür. versuche der beruhigung kommen vom politsichen zentrum her, das sich in der allianz der mitte neu formiert hat. die vorgezogenen bundesratswahlen diesen herbst hätten diese entwicklung verstärken sollen. bis zum tag der wahl glaubte man das auch; doch mit der departementsverteilung brachen die politischen gegensätze an persönlichen rivalitäten wieder auf.

im zurückliegenden abstimmungskampf war die maximale polarisierung angesagt: svp und sp kämpften bedingungslos für ihre initiativen und verbreiteten ein gefühl von wahlkampf 2011. die medien mischten sich teils mit kampagnenjournalismus heftig ein, und der spiegel der emotionen stieg im ganzen land fast täglich an. am ende obsiegte die svp dreimal, alle andere wurden marginalisiert. trutzig wie die volkspartei ist, versammelt sie sich morgen in der romandie, selbst wenn sie dabei im tiefen schnee tagen muss. auch wenn das alles nicht freiwillig geschieht: politische manifestationen unter freiem himmel haben etwas urtümliches an sich, sind zeichen des politkulturellen wandels.

in der tat, ist das wort der konservativen wende seit dem abstimmungswochenende wieder in vieler leute mund. vom programm von mörgeli spührt man die einflussnahme der svp auf die schule. verschiedenen harmos-volksabstimmungen, die mundart-debatte, und das svp-programm für die volksschule haben das gesellschaftspolitische klima aufgemischt. der direkte übergriff auf die medien scheiterte zwar, wie das krasse beispiel der baz zeigte. dennoch ist unübersehbar, dass der einfluss der svp auf diverse zeitungen gestiegen ist und das sich in den neuen e-medien eine eigene szene ausbreitet. einzig bei der verwaltung spürt man von der angekündigten konservativen revolution noch wenig. deren politisierung wäre wohl auch ein fanal.

dazu passt, dass dieser tage diverse einschätzungen des sich abzeichnende klima ins gleiche horn stossen: die weltwoche heute ahmt einen meiner artikel zur befindlichkeit der schweiz auf dem stadtwanderer nach, indem ich über das thema des rückzugs nach innen spekulierte. unverdächtige politologen wie andreas ladner sehen ähnliches am beispiel der entwicklungen bei volksabstimmung zu fragen des fremden. journalisten und experten tendieren also zur zustimmung, und kaum ein intellektueller dieses landes erhebt seine stimme, um uns vom gegenteil zu überzeugen.

heute morgen ertappte ich mich heute bei der lektüre eines meiner interviews für eine jugendzeitschrift, das nich noch vor der abstimmung gegeben hatte, wie ich den zeitgeist vor einem monat deutete: die schweiz gibt sich bei weitem nicht auf; ihr freiheitswille ist ungebrochen. ihre moderne identität ist angesichts von wirtschaftslage und gesellschaftsdiskurs in eine krise geraten. gefragt ist, was angesichts der aktuellen unsicherheit von dauerhaftem wert erscheint.

stecken wir mitten in der konservativen revolution?

stadtwanderer

wie viele kriminelle ausländerInnen vor ort brauchte es für ein ja zur ausschaffungsinitiative?

es kommt nicht auf den ausländerInnen-anteil an, ob eine gesellschaft bereit ist, mit den Menschen, die sich dahinter verbergen, korrekt umzugehen. es kommt vielmehr auf die bereitschaft einer gesellschaft an, sich dieser herausforderung zu stellen. dabei geht es nicht einmal um die problematik vor ort, sondern um die problematik mit unseren bildern der orte.

Tagesschau vom 29.11.2010
mehr dazu hier

um gleich mögliche einwände auszuräumen: es geht mir nicht darum, den volksentscheid vom sonntag zu kritisieren. er steht, und er ist unwiderruflich. es geht mir um grundsätzlicheres: nämlich um die frage, was zum volksentscheid geführt hat.

die übliche argumentation lautet: je mehr ausländerInnen es an einem ort hat, desto mehr kriminalität durch ausländerInnen gibt es- und umso wahrscheinlicher ist ein ja zur ausschaffungsinitiative gewesen.

“mitnichten!”, muss ich entgegnen.

am vergangenen sonntag sagten kantone wie appenzell innerrhoden oder uri weit über dem mittel ja zur ausschaffungs-initiative, derweils vor allem baselstadt sie mehrheitlich verwarf. da wiederum ist der ausländerInnen-Anteil hoch, und das trifft auch auf den prozentsatz der ausländerInnen unter den straffälligen zu. in appenzell innerrhoden oder uri wiederum gilt das nicht.

das sind nicht einfach zwei herausgegriffene beobachtungen. es ist ein verallgemeinerungsfähiger zusammenhang – und das sowohl in der deutsch- wie auch in der französischsprachigen schweiz.

falsch wäre der schluss, je mehr ausländerInnen wir in der schweiz hätten, desto geringer wäre die annahmechanche von initiativen wie derjenigen zur ausschaffung krimineller ausländerInnen. denn das ist die zeitliche analyse.

richtig ist aber die folgerung, dass es regionen gibt, die zu jeder zeit mit problemen mit ausländerInnen besser zu rank kommen, als solche, die schon an geringen schwierigkeiten scheitern.

warum? zunächst hat es etwas mit lokalen mentalitäten zu tun. herrschen in einer region nationalkonservative werte vor, ist die abgrenzungsbereitschaft hoch. denn das geht häufig einher mit der forderungen einher, schweizerInnen gegenüber ausländerInnen generell zu bevorzugen. und es korrespondiert mit dem wunsch, sich gegenüber dem ausland abzugrenzen. das ist in gegenden mit vorherrschenden linksliberalen werten beileibe nicht der fall. denn da ist gleichberechtigung jenseits von nationalitäten im schwang, und eine offene schweiz wird unverändert befürwortet.

damit bin ich bei meiner zentralen feststellung: es kommt nicht nur auf die zahl, zusammensetzung und rechtsverstösse von ausländerInnen in der einheimischen bevölkerung darauf an, um zu bestimmen, wie wahrscheinlich es ist, dass man initiativen wie die zur ausschaffung krimineller ausländerInnen befürwortet. es kommt auch auf die aufnahmebereitschaft der lokalen kulturen an.

dies korresponiert mit der generellen konfliktlinie zwischen konservativer und liberale politkultur. es ist aber auch abhängig vom mediale diskurs, von der politischen werbung und von der politisierung durch parteien. denn diese politischen akteure verfestigen latent vorhandene bilder von ausländerInnen, von kriminalität und von den zusammenhängen zwischen beidem.

wo es zu solch zementierten images über ausländerInnen gekommen ist, wird über diese abgestimmt, egal, ob es lokale probleme mit ausländerInnen gibt oder nicht. die Angst davor, zustände zu bekommen, wie man sie vom hören-Sagen aus anderen orten zu kennen glaubt, lässt einen präventiv ja sagen.

und nun die pointe: in der mediengesellschaft multiplizieren sich die darstellungen gerade auch von menschen. die medialität beenflusst unserer wahrnehmungen der realität – und unsere modi der entscheidungen von sachlich bis aufgebracht.

deshalb kann es auch sein, dass es gar keine kriminelle ausländerInnen vor ort brauchte, damit man ja zur ausschaffungsinitiative sagte!

stadtwanderer

matthäus schiner, der erste schweizer kardinal

wer weiss nichts von der niederlage der eidgenossen in marignano? wohl kaum jemand, der nur das mindeste aus der schweizer geschichte kennt. doch wer weiss, wer die eidgenossen in die folgenreiche schlacht führte? kaum einer, der nicht spezialist ist für die umbruchszeit vom mittelalter zur neuzeit. die nachhilfe.

POSU5_13kardinal matthäus schiner, aus dem goms, führte die eidgenossen in die niederlage von marignano, bevor er an der seite von kaiser karl v. europäische grossmachtpolitik betrieb.

alles begann im goms und endete in rom. matthäus schiner wurde 1465 im oberwallis geboren, den tag hatte man nicht notiert. in como wurde der bub aus mühletal zum priester ausgebildet, 1499 mächtiger bischof in sitten. von da aus herrschte er über die seelen seiner walliser schäfchen, aber auch über wichtige alpenpässe zwischen nord und süd.

das machte schiner unumgänglich. denn 1493 schlossen der könig von frankreich und der kaiser frieden. sie teilten sich das burgundische erbe, und sie hofften danach, ihre macht in oberitalien zu vermehren. schiner war zeit seines lebens ein haudegen, die sich voll und ganz auf die seite des kaisers stellte. das brachte ihm die kardinalsweihe in rom; im gegenzug musste er die begehrten eidgenossen gegen den könig aus paris mobilisieren.

1512 gewannt man in pavia, 1513 in novara je eine schlacht. die söldner in den schlachten führten die gefürchteten eidgenössischen heerführer. diese wiederum lenkt der kardinal aus dem wallis. er warihr grosser stratege. rom ehrte ihn mit dem titel “Befreier Italiens und Beschützer der Kirche”. doch dann kam alles anders, als man dachte: 1515 wurde die schlacht zu marignano geschlagen. es siegten die franzosen unter françois i. 12000 eidgenossen liessen ihr leben für die grossmachtfantasie des walliser kardinals.

danach ging schiner nach zürich, denn im wallis war er nicht mehr willkommen. schiners fenster zu europa öffnete sich mit dem tod von kaisers maximilian 1519. drei könige wollten kaiser werden. der aus frankreich, der aus england und der aus spanien. schiner schlug sich voll und ganz auf die seite von carlos i., der bald darauf als karl v. kaiser wurde. der kardinal zog mit ihm im kaiserdom in aachen ein. gemeinsam mit den truppen des papstes eroberte schiner 1521 mailand zurück – seine persönlich rache für die schmerzende niederlage sechs jahre zuvor.

schiner stand auf dem höhepunkt seiner macht als der lebensfroh renaissance papst leo x.starb. nun war er einer der herausragenden papabili. erasmus von rotterdam, der humanist, empfahl den geistesverwandten als neuen kirchenführer. doch verweigerten ihm die franzosen hartnäckig ihre stimmen, bis schliesslich ein niederländer als kompromiskandidat unter dem namen hadrian vi. papst wurde. schiner folgte ihm ergeben, ohne noch lange zu leben. denn 1522 starb er in rom an der pest. fast schon symbolisch: sein grab wurde zerstört, als die kaiserlichen söldner kurze zeit später die papststadt in der sacco di roma plündern und der weltlichen machtpolitik der kirche mit ihren schweizer helfershelfern ein ende setzten.

matthäus schiner, erinnere ich mich, ist in meinem geschichtsunterricht in der schule nicht vorgekommen. erst als nach dem studium in einem zürcher antiquariat das buch über die 100 wichtigsten schweizer kaufte, erfuhr ich vom berühmten walliser. heute gilt es als global player der europäischen politik, wie ihn der freiburger historiker volker reinhard nennt. in der tat: er ersann und er realisierte auch europäische politik, wie es der konservative philosoph gonzague de reynold einst nannte.

wer weiss, vielleicht ist er genau deshalb bei vielen unbeliebt.
vielleicht ist das so, weil er mit seinern walliser gebrochen hatte.
vielleicht auch, weil er eine religös motiverter hetzer des einfachen fussvolkes war, das in marignano sein leben liess.

stadtwanderer

über immer mehr immer weniger entscheiden zu können.

im kurs der gemeindepolitikerInnen zur politischen theorie blieben wir eigentlich bei der ersten frage stehen: was ist eine demokratie? dabein entwickelten wir einen gedanken, der aus der eigenen erfahrung stammt, und sehr wohl mit den vorstellungen führender politikforscher der welt standhalten konnten.

Global Networkdie erste antwort an diesem abend war noch etwas verhalten, aber typisch: wenn das volk entscheiden kann, und die politiker doch machen können, was sie wollen! danach sprudelte es antworten: wenn man wählen, ja wenn man auswählen kann. wenn man abstimmt, in der sache entscheidet. wenn alle gleichberechtigt sind. wenn ethik und moral gewährleistet sind.

ich habe versucht, die antworten auf eine grosse schiefertafel zu schreiben – vorsortiert, ohne das unterschiedungskriterium direkt zu nennen. doch waren rechts alles verfahren, die auf institutionen basieren, und links waren alle werte und soziale grundlagen, welche diese institutionen gewährleisten.

in der diskussion dieser beiden richtungen der demokratietheorie merkten wir bald. die schweiz hat ausgebautete institutionen der demokratie, ja der direkten demokratie. wenn die so festgelegten verfahren der entscheidung funktionieren, halten wir die ergebnisse für demokratisch hergestellt und damit korrekt, egal, was dabei herauskommt. das entspricht letztlich dem denken des österreichisch-amerikanischen ökonomen joseph schumpeter, der die demokratie in radikalster art und weise als rine methode definiert hat.

das gegenstück dazu ist die materielle demokratietheorie. sie ist bei uns unterentwickelt. beispielsweise wurden die grundrechte in unseren verfassungen des 19. jahrhunderts nur beschränkt aufgenommen, und sie galten anfänglich beispielsweise für die juden nicht. vor einem jahr, bei der abstimmung über die minarett-initiative, kümmerte sich die mehrheit nicht um so solche grenzziehungen demokratischer entscheidungen. auch das ist typisch schweizerisch.

die entwickler des grundrechtskataloges in der schweiz waren die gerichte, es war nicht das volk. unter ihrem einfluss sind sie in die geltenden verfassung vom 1. januar 2000 aufgenommen wurden. und exponenten unter unseren (ehemaligen) richtern gehören heute zu den wichtigsten verteidigern der grundrechte, im namen des universalismus und der demokratie.

john keane, ein australischer politikwissenschafter, äussert sich – zufällig oder nicht – zu unserer thematik vom donnerstag abend im heutigen “magazin“. auch er unterscheidet zwischen demokratie als institution, und demokratie als geist. ersteres hätten die griechen erfunden, wie ich es auch gesagt habe. letzteres, nimmt keane an, sei mit der ausbreitung des denkenden menschen entstanden.

demokratie, so ist keanes definition, ist nicht, wenn man wählen oder (wie in der schweiz) abstimmen kann, sondern wenn die macht möglichst aufgeteilt in einer gesellschaft vorkommt. die krise der repräsentativen demokratie, die er diagnostiziert, sei eine krise gegen die konzentration der macht im parlament der nationen, weil diese angesichts der rasanten entwicklungen der globalisierten wirtschaft über immer weniger immer mehr zu entscheiden versuchten, während die bürgerInnen spürten, dass die politik zu immer mehr immer weniger zu sagen hätten.

keane glaubt, dass eine neue form der demokratie aufkommt, die monitory democracy, wie er es nennt, die beobachtete und kontrollierte demokratie, in der nicht neue institutionen des staates entstehen, aber neue formen der zivilgesellschaft. deren träger sind akteure, die parlamente und die regierung kontrollieren und kritisieren, grenzüberschreitend vernetzt sind, global kommunizieren, und lokal agieren.

soweit kamen wir in unserer theoriediskussion nicht ganz. die symptome waren aber aufgezeichnet. die bürgerInnen bringen sich ein, wenn die behörden machen was ihnen passt. aber sie wollen nicht mehr in die institutionen. sie wollen, dass ihre interessen einfliessen, wo und wie auch immer.

beachtlich, würde ich sagen, für einen kurs unter bernischen gemeindepolitikerInnen, die bereit sind, sich nach einem arbeitstag politisch weiter zu bilden, und durchaus ebenso spüren, wie die essenz der politik, ja der demokratie, die an den nationalstaat geknüpft ist, ins wanken geraten ist, ohne dass sich eine eindeutige alternative hierzu abzeichnet.

stadtwanderer

politische theorie für den abend

heute abend haben ich meinen kurs für gemeindepolitikerInnen aus dem kanton bern. ich bin gespannt. die aktualität hat mich momentan stark gepackt, und deshalb versuche ich heute abend etwas ganz anderes.

415867361_ff016246eddas bwd – vis-à-vis des stade de suisse, wo ich politische theorie für praktikerInnen unterrichte
politische theorie soll ich den kommunalpolitikerInnen beibringen. drei stunden habe ich dafür. das geht sicher nicht. nur schon weil die abgrenzung zwischen politischer philosophie und politischer theorie schwierig ist, aber auch zwischen politologischer theorie und politischer theorie gibt es keine scharfe trennlinie.

so habe ich mich entschieden, meine leute abend zu fragen: was ist eine gute politik? darüber sollen sie mal nachdenken, sich ausdrücken, und sie sollen versuchen, ihre vision zu formulieren. dann, im zweiten teil will ich fünf fragen behandeln, die aus der griechischen politphilosophie, aus der aufklärung und aus den gegenwartstheorie stammen.

das sind sie:

erstens, was ist besser: die weisheit des königs oder die weisheit aller?
zweitens, was sind die vor- und nachteile des kleinen und des grossen raumes in der politik?
drittens, soll sich der staat konfessionelle neutral verhalten, oder in konfessionalen fragen stellung beziehen?
viertens, haben wir heute noch gewaltenteilung oder nicht mehr wirklich?
fünftens, kann man gerechtigkeit überhaupt definieren?
sechstens, leben wir heute in der ersten oder in der zweiten welt, der realität oder fiktionalität?

mal sehen, wie die politiker und politikerinnen darauf reagieren? – diskussionsbeiträge auf dem stadtwanderer sind durchaus erwünscht!

stadtwanderer

polit-talk an der poschi-station

ich wartete auf mein poschi. da spricht mich eine ältere frau im wartehäuschen in der berner länggasse an. doch sie verwechselte mich, mit einem beamten bei der gewerbepolizei. als ich mich vorstellte, sagt sie, sie würde mich trotzdem kennen. vom fernsehen. und den abstimmungen. und so ergibt das eine wort das andere.

los ging es mit der ausschaffungsinitiative. sie sei taxifahrerin gewesen, sagte sie mir meine gesprächpartnerin. “wenn du einmal das messer am hals hattest”, fuhr sie fort, “und du nicht mehr weisst, ob du deine familie noch einmal siehst, machst du dir nicht lange gedanken, wie du da stimmen sollst.” sie sei für die initiative, bekannte sie, während sie ein wenig an ihrem wägelchen zog, das aussah, wie eines der post, mit dem man die grossen postfächer lehren kann.

als ich auf den gegenvorschlag zur ausschaffungsinitiative zu sprechen kam, waren wir sofort bei karin keller-sutter. der name sei ihr zu kompliziert, gab die ex-taxichauffeuse offen zu. was sie wolle, sei aber gut. da wisse man, was man habe. sie hätte es gerne gehabt, wenn die st. gallerin bundesrätin geworden wäre. mit simonetta sommaruga sei sie aber auch zufrieden. dass sie keine juristin sei, sei sowieso ein vorteil. die meisten seien keine juristen, fügt sie mit einem augenzwingern bei. gerne möchte ich antworten, ich auch nicht.

doch da wird mir das wort gleich abgeschnitten: der bundesrat sei nicht mehr viel wert. er verpasse jede gelegenheiten, sich beim volk zu empfehlen. er lebe wie die sieben zwerge. dann entschuldigt sie sich umgehend. so habe sie das nicht gemeint, aber viel vertrauen können man da einfach nicht mehr haben. selbst wenn der wirkliche zwerg nicht mehr dabei sei.

damit sind wir nahtlos bei der steuergerechtigkeit. da dampft es gleich von neuem aus dem gesicht meines gegenübers. es sei ja schlimm, dass der villiger nochmals arbeit angenommen habe. nötig habe er es ja nicht mehr gehabt. darum sei es besonders schade, dass er seine unabhängigkeit gegenüber der ubs nicht mehr genutzt habe. es sei beschämend, dass er die ganster habe laufen lassen. doch das sei wohl typisch für die fdp. die nehme es von den kleinen und gebe es den grossen. pelli gehöre auch dazu: sein generalabonnement als parlamentarier habe er gratis. von den anderen wolle er nun mehr geld. nach einer kurzen gedankenpause führt sie aber bei. “ich bin in keiner partei. ich wüsste auch nicht wo. denn darin sind sich alle politiker von links bis rechts einig: dass das volk für ihre dummheiten bezahlen müsse!”

wir verabschieden uns, denn unsere busse fahren in verschiedene richtungen. mir entgeht der nebensatz in der abendkonversation nicht: “machen sie es gut, wenn sie das nächste mal sagen müssen, wie es rauskommt!”

ich werde mich ihrer erinnern …

stadtwanderer

wissenschaft, medien und politik

diese woche wird der historiker walther hofer 90. seiner art, sich als wissenschafter auch in medien zu äussern und in die politik einzumischen, verdanke ich viel. ein rückblick auf die zeit, als ich beim berner professor studierte.

hoferhistoriker mit herz und verstand
inhaltlich hatten wir nicht selten differenzen. so war walther hofer überzeugt, der nationalsozialismus sei das werk weniger gewesen, die man dafür zur rechenschaft ziehen müsse. ich war damals fasziniert von den analysen des deutschen politikwissenschafters reinhard kühnl, der die verschiedenen formen bürgerlicher herrschaft von der demokratie bis zum faschismus untersucht hatte. hofer verwarf die idee struktureller wie auch psychologischer erklärungen vergangener politik und schimpfte, dass ich den nationalsozialismus mit all seinen vernichtungslagern auf die harmlosere stufe des faschismus stellen würde (was ich beileibe nicht tat).

hofer war am besten, wenn er sich provoziert fühlte. dann konnte man seine innere erregtheit von den füssen bis zum kopf sehen, spürte man, wie er seine seelischen kräfte sammelte, die den intellekt befeuern sollten, damit er in einem grossen bogen durch die weltgeschichte die widerwertigkeit der kritisierten aussage vorzuführen. denn dann legte er in vorlesungen sein manuskript weg, dozierte er frei, skizzierte die mächte des 20. jahrhunderts, analysierte er die programm der regierungen und parteien und erzählte er gegenwartsgeschichte, sodass man nur noch staunen konnte. das alles war nicht immer einfach, meist von seinem liberal-konservativen hintergrund geprägt. doch es beflügelte eine ganze historikergeneration, die bei ihm studiert hat. andreas blum, der frühere radiodirektor gehört dazu, erwin bischof, der sekretär des trumpf puur, auch, genauso wie der heutige eda-staatssekretär peter maurer.

meine drei jahre bei walther hofer

meine erstes thema, das ich bei walther hofer nach 1980 zu bearbeiten hatte, war das berüchtigte massaker von katyn, bei dem 1940 mehrere tausend polnische offiziere als teil einer umfangreichen aktion des bolschwestischen volkskommissariats des innern umgebracht worden waren. offiziell waren es die nazis gewesen. als sie die massengräber entdeckten, avancierten die greultaten sofort zu einem der kernthemen der propaganda. die wissenschaft musste sich dem thema stück für stück annehmen, bis der sachverhalt geklärt war und michail gorbatchev 50 jahre danach die beteiligung der sowjeunion klarstellte. die öffentlichkeit wiederum erfuhr davon wohl erst in diesem jahr, als der russische premier vladimir putin und der polinische ministerpräsident donald tusk zu einer gemeinsamen gedenkfeier aufriefen, in deren vorfeld es zum tragischen absturz eines flugzeuges mit fast der gesamten politischen staatsspitze und angehörigen des massenmordes kam.

aus diesem thema heraus entstand auch meine abschlussarbeit als historiker, die den schweizer aerztemissionen an die deutsch-sowjetische front gewidmet war. dabei ging vordergründig um eine mission des schweizerischen roten kreuzes mit 120 aerzten, hintergründig im schweizerischen aussenpolitik, die in berlin koordiniert worden war, schweizerische interessen im falle einer eroberung der sowjetunion gebündelt hatte, und deutschland gegenüber als schweizer beitrag im kampf gegen den bolschewismus deklariert worden war. dank vermittlung hofers erhielt ich den relevanten zugang zu den bisher nicht gesichteten akten, um ein kleines kapitel schweizerisch-europäischer geschichte schreiben zu können, die der mentor für ihre trouvaillen lobte, deren schlussfolgerungen zur anpassung der schweizerischen aussenpolitik zwischen 1940 und 1943 er jedoch zu verallgemeinernd fand. nichts desto trotz erhielt ich dafür den seminarpreis für die beste abschlussarbeit in meinem semester.

wissenschafter, medienmensch und politiker
vielen leuten ist hofer als svp-nationalrat in erinnerung; den journalistInnen vielleicht auch als präsident des hofer-clubs geläufig. seinen schritt von der theorie in die praxis, von der wissenschaft in die politik begründete der parteilose hofer stets mit dem ziel, schweizer aussenminister zu werden. mit seinen professuren in berlin und in new york hatte er hierfür die fährte gelegt, und man spürte in seinen ausführungen, dass der politikwissenschafter henry kissinger als amerikanischer aussenminister stets sein vorbild war.

man weiss es, walther hofer schaffte dieses ziel nicht. leon schlumpf kam ihm als svp-bundesrat zuvor. 1979 zog er sich aus dem nationalrat zurück, 1980 auch aus dem europarat. die klärung des reichtstagsbrandes als element der machtergreifung hitlers, die ihm das deutsche bundesverdienstkreuz einbrachte, und die überführung spaniens von der diktatur francos in einem parlamentarische monarchie, die hofer als vertreter der europäischen staaten vermittelte, blieben seine grössten wissenschaftlichen und politischen leistungen. in der heimat ereilte ihn 1983 ein schicksal, mit dem er kaum gerechnet hatte. seine recherchen über die verbindungen der nazis in die schweiz brachten ihm 1983 eine klage durch nachfahren des rechtsanwaltes wilhelm frick ein, die zu einer breiten solidarisierung unter historikern, gleichzeitig aber auch zu einer bisher nicht bekannten kollektiven verurteilung der geschichtswissenschafter wegen übler nachrede führte. das traf den mann, der sich ein leben lang für forschungsfreiheit als kennzeichen von demokratie ansah.

ein teil des erbes von hofer …
mit dem abschluss der matur 1939, die der sohn des gemeindeschreibers aus dem seeländischen kappelen in biel ablegte, brach der zweite weltkrieg aus. dieser hat den berner wissenschafter angetrieben, politisch wach gehalten, und den historiker geformt, der auf dem lehrstuhl wie auch in seinen zahllosen radiobeträgen stets anregend war. dem geist, welcher einer reifen persönlichkeit entsprang, fühle ich mich seit den 3 jahren, in denen ich bei walther hofer studiert habe, verpflichtet, auch wenn ich danach einen anderen weg eingeschlagen habe, auf dem ich bis heute wandere.

in diesem sinn: herzliche glückwünsche zum 90. geburtstag, walther hofer!

stadtwanderer

zum beispiel kirchberg an der emme

wer im ersten, kleinen bahnhof auf der linie burgdorf-solothurn aussteigt, wähnt sich im bernischen kirchberg. effektiv steht die haltestelle in alchenflüh, genauer noch in rüdlingen-alchenflüh, durch die emme räumlich von kirchberg getrennt, topografisch aber eine einheit bildend.

Kirche_Friedhof_ganz_mit_Waeglider kirchberg von kirchberg
kirchberg hat seinen namen von der markanten felswand über der emme, auf der die weitherum sichtbare kirche steht. 1506 wurde sie von bern aus errichtet, noch bevor die reformation bisher unwiderrufen einzug hielt. die streng-geraden wege durch den friedhof drücken das unverkennbar aus, die fein-säuberlich geschnittene rasen und die die ebenso behandelten bäume ebenfalls. im kirchgemeindezentrum ist man bemüht, dass tradition weitergegeben wird. gross ist die werbung für das teenagerlager 2010, mit fotos und erlebnisberichten, die sich an die jugend wenden.

es ist 12 uhr, als ich vom kirchberg aus in die landschaft schaue. vor mir ist der weissenstein im solothurnischen jura, und hinter mir ragen die verschneiten alpen in den himmel. alles wirkt friedlich, bis die sonore glocke die ruhe mit mächtigen getöse durchschneidet. anschliessend zwitschern ein paar aufgeschreckte vögel, um sich zu gewissern, dass die ihrigen noch leben. unmittelbar danach tönen frauenstimmen aus dem kirchgemeindehaus. sie stimmen kirchliche lieder an, und aus dem benachbarten stöckli hört man männerstimmen das gleiche tun. es ist, als kündige der ewig wiederkehrende gesang das wochenende an.

die geschichte von kirchberg

die frühesten archäologsichen funde sprechen für einen flussübergang seit 3000 jahren in kirchberg. urkundlich bezeugt ist die gegend seit gut 1000 jahren. der name rüdlingen wird als ort des sippenführers ruodilo interpretiert. die erste erwähnung im jahre 894 bezeugt daselbste eine gerichtsstätte. 922 wurde rüdlingen unter könig rudolf ii. und seiner schwäbischen gemahlin, könig berta, burgundisch. deren tochter adelheid, mitbegründerin des hochmittelalterlichen kaiserreiches im jahe 962, vermachte ihre güter im simmen-, aare- und emmental 994 dem elsässischen kloster selz, das sie kurz zuvor gestiftet hatte, und in das sich die kaiserin zum sterben zurückzog.

100 jahre nach ihrem tod kam selz zum burgundischen kloster cluny, und wurde so zu einem teil des gottesstaates des papstes, der den kreuzrittern im nahen osten als wichtige rekrutierungsbasis diente. auch kirchberg gehört dazu, wurde aber vom 13. jahrhundert an von den einheimischen herren von thorberg verwaltet. diese erwirkten 1283 von könig rudolf von habsburg die stadtrechte, ohne dass der erhoffte aufschwung eingesetzt hätte. so kam der ehemalige klosterbesitz 1429 zu bern, das 1481 die rechte, die noch fehlten, mit geld erwarb, und kurz darauf auf dem kirchberg die heutige kirche errichten liess.

1640 baute man von bern aus den bestehenden fussgängersteg zu einer hölzernen fahrbrücke aus, die 40 hochwasser überstand, bis sie 1865 durch eine eiserne, 1963 durch die bestehende betonbrücke ersetzt wurde. 1965 kam der anschluss an die autobahn n1 hinzu. die beabsichtige fusion zwischen kirchberg und rüdlingen-alchenflüe scheiterte 1973 in der volksabstimmung, obwohl man längst eine kirchgemeinde war und gemeinsam infrastrukturen unterhielt.

die ältesten gewerbebetriebe in kirchbern sind bleichereien, druckereien und der engroshandel, allesamt von unternehmerisch denkenden kaufleuten lanciert, die in burgdorf abgewiesen worden waren. mit ihnen änderte sich die fast ausschliesslich landwirtschaftlich geprägte umgebung. 1871 wurde in kirchberg ein eigener handwerker- und gewerbeverein begründet, die spar- und leihkasse sowie der eisenbahnanschluss eröffnet, was die industrielle entwicklung mit tuchfabriken, webereien und aluminiumwalzwerken einleitete. heute leben gut 5000 menschen in kirchberg, und in rüdlingen-alchenflüe sind es mehr 2000. auf zwei einwohnerInnen kommt eine arbeitsstelle vor ort, verteilt auf 270 betriebe.

die soziologie von kirchberg

eingeladen vom bürger-in-forum kirchberg hielt ich am montag abend einen vortrag in der gemeinde. thema war das verschwinden der mittelstandsfamilien. dass die normfamilie und die kinderzahlen zurückgehen, ist keine eigenschaft des subzentrums an der emme. was den mittelstand betrifft, kommt es auch in kirchberg auf die definition an.

der alte mittelstand mit landwirtschaft und gewerbe ist zweifelsohne vielerorts rückläufig. das hat mit dem wirtschaftlichen strukturwandel zu tun, zum teil auch damit, dass der mittelstand sich immer klar nach oben und unten abgrenzte, die protestantische erwerbsform des familienbetriebs hochhielt und die zugehörigkeit zu gewerbeorganisationen zur voraussetzung für wirtschaftliche tätigkeit postulierte. die neuen mittelschichten – facharbeiterInnen und angestellte – sind demgegenüber wachsend, definieren sich offener via bildung, berufsposition und einkommen. sind flexibler, auch was wohn- und arbeitsort angeht. wer gut verdient, kann aufsteigen, wessen einkünfte sinken, dem droht indessen der abstieg. luxus ist nicht angesagt, ein auto aber schon, und auch auf technische ausstattung zuhause, auswertige ferien, gesicherte altersvorsorge und gute schulen für das kind will man nicht verzichten. viele kinder zu haben, ist gerade bei schweizerInnen mit guter ausbildung kein vorrangiges ziel mehr, bei ausländerInnen mit patriarchalen familienvorstellungen schon noch.

polititisch hat man sich die breiten mittelschichten von der mitte längst losgesagt; heute dominieren bindungen an die svp oder sp, je nach vorrangigem weltbild: rechts ist das die bedrohung durch die migration, links sind es die ungleichen entwicklungschancen. das ist auch in kirchberg nicht anders. bei den letzten nationalratswahlen kam die svp auf 32 prozent, die sp auf 21, wobei die frauenliste stärker abschnitt als jene der männer. mit den grünen machte das linke lager sogar 29 prozent aus, klar mehr als die ehemals staatstragende fdp, die unter einem fünftel der stimmen blieb.

der rückblick auf eine woche eindrücke aus kirchberg

im coop-restaurant, wo ich heute zum mittagessen war, um mit ganz normalen menschen zu sprechen, werde ich von hilfsbereiten frauen, die den betrieb mit verve führen, auf kindergerechte einrichtungen achten, und eine freundliche atmosphäre unter die leute bringen, bedient. das alles wirkte harmonischer als die markantesten voten, die mir vom montag her geblieben sind. denn sie beklagten die privilegien der asylsuchenden, die mehr zum leben hätten, als arbeitenden schweizer nach ihren steuern übrig bliebe, beziehungsweise nervten sich an den superreichen, welche keine gemeinschaftliche verantwortung mehr tragen wollten und damit die mittelschichten ausbluten würden.

und so mache ich mich, voll von eindrücken zu geschichte und gegenwart in kirchberg, an die emme, grüsse im vorbeigehen adelheid, die reformation, die brückenbauer, die händler und gewerbler, die mittelschichtsfamilien und die polparteien nochmals, um in ruhe ein wenig durch die landschaften zu wandern …

stadtwanderer

wanderkarte des reichtums in der schweiz

der basler soziologieprofessor ueli mäder ist mit einem forschungsteam auf wanderschaft gegangen. er hat mit und über reiche gesprochen, seine mitarbeiterInnen haben statistiken ausgewertet und den mediendiskurs über reiche in der schweiz ausgewertet. herausgekommen ist ein stattliches buch mit dem titel “Wie Reiche denken und lenken“, das gestern im rotpunktverlag erschienen ist. dabei geht es um reichtum in unserem land, ihre geschichte und aktuelle fakten, wie man es sonst kaum präsentiert bekommt.

reichaufgefallen ist mir vor allem die karte der wohnorte mit 100 superreichste seite 316. an ihrer spitze steht der schwedische ikea-gründer ingvar kamprad (zirka 35 milliarden chf) im bernischen gstaad, wo sich auch ernesto bertarelli, bernie ecclestone und gunter sachs aufhalten. für mäder ist es typisch, dass die neureichen städte meiden. bevorzugt werden aussichstreiche see- oder hanglagen, mit direkter wasser- oder bergsicht. stadtnähe gehört immer noch zu den vorteilen, denn da lockt namentlich das kulturelle angebot.

die karte zeigt, dass der zürich-, zuger, vierwaldstätter-, luganer- und genfersee ganz besonders viele superreiche haben. da sind denn auch die meisten steuerparadiese, die mit sehr tiefen ansätzen oder pauschalabkommen milliardäre locken. nach den stadtstaaten singapur und hongkong hat die schweiz zwischenzeitlich die grösste dichte von ihnen auf der ganzen welt.

genf wiederum wirbt mit dem ruf der internationalen stadt, exklusiven privatschulen und banken, die auf vermögensverwaltung spezialisiert sind. anders ist basel, das sich kunst- und kulturmetropole empfiehlt und so den alten geldadel, den daig hält, nicht aber neureiche wie roger federer, daniel vasella oder marcel ospel. die ziehen steuergünstige gemeinden der innerschweiz zu ziehen.

in zürich und zug gibt es ebenfalls zahlreiche der superreichen. in ihrem schlepptau ziehen auch weniger reiche in bestimmte quartiere, wie dem seefeld. dies bleibt nicht ohne folgen, kaufen investoren doch häuser systematisch auf, finden sich aufwendige renovationen oder neubauten in grosser zahl, bis die einheimische bevölkerung die boden- und in der folge mietpreise nicht mehr leisten kann, sodass die soziale durchmischung schwindet. da ist schon mal von “seefeldisierung ganzer quartiere” die rede.

am radikalsten vorgehen wollte in dieser hinsicht der kanton obwalden. reiche können wünschen, wo sie bauen wollen, entsprechend wird umgezont. neun zonen mit bis zu 5000 quadratmeter boden wurden so ausgeschieden, um einkommens- und vermögensstarken personen vorbehalten zubleiben. das war dann doch zu viel des guten: in einer referendumsabstimmung wandten sich am 29. november 2009 62 prozent der einheimischen gegen die errichtung von sonderparks für exklusive lebensweise in den alpen.

stadtwanderer

ein jahr vor den parlamentswahlen …

… werde ich sicher nicht sagen, wer gewinnt und wer verliert. gedanken mache ich mir aber, in welchem klima die wahlen stattfinden werden.

Tagesschau vom 24.10.2010

die finanzmarktkrise hat die welt geschüttelt. globale krachten banken in sich zusammen, wirtschaftszahlen brachen weltweit ein, die arbeitslosigkeit stieg allenthalben, die verschuldung der staaten nahm vielerorts zu, und steuererhöhungen werden von zahlreichen regierungen erwogen. auch wenn das alles in der schweiz gemässigter ausfiel, als dies weltweit der fall, ist dabei vieles zerbrochen, was vielen wichtig war: die ubs war nicht mehr garant für stabilität, vielmehr bedrohte sie diese; dem bankgeheimnis wurde die grundlage entzogen, und die managermoral in den internationalen firmen wird vom einheimischen gewerbe und unternehmertum offen in frage gestellt.

gleichzeitig ist unser bewusstsein für gesellschaftlichen konfliktlagen sensibler geworden, denn viele menschen fühlen sich heute unsicher: die migration wird kritischer beurteilt, die schwäche der fast inexistenten integrationspolitik wird klarer benannt, kulturelle entfremdung angesichts neuer alltagskonflikte im öffentlichen raum wird zum thema, überhaupt, das zusammenleben verschiedener konfessionen wird problematisiert. gleichzeitig gibt es verbreitete klagen über die zersiedelung, den kulturlandverlust, und den drohenden kollaps im öffentlichen und privaten verkehr. die öffentlichen finanzen bleiben beschränkt, bildungsoffensiven werden immer seltener und verlaufen immer häufiger im wirrwarr der einzelninteressen, der lange geforderte umbau der sozialwerke ist umstritten, während die krankenkassenprämien ungebremst nach oben schnellen.

das alles heisst nicht, dass wir unsere positive einstellung zur schweiz verloren hätten. mitnichten sogar! genauso wie in vielen europäischen ländern hat auch bei uns der nationale reflex an bedeutung gewonnen. der wunsch nach eigenständigkeit ist wachsend, wenn schon in wirtschaft und kommunikation nicht mehr möglich, dann wenigstens in kulturellen und politischen fragen. die gefährdung kommt aus dem ausland, die lösung liegt im inland. wirtschaftlicher protektionismus, gesellschaftlich kälte und nationalistische frontstellungen haben vielerorts zugenommen. typisch schweizerisch ist es, dass sich das auch auf das zusammenleben der sprachkulturen nachteilig niederschlägt und politische blockierungsgefühle überhand nehmen. gleichzeitig sind immer weniger institutionen in der lage zu vermitteln und gemeinschaftsbildend zu wirken. und massenmedien neigen dazu, das alles zu überzeichnen, um mit der krisendiagnose der eigenen krise entrinnen zu können.

das gemisch, das so entsteht, ist explosiv. der zorn der zeit kann sich daran fast überall entzünden. auch wenn dieser hie und da berechtigt ist, ist er kein guter ratgeber für die unmittelbare zukunft. für diese braucht es ein gemisch aus sensibilität für neue gesellschaftlichen konfliktlagen einerseits, kühlem blut, dort veränderungen einzuleiten, wo sie nötig ist, ohne dabei in hysterie zu verfallen. denn das, was die schweiz ausmacht, ist die zuversicht, für probleme lösungen zu finden, die nicht ideal sind und nicht alle befriedigen, dafür pragmatisch sind und schnell einmal wirken. und genau darauf kommt es an: ob wir die zukunft schwarz oder weiss sehen.

so hoffe ich, dass die klagen auf hohem niveau nicht unterdrückt werden, aber auch nicht überhand nehmen, weil die angst vor der zukunft so zum thema, wird das sie sich produktiv auf die politik und die sicherheit der menschen in diesem land auswirkt.

rendez-vous in einem jahr!

stadtwanderer

der mittelstand ist wieder gefragt

alles spricht vom mittelstand. doch kaum jemand weiss, was das damit gemeint ist. so rede hier wenigstens von der geschichte und gegenwart des phänomens, das man damit in der schweiz in verbindung bringt.

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thomas minder, bürgerlich denkender unternehmer aus dem schaffhausischen und initiant gegen die abzocker-mentalität der banken, hat der stimmungslage des mittelstandes wieder eine stimme gegeben.

die germanische gesellschaft kannte drei stände: den adel, den klerus und die bauern. in die wurde man geboren, was stabilität garantierte. das reichte denn auch, um auch in der alten eidgenossenschaft die soziale realität zu beschreiben, auch wenn in den städten handwerker und kaufleute hinzu gekommen waren.

erst mit der industrialisierung der schweiz nach 1830 änderte sich der charakter der rural geprägten gesellschaft. in den städten wuchs die bevölkerung schneller als auf dem land. ein unternehmerisches bürgertum entstand, und mit ihm bildete sich auch eine lohnabhängige arbeiterschaft aus. beides begann, gewerbe und landwirtschaft zu bedrohen. modernisten verstanden das als unausweichliche entwicklung hin zur zweiklassengesellschaft; traditionalisten verteidigten den neu entdeckten mittelstand als schutzwall gegen kapitalisten und proletarier.

letztlich war beides überzeichnet: denn die viel beschworene gesellschaftliche mitte verschwand nicht, noch blieb sie in ihrer bisherigen form erhalten, weshalb man auch vom alten und neuen mittelstand – und verallgemeinert von mittelschicht – spricht, von den selbständigen im handwerk und bauernstand resp. den unselbständigen unter den facharbeitern, angestellten und beamten, die weder zu den reichen, noch zu den armen gehören.

der historiker albert tanner hat die entstehen und den wandel des begriffs “mittelstand” nachgezeichnet. zunächst hält er ihn für einen typisch deutsche wortschöpfung, ohne wirkliche entsprechung im französischen und italienischen. sodann beinhalte er ein bekenntnis, nämlich das fundament von staat und gesellschaft in der schweiz zu sein, ja das synonym für das volksganze zu sein. schliesslich sei er ein vielfach verwendeter politischen kampfbegriff: die gute ordnung sei daran geknüpft, dass die gruppen der gesellschaft, die weder vom internationalen geschäft, noch von staatlicher unterstützung lebten, für die stabilität der gesellschaft unentbehrlich seien. ein blick in die realität der politik in zahlreichen kantonen zeigt, wie treffend diese schilderung ist.

doch ergab sich das alles nicht gradlinig. gerade während krisenzeiten, wie jener den 30er jahren des 20. jahrhunderts, stellten sich beispielsweise der gewerbe- und der bauernverband gegen jedwelche gesellschaftliche erneuerung. vielmehr belebten sie wirtschaftsvorstellungen, die direkt an die vorindustrielle zeit mit korpationen wie zünften in den städten und zwangsvereinigung zur beweidung von alpwirtschaften anknüften. die konvervative volkspartei, aber auch die neue schweiz übersetzen das nach 1933 in die politik. damit drangen sie nicht wirklich durch, prägten aber den kriseninterventionismus der zwischenkriegszeit.

auf die national und populistische politik verzichteten die exponenten des alten mittelstandes nach dem zweiten weltkrieg. mit der anerkennung der liberalen wirtschaftsartikel 1947 kam die wende. nun befürwortete man rationalisierungen, um im ökonomischen wettbewerb bestehen zu können, und propagierte man selbsthilfe auf betriebs- und verbandsebene als zentrale ziele der mittelstandspolitik.

seit einigen jahren tobt erneut ein kampf um die richtige mittelständischen interessenpolitik. gewerbe und landwirtschaft schwanken beispielsweise zwischen sozialpolitischem antietatismus und forderungen nach protektion von branchen in der globalen wirtschaft. mittelstand wird wieder vermehrt gleichgesetzt mit gesunder mitte sowohl gegen die masslos gewordene klasse der internationalen manager, wie auch der pauperisierten, försorgeabhängigen unterschichten. und, obwohl der begriff soziologisch gesprochen immer inhaltsleerer wird, bezieht sich die politik fast schon inflationär auf ihn: parteien buhlen um den mittelstand, medien thematisieren seine ängste, und sozialforscher belegen verarmungstendenzen.

fast schon symptomatisch: der jüngste wahlkampf in der stadt zürich drehte sich um den mittelstand. im beginnenden abstimmungskampf um die steuerinitiative geht es massgeblich darum, ob die rechte mit dem steuerwettbewerb oder die linke mit dem abbau von privilegien für reiche die bessere mittelstandpolitik betreibe – und auch ich referiere nächste woche in burgdorf zum thema, was den mittelstand in der heutigen zeit umtreibe.

ich muss mir noch echt gedanken machen, wie ich mit dem gängigen, aber unscharfen begriff umgehen will …

stadtwanderer

gut gelacht, ist halb gewandert

er ist ein original. bald wird er mit mir eine stadtwanderung machen. ich hoffe, wir lachen soviel, wie bei der vorbereitung.

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christian miesch ist nationalrat des kantons baselland. das erste mal, als er gewählt wurde, vertrat er die farben der fdp. dann mochte er sich nicht mehr für diese partei einsetzen. das zweite mal, als man ihn nach bern sandte, hatte er zur svp gewechselt. jetzt politisiert er mit dieser fraktion.

nicht nur freundlich war sein empfang in der neuen partei, erzählt mir der baselbieter. der giezendanner habe ihm drei motionen zum unterschreiben hingelegt. alles asylfragen – lakmustest also! trotzdem habe er die erste eingabe gelesen, dann hätte ihn giezi, wie man den aargauer volkstribun in der svp nennt, gedrängt, schliesslich habe er blind unterschrieben.

zu seinem nachteil. denn die dritte motion handelte von einem speziellen flüchtlingen. es ging um miesch – den parteiflüchtling. sie lautete: christian miesch ist aus dem nationalrat auszuschaffen. und sie trug die unterschrift von christian misch.

das gelächter war ihm sicher. doch humor zeichnet den baselbieter aus – wie kaum einen anderen unter der bundeskuppel. bald schon werde ich mit ihm und einer schar getreuer eine stadtwanderung machen – zur direkten demokratie in bern, der schweiz, stuttgart und überhaupt.

die vorbesprechung fand im restaurant “chez eddy” statt. für draussen war es zu kalt, und so gingen wir hinein – ins fumoir. mir kam es vor wie in einem fixerstübli. doch mein gesprächspartner liess sich nicht abbringen, fragte: “machst du nichts für deine gesundheit?” – und lachte.

drinnen waren wir rasch bei anderen themen: ausschaffungsinitiative, nationalratswahlen und weinbau. sein rebberg ist mieschs hobby. den titterten pflanzt er dort, und selbstverständlich weiss er auch dazu einen witz: in paris würde es ein restaurant geben, der jede weinsorte der welt führe. da gingen zwei aus titterten nach paris und bestellten den einheimischen. der mann im service habe den chef gefragt, was man da bringen solle. der chef schaute auf der karte, wo titterten liegt und entschied: essig. und so wurden den baselbietern essig gereicht. als sie diesen verköstigten, schauten sie sich an und sagten: typisch, den besten wein exportieren sie immer!

das hat mich überzeugt, will diesen titterten sofort ausprobieren, und hoffe, wir lachen noch viel auf der stadtwanderung: denn gut gelacht ist halb gewandert!

stadtwanderer

wenn wählerInnen wandern

ich war diese woche nicht sehr aktiv, mit bloggen als stadtwanderer. denn ich war beruflich stark beschäftigt, mit den wanderungen der wähler und wählerinnen in der schweiz.

es gehört zu den üblichsten politanalysen: wenn bei wahlen eine partei gewinnt, und gleichzeitig eine andere verliert, dann ist klar, wer auf kosten vom wem gewonnen hat.

doch das muss nicht so sein. es könnte auch sein, dass die partei, die gewinnt, bisherige nichtwählerInnen mobilisieren konnte, während die gruppierung, die verliert, solche an die nichtwählenden verloren hätte, ohne dass von allen anderen auch einer die partei gewechselt hätte.

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für eine besser auflösung klicke man hier die datenbank an und schaue dann unter “wählerstromanalysen” nach.

das instrument, um das zu überprüfen, heisst wählerwanderungsanalyse. es funktioniert, nicht nur, aber ganz ordentlich mit umfragen, bei den wählerInnen selber auskunft geben, wenn sie das letzte mal gewählt haben, wen diesmal, allenfalls wen sie das nächste mal wählen würden.

und das sind die ergebnisse meiner beobachtungen zum wählerInnenwandern seit 2007:

die neuen parteien, die glp und die bdp ziehen bisherige nicht wählerInnen an. die sp profitiert ein wenig von den bundesratswahlen, welche ihre denkbaren wählerInnen mobilisiert hat. bei der svp, den grünen und der cvp verlaufen die wanderungen umgekehrt. ein teil der wählerschaften von 2007 ist, wenigstens für den moment, demobilisiert.

die glp ist auch für wechselwählerInnen attraktiv. sie gewinnt zu lasten der grünen, der sp und der fdp. sie ist die einzige partei, die damit lagerübergreifend bisherige wählerInnen für sich gewinnen kann. das gilt bei der bdp nur eingeschränkt, die cvp, fdp und svp unzufriedene wählende anspricht. die cvp kann das etwas neutralisieren, weil sie von der fdp dazugewinnt, diese wiederum, weil sie gegenüber der svp zulegt. alles andere ist kaum nachweisbar.

die dicke der pfeile zeigt an, wie welche veränderungen grösser und welche kleiner sind. generell kann man festhalten: die mobilisierungseffekte sind zwischenzeitlich wichtiger geworden als die auswirkungen durch das wechselwählen.

nun sind wählerwanderungen alles andere als stabil. man kennt letztlich zwei muster von wanderungen: der trend zu mitte und die polarisierung. bis 2007 herrschte letzterer vor, seit einiger zeit, ist er nicht mehr einfach gesetzt. das bild das wir hier haben, gleicht eher dem trend zur mitte, wobei nicht die cvp die attraktivste partei, sondern die neuen angebote mitte/rechts und mitte/links dies sind.

das alles wird durch kampagnen, der themenwahl, den medialen auseinandersetzungen und den personenangeboten beeinflusst. über letzteres weiss man noch sehr wenig, den medienwahlkampf ist schwer vorherzusehen, während bei den themen alle parteien darauf setzen, jene zu lancieren, von denen sie sich am meisten versprechen.

wanderkarten der wählerInnen, die daraus entstehen, werde ich weiter skizzieren, noch sechs solche, wie hier abgebildet, sind bis zu den nationalratswahlen in einem jahr vorgesehen.

so, jetzt ist aber meine deformation professionell aber definitiv wieder vorbei!

stadtwanderer

ein wenig wie die kappeler milchsuppe

1499 gestand könig maximilian den eidgenossen autonomie in seinem reich zu. dabei ging es auch darum, ob die parteiungen weiterhin ein fehderecht haben sollten oder nicht. der eidgenossenschaft haben die zugeständnisse wenig genützt. den schon bald darauf brach die grösste fehde unter allen eidgenossen, der konfessionskrieg, aus, der zum grossen und langen schwanken zwischen blockaden und versöhnungen unter schweizern führen sollte.

levrat_pelli_1_5340048_1269938808antipoden des industriezeitalters: die spitzen von sp und fdp, gemeinsam für eine offene schweiz, unterschiedlich in der einschätzung, wie man das erreicht, haben sich wieder versöhnt, nicht zuletzt auf druck der basen, die andere sorgen haben, als streithähnen zuzusehen.

mit der reformation in zürich 1523 nahmen die spannungen zu konfessionellen fragen in der eidgenossenschaft rasch zu. bern und basel folgten 1528 zürich, sodass sich gewichte in den städten zugunsten der neugläubigen zu verschieben begannen. diese weiteten sich sich zur feindschaft, ja zum bürgerkrieg aus, als der reformierte pfarrer jakob kaiser in schwyz bei lebendigem leib verbrannt wurde. zürich wollte das 1529 rächen, bern folgte dem limmatstädtern, und zug stellte sich ihnen entgegen, um die innerschweiz zu schützen. es brauchte die vermittlung von glarus, halb habsburgisch, halb zürcherisch, um ein sinnloses blutvergiessen zu verhindern.

den friedensschluss erzwang aber auch das fussvolk, das offen fraternisierte, während ihre anführer verhandelten. auf der grenze zwischen zürich und zug stellten sie einen pott auf. die zuger brachten die milch, die zürcher reichten das brot. gemeinsam schlürfte man die milchsuppe, während der kompromiss verkündigt wurde: in den gemeinen herrschaften durften die neugläubigen predigen, nicht aber in den orten, die streng altgläubig bleiben wollten. die untertanen sollten selber wählen dürfen, welcher konfession sie anhängen wollten.

seither gehört die kappeler milchsuppe zu den vorzeigemomenten der schweizer geschichte, der nicht nur nach innen, auch nach aussen ausstrahlte. die schweizer, wie man sie immer mehr nannte, gelten seither als raufbolde, die gründlich vom leder ziehen, sich schliesslich aber auch versöhnen können. und nach innen ist die lehre aus dem kappelerkrieg, dass man nicht immer nur provozieren kann, sondern auch den kompromiss suchen muss, um die eigene autonomie zu wahren.

genau an das musste man unweigerlich denken, als man vom communique las, das fulvio pelli und christian levrat zu ihrem fürchterlichen streit über die departementsverteilung im bundesrat heute veröffentlichten. einen “knallharten lügner” nannte sp-chef seinen kollegen von der fdp vor laufender kamera, sodass dieser einen tag später frei-ins-haus-geliefert mit einer verleumdumsklage drohte. was den medienleute als willkommenes spektakel vorkam, ärgerte schon bald die fraktionsmitglieder hüben und drüben, die sich bekämpfen, aber auch begegnen müssen, wenn sie in der sache bisweilen anderer, gelegentlich aber auch gleicher meinung sind. politisch soll man streiten, ja, auf entgleisungen soll man dabei verzichten, genauso wie aufs fischen im juristenteich, war seither ihr motto hinter den kulissen.

ob man zwischen zwischen bulle und sorengo einen pot aufgestellt hat, um fribourger vacherin mit tessiner wein zu schlürfen, weiss ich nicht wirklich. den beim friedensschluss waren die medien nicht zugelassen, und ich konnte auch nicht von ferne vorbeiwandern. registriert habe ich die symmetrie der entschuldigungen, von unangebrachtem ausdruck bis überreaktion. und ich bekenne: ich finde es gut, dass sich die präsidenten der sp und der fdp wieder vertragen. denn ihre verbindung ist nötig, um die schweiz modernisieren, selbst wenn das nur dialektisch möglich ist und auch in zukunft nicht ohne konflikte zwischen antipoden abgehen wird.

stadtwanderer

dalli-dalli fürs europaweite rauchverbot

europa führte das rauchen ein, europa will es wieder abschaffen.

jean-nicotjean nicot, importierte als erster europäer den tabak, vorerst nur für die oberen schichten, später rauchte auch das volk, sodass man heute etwas gegen die volkskrankheit lungenkrebs unternehmen muss.

die zahl der raucher ist zwar rückläufig, nicht aber bei jugendlichen. in der eu paffen 35 prozent von ihnen. in der schweiz ist der anteil nur unwesentlich kleiner. insgesamt rechnet man mit 650000 toten innert einem jahr aufgrund von lungenkrebs, der durch das rauchen entsteht.

das ist die ausgangslage, auf die sich john dalli, der maltesische eu-kommissar stützt, wenn er nun scharfe massnahmen fordert. in frage kommen für ihn:

giftige und süchtig machende inhaltsstoffe wie nikotin sollen überall deutlich verringert werden.
verpackungen von zigaretten sollen unattraktiv gestaltet werden.
zigaretten sollen in den verkaufsgeschäften nicht mehr sichtbar ausgestellt und schwer zugänglich gemacht werden.
rauchfreie zonen sollen in öffentlichen räumen konsequent umgesetzt werden; in verkehrsmitteln und am arbeitsplatz sollen kippen ganz verschwinden.

starker tobak wird sich da manche(r) sagen. im namen der volksgesundheit werden ihnen da viele antworten. denn die medizin verändert sich rasch: public health ist angesagt, seit man weiss, dass die verbreiteten krankheiten kaum mehr individuell angegangen werden können, sondern nur noch kollektiv.

die eu hat hier eine besondere verpflichtung. denn sie ist die europäische organisation, welche die politiken in den nationalstaaten koordiniert. diese wiederum sind aus dem 30jährigen krieg im 17. jahrhundert hervorgegangen, als schrittweise ablösung der kaiser- und königreiche. und genau in diesem 30jährigen ist das rauchen als volkskrankheit entstanden – aus dem verdruss der soldaten über den krieg.

es hat lange gedauert, bis agiert wurde, doch jetzt soll es dalli-dalli gehen!

stadtwanderer

bald nur noch schall und rauch …

zitat ueli maurer: “Man muss sich wirklich fragen, wohin die Artillerie in diesem Land noch schiessen kann, ohne die eigenen Leute zu treffen.”

ausgerechnet unser vbs-chef spricht im heutigen “bund” darüber, die artillerie der schweizer armee abzuschaffen. nicht nur in sachen armee ist vom saulus zum paulus geworden. nein, nun soll nach dem willen des svp-bundesrates die überbevölkerung der schweiz nicht mehr durch ausschaffungen reduziert werden können. vielmehr ist sie der kapitulationsgrund für unseren ehrwürdigen kanonenpark.

imagesbataille de grandson 1476: die eidgenossen erobern die beste artillerie der damaligen welt

die amee und ich, das wird nie was! jahrelange wollte der bundesrat immer mehr, und ich war für immer weniger. jetzt, wo ich langsam versuche, mein verhältnis zum militär zu normalisieren, macht mir der oberste der obersten im militär einen dicken strich durch die rechnung. sagt doch ueli maurer heute: “Von alten Traditionen Abschied zu nehmen … kann durchaus faszinierend sein.”

also wirklich, da haben wir eigenossen den burgunder herzog besiegt. “in grandson das gut, in murten den mut und in nancy das blut”, lernte meine generation im patriotischen geschichtsunterricht noch. zum erwähnten gut zählte vieles, vor allem aber 400 kanonen, auf die karl der kühne so stolz gewesen war, die er aber stehen liess, als er am neuenburgersee nach dem ersten aufeinander treffen mit den lärmenden und gröhlenden schlägerbanden sein zeltlager fluchtartig verliess.

so kamen wir vor 534 jahren in den besitz des damals grössten artillerieparks der welt. an sich wäre das die waffe gegen die ritter aus österreich gewesen. denn sie schlug selbst in die gepanzersten reihen riesenlöcher. nur, unter den eidgenossen wusste man anfänglich, wie man mit der beute umgehen sollte. das begann schon mit der namensgebung. denn die massiven rohre, aus denen die kugel mittels sprengladung gefeuert wurden, hatten damals noch keine festen untersätze, lagen deshalb häufig einfach im gras, weshalb sie unser vorväter feldschlangen hiessen.

doch dann setzte der geübte umgang mit kanonen ein. was eine richtige stadt war, hatte eine solche beim stadttor. und was ein richtiger schweizer oberst war, der konnte damit umgehen. wenn’s um etwas wichtiges oder feierliches ging, gehörten die böllerschüsse aus kanon zum unumgänglichen auftakt.

nun soll also ernsthaft schluss sein damit. nach der kavallerie die artillerie, sodass man sich fragt, was als nächstes dran kommt: die panzer, die infanterie oder was noch übrig ist? eigentlich bleibt mir nur noch eins: den schwanengesang auf unsere armee anzustimmen. bald, so fürchte ich, besteht die beste armee der schweiz nur noch aus ihrem besten abschaffer!

stadtwanderer