rodolphe le troubadour oder rudolf der minnesänger

am anfang steht eine berühmte rangliste: sie stellt die wichtigsten troubadoure oder minnesänger vor. doch es ist keine hitparade von heute, – es ist eine übersicht über die könner des faches am ende des 12. jahrhunderts. und an 10. stelle steht rudolf aus dem seeland. ihm ist jetzt in neuenburg eine kleine ausstellung gewidmet, die auf die interessante persönlichkeit aufmerksam macht, ohne aber alle fragen zu ihm auszuleuchten. der versuch einer übersicht, erstellt auf dem heimweg aus eben diesem seeland.


quelle: l. bartolini: rodolophe. comte de neuchâtel et poète, neuchâtel 2006, anclickbar

aufstieg und fall des grafengeschlechtes von fenis


das grafenhaus fenis habe ich soeben ausführlich vorgestellt. ausgehend von cerlier/erlach, ihrem stammsitz seit dem erdbeben von 1117, dehnten sich die feniser grafen entlang der verkehrsachse nach nordosten und südwesten aus. sie wurden bald auch in den seitentälern des juras wichtig, und sie hatten durch heirat eine verbindung ins freiburgische arconciel geschaffen.

das neue zentrum der grafschaft wurde neuenburg, – als castellum novum vom letzten burgunderkönig rudolf III. gegründet, dann seiner frau, der königin irmengard, vererbt, war es im nachfolgekrieg um das burgunderreich fast ganz zerstört. bis mitte des 12. jahrhunderts fehlen nachweise, dass es im kastell noch menschliches leben gab.

neuenburg wird 1154 erstmals wieder schriftlich bezeugt, und zwar als herrschaftsort der grafen von neuenburg-fenis. für die zeit nach 1180 sind umfangreiche bauten mit residenz und kirche auf dem jetzigen schlosshügel bezeugt, während sich am fuss der burg handwerker und händler niederliessen. 1214 ist es soweit: die neuenburger bekommen ihre eigene rechtspersönlichkeit, in form eines stadtbriefes der grafen von neuenburg. doch damit kehrt nicht ruhe ein, sondern beginnt der lange streit zwischen den neuen bürgern und dem alten stadtherren erst recht.

ohne das wichtigste herrschaftliche zentrum am neuenburgersee verliert sich der zusammenhalt der grafenfamilie im transitgebiet zusehends. es entstehen innert kürzester zeit vier seitenlinien, die in neuenburg, nidau, aarberg und strassberg (abgegangener ort bei büren) ihre neuen schwergewichte bekommen. neuenburg bleibt das zentrum der romanen, während die anderen neuenburger über germanisches volk regiert.


stammbaum des grafenhauses von fenis (quelle: lionel bartolini: rodolophe. comte de neuchâtel et poète, neuchâtel 2006, anclickbar)

rudolf, der grosse sänger und kulturvermittler

die markanteste figur, die aus diesem gebiet stammt und bis heute gefeiert wird, ist der minnesänger rudolf. er musizierte und textete, was damals im schwang war. er tat das so hervorragend, dass man sich in fachkreisen bis heute seiner erinnert.

gelobt wird, dass er die provanzialische bewegung des unteren rhonetals aufnahm, und sie in das frankoprovenzialische hochburgund und darüber hinaus vermittelte. populär geworden ist damit in den oberen gesellschaftlichen schichte die romantische liebe, denn in der minnelyrik entbrennt der sänger in liebe zu einer meist höher gestellten frau. er besingt ihre schönheit, wohlwissend dass sie ihm immer versagt werden bleibt.

tugenden wie ritterlichkeit, mässigung und ehre wurden so eingeübt, denn sie reflektierten das im 12. jahrhundert gewandelte verhältnis zur ehe, das trotz christianisierung lange den alten regeln der vorchristlichen gesellschaft gefolgt wird.

gerade im raum der schweiz ist der minnegesang früh und stark aufgeblüht. der manesse-codex aus zürich verzeichnet rund 140 könner des faches, die im kaiserreich lebten. davon haben 30 einen gesellschaftlichen hintergrund im mittelland. an erster stelle unter allen “schweizer” minnesänger steht rudolf, – in der zürcher hitparade an zehnter stelle rangiert und nur vom kaiser, von königen, herzögen und markgrafen übertroffen.


rudolf von neuenburg gemäss manesse-codex und rudolf von fenis gemäss weingarten-verzeichnis

inspirierter oder inspirierender – das ist die frage!

wer nun aber war dieser rudolf? das wissen über ihn ist bruchstückhaft: in der weingart-sammlung wird als rudolf von fenis zitiert, im manesse-codex erscheint er als rudolf von neuenburg. beiden beide anthologien sind erst im 14. jahrhundert entstanden, beziehen sich auf eine zeit, in der man noch kaum geschrieben und selbst der stammbaum von adelsgeschlechtern nur bedingt dokumentiert ist.

folgt man dem manesse codex, ist der minnesänger wohl mit dem rodolphe identisch, der in der zweiten hälfte des 12. jahrhundertes in neuenburg residierte, sohn des stadterneuerers war und am ende seines lebens auch graf von neuenburg gewesen sein dürfte. viel genaueres weiss man über sein leben aber nicht.

nimmt man hingegen das weingart verzeichnis zur hand, könnte der berühmte minnesänger auch rodolphes neffe, rudolf von nidau-neuenburg in frage, der anfangs des 13. jahrhunderts den nidauer zweig der grafenfamilie begründete. doch auch über ihn weiss man ausser dem namen fast nicht, jedenfalls nichts, das für eine grosse tat sprechen würde.

aus sicht der familiensaga mag diese frage der historikerInnen egal sein, denn der troubadour/minnesänger rodolphe/rudolf ist unzweifelhaft einer, der zu ihr gehört. aus sicht des frühen kulturtransfers ist die frage indess etwas heikler:

. hat da ein deutschsprachiger adeliger eine kulturelle tradition, die in seiner zweisprachigen familie von der anderen seite einfloss, aufgenommen und in seiner sprache und für seinen sprachraum zur neuen blüte gebracht? das wäre dann der nidauer rudolf, – ein germanisch inspirierter!

. oder hat da ein frankoprovenzialischer adeliger eine eigene kulturelle entwicklung, dank seiner fähigkeit, sich auch in einer anderen sprache gekonnt auszudrücken, für einen anderen kulturraum erschlossen? das wäre dann der neuchâteler rodolphe, – ein romanischer inspirierender!


modell von neuenburg zur zeit der grafen von fenis-neuenburg (foto: stadtwanderer, anclickbar)

aktuelle ausstellung in neuchâtel mit einseitiger antwort

aufmerksam geworden auf den fall des kulturvermittlers rodolphe/rudolf bin ich durch eine ausstellung in neuchâtel, die momentan im kunsthistorischen museum der stadt zu sehen ist.

eindrücklich werden da die entwicklung der stadt neuenburg dokumentiert, und die rolle der grafen von fenis hierfür dargestellt. schön gezeigt wird auch, wie der troubadour/minnesänger aus dem seeland eine kulturelle tat ersten ranges vollbracht hat, und wie das bis heute nachklingt. man entscheidet sich allerdings einseitig für die manesse-version, ohne die problematik der personellen und räumlichen zuordnung explizit aufmerksam zu machen.

kein grosses verdienst der ausstellung ist es, wenn der ausstellungskatalog fast schon propagandistisch festhält: “Connaiseur intime des formes et motifs de la poésie des troubadours et des trouvères, le comte Rodolphe, sans doute bilingue, est le premier passeur entre les espaces culturels roman et germanique.”

ein grosses verdienst der exposition ist es dagegen, an die bedeutung der feniser grafen zu erinnern. sie zählte ohne zweifel noch zum adel, der über den sprachvölkern der bauern lebte und vermittelnd wirkte. wer das damals so hervorragend vollbrachte und man das um 1200 noch machen konnte, wird wohl für immer ein geheimnis bleiben, das die familie mit ihn ihren untergang am aufkeimenden röschtigraben des spätmittelalters nahm.

grenzwanderer zwischen neuchâtel und nidau

fenis – das burgundische zentrum der kaiserlichen vasallen

wer in vinelz oder in dessen umgebung am bielersee aufgewachsen ist, weiss höchstwahrscheinlich um die hasenburg. von einem keltischen fürstensitz zwischen dem heutigen vinelz und ins ist dann die rede. dieser, heute verlassene burghügel im wald erlebte im hochmittelalter einen zweiten höhepunkt. fenis hiess der ort damals, und er war das zentrum eines rasch aufstrebenden lokalen adelsgeschlechts, dass es bis an die seite des kaisers brachte und im 12. jahrhundert die eigentlichen gegenspieler der zähringer herzöge waren.


fenis – der verlassene burgsitz – findet sich nicht einmal mehr auf den karte von vinelz (quelle: wikipedia, anclickbar)

zerfall der königsmacht, aufstieg des kaisertums im seeland

im 9. jahrhundert zerfiel die fränkische kaiserherrschaft über westeuropa schritt für schritt. neue familien breiteten sich überall aus, um sich auf die machtübernahme im untergehenden karolingerreich vorzubereiten.

zu diesem hochmittelalterlichen adel zählen die welfen, die ursprünglich im heutigen bayern begütert waren. eine seitenlinie der welfen wurde damals herzog in auxerre, einem burgundischen zentrum, dessen herrschaftliche ausläufer bis ins ebenfalls burgundische seeland reichten. vier burgundische könige entstammten dieser nebenlinie (rudolf I., II., conrad und rudolf III.), die zwischen 888 und 1032 das alte burgunderreich aus den völkerwanderungszeiten auferstehen liessen, bis es als unselbständiges königreich definitiv im kaiserreich aufging. das allerdings verlief nicht reibungslos, und so entstand ein lokaler adel der entweder auf die burgundische oder auf die schwäbische seite hielt.

der krieg um das königreich burgund, der nach dem tod des letzten burgundischen königs rudolf III. ausbrach, dauerte offiziell nur kurz; er begann 1032 und endete nach einem strengen winter 1033 mit der machtübernahme durch kaiser conrad II., der sich in payerne die burgundische königskrone aufsetzen liess. gekämpft hatte der kaiser vor allem gegen oddo (eudes), graf von champagnien, der sich, mit dem letzten burgunder könig verwandt, als legitimer erbe des burgundischen königreiches sah. der kaiser wiederum berief sich auf einen erbschaftsvertrag seines vorgängers, der diesen als nachfolger von rudolf III. bestimmt hatte.


dynastie der salischen (fränkischen) kaiser (conrad II, heinrich III, IV resp. V) die im 11. und frühen 12. jahrhunder das römische reich vor allem nördlich der alpen beherrschten

faktisch setzte sich kaiser conrad II. durch, indem er die burgundischen grafen nach konstanz zitierte, und sich dort huldigen liess. oddo akzeptierte nun die vorherrschaft des saliers, liess sich aber als statthalter über die von ihm zerstörten gebiete im seeland einsetzen; dort organisierte er die unter den kriegsfolgen leidende, vor allem hungernde bevölkerung und wagte 1037 nochmals einen aufstand gegen den kaiser. dieser ende für den statthalten indessen auf der verfolgungsjagd in lothringen tödlich.

kaiser conrad II. versammelte 1038 die burgundischen grafen in solothurn, um die herrschaftsrechte neu zu ordnen. an diesem hoftag liess er seinen sohn, den designierten deutschen könig, den herzog von bayern und schwaben, heinrich III., zum neuen burgundischen könig krönen. doch heinrich wurde nur ein jahr später regierender deutscher könig und setzte den bischof von besançon als kanzler über burgund ein.

bereits 1056 verstarb der zwischenzeitlich zum kaiser aufgestiegene, aber noch heinrich III, und es sollten unsichere zeiten ausbrechen; sein ältester sohn, heinrich, war noch ein kind, für das die mutter, agnèse de poitous, die regentschaft übernahm. die kanzlei über burgund, das sie nicht selber verwalten wollte, vermachte sie dem grafen rudolf von rheinfelden.


situation im königreich (hoch)burgund und herzogtum schwaben während des nachfolgekrieges 1032-1038, um die erbschaft der ausgestorbenen burgundischen könige (quelle: wikipedia)

die grafen von fenis als spätburgundisches adelsgeschlecht


lokal waren die seignieurs oder freiherren in der grenzlage zwischen schwaben und burgund von bedeutung. diese waren nicht mehr, wie in zeiten des burgundischen königreiches in bargen (siehe karte oben mit dem bargengau als grenzland) zu hause, dafür aber im benachbarten oltigen oder eben in fenis. auf diese geschlechter stützten sich die könige und ihre kanzler mir vorliebe, sodass sie zu ansehnlichen grafen mit eigenem grundbesitz und herrschaftsrechten avancierten.

spätestens im 11. jahrhundert wurde die hasenburg, der alte keltische fürstensitz, vom grafen ulrich von fenis wieder eingenommen und als herrschaftszentrum ausgebaut, von dem aus man praktisch über die strasse entlang des juras bewachen konnten.

der berühmteste vertreter aus dem feniser grafengeschlecht war burkard, sohn des ulrichs, um 1040 geboren und 1107 verstorben. er durchlief eine vorzügliche karriere in der römisch-katholischen kirche, wurde in eichstätt ausgebildet, war zunächst kämmerer am erzbischöflichen sitz in mainz, und wurde schliesslich 1072 bischof von basel. er war ganz in die reichskirche eingebettet, welche die herrschaft des kaisers vor die des papstes setzte.

fenis und der investiturstreit

1076 nahm der basler bischof burkard von fenis an der synode von worms teil, wo der streit zwischen dem jungen deutschen könig heinrich IV. und papst gregor VII. ausbrach. gestritten wurde darüber, wer die bischöfe einsetzen dürfe. burkard stand ganz auf der seite des königs und votierte für die weltlich oberherrschaft über die bistümer. das papstamt von gregor lehnte er wie der könig wegen eines formfehler bei wahl für ungültig ab.

darob entstand der in den geschichtsbüchern (unter auslassung der bedeutung von fenis!)gut bekannte investiturstreit, indem der papst die suprematie über alle geistlichen würdenträger für sich reklamierte, und sich gar über das vakante kaisertum stellte. wer in worms gegen ihn gestimmt hatte, wurde kurzerhand mit dem bann belegt, was nun auch burkhard von fenis, den basler bischof betraf.


könig heinrich IV. und sein gefolge – unter anderem basler bischof burkhard von fenis – bitte in canossa den papst um lösung vom kirchenbann

könig heinrich konnte sich aus der misslichen lage nur befreien, indem er sich beim papst selber vorsprach, und um vergebung bat. dieser war bereits auf dem weg nach norden, denn die herzöge von schwaben, bayern und kärtnen waren von ihrem könig abgefallen und hatten sich papst gregors herrschaft angeschlossen. die alpen als herrschaftsgrenze wankten!

doch machte der papst des kalten winters wegens in der toscana zwischenhalt. in canossa suchte ihn der gebannte könig heinrich mit bischof burkhard im gefolge auf, um noch rechtzeitig vom bann befreit zu werden.

die kampf zwischen rheinfelden und basel

rudolf von rheinfelden, abtrünniger herzog von schwaben, wurde dennoch und mit duldung des papstes nördlich der alpen zum deutschen gegenkönig gekrönt und führte zwischen 1077 und 1080 krieg gegen den rechtmässigen könig heinrich IV. in diesem krieg eroberte er die herrschaftsrechte rechts der aare und integrierte diese gebiete – seit den zeiten von könig rudolf II. burgundisch – ins schwäbische herzogtum.


rudolf von rheinfelden, deutscher gegenkönig 1077-1080 nahm die burgundischen gebiete rechts der aare in seinen besitz; nach seinem tod wurde er von den zähringern beerbt

das rief zu gegenmassnahmen. um eine ausdehnung des rheinfelder gegenkönigs nach basel zu verhindern, liess burkhard die stadt erstmals mit einer stadtmauer befestigen. könig heinrich förderte seinen getreuen bischof nach mass: er bedankte sich bei burkhard von fenis, bischof von basel, und vermachte nach dem schlachten tod von rudolf von rheinfelden dem basler bischof 1080 die grafschaft härkingen; so versuchte er, die ausdehnung der rheinfelder und ihrer erben über den jura in den alten aargau zu stoppen.

1084 ging es mit dem basler bischof noch steiler nach oben. nachdem burkard heinrich nach rom begleitet hatte, nachdem er dem könig beim sturz des verhassten papst gregor vii behilflich gewesen war, und nachdem heinrich durch einen ihm güpnstig gesinnten gegenpapst zum neuen kaiser gekrönt worden war, erhielt der basler bischof weitere herrschaftssitze im elsass und ländereien in schwaben.

nun bedankte sich burkhard für seine unterstützung und gründete in basel das kloster st. alban, das er den mönchen von cluny übergab, die bei der restituierung der königlich-kaiserlichen machte nach dem streit mit dem papst die fäden gezogen hatten.

erlach als neuer stammsitz

noch vor seinem tod liess bischof burkard den stammsitz seines geschlechts in fenis erneuern. sein herrschaftliches schloss sollte jedoch nicht mehr dort stehen, wo einst der keltischen fürstensitz war und wo sein vater ulrich von fenis noch gewohnt hatte. vielmehr entstand jetzt auf dem ausläufer des jolimont die burg erlach, der vorläuferbau des schlosses. beide burgen, jene von vinelz und jene von erlach, wurden 1117 in einem erdbeben in mitleidenschaft gezogen; danach führten die herren von fenis nur noch ihren sitz in erlach weiter, nicht mehr aber in vinelz. und seither ist der burghügel unbewohnt, und wald, gebüsch und gras wächst über ihn.


schloss erlach heute, von burkhard von fenis und seinem bruder, cuno von fenis, bischof in lausanne, begründet, in seinem heutigen zustand am gleichen ort, hoch über dem bielersee

übrigens: erlach hiess damals noch gar nicht so, sondern cerlier. das war der burgundische name, genauso wie auch fenis burgundischen ursprungs ist, oder was davon im 11. jahrhundert als frankoprovenzialische sprache noch übrig geblieben war.

was fenis genau heisst, weiss man nicht. man bringt es aber immer wieder mit stroh in verbindung. wenn man heute auf dem verlassenen schlusshubel steht, sieht man im wiederum solch getrocknetes gras.

ps:
papst und kaiser einigten sich 1122 in worms mit einem kompromiss in der investiturfrage. das deutsche königreich verselbständigte sich dabei innerhalb des kaiserreichs zusehends, doch der könig behielt die oberherrschaft über die reichskirche. sie sollte von den staufer-kaisern wieder beansprucht werden, während im ehemaligen burgundischen königreich wieder der papst die führung über die kirche übernahm.

die grafen von fenis konnten in der folge weder in basel noch in lausanne das bischofsamt erringen, stiegen aber zwischen neuenburg und nidau, aarberg und valangin zum führenden weltlichen herrschergeschlecht auf.

das rheinfelder erbe wiederum ging nach dem kinderlosen tod von gegenkönig rudolf an die verwandten zähringer, die wegen ihrer papsttreuen haltung von den staufern als herzöge in schwaben verdrängt worden waren. sie dehnten ihren herrschaftsbereich durch kloster- und stadtgründungen sukkzessive von herzogenbuchsee über burgdorf, bern bis murten und freiburg aus und wurden so im 12. jahrhundert zu den mächtigen gegenspielern der grafen von fenis.

stadtwanderer

berner sandstein

ja, was ist das jetzt: sand oder stein? und welche farbe hat er nun: grün oder grau? und wie riecht er, wenn er trocken resp. nass ist? – all das wird in bern seit langem diskutiert, denn der stein hat die stadt geformt, und die stadt hat seinen namen geprägt: berner sandstein symbolisiert wie kaum etwas anderes das äusserliche des patrizischen bern und wird bis heute erhalten.


sandstein-impressionen vom hohen münster hinunter (fotos: stadtwanderer, anclickbar)

das buch zum stein

im frühling habe ich eine total verregnete tour gemacht. es hätte eine hochzeits-stadtwanderung werden sollen. doch als die trauung vorbei war, begann es unaufhörlich zu regnen. die tour musste spontan gekürzt werden und soweit möglich unter den steinernen lauben durchgeführt werden; sie endete schliesslich vorzeitig im rosengarten. beim aufstieg fragten mich die zahlreichen österreichischen gäste: woher kommt der stein der stadt, der eine so morbide stimmung erzeugt?

was ich damals grosso modo beantworten konnte, kann man jetzt in handlicher form im detail nachschlagen. ganz einfach „sandstein“ heisst das buch, das hansueli trachsel jüngst herausgegeben hat. beim lesen haben einiges hinzugelernt: zum beispiel,

… dass der sandstein vor 25 millionen jahren als eine der letzten schuttablagerungen von alpengeröll entstanden ist und rund um bern eine erdgeschichtlich nur schwer erklärbare entwicklung genommen hat, die sich auf die körnigkeit und barbeitbarkeit des steins vorzüglich ausgewirkt hat;

… dass der sandstein im 13. jahrhundert aus dem stadtgebiet stammte, heute vorwiegend aus ostermundigen kommt, aber seit menschengedenken in der region abgebaut – sprich geschremmt – wird;

… dass man in bern in einem langen prozess gelernt hat, mit dem sandstsein zu bauen und die bisweilen weit vorhängenden dächer der berner häuser entstanden sind, um den speziellen stein vor allem vor nässe und alterung zu schützen;

… dass der aufstieg der “sandsteiner” mit der bautätigkeit im 18. jahrhundert begann und an gebäuden wie dem kornhaus, der heiliggeistkirche und dem burgerspital nachvollzogen werden kann;

… dass aber ausgerechnet die turmspitze des berner münsters, erst im 19. Jahrhundert aufgesetzt, nicht aus berner sandstein ist, sondern aus obernkirchen bei hannover importiert worden ist, weil er seine haltbarkeit besser ist.

ein fotograf als kundiger herausgeber

hansueli trachsel, berner fotograf, der lange für die zeitung „der bund“ gearbeitet hatte, brachte den anregenden und schönen band zum thema “sandstein” heraus. das ist wohl typisch: kein schriftsteller ist es, der ein wortreiches porträt des altstadtcharakters gewagt hätte, sondern ein fotograf, der ohne worte eben diese eigenart der stadt zum sprechen bringt.

trotzdem ist kein reines fotoalbum entstanden, sondern eines, das mit kurzen texten angereichert ist, die sich den verschiedenen fragen rund um den berner sandstein annehmen. hier reden geologen, architekten, denkmalpfleger, historikerInnen, journalistInnen, museumspädagoginnen, kunstaussteller, farbgestalterinnen und stadtkletter über ihr je eigenes verhältnis zum sandstein.

sie alle haben am eindrücklichen porträt der berner altstadt mitgewirkt. sie haben dabei an bekanntem angeknüpft: so wird die bedeutung des grossen stadtbrandes von 1405 für die steinverwendung im fassadenbau erinnert. so kommt auch johann wolfgang goethe zum zuge, der 1779 schrieb, die stadt bern sei „die schönste, die wir je gesehen haben“, denn ihre haut bestehe aus einem „graulichen weichen Sandstein“. doch die autorInnen sind nicht dabei stehen geblieben, denn berichtet wird auch über die archtitekur-, bau-, handwerks- und sozialgeschichte des sandsteinbaus und über die spezielle beziehung der berner und bernerinnen zu “ihrem” sandstein.


gesicht einer stadt: nirgends wo sonst kommt der berner sandstein den menschen so nahe (foto: stadtwanderer, anclickbar)

peter probst, der münsterturmwart, schreibt treffend: „Trockener Sandstein reicht anders als feuchter oder gar nasser; warmer Sandstein wird als ein anderes Material empfunden als kalter oder gar gefrorener. Sandstein kann sehr abstossend, dann auch wieder wohltuend auf die Sinne wirken; Sandstein kann man als toten Stein betrachten, oder man kann zum ihm gar eine Liebe entwickeln. Ich habe im Laufe meines Turmlebens Sandstein wirklich gern bekommen, zeitweise habe ich ihn fast als Teil meiner selbst empfunden.“ und marcelle wenger-di gabriele, die farbgestalterin doppelt nach: „Für mich hat der Sandstein bisher nicht primär eine Farbe, sondern war in erster Linie etwas Bernisches, etwas Herrschaftliches, das sich in vertrauter Formensprache und Farbigkeit in historischen Städten und auf dem Land findet. Ein Baustoff, der sich der Menschenhand gutmütig beugt und in skurrilste Gestalten hauen lässt, die dann gelegentlich gelegentlich von Sakralbauten, aus schwindelerregender Höhe, das Fussvolk angrinsen.”

der niedergang des herrschaftlichen baumaterials

nicht unerwähnt bleibt in trachsels reichhaltigem sammelband, dass der sandstein ausser in bern, wo er verordnet eingesetzt wird, heute ausser gebrauch gekommen ist. der zement der freisinnigen epoche konkorrenziert ihn seit 1880; 1902 wird die steinbruchbahn in ostermundigen, die erste europäische zahnradbahn, mangels nachfrage fürsandstein geschlossen. und 1918 ist der niedergang der aristokratischen steines perfekt: der berner sandstein wird definitiv aus dem zürcher polytechnikum mangels wetterfestigkeit entfernt. sein landesweiter ruft ist ruiniert!

beuschleunigt wurde dieser prozess durch die eisenbahn, die den transport von stein über grosse strecken hinweg ermöglichte, die preise fallen und so auch handwerk und kunst des sandsteinhauens resp. –metzens zurückgehen liess. geblieben ist eigentlich nur der beruf des restaurateurs. wer sich heute beruflich mit sandstein beschäftigt, versucht zu retten, was zu retten ist!

typisch für die geringen zukunftsaussichten der traditionell bernischen bauart ist der schluss des buches, der dem neuen platz vor dem bundeshaus gewidmet ist: dieser besteht aus walser quarzit, der ikone der wellness-architektur, welche einen steinbruch vor ort zu neuem leben erweckt hat. er besteht eben nicht aus sandstein, der verblassten ikone der patrizier-architektur, deren steinbruch vor ort vor allem noch erinnerungsträger ist.


welche farbe hat er nun, der berner sandstein?, ist eine frage, die bern tag und nacht diskutiert wird; meist nennt man grün als antwort (fotos: stadtwanderer, anclickbar)

“morbid” oder “vielfältig”: die herausforderung für kommende wanderungen

dem stadtwanderer sind denkmäler ganz recht: ihm nützlich sind im neuen buch über sandstein vor allem die kurzen informationen im anhang, die dem sandstein-lehrpfad in krauchthal gewidmet sind, wo man während einer einstündigen wanderung durch verschiedene stillgelegte steinbrüche ein die sandsteingewinnung und –verarbeitung eingeführt wird.

bern wegen seines sandsteins “morbid” zu nennen, wäre mir bisher nicht in den sinn gekommen. “uniform” würde ich die stadtarchitektur indessen schon nennen. das rührt zunächst von den vereinheitlichten hausformen und fassadengestaltungen in der altstadt her. es ist aber auch eine folge des allgegenwärtigen berner sandsteins.

“Ueberraschende Vielfalt“, lautet der untertitel des buches von hansueli trachsel. diese vielfalt inskünftig mit geschärftem blick zu erkunden, ist die anregung, die vom band ausgeht. ich werde sie für meine kommenden wanderungen gerne aufnehmen!

stadtwanderer

hansueli trachsel: sandstein. überraschende vielfalt, stämpfli verlag, bern 2006, 49 chf.

mit meinen neuen favoriten unterwegs (dezember 06)

alle bisherige favoritenlisten ansehen

zur lage der blogosphäre

meine favoritenliste zwingt mich, regelmässig nach neuen und spannenden blogs ausschau zu halten. das ist gut. denn gelegentlich befällt mich das gefühl, ich würde die szene – in der schweiz – nach dreiviertel jahren kennen:

. die totalen blog-insider, mit hohen rankings auf allen listen, laudern gekonnt; doch ich bleibe dabei: das ist nicht mein ding; denn wenn ich das möchte, ziehe ich ein abendbier oder eine schummerbar vor!

. die themenblogs, zum beispiel zu geschichte, politik (nicht politikerInnen!) gesellschaft und kommunikation, sind dafür meine eigentliche lieblinge der blogosphäre geworden; teils hervorragend, leider nicht so zahlreich!

. die blogs aus dem ausland, die einen bezug zu meinem alltag haben, wären wohl die grösste fundgrube, die ich ausbuddeln könnte; aber ich finde irgendwie den richtigen draht zu ihrer suche noch nicht so klar!

. die medienblogs sind schon ganz zahlreich und interessant, aber ich kann nicht mehr metainformation aufnehmen, als ich informationen verarbeiten kann; so bleibt meine energie hierfür beschränkt vorhanden!

. die bern-bezogenen blogs halten sich unverändert in noch engen grenzen (typisch für bern!), sie informieren mich nur selten wirklich besser als die tagespresse!

trotz all diesen widerwärtigkeiten: auch für diesen monat habe ich eine neue, saisongerechte favoritenlisten zusammengestellt: der beste des letzten monats verschwindet automatisch zu den “ewigen” favoriten, und die anderen werden auf grund von nutzung, entwicklung und überraschung neu rangiert.

“für den dezember gut” sind:

1. auswandererblog (vormals 3)

auswanderer-blog
endlich hat es ruedi baumann geschaft, mich voll und ganz zu überzeugen. unermüdlich berichtet er aus der südwestecke frankreichs, schreibt auch viel über die schweiz, sodass er zwar weg, aber eigentlich immer noch da ist. und dann trifft man ihn unerwartet in der buchhandlung, pflegt den gedankenaustausch, und erzählt sich ein wenig über die unterschiede in der bloggerszene der schweiz und in frankreich: ruedi sagt mir, seit er den stadtwanderer lese, müsse er ganz anders durch bern gehen, immer und überall hinauschauen, um zu sehen, was er vorher immer übersah! gut so, antwortete ich ihm, den aufrechten gang üben, ist immer gut, gerade auch für blogger. danke ruedi für deinen unermüdlichen aufrechten gang auch ausserhalb berns!


(foto: stadtwanderer, anclickbar)

2. münstergassblog (vormals 2)

mügablog
unverändert unverändert meine lieblingsbuchhandlung in bern und ebenso unverändert unverändert ein interessanter blog. bücherfreaks wie ich werden in diesem blog-schaufenster angeregt, was sie wissen müssten, was sie lesen sollten, was sie nicht wissen, dass sie es nicht wissen, und über was sie selber mal bloggen könnten. deshalb: unverändert unverändert platz 2!


(foto: stadtwanderer, anclickbar)

3. recherchenblog (vormals 4)

recherchenblog
andy litscher ist ein führenden informationsbrooker und ein führendes mitglied von recherchenblog. nirgends sonst werde ich so gut über die vorteile der blogospäre und des internets für die suche von fachinformationen informiert wie hier. immer wieder gibts auch kleine geschichten, eigentliche trouvaillen, die alles andere als nur trocken-nützlich vorgestellt werden.


(foto: stadtwanderer, anclickbar)

4. bernet blog (vormals 6)

bernetblog
seine schnelle kommunikationswelt, die ich schnell besprochen habe, ist immer noch einer der top kommunikationsgegenstände auf meinem blog. blogger lesen halt gerne sache über blogger, und kein blog liess sich so gut, wie einer über die blogosphäre. die bernet bringen es aber regelmässig fertig, das blog als echten mehrwert in der schnellen kommunikationswelt einzusetzen. profitiere von meinen besuchen immer wieder, und weiss, wie genau sie meine beiträge und mails lesen (und verbessern helfen …)


(foto: stadtwanderer, anclickbar)

5. lunch over ip (neu)

lunch over ip
bruno guissani kenne ich als journalisten aus den ewr-zeiten. er hat sich danach rasch spezialisiert auf neuen informationsmedien und ein weltweites netz der beobachtung und information hierzu aufgebaut. auf lunch over ip berichtet er regelmässig, top spezialisiert, über die blogosphäre, über das neue web und über die vorteile der neuen informationstechnologien. jeder lunch ist happig, aber nährend! und auf englisch …


(foto: stadtwanderer, anclickbar)

6. schreiben, was ist (neu)

reklameblog
ok, die weltwoche ist nicht mehr mein leibblatt, aber sie war es lang! ich lese sie aber wieder, wenn auch mit mehr distanz als früher. und ich lese diesen blog über die weltwoche. die wöchtentlich kritik der kritiker vom dienst! tim der grosse, der hauptsächliche autor, ist, seiner eigenen meinung nach ein kreuzritter mit kritischem menschenverstand. und den wendet er mit vorliebe auf die inlandartikel der wewo an; nie verachtend, meist aber erhellend!


(foto: stadtwanderer, anclickbar)

7. der verwerter (neu)

der verwerter
blog mit werbung, nicht meine präferenz. blog mit schlichter grafik, nicht mein blickfang. blog mit inhalt, ja, das habe ich gerne. und hier ist der verwertete inhalt zu fragen der gesellschaft, des lebens heute, der phiolosphie wirklich so interesant, dass ich die schlichte grafik und die werbung vertrage! die entdeckung des monats, die mich, mit den vielen unter- und nebensites (in der gleich schlichten aufmachung) wohl noch eine weile beschäftigen wird.


(foto: stadtwanderer, anclickbar)

8. journalismus – nachrichten von heute (neu)

journalismus – nachrichten von heute
ein eigentlicher news-ticker, jeden tag zahlreiche infos, die man sich nach rubriken sortiert ansehen kann: zeitgeschichte, kultur, vermischtes und deutschland interessieren mich am meisten. betreut wird der blog von stephan fuchs, einem freien journalisten, der für medien recherchen anstellt und deshalb die bedürfnisse seiner zielgruppen so genau kennt, dass auch auch informative werbung aufschalten kann; zum beispiel was man als journi für bücher lesen sollte.


(foto: stadtwanderer, anclickbar)

9. der bildredakteur (vormals 10)

bildredakteur
anregender fachblog, von fotografen, bildredaktoren und menshen mit aug und kopf. berichtet aus der bilderwelt, mit bild und text, erzählt über fotoprojekte, fotobranchen, fotowettbewerbe, fotogaphInnen. war kurz abwesend, dann wieder auferstanden, und erfreut, von mir empfohlen worden zu sein. und jetzt das beste: ich bleibe bei meiner empfehlung vom vormonat für diese site!


(foto: stadtwanderer, anclickbar)

10. kulinarischer adventskalender (neu)

kulinarischer adventskalender
ja, die zeit der einladungen kommt schnell auf uns zu! und wenn man mal nicht weiss, was man kochen könnte, empfehle ich für diese lebenslage der kulinarischen adventskalender. appetitlich gemacht, anregende informationen und übersichtliche tagesmenüs finden sich das in reichlicher zahl. also, besucht nicht nur die blogs der andern, besuchte die andern, und bekocht sie mit rezepten aus den blogs!


(foto: stadtwanderer, anclickbar)

und nun “für immer gut” …

meine top-empfehlung im monat november ’06

wanderer von arlesheim
ich habe den im vormonat schlicht vergessen, aufzulisten! und ich entschuldige mich dafür! das ist aber nicht der grund, weshalb ich diesen blog top setze: er gefällt durch vielseitige, interessante beiträge, die viel konsequenter als bei mir, sich mit einem ort, arlesheim beschäfitgen. das verdient anerkennung und viel lob: platz 1.


(foto: stadtwanderer, anclickbar)

meine top-empfehlung im monat oktober ’06

edemokratie
dieses blog ist seit ich bloge der aufmerksamste zuverlässigste informant zu fragen der politischen philosophie, kommunikation und aktualität


(foto: stadtwanderer, anclickbar)

meine top-empfehlung im monat september ’06

apropos
einfach der schönste aller schönen blogs …


(foto: stadtwanderer, anclickbar)

meine top-empfehlung im monat august ’06

today’s strip
es ist unser bevorzugter “bericht aus schweden”, ohne grosse worte zu verlieren, versprüht er viel hintergründige humor. lars mortimer ist der bekannteste schwedische karikaturist, der jeden tag seine website mit einem neuen “hälge”, dem träfen elch aus den schwedischen wäldern, ergänzt. so kann man ganzjahresstimmungen im norden minutiös mitverfolgen.


(foto: stadtwanderer, anclickbar)

meine top-empfehlung in den montaten juni und juli ’06

weiachblog
unverändert unschlagbar das beste, was es für politisch-historisch interessierte stadt- und dorfwanderer gibt. ich bewundere die gabe, auf fast nichts, nichts weniger als eine täglich spannende kolumne schreiben zu können.

stadtwanderer

meinen autonomen nachvollzug nachvollziehen

6. dezember 1992

tag der ewr-entscheidung. knapp “nein” beim volksmehr; eindeutig “nein” beim ständemehr. tiefer röschti-graben. grosse niederlage des bundesrates. kometenhafter aufstieg der nationalkonservativen rechten; svp referendumsfähig – auns aussenpolitisches mass aller dinge.

erste hochrechnung für die srg medien. nein, die verantwortung übernehme er nicht, das sei aufgabe des bundesrates. das bleibt mir von christoph blocher, als ich im tv studio neben im stehe. sehe staatssekretär blankart, mit stoischer miene, und den desorientierten bundesrat am bildschirm.

schlafe am abend ein wenig. ein journalist aus der romandie ruft an und beschimpft mich: “du bist auch so ein toto, ihr seid alle verrückt!” das trifft den romand in mir hart. schlafe nur noch wenig in dieser nacht; bin stark aufgewühlt.

verarbeite das abstimmungsergebnis. konzentration auf innenpolitik, weg von der geplanten europapolitik. beruflich ist mein autonomer nachvollzug ein erfolg.

auch die svp hat erfolg, wachstumsraten wie niemand sonst; europapolitisch sieht sie aber zwischenzeitlich nur die rote karte.


heute sitzungszimmer im volkswirtschaftsdepartement, früher headquarter der staatssekretär mit europa-mission

6. dezember 2006

niemand erinnert sich an die damalige ewr-entscheidung; verschüttet, vergessen, verdrängt.

selber bin ich zu einer besprechung im bundeshaus ost. die neue volkswirtschaftsministerin doris leuthard ruft. werde vom weibel ins sitzungszimmer begleitet, – ins umgebautes büro der frühreren staatssekretäre. hier also sass franz blankhart, als er es vor 14 jahren erfuhr.

erinnerungen werden wach. was ist aus der schweiz geworden? was aus dir?

glaube nicht mehr an den eigenständigen eu-beitritt der schweiz; und katastrophenszenarien als hebel hierzu sind nicht mein ding. war anfänglich gegen die bilaterale. autonomer nachvollzug erschien mir unwürdig. habe das heute für die schweiz akzeptiert, – und komme mir heute manchmal wie der letzte befürworter vor.

weihnachtsgrüsse und büchergutschein, man wisse es, ich lese gerne!

ja, und ich erwandere ich seit drei jahren die stadt. seit christoph blocher bundesrat ist und die verantwortung doch mitträgt.

habe in dieser zeit viele tolle, neue bekanntschaften gemacht, mit aus- und inländischen freunden, interessierten und professionellen. führe sie gerne durch bern und die romandie, die seit jeher europäischer sind oder sich geöffnet haben.

halte selbst als stadtwanderer stets positive vorträge zur direkten demokratie. und blogge gerne dazu: meist treffe man die richtigen entscheidungen. viele meinungen zu einer frage können sich nicht irren, schrieb ich jüngst.

auch der stadtwanderer hat den autonomen nachvollzug nachvollzogen. “du bist gerade dadurch unpolitischer geworden”, sagt mein umfeld.

“ich weiss”, antworte ich, denn mit meinen gefühlen zum 6. dezember 1992 bin ich immer noch nicht im reinen! soweit ist der

stadtwanderer

mein barbora-tag

heute ist barbara-tag. bei mir ist das der barbora-tag. warum erzähl ich gleich!

die heilige barbara ist in unseren breitengraden mit der pest populär geworden. seit dem 14. jahrhundert ist sie die schutzpatronin der sterbenden, und sie wird in der regel mit kelch und turm dargestellt. der kelch ist das symbol für die letzte kommunion, welche die sterbenden von ihr erhalten. im spätmittelalter wurde die katholikin so beliebt, dass man sie zu den 14 nothelfern aufnahm; das waren 2 mal 7 schutzheilige, welche volkstümliche verehrung fanden, dafür in allen schwierigen lebenslagen helfen sollten.


barbara mit der christlichen turm/kelch-symbolik

das märtyrium der christin barbara

der legende nach war barbara die tochter des reichen griechischen kaufmanns diocuros, der in nikomedia, dem heutigen izmid am bosporus, lebte. sie selber soll von überragender schönheit, gelehrtheit und überragendem verstand gewesen sein. deshalb liess der konservative vater die tochter in einen turm einsperren, um sie vor jungen bewerbern zu schützen. anders als ihr vater – ein getreuer anhänger traditioneller römischer sitten – neigte die tochter zum christentum, das damals aufkam, aber noch keine anerkannte religion war. während einer reise des vaters liess barbara den turm, indem sie lebte, umbauen; er erhielt, gut sichtbar, ein drittes fenster. dem vater gestand sie, das als zeichen der christlichen dreifaltigkeit von gott vater, sohn und heiligen geist veranlasst zu haben. selber habe sie die christliche taufe empfangen.


die hinrichtung von barbara von nikomedia durch ihren egienen vater im jahre 306, darstellung aus dem 15. jahrhundert

wegen ihrer abtrünnigkeit von römischen sitten wurde barbara gefoltert, verstümmelt und zur schau gestellt. dabei soll sie von einem engel geschützt worden sein und überlebt haben. der römische statthalter von nikomedia befahl darauf hin 306 nach christus ihren tod durch das schwert, den der vater selber vollstreckte. der legende nach verstarb auch er unmittelbar danach, von einem blitz getroffen.

die christenverfolgung unter römischen kaisern

um die umstände barbaras leben zu verstehen, muss man ihren märtyrertod in die römische geschichte des 3. und 4. jahrhunderts einordnen.


nikomedia, das zentrum der christenverfolgung unter diokletian, wo auch barbara bis 306 lebte, liegt am östlichen bosporus, und heisst seit der osmanischen eroberung izmid (nicht zu verwechseln mit izmir am mittelmeer)

alles begann mit einem paukenschlag. kaiser valerian unterlag mitte des 3. jahrhunderts gegen die perser und verstarb in gefangenschaft. im westen des riesigen reiches brach darauf hin der fast flächendeckende einfall der germanen aus. sonderreiche mit usurpatoren entstanden in ost und west. damit verbunden brach eine massive religiöse krise aus, die den glauben an die traditionellen götter erschütterte.

erst unter kaiser diokletian gelang es, das reich von grund auf neu zu organisieren: höhepunkt dieser entwicklung war die 293 eingeführte tetrarchie, mit dem der senat in rom ausgeschaltet und eine eigentliche monarchie eingeführt wurde. ein kaiserkollegium, bestehend aus je einem augustus in ost und west und je einem stellvertreter, caesar genannt, führte das heer und die verwaltung, resp. verteidigte die jeweiligen grenzen gegen perser und germanen.

gleichtzeitig restaurierte diokletian den alten götterglauben, das eherecht und verlangte, abweichler und ungläubige zu verfolgen. so liess er 303 die christliche kirche neben dem kaiserpalast von nikomedia zerstören und löste damit eine welle der christen verfolgung aus. unter maximinus, dem caesar für den osten, entwickelte sich diese zum religiösen fanatismus. in jeder provinz wachte ein römischer oberpriester darüber, und in jeder stadt gab es einen römischen priester, der den aufkommenden vorstehern der christlichen gemeinschaften paroli bieten sollte. beliebt war es, die ganze bevölkerung zum opfern von tieren und getränken aufzurufen; wer sich widersetzte, risikierte viel: er oder sie wurde verfolgt, gefoltert oder hingerichtet. wer das überlebte, wurde häufig zu zwangsarbeit, vornehmlich in bergwerken, verpflichtet. höhepunkt dieser entwicklung war das jahr 306.

die volkstümliche erinnerung an barbara

die erinnerung an barbaras leid blieb wach. die katholische kirche erreichte nur 7 jahre nach ihrem tod die anerkennung als römische religion. kaiser konstantin stützte sich ausdrücklich auf sie, um das machtsystem von diokletian rückgängig zu machen. kaiser theodosius erhob das christentum am ende des 4. jahrhunderts gar zur einzig anerkannten staatsreligion. und nach dem untergang des weströmischen reiches trat das papstum an seine stelle.

in rom in der kirche st. maria antiqua entstand 705 nach christus das erste bild von barbara. Beliebt wurde sie im 14. jahrhundert, als die pest das heilige römische reich, wie es sich zwischenzeitlich nannte, erschütterte. seither umranken zwar viele legenden die figur barbaras, doch ist sie aus dem volksleben nicht mehr wegzudenken. licht und obstzweig sind zu ihren neuen symbolen geworden.


gothische kirche von kutna hora, im böhmischen bergbaugebiet speziell der svata barbora geweiht

besonders in sachsen, schlesien und böhmen wurde barbara die schutzpatronin der bergleute. wie die heilige in ihrem turm eingesperrt war und nach licht dürstete, dürsten die bergleute bis heute in ihren engen stollen nach dem barbara-licht. in böhmen wiederum heisst barbara barbora. das ist noch viel spezieller!

und das führt mich zu meinem barbora-tag. so werde ich am abend, dem brauchtum folgend, einen zweig von einem obstbaum schneiden gehen, in eine vase mit warmem wasser stellen und hoffen, dass der zweig mit neuem leben erfüllt wird.


obstzweige als volkstümliche barbara-symbolik

die katholische kirche sieht das als beginn des advents, der rückkehr christus, um die welt zu erlösen. selber zweifle ich ein wenig daran, denn die symbolik des turm kann man auch anders deuten: dieser schützte barbara nicht davor, dass sie mit obstzweigen in berührung kam. so stark ist die natur. und das ist das geheimnis des immer wieder erwachenden lebens, das sinnbild für menschliches reifwerden. wie in einem zweig sind auch in jedem menschen vielfältige entwicklungsmöglichkeiten verborgen. es kommt nur darauf an, jene lebensbedingungen zu finden, die die anlagen zum blühen bringen.

stadtwanderer

ps:
zwischenzeitlich habe ich kutna hora und die kirche, die der heiligen barbora gewidmet ist, selber besucht; hier mein bericht.

auch aristoteles wäre für den berner baldachin gewesen

lange habe ich mir überlegt, meine demokratietour durch bern jeweils auf dem bahnhofplatz zu beenden. genau dort, wo gemäss volksentscheid bald der baldachin stehen soll, aber auch genau dort, wo gemäss regierungsstatthalter, dem denkmalschutz mehr gewicht beigemessen werden soll.

ich habe mich anders entschieden. meine demokratiefreunde wollte ich weder verwirren, noch überfordern. die fans der direkten demokratie wollte mit einer hiobsbotschaft nicht voreilig verunsichern, und ihre kritiker wollte ich ebenso wenig mit einer hängepartie aufmuntern, wege zu suchen, volksentscheidungen wieder umzustossen.


platon forderte, dass die philosophen die politik leitenden sollten, denn das volk sei unwissend

der positive entscheid des kantons

nun hat die bau-, energie- und verkehrsdirektion den kanton bern den rekurs des rekurses gegen den volksentscheid gutgeheissen. dieser hatte alleine mit dem denkmalschutz argumentiert, der von lokalen bestimmungen bis zur unesco-kommission für das weltkulturerbe den entscheid des regierungsstatthalters erzwingen würde. damit ist das letzte wort positiv gefallen, ausser die evangelisch-reformierte kirche berns fechte den entscheid des kantons beim verwaltungsgericht an oder die unesco komme auf ihren entscheid zum weltkulturerbe in bern zurück.

merken werde ich mir aber für künftige touren die begründung des entscheides. sie basiert auf drei elementen: dem denkmalschutz, der volksabstimmung und dem öffentlichen interesse. entscheidend ist folgender, vom bundesgericht geschützter satz: massnahmen des denkmalschutzes dürften nicht nur im interesse eines begrenzten kreises von fachleuten getroffen werden, sondern müssten auch von einem grösseren teil der bevölkerung bejaht werden.

bezweifelt wird in der begründung des kantons, dass der kleine kreis von fachleuten eine eindeutige meinung habe, weil andere gutachten als das vom regierungsstatthalter nachträglich bestellte zu einem gegenteiligen schluss gekommen seien. den volksentscheid wiederum sieht der kanton als genügendes indiz, dass eine mehrheit der bevölkerung genau gleich das eigene oder öffentliche interesse über jenes des denkmalschutzes stellt.


aristoteles vertraute darauf, dass sich die meinungen vieler nicht irren, und stellte sich so gegen seinen lehrer platon

meine würdigung

dem kann ich mich anschliessend. platon argumentierte zwar noch, dass die philosophen könige sein müssten, um über den meinungen des volkes im wissen um das richtige weise entscheidung treffen zu können. dieser gedanke lebt heute noch in den köpfen von verfassungsrichtern und regierungsstatthaltern weiter. doch schon platons schüler, aristoteles, stellte den entscheid vieler über jene des einzelnen, wenn sie in kenntnis der argumente dafür und dagegen beschliessen würden und die mehrheit obsiege. das wiederum lebt in der institution der direkten demokratie, den theorie der meisten politologen der schweiz und auch im gefühlt des stadtwanderers weiter.

minus x minus gibt plus, habe ich in der mathematik gelernt. ein entscheid gegen einen entscheid zu einem entscheid gibt wieder den ursprünglichen entscheid, könnte man das ins heutige politische übersetzen. natürlich hätte man das auch einfacher haben können, wäre gar kein aufwisch gegen den volksentscheid erhoben worden, der einen weiteren aufwisch auslöste.

hoffentlich sieht das der evanglisch-reformierte kirchenbund auch so und schliesst sich die unesco-kommission des welterbes dem auch an. sonst habe ich bei meinen ausländischen demokratiefreunde ganz sicher einen erklärungsbedarf!

stadtwanderer

saisonende

nun ist die stadtwanderer-saison 2006 definitiv zu ende! doch keine angst: ich komme wieder. und das mit verbessertem angebot. ich werde dafür den winter hindurch auch hart arbeiten. und auf dem blog über meine neuen einsichten regelmässig berichten …


die letzte tour der saison 2006: demokratiefreunde aus st. petersburg auf der berner stadtwanderung (foto: bianca rousselot, anclickbar)

es war überraschend warm, am späten nachmittag des letzten freitags. nach einige verrregneten touren diese saison stand ein versönlicher ausklang an. zu besuch waren demokratie-aktivistinnen aus st. petersburg. sie repräsentierten die neuen und alten eliten russland, die politik betreiben und sich mehr demokratisierung ihres staates und ihrer gesellschft wünschen. sie waren aus der politik, der sozialforschung, der administration, und sie repräsentierten auch die russische zivilgesellschaft.

ich habe ihnen eine kurzfassung meiner demokratiegeschichte erzählt: wie aus der patrizischen herrschaft des 18. jahrhunderts und der opposition hierzu die liberale bewegung entstand, wie sie demokratievorstellungen in der bürger- und bauernschaft entwickelte und einführte, wie der parteienstaat mit rechten und linken durch die institutionalisierung der bewegungen aufkam, und wie aus den akteuren mit bewegungen und regierung, direkte bürgermitsprache und interessenorganisationen, parteien und parlemaneten ein politsiches system geformt wurde, das beträchtliche leistungen aufzuweisen hat, sowohl in der befriedung der tiefgreifenden politischen konflikte, als auch in der regelung zentraler themen der politik.

die themenführung wurde von vladimir, einem teilnehmer, konsekutiv vom deutschen ins russische übersetzt. brilliant, sag ich da. ich war schlicht verblüfft, wie locker der studierte naturwissenschafter alles übersetzte, und wie gut er sich über die schweiz, ihr politisches system, ihre geschichte und ihre exponentInnen auskannte. ich habe sogar erlebt, dass ich mal eine frage nicht beantworten konnte, was doch eher selten vorkommt: auf besonderes interesse stiess bei unseren teilnehmenden, dass im ancien regime politische ämter teilweise aufgrund einer auslosung verteilt wurden. was der genaue sinn hiervon war, wie das im detail ausgestaltet wurde und was für effekte sich aus dieser lotterie ergaben, konnte ich “freien fusses” nicht ausführen. werde dem aber nachgehen!

dis anschliessende präsentation von bianca rousselot zu eben diesem politischen system fordert die teilnehmenden nochmals. die anschliessende diskussion mit rolf büchi von iri-europe und werner bussmann von der bundesverwaltung war das eigentliche highlight. am meisten intessierte sich unsere gäste überraschenderweise für ombudspersonen im politischen system der schweiz. darin sahen unsere gäste ein möglichkeit, den einfluss der bürgerschaft gegenüber der staatsmacht schnell erhöhen zu können. direkte demokratie ist für sie eher eine mittelfristige perspektive, um die staatsmacht zu steuern.

besonders gefreut hat mich das kleine lob und das kleine präsent, das ich zum abschluss bekommen habe: der jahreskalender über st. petersburg mit sehr schönen bildern der wichtigsten brücken der grossstadt hat mich als symbolischen brückenbauer natürlich angesprochen. und die nachfrage, wie es möglich sei, stadtgeschichte so umfassend zu memorieren und klar zu erzählen, habe ich natürlich gerne gehört.


keine angst, ich mache nur kurz pause. zur stadtwanderer-saison 2007 komme ich in verbesserter form wieder! und auf dem blog berichte ich über meine vorbereitungen (foto: bianca rousselot, anclickbar)

tja, wie man das macht, erzähle ich meinen getreuen blog-lesern ein ander mal! jetzt ist, wie gesagt, saisonende!

eine kurze weile der ruhe wird mir gut tun, um mit vollem elan in die vorbereitung der stadtwanderer-saison 2007 zu starten!

stadtwanderer

ist bern zu eng geworden?

nein, der zibelemärit ist nicht mein thema heute. da hat es zwar auch viele menschen, aber man weiss darum. wenn man das, wie ich, nicht mag, kann man sich einstellen. mein thema sind vielmehr die vielen menschen, ist es im berner alltag heute jeden tag unvermeidlich hat.


“jetzt zuschlagen!” ist die mehrdeutige devise im überfüllten trödlerladen in berns gassen (foto: stadtwanderer, anclickbar)

mein neues stadtgefühl

seit einigen jahren habe ich ein neues stadtgefühl: die innenstadt ist zu klein! besonders wenn die tage kürzer werden, wenn man die sonne immer weniger sieht, und wenn das permanente dunkel über der stadt liegt, beklemmt mich der eindruck, bern sein zu eng geworden.

wenn es dann noch regnet, hat man auf den strassen fast keine chance mehr: schirme über schirme stehen einem entgegen, und sie können auch mal zur bedrohung werden. unter den lauben wirds nur schlimmer: körper und geschenke drängen sich gerade am samstag, wenn man selber etwas zeit für einen bummel hätte, dicht aufeinander durch den engen raum. und selbst die geschäfter sind keine freiräume mehr, denn von da kommt die physische menge in der regel und bedrüngt einem nur noch mehr.

selbst der bus ist voll, wenn man einsteigt. es knurrt der hund von nebenan, und es schubst der kinderwagen, der hinter einem einrollt. und wenn man glaubt, der bus fahre endlich in die länggässe, stösst noch eine ganze schulklasse ins bumsvolle gefährt hinein, wie wenn noch niemand da gewesen wäre.

auch die welle über dem berner bahnhof hat das morgendliche leben in der innenstadt erschwert. wenn der intercity von freiburg ankommt, strömen kolonnen aus ihr hinaus, drängen hinunter zum bubenbergdenkmal und weiter an den arbeitsplatz! wehe dem, der umgekehrtes möchte ..


“boxing day” ist die vielsagende devise eine populären jahresendveranstaltung in bern (foto: stadtwanderer, anclickbar)

mein aha-erlebnis mit mir selbst

wie eng die stadt geworden ist, habe ich letzte woche in bisher nie dagewesener art und weise erlebt. wie so oft stimmte ich mich auf den arbeitsalltag im “cafe glatz” ein. zeitungslektüre, kaffee und gebäck sollen einem den einstieg ermöglich! der ausgang aus dem kaffee ist manchmal erschwert. so lang ist die kolonne der wartenden, die umso schneller platz finden würde, als die gäste, die sich verabschieden möchten, auch hinaus lassen würde. doch die türe ist so eng, dass es immer wieder zu blockaden kommt! dann geht meist gar nichts mehr …

so war es auch an diesem morgen. da stand ein typ genau in der tür, einen kopf grösser als ich, und bedeutete mir körpersprachlich: “no way”. zunächst noch geduldig versuchte ich, argumentierend mir platz zu verschaffen. als dies nichts nützte, drängte ich, schon ungeduldiger!, durch die tür. “schlimm”, murmelte ich draussen, “wenn einer am morgen schon so schlecht drauf ist, dass er nichts sieht, nichts hört, nichts merkt.”

doch als ich auf der strasse stand und die wenigen schritte ins büro wollte, stand er wieder neben mir, wieder einen kopf grösser, wieder körpersprachlich als bderohung. verfolgt er mich nun?

augenblicklich mass ich innerlich seine länge nach und wusste, ich hätte im ernstfall nichts zu bestellen. ohne zu überlegen, griff ich dem ernstfall aber vor: ich habe ihm in meinem eskapismus eine gehauen: ein sauberer kinnhaken, – mit links, denn rechts trug mich meine tasche!

“ausgerechnet”, sagte ich mir, “ich, der harmlose, ich, der friedfertige, ich, der pazifist”. zum ersten mal in meinem leben hatte ich jemanden geschlagen, – und das auf offener strasse!

hätte er nun zurückgeschlagen, wäre ich wirklich verloren gewesen. mein herz raste. meine kniee waren weich. doch sein gesichtsausdruck verriet noch grösseres erstaunen: “du hast mich geschlagen”, sagte er noch, bevor er erschreckt unverrichteter dinge abzottelte.

ich war froh, denn rennen hätte ich nicht mehr gekonnt, wegen meiner aufregung, – und wegen der enge in berns innenstadt. sie ist wirklich dominant geworden, denke ich mir seither!

stadtwanderer

flickr abstimmungskampf

diskussionsgruppe “abstimmungen – votations – votazioni – votaziuns

der jüngste abstimmungskampf ist vorbei. wer ihn vor dem abstimmungssonntag nochmals revue passieren lassen will, kann das mit der group in der fotogemeinschaft www.flickr.com tun.


zielgruppenspezifische ja-werbung zur schweizerischen ostzusammenarbeit resp. zum osthilfegesetz der schweiz (fotos anclickbar)

abstimmungsdaten wie der “26. november” rufen zuerst erinnerungen an den gleichen tag im jahre 1989 wach. der kalte krieg war vorbei, die berliner mauer war gefallen, – und die schweiz stimmte über die abschaffung ihrer armee ab: 64 prozent waren damals gegen die gsoa-inititive, die dennoch in unserem kollektivgedächtnis gut haften blieb. das hat nicht nur mit dem überraschenden ergebnis zu tun; es ist auch eine folge der bilder, die in der propaganda verwendet wurden: vom “schlachten der heiligen kuh” war damals das alles überragende motto.

dass solche bilder nicht einfach verloren gehen, ist eine motivation sie fotografisch zu dokumentieren. das hilft, sie verfügbar zu machen, wenn man sich erinnern will, wenn man etwas nachschlagen muss, und man in ruhe botschaften, formen, farben und stile hinterfragen soll. und das alles erleichtert die eben erwähnte abstimmungsdokumentation, die es seit knapp zwei monaten gibt.


die zentrale botschaft für die gegnerschaft der ostmilliarde (fotos anclickbar)

5 mitglieder hat die diskussionsgruppe vorläufig; 63 bilder haben sie , vorwiegend zu den jüngsten eidgenössischen abstimmung, gemacht. plakate werden da gezeigt, und auch inserate wurde ausgeschnitten und fotografiert. manchmal wars eher nüchtern, dann wiederum wurden schnappschüsse gezeigt. die einen rückten zentrale inhalte und sujets in den mittelpunkte ihrer bilder, andere liessen die plakate daneben als unerwartete kommentar stehen. bisweils machen auch passanten körpersprachlich klar, ob sie desinteressiert, nachdenklich, befürwortenden oder ablehnend sind.

selber habe ich 33 bilder gemacht und ausgestellt. bisweilen waren sie zu belanglos, um wirklich zum nachdenken anzuregen. einige male gab es aber viele und heftige reaktionen. einige tage glaubte man sogar, so etwas wie virtuelle ab-stimmung zu spüren!

mir hats auf jeden fall spass gemacht; ich werde weiter machen. ich habe auf meinen wanderungen propaganda bewusster aufgenommen, klassiert und verarbeitet, als dies sonst der fall war. das alleine ist schon sinnvoll; einige meiner bilder und meiner kollegInnen habe ich sogar beruflich verwendet, – und selbst ausländische journalistinnen, die sich über bildmaterial zum abstimmungskampf informieren wollten, habe ich so elegant bedienen können.


variationen zur leitkampagne der ja-seite von economiesuisse (fotos anclickbar)

der jüngste abstimmungskampf ist effektiv geschichte. geschichte heisst auch, etwas bekanntes in der vergangenheit aus der optik der gegenwart zu betrachten. selbst dafür eignet sich die diskussionsgruppe auf flickr bald einmal.

stadtwanderer

dank an alle mitglieder:
litscher
lido_6006
photonfreezer
Simonedc
stadtwanderer/randonneur_urbain

napoléon bonaparte – die umstrittenste figur der neuen berner geschichte

teil 1 der serie: napoléon in der schweiz
teil 2 der serie: napoléon in der schweiz
teil 3 der serie: napoléon in der schweiz

“In Liestal schlug unermesslicher Jubel dem erträumten Erlöser der Landschaft entgegen. Die Stadt Basel warf sich zum Empfang in öffentliche Pracht, freilich nicht von ganzem Herzen. Wohl hatte sich die Mehrheit dem Umsturz ergeben; aber noch verharrte eine Minderheit in Misstrauen, und dieses wurde durch die Ansprachen zwischen Bürgermeister Buxtorf und Bonaparte nicht zerstreut. Doch der General gab sich aufgeschlossen und nahm das Staatsmahl und das Nachtlager an. In Basel sah er auch den Oberstzunftmeister Ochs, für ihn damals der Mann der Schweiz. Am 25. November fuhr er weiter nach Rastatt.”

damit war napoléons schweizer reise direkt beendet. beendet ist auch unsere lektüre von richard fellers berner gechichte, die in der reise napoléons eine ihrer höhepunkte kennt. noch nicht ganz beendet ist indessen der kommentar zu den passagen der konservativen historikers aus heutiger sicht. denn man muss den zusammenhang sehen zwischen dem friede von campo formio, der reise napoléons durch die schweiz, der helvetischen revolution und der staatswerdung, die daraus entstand und am 12. september 1848 in der verfassung des neuen bundesstaates kulminierte.


napoléon und die helvetische republik sind in der bernischen geschichte bis heute umstritten. rück- und vorwärtsgewandte interpretationen kommen zu unterschiedlichen schlüssen. der stadtwanderer kommentierte in dieser serie die reise napoléons durch die alte eidgenossenschaft, wie sie der konservative historiker richard feller berichtete, und spiegelte e sie mit eine rückblick auf die ereignisse von 1797 und folgende aus heutiger sicht

napoléons aufstieg im neuen europa

in rastatt setzte er zur grossen reorganisation des besiegten kaiserreiches an. frankreich hatte sich, wie seinerzeit in gallien, bis an den rhein ausgedehnt, und napoleon begann, den flickenteppich der deutschen kleinstaaten im reich wegzufegen. in diesen strudel geriet auch die alte eidgenossenschaft; die helvetische revolution wurde von oben und mit hilfe der unterdrückten untertanen angezettelt, führte zur helvetischen republik als französischem satellitenstaaten, blieb aber instabil, und sackte in sich zusammen, als napoléon 1802 seine truppen abzog.

1804 krönte sich napoléon zum kaiser der franzosen, heiratete mit dem haus habsburg, das er 1806 zum österreichischen kaiserhaus erhob. damit krachte das alte kaiserreich, das heilige römische deutscher nation, definitiv in sich zusammen. an der grenze zur schweiz entstanden das königshaus bayern und das grossherzogtum baden-württemberg.

napoléons auswirkungen auf die schweiz

napoléon hatte sich damit von vielen idealen der französischen revolution abgesetzt, und von ihm stammt auch der satz: “la révolution est finie.” für die patrioten in der schweiz, die im gefolge von peter ochs den franzosen unterstützt hatten, war das eine ernüchterung. 1803 wurden sie, mit dem vorwurf versehen, keine neue republik führen zu können, nach paris zitiert, und empfingen zusammen mit ihren gegnern, die mediationsakte aus den händen napoléons. die helvetische republik blieb zwar bestehen bis 1813, doch war sie nicht mehr von revolutionärem gehalten. viele der nationalen institutionen, die 1798 geschaffen worden waren, wurden aufgelöst. die souveränität der gleichberechtigten kantone, die an die stellen der orte mit unterrschiedlichsten vorrechten traten, wurde gegenüber dem nationalstaat gestärkt. diesen regierte nun ein landammann, wenn man so will, ein “schweizer könig”, der aus den alten regierenden familien freiburgs und berns kam, die zur mitarbeit in der helvetischen republik bereit waren. der landammann war aber nur ein regent auf zeit, und zu institutionalisierung des rotierenden regierungschefs wurde die bundeskanzlei geschaffen, die heute noch dem bundesrat als stabstelle zur verfügung steht.

napléon: die umstrittenste figur in der neueren berner geschichte

napoleon bonaparte, – das ist ein grosser name, eine der ersten persönlichkeit des neuen europas, der heute noch leidenschaftliche reaktionen auslöst. für die einen ist er revolutionär, reformer mit weitreichenden visionen, ein genie auf den schlachtfeldern und ein können der sich verändernden staatskunst. für die andern ist er schlicht ein kleiner korse, ein wildgewordener general, ein diktator nach dem vorbild caesars, der die republik verriet und schliesslich das kaiserliche europa des mittelalters und der frühen neuzeit in eine tiefe krise stürzte.

auch in bern ist die person napoléons bis heute umstritten. die reaktion gleicht immer noch der, die der historiker richard feller beim empfang napoléon in berns gassen beschreibt. das interesse war gross, und in ihr schwang stille bewunderung für seine tatkraft mit. doch die angst vor den veränderungen, die er mit sich bringen würde, liess die aufmerksamkeit tief einfrieren und den konservatismus der hergebrachten überzeugungen obsiegen. die reaktionäre versuchten nach 1803 die alten verhältnisse wieder herzustellen, und 1815 gelang ihnen das mit österreichischer und russischer mithilfe in erheblichem masse. doch provozierten sie damit gleichzeitig auch eine gegenbewegung, zuerst in liberaler form mit england als vorbild, dann in radikaler form, als schweizerische eigenart, und schliesslich in sozialer form, wobei der internationalismus der linken arbeiterbewegung zum vorbild wurde.

das zeitalter der weltanschauungen entstand in dieser phase. es ist unverkennbar, dass es gerade auf dem gebiet der staatsentwicklung, die auf den menschenrechten basierten, auf dem gebiet der rechtsentwicklung, welche eine zivilgesellschaft entstehen liess, und auf dem gebiet der demokratie, welche der bürgerpartizipation den durchbruch brachte, unabänderliche prozesse auslöste. wenn man in bern dem abgeschleppten staatsschatz durch frankreich nachtrauert, ist das die eine seite. die andere ist, dass veränderungen in bern wie die handels- und gewerbefreiheit, die religionsfreiheit für katholiken, die meinungsfreiheit für bürger und künstler unweigerlich mit der helvetischen republik verbunden sind.

die fortschritte wurde durch die europapolitischen ereignisse nach 1813 gestoppt, und bis 1848 unterdrückt. doch liessen sie sich nicht mehr aufhalten. 1848 wurde auf ihrer basis die heutige schweizerische eidgenossenschaft gegründet.

stadtwanderer

richard feller: geschichte berns, 4 bde., bern und frankfurt 1974, 2. korrigierte auflage von 1960.
alle hier zitierten stellen stammen aus dem vierten band, dem kapitel “der anschlag auf die schweiz”.

gegenseitiges misstrauen in bern (napoléon in der schweiz teil 3)

teil 1 der serie: napoléon in der schweiz
teil 2 der serie: napoléon in der schweiz

1797 wurde bern von eine immer dünneren schicht von patrizischen familien regiert. 1643 hatte man beschlossen, den zugang zu dieser schicht erheblich zu erschweren. wer damals nicht berner war, wer sich nicht zum protestantismus bekannte, und wer nicht ein gewissen habliches leben führte, fand keinen zugang mehr zum hiesigen patriziat. die war aber nötig, um in den grossen rat, den senat der bernischen republik, aufgenommen zu werden. und wer nicht grossrat war, war vom politischen leben ausgeschlossen, hatte auch keine möglichkeit, landvogt oder kleinrat zu werden, das heisst, die republik im tagesgeschäft zu vertreten oder den staat auf dem land zu repräsentieren.


das damalige hotel “falken”, wo napoléons kutsche am 23. november 1797 halt machte, ging 1905 ein und dient heute als laden für c&a (fotos: stadtwanderer, anclickbar)

der bernische senat vorkommt zur oligarchischen gerontokratie

der grosse rat zählte damals maximal 299 mitglieder; ernannt wurde man auf lebzeiten. wenn die zahl durch natürliche abgänge auf weniger als 200 sank, fanden neue wahlen statt. das war meist alle 10 jahre der fall. gewählt wurde aber nicht durch das volk, sondern in einem komplexenverfahren durch die bisherigen mandatsträger. wer zum grossen rat gehörte, versammelte sich in der regel einmal wöchentlich zur ratssitzung im heutigen rathaus. die führung der tagesgeschäft oblag dem kleinen rat, der jeden tag zusammentrat und vom schultheissen geführt wurde.

die zahl der familien, die sich für diese ämter rekrutierten, hatte vor allem im 18. jahrhundert kräftig abgenommen, sodass die regimentsfähigen familien teilweise durch mehrere grossräte vertreten waren. eine eigentliche blutauffrischung blieb jedoch auch, was sich auch politisch auswirkte: das berner patriziat begann sich zusehends abzuschotten: zunächst gegen unbotmässige untertanen, sei dies aus der bauernschaft oder dem bürgertum. dann aber vor allem gegen die französischsprachige minderheit in der waadt.

die gerontokratie, die herrschaft der alten, die der senat repräsentierte, bekam so immer mehr auch oligarchische züge.

der schwache ausfluss der französischenn revolution in bern

ökonomisch gesehen hing bern vor allem vom französischen königreich ab; senkundär war england von bedeutung. den revolutionären umschwung in frankreich hat man indessen wenig verstanden. man hat ihn vor allem als das ende der schweizer garde beim könig erinnert, während die erklärung der menschenrechte, die ausrufung der nation eher wenig wirkungen zeigte. bürgerliche bestrebungen nach gleichstellung in der politik wurden regelmässig abgelehnt und als verschwörungen verschrieben. selbst aufgeklärte patrizier – der universalgelehrt albrecht von haller war einer von ihnen – hatten es schwer, sich in bern gehör zu verschaffen.

einen bescheidensten reformversuch unternahm das bernische patriziat in den 1790er jahren, indem es an der berner akademie ein politisches institut eröffnet. philosophen sollten hier die söhne aus den verbliebenen patrizierfamilien erziehen. zu ihnen zählte insbesondere der theologe philipp albert stapfer, der als einer der drei professoren am institut wirkte. er war ein ausgesprochener anhänger von immanuel kant, und sein kantianismus galt als philosophische übertragung der französischen revolution ins geistesleben. stapfer war in bern denn auch einer der ersten, der positiv auf die umgestaltung der frankreichs im bürgerlichen sinne reagiert hatte, und der sich, als die helvetische revolution 1798 ausbrach, sie ihr als wortführer, politiker und minister auch zur verfügung stellte.

soweit war es an diesem 23. november 1797 aber noch nicht. in bern wartete man auf die ankunft von general napoléon bonaparte, der durch oberst wurstemberger von coppet aus angekündigt worden war. napoléon, seine kutsche und sein husaren befanden sich aber immer noch auf der anfahrt, die sie von lausanne aus auf das plateau der westschweiz und damit auf den harten boden der alten republik gebracht hatte. der empfang war durchwegs anders als noch im arc lémanique.

napoléon bonapartes kurzaufenthalt in der stadt bern

richard feller beschreibt das so:

“Moudon, die alte Hauptstadt der Waadt, blieb still, als Bonaparte eintraf. Vom Schloss Lucens her war Landvogt von Weiss herbeigeeilt, wurde aber nicht beachtet. Payerne rührte sich bei der Durchfahrt nicht. Im freiburgischen Domdidier hielt die Kutsche 8 Uhr morgens vor einer unsauberen Schenke an. Eilig wurde ein Frühstück aus Kaffee und gesottenen Eiern zusammengestellt.

Hier endlich konnten die Berner den General und sein Gefolge im Tageslicht betrachten. Der amtliche Bericht Wurstembergers ist verloren. Aber sein Sohn Johann Ludwig, der sich später als Offizier und Geschichtschreiber auszeichnete, spannte Auge und Gedächtnis und schrieb nachmals nieder, was sich ihm eingeprägt hatte. Bonapartes schlanke Gestalt war in einen blauen Waffenrock mit gesticktem Kragen gehüllt. Stark traten die Züge und der strenge Blick aus dem hageren Antlitz hervor. Die jungen Generale Junot und Marmont, die spätern Herzoge von Abrantes und Ragusa begleiteten ihn. Während er sich mit freundlicher Stimme an Wurstemberger wandte, waren sie wie vom Donner gerührt, wenn er sie anredete.

In Murten machte Bonaparte Halt, um das Beinhaus zu besehen. Er sagte zu seinen Begleitern: «Man wird den Platz mit 2000 Mann besetzen.» Wieder benötigte die Ausbesserung des Wagens Stunden; vielleicht sei es dem General gelegen gekommen, spät in Bern einzutreffen, deutet der junge Wurstemberger an. Er setzte sich zum Imbiss, den ihm Landvogt von Gottrau anbot. Über Tisch bemerkte er zu Wurstemberger, er sei von den Festlichkeiten seit Mailand so ermüdet, dass er sich in Bern nicht aufhalten werde. Die Stadt war ihm ersichtlich unangenehm. Da die französischen Husaren bis auf einen wegen Ermüdung der Pferde zurückgeblieben waren, begleiteten einige berittene Bürger von Murten im Waffenkleid den Wagen.

Ein Eilbote überbrachte am Morgen dieses Tages die Meldung nach Bern, Bonaparte werde im Nachmittag eintreffen. Darnach erfolgten die Vorbereitungen. Im Falken wurde ein Festessen, wurden die Zimmer für Nachtruhe gerüstet, die Begleitdragoner für .den folgenden Morgen aufgeboten. Wie Bonaparte die Höhe von Brünnen erreichte, wurde Geschütz auf der Grossen Schanze gelöst und begleitete ihn mit seinem Donner, als er bei sinkender Nacht durch das Tor fuhr. Das Volk drängte sich in den Gassen; aber keine Begeisterung beflügelte die Neugier, kein Ruf erscholl.

Der Wagen hielt vor dem Falken. Stadtmajor von Muralt anerbot dem General im Namen der Obrigkeit Gastlichkeit im Falken. Doch zu allgemeiner Überraschung lehnte Bonaparte ab; er wollte die Nacht zufahren, sandte Junot ab, dem Schultheissen von Steiger die Aufwartung zu machen, und wartete nur, bis Junot den Befehl vollzogen hatte. Am untern Tor schlossen sich die Berner Begleiter wieder an, die beiden Wurstemberger und statt Augsburger Emanuel Anton von Graffenried von Gerzensee und Geleitsherr Albrecht von Haller, der jüngste Sohn des grossen Gelehrten. Da die Dragonerdeckung erst auf den nächsten Morgen bestellt war, fuhr Bonaparte ohne Geleit ab, noch den letzten grünen Husaren an der Spitze.

Es war die zweite Nacht, dass sich Bonaparte den Schlaf versagte. Unheimliche Vorstellungen suchten seine Einbildungskraft heim. Wie er selber dem Land, das er durcheilte, das Kriegslos zudachte, so quälte ihn die Furcht vor einem englischen Hinterhalt. Bei Jegenstorf erreichte der Zug eine Schar Bauern, die dem Burgerspital in Bern den Zehnten entrichtet hatten und wie üblich bewirtet worden waren. Sie schrien dem General das landläufige Wort nach: «Es bleib’ ein jeder Schelm in seinem Land!» Kurz vor Fraubrunnen rannte Bonapartes Kutsche an einen Steinhaufen und wurde beschädigt. Zu Fuss ging er mit seinen Begleitern nach dem Gasthof Zum Brunnen und holte hier das Nachtmahl nach, das er in Bern verschmäht hatte.

Hier erschloss sich Bonaparte zum ersten Mal, gleichsam erlöst, Bern hinter sich zu haben. Er liess sich von Junot den Besuch beim Schultheissen von Steiger berichten. Dieser war von der ehrwürdigen Erscheinung des Greises, der ihn mit seiner erlesenen Höflichkeit fast in Verlegenheit gesetzt hatte, entzückt. Wie er erwähnte, der Schultheiss trage den schwarzen Adlerorden Preussens, warf Bonaparte ein, er bedaure diese Schwäche eines Mannes, für den er soviel Achtung hege; der Schultheiss einer freien Republik sollte nicht einen fremden Orden tragen, den er nicht mit seinem Blut erworben habe. Er verwickelte Haller in ein Gespräch über die Einrichtungen Berns, von denen er wenig Kenntnis habe, und liess über die Waadt die Bemerkung fallen, es vertrage sich nicht mit den neuen Grundsätzen, dass ein Land über ein anderes herrsche.

Über der Mahlzeit nahte Mitternacht. Bonaparte wurde unruhig, weil keine Dragonerbegleitung zur Stelle war. Der letzte Husar konnte wegen Erschöpfung nicht mehr folgen. Bonaparte aber wollte die Reise fortsetzen, und als ihn Wurstemberger zu beruhigen suchte, entgegnete er: «Ich weiss, dass man mir nach dem Leben trachtet; ich weiss, dass Wickham weder Geld noch Mühe scheut, mich aus der Welt zu schaffen.» Er fühlte sich auf bernischem Boden preisgegeben und fand nach den Berichten der Teilnehmer kein Wort der Anerkennung für Bern. Man brachte einige Bauern zusammen, die in Halblein und weissen Zipfelkappen den General zu Pferd begleiteten.

Um ein Uhr morgens erreichte er Solothurn, wo zu der unerwarteten Stunde nichts für seinen Empfang vorbereitet war. Er verabschiedete die bernischen Begleiter, besonders freundlich den Obersten Wurstemberger. Um zwei Uhr fuhr er weiter, einem grossen Tag entgegen, betrat er doch den Boden des befreundeten Basel. In Bern hinterliess er eine fahle Erinnerung. Er hatte die Stadt über seine Ankunft im Ungewissen gehalten, wie er Feinde irre zu führen pflegte, und wie ein Nachtschatten das Land durchstrichen.”

freunde war nicht gerade geworden. das gegenseitige misstrauen, das zwischen bern und napoléon herrschten hatte aber zu einer distanzierten respektierung geführt. wenigstens für den moment, denn in den ersten märztag des jahres 1798 kamen die französischen truppen in die stadt, um die unbezahlte rechnung napoléons im hotel falken auf ihre art zu begleichen.

stadtwanderer

teil 4 der serie: napoléon in der schweiz

begeisterter empfang in der welschen schweiz (napoléon in der schweiz, teil 2)

teil 1 der serie: napoléon in der schweiz

1797 war die schweiz noch kein mehrsprachiger staat. was heute so selbstverständlich erscheit, die viersprachige schweiz, ist die folge der intervention napoléons, die gleichberechtigung des französishen und italienischen als amtssprache, die anfangs des 19. jahrhunderts erfolgte und die aufnahme des rätoromanischen als landessprache 1937.


das konglomerat der alten eidgenossenschaft am vorabend der reise napoléons durch die schweiz

die konfessions- und die sprachenfrage in der schweiz

napoléon erwies sich als guter kenner der schweiz. seit jugendzeiten schwärmte der korse für das gebiet nördlich der schweiz, aber links des rheines. wie zu zeiten caesars sah er es aber als teil eines grossen galliens, das neu erstehen sollte.

politisch wusste er peter ochs, den basler bürgermeister auf seiner seite, der 1795 im 1. koalitionskrieg den separatfrieden zwischen frankreich und preussen vermittelt hatte. das hatte napoléon erlaubt, in seinem umfeld musterrepubliken entstehen lassen wie die batavische in den heutigen niederlanden. und genau das schwebte ihm auch für die schweiz vor, wo er sich 1797 eine helvetische republik auf revolutionärer basis wünschte..

napoléon hatte begriffen, dass die alte eidgenossensch ein sammelsurium von verschiedensten, gewachsenen staatsformen war: patrizische wie in bern, zünftische wie in zürich, und landsgemeindorte wie in der innerschweiz. seit 1499 war das gebiet autonom vom kaiserreich, seit 1648 von diesem unabhängig. doch es war keine einheit: 13 orte hatten das sagen, und zahlreiche verbündete und untertanen wurden von einer herrenschicht mit vorrechten geführt.

seit der staatswerdung im 16. jahrhundert kannte die alte eidgenossenschaft kannte vier dauerhafte konfliktlinien:

. der gegensatz zwischen flachland und bergland,
. der gegensatz zwischen stadt und land,
. der gegensatz zwischen reformierten und katholischen gebieten und
. der gegensätz zwischen protoindustrialisierten und bäuerlichen regionen.

die vier konfliktlinien verliefen indessen nicht immer gleich, was dauerhafte spaltungen vermied. dennoch war die konfessionelle spaltung die tiefgreifendste; der hauptgrund hierfür war, dass seit der gegenreformation orthodoxe glaubenbekenntnisse auf katholischer wie auch protestantischer seite vorherrschten, welche die konfessionszugehörigkeit der menschen an die der obrigkeit banden.

erst mit der aufklärung im 18. jahrhundert, in der welschen schweiz stärker rezipiert als in der deutschsprachigen, sind diese orthodoxen glaubenbekenntnisse aufgeweicht worden. vor allen auf reformierter seite setzten sich auch pluralistische religiöse vorstellungen, wie man heute sagen würde, durch, welche die basis für neue philosophien und politiken des bürgertums schafften.

napoléons kalkül mit den unterdrückten in der waadt

napoléon wusste, bevor er in die schweiz kam, dass er den religiösen konflikt noch weiter zurückdrängen müsste, sollte aus der schweiz eine nation, eine musterrepublik werden. die verbündeten in seinem plan sah und fand er unter den aufgeklärten protestanten der welschen schweiz; mit ihnen entwickelte er auch den plan, die konfessionsfrage als prägendes element der alten schweizer politik durch die sprachenfrage, die der neue staat auf der basis der gleichberechtigung lösen sollte, zu ersetzen.

angelpunkt hierzu war die waadt: seit 1536 bernisches untertanengebiet, dem orthodxen protestantismus, der bis weit ins 18. jahrhundert gerade in bern regierte, nicht zugetan, schwelte hier die sprachenfrage in besonderem masse. wollten waadtländer etwas werden, mussten sie deutsch können, denn die politik, fand ausschliesslich in dieser sprache statt.

von romandie kann man damals noch gar nicht sprechen: genf, wallis und neuenburg kamen erst 1815 fest zur schweiz, um das gewicht der sprachminderheit zu heben: und der einzige selbständige ort, freiburg, war 1481 nur unter der bedingungen in den bund aufgenommen worden, nachdem eine rabiate germanisierung der burgundischen und savoyischen wurzeln in der amtssprache vorgenommen worden war.

doch die romandie sollte mit napoléon entstehen, und in der musterrepublik das muster abgeben. die unterdrückte bürgerschaft von lausanne kam in frage, allenfalls die von genf; im notfall wäre auch eine kooperation über gemässigte aristokraten in freiburg oder gar in neuenburg in frage gekommen. und so wählte napoléon auch den weg durch ebendiese städte und landschaften, um im november 1797 in die eidgenossenschaft einzufahren, – wenn auch vorerst nur mit einer kutsche und eigenen husaren, um nach rastatt zu gelangen.

der bericht von richard feller

richard feller beschreibt das so:

“Am 22. November betrat Bonaparte bernisches Gebiet. Sein Selbstbewusstsein hatte sich an den Siegen furchtbar geschult; mit unverbrauchter jugendlicher Rücksichtslosigkeit dachte er nur in Eroberungen. Als er in die Schweiz kam, war er schon entschlossen, sie zu erobern, um sich ihrer Alpenpässe zu bemächtigen. Aber auf der Reise blieb das Drohende, Niederwerfende, das vor ihm her ging, blieb das Schauspielerische seiner Grösse stumm. Ihm bangte, auf bernischem Boden einem englischen Anschlag zum Opfer zu fallen; überreizt fuhr er durch das Land seiner Jugendschwärmerei.

In der Westschweiz erwartete man den General mit pochendem Herzen. Man pries den Feldherrn, den Befreier, den Friedenstifter. (…) Anders empfand Bern. Bonaparte hatte seinen spätern Schwager Murat vorausgesandt. Dieser traf am 14. November in Bern ein und zeigte dem Schultheissen von Steiger an, dass Bonaparte in ein paar Tagen durchkommen werde. Lustlos nahm Bern die Nachricht entgegen. Gefühle für den Gefeierten hielten sich im besten Fall die Waage.

Berns Geheimer Rat ernannte den Obersten Wurstemberger zum Reisebegleiter Bonapartes und beauftragte einen Ausschuss, das Nötige für den Empfang vorzukehren. (…) In Coppet, dem Grenzort, wartete Wurstemberger mit seinem Begleiter Augsburger und seinem fünfzehnjährigen Sohn nebst einer berittenen Ehrenwache, um den General im Namen seines Standes zu begrüssen. Doch der Kutscher jagte aus Bosheit gegen Bern, wie es hiess, ohne Halt durch das Städtchen. Die Standespersonen holten den General erst in Nyon ein, wo die Menge die Gasse füllte und Hochrufe ausbrachte. Wurstemberger stellte sich, und Bonaparte erkannte ihn augenblicklich.

Auf waadtländischem Boden begleiteten Pikette von Dragonern und Vasallenreitern, die sich ablösten, den Wagen. Auch Rolle war von Licht und Lust erfüllt; Morges dagegen blieb dunkel und stumm. Umso höher schwoll die Begeisterung in Lausanne, wo Bonaparte nachts 1 Uhr eintraf, von den Bewohnern mit wacher Spannung erwartet.

Der Landvogt Ludwig von Büren, ein alter Offizier aus französischen Diensten, rühmte sich, den jungen Leutnant Bonaparte gekannt und ihm eine Stelle in der Artillerie verschafft zu haben. Er bereitete mit dem Stadtrat einen prächtigen Empfang. Aus allen Fenstern strahlte Licht; das Volk füllte den Weg des Ersehnten. Auf der Höhe des Montbenon traten festliche Mädchen an den Kutschenschlag und überreichten beim Fackelschimmer im Namen der Patrioten dem Helden, der Italien befreite, das Cäsar unterjocht hatte, Blumen und Gedichte, die er huldvoll entgegennahm. Nur mit Mühe bahnte sich die Kutsche den Weg durch die gedrängten Gassen, wo die Rufe zum Jubel zusammenschlugen.

Bonapartes Spruch, dass kein Volk einem andern untertan sein dürfe, war am Genfersee innig beherzigt worden.

Vor dem Gasthof zum Goldenen Löwen hielt die Kutsche zum Pferdewechsel; Landvogt von Büren sprach den General an. «Wir erkannten einander sogleich wieder, und er erinnerte sich auf eine verbindliche Art, dass ich ihm ehemals in seiner Beförderung behilflich gewesen war», meldete er nach Bern.”

berns demonstrative gelassenheit …

man spürt es förmlich: ausser in morges wurde napoléon überall im arc lémanique als befreier empfangen. man ging auf die strassen, jubelte dem helden zu und warte nur darauf, dass er das alte regime in bern stürzen würde. diese nahm die bedohung zwar mit demonstrativer nonchallance auf. doch blieb man auf der hut, denn man wusste, dass kein sandstein auf dem andern stehen bleiben würde, wenn der korse, der es in der französischen armee bis an die spitze gebracht hatte, erst einmal zuschlagen würde.

vom geheimdokument im anhang des friedensvertrages von campo formio wusste man damals noch nicht, was die lage erträglicher machte, aber auch keine gelüste weckte. als man nämlich wusste, dass das österreichische fricktal zu haben war, spaltete sich die berner aristokratie in die abwehr- und kampfbereiten um den alten schultheiss, und die aufnahme- und verhandlungsbereiten um den säckelmeister frisching. die einen waren ganz altbernisch gegen jedwedes zugeständnis an den kleinen korsen, die anderen hoffte, dank zusammenarbeit jenen teil im heutigen kanton aargau zu bekommen, den sie 1415 bei der besetzung des damals noch habsburgischen aargaus nicht erobern konnten.

so wiedersprüchlich und falsch schätzen beide seiten, die sich am 4. märz 1798 im berner grossen rat zu tiefst stritten, die lage am im november davor noch ein.

bevor wir aber darauf eingehen, wollen wir zuerst hören, wie napoléons empfang auf dem plateau, in moudon und den anderen kleinstädten war, die noch ganz zu bern hielten. bis morgen …

stadtwamderer

teil 3 der serie: napoléon in der schweiz
teil 4 der serie: napoléon in der schweiz

von menschheitsrettern und menschenrettern am grossen st. bernhard

wer kennt ihn nicht, barry, den lawinenhund, der mehr als 40 menschen das leben gerettet hat und im berner naturhistorischen museum ausgestellt ist? und wer glaubt nicht, dass ein jeder bernhardiner, der ein kleines fässchen um den hals trägt, darin wärmenden schnaps hat, um verschütteten das leben zu retten? – eigentlich niemand!


postkarte mit dem legendären bernhardiner “barry”, menschenretter bei lawinen am grossen st. bernhard

eigentlich weiss aber auch fast niemand, wieso die zottigen hunde “bernhardiner” heissen, ausser dass sie seit dem 18. jahrhundert die lawinenhunde des hospizes auf dem grossen st. bernhard sind. warum jedoch der “grosse st. bernhard” so heisst, wie man ihn heute nennt, was das mit dem zweiten burgundischen königreich von berta und rudolf zu tun hat, welche rolle die sarazenischen händler und eroberer dabei spielten, und wie das alles mit der christianisierung des westschweizerischen mittellandes seit dem 10. jahrhundert zusammenhängt, weiss definitiv niemand. der stadtwanderer hat sich deshalb am trüben sonntagnachmittag auf die spurensuche von “barry” gemacht und erstaunliches gefunden!

der heilige bernard de menthon und die sarazenen-frage

ihren heutigen namen haben der grosse und der kleine st. bernhard vom heiligen bernard de menthon, der im 10. jahrhundert auf der höhe des grossen passübergangs ein christliches hospiz eröffnet hat. bernard selber stammte aus dem savoyischen adel, der im niederburgundischen königreich zu macht aufgestiegen war. geboren wurde er 923 in menthon bei annecy; verstorben ist er 1008 in novara. seiner bestimmung als adeliger krieger entzog er sich in der nacht vor der heirat durch flucht, die ihn zu den benediktiner-mönchen in oberitalien führte. in ihrem namen gründete auf der passhöhe ein hospiz, wurde 966 erzdiakon von aosta und widmete sich 40 jahre lang der bekehrung nicht-christlicher bevölkerungsteile in den alpentälern. dafür wurde er zum heiligen bernard von methon und zum namensgeber für die wichtigen alpenübergänge.


st. bernard de menthon, der missionar im aostatal zwischen 966 und 1008

dass im 10. jahrhundert in den alpentälern missioniert werden musste, hat eine bis heute scheinbar unbestrittene ursache: die sarazenen, – ein berberischer stamm, der 889 in der nähe des heutigen st. tropez auf dem europäischen festland fuss gefasst hatte, die kolonie fraxinetum gründete und sich von dort aus nach 906 im burgundischen königreich ausbreitete.

sarazenische expansion unter könig hugo

als der burgundische könig rudolf II., bertas mann, 937 starb, häuften sich sarazenischer besetzungen christlicher zentren. 936 war bereits das bistum chur durch die sarazenen erobert worden; für die jahre 937 und 939 sind analoge aktionen in st. maurice und payerne belegt.

eine spezielle rolle spielte damals könig hugo, der 905 für den erblindeten kiser ludwig die regentschaft im rhonetal übernommen hatte. 924 wurde er könig von niederburgund, 926 verdrängte er könig rudolf als lombardischen könig, und 937 heiratete er mit berta auch die witwe des hochburgundischen könighauses. unbestrittenermassen war er damals der wichtigste machthaber im südwestlichen alpengebiet. bis 946 regierte er in pavia und nannte sich flugs “könig von italien”. für den adel aus venetien war hugo jedoch stets ein usurpator geblieben, mit dem man in lebenslangem zwist stand, und dabei nach verbündeten suchte.

könig hugo, der gerne kaiser geworden wäre, suchte zunächst die nähe zu byzanz, und versprach fraxinetum zu stürmen, sollten die kaiserlichen schiffe den hafen angreifen. als diese das 942 auch taten, hatte der opportunistische hugo längst das feld gewechselt und sich mit den sarazenen verbündet, denn ihm drohte ungemach von seiten des markgrafen von verona, berenguar, der sich seinerseits die unterstützung der madyarischen reiterei gesichert hatte.

der christliche chronist luitprand von cremona, dem wichtigsten historiker seiner zeit, gab ob dieser kehrtwende von könig hugo seiner verwunderung über die bündnispolitik des provenzalen ausdruck. er richtete gar eine ode an den mont jovis, wie der grosse st. bernhard damals noch hiess: “unbegreiflich bis du, berg jupiter, der du die frömmsten sterben lässt und zuflucht schenkst den maurischen schurken. oh, möge doch der blitz dich treffen und in tausend stücke schlagen.”

doch es half kein blitz! vielmehr setzten sich die mauren mit hilfe hugo in den 940er jahren in den südlichen alpen fest, und betrieben von hier aus auch missionen nach norden. 950 sind sie als händler vor dem kloster st. gallen und im rheintal bezeugt. ein seltsames bild dürfte es gewesen sein: denn die sarazenen bewegten sich mit gebirgstüchtigen, haflingerartigen kleinpferde vorwärts und breiteten zum gebet ihre teppiche aus, um – für die klostermönche von st. gallen – unbegreifliche handlungen zu vollziehen.

doch der handel funktionierte, denn lebensmittel, neue stoffe, wärmende kleider und maulesel waren begehrt. selbst mädchenhandel soll vorgekommen und von der autochtonen bevölkerung nur zu gerne gegen die eroberten schätze der christlichen klöster eingetauscht worden sein.

rückeroberungen durch königin adelheid und könig konrad

die situation ändert sich erst, als die machtfrage in der lombardei geklärt wurde. 946 verstarb hugo, nicht ohne seinen sohn lothar mit seiner frau adelheid in der nachfolge plaziert zu haben. lothar musste indessen seinen konkurrenten berenguar als kanzler am hof akzeptieren, und bis heute hält sich der verdacht, der frühe tod des jungen königs 950 sei durch ihn verursacht worden. adelheid, die königswitwe und nach lombardischem recht einzige erbin, wehrte sich, den neuen machthaber zu heiraten, und wandte sich, in der gefangenschaft in como, in die von berenguar sie gesteckt wurde, an könig otto von franken und sachsen, der sie 951 befreite, 952 heiratete und demonstrativ von pavia aus über die lombardei regierte.

adelheids bruder, konrad, der dank ottos hilfe die nachfolge seines vaters als burgundischer könig angetreten hatte, wegen der sarazenen im westlichen mittelland aber von champery aus über burgund herrschte, versetzte den sarazenen den entscheidenden schlag: im elsass, wo sie überraschend auf ein vorkommando der madyaren gestossen waren, verwickelte beide seiten nach der razzia-technik in einen kleinkrieg, bis sie sich schliesslich gegenseitig niedermachten. er sicherte sich so die macht als burgundischer könig, und vertrieb mit provenzialischen adeligen die sarazenen nach süden.

975 eroberte man fraxinetum mit genuesischer hilfe zurück, dabei versprach man den kriegern auf burgundischer seite grosszügige verteilung der felder, höfe und gärten der sarazenen. grösster nutzniesser davon war gibellin grimaldi, ein vorfahr der heutigen fürsten von monaco, der so zu seinen ersten ländereien am port-grimaud an der cote d’azur gekommen waren. gleichzeitig setzte die herrschaftliche rückeroberung der alpenpässe durch die burgunder ein, deren strategisch wichtigster sattel, der heutige grosse st. bernhard, war.

die christianisierung der bevölkerung beidseits des grossen st. bernhard

der heilige bernard de menthon der den mont jovis in christlichen besitz nahm, eröffnete das hospiz mit einer benediktinerkolonie, das dem berg seinen neuen, bis heute gültigen namen gab.

wen er abeer bekehrte, ist bis heute gegenstand einer leidenschaftlichen debatte, die mit der bedeutung des begriffes “sarazenen” zusammen hängt.

früher sah man ihn als kämpfer gegen die ismailischen kohorten, wie man die “sarazenen” vor den kreuzzügen noch nannte. erst später verwendete man den namen für alle nicht-gläubigen im christlichen sinne. heute wiederum vertritt man die auffassung, in den alpentälern habe es im 10. jahrhundert noch erhebliche teile autochtoner bevölkerungsteile gegeben, die ihren traditionellen religiösen vorstellungen lebten, weder christlich, noch ismailitisch waren, aber mit den berberischen händlern gegen die christlichen herrscher paktiert hätten.

dafür spricht, dass die mission, die im 10. jahrhundert unter den burgundischen herrschern einsetzte, einen ganz anderen charakter bekam als noch in fränkischer zeit. damals war das christentum eine reine elitenreligion für die dünne, aber herrschende schichte gewesen, während die bauernbevölkerung in ihren traditionellen keltischen oder germanischen glaubensvorstellungen lebte. jetzt setzte die mission nicht nur oben, sondern auch unten an. die ausbreitung romanischer kirchen auch im mittelland, die im 10. jahrhundert einsetzt, ist ein untrügerisches zeichen dafür.

bernards bedeutung liegt darin, die bevölkerung in den abgelegenen alpentäler bekehrt zu haben. berta wiederum, die in payerne die gründung einer neuen probstei bis zu ihrem tod betrieb, löste diese bewegung nördlich der alpen aus. ihre kinder, adelheid und konrad, vollendeten ihr lebenswerk.

rettung der menschheit – rettung der menschen?

der name des grossen (und kleinen) st. bernhard erinnert somit unzweifelbar an die christliche rückeroberung des passes vom aosta- ins rhonetal. die christliche geschichtsschreibung stellt dies gerne als befreiung der menschheit vor ungläubigen herrschern dar.


hospiz von heute auf dem grossen st. bernhard, wo in den 960er jahren die christliche benediktiner die moslemischen sarazenen abgelöst haben

mit dem heutigen wissen wird man diese einschätzung relativieren müssen. sie entstand retrospektiv mit den kreuzzügen, als sich die die drei monotheistischen religionen, das christentum, das judentum und der islam, kriegerisch gegenüber standen. heute erkennt man eher die konkurrenz verschiedener eliten, namentlich um die vorherrschaft über raum und volk. vor den “sarazenen” interessierte man sich wenig für die religion der bauersleute. erst in der konkurrenzsituation konnte diese aber zum entscheidenden faktor in der unterstützung von herrschaft werden. “sarazenen” wurde damals zum kampfbegriff, der die anhänger der verjagten berberischen händler meinte, selbst wenn es isch nicht zum nachfahren dieser im sinne der blutsverwandtschaft handelte, sondern um nicht-christliche heiden aller art.


neue forschungen melden zweifel an der sarazenen-these an: missioniert wurden nicht die ismailistischen kohorten, sondern die heidnische bevölkerung, die zu den sarazenen hielt.

gerettet wurde damals nicht die menschheit, wie die christliche geschichtsschreibung behauptet! übrigens genauso wenig wie die nachfahren barrys heute noch menschen retten. er gilt in unserer vorstellung zwar unverändert als der menschenretter in der lawinennot. doch sind die heutigen berhardiner so plump geworden, dass vornehmlich belgische und deutsche schäferhunden den dienst am menschen verrichten, wenn unerwartete wellen über in die alpentäler stürzen.

der internationale kampf um die vorherrschaft am grossen st. bernhard geht damit weiter, – und erreicht ganz neue dimensionen!

stadtwanderer

ortsgeschichte von wohlen. ein exemplarischer fall bernischer modernisierung

wohlen bei bern: das sind 3630 hektaren äcker, wälder, siedlungen und gewässer, erschlossen durch 181 km strassen, aber kein meter eisenbahnen. das sind auch 9056 einwohnerInnen, davon 6753 stimmberechtigte, die in 3969 wohnungen leben, 240 landwirtschaftsbetriebe um sich wissen und 239 weitere arbeitsstätten in ihrer umgebung kennen. das sind schliesslich auch 4375 personenwagen und 3461 tägliche wegpendlerInnen, die allermeisten nach bern!


die politische gemeinde wohlen entsteht in den letzten 175 jahren und legt sich heute rechenschaft ab, über das was war und was daraus wurde (fotos: stadtwanderer, anclickbar)

wohlen: berner umland ausgeleuchtet

so nüchtern ist das gemeindeporträt, wenn ein ehemaliger soziologe eckdaten der gemeinde zusammenstellt. so vielsagend sind sie aber, wenn man wohlen im jahre 2006 vorstellen will. denn mit dem traditionellen wohlen hat die heutige gemeinde nur noch den namen gemeinsam:

. seit den 60er jahren des 20. jahrhunderts ist die bevölkerung rapide angestiegen. siedlungen im kappelenring, der au- und schlossmatt haben dem ort einen modernes gepräge gegeben.
. und seit dem ersten weltkrieg gehört zu wohlen auch der wohlenersee, gestaut für das damals neu erbaute bkw-kraftwerk mühleberg. topografisch war das ein einschnitt, für die gemeindeentwicklung indessen auch ein wesentlicher teil des wohlstandes, der sich zu mehren begann.
. schliesslich ist wohlen seit der liberalen und radikalen reformen im 19. jahrhundert nicht mehr nur eine kirchgemeinde, die fromme christen erzog, sondern ein politische gemeinwesen mit gemeindeordnung, gemeindebehörden und gemeindeschulen, das kommende staatsbürgerInnen ausbildet und mit gelegentlich auch über sie hinweg politik betreibt.

wohlen, das war bis ins frühe 19. jahrhundert noch eine reine agrargemeinde, bestehend aus den dorfschaften wohlen, uettlingen, murzelen und säriswil. politisch gesehen war der ort damals von anderen abhängig: zollikofen auf der einen seite, laupen auf der anderen. deshalb dominiert bis heute das selbstverständnis, dass man in wohlen auf dem land lebe. würde man jedoch zeitgenössische geografen fragen, wie es damit stehe, würden die vom berner umland sprechen, darauf verweisen, dass die nahe gelegene stadt in tuchfühlung mit wohlen sei, dass die in wohlen rapide angewachsende bevölkerung – verdreifachung innert 40 jahren! – aus der stadt komme, und dass sie als pendlerInnen in die stadt zurückkehre. unser soziologe würde das wohl so zusammenfassen: primär traditionelle wurzeln, sekundär moderner vorort mit ausgesprochenem schlafstättencharakter!

wohlen: mein wohn- und spazierort

weshalb mich das so interessiert, und weshalb ich da so genau weiss? – ganz einfach: ich bin seit sieben jahren selber ein teil dieser suburbanen kultur in wohlen, schlafe in der aumatt, einer der frühesten siedlungen für verdichtetes bauen in der schweiz, und fahre mit dem poschi täglich zur arbeit nach bern und zurück. und ich bin der berner stadtwanderer, der vor allem über geschichte und alltag der stadt bern berichtet. das erklärt, weshalb ich mich – zunehmend – auch für vororte wie wohlen, und da speziell für hinterkappelen interessiere. dass ich es aber statistisch und historisch nun so genau weiss, hat nichts mit eigenen recherchen zu tun, vielmehr aber mit der gestern erschienenen neuen wohlener ortsgeschichte.

200’000 franken steuergelder hat die gemeinde in dieses projekt gesteckt. und ich sage: gut gemacht, mehr davon, dafür weniger von anderem! drei jahre hat eine projektgruppe unter der leitung des pensionierten wohlener soziologen franz haag gearbeitet, konzipiert, lektoriert und redigiert. und ich ziehe auch hier den hut: eine respektable leistung der wohlener zivilgesellschaft, die sich ihrer selbst vergewissert. zudem waren zwei historikerInnen am werk, erprobt aus der berner und worber stadt- und ortgeschichte, um professionelle texte zu erstellen: auch hier meine hochachtung für thomas brodbeck und andrea schüpbach, denn entstanden ist ein gesellschafts- und politikgeschichtlich anspruchsvolles werk, das schwergewichtig die zeit nach 1830 bis in die jüngste gegenwart vorstellt. und last but not least darf nicht unerwähnt bleiben, dass bernhard wyss, einheimischer kunstschaffender, die bildredaktion für den schmucken band übernommen hat und mit alten und neuen fotos, handzeichnungen, logos und wappen ein visuelles porträt wohlens geschaffen hat, das dem leser und der betrachterin des geschichtswerkes emotionale nähe zur eigenen erinnerung oder anschauung verschafft.


das moderne wohlen mit gestautem wohlensee, kappelenbrücke und vorortssiedlung und viel prominenz überlagert alles stück für stück (fotos: stadtwanderer, anclickbar)

wohlen: eine berner gemeinde, die (lokal)geschichte schreibt

präsentiert wurde der 225seitige band gestern abend an einer buchvernissage in der wohlener gemeindebibliothek in hinterkappelen. gemeindevertreter waren anwesend, lehrer und lehrerinnen musizierten, die projektgruppe frohlockte, und die autorInnen gaben einige einblicke in ihr schaffen. auch die bevölkerung interessierte das neueste kind in wohlens gemeinschaftsproduktionen: gut 100 personen kamen vorbei, hörten und schauten, staunten ob der leistung und prostesteten sich und ihr zu. zahlreiche erwarben den druckfrischen band der marti media ag, gestaltet von der firma rub graf-lehmann in bern denn auch gleich. andere, so hofft man bei den herausgebern, werden eines der 2000 exemplare im buchhandel kaufen.

gemeindepräsident christian müller brachte die ziele der ortsgeschichte auf den punkt: “wer seine wurzeln kennt und versteht, versteht auch das weite und fremde.” er weckte die neugier seiner mitbewohnerInnen mit einer feurigen rede: die so zahlreichen neuzuzügerInnen müssten erfahren können, wo sie lebten, was da mal war, und was daraus heute entstanden ist. sie müssten nachvollziehen können, was modernisierung der wirtschaft, der gesellschaft und der infrastruktur in wohlen heisse, und sie müssten schonungslos erfahren, mit welchen politischen brüchen das bis in die 90er jahren des 20. jahrhunderts einher gegangen ist. er verhehlte mit blick auf die anwesenden journalistinnen und rezensenten auch nicht, dass die behörden sich mit dem investitionsprojekt profilieren und für “gute presse” sorgen wollten, um so die identifikation der einwohnerInnen mit dem ort zu fördern.

acht solcher ortsgeschichten sind im kanton bern in den 70er jahren des letzten jahrhunderts entstanden. 34 waren es bereits in den 80ern und 43 in den 90ern. seit der jahrtausendwende sind bereits wieder 24 hinzugekommen, und seit gestern bildete die wohlener geschichte die 25! ortsgeschichtsschreibung ist also im trend. sie ist aber nicht einfach trendig. sie ist seit dem boom, den ich als student der berner uni in seiner anfangsphase erlebt habe, klar besser geworden. es sind nicht mehr dorfchroniken dessen, was einmal war, die heute entstehen. es sind auch nicht mehr heimatkundebücher oder publizierte familienalben, die auf den buchmarkt kommen. vielmehr sind es historische werke, die sich an der zeitgenössischen geschichtsschreibung orientieren. ihre autorInnen kennen die übergeordneten entwicklungen der neuesten geschichte und suchen während ihren recherchen vor ort nach dem typischen und speziellen an eben diesem ort. so entsteht eine sicht von aussen, die nichts mit freundlicher hofberichterstattung, viel aber mit einer historischen informationsschrift zu tun hat.

das gilt auch für die wohlener ortsgeschichte von brodbeck und schüpach, die mit ihren gut gegliederten themenkapiteln zum schmökern, schauen und lesen anregt. der einstieg wird einheimischen leicht gemacht. der projektleiter franz haag nimmt sein publikum nicht nur durch den zitierten rundgang durch das bundesamt für statistik, er lässt es auch wohlen mit einem bebilderten und gut erzählten virutellen spaziergang sinnlich erleben. selbst den abschluss des buches macht jemand aus der gemeinde: marianne blankenhorn erzählt über die kulturproduktion in wohlen zwischen tradition und experiment.


das ländliche wohlen mit bauernbevölkerung, kirchgemeinde und gemeindeschule verschwindet stück für stück (fotos: stadtwanderer, anclickbar)

wohlen: der neue überblick und die bleibenden nischen

ich habe in der letzten nacht, in der ich viel las, einiges hinzu gelernt: die politischen konflikte zwischen den alten machthabern der gemeindepolitik und der fdp, die tiefe krise der gemeindeverwaltung von 1991, und der aufstieg von offener liste und sp, heute zu sp-plus verbunden, zur wählerInnestärksten partei des ortes, wird in unparteiischer manier und besser als auf jeder hintergrundsseite der tagespresse dargestellt. mit spannung habe ich auch von den sozialen konflikten gelesen, die sich aus dem bau des stausees für die bevölkerung ergaben, die wegziehen musste, aber auch für die arbeiter, die staumauer und brücken bauen mussten. als sie gegen schlechte arbeitsbedingungen revoltierten, wurden sie vom schweizerischen militär umstellt und als bolschewiken abgestempelt. mit interesse habe ich ferner gelesen, wie in wohlen feudallasten abgestossen und dafür steuern eingeführt wurden, wie das wahlrecht in der gemeinden bis 1921 an den geleisteten steuerzensus gebunden war, und wie alle stimmberechtigten heute denken, wenn es um die förderung von biologischem landbau und öko-automobilen geht. bis zu letzt habe ich schliesslich geschmunzelt, als ich die stellen nachlas, wie das obligatorische schulwesen in wohlen gegen alle möglichen widerstände eingeführt werden musste, und wie autoritäre dorflehrer in konflikte gerieten, als sich die erziehungsideale zu wandeln begannen. am meisten gefreut hat mich aber, dass selbst in das religiöse leben der gemeinde ein anschaulicher blick gewagt wurde, der erheischen lässt, wie aus der einheitlichen reformierten kultur eine multikulturelle glaubens- und kulturgemeinschaft wurde.

ein spannendes buch ist entstanden, das der lektüre wert ist, eine auseinandersetzung mit seinem eigenen wohnort ermöglicht und wohl auch den zusammenhalt in wohlen erhöhen wird. denn was modernisierung ist, wird allen klar, die von bern nach wohlen gehen, den stägmattsteg überschreiten oder die kappelenbrücke überfahren und die skyline der hochhäuser und die konturen der neuen siedlungen an der aare erblicken. warum diese modernisierung entstanden ist und was sie für ein leben ermöglicht, erfährt man jedoch erst wenn man hierherzieht und/oder neugierig nachliesst.

etwas bedauern mag man einzig, dass das potenzial der oral history, der geschichtsschreibung aus mündlichen quellen, für diese ortsgeschichte nicht wirklich genutzt worden ist. zur lesbarkeit und zur popularität des buches hätte dies wohl noch einen drauf gesetzt. zunächst hat mich die diesbezügliche zurückhaltung der fachhistorikerInnen an der gestrigen präsentation angesichts der schwerpunktsetzung in der neuesten geschichte geärgert. dann habe ich es als chance genommen: denn das eröffnet dem stadtwanderer perspektiven, bei seinen wanderungen auch durch wohlen über noch unerzähltes vermehrt zu berichten!

den anfang hierzu hat an diesem abend fritz scheurer gemacht, der zwischen 1966 und 1988 als gemeindeschreiben das gemeindeleben massgeblich prägte, im buch selbstverständlich auch vorkommt und während den präsentationen an der buchvernissage neben mir sass. wir kamen bald auf prominente in der gemeinde wohlen zu sprechen, die er, als früherer zivilstandsbeamter, natürlich gut kannte. illustrativ für den sozialen wandel von wohlens bevölkerung war die geschichte über die erste heirat nach neuem eherecht 1988, die er mir erzählte. am ersten arbeitstag nach inkraft setzung kam punkt 8 uhr das bisher unverheiratete elternpaar samt kindern und trauzeugen vorbei, das unbedingt als erstes unter der rechtlichen neuerung in wohlen, vielleicht auch in der schweiz getraut werden wollte: nicht wenig “schweizer illustrierte” war da in der kleinen runde: franziska rogger, die uniarchivarin, beat kappeler, der bekannte publizist, kamen, um den bund fürs leben zu schliessen, und alfred defago, radiochefredaktor und später schweizer botschafter in washington, sowie gret haller, berner gemeinderätin und spätere nationalratspräsidentin, waren die trauzeugen! unter altem eherecht wäre das nicht möglich gewesen, wusste der zivilstandsbeamte mit etwas stolz über die erlebte modernisierung des gemeindelebens “in seiner zeit” beizufügen!

stadtwanderer

thomas brodbeck, andrea schüpbach: wohlen bei bern im 19. und 20. jahrhundert – eine gemeinde zwischen stadt und land, bern 2006

la bonne reine berthe – eine wahre spinnerin

payerne im herbst: die stadt wirkt verlassen. welsche provinz, kaum ökonomische prosperität und protestantische ordnung könnte man den eindruck zusammen fassen. nicht einmal fluglärm hat an diesem tag, und es gibt auch keinen rummel von soldaten. tote hose, wie wenn noch nie irgend etwas da geschehen wäre. – doch halt! einen lichtschimmer gibt es: la bonne reine berthe, – heute die hauptfigur in meiner erzählung.


die gute königin berta, spinnend reitet sie zu ihren bauernfamilien auf dem land (bild aus dem 19. jahrhundert, von karl jauslin)

königin des zweiten burgundischen königreichs

im 10. und 11. jahrhundert war das heutige payerne ein hart umkämpftes machtzentrum des burgundischen königreiches, und es war eine art kulturgrenze: die sarazenen waren hier, bis könig konrad und kaiserin adelheid payerne zu einer ihrer wichtigsten klösterlichen basen aufbauten. und die salischen kaiser des römischen reiches kamen von speyer bis nach payerne, das sie in peterlingen umtauften, um ihre oberhoheit über burgund zu demonstrieren.

der star dieser zeit ist aber königin berta, die mutter von konrad und adelheid und die frau des burgundischen königs rudolf II. ihre zeit als burgundische königin wird vor allem durch ihren mann vermittelt. er war zwischen 911 und 937 der zweite könig des zweiten (hoch)burgundischen königreiches. erstrangiges politisches und geistiges zentrum dieses reiches war das kloster st. maurice an der walliser rhone, das in den 850er jahren in die hände einer nebenlinie der welfenfamilie gekommen war und über die bistümer von sion, lausanne und genéve regierte. wer st. maurice hatte, hatte auch den pilgerweg von canterbury nach rom. das wusste auch könig rudolf II., sohn des laienabtes von st. maurice, der auch erster burgundischer könig war, denn er setzte auf genau diese route. er wurde 922 zum zweiten mal könig, diesmal in der lombardei und vereinigte damit erhebliche teile des fränkischen mittelreiches, das im 9. jahrhundert untergegangen war. ihm hat man bei seiner krönung in pavia denn auch die berühmtem, heilbringende lanze übergeben, die zu den wichtigsten insignien der römischen kaiser geworden war.

926 geriet rudolf aber in die defensive, denn die madyaren, ehemals kaiserliche reitertruppen, fühlten sich ebenfalls legitimiert, über das untergegangene fränkischen kaiserreich zu herrschen. rudolf schloss sich deshalb könig heinrich I. von sachsen und franken an, der den widerstand gegen die madyaren organisierte und sie auch effektiv militärisch besiegt. heinrich nutzte die gunst der stunde, riss die heilige lanze an sich und beanspruchte damit selber, italienpolitik zu betreiben. rudolf gewährte er als abfindung den zusammenschluss seines königreiches von hochburgund mit dem niederburgundischen, das von arles aus das rhonetal bis vienne umfasste. so war rudolf II. in seinen letzten jahren herrscher über ein gebiet, das vom mittelmeer die rhone hoch, über genf hinaus bis an die reuss reichte. doch er war hier nicht allein: beim zerfall des fränkischen kaiserreiches hatten sich auch sarazenen in fraxinetum, nahe dem heutige st. tropez, festgesetzt und betrieben von diesem stützpunkt aus handel im ganzen rhonetal, nahmen skalven und bedrängten in den 930er jahren den alten burgundischen könig beträchtlich. bei seinem tod besetzten sie sogar payerne als ihre nördlichste stadt!


schon immer eine kulturgrenze: seit dem 10. jahrhundert leben mohamendanische sarazenischen mauren in payerne, und auch heute heissen die händler des orts “mauri”.

königin der lombardei

was berta in all diesen jahren trieb, ist wenig bekannt. die quellen schweigen hier noch übr sie. das alles änderte aber schlagartig, als ihr mann starb, und sie zwei unmündige kinder hatte. so wurde sie eine sehr gefragte frau, und die adligen wie ihre chronisten begannen sich für sie zu interessieren.

könig hugo von der lombardei machte ihr umgehend den hof und erreichte ende 937 auch ihre heirat. seinen sohn lother verlobte er bei dieser gelegenheit gleich mit bertas tochter adelheid. damit signalisiert er, dass er, in pavia lebend, anspruch auf die herrschaft im zentrum des mittelfränkischen reiches hegte. von sich selber sprach er bereits vom kommenden kaiser.

bertas zeit als lombardische königin war wenig glücklich. sie dürfte eine strenge katholikin gewesen sein, die in der klosterreformbewegung von cluny gross geworden war. ihr herrschaftsgebiet war verkehrstechnisch wichtig, ökonomisch aber kaum bedeutsam. in pavia kam sie indessen an einen hof, der eher nach byzantinischen vorstellungen in saus und braus lebte.

könig hugo hielt auch nichts von den klösterreformer in der burgundischen provinz, die schon ganz auf die christliche familienbildung mit klar definierten eltern für die kinder und ehelicher monogamie setzten. er hatte nebst der königin vier konkubinen, und ihm stand auch ein harem am königshofe und in den untergebenen städten zur verfügung.

berta verliess ihren untreuen ehemann noch vor seinem tod, musste aber ihre tochter adelheid der verlobung wegen in pavia lassen. die unglückliche königin kehrte in ihre heimat im hochburgund zurück, und begann dort in den späten 950er jahren ihr lebenswerk zu vollenden. sie trieb die gründung eines neuen priorates, dasjenige von payerne, voran, verstarb jedoch wähhrend den aufbauarbeiten. ihre kinder, konrad, der neuer könig von burgund wurde, und adelheid, zwischenzeitlich auch sächsische königin, brachten ihr werk in payerne zu ende. ihre mutter setzten sie am 8. april 961 in ihrem kloster bei.


kloster payerne, von königin berta gestiften, von ihren kindern vollendet und von den salischen kaisern mit einer romanischen kirche ausgeweitet

schwäbische prinzessin

berta selber war keine burgunderin. sie stammte aus dem alemannischen adel, der, wie die welfen im rhonetal, im rheintal mächtig geworden war. sie waren denn auch die ersten herzöge von schwaben. herzogin ringelinde war bertas mutter, und ihr vater burchard II. war gleich wie rudolf II. von den madyaren angegriffen worden. selbst könig rudolf war nicht abgeneigt, sein burgunderreich auf kosten des schwäbischen herzogtums auszudehnen. so eroberte er 917 den aargau und den zürichgau. er stiess erst beim versuch, auch den thurgau für sich zu gewinnen, auf den widerstand der schwäbischen truppen.

922, als rudolf II. auch könig der lombardei wurde, einigten sich die beiden kontrahenten, teilten sich das mittelland entlang der reuss in zwei herrschaftsgebiete auf, sodass der aargau burgundisch wurde, der zürichgau aber schwäbisch blieb, und begannen gemeinsam ihre italienpolitik über den grossen st. bernhard und den lukmanier zu entwickeln. verbunden wurde diese kriegsallianz durch die verheiratung der schwäbnischen prinzessin berta mit dem burgundischen könig rudolf II.


heutiges grab von königin berta, als identifikationsfigur des kantons waadt im protestantischen tempel

legendäre frau

königin berta ist bis heute eine der sagenumworbensten figuren der schweizer vorgeschichte geblieben. übertroffen wird sie wohl nur noch durch wilhelm tell, der für den innerschweizer mythos und die befreiungsgeschichte von dem schwäbischen adel und den deutschen königen berichtet. berta steht jedoch für genau das gegenteil: den aufstieg des burgundischen adels aus dem 10. jahrhundert bis zur kaiserwürde, in eben diesem reich, von dem die innerschweizer bauern gerne beschützt, nicht aber regiert sein wollten.

berta war zweifelsfrei ein starke persönlichkeit. das war für eine frau im 10. jahrhundert noch alles andere als üblich. in fränkischer zeit wäre es ganz undenkbar gewesen, wie die tragische geschichte der kaiserin judith zeigte. nur schon dass berta zweimal einen kaiseraspiranten ehelichte, hebt sie hervor. dass sie dem zweiten auch den laufpass gab, spricht eine noch deutlicher sprache. und dass sie schliesslich mitten im broyetal ein kloster gründete, das st. maurice in seiner bedeutung konkurrenzieren sollte, zeugt der ihrer ungeheuren kraft dieser frau.

berta profitierte sicher vom wirtschaftlichen aufschwung ihrer zeit. 926 wurden die madyaren mit tributen beschwichtigt, 933 und 955 militärisch besiegt und ins heutige ungarn zurückgewiesen. 937 siegten die burgunder auch über die sarazennen, denen man den zugang zu den mittelmeerhäfen streitig machen konnte. das regelte die herrschaftsverhältnisse neu, und es erlaubte, den fern- und nahhandel vom rhone- zum rheintal von neuem erblühen zu lassen. das 10. jahrhundert war auch der beginn einer klimatischen wärmephase, die bis ans ende des 13. jahrhunderts dauerte, und eine der voraussetzungen war, das 962 das untergegangene kaiserreich der römer und der franken unter führung der ottonischen könig von sachen und der burgundischen frauen von neuem aufgebaut werden konnten. schliesslich war das 10. jahrhundert auch der beginn der zweiten christianisierung, in die breite wie man sagt; in dieser zeit richtete sich die kirche nicht mehr nur an den adel, sondern auch an die bauernbevölkerung.

für berta einmaliges wirken in ihrer zeit spricht jedoch am meisten, dass unzählige politische bewegungen, die ihr in der westschweiz folgten, immer wieder auf sie bezug nahmen:

. im 12. jahrhundert, als die klöster der zisterzienser auch im schweizerischen mittelland aufkamen und zur zivilisierung der landgegebenden viel beitrugen, erstellt man in einer der schreibstuben eben dieser klöster ein testament von berta. heute gilt es in der historischen forschung als fälschung, doch es beweist, dass selber 200 jahre nach ihrem tod, ihre bedeutung nicht erloschen gegangen war.

. speziell im 15. jahrhundert wurde es dann üblich, berta allerhand kirchengründungen im ganzen burgundland von genf bis amsoldingen und von solothurn bis st. immer zuzuschreiben. im einzelfall ist es nicht einfach, nachträglich herauszufinden, was war. wahr ist aber, dass in bertas zeit viele kirche, auch die von köniz entstehen, um die bevölkerung mit christlichen werten erfüllen.

. selbst die bernischen reformatoren des 16. jahrhunderts knüpften an die katholoin an. ihnen gefiel die überlieferung, dass berta eine vorbildliche haus- und ehefrau gewesen sei. berta wurde nun zur eigentlichen wirtschaftsförderin emporsitiliert, die das spinnen der frauen populär gemacht habe. historisch gesehen dürfte das mehr hand und fuss als das falsche testament haben, die überhöhung passte aber auch gut in die reformatorische legendebildung.

. da konnte auch der neu entstandene kanton waadt 1803 nicht nachstehen: berta wurde nebst graf peter von savoyen, der dem pays de vaud im 13. jahrhundert ein erstes staatliches gepräge gab, zur identifikationsfigur der jungen republik erhoben. selbst berta leiche fand sich damals wieder, sodass ihre überreste vom ehemaligen katholischen kloster in den protestantischen tempel gezügelt werden konnten.

. den absurdesten höhepunkt in der vereinnahmung der königin von burgund findet sich aber in den büchern der berner schulwarte der 30er jahre des 20. jahrhunderts. als es galt, die alemannenthese vor die burgunderthese zu rücken, um die herrschaft berns, der deutschsprachigen und des reichs über die waadt zu legitimieren, boten sich natürlich bertas churrätische wurzeln an. dabei schreckte man vor nichts zurück. 1000 jahre nach ihrem leben wurde sie des ehebruchs an könig rudolf bezichtigt, um eine burgundische verbindung der grafen von rheinfelden zu konstruieren, welche das land im investiturstreit besetzte und die regermanisierung einleiteten, die von den zähringern und ihren nachfolgern weitergeführt wurde.


la bonne reine berthe aujourd’hui: les aspects touristiques

payernes bleibender wert

wenn man auch diesen herbst ins verschlafene payerne kommt, ist berta der einzige wirkliche star des ortes. wo auch immer sie begraben wurde, was auch immer sie in ihrem ereignisreichen leben alles getan und erfahren hat, und wer auch immer sie nachträglich für seine weltanschauungen ge- und missbraucht hat, la bonne reine berthe ist unverändert die hoffnung payernes. vom grossen flughafen, der einst kommen sollte, träumt nicht manchen im kleinstädten. an berta erinnern sich aber viele gern. man wähnt sie noch heute unter den einwohnerInnen,denn man begegnet ihr auf schritt und tritt: beim stadtrundgang auf strassenschildern, bei bistrots, die wie sie heissen, und bei kelleranschriften für weindegustrationen.

vor allem um den place de concordance von payerne ist sie häufig anzutreffen, was fast schon symbolisch für ihre verbindende wirkung steht. verbunden hat sie auch die wolle der vielen schaffe im burgunderland, indem sie gesponnen wurde und zur kleidung der menschen wohltuend beitrug. das ist denn bis heute das stärkste bild, das neben den wenigen texten von ihr bekannt bleibt, – und bis in unser haus ausstrahlt, wo sich die spinnräder zunehmende türmen!

eine unglaubliche spinnerin, diese berta!

stadtwanderer

das verflixte siebte jahr

sieben jahre nun gibt es die wine-night in hotel bern. einmal im april, einmal im november trifft man sich an einem montag abend zu einer weindegustation mit üppigem essen, um eine region europas besser kennen zu lernen. doch damit ist nun fertig: die wine-night wird schweizerisch und reist ab dem kommenden frühling zu weinbauern in der näheren und weiteren umgebung.


wine-night vom 13. november 2006 im hotel bern: gastlich, festlich, informativ und verzaubernd (fotos: stadtwanderer, anclickbar)

diesmal ist süditalien an der reihe: sizilien, natürlich, kalabrien, selbstverständlich, aber auch umbrien und apulien sind vertreten. die servierten weine gehören nicht zu den allseits bekannten marken. denn autochtone sorten sind angesagt.

mein star des abends ist der sagrantino di montefalco (DOCG2000). er ist von dichtem, intensivem, dunklem rubinrot. sein duft ist verlockend, wie von feinen holz-aromen und schwarzen beeren. der auftakt ist saftig, mit viel eleganz, während der abgang etwas zurückhaltend und trocken wirkt. getrunken wird es zu fleisch: gebratener kalbshohrücken “con funghi trifolatori”, arrangiert mit basilikumrisotto und einer gemüsegarnitur.

dass man an der berner wine-night so viel erfährt und so gut dokumentiert wird, verdanke man jürg utz, dem weineinkäufer von coop bern. immer freier und engagierterer stellte er jedes mal für eine wine-night aus seinem reichhaltigen sortiment, das nicht unbedingt im laden erhältlich ist, sechs weine zusammen, die den apéro versüssen, vorspeisen verdeutlichen, erste resp. zweite hauptgänge verstärken und desserts verköstigen. zu jedem wein, den er persönlich empfiehlt, erzählt er etwas über eigenschaften und gibt den meist 100 anwesenden einen kleinen, unaufdringlichen prospekt mit seinen den weinnamen, seinen ausführungen und den preise mit. an diesem abend war das stichwort “preiswert”: keiner der vorgeführten weine kostete mehr als 30 franken, mein favorit sogar noch einen fünfliber weniger.


silvia stoller-plüss (noch mit jürg utz) hat während 7 jahren die berner wine-night geleitet, und bricht jetzt zu neuen ufern auf, um schweizer weine bekannt zu machen! (fotos: stadtwanderer, anclickbar)

die eigentliche seele der wine-nights ist seit jahren aber silvia stoller-plüss. sie bestimmt die weingegebend die vorgestellt wird, sie charakterisiert land und leute, die für diese region stehen, und sie stellt die menüvorschläge zusammen, die zu den weinen ideal passen. ihre ausführungen sind immer einfach und prägnant, lehr- und hilfreich, und manchmal, wenn sie von der küche überrascht wird, auch leicht ironisch. besonders wenn es um fisch geht, blüht die organisatorin der wine-nights auf. dann kann sie bis in letzte detail die sorte vorstellen, seine verbreitungsgebiete bekannt machen und die zubereitung besser erzählen, als jeder noch so tolle küchenchef.

seit mindestens fünf jahren nehme ich, auf spezielle einladung der organisatorin, an den berner wine-nights teil. zu den festen stammgästen zählt sie mich und meine stadtwandererin, und manchmal fügt sie bei: “bin froh, wenn du da bist. sollte ich einmal nicht weiter wissen, gebe ich einfach dir das wort.” mag sein, dass das stimmt, nötig war es in all den jahren jedoch nie! hast es immer bestens gemacht, in all den jahren!

besonderes geschick bewies die talentierte organisatorin der berner wine-night am gestrigen abend. sie kündigte keck das ende der bisherigen erfolgsformel an: man soll aufhören, wenn man auf dem höhepunkt ist, war die begründung. jürg utz von coop steigt aus dem gemeinsamen projekt aus. das verflixte siebte jahr – eben! silvia stoller nimmt den wechsel als häutung und; sie wird den part von utz übernehmen, und die weine gleich selber auslesen: ab 2007 wird der abend am mittag stattfinden, der montag durch den sonntag ersetzt, und europa auf die schweiz verkleinert. einheimisches schaffen, das in den bisherigen degustationen zu kurz kam, soll jetzt gefördert werden. das wallis soll den anfang machen. “fein und wein” wird die veranstaltung heissen. degustiert wird aber weiterhin in der kurierstube des hotel bern. herzlich ist der applaus mit rück- und ausblick der wie immer sehr zahlreich anwesenden nach der ankündigung!


bruno camenzind, vor einem jahr noch todkrank, hat wie durch ein wunder überlebt und will mit 76 noch blogger werden mit dem spezialgebiet “glasbrunnen von bern” (fotos: stadtwanderer, anclickbar)

der glücklichste an diesem abend ist aber silvia stollers lebenspartner. 76 wird er heute, und ich sage, herzlichen glückwunsch zum geburtstag, bruno. maître camenzind war in seinen berufsjahren ein staranwalt in freiburg im üchtland; er hat viele prozesse gewonnen, bis hinauf nach strassburg. 1973 zog er nach hinterkappelen, und war mit silvia einige jahre unser nachbar. vor drei jahren erkrankte er ernsthaft, und heute vor einem jahr trauerten am stammtisch der wine-night alle schon ein wenig um ihn. wie durch ein wunder hat er seine krankheit durch geschickte operationen und viel willen überlebt und ist wieder der alte gersauer. seinen professor, kaspar zgraggen und dessen frau, hat er aus dank zur diesjährigen wine-night ganz spontan eingeladen. und wie der stadtwanderer mit einem fuss mitbekam, haben arzt und patient, anwalt und kunde nicht nur über operationen im menschen, sondern auch über künftige im gesundheitswesen disktuiert …

ich füge nur bei: lieber bruno, wir freuen uns, und du hast deine ganz persönliche stadtführung mit 10-16 gästen deiner wahl, die ich dir zum 75. geburtstag schenken wollte, auch ein jahre später noch zu gut. eine grosse wandererung wird es nicht werden, aber eine besondere, verspreche ich dir! mach mir bis dann aber schon mal konkurrenz mit deinem glasbrunnen-blog und trink dabei viel vom beschriebenen wasser!

stadtwanderer

hinterkappelen am martinstag

zwar bin ich der stadtwanderer von bern. seit 1999 lebe ich aber in hinterkappelen, – ausserhalb der stadt. schon oft habe ich mich gefragt, was es mit dem ortsnamen auf sich hat, – jetzt habe ich einen spannenden erklärungsversuch, den man unbedingt am martinstag erzählen muss.

hinterkappelen, hinder chappele, cappele

heute gehört hinterkappelen zur politischen fusionsgemeinde wohlen. seit 1803 waren wohlen und hinterkappelen teil des amtsbezirkes bern. davor wurden sie in schwerwiegenden fällen vom amtsgericht zollikofen verwaltet, in einfachen angelegenheiten von laupen aus. das war seit der reorganisation des bernischen staatswesens nach der schlacht von murten so. in dieser zeit, 1479 genau, wird der ort auch erstmals erwähnt, als “cappele”.


hinterkappelen bei bern, vormals einfach “cappele”

doch woher stammt dieser name? vom benachbarten frauenkappelen und seinem frauenkloster? oder von einer hofkappele?

“weder noch”, ist meine these.

um den eigentlichen wortsinn zu verstehen, muss man sich die reformation wegdenken; das christentum katholisch verstehen. man muss sich auch der savoyischen und burgundischen wurzeln klar werden, die es in diesem gebiet seit der völkerwanderung hat. und man muss sich des aufstiegs des frühen christentums zur staatsreligion im römischen reich bewusst werden, was uns auf das 4. jahrhundert nach christi geburt verweist.

nachfolger der römer waren herrschaftlichen gesprochen die franken in ganz westeuropa. um als machthaber anerkannt zu werden, brauchten sie nicht nur militärische kraft. sie waren auch auf die religion angewiesen. in den spätantiken städten war man um 500 christlich geworden, auf dem lande hing man aber dem alten glauben der kelten oder römer an.

ein vorbild aus der zeit der christianisierung des römischen reiches bot gelegenheit, auf beide traditionen zurückgreifen zu können. und genau dieses vorbild machten die merowingischen könige im frankenreich zu ihrem schutzherrn, – was uns endlich zum wortsinn von kapelle, nämlich kappelane führt.

der heilige martin und sein cappa

die rede ist vom heiligen martin. er war römischer offizier, quittierte den dienst und stieg in der katholischen kirche bis zum bischof von tours auf. er löste auch die klosterbewegung in gallien aus, und er gilt bis heute als einer der kirchenväter. er ist auch der archetyp des volksheiligen, der nicht wegen eines märtyriums in diese position gehoben wurde. vielmehr steht er am anfang einer grossen volksbewegung, mit der die christliche religion von den römischen städte auf das land getragen wurde.


frühre 100 franken(!)note der schweiz erinnerte an den heiligen martin und sein barmherziges wirken für die armen ausserhalb der stadt

in frankreich ist martin immer noch der nationalheilige, und martin ist in unserem nachbarland der häufigste knabenname bei christlichen taufen geblieben. doch auch in der schweiz ist martin kein unbekannter: bis vor wenigen jahrzehnten figurierte er auf den 100er noten des schweizer frankens.

um seine person ranken zahlreiche legenden. so, dass er nicht bischof von tours werden wollte und sich in einem stall versteckte, wo gänse lebten. deshalb würde heute noch im ganzen frankreich gansessen zum tage seiner beeerdigung stattfinden. das ist eine spur, die uns aber nicht zum ziel führt, weshalb ich sie auch wieder verlasse.

geboren wurde martin wahrscheinlich 316 nach christus in szombately, das im heutigen ungarn liegt. damals war es eine römische garnison. martins vater war ein verdienter kriegsveteran und amtete nach seiner pensionierung als volkstribun in der stadt. seinen sohn nannte er bewusst martin, um ihn dem alten römischen kriegsgott zu weihen, der bei den bauern-soldaten unvermindert hoch im kurs war.

martin kam zunächst nach pavia in die ausbildung, und er trat mit 15 ins heer ein, wo er, seiner aristokratischen herkunft wegen, wachtmeister der reiterei wurde. mit 22 lag seine truppe vor amiens, wo er die nächtlichen ronden zu überwachen hatte. da begegnete er in einer winternacht einem frierenden bettler. er teilte seinen mantel über der rüstung mit dem schwert und gab eine hälfte dem armen zum schutze. in der nacht darauf träumte er von christus, der ihm beschied: “was du einem meiner geringsten getan hast, hast du mir getan.” martin liess sich an den kommenden ostern christlich taufen.

354 wurde martin zum kriegsdienst gegen die alamannen eingezogen. kaiser julian führte gegen sie einen feldzug, obwohl sie römische verbündete geworden waren. sie begannen aber den rhein zu beherrschen, und deshalb wollte sie der kaiser von den linksrheinischen gebieten wieder zurückdrängen. die kampagne war erfolgreich; doch julian führte den krieg nicht im namen des christentums, wie es seit kaiser theodosius üblich war, sondern ganz bewusst als antichrist. martin kündigte nun seinen kriegsdienst, indem er dem kaiser sagte: “bis heute habe ich dir gedient; gestatte nun, dass jetzt gott diene.”

martin schloss sich dem prediger hilarius an, der in poitiers bischof geworden war, und das christentum über die stadt hinaus aus land bringen wollte. hilarius wollte martin zum diakon machen, doch der ehemalige krieger lehnte das ab; er übernahm aber einen posten als exorzisten, das heisst als gottesmann der sich auf dem felde bei den bauern bewähren musste. 360 gründete martin hierfür in einem verlassenen gutshof eine religiöse gemeinschaft. er leitete sie als eremit und sammelte wenige getreuen um sich, die mit ihm in askese lebten. genannt wurde die siedlung “moutier”, was man heute mit “kloster” (monastère) oder “münster” übersetzt.

371 wurde martin als bischof von tours vorgeschlagen. er lehnte zuerst ab, übernahm dann aber nach einem jahr den posten. als seinen sitz wählte er aber nicht die stadt, und er fühlte sich auch nicht als stadtherr. vielmehr gründete er vor den stadtmauern “marmoutier” (grossmüster/grosskloster) und wurde bischof der landleute. als er 25 jahre bischof gewesen war, verstarb er am 8. november 397; drei tage später wurde er in tours unter grosser anteilnahme der bevölkerung beerdigt, und sein begräbnis löste eine eigentliche volksbewegung zugunsten der christianisierung aus.

der martinskult der merowingischen könige

100 jahre danach war das römische reich nicht mehr. die germanischen franken hatte die macht in paris erobert, und reihum die alamannen, die burgunder und die westgoten besiegt. ihr könig, chlodwig, nahm als erster germanischer könig das christentum an, was ihm eine kaiserähnliche stellung in gallien beschied.


taufe des frankenkönig chlodwig in reims, das für die späteren germanenkönige mit ambitionen, die nachfolge der römischen kaiser zu sein, stilbildendes elemente wurde.

ganz bewusst griff der begründer der merowingischen dynastie im frankenreich auf den martinskult zurück. weil er bischof war, machte ihn das bei den christlichen gemeinschaften in den städte genehm, und weil er zum symbol für die christliche nächstenliebe bei den armen geworden war, war er auch für die galloromanischen und germanischen bauern-soldaten akzeptabel.

zentrales relikt der martinverehrung war sein mantel aus amiens geworden, der in den fränkischen königsschatz aufgenommen wurde. wenn chlodwigs nachfolger im frankenreich umherzogen, nahmen sich martins mantel immer mit. die cappa wurde von kappelanen in den königlichen pfalzen aufbewahrt, und diese kappelane amteten als schreiber und seelsorger im sinne des gottkönigs der franken. heute leben sie in zwei getrennten formen weiter: den fürsten der kirchenadministration einerseits und den staatskanzlern anderseits. ihre vorform auf dem land, ist vielleicht der siegrist oder der notar von heute, sicher aber die kappele oder das einfache gotteshaus, das der versammlung der gemeinde diente.

das leben des stadtwanderersin- und ausserhalb der stadt

ob es eine direkte linie von den merowingischen königen nach hinterkappelen gab, ist nicht bekannt. wahrscheinlicher ist, dass es hier im mittelalter einen gemeinschaftsort gab, den man der herrschaftlichen sitte kapelle nannte.

wie gesagt, mit der protestantischen brille versteht man den heiligenkult nicht mehr, und auch ohne das wissen um die einbindung der gebiete um bern ins gallische von keltischer bis burgundischer zeit bekommt man die kurve zu den entwicklung in der antike und im mittelalter kaum. die zeiten sind vergessen, denn ihnen haftet das odium der sklaverei in römischer zeit und der leibeigenschaft unter den feudalherren an. davon befreite sich die bauernschaft im 15. jahrhundert, und sie wollte von den alten verhältnissen nicht mehr viel wissen.

deshalb, könnte man auch folgern, sind wir unseren als wortbedeutungen nicht mehr bewusst. cappele wurde zu chappele, und das sah man in erster linie in beziehung zu frauenchappele, was aus dem ort “hinder chappelen” werden liess.


leben ausserhalb der stadt: hinterkappelen am morgen nach martini (foto: stadtwanderer,anclickbar)

doch damit ist der römisch-fränkische hintergrund von hinterkappelen nur ein mosaikstück in vielem, das wir nicht mehr wissen. auch der name glarus hat den gleichen ursprung. hilarius von potiers und seinen jüngern wird die klostergründung von stein-säckingen am rtein im 6. jahrhundert zugeschrieben. und von hier aus wurde das rätoromanische gebiet am oberen zürichsee besiedelt. daran erinnert bis heute das kantonswappen, und der kantonsname, selbst wenn der zusammenhang nicht selbstredend ist.

den stadtwanderer faszinieren solche zusammenhänge immer wieder. in diesem fall ganz besonders, denn auch er lebt nicht mehr in der stadt, sondern vor den toren, sprich vor der autobahn. intellektuell zehrt er von der urbanen auseinandersetzung, emotional zieht er sich gerne in sein refugium auf dem land zurück. dort liesst er gerne, und schreibt. zeitgemäss ist das nicht mehr die abschrift von christlichen manuskripten, sondern sind das die ergebnisse der recherchen für seinen blog.

und damit er hier nicht noch ausführlicher wird, hat ihm seine partnerin nicht einen mantel mit schaffell hingelegt, aber ein rezept vom wanderer von arlesheim, das er nun ausprobieren soll!

berner stadtwanderer, hinder c(h)appele

"g" wie gruner&gilg

am sonntag noch lass ich im band 5 des neuen “historischen lexikons der schweiz” und machte mir gedanken, ob und wie man das auf dem stadtwanderer besprechen könnte. fast alles, was mit der schweiz, ihrem territorium und ihrer geschichte zu tun hat, und mit “g” beginnt, ist da auf den aktuellen wissensstand zusammengefasst. aus aktuellem anlass bin ich bei “gruner” und “gilg” stehen geblieben.

der tod von peter gilg

“gundobad”, könig der burgunder, mit sitz in genf, der im späten 5. und zu beginn des 6. jahrhunderts lebte, oberster general des römisches heeres war und einen kaiser beseitigte, später zu seinem stamm in der sapaudia zurückkehrte und am aufbau der gallorömisch-germanischen gesellschaft im rhonetal wirkte, war mein erster ausgangspunkt für die besprechung. er ist seit langem ein fester bestandteil in meiner grossen stadtwanderung durch bern und durch die romandie, und er wird, für alle nicht-spezis von ihm, kurz und knapp im erwähnten lexikon erwähnt. überhaupt, das ist die stärke des neuen historischen meisterwerkes: es referiert über vieles, aber in einer sprache, in einer form und visualisierung, die auch für nicht-fachleute geeignet sind.


bundespräsident moritz leuenberger, bei seiner 1. august-rede 2006 vor dem historischen lexikon der schweiz

doch ich bin nicht beim alten burgunderkönig stehen geblieben. am dienstag nämlich entnahm ich der zeitung “drrr bund”, dass peter gilg vor einer woche 84jährig gestorben war. genauso wie sein vorgänger als direktor des damaligen forschungszentrums für schweizerische politik, erich gruner, ebenfalls verstorben, war er eine weile lang mein chef, sind beide mentoren von mir, leben beide nicht mehr, sind aber im historischen lexikon für ihre bleibenden verdienste als förderer der politikwissenschaft in der deutschsprachigen schweiz verewigt.

gewürdigt wird damit, dass erich gruner (1915-2001) und peter gilg (1922-2006), die frühere nähe der politikausbildung zu geschichte und staatsrecht aufgelöst haben und die gesellschaftlichen einflüsse auf die politische institutionen wie den föderalismus und die direkte demokratie untersucht haben, dem entstehen von politischen veränderungen in den 30er und 60er jahren nachgegangen sind, bewegungen als politische plattformen neben parteien und verbände gestellt und so die politikausübung als system, nicht als rein staatliches handeln interpretiert haben. beiden bekommen hierfür einen mittelgrossen artikel im schweizer lexikon, die sachlich-zurüchalten, informativ, aber unpersönlich sind. deshalb ergänze ich sie hier gerne ein wenig aus meiner optik.

meine erinnerung an erich gruner

erich gruner habe ich schon als student kennen gelernt. der sohn eines pfarrer und einer lehrerin war eine charismatische persönlichkeit, die mich von beginn weg stark fasziniert hat. er stammte aus einer alten, politisch aber nicht bedeutsamen bernburgerfamilie, hatte in bern und wien geschichte studiert, war zunächst gymnasiallehrer in basel, mit dem “daig” auch verbandelt, der ein liberalkonservatives bild der schweiz hatte. er kam als talentierter jungforscher nach bern, erhielt die unterstützung des nationalfonds, gründete die besagte forschungsstelle, unternahme erste forschungen zur soziologie der schweizerischen bundesversammlung und baute fächer wie wirtschafts- und sozialgeschichte an der uni bern auf. sein lebenswerk ist die monumentale geschichte der schweizerischen arbeiterbewegung.


der reformierte pfarrersohn erich gruner erhielt seine abdankung in der berner nydeggkirche (foto: stadtwanderer, anclickbar)

erich gruner nahm sich bald auch der ausbildung kommender eliten für die verwaltung an, etabliert politisch-philosophische wie auch politikwissenschaftliche lehrgänge. er war ein unermüdlicher schaffer, voll von reichhaltigen kenntnissen der schweizer- und lokalgeschichte. doch er blieb bei der faktenhuberei nicht stehen, denn er wollte ein zeitgemässes bild entwerfen, wie das schweizerische politische system begründet und strukturiert sei, und wie es funktioniert. er erkannte, dass man das allen nur verstehen kann, wenn man nicht nur von wahlen, sondern auch von abstimmungen kennt, weshalb er sich als einer der ersten mit der empirischen erforschung der direkten demokratie beschäftigte. so ist er zum vater der vox-analysen geworden, aber auch der politikberatung, indem er etwa die finanzgesinnung der schweizerInnen untersuchte, um abschätzen zu können, ob und wie die schweiz eine mehrwertsteuer akzeptieren würde.

in genau dieses forschungsfeld bin ich 1983 als mitarbeiter von erich gruner selber eingestiegen. ich habe bei ihm erfolgreich meine prüfungen absolviert (der historische teil bestand aus der frage: “was ist zeit”, der politologisch aus der kritik eines weltwoche-artikels über das damals neuen parteiprogramm der sp), und wurde ein jahr darauf angefragt, als assitent für ihn zu arbeiten, mit dem auftrag, die nationalratswahlen von 1983 zu untersuchen, und die vox-analysen eidgenössischer volksabstimmungen zu betreuen. so habe ich den weg zur empirischen analyse der schweizerischen politik, die mich bis heute nicht losgelassen hat, gefunden.

doch nur ein jahr später trat erich gruner altershalber zurück, regierte von zuhause aus aber noch weiter, und hatte ein kleines team, bestehend aus hans hirter, andreas balthasar und mir, die ihm seinen lehrstuhl bis zur wahl eines nachfolgers führte.

meine erinnerung an peter gilg

in dieser zeit erst lernte ich peter gilg kennen. auch er war ein pfarrerssohn, und auch er war von ausbildung aus historiker. er war jedoch weniger auffällig als gruner, stand weniger im zentrum als der institutsgründer, und wusste die studenten weniger für neues zu begeistern, als der gefragte professor gruner. aber er war ein genauer beobachter der gegenwart, geschärft mit historisch fundiertem wissen eines bibliothekars, gespitzt mit der feder eines praktisch tätigen journalisten.


zwischen 1971 und 1991 war peter gilg präsident der christkatholischen kirche berns (foto: stadtwanderer, anclickbar)

1965 gründete er mit gruner das jahrbuch “année politique”, das er leitet und zur zuverlässigsten chronik des politischen geschehens in der schweiz ausbaute. er hat 1983, als die aufkeimende grüne bewegung ins parlament einzog, als erster und mit grosser sicherheit von einem “rutschen unter der stabiler oberfläche” gesprochen, bemerkt, dass es im gebälk der regierungspartein kracht, selbst wenn man die öffentlichkeit noch nicht reif war, das zu verarbeiten. seine historischen werke hatten ihn jedoch sensibel gemacht, für die ursachen von bewegungen, für die formen und den sinn von jugendprotesten. keine hat mir so intuitiv, aber so verständlich beigebracht, dass jedes “sytem” auf einer politischen kultur verfasst ist, sie werte generiert, welche ein system prägen. und um diese politische kultur war er als aktives mitglied der neuen helvetischen gesellschaft stets auch aktiv bemüht.

mir ist vor allem seine einsicht geblieben, die er uns immer wieder vermittelt hat: wenn sich die gesellschaftlichen werte aber zu wandeln beginnen, dann führt das zu spannungen mit den institutionen, aus denen soziale bewegungen schöpfen, weil sie ihre neuen vorstellungen von politik, moral und ethik einführen. Nicht von ungefähr wandte er sich nach seiner pensionierung dem studium der christkatholischen theologie zu.

peter gilg war es auch, der mich 1984 und 1985 engagierte, nicht nur umfragen zu volksabstimmungen zu machen, sondern jedes jahr sechs monate in zeitungen zu wühlen, offizielle dokumente zu studieren, und meinungsbildende schriften zu konsultieren, um die folgen des wertewandels nicht nur für die grüne bewegung zu sehen, sondern auch für die energie- und verkehrspolitik, für das parteien- und verbandssystem. politische kultur im wandel, ein forschungsprojekt, das ich am ende der 80er jahre für den schweizerischen nationalfonds durchführen konnte, hat er, wie kein anderer, gedanklich reifen lassen.

meine erinnerung ans damalige fsp

die zusammenarbeit mit gruner und gilg war eigenartig. für gruner schrieb ich meinen politikwissenschaftlichen erstling, eine analyse der grossratswahlen im kanton aargau. besprochen hat er die arbeit kaum; zu peter gilg in seine studierstube im obstberg hat er mich verwiesen, wo ich eine gründlich kritik von inhalt, methode und sprache erhielt. gruner selber sagte mir nach der prüfung nur, er hätte die arbeit gelesen, bemerkt, dass sie sehr gut sei und noch völlig ungeschliffen sei. den fehlenden schliff musste ich mir bei peter gilg holen; bei erich gruner bekam ich dafür die assistenzstelle, die mein berufsleben entscheidend prägen sollte.


“vom galgenfeld zum henkerbrünnli und zurück”, beschrieb peter gilg seinen arbeitesweg kurz vor der pensionierung, der ihn vom berner obstgarten zum alten tierspital führte (foto: stadtwanderer, anclickbar)

die arbeit am damaligen forschungszentrum für schweizerische politik war indessen unsicher. die wirtschaftsfakultät, die über das zentrum wachte, wollte es bei der pensionierung von gruner in ein politoekonomisches institut umwandeln, oder abschaffen. dem damaligen direktor peter gilg hat das stark zugesetzt. europäisch-geisteswissenschaftlich wie er ausgebildet war, konnte er sich mit den aufkommenden amerikanischen theorie des rational czhoice nicht gross anfreunden, wurde immer mehr in die defensive gedrängt, und erkrankte schliesslich schwer.

rettungsanker in der schwierigen situation war schliesslich leni robert. die regierungsratswahlen 1986 bescherten dem bernischen regierungsrat erstmals eine rot-grüne mehrheit, und die abtrünnige freisinnige zog als vertreterin der freien liste ins berner regiment ein. sie übernahm zielstrebig den posten der erziehungsdirektorin und mischte sich direkt in die unipolitik. erich gruner, wie auch peter gilg, setzten ihr hoffnungen die grüne regierungsrätin, der es schliesslich auch gelang, die komplexe nachfolge zu regeln, sodass aus dem fsp, wie das zentrum damals noch hiess, heute das ipw, das institut für politikwissenschaft geworden ist.

zwei pioniere finden ihren platz im historischen lexikon

eigentlich wollte ich das historische lexikon der schweiz besprechen, band 5, schwerpunkt “g”. das werde ich so schnell nicht schaffen, was keine missachtung des hohen wertes ist, den dieser band wie alle anderen in dieser serie hat. aber ich bin abgeschweift, zu meinem gelebten historischen lexikon der schweiz, dem damaligen forschungszentrum für schweizerische politik, das mich dank den pionieren erich gruner und petr gilg gelehrt hat, politologie, soziologie und geschichte zu verbinden, um gegenwart aus sich und aus der vergangenheit zu verstehen. dafür sind erich gruner und peter gilg wie niemand anders mein lebender beweis, selbst wenn sie jetzt beide gestorben sind. sie haben mir und anderen etwas beigebracht, das aus der heutigen optik recht selbstverständlich erscheint. vor 20 jahren, als sie beide wirkten, was das aber noch bei weitem nicht der fall. es waren zwei forscher, zwei professoren von menschlichem und fachlichem format, wie man sie sich heute vermehrt wieder wünschen würde.

stadtwanderer

das historische lexikon der schweiz (hls) auf dem web

historisches lexikon der schweiz, hgg. von der stiftung historisches lexikon der schweiz (hls), band 5, basel 2006

bald alles für die füchse?

lieber thomas fuchs,

da sind sie aber bös erwischt worden.

es ist ja bekannt, dass sie gut sind in der besetzung von domain-namen in der eu. jetzt werden sie von einem noch schlaueren fuchs düpiert.

die ja-seite bei der volksabstimmung für das neuen berner “tram-west” wirbt auf internet rücksichtslos mit ihrem namen. wer sie als treffendsten gegner des tramausbaus sucht, und nur einen klitzekleinen bindestrich in ihrem namen vergisst, ist gleich bei der anderen seite! schauen sie selber nach!

da sollten sie unbedingt reagieren, sonst ist bald alles für die (stadt)füchse!

gruss

(aufmerksamer) stadtwanderer

und meine aufmerksamkeit entdeckte die berner mediengruppe alsbald:
artikel espace.ch