Stadtwanderung: Warum Aarau 1798 zum Revoluzzernest wurde

In der Alten Kanti Aarau habe ich von 1973 bis 1977 mein Gymnasium absolviert. Mir war damals nicht bewusst, dass es die erste, nicht-kirchliche höhere Schule der Schweiz gewesen war.


Foto: Marcel Wüthrich

1802 gegründet, 1804 bezogen, steht das Gebäude wie kein anderes für eine der wichtigsten Neuerung, welche die Schweiz der Helvetischen Republik verdankt: die laizistische Schulbildung!
Das hatte mit der Rolle der Stadt bei der Staatsneugründung von 1798 zu tun: Denn Aarau war der Ort, wo 1712 die Parität der christlichen Konfessionen und damit ein lang anhaltender Frieden zwischen Reformierten und Katholiken beschlossen wurde, wo ab 1762 die neu entstandene Helvetische Gesellschaft tagte, die über Reformen des Staates und der Wirtschaft nachdachte, und wo erste Unternehmen des Indienne-Drucks ihren Sitz hatten.
Trotzdem war Aarau nie über den Status einer minderwertigen Munizipalstadt unter bernischer Herrschaft hinausgekommen. Das machte die politisch rechtlosen Bürger der Stadt für die Ideen der Französischen Revolution besonders empfänglich. Aarau war in den Frühlingstagen des Jahres 1798 das Revoluzzer-Nest der alten Eidgenossenschaft.
Auf dieser Basis wandere ab sofort unter dem Titel “Helvetiopolis” durch Aarau und erzähle die Entwicklung der Stadt vom Untertan zu einem der führenden Zentren des Liberalismus in der Schweiz. InteressentInnen für eine Tour melden sich via Messenger bei mir und bringen am besten gleich eine kompakte Gruppe mit.

Stadtwanderung #Ochsentour

Ueli Ochsenbein ist unser Verfassungsvater und im Schwarzen Loch der Geschichte verschwunden.

Ueli Ochsenbein war 1848 der erste Berner Bundesrat. Zuvor wurde der vormalige Berner Regierungspräsident resp. Stadtpräsidenten von Nidau in den Nationalrat gewählt, den er als erster kurzzeitig auch präsidierte.

Seine eigentliche Leistung bestand darin, Vorsitzender der Kommission der Tagsatzung gewesen zu sein, welche die Bundesverfassung ausgearbeitet hatte. Dabei hatte er sich für die Schaffung eines Bundesstaats stark gemacht.
Ochsenbeins politische Karriere endete 1854 jäh, als er nicht mehr in den Nationalrat gewählt wurde, was damals Voraussetzung für die Wiederwahl in den Bundesrat war. Auch sein weiteres Leben war nicht frei von verschiedenen Schicksalsschlägen.
Ochsenbein und seiner staatspolitischer Leistung ist meine Stadtwanderung „Ochsentour“ gewidmet. Beleuchtet werden die historischen Umstände, Ochsenbeins Aufstieg und Fall, die Entscheidungsfindung sowie die unmittelbaren Folgen der neuen Verfassung.
Es ist geplant, die Führung im Rahmen der 175 Jahr-Feier des Grundgesetzes im Sommer 2023 anzubieten. Dafür machte ich gestern schon mal einen Probelauf mit VertreterInnen aus Politik und Parlamentsdiensten.
Es hat Spaß gemacht! Und ich arbeite daran.

Fotos: Benjamin Michelet

Burger.Barock.Bourbonen – Finale: Hotel de Musique (aka DuTheatre) oder die Ambivalenzen des Berner Barocks

Wir stehen hier von dem Höhepunkt des Berner Barocks. Bauen wollte man ein Stadttheater. Entstanden ist ein Konzert- und Ballhaus. Das spiegelt gleichsam das Drama des Berner Barocks.

Barock? Den Zeitgenossen kein Begriff
1751 begann Denis Diderot mit der Herausgabe seiner « Encyclopédie ou Dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers ». Einer der vielen Artikel der Enzyklopädie ist dem Barock gewidmet. Da wird gesagt, die Zeitgenossen des Barocks hätten den Begriff nicht verwendet. Er sei portugiesisch, barocco, und für eine unfertige Perle verwendet worden.
Vom Barock sprach man erst, als der Klassizismus als Baustil des aufgeklärten Bürgertums entstand, und alles was vorher gebaut worden war, zur Vergangenheit des Absolutismus’ gezählt wurde.

Das Hotel de Musique, auch Du Theatre genannt
Wir stehen zum Schluss vor dem «Hotel de Musique», das populär ausgedrückt «DuTu», «DuTheatre» genannt wird. Das kam so:
1766 plante eine Gruppe fortschrittlich denkender Patrizier, in Bern ein Stadtheater zu errichten. Dafür gründet man eine Aktiengesellschaft. Auch das war eine Innovation. Man erwarb vier Parzellen und plante. Die Obrigkeit stand vor einem Problem: Bewilligen und die Aufruhr zulassen, oder verbieten und erneut als Unterdrückerin dastehen?
Man wählte einen Zwischenweg: Der Bau wurde bewilligt, der Zweck nicht. Einzig Konzerte und Tanzabende durfte man hier durchführen. Das tönte nach Wien und war weniger verdächtig.

Zwei Seiten des Dramas
Gebaut hat es der damalige Stararchitekt Niklaus Sprüngli. Er hatte in Paris studiert und er hat in Bern einige der schönsten Profanbauten in Bern erstellt. Sein Interpret im 20. Jahrhundert, Kunsthistoriker Paul Hofer, schrieb, es zeige zwei Baustile. Die bekanntere Westseite sei spätbarock, die Ostseite hier, frühklassizistisch. Auch ich dachte das vor einigen Wochen.
Bei meinen Vorbereitungen für diese Wanderung habe ich die grossangelegte Buchreihe der Uni Bern zur Geschichte von Stadt und Kanton gelesen. Sie widerspricht Paul Hofer. Es sei unwahrscheinlich, dass der gleiche Architekt eine Fassade so, die andere so gebaut habe. Vielmehr habe man in Paris den Studenten gelehrt, die Fassade müsse ausdrücken, was im Gebäude geschehe. Sprüngli habe demnach ausdrücken müssen, dass man hier eigentlich Theater spielen wollte. Doch sei die Bewilligung zum Drama geworden, das zwei Ausprägungen habe: die Komödie und die Tragödie. Die Westfront spiegle mit ihrer Verspieltheit die Komödie, die Ostfront mit ihrer Strenge die Tragödie.

Komödianten und tragische Figuren
Unsere Führung durch das 17. Und 18. Jahrhundert, durch den Berner Barock und durch die Zeit mit und gegen die Bourbonen zeigte Licht und Dunkel im damaligen Leben der Stadt. Glänzend waren das Kornhaus, das Beatrice von Wattenwyl Haus und der Erlacherhof. Elendiglich waren die Geschichten vor der französischen Kirche, dem Mayhaus und beim Gesellschaftshaus zu Kaufleuten. Ein Staatsmann war Willading, ein Komödianten waren Gabriel May und Hieronymus von Erlach und die Tragödien betreffen Catherine Perregaux-de Wattewyl und Samuel Henzi!
Die bereits zitierte Buchreihe der Uni Bern nennt das 17. Jahrhundert «Berns mächtige Zeit», das 18. Jahrhundert «Berns goldene Zeit». Bewunderung für den Aufstieg von Stadt und Republik Bern sprechen daraus.

Das Ende und der Neuanfang
Doch dann kam der jähe Sturz der stolzen Stadt, als sich die französische Revolution auch hier breitmachte. Sie markiert den Wandel von der aristokratischen Republik zum bürgerlichen Kanton, später zur liberalen Schweizerischen Eidgenossenschaft.
Ironie der Geschichte: Als Bern 1848 Bundesstadt wurde und er nun radikal gesinnte Regierungsrat dem Bund Gratisräume anbot, hatte man die noch gar nicht. Um das erste Parlament beherbergen zu können, musste man auf das Hotel de Musique zurückgreifen. Honi soit qui mal y pense, man habe da Theater gespielt!

Was Fassaden zeigen, was sie verdecken
Das meiste, was die heutige Altstadt ausmacht, entstand am Ende des 17. Jahrhunderts und wurde in den folgenden 100 Jahren gebaut. Ich war mir der Zusammenhänge lange nicht bewusst. Zu interessieren begonnen habe ich mich, als ich zu Weihnachten 2021 ein Buch zu Bern und seinen Bausteinen geschenkt bekam.
Ich plante umgehend eine Führung dazu und habe wie ein wilder Pensionär gearbeitet.
Das Vorhaben habe ich einige Mal geändert, bis die jetzt Fassung vorlag. Auch sie ist aus Sandstein geformt worden, der sich bekanntlich leicht bebauen lässt. Und so wird sich auch diese Fassung fast sicher weiterentwickeln.
Bleiben wird nur das Motto. Es geht um Fassaden! Was man dabei sieht, und was verdeckt wird!

Dank
Ich bedanke mich, dass sie bei der virtuellen Premiere dabei waren. Heute Abend ist die effektive Premiere. Wenn es nicht zu fest regnet (doch würde auch das passen: Es war die Epoche der kleinen Eiszeit, kalt und nass!)

Burger.Barock. Bourbonen – 9. Station: Der Erlacherhof, das Doppelleben des Schultheissen und der Tod des Rebellen

Wir stehen vor dem Erlacherhof. Heute ist er der Sitz des Berner Stadtpräsidenten. Hier geht es aber um den Schultheissen Hieronymus von Erlach, der den Hof erbaute und ein doppeltes Doppelleben führte.

Spätbarocke Pracht
Manche sagen, der Erlacherhof sei das schönste Stadtpalais in Bern. Es sei von europäischen Niveau. Ich finde, sie haben recht!
Gebaut wurde es in der Mitte des 18. Jahrhunderts im Stil des Berner Spätbarocks. Schon der bemalte Sandstein spricht dafür. Er gibt dem Gebäude einen leichten Touch. Auch die beiden Seitenflügel wirken harmonisierend. Dazwischen ist der Hof, der eine Ehrenrunde zulässt. Das war, wenn man mit der Kutsche vorfahren und wenden konnte. In Bern ist das einmalig.
Nirgends in der Stadt Bern gehen Platz und Fassade so gezielt ineinander über. Es ist ein Zusammenspiel. Auch das passt, denn Spätbarock war die Fassade nicht nur die Aussenwand, es war die Fortsetzung des Vorplatzes.
Die Fassade selber ist dreigeteilt. Der Mittelteil hat auf der Dachhöhe das obligate Wappen des Erbauers. Balkone werden angetönt. Säulen stützen sie.
Auf der Frontseite hat der Erlacherhof sieben Fensterachsen, auf der Rückseite sind es neun. Auch das ist einmalig. Da geht der Bau in einen Garten über, schöngemacht, aber nicht ganz so prächtig wie beim von Wattenwyl-Haus.

Schultheiss Hieronymus von Erlach
Die Idee für den Bau hatte Hieronymus von Erlach. Davor hatte er bereits Schloss Thunstetten und Schloss Hindelbank erbauen lassen. Seine Karriere krönte er mit dem Schultheissenamt. Davor war er wie so viele militärisch aktiv gewesen.
Kurz war von Erlach für Frankreich tätig gewesen. Dann erhielt er das Angebot, Anna-Margareta Willading zu heiraten, die Tochter des reichsten Berners Johann Friedrich Willading, der ebenfalls Schultheiss gewesen war.
Allerdings musste sich von Erlach von Frankreich lossagen, denn der Schwiegervater war ja der Anführer der anti-französischen Partei. Hieronymus baute deshalb ein Berner Regiment für den Kaiser in Wien auf, das er als Oberst befehligte. In der österreichischen Armee stieg er bis zum Generalmajor auf. Den Kaiser kannte er persönlich, der machte ihn zum Kammerherr und Reichsgrafen.

Das doppelte Doppelleben
Eigentlich könnte man die Biografie hier abbrechen, wäre da nicht noch ein für die Zeitgenossen unbekannte Zwischenfall gewesen.
Denn als Hieronymus in Frankreich war, schwängerte er Françoise Trouette de Montrassier. Er musste die Katholikin heiraten, und zwar nach ihrem Ritus. Nur ein Jahr später verliess er sie und die Tochter, um den Heiratsantrag aus Bern einzulösen.
Doch als Hieronymus für Oesterreich militärisch aktiv wurde, erstattete ihm der französische Botschafter einen Besuch ab. Entweder würde er ihm ab sofort Informationen liefern, oder das gut gehütete Geheimnis aus der Jünglingszeit würde bekanntgemacht. Bigamie wäre ausreichend gewesen, um seine Karriere zu ruinieren.
So spionierte er im Spanischen Erfolgekrieg als österreichischen General für Frankreich. Einmal lieferte er vor einer Schlacht am Rhein die entscheidende Information, die zum französischen Ueberrschungssieg führte.
Seine Tätigkeit als Spion geschah unter dem Kürzel «Gen. d’E». Das stand für «General d’Elcin». Niemand kam damals auf die Idee, dass es auch «General d’Erlach» hätte heissen können. Erst ein graphologischer Vergleich machte 1934 klar, dass es sich um ein und dieselbe Person handelte. Sein doppeltes Doppelleben sorgte in Bern für erhebliches Erstaunen.
Es war so, wie wenn man dem Patrizier nachträglich die obligate Perücke abgezogen hätte.

Der Tod des Reformers Henzi
Weniger Glück hatte ein Zeitgenosse von Hieronymus. Sein Leben endete 1849 mitten in der Stadt durch das Schwert.
Die Rede ist von Samuel Henzi. Seine Familie gehörte zu den patrizischen Verlieren der Bankenkrise, die danach abgestiegen war. Samuel versuchte alles mögliche, reüssierte aber nirgends. Da schloss er sich ausgeschlossenen Gewerblern rund um eine Indienne-Druckerei an der Aare an.
Gemeinsam plante man Reformen. Zürich war ein Vorbild. Der schriftgewandte Henzi verfasste ein Memorial, das die Burgerelite des Machtmissbrauchs bezichtigte.
Zu den Hauptforderung zählte die Einführung einer Gemeindeversammlung, von der die politische Macht ausgehen sollte. Das war im Keim demokratisch!
Samuel wurde vorerst verbannt, dann begnadigt. Aus dem Neuenburgischen zurück brachte er ein Theaterstück mit, das er im Sinne der Aufklärer unter dem Titel «Grisler ou l’ambition punie» verfasst hatte. Es war eine Neuauflage des Tellendramas. Nur spielte es nicht in der Innerschweiz, sondern in Bern. Es zielte auf das Patriziat. Gessler stand für die lüsternen Burger. Und die Bauerstochter, an der er sich vergriff, war gleichsam die jungen Frauen, die mann missbrauchte.

Samuel und Mitverschworene wurde in einer Nachtaktion gefasst, und in einem kurzen Prozess verurteilt. Drei bekamen die Todesstrafe, die anderen den Landesverweis. Henzi gehörte zu jenen, die ihr Leben etwas ausserhalb der Stadt lassen mussten.
In der Eidgenossenschaft wie in Bern gilt das 18. Jahrhundert als unruhige Zeit. Der „Burgerlärm“ von Agentin & Cie, wie es die Etablierten nannten, sollte der schärfste, aber auch letzte Aufstand der innerhalb der Burgerschaft sein.

Burger.Barock.Bourbonen – 8. Station: Gesellschaft zu Kaufleuten und die große Berner Bankenkrise

Wir stehen vor dem Gesellschaftshaus zu Kaufleuten. Die Fassade ist ein Durcheinander. Die Zeit, während sie entstand, war es auch. Bern erlebte gerade ihre bisher grösste Finanzkrise.

Die Krämergesellschaft
Kaufleute ist irreführen. Die Gesellschaft organisierte vor allem Tuchhändler und Schneider. Eigentliche Kaufleute fanden sich in der Gesellschaft zu Mittellöwen zusammen.
Die Parzelle, wo wir stehen, gehörte der Gesellschaft seit 1596. Deshalb geht man davon aus, dass das jetzige Haus, das man ab 1720 baute, ein Neubau war.
Die Fassadenarchitektur ist wild. Es fehlt die Strenge des Frühbarocks. Und von der aufkommenden Leichtigkeit des Hochbarocks merkt man nichts. Verwirrend sind die Aufsätze über den Fenster. Sie sind verschieden, aber nicht künstlerisch. Renaissance ist das auch nicht.
Am besten nennt man das einen Mix!

Der Schuldenberg von Louis XIV.
Der Wirrwarr steht für die Bauzeit. 1715 starb König Louis XIV. die Ursache. So strahlend der Sonnenkönig zu Lebzeiten war, so desaströs war sein Nachleben.
Der designierte Nachfolger Louis XV. war noch ein Kind. Es brauchte einen Regenten. Man wählte Philipp II., Herzog von Orleans.
Der Staatshaushalt war hoch verschuldet. Das rief nach einem Sanierer. Es empfahl sich der schottische Oekonom John Law.
Beide mussten die harten Jahre nach dem Tod des Königs richten.

Papiergeld als trügerische Hoffnung
Laws Plan bestand in der Schaffung von Papiergeld. Die Wirtschaft sollte wachsen, die Schulden verschwinden.
Dafür gründete Law die Mississippi-Gesellschaft, die Aktien für die neuen Kolonien in Uebersee herausgab. Man rechnete mit fabelhaften Gewinnen. Law stieg zum Liebling der Pariser Schickeria auf.
Law selber profitierte. Halb Nordamerika gehörte ihm via Aktiengesellschaft. Er soll sogar reicher als alle anderen Franzosen gewesen sein.
Doch änderte sich das schnell, als die Blase Mitte des Jahres 1720 platzte. Law musste aus Paris flüchten.
Alles wurde noch schlimmer, als auch in London die ähnlich gelagerte Südsee-Kompanie Pleite ging.

Der Bankrott der Berner Privatbanken
Beides traf Bern hart. Denn die Stadt war im 17. Jahrhundert reich geworden. Ihr Haushalt erzielte regelmässig Ueberschüsse. 1710 hatte man begonnen, damit Fürstenhäuser zu finanzieren. Die Stadt wurde zum Wirtschaftsfaktor in England und den Niederlanden.
Dafür spezialisiert war die Bank Malacrida & Cie. Die Malacridas war reformierte Flüchtlinge aus dem Bündnerland gewesen, welche die Bank in enger Verbindung mit dem Berner Patriziat gegründet hatten.
Der Kurssturz fiel auf sie zurück. 1721 wurde die Privatbank zahlungsunfähig, Sie musste Liquidiert werden. Das dauerte volle 11 Jahre. Wo sie angesiedelt war, weiss heute niemand mehr.

Die Polarisierung
Der Geldverlust war erheblich. Betroffen waren zahlreiche Privathaushalte. Den grössten Abschreiber soll Christoph Steiger gemacht haben, im Krisenjahr zum Schultheißen gewählt.
Die Krise polarisierte. Wer verlor, stieg ab.
Ein Teil der Burgerschaft rebellierte. 1721 setzte er durch, dass das Los den Zugang zum Rat entscheiden sollte. Damit wollte man Korruption vermeiden.
Sogar ein generelles Bankenverbot erwog man in Bern in der Krise, ohne es zu beschliessen.
Zwei Jahre danach rebellierte auch die Waadt. Jean-Daniel Davel, vormals Offizier in Berner Diensten, nutzte die Abwesenheit der Landvögte, die in Bern Reformen berieten. Er eroberte den Lausanne. Propagiert wurde die Unabhängigkeit von Bern. Den Anführer der Aufständischen exekutiertem die Berner kurzerhand.

Nachgeholter Hauch von Exotik
Nur die Krämer bauten ihr Gesellschaftshaus fertig. Stilecht wurde es nicht. Der gleiche Werkmeister sollte nur wenige Jahre danach die wunderbare hockbarocke Heiliggeistkirche-Kirche bauen. Das sagt alles.
Ein Hauch von Exotik brachte ihr Mitglied Johann Wäber nach London und Bern. Als John Webber wurde er zum bekannten Maler, der mit dem Entdecker James Cook auf Seereise ging. Als erster Schweizer betrat er australischen Boden. Zweimal landete er in Honolulu war und selbst die Beringstrasse bereiste er. Von überall brachte er seine gemalten Bilder mit.
Südsee-Feelings gab es trotz Bankenkrise!

Burger.Barock.Bourbonen – 7. Station: Das Beatrice von Wattenwyl Haus, der Sumpf von Villmergen und das Stadtpalais von General Frisching

Wir stehen vor dem Beatrice von Wattenwyl Haus. Es gehört heute der Schweizerischen Eidgenossenschaft, der es für Staatsempfänge und wichtige Politanlässe dient. Es steht auch für die wichtigste Etappe im Gleichgewicht der Konfessionen in der Schweiz nach der Reformation: der Schlacht von Villmergen.

Die Frontseite lohnt sich kaum mehr, betrachtet und eingeordnet zu werden. Es ist früher Berner Barock aus dem Ende des 17. Jahrhunderts. Wir kennen das. Umso interessanter ist die Rückseite mit hochbarocker Fassade und riesigem Garten.
„Beatrice von Wattenwyl-Haus“ heisst es, weil ihr Mann es 1934 dem Bund verkaufte und bestimmte, es müsse den Namen seiner verstorbenen Frau tragen. Gebaut wurde es zwischen 1695 und 1710 in mehreren Schüben von Samuel Frisching, der hier drei Liegenschaften nebeneinander besass.

Innovative Architektur des Hochbarock
Neu war damals der Gebäudetyp. Den wir stehen hier vor dem ersten Stadtpalais. Bekannt sind solche Bauten als Wohnsitze von begüterten Patriziern oder als städtische Zweitsitze von reichen Landadeligen.
Neu ist auch, dass ein auswärtiger Architekt am Werk war. Joseph Abeille war Franzose, der in Genf lebte, und hier erstmals beigezogen wurde.
Die Elemente der Rückseite kennen wir teilweise, teilweise nicht. Die Fassade ist dreigeteilt, der Mittelteil mit Dachgiebel und Wappen der Familie. Bekannt sind die Lisenen zur Gliederung der Vertikalen. Ungewohnt ist aber, dass die Fassade teilweise bemalt ist. Das macht sie leichter.
Neu ist auch der Balkon, der auf den Garten gibt. Dieser ist für ein Haus in der Stadt ganz neu. Und wir sehen hier erstmals, dass Fassade und Platz davor eine Einheit bilden.

Parität der christlichen Kongessionen
Die Frischings sind keine alteingesessenen Adeligen, aber seit dem 16. Jahrhundert in Bern bezeugt. Sie waren schon im frühen Soldwesen führend. Im 17. Jahrhundert stieg die Familie auch ohne “von” in die hohe Politik auf. 1688 wurde mit Samuel Frisching I. Schultheiß. Von 1715 bis 1721 war sein Sohn, Samuel Frisching II., im gleichen Amt.
Sein Name steht wie kein anderer für den Sieg der reformierten Berner über die katholischen Innerschweizer in der Schlacht von Villmergen. Da konnte die Stadt die Schmach wettmachen, als sie 1656 in der ersten Schlacht am gleichen Ort und gegen die gleichen Widersacher verlor.

Im Frieden von Aarau 1712 setzten die reformierten Ort die Parität beider christlicher Konfessionen in der Eidgenossenschaft durch. Denn seit ihrem Sieg über Zwingli im Kappelerkrieg von 1531 beanspruchten die katholischen Orte die Führung in der Eidgenossenschaft. Das war nun zu Ende.
Frisching wurde übrigens eher per Zufall oberster General der Berner. Denn man hat gleich drei Generäle aufgeboten. Da sich Niklaus von Diesbach während den Kampfhandlungen verletzte, wurde er erst vor Ort als Chef auf dem Platz durch Frisching ersetzt.

Die unnötigste und blutigste Schlacht
Die Schlacht selber wäre gar nicht nötig gewesen. Denn die reformierten Truppen hatten bereits Wochen zuvor einmal gesiegt und in Aarau einen Friedenvertrag aufgesetzt gehabt. Den lehnten jedoch die Zuger, Schwyzer und Unterwaldner auf Betrieben des päpstlichen Nuntius Caracciola ab, und Luzern und Uri, die schon eingelenkt hatten, schlossen sich ihnen an. So kam es ein zweites Mal zu einer militärischen Auseinandersetzung im Freiamt.
Diesmal war die Schlacht besonders verheerend. 4000 Mann blieben auf liegen oder ertranken in den Sümpfen. Die waren besonders tief, denn es hatte in diesem Sommer fürchterlich geregnet.
Was bleibt ist die blutigste Schlacht unter Eidgenossen auf eidgenössischem Territorium ever.

Beliebter Treffpunkt
Der Schlachtensieg hievte Samuel Frisching ins Amt des Schultheißen, das er bis zu seinem Tod versah.
Das Stadtpalais mussten die Frischings, denen auch Schloss Rümligen bei Toffen gehörte, mit dem Ende des Soldwesens anfangs des 19. Jahrhunderts an die Familie von Wattenwyl verkaufen.
Regelmäßig finden hier die Treffen der Präsidenten statt. Wenn sich die Spitzen des Bundesrats und der Regierungsparteien treffen, sprechen sie sich alle mit „Präsident“ an.
Ausgerechnet unsere zwei FreiämterInnen in der Landesregierung wohnten schon in der tollen barocken Bleibe: Bundesrätin Doris Leuthard und der Bundeskanzler Walter Thurnherr.
Gelebte konfessionelle Eintracht quasi!

Burger.Barock.Bourbonen – 6. Station: Unteres May Haus oder der Schreck von Malplaquet

Wir stehen vor dem Unteren May Haus. Es hat gar nichts mit Barock zu tun. Aber es hilft uns zu verstehen, wie die Verschiedenartigkeit der Bernburger im im 18. Jahrhundert verschmelzen.

Bern, unteres Mayhaus Münstergasse 6

Bürgerhaus im Renaissancestil

Die Renaissance geht dem Barock voraus. Sie ist, zu Beginn der Neuzeit, das Zeitalter des aufkommenden Bürgertums. Es richtete sich an der Antike aus und entwickelte einen neuen Kunstsinn. Ihr Zentrum hat diese Stilrichtung in Italien.
In Bern findet man heute fast nichts davon. Am ehesten zur Renaissance passen die prächtigen Brunnen in der Altstadt. Doch wurde ihr Stil aus dem reformierten süddeutschen Raum beeinflusst. Da ist mehr Rottweil und Schaffhausen drin als Rom und Florenz.
Das Bürgerhaus der Familie May ist eine Ausnahme. Es ist Renaissance. Gebaut wurde es im 16. Jahrhundert. Anfangs des 17. Jahrhunderts wurde die Fassade neugestaltet.
Jede Fensterreihe ist anders, mal mit ausgefülltem Dreiecke überdacht, mal mit halbrunden Abschlüssen, mal mit leerem Ueberbau.
Alles ist verziert, ganz im Gegensatz zum strengen Frühbarock! Die Aussenhülle dieses Hauses wirkt schon fast künstlerisch verspielt.

Die Mays als frühe Secondos
Das alles ist nicht zufällig: Denn die Familie May kam wie die Renaissance aus Italien nach Bern. Sie waren zuerst Früchtehändler und damit besonders erfolgreich.
Man kann die Mays auch die ersten Secondos Berns nennen, die Karriere machten. Diese führte sie in keine der Gesellschaften, die wir kennengelernt haben. Denn sie nahmen am Gesellschaftsleben zum Mittellöwen teil, wo sie mit anderen Händlern zusammen waren. Man war noch anders als der ehemalige Ministerial- oder Briefadel.
Ende des 17. Jahrhunderts avancierten die Mays allerdings zu hohen Militärs. Gabriel May zum Beispiel begann seine Laufbahn in Frankreich, gehörte aber zu den ersten, die auf die niederländische Seite wechselten. 1697 kaufte er gar das Berner Regiment von Mülinen, das er fortan als Brigadier führte.
Nach 20 Jahren quittierte er den Dienst, betätigte sich als Grossrat und Landvogt in Moudon, bevor er bis zu seinem Tode Mitglied des Kleinen Rates wurde.

Der Spanische Erbfolgekrieg
Fast wäre das zur Bilderbuchkarriere eines Aufsteigers in Bern avanciert, wäre da nicht ein vergessener, aber schrecklicher Zwischenfall gewesen.
Alles begann 1700. Der letzte Habsburger auf dem Spanischen Thron verstarb. Frankreichs König Louis XIV. fackelte nicht lange und setzte einen Bourbonen in Spanien ein. Damit verschoben sich die politischen Gewichte in Europa erheblich. Bisher war Frankreich zwischen Kaiserreich und Königreich Spanien mit je einem Habsburger eingeklemmt. Mit einem Bourbonen im Westen eröffnete sich Frankreich die einmalige Chance, gesichert nach Osten ausholen zu können.
Genau das führte zum Spanischen Erfolgekrieg zwischen dem Kaiser und Frankreich. Die Niederlande schloss sich dem Kaiser an. Damit war auch Gabriel May auf der antifranzösischen Seite.
Eine entscheidende Schlacht wurde 1709 in Malplaquet in der Nähe Brüssels ausgetragen. Die kaiserlichen Truppen mit den Niederländern siegten und stoppten die Ausdehnung Frankreichs. Den Bourbonen blieb aber der Königsthron in Spanien.

Die Katastrophe
Gabriel May war allerdings nicht der einzige May, der an massgeblicher Stelle an der Schlacht beteiligt war. Denn sein Cousin Hans Rudolf war parallel zu ihm im Regiment von Salis aufgestiegen, das für Graubünden auf französischer Seite kämpfte.
Am Morgen vom 11. September bestritten die beiden Regimenter aus dem Hause May den Hauptteil der Schlacht. Sie war sehr blutig. 8000 Tote gab es alleine unter den Söldnern der beiden Mays. Das war so verheerend, dass beide Regimenter in der Folge der Schlacht gar nicht mehr eingesetzt wurden.
Die Tagsatzung erliess nach dem fürchterlichen Zusammenstoss ein Verbot, dass Eidgenossen gegen Eidgenossen für fremde Mächte kämpfen durften. Fast 100 Jahre hielt man sich daran.

Gabriel May kümmerte das wenig. Er heiratete im Jahr nach der Schlacht Juliana Effinger, mit der er fünf Kinder hatte.

Zaghafte Reformen, aber keine Umwälzung
Doch machte sich in Bern bei den Wahlen 1710 Unmut breit. Erstmals musste man ein Losverfahren bei der Auswahl von Bewerbungen für städtische Aemter einführen. Es war die erste Reform seit der Aristokratisierung der Burgerschaft überhaupt.
Die Mays betraf es nicht. Denn im 18. Jahrhundert verschwanden die Unterschiede aufgrund unterschiedlicher Herkunft zusehends. Die May zählten ab 1731 zu den Edelfesten, den aufgestiegenen Zuwanderern, die Burger geworden waren und den zweihöchsten Adels-Titel führen durften.
Dazu beigetragen hat, dass der ehemaligen Kaufmannsfamilie seit 1588 Schloss Hünigen bei Konolfingen gehörte. Nach dem Ersten Weltkrieg verkauften sie es an die evangelische Gesellschaft, die da ein Tagungszentrum führt. Hans Rudolf hat da ein prominentes Porträt; Gabriel habe ich nicht gefunden.

Burger, Barock. Bourbonen – 5. Station: Gesellschaft zum Distelzwang oder die Berner Elite

Wir stehen vor dem Gesellschaftshaus zu Distelzwang. Das war und ist ein Netzwerk der Berner Aristokratie, welches Führungsaufgaben wahrnahm.

Hermetisch abgeriegelter Keller
Das Haus ist von aussen gesehen nicht spektakulär. 1701 eröffnet, wurde es noch ganz im frühbarocken Stil gebaut. Die wichtigste Abweichung ist der riesige Aufsatz an der Aussenwand. Er zeigt an, dass hier Männer vereinigt sind, die einen Führungsansprach hatten. “Für Gott und Vaterland” steht eingraviert.
Von innen wäre das Haus schon spezieller. Tief im Keller ist ein grosser Versammlungssaal. Der ist durch dicke Mauern so hermetisch abgeriegelt, dass man nicht einmal handyfonieren kann.
Das passt! Denn auch die Berner Aristokratie riegelte sich im 18. Jahrhundert mehr und mehr ab!

Der Schultheiss
Die Stadt Bern wurde von den Herzögen von Zähringen im Jahre 1191 gegründet. 1293 bekam sie von König Adolf von Nassau eine Art Verfassung. Der war bis 1798 gültig. Diese bestimmte die Führung der Stadt durch einen Schultheissen. Umgeben wurde er vom Kleinen Rat, der wiederum wurde vom Grossen Rat ergänzt. Im Kleinen Rat nahmen die Stadtadeligen Einsitz, im Grossen Rat die Gewerbetreibenden.
Deren Gesellschaften waren die Pfister (Bäckern), Gerber, Metzger und Schmiede. Sie war für die Verwaltung der vier Stadtquartiere zuständig. Geführt wurden sie von einem Quartiermeister, Venner genannt. Zusammen sassen diese im Kleinen Rat.

Zunftverfassung mit der Reformation
Die Reformation erhielt Bern eine Art Zunftverfassung. Die gewerblichen Gesellschaften übernahmen von der Kirche die Fürsorge, bekamen dafür das Recht in jedem Quartier 50 Mitglieder des Grossen Rates selber vorzuschlagen. Zusammen bildeten diese den Rat der 200.
Auch die Schultheissen stammten jetzt in aller Regel aus den gewerblichen Gesellschaften. Am häufigsten kamen sie von den Bäckern und Gerber. Seit 1582 hatte man sogar zwei Schultheissen, die sich jährlich abwechselten. Alleinherrschaften sollten so im Namen einer republikanischen Gesinnung vermieden werden.
Sich wechselseitig ergänzende Räte
Doch Mit dem 30jährigen Krieg änderte dies wieder. Auf die jährliche Wahl der Behörden an Ostern wurde zunehmend verzichtet.
Der Grosse Rat konnte neu maximal 299 Mitglieder haben. Wenn 100 verstorben waren, fanden Wahlen statt. Dabei hatten die Venner das Vorschlagsrecht für neue Mitglieder des Grossen Rates. Der Grosse Rat wählte dann den Kleinen Rat. So komplementierte man sich wechselseitig.
Die Schultheissen waren im 18. Jahrhundert wieder vermehrt Adelige, nun Patrizier genannt. Ausdruck davon ist das Haus hier: 1701 bewusst ganz Nahe am Ort gebaut, wo die vier Quartiere zusammen kamen und der Richtplatz über Leben und Tod war.

Patriziat als Oligarchie
Insgesamt ging die Zahl der regimentsfähigen Familien durch Aussterben, Wegzug oder Verarmung zurück. 1650 waren es noch 500 gewesen, 100 Jahre später die Hälfte. Effektiv ein Amt inne hatten nach dem 30jährigen Krieg 150, ein Jahrhundert später die Hälfte. Zum Patriziat zählten nun noch effektiv regierenden Familien.
Das 18. Jahrhundert brachte auch eine innere Hierarchisierung der Burger. Sie unterschieden sich ab 1731 nicht mehr nur von den Hintersassen. Es gab auch innere Abstufungen: zuoberst die Wohledelfesten, dann die Edelfesten und die Festen. Ihnen nachgelagert waren die “Lieben und Getreuen”.
Das regelte den Zugang zu den höchsten Aemter in Stadt und Republik Bern. Wohledelfeste war vor der Reformation ansässige Adelsfamilien wie die von Erlach oder von Wattenwyl. Edelfeste waren aufgestiegene Burger wie die May, die wir noch kennen lernen werden, Feste meist vormalige Landvögte wie die Willadings.

Zu späte Reformen
Gegen die Ausgrenzungen rebellierte man vor allem im 18. Jahrhundert. Um die Beeinflussung von Wahlen zu unterbinden, integrierte man 1710 und 1721 Lossysteme ins Wahlverfahren. Damit wollte man der grassierenden Korruption Herr werden.
Bis 1749 sind mehrere Aufstände belegt, die weiterreichende Reformen verlangte. Die letzte davon wurde brutal unterdrückt. Wir werden noch davon hören.
Die grosse Krise kam gegen Ende des 18. Jahrhundert. Beinahe wäre das Patriziat ausgestorben. So hatte die Gesellschaft zum Distelzwang gerade noch ein Dutzend Mitglieder.
1783 vollzog das Patriziat der Not gehorchend eine Aenderung.
Nach einer Entscheidung mit 81 zu 80 erlaubte man allen burgerlichen Familien, dem Namen ein “von” voranzustellen.
Doch brauchte es auch in Bern die Ausläufer Französischen Revolution, damit es 1798 zu einer grundlegenden Reform des politischen Systems der Stadt kam.

Burger. Barock. Bourbonen – 4. Station: das Kornhaus und der Staatsmann

Wir stehen vor dem Kornhaus. Es ist der prächtigste barocke Profanbau in der Stadt. Gebaut wurde er, während Johann Willading Schultheiss war und das Staatsverständnis in Stadt und Republik Bern veränderte.

Das Kornhaus
Gebaut hat man das Kornhaus zwischen 1711 und 1718. Die Gebrüder Dünz, die es planten und bauten, waren Berner, die ein kunstvolleren Architektur als im Frühbarock zugetan waren.
Die Front ist wie im Hochbarock typisch dreigeteilt. Der Mittelteil ist herausgehoben, Risalit genannt. Säulen, wie an der Heiliggeist-Kirche, gibt es noch keine, aber Pilaster, angedeutet Stützen. Zudem gliedern gliedern Lisenen oder strukturierte Steine die drei Teile der Fassade. In der Waagrechten erkennt man verschiedenartige Gesimse.
Alles überragend ist aber das Dreieck auf der Höhe des Daches, welches den Mittelteil überrascht. Darin repräsentiert sich der Staat mit Wappen und Bären. Das war neu. Erstmalig war auch der Park mit einer Allee vor dem Kornhaus.

Paternalismus zwischen Absolutismus und Selbstverantwortung
Genutzt wurde der repräsentative Bau als Lagerraum für Wein und Korn. In guten Zeiten verwendete man beides, um die städtischen Beamten zu entlöhnen. In schlechten ernährte man damit die notleidende Stadtbevölkerung.
Paternalismus oder alterväterlich nennt man das . Es war fürsorglich, aber auch kontrollierend. Es unterschied sich vom autoritäre Absolutismus in Frankreich, aber auch von der Eigenverantwortung, wie es die bürgerliche Gesellschaft noch erfinden wird.

Der lernende Staat entsteht
Der Umbruch geschah in einer Zeit, die man heute kleine Eiszeit nennt. Die Gletscher in den Alpen wuchsen. Es war regelmässig kalt, und es regnete viel.
Für die Umwelthistoriker dauert die kleine Eiszeit mit Unterbrüchen von 1350 bis 1850. Die die Kulturgeschichte seiht das enger, beschränkt auf die Phase von zirka 1570 bis etwa 1720.
Das änderte vorherrschende Deutungsmuster. Katastrophen wurden nicht mehr als Schicksal gesehen, dem man ausgeliefert war. Stück für Stück erkannte man, dass Hungersnöte benennbare Ursachen hatten, die der Staat angehen müsse. Vorreiter waren dabei Künstler, welche in Bern und anderswo das eisige Klima bildlichen Thema machten.

So setzte die Auswanderung von Berner Familien nach Uebersee ein, während man das Kornhaus baute. New Bern in North Carolina entstand, um den Bevölkerungsdruck abzubauen. Zur gleichen Zeit setzte auch die Korrektion der Kander im Oberland ein. Denn der Fluss sorgte immer wieder für Ueberschwemmungen von Thun bis Bern.

Schultheiss Johann Friedrich Willading
Ueberragender Schulheiss dieser Zeit war Johann Friedrich Willading, der in Bern zwischen 1708 und 1718 regierte. Seine Karriere begann 1694, als Frankreich die Ausweisung der Hugenotten verlangte. Willading erwirkte eine fünfjährige Fristerstreckung. Derweil kümmerte er sich um Aufnahmen wie durch Hessen.

Willading organisierte auch die antifranzösische Partei in der Gesellschaft. Die stellte seit 1693 auch den Niederlanden eine feste Truppen, Regiment von Mülinen genannt. Ein Jahr später kam auch das Regiment von Tscharner hinzu. Das waren wilde Aktionen, die der Rat vorerst duldete. Erst um 1700 gab er seinen Segen dazu. Damit schuf man ein Gegengewicht zum Regiment Erlach für Frankreich. Denn der niederländische Gesandte in Zürich hatte sich bei der Eidgenossenschaft beklagt, die Begünstigung Frankreichs sei alles andere als neutral.
Sein Gesellenstück liefert Willading 1707 in Neuenburg ab. Denn das dortige Herrscherhaus war erloschen. 15 Adelshäuser interessierten sich. Darunter war auch ein Günstling von Louis XIV. Willading setzt jedoch auf Friedrich I. aus dem Haus Hohenzoller, dem König von Preussen. Und der setzte sich durch.
Der erboste Franzosen schickte Truppen an die Grenzen, Willading vermittelte erfolgreich. Vorgezeichnet war damit seine Karriere als Schultheiss. 10 Jahre versah er das höchste Amt, während denen Bern die wichtigen Entscheidungen traf, mit denen man die Lebensbedingungen verbesserte.

Anne-Margarete Willading wird zur Schlüsselfigur in Bern
Willading gilt bis heute als bernischer Staatsmann. Zu seiner Zeit war er auch der reichste Berner. Grosse Ländereien in Urtenen und Mattstetten gehörten ihm. Vor allem aber hatte er keinen Sohn. Das machte in der patriarchalen Gesellschaft seine einzige Tochter Anne-Margarete zur entscheidenden Person in Bern.
Weiter!

Burger. Barock. Bourbonen – 3. Station: die Französische Kirche, die Hugenotten und die Spionin

Wir stehen vor der Französischen Kirche. Sie ist eine im einfachen Barockstil umgebaute gotische Kirche. Von besonderem Interesse ist sie aber, weil sie das Zentrum der geflüchteten Hugenotten in Bern war.

Die französische Kirche
Die französische Kirche war ursprünglich das Gotteshaus des Dominikaner-Klosters. Sie wurde kurz nach 1300 gebaut – der damaligen Zeit entsprechend im gotischen Stil. Den erkennt man am besten an den hohen und schmalen Fenstern, die in einem Spitzbogen enden. Sie sind aus farbigem Glas. Betont wurde damit die Ausrichtung des Lebens am Himmel, dessen Licht die Innenräume erleuchteten.
1405 sind grosse Teile des Klosters abgebrannt. Die Kirche wurde wieder aufgebaut und wiederkehrend renoviert. Die jetzige Form lässt einen spätbarocken Stil des 18. Jahrhunderts mit bemalten Wänden erahnen. Besonders ist daran nicht viel!
1660 entfernte man übrigens die grosse Darstellung des Totentanzes an der Klostermauer. Sie soll 100m Lang gewesen sein. Reformator Niklaus Manuel hatte damit 1520 die Vergänglichkeit des Lebens öffentlich thematisiert.
Kloster und Kirche wurden nach der Reformation 1528 geschlossen resp. als Lagerräume verwendet. 1623 wurde das Gotteshaus wieder hergestellt. Es wurde zur Kirche der Hugenotten, die mit dem Schanzenbau nach Bern kamen. Deshalb wurde die Messe hier auf französisch gehalten.

Die hugenottischen Flüchtlinge
Ueberstürzt haben sich die Ereignisse allerdings Mitte der 1680er Jahre. König Louis XIV. hob 1685 das Toleranzedikt von Nantes auf, das Henri IV. erlassen hatte. Es ermöglichte den Hugenotten, in Frankreich zu leben. Jetzt wurden sie verbannt.
Das löste eine gewaltige Flüchtlingsbewegung aus. Man schätzt heute, dass eine Million Menschen Frankreich verlassen mussten. 60000 davon seien auf das Gebiet der Eidgenossenschaft gekommen. 20000 liessen sich hier nieder. Hinzu kamen kleinere Gruppen Waldenser aus Italien mit vergleichbarem Schicksal. .
Genf und Lausanne waren Sammelplätze. Teilweise soll es da mehr Flüchtlinge als feste Einwohner gehabt haben. Zudem waren die äusseren Umstände schlecht. Das Klima war kalt und nass. Hungernöte brachen in der Waadt, der Kornkammer Berns, aus. Es kam zu fremdenfeindlichen Aktionen, nicht zuletzt weil die Hugenotten ihre eigenen Pfarrleute mitgenommen hatten.
Bern übernahm die Leitung der Flüchtlingsverteilung in der Eidgenossenschaft. Die katholischen Orte verweigerten sich, die reformierten mussten die Herausforderung alleine stemmen. Bern nahm die Hälfte der Schutzsuchenden auf. Die andere Hälfte ging an die übrigen reformierten Orte.
Die Belastungen waren hoch. 1690 machten die Kosten für die Verbannten einen Fünftel aller Ausgaben der Stadt Bern aus. Dreh- und Angelpunkt war die französische Kirchen.
1687 hatte sich König Louis XIV. geweigert, eine reformierte Delegation aus Zürich und Bern zu empfangen, um die Flüchtlingsfrage zu verhandeln. Die Stimmung kippte!
1688 kam eine veränderte europäische Lage. In England probte das Parlament seit langem den Aufstand gegen die Monarchie. Wilhelm III. von Oranien, Statthalter der Niederlande, setzte über den Aermelkanal, anerkannte die Bill of Rights der Opposition und bildete mit der reformierten Königstochter Marie II. eine neue Monarchie. Sie sollte die doppelte Souveränität von König und Parlament begründen, die heute noch gilt. Diskriminiert wurde hier die Katholiken.

Catherine Perregaux de Wattewyl als Spionin
Bern eröffnete die neue Lage eine Alternative. Weg von Frankreich wurde zur Losung! Berns Schultheiss sympathisierte offen mit den Niederlanden.
König Louis XIV. sah seinen Einfluss in der Aarestadt schwinden. Er intensivierte den geheimen Nachrichtendienst. Zentrale Figur wurde Katharina von Wattenwyl. In erster Ehe war sie Pfarrfrau, vorerst an der Heiliggeistkirche, dann in Därligen. Als ihr Mann früh starb, heiratete sie nochmals , jetzt den Bürgermeister Perregaux im neuenburgischen Valangin. Da wurde Catherine aus bester Berner Familie vom französischen Botschafter als Informantin angeheuert, um den König mit Insiderinformation aus Bern zu beliefern.
Ihr Dienst flog auf, sie wurde verhaftet, gefoltert, gestand verurteilt. Der drohenden Todesstrafe konnte sie sich nur dank ihrer angesehenen Verwandtschaft und der Fürsprache durch die Franzosenpartei entziehen. Doch musste sie die Stadt Bern für immer verlassen.
Heute schätzt man, dass sie weder die einzige Spionin war noch Wesentliches vermittelt habe. Doch geriet die Frau mit unkonventionellem Leben zwischen die Fronten, die immer unversöhnlicher wrden.

Berns verzwickte Lage
1694 erhöhte Frankreich den Druck auf Bern und verlangte die Ausschaffung der Flüchtlinge. England blockte dies ab. Die Lage der Stadt wurde noch komplizierter.
Es brauchte einen neuen Ansatz mit einer neuen Persönlichkeit.
Das an der nächsten Station!

Burger. Barock. Bourbonen – 2. Station: der Käfigturm und die Militärunternehmer

Wir stehen vor dem Käfigturm. Es ist das älteste Gebäude in Bern, das als barock gilt. Mit ihm begann auch der Aufstieg der Familie von Erlach, die dem französischen König treu ein Regiment stellte.


Der Käfigturm von Bern

Der Käfigturm

Gebaut wurde der Käfigturm zwischen 1641 und 1644. Das war mitten im 30jährigen Krieg. Er ersetzte den baufälligen Vorläufer aus dem 13. Jahrhundert. 200 Jahre lang war er das äussere Stadttor gewesen. Danach nutzte man ihn als Gefängnis. Das war auch nach dem Neubau so. Daher kommt auch der Name.
Der Baustil wird unterschiedlich zwischen später Rennaissance und frühem Barock beurteilt. Barock ist die Glockenhaube, die der der Heiligeistkirche gleicht. Das obere Ende ist halb so hoch wie der Turm des Münsters. Die sehr einfache Fassade ist dagegen späte Renaissance. Die Schattenseiten Fenster verstärken den Eindruck eines Wehrturms, obwohl das Gefängnis nie dafür verwendet wurde. Es macht den Anschein, dass man die Gefangenen von der Aussenwelt abgeriegelt haben wollte.
Natürlich steht der Triumphbogen im Zentrum. Er ist auffällig fein gearbeitet. Überragt wird er von einer Hochwacht, die schlicht gehalten ist.
Gebaut wurde der Turm, von Joseph Plebb, Werkbaumeister, der kurz vor der Fertigstellung verstarb.


Mittelalterliche Stadtmauer, der früherer Käfigturm in der Mitte

Von Johann Ludwig von Erlach zu Jean-Louis d’Erlach
Der 30jährige Krieg brachte nicht nur eine einfache funktionale Architektur. Er prägte auch eine neue Generation von Amtsinhabern vor. Hervorragend geeignet dafür ist Johann Ludwig von Erlach.
Schon jung wurde von Erlach in Kleinen Rat gehievt und mit der Reform des bernischen, dann des eidgenössischen Wehrwesens betraut. Das qualifizierte ihn als General, als sich die schwedischen Verbände dem Rheinknie nahten.
Doch wurde von Erlach schon bald von der österreichischen Gegenseite der Parteinahme für das reformierten Schweden bezichtigt. Er musste sich vor der Tagsatzung rechtfertigen und zog es vor, den Dienst zu quittieren.
Dafür schloss er sich Herzog Bernhard von Weimar-Sachen an, der im Kaiserreich General in schwedischen Diensten war. Nach der Eroberung von Breisach wurde von Erlach Gouverneur der Stadt. Noch vor seinem Tod, bestimmte ihn Herzog Bernhard zum Testamentsverwalter.
Von Erlach glaubte allerdings nicht, Breisach alleine halten zu können. Er suchte Kontakt zu Frankreich. Das übernahm Breisach. Und von Erlach wurde Franzose. Nun hiess er Jean-Louis d’Erlach. In der Armee stieg er bis in die Generalität auf.
Bei seiner Verabschiedung erhielt d’Erlach eine fürstliche Abfindung. Mit der baute er am Ende seines bewegten Lebens in der Landvogtei Schenkenberg das barocke Schloss Kasteln.


Johann Ludwig von Erlach (1595-1650)

Die Geschichtsschreibung sieht mit von Erlach das Aufkommen des Militärunternehmers, der den aus dem Mittelalter Söldnerführer ablöste. Der Militärunternehmer beschaffte in seiner Heimat nicht nur Truppen, er lieferte auch Material, um im Krieg bestehen zu können. Aber er machte das für einen fremden Herr.
Daa professionalisierte von Erlachs Sippe. Ab 1671 bis zur französischen Revolution stellte sie den Bourbonen Königen dauerhaft eine Armee zur Verfügung. Das Regiment blieb stets im Familienbesitz, die es vererben und verkaufen konnten. Es war einer eigenen Gerichtsbarkeit unterstellt, und es führte eine eigene Fahne. Die Tamburen waren mit dem Berner Bär geschmückt.
Herr war König Louis XIV. Er privilegierte seinen Klienten, der loyal zu ihm halten musste, dafür gut verdiente. Doch verschaffte sich der König so Einfluss in Bern.
In der Tat entstand rund um die Familie von Erlach eine eigentliche Franzosenpartei im Berner Magistrat, die treu zum König hielt. Doch war das Sprengstoff für die statt, denn man diente einem mächtigen Katholiken.


Schloss Kasteln im Schenkenbergertal

In der Eidgenossenschaft den katholischen Orten unterlegen
Innenpolitisch verlief es nach dem Westfälischen Frieden 1648 nicht so glatt. Beim Aufstand der Landschaft im Bauernkrieg 1653 setzte sich die Stadt durch, wenn auch nur militärisch und Unterdrückung der Aufstände.
Doch drei Jahre später kam es jedoch zur grossen Schmach. Die Reform des Bundes nach Vorstellungen von Bern und Zürich scheiterte am Widerstand der Katholiken. Sie gewann auch den ersten Villmergenkrieg.
Bern war an der Wende zum 18. Jahrhundert nicht nur vom katholischen Frankreich abhängig. Auch in der Eidgenossenschaft waren die reformierten Orte zweiter Klasse.

Stadtwanderer

Burger. Barock. Bourbonen: 1. Station Heiliggeist-Kirche und der Hochbarock

Wir stehen hier vor der Heiliggeist-Kirche. Es ist der prächtigste sakrale Barock-Bau Berns. Und er steht symbolisch für unsere Stadtwanderung zu “Burger – Barock und Bourbonen”.

Der Berner Barock
Wer von barocken Kirchen in der Schweiz hört, denkt unweigerlich an Einsiedeln, nur wenig später fertiggestellt wie die Heiliggeist-Kirche in Bern. Und der Unterschied ist frappant. Dort die üppige Ueberschwang, da die nüchterne Einfachheit!
Der Berner Barock ist eigen. Wie fast alles, was zwischen dem 14. und 20. Jahrhundert in Bern gebaut wurde, besteht er aus Sandstein. Gut bearbeitbar, aber auch wenig beständig. Und er ist von der Reformation aus dem 16. Jahrhundert geprägt.
Den Zeitgenossen war der Begriff übrigens nicht geläufig. Verwendet wird er erst seit den 1750er Jahren, um den entstehenden Klassizismus der Aufklärung von allem, was vorher war, abzugrenzen. Dafür verwendete man in Frankreich den portugiesischen Begriff «barocco», der für eine unvollendete Perle!

Was an der Heiliggeist-Kirche barock
Die heutige Heiliggeistkirche geht auf eine Bauidee des Berner Architekten Albrecht Stürlers zurück. Realisiert wurde sie aber vom Stadtwerkmeister Niklaus Schiltknecht – wohl ohne Plan, denn keine Skizze entspricht dem finalen Bau. Vielleicht ist er auch deshalb der eigenwilligste unter den Barockbauten.
Dominant ist der Kirchturm, der das Satteldach durchstösst. Er eine Welsche Haube mit Glockentürmchen mit Spitzhelm krönt ihn. Gut sichtbar sind die Zifferblätter auf allen vier Seiten. Am Dach befindet sich eine Balustrade mit Obelisken und Vasen.
Typisch barock am Hauptgebäude sind die schlanken Rundbogen-Hochfenstern. Die Fassade kennt richtige und angedeutete Säulen, Pilaster genannt. Auf dem richtigen Säulenpaar thront ein Segmentgiebel. Barock ist das horizontale Gesimse und die vertikalen Lisenen, welche die Fassade klar gliedern.

Früh-, Hoch- und Spätbarock in Bern
Den Barock teilt man meist in drei Phasen auf: den frühen, den hohen und den späten Barock. Das kann man auch in Bern verwenden, wenn auch zeitversetzt.
Der frühe Barock dauerte von 1640 bis 1700. Der hohe Barock geht von 1700 bis 1730. Der späte Barock beginnt danach und endet um 1780.
Die Heiliggeist-Kirche markiert den Uebergang vom hohen zu späten Barock. Geweiht wurde sie Ende 1729.
Das Burgerspital gegenüber entstanden 15 Jahre danach. Es gehört zum Berner Spätbarock. Die farbigen Fassaden künden unzweifelhaft davon.
Heute steht die Heiliggeistkirche frei. Dafür musste die Stadt ab den 1830er Jahren im Zeichen des Liberalismus entfestigt werden. 1865 fiel auch der prächtige Christoffelturm, der letzte Teil der Stadtmauer aus dem 14. Jahrhundert.

Burger, Patriziat und Rebellion
Der Baldachin für die Euro08 zwischen der Heiliggeist-Kirche und Burgerspital ärgerte die Berner Burgergemeinde erheblich. Er zerschneide den barocken Stil am Platz, argumentierte sie.
Entstanden war die Burgergemeinde 1833. Doch reicht die Geschichte ihrer Vorläuferorgane bis ins 13. Jahrhundert zurück.
Geprägt wurde sie von der Burgerversammlung, der reformierten Zunftverfassung, ihrer Aristokratisierung im Patriziat und von Rebellion, die das alles durch eine Gemeindeversammlung ersetzen wollte. Davon werden wir noch einiges hören, auch wenn man vieles nicht mehr sieht.
Heute weitgehend unsichtbar sind auch die Schanzen, mit deren Bau Bern 1623 angesichts des 30jährigen Kriegen zwischen dem Kaiser und den Königen von Böhmen, Dänemark, Schweden und Frankreich begann. Denn auch sie wurden in den 1830er Jahr im Namen des Fortschritts geschleift.

30jähriger Krieg, Schanzen und Bourbonen
Dabei hätten die Schanzen so gut zur Beziehung Berns und den Bourbonen in Frankreich gepasst.
Henri IV., seit 1589 König in ganz Frankreich, beendete die jahrzehntedauernden Hugenottenkriege. Er war der erste und einige Calvinist auf dem Thron, 1610 wurd er ermordet, doch begründete er die Bourbonendynastie. Seine Nachfahren waren wieder katholisch, und sie herrschten, einzig von Napoleon unterbrochen, bis 1830 über Frankreich.
Die Idee zu den Schanzen hatte Théodore Agrippa d’Aubigné, ein Gefolgsmann von König Henri IV. Er sah sie als reformiertes Verteidigungswerk gegen katholische Aggressionen. Und mit ihnen kamen 1623 auch die ersten Hugenotten nach Bern.
Halb-Brüder im Glauben, müsste man heute sagen: reformiert, aber calvinistisch, nicht evangelisch wie man es in Bern gewohnt war.
Mit Folgen!

Auf geht’s zur nächsten Station!

Burger. Barock. Bourbonen: Das Programm der neuen Stadtwanderung

Das ist meine neue Stadtwanderung. Sie feiert am 5. Mai, 18 Uhr 15, Premiere.


Berner Kebes Tafel zu Tugenden und Laster von 1633

Glanz und Dekadenz stehen in Bern des 17. und 18. Jahrhunderts nahe beisammen. Sie bilden die Kulisse für meine neue Stadtführung quer durch die Altstadt. Sie ist gleichzeitig eine Architektur- wie auch eine Sittengeschichte der Burger und des Barock. Und sie zeigt den riesigen Schatten, den der grosse Bourbonenkönig Louis XIV. auf die Stadt wirft.
Wer gerne die Fassaden der Altstadt Berns studiert und vor allem gerne wissen möchte, was damals dahinter steckte, kommt hier voll auf seine/ihre Rechnung!
Das sind meine Stationen:
1. Station: Heiliggeistkirche: wichtigster Sakralbau des Berner Barocks und was ihn auszeichnet
2. Station: Käfigturm: frühbarocker Profanbau – Johann Ludwig von Erlach, Berner General in eidgenössischen, schwedischen und französischen Diensten
3. Station: Französische Kirche: ältester gotischer Sakralbau – Hugenotten-Flüchtlinge und die Spionin Catherine Perregaux-de Wattwyl
4. Station: Kornhaus: wichtigster hochbarocker Profanbau – Schultheiss Johann Friedrich Wilanding, Anführer der antifranzösischen Partei
5. Station: Fischerpost: frühbarocker Profanbau – Beat Fischer, Postunternehmer
6. Station: Unteres May Haus: Bürgerhaus im Renaissance-Stil – Gabriel Mays schrecklicher Schlachtensieg über Hans Rudolf May und 8000 tote aus Berner Landen
7. Station: Gesellschaft zu Kaufleuten: Wirre Architektur – Berns grosse Bankenkrise
8. Station: Von Wattenwayl Stadtpalais: prachtvoller Régence-Bau in Erwartung von Louis XV. – erbaut von Alexander von Wattenwyl, General in niederländischen Diensten
9. Station: Erlacherhof: Höhepunkt des spätbarocker Profanbaus – Schultheiss Hieronymus von Erlach, schillernde Figur überlebt den Skandal, Samuel Henzi, aufrechter Rebell, stirbt durch das Schwert
10. Station: Beatrice von Wattenwyl-Haus: hochbarocker Profanbau mit der schönsten Gartenanlage Berns – heute im Besitz des Bundes

An der Premiere mit dabei ist unser Bundeskanzler Walter Thurnherr, Hausherr des Beatrice von Wattenwyl-Hauses.
Es hat noch einige Plätze am Premieren-Rundgang frei.
Interessierte melden sich direkt bei mir!

Der Start ist auf dem Bahnhofplatz vor der Heiliggeistkirche.

Stadtwanderer

Oesterlicher Besuch im Kloster Muri

Es ist ein Kloster von europäischem Format. Es ist unzertrennbar mit dem Haus Habsburg verbunden. Und es blieb in der Geschichte nicht unbestritten. Bis heute ist das Kloster Muri das eigentliche Zentrum des oberen Freiamtes.

Die Habsburger
Das Kloster Muri wird bald es tausendjährig. Denn es wurde 1027 gegründet. Stifterin war Ita von Lothringen, die Stammmutter der Habsburger. Sie war mit Radbot von Habsburg verheiratet, Graf im Klettgau, der zur gleichen Zeit die Burg bei Brugg erbauen liess.
Die Habsburger war das führende Fürstengeschlecht der europäischen Geschichte. Sie waren Könige im Hl. Römischen Reich, später auch in Spanien, und sie herrschten so auch über ein Kolonialreich. 1700 endete die Herrschaft über Spanien und damit in Uebersee. 1740 starb auch die österreichische Linie aus, wurde aber von Habsburg-Lothringen bis 1806 mit der Kaiserwürde fortgeführt. 1804 fand das im österreichischen Kaisertum eine Neugründung, ab 1867 in der Doppelmonarchie Oesterreich-Ungarn. 1918 endet auch das.
Die Herzen der beiden letzten Habsburger mit dem Kaisertitel, Karl und Zita, sind hier im Kloster in der Loretto-Kapelle bestattet.
Der Aufstieg vom aargauischen Grafengeschlecht zum Königshaus geschah im 13. Jahrhundert und dem späteren König Rudolf I. Dabei ging es um die Erschliessung von Norden nach Süden. Ziel war es quer durch die heutige Schweiz ein gesichertes Gebiet zu bekommen, durch das man nach Rom gelangen konnte. Dabei spielten Luzern und die Innerschweiz aber auch der Gotthard-Pass eine zentrale Rolle. Als König war Rudolf an der Osterweiterung seines Machtgebiets interessiert. Das führte seine Nachfahren nach Wien.

Die Benediktinerregel
Im Kloster Muri folgte man stets der Benediktinerregel. Die entstand im 6. Jahrhundert in Italien, als sich das westliche Mönchstum herauszubilden begann. Leitspruch ist «Ora et labora», «Arbeite und bete», bisweilen ergänzt durch «et lege», «und lese.» Gemeinhin wird das mit strengem, gehorsamem Lebenswandel verbunden.
Das Kloster ist nach Osten ausgerichtet. Über die Jahrhunderte ist sie äusserlich zu einer Einheit aus Romanik, Gotik und Barock verwachsen. Das Gebäude selber wird durch kubische Strenge geprägt. In der Mitte befinden sich das Oktogon, ein Achteck mit der Klosterkirche, abgeschlossen mit einer mächtigen Kuppel. Mit wenigen Ausnahmen entstammt die Innenausstattung dem Rokoko der 1740er Jahren. Seit 1701 war man ein Reichskloster, das als reichste kirchliche Stätte der Eidgenossenschaft galt.

Der Niedergang und der Neuanfang
Das Kloster aus dem 11. Jahrhundert begründete erstmals Schulen im Kanton Aargau. Es bildete Mönche aus, die auch andere Klöster bedienen sollten. Die Macht blieb nicht umbestritten. Mit der Reformation wurde das Kloster ab 1530 von Zürchern beschädigt. Die Franzosen entzogen ihm 1798 die Rechte auf Ausbildung und Bussen, was den Abstieg einleitete. Im Aargauer Klosterstreit von 1841 schlossen die Radikalen um Augustin Keller das Kloster. Die meisten Mönche gingen nach Sarnen. 1845 bekam das aufgehobene Kloster zudem am Stadtrand von Bozen mit Muri-Gries eine Nachfolge.
Während dem französisch-deutschen Krieg 1870/71 kam es zur Internierung der französischen Bourbaki-Armee in der Schweiz. Ein Teil wurde hier in Muri untergebracht. Entstanden ist in der Folge ein Pflegeheim, das es heute noch gibt. Ferner dienen die Gebäude der Verwaltung und als Schulen. Bis heute ist es das Zentrum des oberen Freiamtes.

Die erste Demokratie in der Schweiz aus eigener Kraft

Ich war heute mit #Swissinfo in Lugano, um die zweite Folge der Videos zu „Brennpunkte der Schweizer Demokratie“ zu drehen. Etwas Hintergrund.


Bild: Denkmal für die Reform vom 4. Juli 1830 im Rathaus von Lugano

Die liberale Tessiner Reform
Am 4. Juli 1830 nahmen die Kreisversammlungen im Kanton Tessin die neue liberale Verfassung an. Es war eine herbe Niederlage für die alte Oligarchie um den regierenden Landammann Giovanni Battista Quadri. Er hatte im Geiste des Wiener Kongresses den Kanton autokratisch regiert.
Und es war der Aufstieg des radikal gesinnten Lehrers und späteren Bundesrats Stefano Franscini, der sich publizistisch unermüdlich für das Projekt eingesetzt hatte.
Eingeführt wurden zentrale Elemente der Demokratie: Gewaltenteilung, allgemeines (Männer)Wahlrecht und verfassungsmäßig garantierte Pressefreiheit. Die anschließenden Wahlen brachten dem Bürgertum den politischen Sieg.

Die Erneuerungsbewegung

Heute weiß man: Das war der Startschuss für demokratische Reformen in elf weiteren Kantonen. Innert Jahresfrist wandten auch sie sich vom Regime des Wiener Kongresses von 1815 ab. Heute nennt man das Regeneration. Widersprochen haben ihr namentlich die Kantone mit Landsgemeinden.
Selbst Europa ging man im Tessin voraus. Erst am 23./24. Juli 1830 kam es in Frankreich zur zweiten Französischen Revolution. Es folgten Umstürze in Belgien, Polen und Italien. Nur Griechenland war schneller als die Tessiner gewesen. Doch da vereitelten die konservativen Monarchen Europas den Durchbruch zu demokratischen Verhältnissen. In der Schweiz getrauten sie sich das nicht, selbst wenn sie immer wieder insistierten, beim Bundesvertag von 1815 zu bleiben.

Misslungene Reformen
Auch die kantonalen Reformen in der Schweiz liefen 1832 beim Versuch auf, über den Kantonen einen modernen föderalen Bundesstaat zu schaffen. Den Radikalen ging der Plan Rossi, wie man das Projekt damals nannte, zu wenig weit, und die Konservativen wollten bei der kantonalen Souveränität bleiben. Schließlich stimmte die Stadt Luzern, die als Hauptstadt vorgesehen war, gegen die Übernahme der neuen Aufgabe.
Misslungen war in den 1830er Jahren auch die Gründung einer Nationaluniversität. Dafür wurden die Hochschulen in Zürich und Bern gegründet. Sie waren die ersten laizistischen Hochschulen der Welt.
Die erste nationale Hochschule entstand 1855 mit dem Polytechnikum in Zürich, als übrigens der Tessiner Stefano Franscini Bindesrat und Bildungsminister der Schweiz war.

Pfade durch den Berner Barock

>Der barocke Baustil Berns ist eigenartig. Der Sandstein prägt ihn. Er ist auch ausgesprochen nüchtern, protestantisch eben. Und der 30jährigen Krieg brachte ihm die Strenge, die erst mit der Zeit verloren geht.


Bilder: 1 Käfigturm=Frühbarock, 2 Kornhaus=Hochbarock, 3 Erlacherhof=Spätbarock, 4 Hotel de Musique: Uebergang zum Klassizismus

Der Berner Barock ist das Gegenteil von dem, was der Name eigentlich meint. “Barroco” ist Portugiesisch und bezeichnet eine unregelmäßig geformte Perle. Der Barock ist das oppulente Lebensgefühl der katholischen Welt zwischen Gegenreformation und Aufklärung.
Die Urformen im Berner Frühbarock (1640-1690) sind ausgesprochen schlicht. Das Viereck der Fenster bestimmt die Fassade. Die Fotos 1-3 belegen das.
Der Hochbarock (1690-1730) entwickelte sich mit dreigeteilten Fassaden, auffälligen Giebeln, aber auch mit den ersten Stadtgärten. Das macht erste französische Einflüsse sichtbar.. Man sieht das auf den Bildern 4-6.
Der Spätbarock (1730 bis 1780) kennt nochmalige Verfeinerungen der Hausfronten. Die Fenster erhalten gerundete Abschlüsse nach oben. Die Fassaden werden künstlerischer, und es wird farbiger. Die führenden Architekten machen ihr Ausbildungen in Ausland, allen voran in Paris. Meine Bilder 7-12 stehen dafür.
Die Zeitgenossen selber kannten den Begriff „Barock“ nicht. Er wird erst in den 1750er Jahren gebräuchlich, um den damals vorherrschenden Architektur-Stil als vergangen zu kennzeichnen und vom aufkommenden Klassizismus abzugrenzen. Damit erwachte auch die Aufklärung.
So überrascht es nicht, dass der Barock in vielen verschiedenen regionalen Formen existiert. Nicht nur in Bern! In der Schweiz sind der Barock in Einsiedeln oder Solothurn ebenso eigen wie in Bern.

Anzeige: Burger – Barock – Bourbonen. Neue Stadtwanderung durch Bern

Das Ende des 30jährigen Krieges (1618-1648) bringt die volle Unabhängigkeit der Eidgenossenschaft vom Kaiserreich. Und er führt in die Abhängigkeit von Frankreich. Es ist Zeit, sich damit vertieft zu beschäftigen.

Bern versteht 1648 sich als führender Teil des souveränen Staatsbundes und nennt sich stolz «Stadt und Republik Bern». Das sollte dauern, bis die revolutionären Franzosen 1798 kamen und dem Ancien Régime ihren einen modernen Staat gegenüberstellten.
Bis heute schwankt die Beurteilung der Epoche zwischen «goldener» und «dekadenter» Zeit Berns!

Burger
1651 wurde die damalige Burgerschaft in Burger, Ewige Einwohner und Hintersässen unterteilt. Nur die Burger besassen alle wirtschaftlichen und politischen Rechte. Ihr innerster Kreis, das Patriziat, bestand 1798 noch aus 76 tatsächlich regierenden Familien.

Bourbonen
Während der ganzen Zeit der souveränen Stadtrepublik beherrschten die Bourbonen Frankreich. Ihr Königreich stieg zur globalen Kolonialmacht auf und expandierten in Europa. Und es nahm erheblichen Einfluss auf das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben in Bern.

Barock
Das zeigt sich auch im vorherrschenden Baustil der Epoche, selbst wenn er anders war als in Paris und Versailles. Denn der Berner Barock besteht aus Sandstein. Und der wurde nüchtern gestaltet. Doch dringt der künstlerische französische Einfluss schrittweise in die Fassaden und Gartengestaltung ein, bis die Mischung massgeblich das Bild der heutigen Berner Altstadt bestimmt.

Eine Architektur- und eine Gesellschaftsgeschichte
Meine neue Stadtführung ist gleichzeitig eine Architekturreise und eine Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Stadt Bern im 17. und 18. Jahrhundert. Selbstverständlich kommt die Politik nicht zu kurz.
Die Tour zeigt, was den Berner Früh-, Hoch- und Spätbarock unterscheidet. Sie beleuchtet das wechselhafte Leben mit dem dominanten Soldwesen, den Aufbau der mächtigen Berner Post, die Aufnahme hugenottischer Flüchtlinge und den Bau des Kornhauses als städtische Vorratskammer. Sie zeigt, wie verschiedene Privatbank untergingen und macht deutlich, wie mit dem Reichtum der Stadt prächtige Stadtpalais Einzug hielten, aber auch soziale Spannungen entstanden. Schliesslich waren es Bibliotheken und Konzertsäle, welche zaghafte Ansätze zur Aufklärung und bürgerlichen Kultur in die Stadt brachten. Bevor die Franzosen direkt in die Stadt kamen!

Termine
Die Tour beginnt im Hof des Burgerspitals und endet vor dem Hotel de Musique. Sie dauert rund 2 Stunden von 18-20 Uhr.
Denkbare Termine: 28.April, 5. Mai, 12. Mai. Das definitive Datum der Premiere wird bald bekanntgegeben. Je nach Anmeldungen finden auch mehrere Führungen statt.
Interessierte können sich bis am 18. April mit möglichen Daten bei mir anmelden (claude.longchamp@gfsbern.ch).

Der Tag der Republik

Am 12. April ist der “Tag der Republik”. Erinnert wird an das Ende des Ancien Regimes im 18. Jahrhundert. Es war auch der Anfang des modernen Staates mit der Helvetischen Republik.


Das Aarauer Rathaus mit der Trikolore der Helvetischen Republik

Da der entscheidende Moment in Aarau spielte, hat sich da 2019 ein Komitee um Ivica Petrušić gebildet, das daran erinnern will. Nach zwei Jahren des corona-bedingten Unterbruchs will man das 2022 mit einem Fest wieder aufnehmen. Es gibt am abend eine Stadtwanderung, Reden von Patti Basler und Stadträtin Suzanne Marcley sowie Essen und Musik des kroatisch-vegetarischen Vereins.

Ein tiefer Einschnitt
Der 12. April 1798 war zweifelsfrei ein tiefgreifender Einschnitt in der Schweizer Geschichte. Davor war man zuerst kaiserliches Untertanengebiet gewesen, aus dem sich im 14. Jahrhundert ein Bündnis von Städte- und Länderorten entwickelte, das stufenweise als regionaler Gesprächspartner der Habsburger akzeptiert wurde. 1648 wurde die Eidgenossenschaft aus dem Reich ausgenommen, war ein Staatenbund, souverän, wenn auch stark vom Reich resp. Frankreich abhängig.
Erst die Französische Revolution sollte dem Ancien Regime, wie man die Zeit des 18. Jahrhundert heute nennt, ein Ende setzten. Galt davor das Prinzip der Ungleichheit, der Vorrechte durch Herkunft und soziale Stellung, hielt nun die Gleichheit (der Männer) und der neu gebildeten Kantone Einzug.
Zum Bundesstaat von 1848 brauchte es aber noch einiges. Der neue Staat musste von unten wachsen, der Liberalismus über den Konservatismus siegen, und die Zivilgesellschaft mit Vereinen, Parteien und Interessenverbänden mussten erst noch entstehen. Dafür brauchte es drei grosse Anläufe, von denen 1798 der erste, aber nicht bleibende Durchbruch war.

Warum Aarau?
Aarau stand 1798 wie seit 1415 noch unter bernischer Herrschaft. Man hatte zwar keinen bernischen Vogt wie in Lenzburg, war eine Munizipalstadt, aber Bern untertänig. 1712 war man Ort des Friedensschlusses im 2. Villmergenkrieg gewesen, der die definitive Gleichstellung der reformierten mit den katholischen Orten und damit das Ende der Konfessionskriege in der Eidgenossenschaft brachte. Aufschwung nahm im 18. Jahrhundert auch die Wirtschaft, namentlich das Tuchgewerbe. Damit überholte man selbst das zünftisch reglementierte Bern.
Doch blieb Aarau als Untertan politisch rechtlos. Die Diskrepanz zwischen wirtschaftlicher Stärke und politischer Schwäche nährte den Geist der Veränderung. Das erhöhte sich als der „Sauerländer“, ein Verlag, den es heute noch gibt, nach Aarau kam. Er brachte mit Heinrich Zschokke eine Aufklärer mit, eine Art Voltaire für die Schweiz, der sich der Bildungs- und der Staatsreform annahm.

Die Revolutionierung
1797 versammelte sich die seit der Reformation erstmals wieder vereinigte Tagsatzung, um angesichts der französischen Bedrohung die alten Bündnisse unter Eidgenossen zu beschwören. Zuerst besetzten Stadt und Republik Bern die Stadt, dann waren die revolutionären französischen Truppen an der Reihe.
Frankreich erhob Aarau nach französischem Vorbild zur ersten Hauptstadt der Schweiz. In Aarau hatten das Direktorium, die erste Regierung der Helvetischen Republik, sowie der Senat und der Grosse Rat, das Parlament des neuen Staates, ihren festen Sitz. Peter Ochs, Basler mit französischem Ursprung, Verfasser der ersten Verfassung der Schweiz und Senatspräsident, hielt seine Rede in Aarau, um das neue Zeitalter zu begründen. Allerdings zügelten die Institutionen bald schon nach Luzern.

Der Kanton Aargau
Auch die helvetische Revolution war nicht bleibend. Sie versprach zahlreiche Reformen, setzte einige wie neue Schulen durch, während andere wie die Bodenreform scheiterten. Zudem kam der europäische Krieg der Koalition gegen Frankreich auf unser Territorium. Die revolutionäre Stimmung kippte, die patriotische Regierung der ersten Stunde wurde mehrfach gestürzt, bis sich ein mehrheitlich republikanisch gesinntes Direktorium durchsetzte. Selbst ein Plebiszit, von Frankreich organisiert, stabilisierte die Republik nicht. Ein Bürgerkrieg zwischen Modernisten und Traditionalisten wurde unvermeidlich, sodass Frankreich 1803 eine neue, gemässigt zentralistische Staatsform einführen müssten. Mit der Niederlage von Kaiser Napoleon auf den europäischen Schlachtfeldern war es auch damit aus.

Die vorübergehenden Restauration
1815 führte der Wienere Kongress der Staatenbund von 1648 wieder ein, beliess aber die Kantone, ergänzte sie sogar um drei weitere und hielt auch an ihrer Gleichheit fest. Erlaubt wurden Konkordate, das heisst überkantonale Bündnisse. Verordnet wurde zudem die Neutralität, auch wenn sie die Bewaffnung zuliess. Die Tagsatzung aus dem Mittelalteralter wurde wieder eingeführt. An ihrer Spitze stand eine dreiköpfige Exekutive, gebildet aus gemässigten Aristokraten und Bürgerlichen aus den sechs Vororten Freiburg, Bern, Solothurn, Luzern, Basel und Zürich. 1815 erhielten wir auch unseren heute noch gültigen Namen in Wien: Schweizer Eidgenossenschaft.
Weitgehend wiederhergestellt wurden so die vorrevolutionären Verhältnisse, wenn auch nicht für immer. Denn das Jahr 1830 sollte einen zweiten Durchbruch zur modernen Republik bringen, der 1848 mit dem Bundesstaat vollendet wurde.

Die Geburt der bernischen Militärunternehmer

Gestern war ich spontan, aber mit Absicht im Aargauischen Schenkenbergertal. Das liegt zwischen Juraketten, es beginnt auf der Staffelegg oberhalb von Aarau und endet bei Schinznach.

Schloss Kasteln

Barock-Schloss Kasteln im Schenkenbergertal

Lange war die Burg Schenkenberg der markanteste Punkt über dem Tal. Errichtet von Dienstmannen der Habsburger bei Brugg, war es später Sitz des Landvogtes. Der verliess die 1720, weil sie baufällig war und das Geld für die Renovation fehlte.
Ganz anders bei Schloss Kasteln am Taleingang. Es ist eines der ältesten Barock-Schlösser der Schweiz, das heute dem Kanton gehört. Erbauer war Johann Ludwig von Erlach, der «Guisan» während dem 30jährigen Krieg (1618 – 1648). Denn von 1633 bis 1636 war er der General der eidg. Truppen

Von Johann Ludwig von Erlach zu Jean Louis d’Erlach

Johann Ludwig von Erlach wurde 1595 in eine angesehene Adelsfamilie geboren. Er lernte als junger Page die reformierten Höfe Europas kennen und machte danach erfolgreich Politik in seiner Vaterstadt. Die war gerade dabei, die Schanzen zu bauen, um für einen Krieg gewappnet zu sein.
Johann Ludwig wurde zuerst von der Stadt Bern damit beauftragt, das Wehrwesen neu zu organisieren. Es folgte ein gleicher Auftrag von der Tagsatzung für das eidgenössische. Das empfahl ihn, als General im Aargau eingesetzt zu werden, als sich die schwedische Armee dem Fricktal näherte.
Die Tagsatzung entschied, im grossen Krieg neutral zu sein. Damit begründete sie eine grosse Tradition. Damals war es noch etwas Besonderes. Denn man gehörte formell noch zum Kaiserreich, auch wenn sich die reformierten Orte innerlich längst abgewendet hatten.
Die kaiserlichen Truppen machten von Erlach bald den Vorwurf, mit der schwedischen Armee unter Bernhard von Sachsen-Weimar zu sympathisieren. Seine Verteidigung vor der Tagsatzung scheiterte, sodass er den Dienst quittieren musste.
Von Erlach zögerte danach nicht lange, schloss sich dem General der Reformierten im Kaiserreich an, wurde Gouverneur von Breisach und stieg zum Testamentsvollstrecker von Bernhard von Sachsen-Weimar auf. Nach dessen Tod verhandelte von Erlach mit Frankreich, übergab das Gebiet um Breisach den Franzosen. Dafür wurde er mit einem tollen Titel in die französische Armee aufgenommen, und er nahm die französische Staatszugehörigkeit an. Fortan hiess er Jean Louis d’Erlach.
Bei seinem Ausscheiden aus der Armee erhielt von Erlach eine hohe Summe als letzten Sold. Damit baute er Schloss Kasteln, dessen Vorläuferbau er 1634 von seiner Mutter, Katharina von Müllinen, geerbt hatte. Meist lebte er in Breisach, zeitweise auf Schloss Kasteln. Anfangs 1650, als der Bau des Barockschlosses fast fertig war, starb er in Breisach. Sein Leichnam wurde nach Schinznach überführt, wo er bis heute in der reformierten Kirche begraben liegt.

Grabstätte in Schinznach

Was die Geschichtsforschung sagt

Von Erlach war zu Lebzeiten eine schillernde Figur. Sein Ruf ist bis heute geteilt. Für die einen ist er der zweite General in der Schweizer Geschichte überhaupt, der beim Westfälischen Frieden 1648 half, die Unabhängigkeit vom Reich durchzusetzen. Im süddeutschen Raum, der damals kaiserlich blieb, erinnert man sich namentlich an die «Blutschande von Laufenburg», bei der von Erlach katholische Geistliche hinrichten liess. Die junge Aargauer Militärhistorikerin Agnes Meier Wiederkehr nennt von Erlach schelmisch einen «ziemlichen Vogel», der ans Reislaufen im Mittelalter erinnere, dabei aber persönlichem zu Ruhm gekommen sei.
Auch die heutige Geschichtsforschung hat sich von Erlach angenommen. Der Berner Historiker Benjamin Ryser sieht in von Erlach einen Prototyp des aufkommenden Militärunternehmers, der ohne ethische Prinzipen (erfolg)reich werden wollte. Ihn kümmerte wenig, wem er seine Kompetenzen zur Verfügung stellte. Hauptsache war, die Kasse stimmte.
Nur 15 Jahre nach dem Krieg ordnete König Louis XIV. das Verhältnis zur Eidgenossenschaft neu. Die Berner Söldner waren nicht mehr nur Hilfstruppen im Dienste Frankreichs. Sie formierten ab 1673 ein eigenes Regiment, das den stolzen Namen «von Erlach» trug. Der französische König betrieb auf diesem Weg seine geschickte Günstlingspolitik.. Solange seine Klienten dem Patron diente, sicherte er auch dem Berner Nachwuchs Arbeit. Allerdings etablierte sich so auch eine Franzosen-Partei in der Berner Politik, was wegen der Allianz mit einem katholischen Monarchen nicht ohne Probleme bleiben sollte. Denn ein Teil der Militärunternehmer spaltete sich ab und diente fortan den Niederlanden. Bis Frankreich und die Niederlande gegeneinander Krieg führten, und es für Bern zum Desaster kam.

Neue Stadtwanderung
Doch davon später! Denn Johann Ludwig von Erlach spielt in meiner kommenden Stadtwanderung «Burger, Barock und Bourbonen» eine zentrale Rolle. Start in rund einem Monat.

Die Ausschreibung folgt am 5. April.

Gemischte Gefühle.

Morgen startet meine Stadtwanderer-Saison 2022. Ich muss gestehen, meine Gefühle sind gemischt.

Zuerst freue ich mich unheimlich, weil eine ganze Reihe interessanter Herausforderungen mit neuen Themen und Führungen anstehen. Ich bin die letzten Wochen viele Stunden gewandert, um Neues zu entdecken. So zum Baeock in Bern.
Der Anfang morgen wird gleich ein Highlight sein: Für Regula Rytz lege ich zu ihrem 60. Geburtstag eine neue Fassung der Klimawandel-Wanderung in die Stadtbahn. Das ist mir eine große Ehre!

Dennoch habe ich Bedenken. Denn heute vor 29 Jahren bin ich schwer verunfallt. Der Fenstersturz bescherte mir viele Brüche beider Beine. Ich war danach im Rolllstuhl und musste wie ein kleines Kind wieder laufen lernen. Große Fortschritte stellten sich dank mirakulöses Medizin ein. Die ganze Mühsal von damals ging vergessen.

Nun plagen mich seit geraumer Zeit wieder Schmerzen im linken Bein. Das Fußgelenk, das Gewerbe, die Lymphbahnen sind beschädigt.
Und meine Gehfähigkeit lässt Stück für Stück nach. Schon zwei Stunden zu Fuß sind eine große Anstrengung.
Die Probetour für morgen musste ich letzten Mittwoch nach einigen Stationen ermattet aufgeben.

Es kann sein, dass 2022 meine letzte Saison als aktiver Stadtwanderer wird!

Die letzten zwei Jahre haben Corona-bedingt schon Änderungen gebracht. Meine regelmäßige Präsenz vor Ort ist geringer geworden. Mehr und mehr bin ich dafür nur noch im virtuellen Raum umhergezogen.
Das könnte auch die Zukunft sein: Ganz im Internet statt ganz in Bern!
Ich muss sagen, ich würde es schwer vermissen.

Ich nehme morgen nochmals richtig Anlauf! Ein knappes Dutzend Führungen bis Mitte Jahr sind fest gebucht. Und einen neues Projekt für eine nationale Demokratie-Wanderung in sieben Städten motiviert mich unheimlich, meine Entdeckungs- und Erzählust aufs Neue zu entwickeln.
Aber ich spüre meine Grenzen im er deutlicher.

Der Orthopäde, der mich damals operierte, meinte, es würde für 20 Jahre halten. Jetzt sind fast 30 Jahre daraus geworden. Das ist tröstlich.

Auf geht’s nochmals zu neuen Schritten!

Bild: Selfie mit Einstein, meinem wiederkehrenden Begleiter auf den Stadtwanderungen in Bern.