“Geheime Agentin” und “Kairo” in verbindung, tönt ganz spannend. man hört die schiffe auf dem nil tuuten.. man sieht die engen gassen der alten stadt. und man riecht den duft in ihrem herzen, das zeichen des basars und der cafés, wo entscheidendes geschieht. eine Agentin des cia stützt sich in der lobby des grossen internationalen hotels nebenan auf ein netz von stadtgewaltigen, die, spinnen gleich, lokale spitzel haben, die alle auf den geplanten staatsstreich warten.
foto: stadtwanderer (anclikcbar)
und wenn das “Kairo” in bern ist? tönt das dann weniger spannend? – dieser Ansicht war zunächst “Der Bund” nicht, denn er lud im rahmen seiner regelmässigen kulturveranstaltungen im keller des kaffee “Kairo” zu einer lesung über die “Spionagestadt Bern” im zweiten weltkrieg ein. langeweile erwarteten aber auch die zahlreichen zuhörerInnen nicht, die sich entweder an elizabeth wiskemann erinnern konnten, von ihr gehört hatten oder interessiert waren, einen neo-romancier kennen zu lernen.
der autor
peter kamber heisst er. an sich ist er kein unbeschriebenes blatt mehr. der doktor designatus der geschichte – seit 15 jahren wartet seine wissenschaftliche these gedruckt zu werden – lebt in burgdorf, ist als journalist tätig und publizierte seit 1990 in recht engen abständen verschiedene bücher: über unkonventionelle zürcherInnen schrieb er, denn tod von niklaus meienberger veranlasste ihn zu einem buch, aber auch über das verhältnis der konventionellen neutralität und den allierten dachte er schriftlich nach, um 1998 kritische fragen an die schweiz in erklärungsnotstand zu stellen.
doch jetzt hat er die seite gewechselt: vom sachbuchautor will er zum romanschriftsteller werden. seit 8 Jahren arbeitet er an diesem projekt, in bern hat er recherchiert, selbstverständlich, aber auch im fernen berlin war, um nachzufragen und nachzuschlagen.
die these
seine these ist der “Krieg hinter dem Krieg”: der diskrete spionagekrieg, der in der Schweiz stattfand, während der zweite weltkrieg auf dem ganzen erdrund tobte. internationale und nationale politik mischten sich damals wie selten zuvor, sodass dies die geschichte interessieren müsse. und: der nachrichtendienst der schweizer armee und die schweizerische bundesanwaltschaft mit ihrem polizeilichen arm, der bundespolizei, liessen sich in das räderwerk hineinziehen, dessen geschichte erst in teilen geschrieben ist.
immerhin, soviel weiss man: sie war neutral. wie war klein. und sie war verdunkelt. das war die schweiz, welche die kulisse bot, dass sich die spionage der wehrmacht wie auch jene der allierten hier ansiedelten. agenten in allen chargen zogen sich hier im kleinen gegenseitig an, bespitzelten sich direkt oder indirekt, tricksten sich mit intuition oder nach auftrag aus, um informationen zu bekommen. sie hätten den grossen krieg draussen entscheiden können, ist peter kamber heute überzeugt. der autor ist überzeugt, dass die geschichte der drehscheibe schweiz im zweiten weltkrieg noch nicht geschrieben ist. er weiss, dass es auch nach der bergier-kommission geheime papiere gibt. er weiss, dass die deutsche spionage hier so kräftig zuschlug, dass die amerikaner in arge bedrängnis kamen und ihren geheimdienstspezialisten allen dulles zum wiederaufbau der allierten spionage schicken mussten. und er hat persönliche informationen über das wirken der britischen geheimagentin elizabeth wiskemann in bern.
der tatsachenroman
was ganz genau er weiss, sagt er jedoch nicht, noch nicht! denn das will in einem tatsachenroman schildern, der fast fertig sei, wie er sagt, und nächstes jahr erscheinen soll, wie organisator alexander sury beifügt. als Vorgeschmack präsentiert er, auf einladung der Zeitung “Der Bund”, der ihn bei der recherche finanziell unterstützt, erste passagen aus seinem unveröffentlichten werk. dabei kommt im kairoer untergrund schon mal gehörig spannung auf: kambers sprache ist schnörkellos, seine erzählung ist linear. man folgt im gerne, denn die geschichten sind hautnah. nur den faden zur these will man nicht finden, – vielleicht auch, weil der autor die haupthandlung immer wieder auslässt oder nur mündlich wiedergibt. während der lesung begnügt er sich mit passagen aus der nebenhandlung.
der star ist hier der ehemaliger deutscher vertreter, der in zürich kaffee verkaufte, und jetzt deutscher agent in bern ist. er hat mit einem lokalen coiffeur einen willigen helfer, der den informationsaustausch deckt. in ihrem netz zappelt ein simpler schweizer, der auf der amerikanischen botschaft briefe verträgt, sie aber nicht der post übergibt, sondern dem deutschen geheimdienst vermittelt. und man führt grosses im schilde: adèle, eine junge französin aus lyon, arbeitslos in zürich lebend, wird angeheuert, um näher an die allierten pläne heranzukommen. dafür verwickelt sie unpolitisch, wie sie ist, aber auch leidenschaftlich, wie sie wird, den botschafter aus uruguay in eine liebesaffäre.
elizabeth wiskemann kommt an diesem abend nicht vor. aber sie spielt die titelrolle im roman „Geheime Agentin“. zwei deutsche spione besetzen die weiteren hauptrollen. selber kommt der autor nicht vor, aber 30 nebenrollen hat er aufbauen müssen, um das komplizierte geflecht der internationalen spionage abzubilden, das in Bern im bellevue wie in schummerbars, zwischen bahnhofquartier und kirchenfeld und entlang renommierter hotels und diskreten diplomatenvillen agierte. das alles tönt verheissungsvoll, weckt interesse auf mehr! man möchte den roman morgen kaufen gehen, sich einlesen, die geschichten der menschen kennen lernen, sich an die these erinnern, und sie prüfen.
die lesung
doch darauf muss man noch warten. denn der autor macht erst testlesungen. zudem ist kamber im geschäft als romanschreiber offensichtlich neu. keine lesung zu keinem roman fasst das werk zusammen. souverän wüsste das der romancier, und er würde ohne bedenken weglassen, wenn er dem puls des lebens auf der spur bleibt. anders verhält sich peter kamber. er scheint noch kein konzept zu haben, was er preisgeben will und was nicht. er überspringt textpassagen, die vorlesen wollte, kehrt bei auslassungen, die er geplant hatte, zurück, stolpert über seine eigenen sätze, – und bisweilen korrigiert er während der lesung das unfertige manuskript. das alles irritiert!
diese unsicherheit überträgt sich auch auf die diskussion: eignet sich das genre, um historisch aufzuarbeiten? wie kann man wahres und frfundenes in einem historischen roman unterscheiden? wird ein solcher tatsachenroman vor der kritik aus literatur und geschichte standhalten können? – peter kamber glaubt daran, und wirkt wieder ganz ruhig, wenn er erklärt: der historische roman sei der wissenschaftlichen geschichtsschreibung überlegen, denn er eröffne dem autor einen ganzheitlichen zugang zum geschehen. gerade bei spionen müsse man sich auch mit intuition behelfen, denn die klassischen quelle versagten zwangsläufig. zu geheim bleibt ihr wirken. doch er schreibe gleich zwei „bücher“: den angekündigten roman für den buchhandel und einen noch längeren anhang für die recherche. den werde er auf internet veröffentlichen, und man werde mit elektronischen stichwortsuchen im dandumdrehen klären können, was die fakten hinter den episoden seien. und den möglichen kritikerInnen hält er schon mal entgegen, dass die ereignisgeschichte der traditionellen biografien längst tot sei. die strukturgeschichte habe zwar wesentliches geleistet, um zusammenhänge besser zu verstehen. aber jetzt gehe es um neue experiment, man müsse als historiker wieder lernen, handlungen, mit motiven und menschliches in die analysen übersichten einzubauen, um identifikationen und meinungsbildung mit zeitgeschichtlichen vorgängen zu ermöglichen.
… und das gebannte und gespannte hoffen
seit 2003 ist der roman angekündigt, uns so hofft man weiter, im publikum, im kairoer-keller und beim veranstalter. man hofft, dass deutlich mehr im schrittweise gewachsenen werk steckt als ein Krimi. man hofft, dass die vermittlung zwischen these und erzählung, zwischen geschichten und geschichte gelingt. an diesem abend mag niemand überschwänglich vorschüsse verteilen, aber auch niemand heftig vorverurteilen. alle sind gespannt, ob der seitenwechsel vom sachbuch zum roman, von der wissenschaft zur unterhaltung, vom fachartikel zum populären buch gelingt. spionage kennen das, um müssen den seitenwechsel beherrschen, wenn die geopolitik sich ändert. seiten wechseln wollen aber auch die leserInne der „Geheimen Agentin“, um mehr über den krieg hinter dem krieg, die spionagestadt bern und das leben der elizabeth wiskemann im unvermittelt verdunkelten bern des zweiten weltkrieges zu erfahren.
erhellt hat den lesungsraum vorerst eine ständerlampe aus den 50ern, kein scheinwerfer aus dem 21. jahrhundert.
stadtwanderer