“erfahrungen in der versuchsphase zum roadpricing …

die stadt stockholm hat am wochenende das roadprincing in einer volksabstimmung angenommen. 51,7 prozent haben sich für, 45,6 prozent gegen die einführung einer fahrzeuggebühr in der innenstadt entschieden. für den stadtwanderer gleich mehrfach eine interessante veränderung:

. erstens wird der stadtverkehr eingeschränkt.
. zweitens folgen immer mehr städte dem beispiel londons.
. drittens direktdemokratische instrumente breiten sich auf der städtischen ebene aus.
. und viertens: schweden, das der stadtwanderer so liebt, scheint in der ära des schwindenden sozialstaates in einer neuen frage eine viel beachtete vorreiterrolle zu übernehmen.

doch gerade beim letzten punkt muss genau hinsehen, um zu verstehen, was sich ändert. deshalb hat der stadtwanderer die gelegenheit genutzt, bruno kaufmann, den schweizer politikwissenschafter, korrespondenten und förderer der direkten demokratie weltweit, zu interviewen. hier seine erhellenden und teilweise auch korrigierenden ausführungen über die bisherigen tagesmeldungen in der schweiz hinaus. hier seine thesen:

. der vorgängige versuch war entscheidend, dass man mit dem thema erfahrungen sammeln konnte.
. die taxifahrer, die berufspendler waren genauso wie die zentrumsbewohnerInnen, die jungen menschen und die rot-grünen sympathisantInnen dafür.
. die zustimmung resultierte aber nur, weil die aussengemeinden offiziell nicht an der abstimmung teilnahmen.
. die kurzfristig nachgeschobenen plebiszite in den bürgerlich dominierten vororten zeigten eine deutliche ablehnung.
. unabhängig davon will die neuen konservative bürgermeisterin von stockholm das roadpricing in ihrer stadt einführen.


stockholm gestern: verkehr dominiert über alles (foto: flickr_maltR)

stadtwanderer: bist du vom abstimmungsresultat überrascht?

bruno kaufmann: “nein.”

bist du über das ergebnis erfreut?

“ja.”

was haben die befürworter besser gemacht, dass sie obsiegt haben?

“entscheidend war das learning by doing, so hat man in seinem alltag erfahrungen gesammelt. die kampagnen waren dann gar nicht mehr so wichtig.”

hat man die stimme der pendler mitberücksichtigt?

“nur zum teil! es fanden befragungen vor allem in jenen agglomerationsgemeinden statt, wo klare nein-merheiten erwartet wurden.”

wie soll man das verstehen?

“das ist meines erachtens einer der knackpunkte der entscheidung. das ursprüngliche begehren der autoverbände verlangte eine volksasbtimmung in der ganzen provinz. offiziell machte aber nur die stadt mit, während die bürgerlichen beherrschten agglogemeinden in der schlussphase inoffizielle plebisizte durchführen liessen. die stadt hat zugestimmt, die vororte hätten aber abgelehnt.”

was ändert sich nun in stockholm?

“effektiv ist das noch offen. das zentrale problem ist, dass die lokale volksabstimmung juristisch nur konsultativen charakter hat, dass in den agglomerationsgemeinden zum teil manipulative befragungen durchgeführt worden sind und dass die neuen mehrheiten im stadtparlament in der sachfrage eher negativ eingestellt sind. schliesslich muss auch das nationale parlament einer einer permanenten strassensteuer mit einer in stockholm mit einer gesetzesänder zustimmen.”

immerhin, die neue konservative stadtregierung hat angekündigt, sich beim nationalen parlament für das roadpricing einzusetzen. was ist also konkret zu erwarten?

“der oev wurde ausgebaut und das städtische verkehrsaufkommen ging zurück. die einzelnen autofahrer zahlen selbstverständlich mehr, und es gab auch zusätzlich bussen.”

weiss man schon, wer dafür und wer dagegen gestimmt hat?

“dafür war die bevölkerung ganz im zentrum stockholms, und auch jüngere menschen haben dafür gestimmt; ältere personnen und die aussenquartiere waren eher dagegen.”

wie haben die parteilager votiert?

“rot-grün mehrheitlich dafür, und das zentrum auch. bei den liberalen und christlichdemokraten waren minderheiten auf der ja-seite, während die konservativen dagegen waren.”

wie haben die verschiedenen verkehrsteilnehmer gestimmt?

“sie stimmten, wie zu erwarten war: die benutzerInnen des öffentlichen verkehrs waren dafür, die berufsfahrer mehrheitlich auch, während die pendler und gelegenheitsautofahrer mehrheitlich dagegen stimmten.”

wie haben die verschiedenen berufsgruppen reagiert?

“die taxifahren stellten sich auf die ja-seite, während gewerbetreibende im nein-lager waren.”

wie war der mitteleinsatz?

“interessanterweise haben sowohl die umwelt- wie auch die automobilverbände von den politischen parteien geld für ihre kampagnen bekommen und diese paritätisch auf beide seiten aufgeteilt.”


stockholm heute: pv-verkehr soll erschwert, oev soll ausgebaut werden (foto: flickr_maltR)

was war das für ein entscheid: gegen das verkehrschaos in den
städten, für mehr lebensqualität der urbanen bevölkerung oder für höhere steuern gegenüber den automobilisiten?

“es war eine mischung aus der ersten und zweiten annahme. mit steuererhöhungen hat man nicht dafür, nur dagegen argumentiert.”

ist der moderne schwedische mythos “alle macht dem volvofahrer?” am
wochenende zu ende gegangen?

“in den städtischen gebieten sicher, ausserhalb jedoch nicht. vor allem nicht in arboga …”

ist mit auswirkungen in weiteren grossstädten des nordens zu rechnen?

“ich gehe von ähnlichen bestrebnungen in kopenhagen aus, eventuell auch in helsinki und göteborg. oslo selber hat schon seit 1990 ein eigenes verfahren für eine verkehrssteuer.”

im kanton bern diskutiert man ähnliche ideen: was sind die wichtigsten lehren, welche aus der willens- und meinungsbildung in stockholm ziehen können?

“es braucht einen versuch, mit welchem die konsequenzen geprüft werden können. sicher sollte das nicht so viel kosten wie in stockholm, wo man im voraus fast 100 millionen franken investiert hat. und es braucht eine klare regelung, wer über was entscheidend kann. schweden ist im ersten teil vorbild, die schweiz wäre es im zweiten teil.”

noch etwas, quasi in eigener sache: ist mit einem aufschwung der stadtwandererbewegung in stockholm zu rechnen?

“da bin ich unsicher, denn die distanzen in stockholm sind gross und die kalte saison langwas zu lang. man müsste eher eine gemütliche schiffroute finden, welche die verschiedenen inseln vor rund um stockholm miteinander kombinieren würde …”

stadtwanderer: trotz diesem dämpfer für die stadtwanderer, besten dank für das erhellende gespräch!


stockholm morgen: kalt und eisig, aber verkehrsberuhigt und fussgängerfreundlich (foto: flick_maltR)

verwirrliche abstimmungsanlage

das ursprüngliche referendum der autoverbände im jahre 2003 gegen das
roadpricing in stockholm schlug eine volksasbtimmung in der ganzen provinz vor. das provinzparlament lehnte dies jedoch ab (was in schweden erlaubt ist). die autoverbände richteten darauf hin begehren für konsultative abstimmungen an die stadt stockholm und die anderen gemeinden der provinz einzeln. das stadtparlament liess das ansinnen gelten und ordnete die volksasbtimmung vom kommenden sonntag an. ebenso wurde 2004 entschieden, den vorgängigen versuch innerhalb stockholms vorzubereiten. in den agglo-gemeinden mit bürgerlichen, dem roadpricing gegenüber negativ eingestellten mehrheiten wurden bereits 2003 12 lokale abstimmungen angeordnet. sie fanden aber weitgehend ohne erfahrungen und debatten statt. in den meisten dieser gemeinden wurden die konsultativen abstimmungen nun kurzfristig wiederholt. es sind nach wie vor mehrheiten dagegen, doch gingen die ablehnenden voten um über 15 prozent zurück. es bleibt die verwirrliche bilanz zu einem verwirrlichen verfahren: die stadt stockholm hat knapp zugestimmt, die vororte haben wuchtig verworfen. wenn man die ergebnisse zusammenzählen würde, ergäbe sich eine ablehnung. politisch wäre aber das unkorrekt!

klärender bruno kaufmann

luzerner von geburt, studierte in zürich, cambridge und göteborg (schweden) politikwissenschaft, bereiste die ganze welt, lebte mit seiner familie in der schweiz und ist seit einigen jahren im schwedische falun heimisch. er berichtet als korrespondent für radio drs und den tages.anzeiger regelmässig über den norden; die hälfte seiner berufsarbeitet widmet er dem direktdemokratischen institut iri, dessen europäisches netzwerk er präsidiert. im mai 2008 wird er in luzern den weltweiten kongress für direkten demokratie, den er organisiert, eröffnen. vorher aber noch wird er mit uns stadtwandern, am kommenden freitag mit einer delegation von ausländischen direktdemorkatie-interessierte aus spanien resp. der eu-administration.

bern – flims? bern – bantanges!

alle politikerInnen sind am wochenende nach flims gefahren. das sind, von bern aus, glatt 230 kilometer. mit der gleichen distanz kommt man, in umgekehrter richtung, locker ins burgundische. und das hab ich an diesem (verlängerten) wochenende gemacht. mit gewinn, würde ich sagen; schade nur, dass ich nicht so lange ferien machen kann wie die politikerInnen flims …


erzählte landschaft: gite lafontaine in bantanges, saone&loire, bourgogne (fotos: stadtwanderer, anclickbar)

die schweiz ist klein. man denkt sich, alles sei um die ecke. und man weiss es: von bern bis zürich geht es schnell, und nicht viel länger hat man von zürich nach chur; flims ist dann nur noch ein katzensprung. bei reisen ins ausland sieht das schon anderes aus: an sich weit, und an sich fern. doch das stimmt nicht: pontarlier ist von bern aus näher als zürich, lons-le-saunier ist weniger weit als chur, und der weg nach bantanges kürzer als flims!

zweigt man in bantanges nach süden ab, gilts nur ein schild zu beachten: 800 m zum “Gite LaFontaine”, – das gästehaus von barbara und peter aeschlimann. beide sind aus bern, haben hier lange zeit gearbeitet und vor einigen jahren beschlossen auszuwandern. ein haus in burgundischen landen haben sie erworben und es mit viel engagement zum wunderbaren gästehaus umgebaut.

das klima in der gegend ist mediteran, die landschaft ist fast überall eben, und die zimmer sind ländlich-modern. das frühstück ist reichlich, und das nachtessen ganz persönlich: aeschlimanns kochen für ihre maximal 14 gäste jeden tag selber, – wenn’s geht, mit produkten aus der region. auch den weinkeller haben sie selber zusammengestellt, und empfehlen jedem gast einzeln, was auf ihre wünsche passen könnte.

die meisten besucherInnen stammen bis heute aus der schweiz, aus gross-bern könnte man sogar sagen. denn das “LaFontaine” ist zu einem geheimtipp für burgund-ausflüglerInnen geworden, die es unter freunden weiter empfehlen: feuerwehrleute, pensionierte beamte, geschiedene frauen, nordic walkerInnen und kulturinteressierte schweizerInnen finden hier eine attraktive bleibe, um sich ein paar tage (oder auch länger) zu erholen, zu baden, in der prärie spazieren zu gehen oder bis naturschutzpark rad zu fahren.

wer zudem automobil ist, kommt in der umgebung voll auf seine rechnung; cuisery ist die stadt der unendlich vielen buchhandlungen, tournus der mittelalterliche ort mit der ältesten romanische kirche in der frankreich, und chalon-sur-saone bietet zum shoppen (fast) alles. gut erreichbar sind solutré, der felssporn, bei dem die urzeitliche pferdejagd stadtfand, cluny, das führende mittelalterliche kloster, und die weinstrasse von macon bis beaune, wo man sich gezielt eindecken kann.

und wer dann noch noch nicht genug erlebt hat, der geht am montag morgen nach louhans auf den markt: 157 arkaden zählt die kleinstadt, so 1570 besucher dürfte der markt mindestens haben und mindestens 15700 hühner, gänse und hasen dürften bei jedem markttag den besitzer wechseln …

so nahe, so lebhaft und so sympathisch ist „burgund“, – die geschichtsträchtige gegend, die immer noch diesen namen trägt. mehr verbunden sind wir mit ihr, als wir uns bewusst ist; die alte burgundia reichte von arles im süden bis langres im norden und von nevers im westen bis wimmis im osten. hätte bern damals schon bestanden, wäre es teil des frühmittelalterlichen königreiches gewesen. auch adelheid, meine lieblingskaiserin, verkehrte auf dem weg bümpliz nach chalons mit dem pferd, und berner söldner marschierten schon mal zu fuss dorthin, um arbeit zu finden. da kann selbst adrian von bubenberg nicht fehlen, der sich in der gegend mit karl dem kühnen traf, um mit seinem jugendfreund den einen oder andern bubenstreich auszuhecken …

ich kanns nur empfehlen, sich gleich bei äschlimanns anzumelden … denn verweilen, geniessen und erholen muss man sich schon selber!

stadtwanderer

ps:
ok., in zwei wochen gehe ich auch nach flims, viel weiter als nach bantanges ist es ja nicht…

fassadenbern längst unterwandert

bern, das sind steinerne fassaden, vereinheitlichte stadthäuser, kollektivistische sitten!meint man …
bern, das ist die altstadt mit dem höchsten mass an individualisierung, korrigiert eine studie über die die soziokultur in der schweiz. demnach ist gerade die individualisierung als teil des soziokulturellen wandels nirgendwo so fortgeschritten, wie in der berner altstadt. der stadtwanderer hat nachgelesen und berichtet.


wunderebare fassaden der berner altstadt verdecken den erheblichen soziokulturellen wandel in der kernstadt (foto: flickr_intutum)

schillernder begriff “soziokultur”

soziokultur ist ein schwer fassbarer begriff. unbestritten ist eigentlich nur, dass soziokultur an einen raum gebunden ist, und so beobachtet werden kann, wenn sie menschen mindestens vorübergehend an einem ort aufhalten.

soziokultur verschwindet mit der auswanderung. sie ändert sich mit der einwanderung. sie wandelt sich aber auch mit der strukturellen zusammensetzung einer gesellschaft: unterschichtung sozialwohnungsbau ändern die soziokultur genauso wie die verlagerung von wohn- zu arbeitsraum. und sie verändert sich mit der verflüchtigung von gesellschaft, etwa der horrenden mobilität in bahnhöfen.

soziokultureller wandel ergibt sich auch dann, wenn menschen mit verschiedenen herkünften, unterschiedlichen bräuchen und sitten, mit divergentem rechtsempfinden und anders lautenden gesetzen aufeinander treffen. normen des alltäglichen verhaltens kommen dann in bewegung, in streit, und der konflikt muss ausgetragen werden. das kann zu integration von werten, zur segregation von lebenswelten oder auch zur zerstörung von soziokultur führen.

verdienstvolle konkretisierung durch sozialgeografInnen

verdienstvollerweise haben drei sozialgeografInnen der uni zürich raum, struktur und kultur der schweizer gemeinden und quartiere systematisch untersucht. sie haben das verfügbare datenmaterial vor allem des bundesamtes für statistik gesichtet. sie haben es klassiert und sortiert. und sie haben die entwicklungen zwischen 1990 und 2000 beobachtet. so bekommt man ein bild des soziolkulturellen wandels in der schweiz. karten, diagramme, sturktur- und trendanalysen veranschaulilchen, was man mit dem vagen begriff alles anfangen kann.

unser forscherteam hat vier dimensionen der soziokultur identifiziert. und es hat jede dimension mit inhalten gefüllt: es interessieren der soziale status, die lebensformen und die individualisierung, die integration und fremdsprachigkeit und die alterssturktur resp. alterung einer gesellschaft. strukturen identifiziert man vor allem mit dem status und der alterung, während individualisierung und integration etwas über kulturen aussagen.

das geniale ist nun, dass so nicht nur der flüchtige begriff “soziokultur” konturen bekommen hat, sondern auch eine unglaublich detaillierte übersichten über räumliche disparitäten vorliegen. man weiss jetzt genau, wo die gebiete mit dem tiefsten status sind und der höchsten alterung. man kann sich dazu einzeln karten abrufen. man sieht so auch, wo die pluralisierung ausgeprägt und die individualisierung weit vorangeschritten ist

überraschende ergebnisse anhand von bfs-daten

wenig überrascht, dass städte ein besonderer ort des soziokulturellen wandels sind. erahnbar war, dass die (über)alterung in der region basel am grössten ist, und der status in der agglomeration zürich am höchsten ausfällt. hier ist auch die pluralisierung der kultur entwickelt, während die agglomeration genf den stärksten idividuallsierungsschub kennt.


soziokultur der schweiz: karte der individualisierung (bfs/sotomo)

verkleinert man die räume, die interessieren, rückt auch bern an die extreme:

. hoher status in der altstadt? – kaum.
. hoher grad an fremdsprachigkeit zwischen nydegg und bahnhof? – eventuell.
. überalterung des mittelalterlichen stadtbildes? – schon eher?
. individualisierung der lebensformen? – ausgeprägt!

die obere berner altstadt, die savoyerstadt, ist gesamtschweizerisch der am zweistärksten individualisierte lebensraum. und die untere altstadt folgt schon an vierter stelle. nur gerade das zürcher rathausquartier weiss noch einen höheren indexwert für die abweichung von traditionellen lebensformen auf.

die selbstgewählten lebensformen kommen vor allem bei den 30-50jährigen zum vorschein: wohngemeinschaften, partnerschaften ohne kinder oder “living-together-apart” sind drei typische formen, welche die sozialgeografen beim haushaltstyp identifiziert haben. individualisierung zeigt sich aber auch bei den rollenmodellen von mann und frau: der traditionellen trennung von erwerb und ernäherung stehen hier drei lebensformen mit erhöhter individualisierung gegenüber: modernisierte, bürgerliche familie mit teilzeitarbeit der mütter, vollerwerbseltern, die beide rund um die uhr arbeiten, und teilzeitererwerbseltern, die die paritätisch in die verschiedenen familienaufgaben teilen, gehören hierzu.

klar ist, dass sich diese entwicklungen zwischen stadt und land unterschieden. man kann denn auch festhalten, dass orte wie eischoll/unterbäch, baltschieder/lalden oder silenenen, das pure gegenteil von zürich-rathaus sind.

aber eben: auch die berner altstadt gehört zum einen extrem. der ausgeprägte postmaterialismus der hiesigen bevölkerung macht es aus. egaliltäre familienmodelle werden hier am häufigksten praktiziert, sehr hoch ist auch der wege-anteil und schliesslich gibt es einpersonenhaushalte wie nirgendwo sonst.

ansporn fürs kommende stadtwandern

wer glaubt, berns fassaden, zurecht bewundert und geschützt, würden etwas über die die heutige soziokultur der berner altstadt aussagen, der sieht sich massiv getäuscht. das fassadenbern ist schon längst unterwandert. die architektur der altstadt ist aus dem geist des späten 18. jahrhunderts und seither mit bewahrender tendenz nur leicht modernisiert worden. doch das gesellschaftlichen leben in den häusern hat sich massiv verändert. vor allem mit den alten kulturellen selbstverständnissen hat man gebrochen: es sind nicht mehr die patrizier, die bürger, oder die beamten, die der altstadt ihr soziokulturelles gepräge geben. es sind längst die individualisierten abweichlerInnen von traditionellen familien-, arbeits- und wohnmodellen, die hier eingewandert sind. unterwandert ist die altstadt, von der soziokulturllen modernisierern.


individualisierung der stadtwandererausrüstungen ist angesagt (foto: stadtwanderer)

merci, michael hermann, corinna heye und heiri leuthold, für eure erhellende einblicke hinter die fassenden, auf die auch ich immer wieder hereinfalle. eine klasse leistung, der ich vermehrt nachgehen will, als nun soziokulturell-aufgeklärter

stadtwanderer

soziokulturelle unterschiede in der schweiz. vier indizes zu räumlichen disparitäten, 1990-2000, bfs/uniz, neuchâtel 2005

starkermann, gottesmann, kriegermann

simson (griechisch: sampson, lateinisch: samson, symbol für sonne und licht) ist eine figur aus dem alten testament, die noch älter ist als könig david. seine zeit, das 12. jahrhundert vor christus, war bestimmt von israels kampf gegen die philister, ihren gefährlichsten gegnern. die philister bewohnten die küstenlandschaft am mittelmeer und waren den israeliten kulturell überlegen.


simpson bändigt den löwen – berner brunnenfigur aus der reformation (foto: stadtwanderer)

schon simsons geburt war ungewöhnlich: seine mutter war unfruchtbar, doch kündigt ein engel jahwes simsons kommen an. das verdeutlichte die geburt eines nasiräers, eines gott geweihten. doch anders als erwartet, verliebte sich der heranwachsenden simson nicht in eine israelin, sondern fortgesetzt in philisterinnen. auf dem weg zu seiner ersten geliebten besiegte er einen brüllenden löwen mit blossen händen, was seine besondere fraft demonstrierte und ihn berühmt machte.

die einzige frau simsons, die namentlich bekannt wird, ist delila. sie sollte jedoch nicht seine treue frau werden, sondern eine verräterin, die im namen der philister handelte. von ihnen wird sie bestochen, ihren mann zu überwältigen, denn simsons krafttaten waren für die philister eine gefahr.


der starke simpson wird schwach und erliegt seine liebe zu einer verräterin
quelle: wikipedia

unverzüglich versucht delila hinter das geheimnis der kraft simsons zu kommen. dieser aber durchschaut das spiel, und er führte sie dreimal in die irre: zuerst soll sie ihn mit sieben frischen sehnen fesseln, die er aber beim erscheinen der philister wie bindfäden zerreisst. danach sind es neue stricke, denen sich simson wie fäden erledigt. schliesslich nennt er seine sieben locken, die delila an einen webstuhl verknoten soll. doch auch hier befreit sich der held mit leichtigkeit. deshalb versucht es delila ein weiteres mal, und sie fordert ihren mann heraus:

„Wie kannst du sagen, ich liebe dich!, wenn mit dein Herz nicht gehört? Jetzt hast du mich dreimal belogen und mir nicht gesagt, wodurch du so grosse Kraft besitzt“, beklagte sich delila.

nach längerem drängen durch delila, offenbarte simson ihr alles. „Ein Schermesser ist mir noch nicht an die Haare gekommen; denn ich bin von Geburt an ein Nasiräer. Würden mir die Haare geschoren, würde meine Kraft mich verlassen; ich würde schwach und ware wie jeder andere Mensch.“


simson wird von den philistern überwältigt und geblendet
quelle: wikipedia

die verführerische delila lässt darauf simson auf ihren knien einschlafen. dann schneidet sie ihm die sieben locken ab und ruft die philister, die ihn, entkräftet, gefangen nehmen. sie stechen ihm die augen aus und bringen ihn nach gaza in gefängnis.

doch sein haar wächst auch in der gefangenschaft nach. als die philister in gaza ein grosses fest feiern, holen sie simson aus dem gefängnis, um ab ihm ihren spass zu haben. simson wird in den palast gebracht, wo sich 3000 fürsten der philister versammelt haben. blind wie er ist, lehnt er sich an die mittelsäule und spürt, wie seine kraft zurückgekehrt ist. er merkt, dass das seine gelegenheit ist, sich an den philistern zu rächen. er spricht ein gebet zu seinem gott und kippt mit seinen leibeskräften die säule um, sodass das haus einstürzt. die philister werden begraben, und auch simson findet dabei den tod.

die geschichte lehrte im alten testament, wie starke männer schwach werden, wenn sie von listigen frauen verführt werden. simson besiegt zwar einen löwen, doch unterliegt er in seiner liebe zu delila. sein schicksal hatte aber auch einen höheren sinn: die kraft jahwes war es, die ihn dazu führte, sich stets in eine philisterin zu verlieben. denn dies gab ihm auch einen vorwand, sich mit dem gegner zu streiten.


der gefangene simpson lässt den palast der philister einstürzen – und ist der erste stelbstmordattentäter der geschichte
quelle: wikipedia

in bern taucht simson gleich mehrfach auf. er findet sich auch an der fassade des rathauses, denn im mittelalter war simson eine der bliebtesten figuren aus der bibel. und er ragt über dem simpson-brunnen in der kramgasse, seit 1542 in der heutigen form bestehend. der bezug auf ihn, den löwenstarken helden, und moses, den gesetzgeber des volks israel durch die bernischen brunnenkunst, ist nicht zufällig: ganz bewusst wurde nach dem übertritt berns zur reformation der direkte anschluss an das alte testament gesucht. nicht zuletzt ist dies auch deshalb von bedeutung, weil sich im 17. jahrhundert, in bern ein reformiert-orthodoxer protestantismus entwickeln wird.

bis heute ist simson eine beliebte figur der kunst, der gestaltung und des films geblieben. seine deutung ist allerdings komplexer geworden: nicht mehr nur den helden des volkes sieht man in ihm; er gilt auch als der erste selbstmordattentäter der geschichte. aber er ist kein palästinenser wie heute, sondern ein israeli.

eben: starker mann, gottes mann, krieger mann.

stadtwanderer

übersehen …

vor einem monat habe ich meinen beitrag über “graffiti-city” geschrieben. ich bin von zuhause aus zu fuss zur arbeit gegangen. und ich habe das gleiche retour gemacht.
ich kenne den weg, wenn auch meistens aus der perspektive des postautos. dennoch habe ich auf meinen beiden wanderungen rund 400 graffiti entdeckt, – auf den 8 kilometern weg.
der bericht darüber ist innert kürzester zeit einer der populärsten auf dem “stadtwanderer” geworden.

doch jetzt ist er entwertet: unglaublich, der schönste unter den graffiti, ist mir entgangen. er:


vergessener graffiti “let’s go, walking in the town.”

ganz an der strasse ist er allerdings nicht. vielmehr ist er bei der zentralwäscherei, die ich notabene ausgiebig fotografiert hatte, gleich um die ecke, leicht abgeschirmt durch ein paar bäume.

dennoch, ich erkläre ihn nachträglich zum meinem favoriten: spektakulär gemacht, ausdrucksvoll in seiner aussage, und geheimnisvoll plaziert, werde ich ihn immer grüssen, wenns heisst “let’s go, walking in the town!”

stadtwanderer

graffiti-city

missing …

vermissen …

eigentlich vermisse ich nur melanie winiger. sie war cool. schön, echt und lebensfroh. bei “achtung fertig, charlie” war ich der charles: fix und fertig hat sie mich gemacht, – wenigstens im film: von der der ersten bis zur letzten sekunde bin ich voll mitgegangen.


eine miss zu sein, heisst nicht, auf eine eigenständige persönlichkeit zu sein: melanie winiger, ganz links, in “achtung fertig charlie” …

vermarkten …

ich habe mir die miss-wahlen vom samstag nicht angesehen. aber ich kann mich den ergebnissen nicht entziehen, denn miss-wahlen in der schweiz sind heute wie überall mediale präsentationen und aufgeladene entscheidungen, die zu kommerziellen verkauften produkten führen. und ein konsument bin ich auch!

was dabei herauskommt, ist vermarktet und muss nicht vermisst werden. das ist mir bei der letzten miss ein jahr lang so gegangen: sie war zwar erfolgreich, sie repräsentierte die schweiz auch gut, und sie war äusserlich schön. aber laurianne gilléron berührte mich keinen moment während ihres abgelaufenen glücksjahres.


eine miss zu sein, heisst sich vermarkten zu lassen: laurianne krönt ihre nachfolger christa zur schönheitskönigin

bei christa rigozzi, der neuen schönheitskönigin, weiss ich noch nicht, woran ich bin. sie wird uns ja erst vorgestellt: “spontan und eifersüchtig”, sei sie, naja … , kriminologie studiere sie, hoppla, sag ich da …, und unkulturell, unpolitisch, unhistorisch scheint sie nicht zu sein, denn: “ich bin so multikulturell wie unser land”, verrät sie der schweizer illustrierten und fügt gleich bei: “ich bin glücklich, in einem land wie der schweiz mit einer direkten demokratie zu leben.” schliesslich empfiehlt sie mit “The da Vinci Code” ein geschichtsträchtiges werk als ihr lieblingsbuch.

das lässt aufhorchen! jedenfalls mehr als die wieder ganz banale geschichte, ihren herzallerliebsten giovanni vor dem mcdonalds kennen gelernt zu haben, resp. zu wissen, dass sie italienischer muttersprache ist, als gute studientin in fribourg/freiburg französisch und deutsch spricht, und, sebstverständlich, auch das englische herrscht.

vergessen …

wie aber wäre es, wenn christa statt

englisch fränkisch,
italienisch lombardisch,
französisch burgundisch und
deutsch schwäbisch

sprechen würde? das wäre genial, – und es würde die jüngste misswahl nahtlos in die linie stellen, welche die etwas modernisierten brautschauen von heute seit dem 9. jahrhundert in unserer gesellschaft sind.

als im jahre 818 die kaiserin irmingard, die frau des zweiten fränkischen kaisers ludwig, starb, mochte dieser nicht alleine bleiben. anders als sein vater, karl der grosse, nahm er sich nicht weitere frauen mit strategischer absicht, und folgte er auch nicht der fränkischen (un)sitte, gespielinnen aus dem gesinde zu neuen frauen zu nehmen.

nein, der kaiser veranstaltete – nach byzantinischem vorbild – eine brautschau unter den schönen töchtern des höheren adels.


kaiserin judith (795-843), quelle: wikipedia

es siegte judith, die tochter des bayrischen grafen welf und der edlen sächsin heilwig. sie war eine stark persönlichkeit, als sehr schön und ausgesprochen willensstark wird sie in den alten quellen beschrieben. sie war es denn auch, die den welfen, bis heute adelsgeschlecht, wenigstens vorübergehend herrschaftlich bedeutsames ansehen gab.

bei ihrer vermählung mit dem kaiser 819 erhielt judith das kloster san salvatore in brescia als morgengabe, und schon bald darauf übte sie erheblichen einfluss auf ihren mann, kaiser ludwig, aus. dieser las lieber spannende bücher als zu regieren. insbesondere war judith darauf bedacht, ihrem sohn mit dem kaiser, den sie, in anlehnung an den grossvater, keck karl taufen liess, einen anteil des fränkischen erbes zu sichern.

das weiderum führte zum grossen streit, denn ludwig hatte bereits 817 seine nachfolge resp. die verteilung des fränkischen reiches geregelt, – und zwar unter den drei söhnen lothar, pippin und ludwig aus erster ehe. demnach sollte lothar den grossteil erben und der neue kaiser sein, während pippin unterkönig von acquitanien und ludwig das gleiche in bayern werden sollten.

davon liess sich die resolute schönheitskönigin judith jedoch gar nicht beeindrucken. sie setzte 829 beim kaiser durch, ein weiteres unterkönigreich auszuscheiden und speziell für karl zu reservieren. aus alemannien, dem elsass und churrätien wurde so erstmals in der geschichte das unterkönigreich schwaben formiert und sohn karl zugesprochen.

diese nachträglich änderung der erbrechte sollte die fränkischen adeligen derart schockieren, dass sie eine fürchterliche intrige gegen die eigentliche herrscherin lancierten: judith wurde des ehebruchs mit bernhard von septimanien bezichtigt und 830 in ein kloster bei poitiers geschickt. ihr mann, der kaiser, wurde vorübergehend abgesetzt, und rettete seine und judiths haut erst, als die vikingische bedrohung des reiches so stark und der gemeinsame wille unter den streitenden söhnen so schwach war, dass man ludwig nochmals als titularkaiser einsetzte und judith aus der verbannung frei liess. formell herrschen sollten sie bis zu ihrem tod, derweil der bruderkampf unter dem schützenden dach erbarmungslos weiter ging.

judith verstarb im historisch bedeutsamen jahre 843. ihr stiefsohn pippin war schon vor ihr tot, sodass karl unterkönig von acquitanien werden und auf schwaben verzichten konnte. dem alten erbvertrag konnte so genüge geleistet werden, bevor die miss bayern, die schöne und starke kaiserin, das zeitliche segnete.

dennoch, ruhe kehrte im fränkischen reich nicht ein: seit dem tod ihres vaters im jahre 840 machten karl und ludwig gemeinsame sache, besiegten 842 den eigenen bruder lothar in einer der schrecklichsten adelsschlachten der geschichte im burgundischen fontenay und stellten danach neue forderungen zur reichsteilung. weder auf acquitanien noch auf bayern wollten sie sich beschränken lassen; vielmehr sollte das fränkische kaiserreich nach alter sitte in drei gleich grosse stücke aufgeteilt. was danach geschah, war schon 829 angelegt worden: jeder griff nun nach seinem kleinen reich, bis das grosse zerfiel.

miss-bräuche …

miss-wahlen haben also schon mal europäische geschichte gemacht. frauen sind dabei der männergesellschaft vorgeführt und in sie eingeführt worden. bilder der bewunderung und der angst sind daraus entstanden. das hat zu miss-bräuchen aller art geführt: frauenrollen wurden so schon im 9. jahrhundert normiert, neu definiert und unendlich lang diskutiert.

zu schwach durften sie nicht sein, die neuen frauen, denn sonst wären sie gar nicht aufgefallen. zu stark war aber auch wieder ein problem. besonders die verbindung von stärke und schönheit, im lateinischen mittelmeerraum nichts ungewöhnliches, irritierte in den fränkischen dörfen. intrigiert wurde gegen sie, bis ehen zerbrachen, liaisons bröckelten, verbindungen zerfielen.

wer sich in einer brautschau durchgesetzt hatte, war mit dem odium der selbständigkeit behaftet. nicht die väterliche vermittlung entschied das schicksal, sondern die wahl auf dem fränkischen hofplatz. neue miss-bräuche kamen so ins land, und sie beeinflussten die politik nachhaltig. den kaiser freute es, judith auch, und karl, ihr gemeinsamer sohn, stieg als “der kahle” vom vermeintliche unterkönig in schwaben gar zum nachnachfolger seines vaters als kaiser auf.

die bewertung von judith blieb jedoch umstritten. sie ist weder eine heilige noch eine hure gewesen. aber irgend etwas dazwischen. lange wurde sie ganz aus den geschichtswerken gestrichen, dann als unglückliche kaiserin verniedlicht. erst heute wird sie eine politische figur, über die man biografien schreibt.


fränkische reichsteilungen 843-888 lassen das imperium einstürzen und zahlreiche königreiche in ost und west, nord und süd entstehen

ihre wirkungen sind beträchtlich. die von ihr angeschobene reichsteilung brachte eine ethnisierung der gesellschaft. deutsche und franzosen berufen sich bis heute auf die reichsteilung nach judiths tod 843, um die anfänge ihrer unterschiedlichen geschichte zu erklären. deutsch und französisch wiederum werden in ihren ältesten formen mit dem teilungsvertrag in verbindung gebracht, liess man doch 842 die grossen des reiches auf ihre zugehörigkeit zum ost- oder westreich schwören und bediente man sich dabei in strassbourg erstmals in der europäischen geschichte übersetzern.

selbst auf die plurikulturelle, mehrsprachige schweiz hat sich die reichsteilung nach judiths tod haltig ausgewirkt: die gebiete rechts der aare, der hauptharst der heutigen deutschsprachigen schweiz, kamen zum ostfränkischen reich, genauer gesagt: zum herzogtum schwaben, das 911 in den ausmassen wie von judith verlangt entstand und 917 dem ostfränkischen reichsverband einverleibt wurde. erst im 12. jahrhundert sollte sich dieser teilweise auflösen, – in die heutige deutsch- resp. rätoromanische schweiz und in das jetzige baden-württemberg.

mit dem zerfall der fränkischen herrschaft im 9. jahrhundert kam die ethnische teilung der heutigen schweiz zwischen 888 und 1032 klar zum ausdruck (bild: wikipedia)

demgegenüber kamen 843 die gebiete links der aare, im wesentlichen die heutige französischsprachige schweiz und das üchtland zwischen aare und saane, zum kaiserlichen mittelreich. von diesem wissen wir, dass es nicht bestand hatte und in drei weitere königreiche zerfiel: in lothringen, seither kampffeld zwischen deutschland und frankreich, im burgund, wie man weiss ein vorübergehend selbständiges königreich, das in der westschweizer vorgeschichte tiefe spuren hinterlassen hatte, und in die lombardei, heute im wesentlichen zu italien gehörig und der tummelplatz der lega nord.

von dieser lombardei, von diesem italien hat sich nur das tessin dauerhaft abgespalten. er zählt heute zur schweiz, – und so erhielt christa ihre chance, nicht nur nachfolgerin von laurianne als miss schweiz, sondern auch indirekte nachfolgerin im plurikulturellen von miss judith zu werden.

dreisprachig ist sie ja schon, die neue schönheitskönigin christa. ihre kulturelle, politische und historische wirkung hoffe ich nich missen zu müssen, denn wenn es in den nächsten 12 montanen nichts zu vermelden gibt, werde ich sie für immer vergessen … doch vorerst setze ich ganz auf den grossen “missing-trend”, dem sich heute kaum eine(r) mehr keine entziehen kann,

nicht einmal der

stadtwanderer

quelle:
armin koch: kaiserin judith. eine politisch biografie. matthiesen 2005

lieber alexander tschäppät

ich finde es toll, dass sich bern unter deiner leitung gesellschaftlich öffnet, europäischer wird und selbstbewusster die eigenen schönheiten zeigt.

seit tagen wurde ich nun mit prospekten zum europäischen tag des denkmals eingedeckt. verschiedene kantone waren am samstag diesbezüglich aktiv. im kanton bern gab es aktivitäten quer durch alle regionen; in der stadt gab’s gleich drei führungen: in der elfenau, beim rathaus und beim erlacherhof.


begehrt wie noch nie: berner “hängende gärten” an der südseite der altstadt sorgten am samstag vor allem für “hängende köpfe”!

klar, ich habe mich entschieden, daran teilzunehmen, mitanzusehen, teilzuhaben und mitzuvermitteln. die gärten am südhang der stadt haben es mir angetan. in den prospekten wurden sie gelobt, – als grünbereiche der patrizier, aber auch der haus- und nutzgärtner, je selbst der modernen realisierung. das hat meine spannung erhöht, denn von aussen kenne ich sie schon.

ich war mit meiner neugier nicht allein. bei weitem nicht.

der andrang war riesig. das hat zunächst alle gefreut!

was danach geschah, war deutlich weniger erfreulich:

lange menschenschlanggggggen, wie zu zeiten der ddr,
willkürliche ssssssssssektionskriterien, wie zu zeiten der gnädigen herren,
und scharenweise aaaaaaaaaaaabgelehnte, wie heute bei den asylsuchenden.

wer auch immer dafür zuständig war:

die organisatoren?,
die denkmalpflege? oder
deine präsidialdirektion?:

ich sage es dir als stapi: es gab sehr viele enttäuschte an diesem nachmittag!

man war sich einig: dass der andrang so gross war, lag nicht in eurer verantwortung. durch euch wird aber der umgang mit der überraschung bestimmt. leider war er ganz daneben: herrschend, abweisend, kaltschnäuzig, verständnislos war der umgang mit der ungewohnten situation.

neben mir standen alte frauen, die sich gefreut hatten, zu ihren lebzeiten die sonst nicht zugänglichen gärten von nahem sehen zu können. es waren junge menschen da, welche die stadt als lebensraum nutzen möchten und neues entdecken wollten. selbst romands hatte es, die von weit her gereist waren und für einmal alle kulturellen barrieren vergessen hatten, nur um eure schönen gärten zu bewundern!

wir alle, die wir mit einem prospekt ohne aussicht abgespiesen wurden, waren masslos enttäuscht und frustriert. getroffen hat uns alle, dass wir als unreife fans von robbie williams tituliert wurden: das war nicht nur ein schiefer vergleich, sondern hätte den organisatoren eigentlich auch auf die sprünge helfen müssen: angesichts des andrangs gastierte dieser star nämlich gleich zweimal in bern!

lieber alex, bern scheint mir gut beraten zu sein, dem europäischen tag des denkmals rasch einen bernischen tag der wiedergutmachung folgen zu lassen. aus “gartenräume – gartenträume” wurde am samstag schlicht “garten berna – garten trauma”. erbaulich ist das nicht!

statt die hängenden köpfe unter den ausgeschlossenen anzusehen, würden sich viele interessierte freuen, bald möglichst die hängenden gärten doch noch zu gesicht zu bekommen.

ich würde sogar einen sonderkorrespondenten des stadtwanderers schicken, um darüber zu berichten …

… ein angebot?

gruss

stadtwanderer

häppi börsday

sechs monate ist er alt, der kleine stadtwanderer; ein guter moment für ein paar besinnliche worte zum kleinen geburtstag …


gratulation, stadtwanderer, ein kleines geschenk von mir, kaiserin adelheid (s.u.)

“Wege entstehen dadurch, dass man sie geht.”

(franz kafka)

“Sei nicht der Diener eines anderen, wenn du als eigener Herr kannst wandern.”

(philippus theophrastus paracelsus)

“Wer das Strahlen der Morgenröte sehen will, muss durch die Nacht wandern.”

(annelies mäder)

“Reisen heisst, an ein Ziel kommen; wandern heisst, unterwegs sein.”

(theodor heuss)

“Die Menschen reisen in fremde Länder und staunen über die Höhe der Berge, die Gewalt der Meereswellen, die Länge der Flüsse, die Weite des Ozeans, das Wandern der Sterne; aber sie gehen ohne Staunen aneinander vorüber.”

(hl. augustinus)

“Ohne Beine läuft beim Wandern nichts.”

(werner mitsch)

“bern: die fan-zone des stadtwanderers”

(slogan des sommers bern06)

der stadtwanderer

österreiz-autrisse: die wahren hintergründe zum staatsbesuch

geheimverhandlungen am staatsbesuch: das treffen zwischen den bundespräsidenten heinz fischer (a) und moritz leuenberger (ch) an diesem wochenende ist nur vordergründig durch sonnenschein geprägt. im hintergrund schwelt ein konflikt, bei dem es um nicht weniger als die gemeinsame geschichte der beiden länder geht. mit blick auf die euro08 soll eine neuinterpretation erfolgen. doch jetzt drohen schwierigkeiten, die sich nicht mehr verheimlichen lassen. der stadtwanderer weiss die details.


baustelle bundeshaus – baustelle geschichte: die wahren hintergründe der neuen staatsnamen werden vom stadtwanderer analysiert (foto: standwanderer, anclickbar)

könig rudolf von habsburg altes und neues image

könig rudolf von habsburg wird im wiener dom als römischer könig verehrt. und in der lausanner kathedrale erinnert man sich seiner, denn er weihte mit dem papst die neu erbaute kirche. als herrschsüchtiger monarch ist er dagegen in der schweizer geschichte verschrien. wegen ihm hätten sich die freien bauern aus der innerschweiz erhoben. zur sicherung ihrer angestammten, aber bedrohten rechte hätten sie, am 1. august 1291, den bund der alten eidgenossen schliessen müssen. so lernt man es im geschichtsunterrigeheim gehaltene historiker-kommission am werk

die bilateral-gemischte historikerInnen-kommission, welche dieses leben portraitieren wird, ist seit längerem hinter verschlossenen türen an der arbeit. ganz im stillen hat sie, im auftrag der beiden aussenministerien, die aufgabe gefasst, mit blick auf die euro08, die geleichzeitig in österreich und in der schweiz stattfinden wird, ein versöhnliches stimmendes buch, samt cd und internetseiten herauszugeben. bereits abgemacht ist, dass österreich definitiv auf alle territorialen ansprüche in der schweiz verzichtet. umgekehrt wird sich die schweiz für das rüppelhafte benehmen bei der plünderung des reichsklosters einsiedeln 1315 beim nachbarn formell entschuldigen.

die beiden sozis im präsidentenamt, politisch mit den alten geschichten der monarchisten und bauernparteiler unbelastet, haben sich während des staatsbesuches vom stand der diplomatischen verhandlungen, der wissenschaftlichen arbeiten und der publizistischen massnahmen informieren lassen. das protokoll will es, dass davon bisher nichts nach aussen gedrungen ist.

politische verstimmung ruchbar geworden

ruchbar geworden ist gestern, dass es am ende der gespräche zu einer verstimmung in einer zentralen frage gekommen sei. warum auch immer, der literarisch bewanderte bundespräsident der schweizerInnen, der zürcher pfarrerssohn moritz leuenberger, habe sein gegenüber souverän ein wortspiel angeboten. wenn ernst jandl in der heutigen politischen landschaft “links und rechts” problemlos verwechseln könne und daraus “rinks und lechts” machen dürfe, ohne dass jemand “halt!” rufe, dann solle der ausgebrochene staatsstreit analog gelöst werden. aus den nachbarn “österreich und schweiz” resp. “autriche und suisse” solle probehalber “österreiz und autrisse” werden. noch während des staatsbesuches werde man das breitflächig verkünden, und wenn dann wiederum niemand “halt!” rufe, werde die schweiz in der entscheidenden frage nachgeben. das kann man zwischenzeitlich an der aussenwand des bundeshauses nachlesen.in schon fast reformatorischer manier wird einem da die wiedervereinigung von österreich und der schweiz vorgeführt.

der stadtwanderer, der so oft das gras wachsen hört, weiss aber noch mehr. denn er hat sich gesternflux ins café fédérale (bald: café imperial) gesetzt und eine unglaubliche entdeckung gemacht. unter seinem stuhl war ein fax versteckt. dieses enthielt das protokoll der gespräche zwischen fischer und leuenberger! interessiert begann er zu lesen, und staunend hat er die schwerwiegende problematik zu kenntnis genommen, die gerade verhandelt wurde. um einen primör in der sonntagspresse nach gehabtem muster zu verhindern, macht er hier der blogger-öffentlichkeit das dokument in extenso zugänglich:

das brisante fax-dokument

“die republik österreich und die schweizerische eidgenossenschaft verpflichten sich, bis frühling 2008 unter dem motto: “fussball vereint” eine neue biografie zu könig rudolf von habsburg herauszugeben, die einen sinneswandel gegenüber der gemeinsamen historischen persönlichkeit erreichen will. hierzu wird ein sechs-punkte-programm verabschiedet, das als guideline für die kommende öffentlichkeitsarbeit dienen soll:

1. rudolf von habsburg übernahm 1273 ein kaiserreich in desolatem zustand. realist genug, erkannte er sofort, dass es nicht um die wiederherstellung der alten verhältnisse gehen konnte. deshalb verzichtete er auch den titel eines römisch-deutschen kaisers. dafür favorisierte er zügig die entwicklung stabiler kleinstaaten am südlichen rande des reiches. österreich, schwaben und burgund sollten als herzogtümer stark gemacht werden. der einfachheit halber wird man indessen nur von österreich und der schweiz als nutzniesser der revindikation sprechen. beabsichtigt wird damit, rudolfs anerkennung im lager der autonomisten, der linken partisanen und der demokratischen bauern zu erhöhen.

2. um den stolz der schweizerInnen auf rudolf von habsburg zu wecken, wird er inskünftig konsequent als schweizer mit erfolgreichem auslandsengagement vorgestellt werden. er wird in einer linie mit peter sauber, lotti latrouse und roger federer in allen srg ssr idee suisse medien gepusht; für den nächsten swiss award wird er asl “schweizer des jahres” nominiert. überall wird man seine brugger herkunft betonen und viel von seiner besonderen verbundenheit mit den aargauer bauern sprechen. denn auch sie waren im ausland erfolgreich. sie haben tatkräftig geholfen, den renitenten könig von böhmen, ottokar II., in dürnkurt zu besiegen. dank diesem sieg konnten die habsburger von brugg nach wien übersiedeln, und verliehen so dieser stadt imperiales gepräge. das wird man den österreicherInnen in erinnerung rufen.

3. der neuerdings österreichisch-schweizerische doppelbürger rudolf wird zudem als erfolgreicher wirtschaftsförder profiliert werden. insbesondere beim eher nationalkonservativen schweizer gewerbe will man damit punkten. strassenbauer und -unterhalter sei er zu lebzeiten gewesen, wird man bei den baumeistern unaufhörlich repetieren. städte hätte er zusammengekauft und miteinander verbunden, wird man bei den eth-architekten und -raumplanern stets von neuem wiederholen. als ersten urbaniten wird man ihn schliesslich feiern, denn dank ihm hätten handel und gewerbe mit ihren geschäften bisher nicht bekannte skalenerträge erwirtschaften können. dieses argument wird besonders auch im umfeld der fdp-nahen handelskammern und sp-gelenkten staatlichen wirtschaftsförderungsstellen zwischen aarau und freiburg seine verbreitung finden.

4. zudem will man die romand(e)s damit gewinnen, dass der bisher eher als hagerer langweiler bekannte könig neu als lustiger lebemann aufgebaut wird. selbst im hohen alter von 64 jahren habe er noch die 16jährige prinzessin von burgund, elisabeth, geehelicht. dieser bemerkenswerten tat wird man folgenden spin geben: nicht nur der einen jungen frau habe er die chance als “miss habsburg” eröffnet, sondern auch den traditionsbewussten burgundern so die rückkehr ins germanische reich ermöglicht.

5. für das internationalistisch-pazifistisch-modernistische lager in beiden ländern will man schliesslich könig rudolf als eigentlichen friedensstifter bekannt machen. die sitten des faustrechts und der blutrache, die zu seiner zeit noch gegolten hätten und zeitgemässen vorstellungen von zivilisation widersprechen würden, seien von ihm persönlich bekämpft worden. soweit sein einfluss reichte, förderte er den königlichen landfrieden, amtete als schiedsrichter in unentscheidbaren streitfällen und trug so wesentlich zur versittlichung des rauhen bauernlebens bei.”

zwischen anpassung und widerstand: doppelgesichtige schwyzer söldner

an dieser stelle endet das protokoll abrupt. ganz offensichtlich ist man sich im 6. punkt, dem für die innerschweizer-zielgruppe, in die haare geraten. moritz leuenberger, bundespräsident aller schweizer, habe unwirsch gebremst, als er von folgender ungeheuerlichkeit erfahren habe: in alten schweizerischen militärarchiven hätte die bilateral-gemischte historikerInnen-kommission dokumente gefunden, wonach ausgerechnet die schwyzer söldner die treuesten anhänger des habsburgischen königs gewesen seien. anders als im heutigen selbstverständnis der urschweizer seien sie keine widerständler, sondern willige anpasser gewesen. als zusatz-fax-kopie liegt dem stadtwanderer folgender bericht vor:

“Im Jahre 1298 zog König Rudolf von Habsburg zu Feld wider den unbotmässigen Pfalzgrafen Otto von Burgund. Auf dieser “Reise” begleiteten ihn 1500 Schwyzer. Als ein starkes Entstzheer heranrückte, sah sich der König genötigt, sich auf die benachbarten Höhen jenseits des Doubs zurückzuziehen. Es herrschte Mangel an Lebensmitteln, da dem Heer alle Zufuhr abgeschnitten worden war. In dieser schwierigen Lage musste das Schwert die Entscheidung bringen. Daher beriet sich der König mit den Seinigen über die bevorstehende Schlacht.
Bereits war die Nacht hereingebrochen, wirrer Lärm herrschte in beiden Lagern, als die Schwyzer als wohlgeübte Bergsteiger den Abhang herabstiegen, das Lager des im Heere der Burgunder stehenden Grafen Theobald von Pfirt überfielen und eine Anzahl seiner Leute nidermachten. Sie gewannen beträchtiche Beute und richteten grosse Verwirrung an, so dass im Tal alles in laute Bewegung geriet. Bei Tagesanbruch schickten die Welschen eine Gesandtschaft zum König und baten um Frieden.
Diesen Erfolg verdankte der König der Waffentat der Schwyzer, der ältesten, die wir in Einzelheiten in der Schweizergeschichte kennen. Wie die einheimische Ueberlieferung nachher berichtete, fügte der König den Schwyzern zum Lohn dafür das nachmalige Ehrenzeichen in ihre rotes Banner, das weisse Kreuzeszeichen im Eckquartier.”

leuenberger: modernes gottesurteil soll entscheiden

dank seinen guten beziehungen ins eda hat der stadtwanderer erfahren, dass heinz fischer am bundespräsidententreffen mit dem bisher unbekannten dokument punkten wollte. er habe nicht nur die informelle integration der schweiz in die europäische union mit einem österreichisch besetzes eu-büro in bern formalisieren bestätigt, sondern darüber hinaus auch eine erweiterung des bundesbriefarchivs in schwyz verlangt. so könne man die urkunde von rudolf für die solddienste der schwyzer direkt neben dem bundesbrief in einer permanenten sonderausstellung bekannt machen, war seine rede.

doch das führte zum eclat! moritz leuenberger habe ungemacht in svp-nahen kreisen gewittert. proteste von den versammelten schwyzer parlamentarierInnen habe er kommen sehen, die sich in den bundesrat fortpflanzen würden und von dort aus in ungeahntem masse die politik beeinflussen könnte. seine wiederwahl als bundesrat 2007 sah er dadruch gefährdet, weshalb er den genossen fischer ins väterliche gebet genommen und das gottesurteil à la jandl verlangt habe.

staatspolitik auf höchster ebene wurde also hinter den mauern des bundeshauses betrieben. die flüsterer vom dienst sind auf jeden fall bestrebt, den neugierigen stadtwanderer zu beschwichtigen: tschutten werde man so oder so gemeinsam, und das buch über rudolf von habsburg werde auf jeden fall erscheinen, allenfalls leicht gekürzt … hätten die beiden präsidenten beim staatsbesuch schon mal beschlossen!

unglaublich, die was die geschichte alles noch bringen wird …

der staunende stadtwanderer

meine anzahlung an den thuner schlosskauf …

tja, sachen gibts: in thun mochte keiner der einheimischen historiker am “fulehung” über die schlacht von murten sprechen. hat der veranstalter auf internet recherchiert, wer das machen könnte, und ist auf meinen blogbeitrag über adrian von bubenberg gestossen. die einladung, in thun etwas zu tun, um das geschichtsinteresse zu wecken, habe ich natürlich dankend angenommen.


habe selber als soldat 1977 in einer übung die schlacht nachgespielt. verstanden habe ich auf diese art aber nichts von dem, was passierte. das aber liefere ich mit meinem vortrag nach …

Vortrag:
„Schlief Adrian von Bubenberg nach der Schlacht von Murten gut?“
Unkonventionelle Betrachtungen zu einem Wendemoment der bernischen, schweizerischen und burgundischen Geschichte.

Referent: Claude Longchamp, Institutsleiter gfs.bern, Historiker & Burgunder

Mittwoch, 27. September, Rathaushalle Thun, 20 Uhr

“Als Adrian von Bubenberg am Morgen nach der Schlacht von Murten erwachte, war er nicht mehr nur Alt-Schultheiss von Bern und Ritter von Spiez. Er war der gefeierte Sieger der Schlacht von Murten. Adrian von Bubenberg hatte den mächtigen Herzog von Burgund besiegt: Karl den Kühnen. Die Eidgenossenschaft hatte 1476 – erstmals gemeinsam – ihr bedrohtes Territorium verteidigt und riesige Beute gemacht. Doch Adrian von Bubenberg war Kriegsheld wider Willen; denn eigentlich stand er auf burgundischer Seite, ja war sogar mit Karl dem Kühnen befreundet! Wie also schlief er in der Nacht nach der Schlacht, der Held Adrian von Bubenberg?

Wir warten gespannt darauf, was der Berner Stadtwanderer dazu erzählt!”

klar, und ich bin schon mal gespannt, was mir hierzu alles nicht einfällt…

stadtwanderer

ps:
in thun entscheidet sich am nächsten abstimmungssonntag, ob das schloss verkauft werden soll. falls dem so ist, würde ich mein vortragshonorar schon mal als anzahlung an den kauf geben …

berns welterbe

jede führung mit ausländischen gästen beginnt mit einem satz. “bern ist zwar nur eine mittelgrosse europäische stadt; sie gehört aber zum UNESCO-welterbe.” merkwürdigerweise ist das interesse hierzu bei auswärtigen teilnehmerInnen viel grösser als bei einheimischen. diese beschäftigt in der regel vielmehr die frage, ob die stadt sauber oder dreckig sei, je nachdem ob die gäste aus bern oder zürich kommen …!

das unesco-welterbe in der schweiz

zeugnisse vergangener kulturen und einzigartige naturlandschaften, deren untergang ein unersetzlicher verlust für die gesamt menschheit wäre, können seit 1972 unter den schutz der unesco gestellt werden. die aktuelle liste hierzu umfasst insgesamt 830 denkmäler in 138 ländern. davon sind 644 kultur- und 162 naturdenkmäler. weitere 24 denkmäler gehören sowohl dem kultur- als auch dem naturerbe an.


ausgewählte orte, die weltweit dem schutz der unesco unterliegen

zu den bekannten geschützten städten zählen die pyramiden ägyptens, der grand canyon des colorados, mont saint-michel vor frankreich, das heiligtum tadj mahal, die inkastadt machu picchu un die felsenstadt petra in jordanien.

die grundlage für die aufnahme in die schützenswerten stätten ist das internationale “Übereinkommen zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt”, das die UNESCO 1972 beschlossen hat. 180 staaten haben die konvention inzwischen unterzeichnet. 1975 hat auch die schweiz das abkommen ratifiziert. seither sind sechs objekte in die unesco-liste aufgenommen worden:

1983
. die altstadt von bern,
. der stiftsbezirk von st. gallen und
. das benediktinerinnenkloster st. johann in müstair,

2000
. die burgen von bellinzona

2001
. die region jungfrau-aletsch-bietschhorn und

2003
. der monte san giorgio.

hängig ist die kandidatur des glarner hauptüberschiebung, die erdgeschichte sichtbar macht.


bern, auf dem fels in der aareschlauf, für die traditionellen berner “der sack”

kriterien für die aufnahme ins welterbe sind die “einzigartigkeit” und “authentizität” einer kulturstätte oder die “integrität” eines naturdenkmals. über die aufnahme entscheidet das UNESCO-welterbe-komitee.

einmalig: der zähringische stadtplan berns

das zentrale gebiet der heutigen schweizer bundesstadt war bereits in vorgeschichtlicher zeit besiedelt. es lebten keltische bauern und römische siedler in der aarestadt brenodor, und es liessen sich hier burgundische und alemannische völkerwanderer nieder. die schützenswerte tat stammt jedoch aus dem ende des 12. jahrhunderts: 1191 gründete herzog berchtold v. von zähringen, rektor von burgund, die stadt bern. damit fand seine erschliessung des brach liegenden üchtlandes zwischen saane und aare, die zu städtegründungen in fribourg, murten, thun und burgdorf geführt hatte, ihren höhepunkt.

die mittelalterliche stadt von bern wurde durch den aareübergang in der heutigen nydegg bestimmt, der vor der korrektur der aare im 19. jajrhundert resp. dem ersten brückenbau im 13. jahrhundert die sicherste flusspassage weit und breit war. die stadt in der flussschlaufe hatte zudem von drei seiten einen natürlichen schutz. die vierte seite wurde durch einen natürlichen graben (heute aufgeschüttet) und den zytgloggenturm als wehrturm abgeschlossen.

charakteristische merkmale berns und allen anderen, neu angelegten zähringerstädte sind die breiten strassen für den markt, die einen zentralen platz ersetzen sowie die fortschrittliche wasserversorgung. das strassennetz ist streng geometrisch angelegt. die beiden hauptstrassen treffen im zentrum rechtwinklig aufeinander, und sie werden durch eine ringstrasse rund herum abgeschlossen. die felder zwischen den strassen wurden ursprünglich alle in gleich grosse parzellen von 100 x 60 berner fuss aufgeteilt.

mit ausnahme der burg in der nydegg wurde die zähringerstadt, wie damals üblich, als holzstadt gebaut. erst nach 1393 wurden die strassen gepflästert, und nach dem grossen stadtbrand von 1405 begann man auch die häuser aus stein zu bauen um die charakteristischen lauben für das gewerbe zu erweitern. das älteste gebäude aus dieser stadtbauphase, das heute noch steht, ist das berner rathaus, – in den seinen grundfesten aber immer noch der bau aus dem 15. jahrhundert. ende des 18. jahrhunderts wurde per mandat der obrigkeit der häuserbau vereinheitlicht; seither hat die altstadt ihr eigentümliches gepräge. für dieses sind auch die brunnen typisch, die fast alle im 16. jahrhundert im geist der reformation entstanden.

berns bleibende verpflichtung und aktuelle herausforderungen

die unesco bemüht sich, nicht nur das erbe zu schützen, sondern auch ein weltbewusstsein dafür zu schaffen. internationale feiern sind ein vehikel dafür, die von den nationalen unesco gesellschaften umgesetzt werden. 2008 wird in diesem rahmen schweiz- und weltweit das “jahr der kartoffel” sein.

Quelle: ExperienceLA, http://www.flickr.com/photos/experiencela/

mit der aufnahme in die liste des welterbes wird in bern vor allem der einmalig erhaltene grundriss der stadt, insbesondere das zähringische stadtstrassennetz, geschützt. bern hat sich mit dem schutz verpflichtet, die historische bausubstanz im inneren und am ausseren der gebäude zu erforschen, zu wahren und zu pflegen. dadurch soll die altstadt von bern als bevorzugter lebensraum für anwohnende, die bevölkerung der region und besuchende aus der ganzen welt sein.


bewusstseinsarbeit in der schweiz: unesco welterbe als briefmarke resp. als buswerbung

die bewahrung des kulturerbes hat den hang zum konservativen charakter des stadtbildes noch verstärkt. dem steht seit längerem eine bevölkerung gegenüber, die sich stark gewandelt hat. die patrizier sind verschwunden, das bürgerliche leben wird seltener. die altstadt hat in der letzten generation einen erheblichen wandel von generationen, schichten und werthaltungen erlebt, der nicht folgenlos geblieben ist. das moderne, individualisierte stadtleben steht heute klar im vordergrund.

aktuell mächtig gestritten wird darüber, ob man die geschützte altstadt für das nachtleben in bern attraktiver machen soll oder nicht. das stadtparlament hat mehrfach getagt, extremstandpunkte und kompromissvorschläge sind beraten worden, und ein ende ist nicht in sicht. quer durch alle parteien gibt es konflikte zwischen befürwortern und gegnern, nicht selten zwischen älter und jüngeren menschen.

à suivre …

stadtwanderer

auf den spuren der kollektiven gedächtnisse

im google-zeitalter ein begriff an bedeutung gewonnen: das kollektive gedächtnis. ein tiefes ausatmen nach einer langen wanderung hierzu, und ein paar gedanken, die ich am wegrand liegend aufgenommen habe.

digitale und kulturelle gedächtnisse

alles was auf dem www kommuniziert wird, hinterlässt spuren, wird archiviert, katalogisiert und so auch memoriert. in einem bisher unbekannten masse können wir uns dieses kollektiven superspeichers bedienen, da es uns wörter definiert, texte erschliesst, sprachen übersetzt, bilder zeigt und töne ausspuckt. doch das ist nur die eine seite des gedächtnisses. die andere ist die erinnerung.


philipp emanuel von tscherlitz, baron und stadtwanderer (rechts), mit pascale bruderer, nationalrätin (links) aus ebenso einer gemeinen herrschaft (fotos: stadtwandererin)

wer die geschichte zu seinem “google” macht, bekommt nicht nur alerts zugeschickt, erhält nicht nur diskussionsstände zugestellt und kann nicht nur mit neuesten wissenschaftliche texte zuschlagen. geschichte erschliesst einem auch das kulturelle kollektivgedächtnis. sie erlaubt es, sich zu erinnern, von der gegenwart in die vergangenheit. lesend, staunend, fragend, erzählend bleibt man so nicht nur laufend auf dem laufenden, sondern wird wandernd bewandert.

individuelle und kollektive gedächtnisse

so wie die einzelnen menschen ein individuelles gedächnis haben, haben gruppen von ihnen ein kollektives. freundeskreise, organisationen, gesellschaften, religionsgemeinschaften, soziale schichten und regionen kennen es: das gemeiname gedächtnis, dasses ihnen erlaubt sich zu verorten. denn kollektive gedächtnisse sind wohl einem spiegel gleich, man sieht sich selber, aber auch sein umfeld. man hat, was sonst so schwer ist, sich und seinen hintergrund vor augen.


der stadtwanderer und sein publikum: mitten in der steinstadt mit deren bau man nach dem stadtbrand 1405 begonnen hat (fotos: stadtwandererin)

archaisches wissen, märchen und mythen sind ohne zweifel kernbestandteile des kollketiven gedächtnisses. doch sie sind nicht das ganze kollektive gedächtnis. vielleicht sind sie das, was die gefühle für den einzelnen sind: grundlegende wegweiser, die helfen entscheidungen zu treffen. geschichte ist darüber hinaus unser wissen, dass wir erwerben, wenn wir gefühlsvoll gegenüber unbekannten situationen handeln.

elemente der kollektiven gedächtnisse

zeichen, symbole, gebärden und rituale sind ursprüngliche darstellungs- und vermittlungsformen. sie werden nicht selten gruppenübergreifend verstanden. gerade deshalb haben sie ihre bedeutung auch in der modernen gesellschaft nicht verloren; angesichts multikulturell bestimmter gesellschaften ist ihre bedeutung zwar weniger einzigartig, aber umso grösser. ubiquitäre piktogramme erlauben es uns, uns in bahnhöfen, auf autobahnraststätten und grossen volksplätzen zurecht zu finden, wo auch immer diese sind.


stadtwanderung pur: müde füsse der stadtwanderer und willkommene überraschung von der lutherischen kirche (fotos: stadtwandererin)

auch märchen gibt es überall auf der welt. gerade weil sie eine einfache grundstruktur haben, eigenen sich sich für die kindererziehung und -unterhaltung. doch sie sind nicht nur das: in ihnen spiegeln sich die hoffnungen und befürchtungen ganzer gruppen. mehr noch als das fernsehen, sind sie als kollektiver erfahrungsschatz quellen der fantasie, der kraft und der bewegung.

schliesslich sind auch mythen ein fester bestandteil des kollektiven gedächtnisses. sie sollen zeigen, wie alles geworden ist, auch wenn man es nicht weiss. sie erinnern an die götter, die welt geschaffen haben, heroen, die in unsere gegenden gekommen sind, und urmütter oder stammväter, die das als erste kuultur geschaffen haben. ihn ihnen spiegeln sich vorbilder, mit ihnen fesseln uns wurzeln und durch sie motiviert uns das feuer, stets von neuem eine gesellschaft zu sein.

die geschichte ist eine entwickelte form des kollektiven gedächtnisses. sie erschliesst uns das leben. sie zeigt, wie unser umfeld geworden ist, und wo wir darin unseren platz haben. die individuellen erinnerungen sind einmalig, sondern typisch. wir haben eine herkunft und eine familie. wir sprechen eine typische sprache und verwenden eine spezifische schrift. wir bekennen uns zu einer religion und teilen philosophien.

gedächtnisbildung und identitätsbildung im kleinen und im grossen


so, wie wir in unserem alltag mit der vergangenheit umgehen, so definieren wir uns auch als teil des kollektiven gedächtnisses. das erschliesst dritten unsere identität, so wie es uns einen zugang zu unserer identität eröffnet. wir werden uns unserer position bewusst, wenn wir uns unseres kollektiven gedächtnisses bewusst werden. wir suchen in der geschichte die antwort auf die frage, wie es gekommen ist, wenn wir uns rechtfertigen müssen. das ist schon fast traditionell.


organisator viktor erne und seine frau marietta/andreas steigmeier, verleger historischer werke, auf der stadtwanderung (fotos: stadtwandererin)

modern ist es dagegen, die herrschende verhältnisse zu kritisieren. dann suchen wir nach verlorenen spuren im kollektiven gedächtnis, spüren wir gekappten entwicklungen nach, und interessieren wir uns für umgeleitete ströme. denn nur im nirgendwo unseres kollektiven gedächtnisses können wir uns verorten, wenn wir unser leben ändern wollen.

jahresfeiern und die instrumente der zeitmessung, historische persönlichkeiten mit ihren begebenheiten, strassennetze und stadttore, katastrophen und ihre ursachen, probleme und lösungen, staaten und ihre grenzen, kriege und der frieden, räume und zeiten erlauben es uns, uns zu definieren und abzugrenzen, uns zu identifizieren und zu entwickeln, uns in fremde rollen zu schlüpfen und zu verstecken, uns aufzuregen und wieder wohl zu fühlen.

festmäler nicht festplatten

gedächtnisse sind zunächst speicher, die man füllt, die man ordnet und die man ausräumt. doch sie sind mehr als wohlgeordnete festplatten. sie sind oppulente festmäler. sie nähren uns, wo auch immer wir sind, – und sie formen uns, wer immer wir sind.

kollektive gedächtnisse sind immer mit einer gemeinschaft entstanden, geprägt durch deren leistungen, gekennzeichnet durch deren verletzungen. egal, ob diese bewusst, unterbewusst, verdrängt oder vergessen sind.


gebanntes und staunendes publikum, das bewandert heimkehren wird (fotos: stadtwandererin)

kollektive gedächtnisse haben einen individuellen charakter, selbst wenn sie die erinnerungen von gemeinschaften sind. gerade das macht die kollektiven gedächtnisse für die kulturelle identität, aber auch für die kulturkritik unverwechselbar interessant.

kollektive gedächtnisse sind die wie räume, in denen ich gerne wandere. sie sind wie karten, die mir orientierung geben. sie werden mir bewusst, wenn ich sie mir oder anderen wandernd erzähle. am einfachsten ist es, wenn ich das mit schauplätzen und denkmälern verbinde, unachtsames beachten, beachtetes neu entdecke, indem ich es stets nach dem beitrag befrage, den es für das kollektive gedächtnis hat. das alles erleichtert es einem, sich des kollektiven gedächtnisses zu erinnern, und so die erinnerung zum sprechen zu bringen.

einfach glücklich ..

es ist ein phänomenales erlebnis, eine unglaubliche erfahrung und eine grosse erkenntnis, wenn man sich ein kollektives gedächtnis erschliesst, wenn man es erwandert und wenn man es anderen vermittelt!


licht und schatten über bern, von den anfängen bis heute (fotos: stadtwanderer)

nun bin ich zurück, von meiner tätigen stadtwanderung durch keltische, burgundische, eidgenössische, bernische und schweizerische gedächtnisse

erschöpfter und glücklicher
stadtwanderer

freude herrscht!

flickr stadtwanderer

seit knapp einem monat hat mein blog einen kleinen ableger im fotoarchiv “flickr”: gebrauchsbilder aus dem alltag kommen auf den blog, spezielle bilder über bern, die romandie und burgund sind auf “flickr” zu sehen. das sind die text spärlich, und die kommentierung weniger zusammenhängend.

spannender als im wander-tagebuch ist in meinem wander-fotoalbum der austausch: zahlreiche “views” hats im nu gegeben, “favoriten” unter meinen bildern sind bezeichnet worden und auch “comments” gibts recht häufig. flickr ist wirklich dynamisch.

heute habe ich aus luzern, von “lido_6006” auch das erste testimonial erhalten; nicht schlecht, sag ich da:


lido_6006 aus luzern

“der stadtwanderer zeigt uns versteckte winkel der bundesstadt bern ebenso wie details, über die der eilige sitzungstourist beinahe im wörtlichen sinne stolpert, ohne sie wahrzunehmen. blickwinkel und ausschnitt seiner fotos sind immer sorgfältig gewählt und so manche seiner beschreibungen regt zum nachdenken an – das gilt erst recht auch für den stadtwanderer-blog. der stadtwanderer bietet jenen tiefgang, den ich bei der heutigen have-fun-mentalität so oft schmerzlich vermisse.”

danke, lido_6006!

der funny tiefgänger, alias stadtwanderer

ps:
wer sich für die welt, vom lido aus gesehen, interessiert, kann das wie folgt tun:

flickr-fotos von lido_6006
lidos website zur schweizer geschichte

der vergessene friedensnobelpreis für einen schweizer politiker …

wie heissen die drei nobelpreisträger, die in bern gelebt haben?

. natürlich, albert einstein, für die relativitätstheorie,
. wahrscheinlich, kocher theodor oder ähnliches, für medizin,
. hmmmm, und dann …

das vergessene vorbild …

das sind die typischen reaktionen auf meiner stadtwanderung. um die hirnzellen ein bisschen zu aktivieren, erlaube ich mir jeweils, die gestellte frage an mein publikum zu richten. und siehe da: weder heutige bundesprlamentarierInnen, noch fdp-mitglieder, ja, selber heutige mitglieder des bernischen regierungsrates können die dritte antwort normalerweise nicht geben.


leider fast ganz in vergessenheit geraten: friedensnobelpreisträger von 1902, charles-albert gobat aus dem bernischen tramelan (foto: ein jahrhundert friedensnobelpreise)

bisher hatte ich gerade einen teilnehmer, der die grosse ausnahme bildete: ein philosoph, ein bundesbeamter, ein direktor der verwaltung, – aber alles die gleiche person …

leben und werk

der erste berner überhaupt, der einen nobelpreis bekam, war charles-albert gobat. 1902 wurde er für sein engagement in der vermittlung zwischen romanen und germanen mit dem friedensnobelpreis geehrt.

nie gehört? vielleicht. nie bemerkt? nur nicht bewusst:

. standen sie schon mal vor der universität bern?
. haben sie schon mal das historische museum besucht?

dann sollten sie eigentlich immer auch an charles-albert gobat denken! denn er ist der begründer des 1894 eröffneten berner geschichtshauses, und unter seiner leitung als berner erziehungsdirektor wurde die heutige universität 1903 eröffnet.

charles-albert gobat wurde 1843 in tramelan, im berner jura, geboren. er verschied 1914 in bern. er war gelernter dr. iur. der universität heidelberg, privatdozent in bern, praktizierte aber fast sein leben lang als enegagierter politiker und sachwalter des friedens.

der politiker

gobat startete seine politische laufbahn 1882 als freisinniger grossrat des kantons bern. umgehend wurde er regierungsrat, später auch bernischer verfassungsrat und ständerat. von 1890 bis zu seinem tod war er schweizerischer nationalrat.

zunächst stand er der erziehungsdirektion vor; unbestritten sind seine verdienste um die bernische schulreform und die reorganisation der lehrerbildungsanstalten. eingesetzt hat er sich auch für die materielle besserstellung der lehrkräfte. an der berner universität versuchte er, den zugang unter auslassung der antiken sprachen zu öffnen. 1906 wechselte er nach protesten konservativer-xenophober kräfte gegen seine hochschulpolitik, die ausgesprochen frauen- und ausländerfreundlich war, in die direktion des innern, die er bis zu seinem ausscheiden aus der berner regierung 1902 führte.

der friedenskämpfer

bereits 1889 gehörte der radikale gobat zu den teilnehmern der pariser gründungsversammlung der «Interparlamentarischen Union». ihr ziel war es, bei internationalen konflikten durch die einsetzung von schiedsgerichten zu vermitteln. 1892 brachte gobat die 4. konferenz der “ipu” nach bern. hier wurde ihm die leitung des neu gegründeten zentralbüros der union übertragen, die er bis zu seinem tode inne hatte. 1906 übernahm er auch die leitung des «Internationalen Friedensbüro» und war einer der einflussreichsten sachwalter des friedens. auch das “Bureau International Permanent de la Paix” erhielt 1910 den friedensnobelpreis; gobat hatte den preis so direkt und indirekt bekommen.

charles-albert gobat war damals schon träger des friedensnobelpreises, den er am 10. dezember 1902 zusammen mit seinem genfer freund ducommun für ihr wirken in der ipu erhalten hatte. seine so gestiegene bekanntheit nutzte er, um sich überall für den frieden einzusetzten. 1904 wurde von theodore rooselvelt im weisen haus empfangen. sein ganz besonderes, persönliches interesse galt der vermittlung zwischen frankreich und dem deutschen reich. in seinen pazifistischen anstrengungen wurde er stets tatkräftig von seiner tochter marguerite unterstützt.

der buchautor

als politiker schrieb er fünf viel beachtete bücher zur geschichte: zunächst intervenierte mit seiner “République de Berne et la France pendant les guerres de réligion” im kulturkampf, in dessen verlauf er selber allen konfessionellen zugehörigkeiten entsagte. zur jahrhundertwende erschien auch seine populäre “Histoire de la Suisse, racontée au peuple”. 1904 publizierte er seine eindrücke über den usa besuch unter dem titel “Croquis et impressions d’Amérique”, 1910 die Uebersicht über das friedensbüro (“Développement du Bureau international permanent de la paix”) und ein jahre darauf eine in strasbourg erschienene perspektive für europa (“Le Cauchemar de l’Europe”).

würdigung einer markanten figur

am 16. märz 1914, kurz vor ausbruch des ersten weltkrieges, verstarb der einzige schweizer politiker, der für sein internationales wirken mit dem friedennobelpreis ausgezeichnet wurde. den ersten weltkrieg hat er nicht mehr mitbekommen. die trauerfeier fand in der aula “seiner” universität statt, die ihm 1903 der ehrendoktor verliehen hatte. begraben liegt er im bremgarten friedhof.

sicher, ein mahatma gandi war auch charles-albert gobat nicht, selbst wenn die website “betterworldheroes” ghandi, gorbatshev, galtung ung gobat in einer linie nennnt. aber eine weit herausragende figur der bernischen, schweizerischen und europäischen politik, die versuchte, das unmögliche möglich zu machen, war er schon. allein dafür würde er auch heute unser achtung verdienen.

das schicksal wollte es, dass es nicht dazu kam: gobat kam aufgrund der grossen berner staatskrise in den 1880er jahre in die politik. die bewältigung der vorübergehend “regierungslosen” zeit im freisinnigen staat, der kulturkampf und die intergation des juras in den kanton bern waren die grossen herausforderungen während seiner innenpolitischen arbeit. wäre er hier stehen geblieben, würde er heute sicher in der freisinnigen ahnengallerie hängen.

doch er blieb es nicht: er nutzte seine starke stellung als regional- und landespolitiker, um sich als kosmopolit und europäer für den frieden einzusetzen. genau das machte ihm das leben schwer: weltpolitisch war er eine referenz, innenpolitisch jedoch ein problem. gerade in bürgerlichen kreisen, aus denen er selber stammte, ohne jedoch die übliche politische ochsentour gemacht zu haben, sah man in ihm einen hochtrabenden spinner, einen unkonventionellen parteigänger der linken, einen selbstsüchtigen phantasten ohne schweizerische bodenhaftung. selbst den freisinnigen seiner zeit war er, wie das historischer lexikon der schweiz festhält, stets “eine art freigeistiger Mitläufer des Sozialismus”.

das ist es denn auch, was ihn, die herausragende figur in der mediokratie, so rasch und gründlich vergessen gemacht hat.

… und das heutige ebenbild?

und wo stehen wir heute? wenn ich nach einem heutige pendant zu charles-albert gobat suche, finde ich spontan niemanden. der politikertyp von gobat ist verschwunden. immerhin, es gibt sie auch heute noch, die ambitionierten kömpferInnen für eine andere welt: unsere heutige aussenministerin michéline calmy-rey steht gegenwärtig sicher an erster stelle. engagiert ist sie, die stimme der schweiz in europa und der welt wieder hörbar zu machen auch. ihr fehlt es aber, fast wie gobat an innenpolitischer abstützung. nicht das sie im volk unbeliebt wäre; man schaue sich nur die leserbriefspalten an! aber unter den politikern grassiert immer noch der gleiche neid, die gleiche konkurrenz, die auch schon gobat zermürbt hat.

vielleicht bräuchte es ein gemeinsames mutiges wort von all jenen, die einen teil des erbes von gobat heute verkörpern: vom feinsinnigen juristen gilles petitpierre, vom unkonventionellen jurassier regierungsrat jean-françois roth und vom linken pazifisten peter hug. vielleicht würde so überhaupt wieder die innenpolitische voraussetzung geschaffen, dass die schweiz für einen friedensnobelpreis wieder in frage käme.

dem vergessenen charles-albert gobat würde es zur späten innenpolitischen ehre gereichen, nach gut 100 jahren eine würdige und erfolgreich, schweizerische nachfolge zu bekommen!

stadtwanderer

ein jahrhundert friedensnobelpreise

betterworldheroes

wunderbar wanderbar …

endlich sonne! kein regen mehr! was will man mehr?

morgen …

… ist es soweit, meine stadtwanderung kommt gerade recht, um das tolle frühherbst wetter zu geniessen. eine grosse samstagstour ist angesagt: vom morgen früh bis abend spät wird sie dauern, und viel prominenz wird dabei sein.


adrian von bubenberg, auf seinem spaziergang durch seine vaterstadt, wird wie folgt zitiert: “wunderbar wanderbar, sag ich da!”

hier das programm, das viktor erne, ehemaliger generaldirektor der credit-suisse und heutiger verwaltungsratspräsident des gfs.bern zusammengestellt hat:

Stadtwanderung

… mit dem Stadtwanderer Claude Longchamp

Claude Longchamp ist Politikwissenschafter, Geschäftsführer des gfs.bern ist auch Historiker. Die Liebe zur Stadt Bern, seinem Arbeitsort, hat ihn bewogen, die Stadt zu entdecken, zu erforschen, zu erwandern auf seine besondere Art. Und nun gehören wir (siehe unten) zu den Glücklichen, die ihn, nach Regierungsmitgliedern, Parlamentariern und NZZ-Redaktoren, auf dieser besonderen rund fünfstündigen Wanderung begleiten dürfen.

und hier meine motivationsfragen:

bern, das ist doch eine stadtgründung der zähringer?

stimmt!, sag ich da, und frage nach:

warum kamen sie ausgerechnet an die aareschlaufe?

waren sie wirklich die ersten im raume Bern?

oder waren die keltischen stämme schneller, die römischen imperatoren mindestens so wichtig?

sind die berner vorfahren alemannen oder burgunder?

was geschah für die politische Kultur der Schweiz so Entscheidendes in der schlacht von wangas an der aare?

was haben könig rudolf und königin berta für die besiedlung berns geleistet?

und stammt kaiserin adelheid, die begründerin des hochmittelalterlichen römischen reiches, wirklich aus bümpliz?

konnte herzog berchtold von zähringen schreiben, oder fälschten die mönche vom frienisberg den stadtbrief mit dem siegel des kaisers?

war die schreckliche zeit, die friedrich von schiller beschreibt, in bern kaiserlos?

wie konnte bern rudolf von habsburg widerstehen?

was hat die niederländische königsdynastie bleibendes in bern hinterlassen?

gab es eine oder zwei schlachten in Laupen?

können sie die symbolik des berner wappens erklären?

was folgte dem berüchtigten kometen über bern?

wo gastierte kaiser karl iv., als er die burgundische eidgenossenschaft anerkannte?


auf so kleinem raum ist das alles geschehen …

was bedeuten pflastersteine für die geschichte der eidgenossenschaft?

wo rief könig sigismund die berner zur eroberung des aargaus auf?

was waren die ersten königlichen beamten von beruf?

warum musste das berner münster höher sein als die kathedrale in freiburg?

warum wurde das sponsoring in bern eingeführt?

verteidigte adrian von bubenberg seine vaterstadt freiwillig?

was alles eroberten die berner, als sie herzog karl den kühnen in murten besiegten?

nahmen die franzosen den bernern oder etwa die berner den franzosen den bären ab?

hatte man nach der reformation in bern wirklich nichts mehr zu lachen?

warum heisst die franzosenkirche so, und steht sie an der predigerstrasse?

hatte louis xiv. eine spionin in bern?

was meint man mit äusserem stand?

was für ein theater wollte man mit der ersten berner aktiengesellschaft veranstalten?

wer war in der berühmten kutsche, die in der folgenschweren nacht vor dem hotel falken hielt?

woran erkennt man heute noch, dass die franzosen bern besetzt hielten?

waren die ersten politologen in bern auch chamäleons, ganz so wie die heutigen?

erfand ein flüchtling die direkte demokratie?

oder ist die schweizerische kreditanstalt an unserem staatssystem schuld?

und: welcher berner regierungsrat erhielt den friedensnobelpreis?

ruhe, ruhe, …

es spricht der stadtwander:

“hoch verehrtes publikum, das sind meine fragen an sie! sie alle betreffen bern, das in meiner geschichtswanderung “meinstein-city” heisst. sollten sie im stegreif alle beantwortet haben, dürfen sie meiner führungen ruhig fern bleiben. sollten sie dagegen unsicher sein, ob ihre antworten alle richtig waren, lade ich sie ganz persönlich ein, einen tag lang mit mir stadt-zu-wandern. ich habe ausführliche antworten zu allem, wenn ich durch bern spaziere!”

… seid gegrüsst!

Treffpunkt: Samstag, 2. September 2006, um 0915 beim Zytgloggeturm in Bern

Mittagessen ist in der traditionsreichen Krone Bern, das finale Apéro findet im Garten des Historischen Museums statt.

Geladen sind Freunde aus verschiedensten Berufs- und Interessenkreisen.

Sybille Bader, Tägerig
Irene und Urs Bitterli, Gränichen
Marietta und Victor Erne, Gebenstorf
Urs Faes, Zürich
Alex Frey, Wettingen
Kurt Honegger, Baden
Manu und Jean-Pierre Huwyler, Galgenen
Marina und Joseph Jung, Rüschlikon
Samuel Müller, Bern
Barbora Neversil, Hinterkappelen
Andreas Steigmeier, Dättwil
Franz Streif, Oberrohrdorf
Urs Wyss, Pascale Bruderer, Baden
Hans Zbinden, Baden


ich zähle auf petrus, dass es morgen auch so schön ist …

Wir treffen uns bei jedem Wetter, mit guten Schuhen. Stadtwanderungen sind kein (!) Bestandteil der „Longchampschen Berufsarbeit“. Deshalb ist ein Sponsorbeitrag von 60 Franken an aufwärts pro Person denkbar.

Mit Wandergruss

Victor Erne

und

stadtwanderer (in hochform!)

mit-meinen-neuen-favoriten-unterwegs-september-06

ich bin ja erstaunt, wie persönliche empfehlungen wirken:

quelle: täuschungen

erstens, die persönlich empfohlenen sind stolz und empfehlen (bisweilen) persönlich den persönlich empfehlenden weiter.

zweitens, die persönliche nichtempfohlenen beginnen ihrerseits persönlich nichtempfohlene persönlich zu empfehlen.

drittens, so gibt es eine wachsende zahl persönlicher empfehlungen in der blogosphäre, wobei die zahl der persönlich empfohlenen schneller wächst als jene der persönlich empfehlenden. das gilt allerdings nur vorerst, denn wenn alle blogger persönlich empfohlen worden sind, werden die persönlich empfehlenden nur noch persönliche empfehlungen zu den persönliche empfehlenden machen können!

viertens, das system der persönlichen empfehlungen wird dann komplett sein, das heisst zum weltsystem der persönlichen empfehlungen persönlicher empfehlungen avanciert sein.

fünftens, wie man dann wieder wegkommt, von persönlichen empfehlungen, weiss ich nicht, empfehle aber persönlich, bei niklas luhmanns’ gesellschaft der gesellschaften nachzuschlagen …

et voilà les recommandations du mois de séptembre 2006

1. apropos blog (vormals 4)

apropos
einfach der schönste aller schönen blogs …


(foto: stadtwanderer, in kopenhagen, anclickbar)

2. auswandererblog (vormals 2)

auswanderer-blog
einfach der europäischste aller europäischen blogs …


(foto: stadtwanderer, in kopenhaben, anclickbar)

3. züri-berlin (vormals 3)

zueri-berlin
einfach der zürcherischste aller berlinerblogs …


(foto: stadtwanderer, in kopenhagen, anclickbar)

4. edemokratieblog (6)

edmokratie
einfach der diskursivste aller diskursiven blogs …


(foto: stadtwanderer, in kopenhagen, anclickbar)

5. rebellenblog (neu)

rebell-tv
einfach der gesellschaftlichste aller gesellschaftsblogs …

(foto: stadtwanderer, in kopenhagen, anclickbar)

6. romandieblog (neu)

zebra/sugus
simplement le plus welsch de tout les welsch …


(foto: stadtwanderer, in kopenhagen, anclickbar)

7. kritikerblog (8.)

blogkritik
einfach der kritischste aller kritischen blogs …


(foto: stadtwanderer, in kopenhaben, anclickbar)

8. wahlforschungsblog (neu)

wahlforschung
einfach der wählerischste aller wahlblogs …


(foto: stadtwanderer, in kopenhagen, anclickbar)

9. frausinn-blog (neu)

frausinn
einfach der frausinnigste aller frausinnigen blogs …


(foto: stadtwanderer, in kopenhagen, anclickbar)

10. flickR-blog (neu)

flickR
einfach der bildhafteste aller bildhaften blogs …


(foto: stadtwanderer, in kopenhagen, anclickbar)

ganz persönlich, ich empfehle mich, bis zum oktoberfest …

stadtwanderer

mein ganz persönlicher eu-beitritt

er sagte es immer klar und deutlich: “wenn die schweiz der eu nicht beitritt, werde ich ganz persönlich der europäischen union beitreten.” ende 2000 bereitete er diesen schritt vor; 2003 wanderte er aus, und bis ende jahr will er eu-bürger sein. doch er ist kein intellektueller schriftsteller, kein manager einer internationalen firma und auch kein pensionär mit realitätsverlust. er ist biobauer. “ausgerechnet!”, höre ich schon munkeln. “pourquoi pas?” würde er erwidern.

der bauer aus überzeugung

geboren wurde ruedi baumann 1947 als sohn von rudolf und lina baumann-röthlisberger im bernischen suberg. dort ist er auch aufgewachsen und dort wurde er auch rucksack-bauer, nachdem sein vater verstarb. 1974 heiratete er Stephanie; fünf resp. sechs jahre später kommt der nachwuchs zur welt. aus dem bauer war zwischenzeitlich ein diplomierte ing. agr. eth geworden, der in der berufswelt rasch die leiter zum “ersten direktionssekretär” der bernischen landwirtschaftsbehörde aufstieg.


vom bauernsohn zum buchautor: ruedi beaumann, wie man ihn in frankreich nennt (foto: stadtwanderer, anclickbar)

1985 verschrieb sich ruedi baumann ganz seiner ersten leidenschaft, dem bauern. den väterlichen hof stellte er mit seiner frau ganz auf “bio” um; und im gleichen jahr verliess er die svp-richtung freier liste; stepahnie engagierte sich bei den sozis. das rot-grüne duo hatte mit der tradition gebrochen, und war drauf und dran, vom politischen tauwetter im kanton bern zu profitieren.

das rot-grüne powercouple

baumann und baufrau wurden 1986 in den bernischen grossen rat gewählt. 5 jahre später war ruedi nationalrat; nur weitere drei jahre danach zog auch stephanie ins nationale parlament ein. Das rot-grüne powercouple war perfekt! ruedi, seit 1989 co-präsident der kleinbauernvereinigung, wurde 1997 gar präsident der grünen partei der schweiz. Und stephanie rückte zur verwaltungsratspräsidentin der berner insel vor.

12 Jahre familienleben im nationalratssaal hatten sie sich selber als limite gesetzt. rechtzeitig haben sie sich nach einer neuen herausforderung umgesehen. den eigenen hof übergaben sie einem ihrer söhne; für sich selber suchten sie eine andere beschäftigung.

einfach war das nicht: gute bezahlte abgangsjobs als politberater sind für linke selten; posten in der landwirtschaftsverwaltung waren zu wenig kreativ; und für das unterrichtswesens waren die biobauersleute aus suberg ihrer zeit zu weit voraus. stephanie und ruedi beschlosesen deshalb auszuwandern: frankreich ist ihre wunschdestination. doch das nahe gelegene burgund erweist sich als zu teuer, die lorraine als aussichtslos, sodass sie die südwestecke anvisieren. toulouse ist ihre startbasis, das verlassene bauerngut „la ouaitte“ in der gascogne wird ihr zielstrich.

der gesinnungsmensch

in seinem buch “bauernland. mein leben” berichtet ruedi baumann seine häutungen: jene aus dem traditionellen bauernmilieu beispielsweise, und jene aus der helvetischen politik, um noch eine zu nennen. es scheint ihn wirklich befreit zu haben. heute steht offen zu seiner jugendsünde, dem leidenschaftlichen traktorfahren, und er erzählt frei von der leber, wie gerne er panzeroberst geworden wäre. der jagd entsagt er zwar heute noch, doch lässt er sie auf seinem grundstück in südfrankreich zu. stopfgänse hält er selber nicht, doch findet er ihre fütterungsart weniger schlimm als die schweinehaltung in der schweiz. und “heizen mit weizen” erscheint ihm ethisch nicht vertret-, angesichts der tiefen Weizen- resp. hohen erdölpreise für nachvollziehbar.


ein leben lang mit ruedi verbunden: stephanie baumann, graugestreift (foto: stadtwanderer, anclickbar)

ruedi baumann ist heute kein lupenreiner ökopolitiker mehr. er steht zu widersprüchen. er ist auch nicht mehr der provokateur der tv-nation. er ist versöhnlicher geworden. zur verwunderung, aber mit bewunderung seiner frau, hat mit mehr als 50 jahren kochen gelernt; und zur gaudi seiner französischen nachbarn spielt er saxophon an volksfesten. menschlicher macht ihn das alles: und “Beaumann” nennen ihn die bauern in der gascogne schon mal; wenn sie das schreiben würde, hätte er nichts dagegen …

heute ist baumann kein mediennaher grüner mehr, dafür ein sympatischer gesinnungsmensch. von seinem journalisten-freund in bern, daniel röthlisberger, gefragt: “fehlt dir die politik?“ gibt es kurz und bündig zum besten: „nein!“. jetzt habe er zeit zum nachdenken und zum bücherschreiben. als politiker fehlte ihm das. überhaupt lobt er die vorteile der freien bauersleute. ein bernischer fürsprecher sei gefangener des kantons und könnte nur mit schweren abstrichen auswandern. er dagegen können sein wissen, seine erfahrung und sein weisheit überall einsetzen, wo es freies land hat.

schweizer, franzose und europäer

auf das politische establishment der schweiz wirkt ruedi baumann nicht mehr mobilisierend. bei seiner buchlesung in bern ist es weitgehend abwesend. nur ein paar alte kämpen von der freien liste sind gekommen, und ein vizepräsident der grünen hat sich kurzfristig in den “stauffacher” verirrt. doch die veranstaltung ist ausverkauft. platschvoll ist der erste stock der buchhandlung an diesem abend. unangemeldete werden zwar nicht abgewimmelt, aber auf den treppen platziert. an die 200 interessierte lauschen gebannt und gespannt der lesung und dem dialog auf dem podium.

“bauernland” ist das buch eines bauers aus berufung. die äusseren umstände stehen auf sturm; sie sind aber nicht so wichtig. denn die innere überzeugung aber steht, und die leitet ihn. biolandwirtschaft ist heute nicht mehr eine politische theorie, sondern ein gesamteuropäische praxis. mit der früheren regierung frankreichs schlossen die baumanns einen vertrag, der sie zu umweltschonendem landwirtschaft verpflichtete. die vorteile daraus, hat die regierung raffarin zwar gestrichen, doch mag der bauermann nicht klagen. „mon président“ nennt er jacques chriac fast schon liebevoll, und provoziert gleich unverfroren weiter: seine kritische haltung zur globalisierung, seine idee der weltweiten besteuerung von finanzströmen und flugverbindungen, hat die volle unterstützung des global denkenden bauern. in der schweiz habe er als oppositioneller gleiches gefordert, in frankreich vertritt der staatspräsident solche konzepte, lobt er chriac. immerhin lässt er durchblicken, dass er noch lieber “ma présidente” sagen würde, und rührt schon mal die trommel die segolène royal, der denkbaren sozialistischen anwärterin auf das höchste amt im staate frankreich.

wenn es geht, möchten sich die baumanns bis ende jahr in frankreich einbürgern lassen. “zwei pässe ist besser als einer”, begründet ruedi diesen Schritt einleutend einfach. beim em-finale “frankreich-schweiz” hätte er soll alle trümpfe in der hand, scherzt der europäer. wo seine heimat ist, lässt baumann ganz bewusst offen. “la ouaitte” nennt er schon mal sein “heimetli”, obwohl es mit 70 ha sieben mal grösser ist als die “inselmatt” in suberg. offen lässt die seit kurzem vorliegende autobiografie auch, wo die baumanns ihren lebensabend verbringen wollen. man spürt die attraktivität der neu gewonnenen freiheiten als auswanderer, man glaubt aber auch die verwurzelung mit den aaretal zu merken.

auswanderer, nicht ausreisender

30 jahre hat er notizen zu seinem leben gemacht, und diese zu jahreschroniken verdichtet, die man im familien- und freundeskreis las. heute ist das private aus ruedis alltag öffentlicher geworden, und die politischen betrachtungen kommen grundsätzlicher daher. wer regelmässig bloggt, hat diesen wandel schon länger miterleben können, denn hinter dem “auswanderer-blog” steckt kein anderer als der buchautor von “bauernland”. 140 seiten hat er gebraucht, um das ins neue gleichgewicht und zuwischen zwei vuchdeckel zu bringen: ein erfolg wie seine persönliche veränderung auch könnte der band werden.

da er der schweiz nicht zutraut, zu seinen lebzeiten eu-mitglied zu werden, hat er seine drohung wahr gemacht und sich seinen traum individuell realisiert: “mymemberschip” ist sein credo. und es würde mich nicht wundern, wenn er von seiner festen basis aus nochmals gsinnungsfreunde des eu-beitritts in der schweiz mit seiner botschaft anstecken würde.


danke für die widmung, kollege wanderer (foto: stadtwanderer, anclickbar)

reisende haben ein ziel; wanderer dagegen sind unterwegs. “la ouaitte” wurde zum ziel von stephanie und ruedi. die entwicklung der schweiz in europa ist ihr ernst gemeinter wunsch!

kollege stadtwanderer!

ruedi baumann: bauernland. mein leben. nagel&kimche, münchen/wien 2006

bauernland. mein leben, ruedi baumann, alias www.auswanderer.blog

most popular

nur noch wenige tage und der “stadtwanderer” hat den ersten kleinen geburtstag: er wird halbjährig!

grosse reden will er keine, hat er auf seinen geburtstagszettel geschrieben! eine übersicht, wie schwer er geworden ist und welche zehen wieviel dazu beigetragen haben, interessiert ihn indessen schon.

denn er möchte einmal ein grosser und starker wanderer werden, weit und schnell laufen können wie ein pferd. die rennen im bois de boulogne, auf der longchamp, sind ihm ein vorbild!


impressionist eduard manet (les courses de cheveaux à longchamp, 1867) lässt seine starken pferde direkt aufs publikum losrennen

“most popular” heisst die rubrik, die neu über gewicht und wachstum von “klein-stadtwanderer” auskunft gibt.

das vorgehen ist einfach: man nehme alle artikel, die bisher geschrieben worden sind, ziemlich genau 150 an der zahl, und wähle die 10 prozent aus, die am meisten einzeln angesehen wurden. bei serien liste man indessen nur den artikel auf, der am meisten häufigsten erscheint!

und das sind sie, die populärsten artikel:

an 15. stelle: insel erobert, welt in sicht

an 14. stelle: des scharfrichters sohn vorzüglich aufgeführt

an 13. stelle: wenn links und rechts nicht gleich heissen

an 12. stelle: fragen über fragen an benedikt XIV. und moritz leuenberger

an 11. stelle: also, was ist ein blog? – eine herausforderung für dr. blog-blogicki

an 10. stelle: graffiti-city

an 9. stelle: fruchtbarkeit, beltane und keltische heiligtümer rund um bern

an 8. stelle: “kuhschweizer” und “sauschwaben”

an 7. stelle: brasil gegen fdp 1:0

an 6. stelle: reise in schwarz-weiss. ein berner ortstermin

an 5. stelle: go, doris, go (4)

an 4. stelle: heiraten in bern und anderswo

an 3. stelle: schnelle kommunikationswelt

an 2. stelle: mit meinen neuen favoriten unterwegs (juli 06)

und

an 1. stelle: wenn der rhein erzählt – und burgund hinhört

gratulation! gut 40000 seiten wurden in den 6 monaten aufgerufen, die meisten davon unter “stadtwanderer”, “geschichte” oder “bern”. fast 5000 davon wurden gefilter abgefragt, am häufigsten unter den titeln wie oben dargestellt!

immerhin, schon ganz toll …

klein-stadtwanderer

der aktuelle stand zu “most popular”

fragend wandern

wer stadtwandert, hat zeit sich fragen zu stellen! zur direkten demokratie, zur schweiz und zum vcs …

die fragezeichen zur direkten demokratie …

wir schweizer glauben, seit 700 jahren eine direkte demokratie zu sein. da muss man jedoch fragezeichen anbringen!


urner landsgemeinde

?

die auslandschweizerInnen können erst seit 1991 mitentscheiden; vorher war man davon ausgeschlossen, wenn man das land (auch nur vorübergehend) verliess.

??

das allgemeine stimm- und wahlrecht der männer wurde erst 1971 zum allgemeinen erwachsenenstimm- und wahlrecht. vorher waren die frauen ausgeschlossen.

???

das allgemeinen stimm- und wahlrecht musste in vielen fällen anfangs des 20. jahrhundert durch gerichte durchgesetzt werden, galten doch vorher vor allem lokal zahlreiche einschränkungen, wegen mangelendem besitz und mangelnder ortsansässigkeit.

????

gesamtschweizerisch wurde die direkte demokratie erst 1874 eingeführt, zuerst als referendumsdemokratie, dann auch als initiativdemokratie. vorher gab es die möglichkeit, in volksabstimmungen zu entscheiden nur in den liberaleren kantonen, die das in den 1830er oder 1840er jahren als bruch mit der vergangenheit realisiert hatten.

?????

die helvetische republik führte nach französischem verständnis die möglichkeit von volksabstimmungen ein, doch blieben sie eher theoretischer, denn praktischer natur. zudem waren sie eher ein plebiszit, denn ein volksrecht.

??????

die landsgemeindedemokratie ist eher eine vorform der direkten demokratie, denn ihre urform. zwar brachte die sie beteiligung der wehrhaften bürger an politischen entscheidung. doch hatte die obrigkeit zahlreiche mittel, diese mitwirkungsmöglichkeiten massgeblich zu beeinflussen. das abstimmungsgeheimnis, wie es heute hochgehalten wird, ist nicht garantiert.

ich will gar nicht falsch verstanden werden. ich bin kein gegner der direkten demokratie. vielmehr bin ich ein grosser fan! ich bin aber ein gegner der verklärung der direkten demokratie als urform des politischen systems der schweiz.

die fragezeichen zur schweiz …

selbst die schweiz entstand nicht wie man landläufig meint 1291. auch da muss man fragezeichen anbringen.

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die schweiz entstand 1499 als ausgrenzung des heiligen römischen reiches deutscher nation, das sich damals neu zu formieren begann. die schweiz ist erst seit 1648 ein eigenständiger staat, dessen unabhängigkeit durch andere staaten wie frankreich und schweden anerkannt wurde. die heutigen schweizer grenzen wurden erst 1815 durch den wieder kongress festgelegt und garantiert. das alles schaffte erst die voraussetzungen, dass sie schweiz 1848 ein eigenes staat, mit eigenen grenzen und voller souveränität wurde.

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1291 war keine staatsgründung! bündnisse wie jenes von uri, schwyz und nidwalden, die damals geschlossen wurden, gab es mit dem krise des heiligen römischen reiches mitte des 13. jahrhunderts zahlreiche. die burgundische eidgenossenschaft berns mit städten wie murten, avenches und allenfalls auch luzern sind älter und werden auch nicht als staatsgründungsakt der “romandie” gefeiert. sie waren bis ins 15. jahrhundert beliebt; sie wurden, trotz klauseln wie “ewig” immer wieder von neuem und immer wieder in anderen konstellationen geschlossen.

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erst mit dem stanser verkommnis von 1484 gab es ein dokument, das von allem damals souveränen eidgenössischen ort unterschrieben worden ist. und erst mit der liberalen revolution von 1830 keimte der gedanke, dass dieser staat direktdemokratisch gesteuert werden sollte in der schweiz so stark auf, dass er eine systembildende funktion angenommen hat.

um auch hier nicht falsch verstanden zu werden: ich bin auch kein gegner der schweiz. vielmehr bin ich auch ein grosser fan hiervon! ich bin aber ein gegner der verklärung der schweiz als urform des europäischen staates.

die fragezeichen zum vcs …

das alles will meine heutige kleine stadtwanderung in sachen “direkter demokratie” leisten. sie wird quer durch berns gassen führen. geschichte soll sinnlich erlebbar sein. stadtwandern soll zum gedächtnis werden von orten, die mit begebenheiten in verbindung gebracht werden.

ich mache das heute exklusiv als weiterbildung für den vcs. und natürlich stellen sich auch seit den einsprachen zu den zürcher fussballstadien fragezeichen:

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verbände entstehen mit der direkten demokratie. sie legitimieren sich über ihre interessenvertretung im willensbildungsprozess. ihre verhandlungsmacht bestimmt sich aus der fähigkeit, sich in konfliktsituationen durchsetzen oder verweigern zu können. gewonnene volksabstimmungen sind die wichtige begründung, wie man im politischen verhandlungsprozess gehör verschafft.

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der vcs hat 2004, in einem politisch wichtigen moment, eine solche abstimmung gewonnen. der gegenvorschlag zur avanti-intiative wurde massgeblich durch ihn bekämpft und zu fall gebracht. damit wurde die recht unübliche serie von abstimmungsniederlagen für die behörden im jahre 2004 eingeleitet. doch der verband hat sein verhandlungspfand nicht konstruktiv umsetzen können. er ist wegen verbandsbeschwerden, die er namentich gegen fussballstadien ergriffen hat, gerade auch intern in die defensive geraten.

ich werde es sehen, ausrufezeichen

und auch hier wil gar nicht falsch verstanden werden: ich bin kein gegner des vcs. ich bin ein fan der ökologischen verkehrspolitik. die weiterentwicklung unserer mobilen gesellschaft unter diesem gesichtspunkt eine ziel, das ich sehr unterstützen kann. ich bin aber ein gegner der verklärung von …

ach, lassen wir das bis heute abend!

stadtwanderer

überlistet – stadtwandern in fernen städten! (flickr 2)

flickr stadtwanderer

“flickr” ist kein verschreiber.

“flickr” ist ein fotoalbum.
“flickr” zeigt bilder weltweit.
“flickr” verschafft neue kontakte.
“flickr” zeigt, was an bern und stadtwandern gefällt.

das gefällt mir.
ich habe gerne kontakt.
ich bin bin gerne offen für die welt.
aber ich habe nie ein fotoalbum geführt. deshalb schätze ich den verschreiber “flickR” so!

ich habe neue bilder geladen, von meinen wanderungen in bern, in murten, in aarberg. ich habe neue sujets gefunden, die mir besonders gefallen. vielleicht gefallen sie auch dir?


foto: stadtwanderer

der neue renner auf meiner
flickr-seite heisst: “stadtwandern in fernen städten”. dazu blieb ich in bern. schaute aber fern. schaufeRnster.

ich habe eine neue stadt entdeckt. doch das glas verhüllte sie. die sonne blendete mich. doch ich habe alles überlistet, und ein listiges bild des stadtwanderers ist entstanden.

stadtwanderer