Burger. Barock. Bourbonen: 1. Station Heiliggeist-Kirche und der Hochbarock

Wir stehen hier vor der Heiliggeist-Kirche. Es ist der prächtigste sakrale Barock-Bau Berns. Und er steht symbolisch für unsere Stadtwanderung zu “Burger – Barock und Bourbonen”.

Der Berner Barock
Wer von barocken Kirchen in der Schweiz hört, denkt unweigerlich an Einsiedeln, nur wenig später fertiggestellt wie die Heiliggeist-Kirche in Bern. Und der Unterschied ist frappant. Dort die üppige Ueberschwang, da die nüchterne Einfachheit!
Der Berner Barock ist eigen. Wie fast alles, was zwischen dem 14. und 20. Jahrhundert in Bern gebaut wurde, besteht er aus Sandstein. Gut bearbeitbar, aber auch wenig beständig. Und er ist von der Reformation aus dem 16. Jahrhundert geprägt.
Den Zeitgenossen war der Begriff übrigens nicht geläufig. Verwendet wird er erst seit den 1750er Jahren, um den entstehenden Klassizismus der Aufklärung von allem, was vorher war, abzugrenzen. Dafür verwendete man in Frankreich den portugiesischen Begriff «barocco», der für eine unvollendete Perle!

Was an der Heiliggeist-Kirche barock
Die heutige Heiliggeistkirche geht auf eine Bauidee des Berner Architekten Albrecht Stürlers zurück. Realisiert wurde sie aber vom Stadtwerkmeister Niklaus Schiltknecht – wohl ohne Plan, denn keine Skizze entspricht dem finalen Bau. Vielleicht ist er auch deshalb der eigenwilligste unter den Barockbauten.
Dominant ist der Kirchturm, der das Satteldach durchstösst. Er eine Welsche Haube mit Glockentürmchen mit Spitzhelm krönt ihn. Gut sichtbar sind die Zifferblätter auf allen vier Seiten. Am Dach befindet sich eine Balustrade mit Obelisken und Vasen.
Typisch barock am Hauptgebäude sind die schlanken Rundbogen-Hochfenstern. Die Fassade kennt richtige und angedeutete Säulen, Pilaster genannt. Auf dem richtigen Säulenpaar thront ein Segmentgiebel. Barock ist das horizontale Gesimse und die vertikalen Lisenen, welche die Fassade klar gliedern.

Früh-, Hoch- und Spätbarock in Bern
Den Barock teilt man meist in drei Phasen auf: den frühen, den hohen und den späten Barock. Das kann man auch in Bern verwenden, wenn auch zeitversetzt.
Der frühe Barock dauerte von 1640 bis 1700. Der hohe Barock geht von 1700 bis 1730. Der späte Barock beginnt danach und endet um 1780.
Die Heiliggeist-Kirche markiert den Uebergang vom hohen zu späten Barock. Geweiht wurde sie Ende 1729.
Das Burgerspital gegenüber entstanden 15 Jahre danach. Es gehört zum Berner Spätbarock. Die farbigen Fassaden künden unzweifelhaft davon.
Heute steht die Heiliggeistkirche frei. Dafür musste die Stadt ab den 1830er Jahren im Zeichen des Liberalismus entfestigt werden. 1865 fiel auch der prächtige Christoffelturm, der letzte Teil der Stadtmauer aus dem 14. Jahrhundert.

Burger, Patriziat und Rebellion
Der Baldachin für die Euro08 zwischen der Heiliggeist-Kirche und Burgerspital ärgerte die Berner Burgergemeinde erheblich. Er zerschneide den barocken Stil am Platz, argumentierte sie.
Entstanden war die Burgergemeinde 1833. Doch reicht die Geschichte ihrer Vorläuferorgane bis ins 13. Jahrhundert zurück.
Geprägt wurde sie von der Burgerversammlung, der reformierten Zunftverfassung, ihrer Aristokratisierung im Patriziat und von Rebellion, die das alles durch eine Gemeindeversammlung ersetzen wollte. Davon werden wir noch einiges hören, auch wenn man vieles nicht mehr sieht.
Heute weitgehend unsichtbar sind auch die Schanzen, mit deren Bau Bern 1623 angesichts des 30jährigen Kriegen zwischen dem Kaiser und den Königen von Böhmen, Dänemark, Schweden und Frankreich begann. Denn auch sie wurden in den 1830er Jahr im Namen des Fortschritts geschleift.

30jähriger Krieg, Schanzen und Bourbonen
Dabei hätten die Schanzen so gut zur Beziehung Berns und den Bourbonen in Frankreich gepasst.
Henri IV., seit 1589 König in ganz Frankreich, beendete die jahrzehntedauernden Hugenottenkriege. Er war der erste und einige Calvinist auf dem Thron, 1610 wurd er ermordet, doch begründete er die Bourbonendynastie. Seine Nachfahren waren wieder katholisch, und sie herrschten, einzig von Napoleon unterbrochen, bis 1830 über Frankreich.
Die Idee zu den Schanzen hatte Théodore Agrippa d’Aubigné, ein Gefolgsmann von König Henri IV. Er sah sie als reformiertes Verteidigungswerk gegen katholische Aggressionen. Und mit ihnen kamen 1623 auch die ersten Hugenotten nach Bern.
Halb-Brüder im Glauben, müsste man heute sagen: reformiert, aber calvinistisch, nicht evangelisch wie man es in Bern gewohnt war.
Mit Folgen!

Auf geht’s zur nächsten Station!

Burger. Barock. Bourbonen: Das Programm der neuen Stadtwanderung

Das ist meine neue Stadtwanderung. Sie feiert am 5. Mai, 18 Uhr 15, Premiere.


Berner Kebes Tafel zu Tugenden und Laster von 1633

Glanz und Dekadenz stehen in Bern des 17. und 18. Jahrhunderts nahe beisammen. Sie bilden die Kulisse für meine neue Stadtführung quer durch die Altstadt. Sie ist gleichzeitig eine Architektur- wie auch eine Sittengeschichte der Burger und des Barock. Und sie zeigt den riesigen Schatten, den der grosse Bourbonenkönig Louis XIV. auf die Stadt wirft.
Wer gerne die Fassaden der Altstadt Berns studiert und vor allem gerne wissen möchte, was damals dahinter steckte, kommt hier voll auf seine/ihre Rechnung!
Das sind meine Stationen:
1. Station: Heiliggeistkirche: wichtigster Sakralbau des Berner Barocks und was ihn auszeichnet
2. Station: Käfigturm: frühbarocker Profanbau – Johann Ludwig von Erlach, Berner General in eidgenössischen, schwedischen und französischen Diensten
3. Station: Französische Kirche: ältester gotischer Sakralbau – Hugenotten-Flüchtlinge und die Spionin Catherine Perregaux-de Wattwyl
4. Station: Kornhaus: wichtigster hochbarocker Profanbau – Schultheiss Johann Friedrich Wilanding, Anführer der antifranzösischen Partei
5. Station: Fischerpost: frühbarocker Profanbau – Beat Fischer, Postunternehmer
6. Station: Unteres May Haus: Bürgerhaus im Renaissance-Stil – Gabriel Mays schrecklicher Schlachtensieg über Hans Rudolf May und 8000 tote aus Berner Landen
7. Station: Gesellschaft zu Kaufleuten: Wirre Architektur – Berns grosse Bankenkrise
8. Station: Von Wattenwayl Stadtpalais: prachtvoller Régence-Bau in Erwartung von Louis XV. – erbaut von Alexander von Wattenwyl, General in niederländischen Diensten
9. Station: Erlacherhof: Höhepunkt des spätbarocker Profanbaus – Schultheiss Hieronymus von Erlach, schillernde Figur überlebt den Skandal, Samuel Henzi, aufrechter Rebell, stirbt durch das Schwert
10. Station: Beatrice von Wattenwyl-Haus: hochbarocker Profanbau mit der schönsten Gartenanlage Berns – heute im Besitz des Bundes

An der Premiere mit dabei ist unser Bundeskanzler Walter Thurnherr, Hausherr des Beatrice von Wattenwyl-Hauses.
Es hat noch einige Plätze am Premieren-Rundgang frei.
Interessierte melden sich direkt bei mir!

Der Start ist auf dem Bahnhofplatz vor der Heiliggeistkirche.

Stadtwanderer

Oesterlicher Besuch im Kloster Muri

Es ist ein Kloster von europäischem Format. Es ist unzertrennbar mit dem Haus Habsburg verbunden. Und es blieb in der Geschichte nicht unbestritten. Bis heute ist das Kloster Muri das eigentliche Zentrum des oberen Freiamtes.

Die Habsburger
Das Kloster Muri wird bald es tausendjährig. Denn es wurde 1027 gegründet. Stifterin war Ita von Lothringen, die Stammmutter der Habsburger. Sie war mit Radbot von Habsburg verheiratet, Graf im Klettgau, der zur gleichen Zeit die Burg bei Brugg erbauen liess.
Die Habsburger war das führende Fürstengeschlecht der europäischen Geschichte. Sie waren Könige im Hl. Römischen Reich, später auch in Spanien, und sie herrschten so auch über ein Kolonialreich. 1700 endete die Herrschaft über Spanien und damit in Uebersee. 1740 starb auch die österreichische Linie aus, wurde aber von Habsburg-Lothringen bis 1806 mit der Kaiserwürde fortgeführt. 1804 fand das im österreichischen Kaisertum eine Neugründung, ab 1867 in der Doppelmonarchie Oesterreich-Ungarn. 1918 endet auch das.
Die Herzen der beiden letzten Habsburger mit dem Kaisertitel, Karl und Zita, sind hier im Kloster in der Loretto-Kapelle bestattet.
Der Aufstieg vom aargauischen Grafengeschlecht zum Königshaus geschah im 13. Jahrhundert und dem späteren König Rudolf I. Dabei ging es um die Erschliessung von Norden nach Süden. Ziel war es quer durch die heutige Schweiz ein gesichertes Gebiet zu bekommen, durch das man nach Rom gelangen konnte. Dabei spielten Luzern und die Innerschweiz aber auch der Gotthard-Pass eine zentrale Rolle. Als König war Rudolf an der Osterweiterung seines Machtgebiets interessiert. Das führte seine Nachfahren nach Wien.

Die Benediktinerregel
Im Kloster Muri folgte man stets der Benediktinerregel. Die entstand im 6. Jahrhundert in Italien, als sich das westliche Mönchstum herauszubilden begann. Leitspruch ist «Ora et labora», «Arbeite und bete», bisweilen ergänzt durch «et lege», «und lese.» Gemeinhin wird das mit strengem, gehorsamem Lebenswandel verbunden.
Das Kloster ist nach Osten ausgerichtet. Über die Jahrhunderte ist sie äusserlich zu einer Einheit aus Romanik, Gotik und Barock verwachsen. Das Gebäude selber wird durch kubische Strenge geprägt. In der Mitte befinden sich das Oktogon, ein Achteck mit der Klosterkirche, abgeschlossen mit einer mächtigen Kuppel. Mit wenigen Ausnahmen entstammt die Innenausstattung dem Rokoko der 1740er Jahren. Seit 1701 war man ein Reichskloster, das als reichste kirchliche Stätte der Eidgenossenschaft galt.

Der Niedergang und der Neuanfang
Das Kloster aus dem 11. Jahrhundert begründete erstmals Schulen im Kanton Aargau. Es bildete Mönche aus, die auch andere Klöster bedienen sollten. Die Macht blieb nicht umbestritten. Mit der Reformation wurde das Kloster ab 1530 von Zürchern beschädigt. Die Franzosen entzogen ihm 1798 die Rechte auf Ausbildung und Bussen, was den Abstieg einleitete. Im Aargauer Klosterstreit von 1841 schlossen die Radikalen um Augustin Keller das Kloster. Die meisten Mönche gingen nach Sarnen. 1845 bekam das aufgehobene Kloster zudem am Stadtrand von Bozen mit Muri-Gries eine Nachfolge.
Während dem französisch-deutschen Krieg 1870/71 kam es zur Internierung der französischen Bourbaki-Armee in der Schweiz. Ein Teil wurde hier in Muri untergebracht. Entstanden ist in der Folge ein Pflegeheim, das es heute noch gibt. Ferner dienen die Gebäude der Verwaltung und als Schulen. Bis heute ist es das Zentrum des oberen Freiamtes.

Die erste Demokratie in der Schweiz aus eigener Kraft

Ich war heute mit #Swissinfo in Lugano, um die zweite Folge der Videos zu „Brennpunkte der Schweizer Demokratie“ zu drehen. Etwas Hintergrund.


Bild: Denkmal für die Reform vom 4. Juli 1830 im Rathaus von Lugano

Die liberale Tessiner Reform
Am 4. Juli 1830 nahmen die Kreisversammlungen im Kanton Tessin die neue liberale Verfassung an. Es war eine herbe Niederlage für die alte Oligarchie um den regierenden Landammann Giovanni Battista Quadri. Er hatte im Geiste des Wiener Kongresses den Kanton autokratisch regiert.
Und es war der Aufstieg des radikal gesinnten Lehrers und späteren Bundesrats Stefano Franscini, der sich publizistisch unermüdlich für das Projekt eingesetzt hatte.
Eingeführt wurden zentrale Elemente der Demokratie: Gewaltenteilung, allgemeines (Männer)Wahlrecht und verfassungsmäßig garantierte Pressefreiheit. Die anschließenden Wahlen brachten dem Bürgertum den politischen Sieg.

Die Erneuerungsbewegung

Heute weiß man: Das war der Startschuss für demokratische Reformen in elf weiteren Kantonen. Innert Jahresfrist wandten auch sie sich vom Regime des Wiener Kongresses von 1815 ab. Heute nennt man das Regeneration. Widersprochen haben ihr namentlich die Kantone mit Landsgemeinden.
Selbst Europa ging man im Tessin voraus. Erst am 23./24. Juli 1830 kam es in Frankreich zur zweiten Französischen Revolution. Es folgten Umstürze in Belgien, Polen und Italien. Nur Griechenland war schneller als die Tessiner gewesen. Doch da vereitelten die konservativen Monarchen Europas den Durchbruch zu demokratischen Verhältnissen. In der Schweiz getrauten sie sich das nicht, selbst wenn sie immer wieder insistierten, beim Bundesvertag von 1815 zu bleiben.

Misslungene Reformen
Auch die kantonalen Reformen in der Schweiz liefen 1832 beim Versuch auf, über den Kantonen einen modernen föderalen Bundesstaat zu schaffen. Den Radikalen ging der Plan Rossi, wie man das Projekt damals nannte, zu wenig weit, und die Konservativen wollten bei der kantonalen Souveränität bleiben. Schließlich stimmte die Stadt Luzern, die als Hauptstadt vorgesehen war, gegen die Übernahme der neuen Aufgabe.
Misslungen war in den 1830er Jahren auch die Gründung einer Nationaluniversität. Dafür wurden die Hochschulen in Zürich und Bern gegründet. Sie waren die ersten laizistischen Hochschulen der Welt.
Die erste nationale Hochschule entstand 1855 mit dem Polytechnikum in Zürich, als übrigens der Tessiner Stefano Franscini Bindesrat und Bildungsminister der Schweiz war.

Pfade durch den Berner Barock

>Der barocke Baustil Berns ist eigenartig. Der Sandstein prägt ihn. Er ist auch ausgesprochen nüchtern, protestantisch eben. Und der 30jährigen Krieg brachte ihm die Strenge, die erst mit der Zeit verloren geht.


Bilder: 1 Käfigturm=Frühbarock, 2 Kornhaus=Hochbarock, 3 Erlacherhof=Spätbarock, 4 Hotel de Musique: Uebergang zum Klassizismus

Der Berner Barock ist das Gegenteil von dem, was der Name eigentlich meint. “Barroco” ist Portugiesisch und bezeichnet eine unregelmäßig geformte Perle. Der Barock ist das oppulente Lebensgefühl der katholischen Welt zwischen Gegenreformation und Aufklärung.
Die Urformen im Berner Frühbarock (1640-1690) sind ausgesprochen schlicht. Das Viereck der Fenster bestimmt die Fassade. Die Fotos 1-3 belegen das.
Der Hochbarock (1690-1730) entwickelte sich mit dreigeteilten Fassaden, auffälligen Giebeln, aber auch mit den ersten Stadtgärten. Das macht erste französische Einflüsse sichtbar.. Man sieht das auf den Bildern 4-6.
Der Spätbarock (1730 bis 1780) kennt nochmalige Verfeinerungen der Hausfronten. Die Fenster erhalten gerundete Abschlüsse nach oben. Die Fassaden werden künstlerischer, und es wird farbiger. Die führenden Architekten machen ihr Ausbildungen in Ausland, allen voran in Paris. Meine Bilder 7-12 stehen dafür.
Die Zeitgenossen selber kannten den Begriff „Barock“ nicht. Er wird erst in den 1750er Jahren gebräuchlich, um den damals vorherrschenden Architektur-Stil als vergangen zu kennzeichnen und vom aufkommenden Klassizismus abzugrenzen. Damit erwachte auch die Aufklärung.
So überrascht es nicht, dass der Barock in vielen verschiedenen regionalen Formen existiert. Nicht nur in Bern! In der Schweiz sind der Barock in Einsiedeln oder Solothurn ebenso eigen wie in Bern.

Anzeige: Burger – Barock – Bourbonen. Neue Stadtwanderung durch Bern

Das Ende des 30jährigen Krieges (1618-1648) bringt die volle Unabhängigkeit der Eidgenossenschaft vom Kaiserreich. Und er führt in die Abhängigkeit von Frankreich. Es ist Zeit, sich damit vertieft zu beschäftigen.

Bern versteht 1648 sich als führender Teil des souveränen Staatsbundes und nennt sich stolz «Stadt und Republik Bern». Das sollte dauern, bis die revolutionären Franzosen 1798 kamen und dem Ancien Régime ihren einen modernen Staat gegenüberstellten.
Bis heute schwankt die Beurteilung der Epoche zwischen «goldener» und «dekadenter» Zeit Berns!

Burger
1651 wurde die damalige Burgerschaft in Burger, Ewige Einwohner und Hintersässen unterteilt. Nur die Burger besassen alle wirtschaftlichen und politischen Rechte. Ihr innerster Kreis, das Patriziat, bestand 1798 noch aus 76 tatsächlich regierenden Familien.

Bourbonen
Während der ganzen Zeit der souveränen Stadtrepublik beherrschten die Bourbonen Frankreich. Ihr Königreich stieg zur globalen Kolonialmacht auf und expandierten in Europa. Und es nahm erheblichen Einfluss auf das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben in Bern.

Barock
Das zeigt sich auch im vorherrschenden Baustil der Epoche, selbst wenn er anders war als in Paris und Versailles. Denn der Berner Barock besteht aus Sandstein. Und der wurde nüchtern gestaltet. Doch dringt der künstlerische französische Einfluss schrittweise in die Fassaden und Gartengestaltung ein, bis die Mischung massgeblich das Bild der heutigen Berner Altstadt bestimmt.

Eine Architektur- und eine Gesellschaftsgeschichte
Meine neue Stadtführung ist gleichzeitig eine Architekturreise und eine Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Stadt Bern im 17. und 18. Jahrhundert. Selbstverständlich kommt die Politik nicht zu kurz.
Die Tour zeigt, was den Berner Früh-, Hoch- und Spätbarock unterscheidet. Sie beleuchtet das wechselhafte Leben mit dem dominanten Soldwesen, den Aufbau der mächtigen Berner Post, die Aufnahme hugenottischer Flüchtlinge und den Bau des Kornhauses als städtische Vorratskammer. Sie zeigt, wie verschiedene Privatbank untergingen und macht deutlich, wie mit dem Reichtum der Stadt prächtige Stadtpalais Einzug hielten, aber auch soziale Spannungen entstanden. Schliesslich waren es Bibliotheken und Konzertsäle, welche zaghafte Ansätze zur Aufklärung und bürgerlichen Kultur in die Stadt brachten. Bevor die Franzosen direkt in die Stadt kamen!

Termine
Die Tour beginnt im Hof des Burgerspitals und endet vor dem Hotel de Musique. Sie dauert rund 2 Stunden von 18-20 Uhr.
Denkbare Termine: 28.April, 5. Mai, 12. Mai. Das definitive Datum der Premiere wird bald bekanntgegeben. Je nach Anmeldungen finden auch mehrere Führungen statt.
Interessierte können sich bis am 18. April mit möglichen Daten bei mir anmelden (claude.longchamp@gfsbern.ch).

Der Tag der Republik

Am 12. April ist der “Tag der Republik”. Erinnert wird an das Ende des Ancien Regimes im 18. Jahrhundert. Es war auch der Anfang des modernen Staates mit der Helvetischen Republik.


Das Aarauer Rathaus mit der Trikolore der Helvetischen Republik

Da der entscheidende Moment in Aarau spielte, hat sich da 2019 ein Komitee um Ivica Petrušić gebildet, das daran erinnern will. Nach zwei Jahren des corona-bedingten Unterbruchs will man das 2022 mit einem Fest wieder aufnehmen. Es gibt am abend eine Stadtwanderung, Reden von Patti Basler und Stadträtin Suzanne Marcley sowie Essen und Musik des kroatisch-vegetarischen Vereins.

Ein tiefer Einschnitt
Der 12. April 1798 war zweifelsfrei ein tiefgreifender Einschnitt in der Schweizer Geschichte. Davor war man zuerst kaiserliches Untertanengebiet gewesen, aus dem sich im 14. Jahrhundert ein Bündnis von Städte- und Länderorten entwickelte, das stufenweise als regionaler Gesprächspartner der Habsburger akzeptiert wurde. 1648 wurde die Eidgenossenschaft aus dem Reich ausgenommen, war ein Staatenbund, souverän, wenn auch stark vom Reich resp. Frankreich abhängig.
Erst die Französische Revolution sollte dem Ancien Regime, wie man die Zeit des 18. Jahrhundert heute nennt, ein Ende setzten. Galt davor das Prinzip der Ungleichheit, der Vorrechte durch Herkunft und soziale Stellung, hielt nun die Gleichheit (der Männer) und der neu gebildeten Kantone Einzug.
Zum Bundesstaat von 1848 brauchte es aber noch einiges. Der neue Staat musste von unten wachsen, der Liberalismus über den Konservatismus siegen, und die Zivilgesellschaft mit Vereinen, Parteien und Interessenverbänden mussten erst noch entstehen. Dafür brauchte es drei grosse Anläufe, von denen 1798 der erste, aber nicht bleibende Durchbruch war.

Warum Aarau?
Aarau stand 1798 wie seit 1415 noch unter bernischer Herrschaft. Man hatte zwar keinen bernischen Vogt wie in Lenzburg, war eine Munizipalstadt, aber Bern untertänig. 1712 war man Ort des Friedensschlusses im 2. Villmergenkrieg gewesen, der die definitive Gleichstellung der reformierten mit den katholischen Orten und damit das Ende der Konfessionskriege in der Eidgenossenschaft brachte. Aufschwung nahm im 18. Jahrhundert auch die Wirtschaft, namentlich das Tuchgewerbe. Damit überholte man selbst das zünftisch reglementierte Bern.
Doch blieb Aarau als Untertan politisch rechtlos. Die Diskrepanz zwischen wirtschaftlicher Stärke und politischer Schwäche nährte den Geist der Veränderung. Das erhöhte sich als der „Sauerländer“, ein Verlag, den es heute noch gibt, nach Aarau kam. Er brachte mit Heinrich Zschokke eine Aufklärer mit, eine Art Voltaire für die Schweiz, der sich der Bildungs- und der Staatsreform annahm.

Die Revolutionierung
1797 versammelte sich die seit der Reformation erstmals wieder vereinigte Tagsatzung, um angesichts der französischen Bedrohung die alten Bündnisse unter Eidgenossen zu beschwören. Zuerst besetzten Stadt und Republik Bern die Stadt, dann waren die revolutionären französischen Truppen an der Reihe.
Frankreich erhob Aarau nach französischem Vorbild zur ersten Hauptstadt der Schweiz. In Aarau hatten das Direktorium, die erste Regierung der Helvetischen Republik, sowie der Senat und der Grosse Rat, das Parlament des neuen Staates, ihren festen Sitz. Peter Ochs, Basler mit französischem Ursprung, Verfasser der ersten Verfassung der Schweiz und Senatspräsident, hielt seine Rede in Aarau, um das neue Zeitalter zu begründen. Allerdings zügelten die Institutionen bald schon nach Luzern.

Der Kanton Aargau
Auch die helvetische Revolution war nicht bleibend. Sie versprach zahlreiche Reformen, setzte einige wie neue Schulen durch, während andere wie die Bodenreform scheiterten. Zudem kam der europäische Krieg der Koalition gegen Frankreich auf unser Territorium. Die revolutionäre Stimmung kippte, die patriotische Regierung der ersten Stunde wurde mehrfach gestürzt, bis sich ein mehrheitlich republikanisch gesinntes Direktorium durchsetzte. Selbst ein Plebiszit, von Frankreich organisiert, stabilisierte die Republik nicht. Ein Bürgerkrieg zwischen Modernisten und Traditionalisten wurde unvermeidlich, sodass Frankreich 1803 eine neue, gemässigt zentralistische Staatsform einführen müssten. Mit der Niederlage von Kaiser Napoleon auf den europäischen Schlachtfeldern war es auch damit aus.

Die vorübergehenden Restauration
1815 führte der Wienere Kongress der Staatenbund von 1648 wieder ein, beliess aber die Kantone, ergänzte sie sogar um drei weitere und hielt auch an ihrer Gleichheit fest. Erlaubt wurden Konkordate, das heisst überkantonale Bündnisse. Verordnet wurde zudem die Neutralität, auch wenn sie die Bewaffnung zuliess. Die Tagsatzung aus dem Mittelalteralter wurde wieder eingeführt. An ihrer Spitze stand eine dreiköpfige Exekutive, gebildet aus gemässigten Aristokraten und Bürgerlichen aus den sechs Vororten Freiburg, Bern, Solothurn, Luzern, Basel und Zürich. 1815 erhielten wir auch unseren heute noch gültigen Namen in Wien: Schweizer Eidgenossenschaft.
Weitgehend wiederhergestellt wurden so die vorrevolutionären Verhältnisse, wenn auch nicht für immer. Denn das Jahr 1830 sollte einen zweiten Durchbruch zur modernen Republik bringen, der 1848 mit dem Bundesstaat vollendet wurde.

Die Geburt der bernischen Militärunternehmer

Gestern war ich spontan, aber mit Absicht im Aargauischen Schenkenbergertal. Das liegt zwischen Juraketten, es beginnt auf der Staffelegg oberhalb von Aarau und endet bei Schinznach.

Schloss Kasteln

Barock-Schloss Kasteln im Schenkenbergertal

Lange war die Burg Schenkenberg der markanteste Punkt über dem Tal. Errichtet von Dienstmannen der Habsburger bei Brugg, war es später Sitz des Landvogtes. Der verliess die 1720, weil sie baufällig war und das Geld für die Renovation fehlte.
Ganz anders bei Schloss Kasteln am Taleingang. Es ist eines der ältesten Barock-Schlösser der Schweiz, das heute dem Kanton gehört. Erbauer war Johann Ludwig von Erlach, der «Guisan» während dem 30jährigen Krieg (1618 – 1648). Denn von 1633 bis 1636 war er der General der eidg. Truppen

Von Johann Ludwig von Erlach zu Jean Louis d’Erlach

Johann Ludwig von Erlach wurde 1595 in eine angesehene Adelsfamilie geboren. Er lernte als junger Page die reformierten Höfe Europas kennen und machte danach erfolgreich Politik in seiner Vaterstadt. Die war gerade dabei, die Schanzen zu bauen, um für einen Krieg gewappnet zu sein.
Johann Ludwig wurde zuerst von der Stadt Bern damit beauftragt, das Wehrwesen neu zu organisieren. Es folgte ein gleicher Auftrag von der Tagsatzung für das eidgenössische. Das empfahl ihn, als General im Aargau eingesetzt zu werden, als sich die schwedische Armee dem Fricktal näherte.
Die Tagsatzung entschied, im grossen Krieg neutral zu sein. Damit begründete sie eine grosse Tradition. Damals war es noch etwas Besonderes. Denn man gehörte formell noch zum Kaiserreich, auch wenn sich die reformierten Orte innerlich längst abgewendet hatten.
Die kaiserlichen Truppen machten von Erlach bald den Vorwurf, mit der schwedischen Armee unter Bernhard von Sachsen-Weimar zu sympathisieren. Seine Verteidigung vor der Tagsatzung scheiterte, sodass er den Dienst quittieren musste.
Von Erlach zögerte danach nicht lange, schloss sich dem General der Reformierten im Kaiserreich an, wurde Gouverneur von Breisach und stieg zum Testamentsvollstrecker von Bernhard von Sachsen-Weimar auf. Nach dessen Tod verhandelte von Erlach mit Frankreich, übergab das Gebiet um Breisach den Franzosen. Dafür wurde er mit einem tollen Titel in die französische Armee aufgenommen, und er nahm die französische Staatszugehörigkeit an. Fortan hiess er Jean Louis d’Erlach.
Bei seinem Ausscheiden aus der Armee erhielt von Erlach eine hohe Summe als letzten Sold. Damit baute er Schloss Kasteln, dessen Vorläuferbau er 1634 von seiner Mutter, Katharina von Müllinen, geerbt hatte. Meist lebte er in Breisach, zeitweise auf Schloss Kasteln. Anfangs 1650, als der Bau des Barockschlosses fast fertig war, starb er in Breisach. Sein Leichnam wurde nach Schinznach überführt, wo er bis heute in der reformierten Kirche begraben liegt.

Grabstätte in Schinznach

Was die Geschichtsforschung sagt

Von Erlach war zu Lebzeiten eine schillernde Figur. Sein Ruf ist bis heute geteilt. Für die einen ist er der zweite General in der Schweizer Geschichte überhaupt, der beim Westfälischen Frieden 1648 half, die Unabhängigkeit vom Reich durchzusetzen. Im süddeutschen Raum, der damals kaiserlich blieb, erinnert man sich namentlich an die «Blutschande von Laufenburg», bei der von Erlach katholische Geistliche hinrichten liess. Die junge Aargauer Militärhistorikerin Agnes Meier Wiederkehr nennt von Erlach schelmisch einen «ziemlichen Vogel», der ans Reislaufen im Mittelalter erinnere, dabei aber persönlichem zu Ruhm gekommen sei.
Auch die heutige Geschichtsforschung hat sich von Erlach angenommen. Der Berner Historiker Benjamin Ryser sieht in von Erlach einen Prototyp des aufkommenden Militärunternehmers, der ohne ethische Prinzipen (erfolg)reich werden wollte. Ihn kümmerte wenig, wem er seine Kompetenzen zur Verfügung stellte. Hauptsache war, die Kasse stimmte.
Nur 15 Jahre nach dem Krieg ordnete König Louis XIV. das Verhältnis zur Eidgenossenschaft neu. Die Berner Söldner waren nicht mehr nur Hilfstruppen im Dienste Frankreichs. Sie formierten ab 1673 ein eigenes Regiment, das den stolzen Namen «von Erlach» trug. Der französische König betrieb auf diesem Weg seine geschickte Günstlingspolitik.. Solange seine Klienten dem Patron diente, sicherte er auch dem Berner Nachwuchs Arbeit. Allerdings etablierte sich so auch eine Franzosen-Partei in der Berner Politik, was wegen der Allianz mit einem katholischen Monarchen nicht ohne Probleme bleiben sollte. Denn ein Teil der Militärunternehmer spaltete sich ab und diente fortan den Niederlanden. Bis Frankreich und die Niederlande gegeneinander Krieg führten, und es für Bern zum Desaster kam.

Neue Stadtwanderung
Doch davon später! Denn Johann Ludwig von Erlach spielt in meiner kommenden Stadtwanderung «Burger, Barock und Bourbonen» eine zentrale Rolle. Start in rund einem Monat.

Die Ausschreibung folgt am 5. April.

Gemischte Gefühle.

Morgen startet meine Stadtwanderer-Saison 2022. Ich muss gestehen, meine Gefühle sind gemischt.

Zuerst freue ich mich unheimlich, weil eine ganze Reihe interessanter Herausforderungen mit neuen Themen und Führungen anstehen. Ich bin die letzten Wochen viele Stunden gewandert, um Neues zu entdecken. So zum Baeock in Bern.
Der Anfang morgen wird gleich ein Highlight sein: Für Regula Rytz lege ich zu ihrem 60. Geburtstag eine neue Fassung der Klimawandel-Wanderung in die Stadtbahn. Das ist mir eine große Ehre!

Dennoch habe ich Bedenken. Denn heute vor 29 Jahren bin ich schwer verunfallt. Der Fenstersturz bescherte mir viele Brüche beider Beine. Ich war danach im Rolllstuhl und musste wie ein kleines Kind wieder laufen lernen. Große Fortschritte stellten sich dank mirakulöses Medizin ein. Die ganze Mühsal von damals ging vergessen.

Nun plagen mich seit geraumer Zeit wieder Schmerzen im linken Bein. Das Fußgelenk, das Gewerbe, die Lymphbahnen sind beschädigt.
Und meine Gehfähigkeit lässt Stück für Stück nach. Schon zwei Stunden zu Fuß sind eine große Anstrengung.
Die Probetour für morgen musste ich letzten Mittwoch nach einigen Stationen ermattet aufgeben.

Es kann sein, dass 2022 meine letzte Saison als aktiver Stadtwanderer wird!

Die letzten zwei Jahre haben Corona-bedingt schon Änderungen gebracht. Meine regelmäßige Präsenz vor Ort ist geringer geworden. Mehr und mehr bin ich dafür nur noch im virtuellen Raum umhergezogen.
Das könnte auch die Zukunft sein: Ganz im Internet statt ganz in Bern!
Ich muss sagen, ich würde es schwer vermissen.

Ich nehme morgen nochmals richtig Anlauf! Ein knappes Dutzend Führungen bis Mitte Jahr sind fest gebucht. Und einen neues Projekt für eine nationale Demokratie-Wanderung in sieben Städten motiviert mich unheimlich, meine Entdeckungs- und Erzählust aufs Neue zu entwickeln.
Aber ich spüre meine Grenzen im er deutlicher.

Der Orthopäde, der mich damals operierte, meinte, es würde für 20 Jahre halten. Jetzt sind fast 30 Jahre daraus geworden. Das ist tröstlich.

Auf geht’s nochmals zu neuen Schritten!

Bild: Selfie mit Einstein, meinem wiederkehrenden Begleiter auf den Stadtwanderungen in Bern.

Der Balkon der Helvetischen Republik


Blick von und zum Balkon am Rathaus

Heute war der erste Drehtag für die siebenteilige Serie zur Demokratiegeschichte für Swissinfo.
Ich war mit Renat und Carlo von Swissinfo in Aarau, der ersten Hauptstadt der Schweiz überhaupt. Denn vor 1798 und dem revolutionären französischen Einfluss kannte man diese Institution in der Schweiz noch gar nicht.

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Hier clicken, um das Kurzvideo anzusehen

Auf diesem Balkon des Rathauses rief Peter Ochs aus Basel, der Autor der ersten Verfassung, unter Jubel der Aarauer Bevölkerung die neue Republik aus. Das war der Start zur Vorform der modernen Demokratie mit der Gewaltenteilung.
Der Versich scheiterte übrigens, und es brauchte zwei weitere Anläufe, bis sich 1848 dem Demokratie in der Schweiz dauerhaft etablieren konnte.
Hier eine spontan inszenierte Kurzfassung des Moments in Aarau.
Start der Serie bei Swissinfo in Text, Bild und Ton ist übrigens voraussichtlich am 21. März 2022.

Eröffnung der Stadtwanderer-Saison 2022

Von der Eiszeit zur Heisszeit.
Eine Klimageschichte anhand der Stadt Bern

Stadtwanderung zum 60. Geburtstag von Regula Rytz, Nationalrätin

Die Stadt Bern ist legendär 820 Jahre alt. Doch der Sporn, auf dem die heutige Altstadt steht, wurde mit dem Ende der Eiszeit vor 12000 Jahren freigelegt. In der Folge entwickelte sich im wilden Aaretal eine ausgedehnte See-, Fluss-, Auen- und Waldlandschaft.
Erstmals liessen sich vor 2300 Jahren keltische Stämme im Gebiet der heutigen Stadt nieder. Sie drängten den Urwald nur kleinflächig zurück. Die Römer übernahmen das, nannten den Ort Brenodor – und machten ihn kleiner.
Grossflächiger ging erst das Kloster Köniz ab dem 9. Jahrhundert vor. Mit dem Landesausbau rodeten sie den Wald erheblich. Die damalige Klimaerwärmung schaffte die Voraussetzung, Landwirtschaft zu treiben. Die ansässige Bevölkerung vermehrte sich.
1191 gründeten die Zähringer die Stadt Bern. Sie machten sie zum Durchgangsort auf dem Weg von Norden nach Süden. Und das junge Bern entwickelte sich auch nach ihrem Ableben prächtig.
Doch dann kam die Pest aus China. Der schwarze Tod dezimierte die Bevölkerung 1348/49 auch in Bern. Anna Seiler war die Heldin der Stunde und gründete ein Spital, in dessen Nachfolge das heutige Unispital steht.
Die Bauern verarmten und mit ihnen ging der Adel unter. In nur 70 Jahren dehnte die mittelalterliche Stadt ihr Herrschaftsgebiet auf ein Gebiet aus, das dem des heutigen Kantons Bern entspricht.
Die Umweltforschung kann zeigen, dass diese Herrschaftsbildung mit dem Beginn der kleinen Eiszeit vom 14. bis 19. Jahrhundert zusammenhängt. Klimabedingte Hungersnöte kehrten in der vorherrschenden Agrargesellschaft regelmässig zurück. Erst an der Schwelle vom 17. zum 18. Jahrhundert begann die Stadt, systematisch Kornhäuser mit Vorräten anzulegen und die Landwirtschaft anzukurbeln.
Der Eisenbahnbau ab den späten 1850er Jahren brachte mit dem Kohletransport die entscheidende Wende zur Industriegesellschaft, aber auch zur Klimaerwärmung. Der Automobilismus der Nachkriegszeit mit günstigem Benzin veränderte Leben, Arbeiten, Wohnen und Einkaufen grundlegend und liess die Agglomeration Bern entstehen.
Es kommt die heutige Konsumgesellschaft mit ihrem Überfluss auf. Und der Klimawandel folgt auf den Fuss. Jetzt denken frau&mann über die Grenzen des Wachstums nach. An der Uni Bern entsteht das international renommierte Oeschger Centre for Climate Change Research.
Bern wird seit 1992 rotgrün regiert. Regula Rytz packt als Mitglied des Gemeinderats den politisch und klimatisch heissen Umbau des Bahnhofplatzes an. Ihr enthusiastischer Kampf als Nationalrätin gegen den Klimawandel trägt sie bis fast in den Bundesrat.
Stellen sich Wissenschaft und Politik hinreichend auf den Klimawandel ein? Das ist die brennende Frage meiner Klima-Stadtwanderung – diesmal speziell für Regula, die dieser Tage ihren 60. Geburtstag feiern darf.
Die Führung beginnt am 20. März 2022 um 11 Uhr beim Teich im Rosengarten. Sie geht rund 2 Stunden und endet auf der Grossen Schanze vor dem Uni Hauptgebäude. Danach gibt es für die exklusive Schar an Teilnehmenden ein Apéro.
Davor sind gute Schuhe gefragt, wenn wir uns den grossen Bogen von der Eiszeit der Vergangenheit zur Heisszeit der Gegenwart mit acht Stationen wandernd erschliessen.

Stadtwanderer

Hotspots der Schweizer Demokratie

Im Auftrag von Swissinfo schreibe ich ab sofort eine siebenteilige Serie zur Entwicklung der Schweizer Demokratie. Jede Stufe wird mit einer Stadt in Verbindung gebracht, die als Trendsetter wirkte.
Konkret vorgestellt werden:

1 Aarau, wo für kurze Zeit die erste Hauptstadt der modernen Demokratie 1798 war

2 Lugano, wo 1830 im Kanton Tessin die erste liberale repräsentative Demokratie errichtet wurde

3 Bern, wo seit 1848 der Parlaments- und Regierungssitz des Bundesstaates ist

4 Schaffhausen, wo 1874 die Einführung des fakultativen Referendums mit 97% die höchste Zustimmung fand.

5 Olten, wo 1918 der Landesstreik aus der liberalen eine soziale Demokratie machte

6 Neuenburg, wo in den 1960er Jahren erstmals eine Frau in einem kantonalen Parlament Einsitz nahm.

7 Genf, von wo Ruth Dreifuss, die erste Bundespräsidentin und Jüdin in der Landesregierung die inklusive Demokratie begründete

Die Teile erscheinen bei Swissinfo 10sprachig als multimediale Reportage zwischen März bis September 2022 und sollen die Schweizer Demokratie in der Welt bekannt machen.

Burger. Barock. Bourbonen. Eröffnungsrede zu meiner neuen Stadtwanderung 2022

Das ist die Eröffnungsrede zu meiner neuen Stadtwanderung. Sie heisst «Burger, der Barock und die Bourbonen.» Sie wird im April dieses Jahres ihre Premiere haben.
Mit der Führung geht um Bern zwischen 1650 und 1800. Die Rede wird vom Sandsteinen, von Baustilen, von Börsencraches, von Stadtpalästen, von vornehmen Damen und von hingerichteten Rebellen sein.


Burger, Barock und Bourbonen

Das Burgerspital
Wir sind hier im Innenhof des Burgerspitals. Die Burger sind die Führungsschicht von Stadt und Republik Bern seit 1651. Es gibt sie heute, obwohl sie durch französischen Revolutionäre und Berner Liberale politisch eingeschränkt wurden. Doch sie sind aufgrund ihres Besitzes an Häusern, Boden und Wald immer noch einflussreich.
Das Burgerspital wurde 1742 eröffnet, nahm Arme und Kranke auf und dient heute als Altersheim. Seit über 10 Jahren ist es auch ein Generationenhaus, das Jung und Alt zusammenbringt und neuerdings über eine Kita beherbergt. Und es ist der aktuelle Sitz der Burgergemeinde.
Hier lässt es sich gut leben, über Mittag friedlich chillen und auch Feste feiern. Ich habe hier meinen 60. Geburtstag mit 100 WegbegleiterInnen verbracht.

Die Bernburger
Die Stadt Bern wurde legendär 1191 durch die Herzöge von Zähringen gegründet. Sie gehörte zum damaligen Kaiserreich. 1353 wurde sie auch Teil der Eidgenossenschaft. Diese wurde 1648 im Westfälischen Frieden vom Kaiserreich ausgenommen.
Genau deshalb brauchte es die Burgergemeinde als neue Organisationsform. Das Rote Buch nennt 360 Familien, eingeteilt in verschiedenen Statusgruppen eingeteilt: in „Hochedelveste“ wie die von Erlach und von Wattenwyl, „Edelveste“ wie die May, „Veste“ wie die Frisching, „Liebe und Getreüwe“ wie die Haller. Von allen werden wir hören.
Ihre Vorherrschaft über die Stadt beendeten die Franzosen. 1803 wurden Stadt und Kanton durch die Mediationsaktegetrennt. Die alte Republik ging in den neuen Kanton über; der Regierungspräsident ist rechtlich der Nachfolger des Berner Schultheissen. Die Stadt selber erhielt neue Behörden, heute mit einem demokratisch gewählten Stadtpräsidenten an der Spitze der Stadtregierung. Aktuell ein Bernburger übrigens!

Der Barock
Der Barock umfasst die Kunstgeschichte Europas im 17. und 18. Jahrhundert. Er hat unter anderem die Architektur dieser Zeit geprägt. Besonders bekannt dafür ist das Schloss Versailles.
Man bringt den Barock häufig mit der Rekatholisierung Des Kontinents, mit dem Absolutismus der Monarchen, aber auch mit der Aufklärung in Verbindung.
Doch der Berner Barock ist anders. Er wird durch die Nüchternheit der Reformation bestimmt. Er ist weniger hart als die Herrschaft der Monarchen, eher porös wie der Berner Paternalismus. Und es findet sich hier auch kein Zentrum der Aufklärung, nur die moderate Kritik eines Albrecht von Hallers war hier zuhause.
Immerhin, auch hier kennt der Barock Variationen, wie wir sehen werden. Denn es gibt den sterilen Frühbarock, der prächtigen Hochbarock und den speziellen Regence-Stil.
Das Burgerspital hier rundherum ist schliesslich Berner Spätbarock.

Die Bourbonen
Die Bourbonen stellen heute noch die Könige in Spanien. In Frankreich regierten sie von 1589 bis 1792 ununterbrochen, und dann nochmals von 1814 bis 1830.
Henri IV. war der erste Bourbone auf dem französischen Thron. Bis heute ist er der einzige Calvinist, der in Frankreich König wurde. All seine Nachfolger waren dann katholisch.
Die Hugenotten, wie die Calvinisten auch genannt wurden, kamen auch nach Bern. Nach ihren Plänen wurden die Schanzen gebaut, ein Verteidigungswall gegen das katholische Frankreich. Gebracht wurden sie dafür nie, nur gegen aufmuckende Untertanen aus dem Bernbiet.
Unter Louis XIV. wurde die Eidgenossenschaft an Frankreich angebunden. Zwar respektierten unsere Nachbarn die Eigenheiten des Landes und die Sitten der Berner. Doch kontrollierten sie über Marktzugänge und Soldregimente die hiesige Politik. Viele Burgerfamilien wurden so reich.
Nur die Revolution haben die Berner:innen nicht mitgemacht, weshalb man 1798 in einen Krieg mit dem Revolutionären Frankreich geriet. Das sollte das Ende des alten Bern sein.

Und los!
Meine Stadtwanderung nimmt sich der rund 150 Jahre vom Ende des 30jährigen Krieges bis zur Französischen Revolution an. Lange blieb mir diese Epoche fremd. Ich zog die Zähringer, das Spätmittelalter und die Zeit der Bundesstadt vor.
Doch habe ich in den letzten Monaten überraschend den Weg zu ihr gefunden. Ich habe mich in den Sandstein verliebt. Und seine eigenen Feinheiten kennen gelernt. Daraus entstand diese Wanderung.
Es wird immer wieder um Fassaden gehen.
Ich verspreche, es wird auch um das Leben und Sterben davor und dahinter gehen.

Das ist die Stadtwanderung zu Bernburgern, ihrem speziellen Barock und die mächtigen Bourbonen. Und bei sovielen „B“s bleibt nur eins:

Brechen wir auf auf!

Tour de Suisse der Demokratiegeschichte

Heute war der vorletzte Tag, an dem mein GA gültig war. Da ich es nicht mehr erneuert habe, bin ich nochmals richtig Zug gefahren: Meine Stationen waren Zofingen, Luzern, Lugano, Arth-Goldau, Zürich und Bern.

Video hier anklicken IMG_7794

Mein eigentliches Ziel war die Piazza della Riforma in Lugano. Vor dem städtischen Rathaus habe ich das Video hier gedreht. Es handelt von der liberalen Verfassungsreform vom 7. Juli 1830. Sie etablierte erstmals in der der Schweiz aus eigenen Kräften eine repräsentative Demokratie. Und sie sollte die Erneuerungsbewegung zahlreicher Kantone auslösen, die schließlich den Durchbruch zum Bundesstaat bewirkte.
Im Herkunftskanton löste die Riforma allerdings einen 60 Jahre dauernden heftigen Konflikt zwischen klerikalen Konservativen und laizistisch gesinnten Radikalen aus. Gestürzte Regierungen und selbst Tote bei Wahlen kamen vor. Es brauchte gleich fünf Bundesinterventionen mit Vermittlern und Militär, bis eine Neuregelung der Machtverhältnisse gelang. Sie bestand 1891 darin, dass der Kanton als erster überhaupt ein Proporzwahlverfahren gleich für Parlament und Regierung einführte.

Meine Recherche vor Ort war nicht zufällig. Ich plane, diesen Frühling und Sommer eine Demokratiegeschichte zu schreiben, die aus sieben Stationen in sieben Städten bestehen wird. Sie soll zeigen, wie und wo in der Schweiz Demokratie erfunden und praktiziert wurde. So soll eine Tour de Suisse mit kleinen lokalen Stadtwanderungen entstehen.
Weitere vorgesehene Ort sind Aarau, Bern, Schaffhausen, Olten, Neuenburg und Genf. Allenfalls kommt noch Luzern dazu, Das Ganze wird vom März bis im September 2022 exklusiv bei Swissinfo erscheinen.

Das heute war das heute quasi der Probelauf für die Recherchen. Noch mit GA.
Das nächste Mal mit Halbtax. Aber Volldampf!

Stadtwanderer

Stadtwanderungen im ersten Halbjahr 2022

Freude herrscht! Bald beginnt die neue Saison des Stadtwanderers.

So sieht das Programm im ersten Halbjahr vorerst aus:

24. März 2022: Klimawandel, Läbigi Stadt
31. März 2022: Klimawandel, Feierabendtreff
20. April 2022 (provisorisch): Bern, Barock, Bourbonen. Bau- und Lebensstile im Alten Bern (Premiere, separate Ausschreibung folgt)
8. Mai 2022: Klimawandel, private Gruppe
14. Juni 2022: Medienplatz Fribourg/Freiburg, SRG Regionalgruppe
21. Juni 2022: Klimawandel, private Gruppe

Interessierte Gruppen für weitere Führungen (Demokratie, Lobbying, Jugend&Politik) melden sich bitte via DM auf meinen Stadtwanderer-Konto.

Und noch dies: Dieses Jahr kommt eine Innovation hinzu. Ich werde meine Demokratieführung in Bern zu einer gesamtschweizerischen Tour ausbauen, mit sieben wichtigen Station der Demokratiegeschichte an sieben verschiedenen Orten. Mehr dazu bis Ende Monat.

Stadtwanderer

Neue Stadtwanderung: Bern, der Barock und die Bourbonen

Ganz neue Stadtwanderung: Baustilgeschichte der Berner Altstadt – gespickt mit viel Börsennachrichten und Gesellschaftsklatsch.


Foto: Barbora Neversil

Spricht man von der Berner Altstadt, meint man entweder die (spät)gotischen Teile ums Rathaus resp. ums Münster. Oder es geht um die barocken Gebäude, beginnend mit dem heutigen Käfigturm und endend mit dem Zytgloggenturm, wie man ihn heute kennt. Dazwischen entstanden wichtige Häuser wie die Fischer-Post, das Béatrice von Wattenwyl-Haus, das Kornhaus, der Erlacherhof, die Burgerbibliothek oder das Hotel de Musique im barocken Stil.

Die Nachbarschaft Berns zu Frankreich
Der Berner Barock ist viel nüchterner als der europäische. Der Sandstein und die Reformation trugen das ihre dazu bei. Dennoch entwickelte er sich im 17. und 18. Jahrhundert prächtig. Er vereinte typische bernische und französisch inspirierte Architektur.
Das hat mit der Lage Berns und Frankreichs zu tun. Das Haus der Bourbonen stellte von 1574 bis 1792 ununterbrochen die König. Zuerst war es der einzige Calvinist auf dem Thron, dann die unerbittertsten Gegnern der Hugenotten. Dabei stiess Frankreich nach Osten vor, wurde Berns Nachbar und stieg mit einem gewaltigen Kolonialreich zu einer Weltmacht auf.
Die Beziehungen zu Bern sind in dieser Zeit sehr eng. Trotz unterschiedlichem Glauben ist man eng miteinander militärisch verbunden, staatsphilosophisch verwandt und via Geld vielfältig aufeinander anwiesen. Sei 1663 haben Frankreich und die Eidgenossenchaft eine erneuerten Staatsvertrag, der uns Zugang zu Märkten, Frankreich zu Soldheeren bringt.

Licht und Dunkel im Ancien Régime
Die ausgeschafften Hugenotten aus Südfrankreich sind die erste grosse Flüchtlingskrise in Bern mitten in der kleinen Eiszeit. Der Reichtum aus dem Soldhandel macht Teile des Patriziats so korrupt, dass der Aemterkauf durch die Vergabe durch das Los abgestellt werden muss. Der Spanische Nachfolgekrieg anfangs des 18. Jahrhunderts zwischen Frankreich und dem Kaiser bringt haufenweise Tote in bernische Familien, deren Jung an beide Seite verkauft wurden und sich gegenseitig die Köpfe einschlugen. Die Wirtschaftsblase von 1720, die in Paris (und London) platzt, führt zum abrupten Ende des blühenden Berner Privatbankenplatzes. Schliesslich lösen die Staatsschulden von König Louis XVI. die französische Revolution aus, die auch das Ende des Ancien Régimes in Bern bringt.
Trotz diesen jähen Einschnitten in der Wirtschaft, Gesellschaft und Politik der Stadt und Republik Bern blüht der Neubau der heutigen Altstadt mit zahlreichen, prächtigen Privathäuser, Stadtschlössern und Repräsentationsbauten, die bis heute das Bild der Altstadt erheblich mitbestimmen.

Die neue Stadtführung
Wie das alles zusammenhängt, erzähle ich in meiner neuen Stadtführung “Bern, Barock und Bourbonen”. Besonders geeignet ist sie für Interessierte in Baugeschichte, aber auch an Gesellschaftsklatsch aus dem Alten Bern.
Momentan übe ich fleissig, im Home-Office und vor Ort. Wenn die Pandemie einmal vorbei sein soll, starte ich mit dem jüngsten Spross in meiner Stadtwanderer-Familie.
Ich hoffe, es wird spätestens im April 2022 soweit sein.

Stadtwanderer

Meine Stadtwanderungen 2022

Das erwartete Interessierte an meinen Stadtwanderungen 2022 (sobald die Pandemie besiegt ist)!

Klimageschichte Berns
Von der Entstehung Alpen bis zum Oeschger Centre for Climate Change Research (2h)

Jugend&Politik
Die fünfhundertjährige Beziehung zwischen Rebellen, Schützlingen, aufgeklärten Damen, utopischen Studenten, Nonkonformisten und Jugendparlamentarierinnen und dem Staat in Bern (2h)

Bern, Barock und die Bourbonen
Licht und Schatten in Berns 17. und 18. Jahrhundert. Architekturgeschichte mit Gesellschaftsklatsch

Geschichte der (direkten) Demokratie
Wie aus der aristokratischen Patrizierhochburg die Bundesstadt der Schweizer Demokratie wird (1h 30)

Ueli Ochsenbein, unser Verfassungsvater
Die steile Karriere im jungen Bundesstaat und das jähe Ende des ersten Berner Bundesrats (1 h 30)

Lobbying im Bundesstaat
Wie die Interessenvertretung in den letzten 40 Jahren das Berner Regierungsviertel unterwandert hat (1 h 45)

Interessierte melden sich via DM bei mir. Keine Einzelanmeldungen. Nur Gruppen zwischen 6 und 24 Personen. Konditionen nach Absprache.

Besuch in meiner Heimatgemeinde

Ich war heute in Assens, Kanton Waadt. Das ist seit 2009 meine Heimatgemeinde, hervorgegangen aus einer Fusion. Damals löste sich das Nachbardorf Malapalud auf, mein eigentlicher Heimatort.


Bild links: Kirche aus dem 13. Jahrhundert, heute mit dem Hahn, Bild rechts: Kirche aus dem 19. Jahrhundert, heute mit dem Kreuz

Malapalud
Malapalud ist ein lateinischer Name, der sich aus “mala”und “palud” zusammensetzt und ausgedeutscht ein schlechter Sumpf ist. Und die Longchamps sind die Lengsfelder – ein Flurname, der für ein abgelegenes Feld verwendet wurde.
Hintergrund der beiden Namen ist die Aktion der Berner, die sie nach 1536 einführten. Unter Schultheiss Hans-Franz Nägeli waren sie bestrebt, die jungen Untertanen vom Solddienst für das päpstliche Italien abzuhalten. Dafür offerierten sie die Möglichkeit, ein Stück Land im Gros-de-Vaud zu bekommen, wenn man es davor entwässerte.
So entstand Malapalud, dem wohl schlechtesten Sumpf der Region, der von den Leute bewirtschaftet wurde, die man ohne grosse Identität Langfelder nannte.
Ich war vor 45 Jahren erstmals in Malapalud. Die Gemeinde hatte eben dem 20jährigen zur Volljährigkeit gratuliert, ihm aber gleichzeitig mitgeteilt, zu arm zu sein, um mich bei einer allfälligen Armengenössigkeit unterstützen zu können.
Ich beschloss, den Ort zu besuchen. Mit dem Auto angekommen, begrüsste man mich skeptisch. Man sei gegen Strassen, hiess es. Beim Syndic, der gerade auf einem Miststock stand, stellte ich mich vor: “Je m’appelle Longchamp!” – “C’est rien special ici”, erhielt ich barsch zurück. Wir fanden uns doch noch!
Das kleine Bauerndorf lebte damals von der Pferdezucht und einem Zugezogenen, der das Gemeindebudget alimentierte.
Heute zählt der Weiler Malapalud 100 EinwohnerInnen. Kaum jemand heute ein Pferd, dafür stehen viele Einfamilienhäuser entlang der Strasse.
Dennoch ist man keine selbständige Gemeinde mehr. Vielmehr gehört man administrativ zum benachbarten Assens.

Assens
Die Fusionsgemeinde Assens zählt heute rund 400 EinwohnerInnen. Das Auffälligste im Dorf sind zwei Kirchen, nur 100 m von einander entfernt.
Die ältere Kirche, im gotischen Stil gebaut, ist seit 1228 bezeugt und gehörte dem Bistum Lausanne.
Die bernische Reformation setzte sich in Assens kaum durch. 1619 entschied sich die Gemeinschaft, trotz verschiedenen Glaubensbekenntnisse eine paritätische Kirchgemeinde zu sein. Katholiken und Reformierte sollten die gleiche Kirche abwechslungsweise nutzen dürfen.
Selbst die Tagsatzung musste sich damit beschäftigen. Denn es war weit herum die einzige Institution dieser Art. Deshalb kamen sonntags selbst die Katholiken aus Lausanne ins 25 Kilometer entfernte Assens. Unter ihnen war auch kein geringerer als der Genfer Jean-Jacques Rousseau, der konvertiert war und, als er in Lausanne wohnte, regelmässig nach Assens pilgerte.
Die Einvernehmlichkeit der Konfessionen verschlechterte sich allerdings im 19. Jahrhundert, als Assens ein fester Teil des reformierten Kantons Waadt wurde. Der verstaatlichte die Kirchengüter vorerst rigoros.
Die Katholiken mussten nachziehen, weshalb heute zwei Gotteshäuser in der Gemeinde, das alte für die Reformierten, und eine neue für die Katholiken.
Soweit ich das beurteilen kann, ist das genau ein Gebäude mehr als es im Dorf für das einzige Restaurant braucht!

Echallens
Nun hat der katholische Hintergrund der Gemeinde Assens seine historische Bewandtnis. Denn das nahe gelegene Echallens, seit jeher ein Verkehrsknotenpunkt mit Strassen von Ost nach West und Nord nach Süd, war im 15. Jahrhundert burgundisch. Der Graf von Macon verwaltete es als Vasall für den Herzog von Burgund.
Als dieser im Burgunderkieg 1474-1477 gegen die Eidgenossen verlor, mussten die Berner und Freiburger Echallens und Umgebung wieder aufbauen, durften es aber als gemein(sam)e Herrschaft behalten. Die umliegenden Ländereien, die meist savoyisch waren, mussten sie aber zurückgeben.
Da setzten die Berner nach 1536 die Reformation erfolgreich durch. In den ehemalig burgundischen Gebieten rund um das katholische Echallens scheiterten sie allerdings weitgehend.
Nur die Befriedung der Bauern gelang ihnen, dank ihrem Entsumpfungsprojekt im Gros-de-Vaux.

Was (mir) bleibt
So blieben meine burgundischen Vorfahren bis heute katholisch. Auch ich bin es noch, wenn auch eher ein Kulturkatholik als ein überzeugter Kirchgänger.
Wirtschaftlich arrangierten sich meine Vorfahren schon früh mit dem reformierten Bern, das sie von der Leibeigenschaft befreite und sie zu Untertanen mit eigenem Land machte.
Das verteidigen die Leute mitten im Gros-de-Vaud noch heute selbstbewusst – als patriotische WaadtländerInnen, die sich aber nicht mehr umkehren, wenn man mit dem Auto und einem fremden Nummernschild vorfährt.

Besuch der Ruine Gerenstein (in Berns Nähe)

Am 2. März 1298 gewann die Reichsstadt Bern die Schlacht am Dornbühl gegen das habsburgische Freiburg. In der Folge zerstörte Bern die Burgen des feindlichen niederen Adels in ihrer eigenen Nähe, so auch die des Freiherren von Gerenstein auf dem Gebiet von Bolligen. Ortsbesichtigung und Geschichtsrekonstruktion.

Die Oertlichkeit
Zweigt man von der Hauptstrasse zwischen Bolligen und Krauchtal ab, um die Ruine Geristein, wie sie heute heisst, zu besuchen, steht man zuerst vor einem imposanten Felsen mit einem grossen Loch. Steigt man dann zur Ruine hoch, erkennt man den Sandstein, der den Felssporn bildet. Er ist porös ist und bröckelt, wo er nicht von Erde bedeckt wird. Der letzte Teil ist steil, übe eine nur schlecht gesicherte Treppe erreichbar.
Oben angekommen sieht man noch Teile eines ritterlichen Rundturms, die immer noch seine savoyische Gestalt verrät.


Was geschah nach den Zähringern
Wie kam es dazu, dass die Burg vor 732 Jahren geschleift wurde? Um das zu verstehen, muss man tief ins 13. Jahrhundert eintauchen. In der Geschichtsschreibung spricht man auch von der Zeit der “Anarchie der Adeligen”, weil sie gerade im Mittelland so häufig in wechselnden Koalitionen gegeneinander kämpften.
Alles beginnt mit Bern und Freiburg. Beide Städte waren von den Herzögen von Zähringen gegründet worden. Nach deren Aussterben 1218 entwickelten sie sich aber unterschiedlich. Das sollte man auch in Gerenstein zu spüren bekommen.
Freiburg, 1157 auf Zähringer Gebiet gebaut, gehörte zum herzoglichen Erbe, das an die Grafen von Kyburg (bei Winterthur) ging. 1277 kam die Stadt an die Habsburger, zwischenzeitlich Könige im Reich.
Bern war auf Reichsgebiet gebaut worden, das beim Aussterben der Herzöge an den Kaiser ging. Er machte Bern zur Reichsstadt, die ihm direkt unterstand. Doch verstarb Friedrich II. 1250, sodass Berns Status unsicher wurde,
Die Kyburger hätten Bern gerne eingenommen, doch die Grafen von Savoyen, mächtig aufgestellt in der Waadt, verhinderten dies, indem sie sich schützend über die verwaiste Reichsstadt stellten.

Berns burgundische Eidgenossenschaft
Zur ihrer weiteren Sicherung entwickelte Bern weitere Beziehungen, burgundische Eidgenossenschaft genannt. Dazu gehörten Bündnisse mit der Stadt Biel und dem Reichsland Hasli.
Genau das missfiel König Rudolf von Habsburg. 1288 versuchte er die Stadt Bern einzunehmen, blieb aber erfolglos. Erst ein Jahr später gelang dies seinem Sohn, ebenfalls Rudolf genannt.
Bern kam dennoch nicht zu Habsburg, musste aber dem König eine hohe Kriegssteuer bezahlen.
Das führte zu einer grossen Krise. Schultheiss Ulrich von Bubenberg wurde 1293 abgesetzt. Dafür stützte Bern den Grafen Adolf von Nassau, der 1292 zum Nachfolger von Rudolf von Habsburg neuen König gewählt wurde. Er bestätigte der Stadt den bisherigen Status.
Doch blieben die Habsburger die Rivalen im Reich. Im Lokalen erhöhte das die Spannungen zwischen Bern und Freiburg. Mittels Fehde kämpfte man um die Vormachtstellung im Sense-Saane-Raum, der mit den Reichsburgen Gümmenen, Laupen und Grasburg von hoher Bedeutung war.


Reichsgebiete und Adelsherrschaften um 1291 auf dem Gebiet der heutigen Schweiz (Quelle: Historischer Atlas der Schweiz, 2021)

Die Schlacht am Dornbühl
Daraus entstand die Schlacht am Dornbühl. Den Namen hat sie vom dornenhaltigen Hang, auf dem das Treffen stattfand. Es reichte von den Toren im Westen der Stadt bis ins heutige Oberwangen Richtung Flamatt.
Bern wurde bei der Schlacht von den Städten Solothurn und Biel unterstützt, auch von den Grafen von (Neu)Kyburg resp. von Aarberg. Selbst das Hasli stand auf ihrer Seite.
Ihr gegenüber waren die Stadt Freiburg, die Grafschaften von Neuenburg und Greyerz, die savoyische Waadt und zahlreiche deren Gefolgsleute, die sich teils kurzfristig auf die Bern-feindliche Seite begeben hatten.
Unbekannt ist die Zahl der Beteiligten resp. Toten. Nur Ulrich von Erlach kennt man als Heerführer der siegreichen Berner.

Die weiteren Folgen
Dafür weiss man, dass Bern nach der Schlacht in die Offensive ging. Sie zerstörte sofort drei Burgen von Kleinadeligen in ihrer nahen Umgebung: die
. des Freiherrn von Belp-Montenach und des Freiherrn von Gerenstein, die beide zu Savoyen gehalten hatten, und
. die des Ritters von Wangen, der zu Freiburg gestanden war.
Bern übernahm auch die Kirchenrechte in Muri, Bolligen, Stettlen und Vechigen. Damit sicherte man sich Verbindungswege nach Burgdorf und ins Haslital. Man kann das auch als Beginn der städtischen Territorialpolitik sehen.
Schliesslich verstärkte sich Bern mit einem kleinen Städtebund, das nun nebst Biel auch Solothurn und Murten umfasste.
Beendet waren die Spannungen mit Freiburg allerdings nicht. Denn König Adolf von Nassau noch 1298 mit Albrecht von Habsburg einen Gegenkönig und verstarb kurz danach. Bis weite ins 14. Jahrhundert blieb das ursprünglich freundschaftliche Verhältnis zwischen den beiden Zähringerstädten kriegerisch.

Das Ende der Freiherren von Gerenstein
Ohne Burg fanden die Freiherren von Gerenstein ein rasches Ende. Sie sollen bereits anfangs des 14. Jahrhunderts ausgestorben gewesen sein.
Ihre Ruine wurde von Bolligen übernommen, später an weltliche und kirchliche Adelige verkauft, bis sie 1528 bei der Säkularisation durch die Reformation an Bern kam.
1975 wurde die Ruine restauriert, und seither ist sie ein beliebter Ausflugsort im Nahgebiet von Bern.
So auch für @neverbar und den @stadtwanderer_ am heutigen Bärzelistag 2022, wie man in Bern dem Berchtoldstag sagt. Er soll ja auch an den Stadtgründer Berchtold V. von Zähringen erinnern.

Berns Steine

Es ist ein schön gemachtes Doppel-Buch. Die kleinere Ausgabe ist ein Wanderführer mit zahllosen Stationen und Kurzbeschreibungen. Die grössere trägt den Untertitel «Basisband» und enthält eine Geschichte der Steine, mit denen die Stadt Bern gebaut wurde. Erschienen sind die beiden Bände 2018 im Hauptverlage. Aufmerksam wurde ich durch ein Weihnachtsgeschenk allerdings erst jetzt.

Die Gründungsstadt
In der Gründungsstadt von 1191 wurde noch viel mit Holz gebaut. Steingebäude waren selten. Dazu zählten die Zähringerburg und die Leutkirche, der Vorgängerbau des heutigen Münsters. Wohl waren auch die ersten Klöster aus Stein.
Nach dem Stadtbrand von 1405 kamen das Rathaus und ab 1421 das Münster hinzu. Und es folgten im 15. Jahrhundert die ersten Bürgerhäuser aus Stein.
Im Buch von Toni Labhart und Konrad Zehnder steht dazu: «Von zentraler Bedeutung war von Anfang an der Berner Sandstein, der ideal den Bedürfnissen einer mittelalterlichen Stadt entsprach: Es gab in unmittelbarer Stadtnähe grosse, für die Anlage von Steinbrüchen geeignete, flach gelagerte Vorkommen, die sich mit den technischen Mitteln jener Zeit leicht abbauen liessen.»

Der Bauboom im 18. und frühen 19. Jahrhundert
Doch erst das 18. Jahrhundert kam es zum eigentlichen Bau-Boom. Denn da kamen wichtige Repräsentationsbauten des patrizischen Ancien Regimes hinzu. Ausdrücklich porträtiert werden im Wanderband unter anderem das Kornhaus, die Heiliggeistkirche, das Rathaus zum Aeusseren Stand, der Erlacherhof oder das Hotel de Musique.
Mit dem 19. Jahrhundert wuchs der Verkehr und damit die Notwendigkeit des Brückenbaus. Allen voran geht es da um Nydeggkirche, von 1840 bis 1844 erstellt. Sie steht für den Uebergang. Denn wegen der Grösse des mittleren Rundbogens über der Aare hätte sie eigentlich ganz aus Granit gebaut werden müssen.
Doch der begehrte harte Stein fehlte, denn man hatte die Findlinge aus der Umgebung bereits weitgehend verarbeitet. So sind nur 10 Prozent der Brücke aus Granit; drei Viertel bestehen aus Sandstein, der letztlich nicht wetterfest ist. Deshalb musste die Brücke 1988 umfassend saniert werden.

Die Wende mit dem Bahnhof und der Eisenbahn
Im Buch «Steine Berns» dreht sich Vieles um die grosse Wende im Bauwesen, welche der erste Bahnhofbau 1860 auslöste. Mit der Eisenbahn wuchs vor allem die Fähigkeit zum Transport. Und damit setzte die Abwendung vom einheimischen Baumaterial ein. Steintransporte aus der weiteren Umgebung, ja aus dem Ausland setzten ein. So wurde der Münsterturmbau mit süddeutschem Stein fertig gebaut, und bei der Dreifaltigkeitskirche verwendete man Steine aus Italien.
Namentlich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstanden zahlreiche Bauten für die neue Bundesstadt. Zu den bekanntesten zählen unter anderem der Bernerhof, der Bundeshaus-Komplex, die SBB Generaldirektion, das Telegrafengebäude (heute Haus der Kantone), das Historische Museum, die Dreifaltigkeitskirche, das Stadttheater und das Universitätsgebäude. In der Art des Historismus oder des Jugendstils gebaut, setzen sie sich von klassischen Sandsteinbauten vor allem an den Fassaden ab, sodass sie Wind und Wetter besser Stand hielten.

Globalisierung des Baumaterials
Wie in andern Städten auch hat verlor der Naturstein als Baumaterial im 20. und erst recht im 21. Jahrhundert stark an Bedeutung. Ersetzt wurde er nun durch Backstein, Beton, Stahl und Glas. Geblieben ist der Sandstein nur noch als dekorative Verkleidung von Fassaden moderner Gebäude. Das hat auch damit zu tun, dass die Eidgenossenschaft das Bauen mit lokalen Gesteinen weitgehend aufgab. Ausnahmen sind das DEZA-Hauptgebäude und die «Titanic 2».
Selbst in Friedhöfen verliert sich die Tradition, mit einheimischen Steinen zu gedenken. Denn die Gesteinswahl erfolgt neuerdings gefühlsmässig, wobei Marmor und kristalline Gesteine dominieren. Und nach einem Vierteljahrhundert ändert sich wieder fast alles, da die Grabsteine ersetzt werden.

Konservierung des herkömmlichen Baumaterials
Das Buch beschreibt das alles als Ambivalenz zwischen Globalisierung und Konservierung. Das zeige sich am besten in der Altstadt. Die Obere Altstadt ist einem rasanten Wandel unterworfen mit ziemlich zufällig ausgewähltem Gesteinsmaterial. Denn der weggefallene Distanzschutz beim Materialeinkauf hat die Art und Weise des Bauens diversifiziert.
Auf der anderen Seite steht die untere Altstadt, in der dank Bauvorschriften die alte Bauweise erhalten bleibt. Die Aufnahme der Stadt ins UNESCO Weltkulturerbe habe «zu sorgsamen Umgang mit dem steinernen Erbe beigetragen», schreiben die Autoren. Und damit den konservativen Grundton im Berner Stadtbild gestärkt.

Meine Empfehlung
Ich bin ganz begeistert vom neuen Buch. Es hat mir schon zahlreiche Einblicke in das Erscheinungsbild der Stadt, das ich kannte, eröffnet, weil es Bekanntes in einen höchst interessanten grösseren Rahmen stellt.
Noch vor kurzem hätte ich nicht geglaubt, dass Steine eine so gut sichtbare Geschichte erzählen.

Toni Labhart, Konrad Zehnder: Steine Berns. Exkursionsführer und Basisband. Haupt Verlag, Bern 2018.