ode ans kopfsteinpflaster (1)

müsste man ein porträt der europäischen kleinstadt machen, würde man es mit kopfsteinpflaster grundieren. denn die pflastersteinstrassen, die pavés, die clobbet streets und die kleddstengatarna sind das leben in der stadt, egal, ob sie in der schweiz oder schweden stehen. doch sie sind nicht nur orte der verbindung und des austauschs in der vergangenheiten; sie sind das auch heute noch. sie haben der zeit getrotzt. wer glaubt, sie seien dabei alle gleich geblieben, der täuscht sich mächtig. sie sind jung und alt, haben farben und formen, sie duften und stinken, und man kann ihren klang hören. sind waren früher meist unförmig; während sie heute in der regel quadratisch sind.


foto: stadtwanderer (anclockbar)

gäbe es keine stadtpläne und landkarten, man würde an ihnen eine stadt erkennen und den weg weisen können. denn pflastersteinstrassen sind unverwechselbar: sie sind, wo immer man auch hinschaut, die elemantare beziehung zwischen stadt und mensch. man braucht nur ein wenig fantasie, historische, politologische, soziologische und psychologische, um sich das leben mit ihnen vorzustellen: eine ode ans kopfsteinpflaster, das der stadtwanderer schon ein wenig vermisst.

stadtwanderer

vorwärts zu teil 2 (zur geschichte der pflastersteine)

vorwärts zu teil 3 (zur politologie der pflastersteine)

vorwärts zu teil 4 (zur sozialforschung der pflastersteine)

schluss mit pflastersteinen

räume sehen und lesen lernen

der raum erobert sich seinen platz in der geschichte zurück. er wird wieder historisch gelesen. zwar besteht er aus strukturen und verbindungen. doch breiten sich soziale verhältnisse nicht einfach statisch. Sie breiten sich aus, sodass der raum die zeit repräsentiert. Sie setzen kulturelle grenzen, sodass der raum herrschaft spiegelt. Und all das zerfällt in historischen momenten, sodass der raum schauplatz der geschichte ist. denn geschehenes ist konkret, weshalb es nicht nur eine zeit, sondern auch einen ort hat. diese verständnis der geschichtsschreibung führt nicht zuletzt zum vater der geschichtsschreibung, den griechen herodot, zurück. ein antiquiertes vorgehen?, fragt der historiker karl schlögel keck seine die zunft. diese möchte am liebsten nicken. doch der autor hält so kräftig dagegen, dass man schon fast etwas verschämt wegsieht, oder beigeistert ist. wie der stadtwanderer, – auseinandersetzung mit herodot und seine folgen, – 2. teil!

folge 1

die dialektik von raum und zeit

die historikerInnen nach herodot haben dem epos der früheren geschichtserzählung eine radikale absage erteilt. mythen, legenden und sagen sind für sie keine quellen mehr, denn sie verzichten auf zeit. vergangenes wird zwar berichtet, aber nicht historisiert. es fehlt dem epos das bewusstsein vor ein vor- und ein nachher. es spielt in der ver-rückten vergangheit. doch der raum lehrt uns, dass die zeit ein vor- und ein nachher hat. sie entsteht aus der unwiderruflichen bewegung der gestirne, und sie kann eingeteilt werden, sodass gerichtete und gemessene zeiterfahrung entsteht. deshalb hat sich die geschichtsschreibung die chronik ins zentrum gerückt, und sie mit fragen an die Vergangenheit verbunden, die als geschichte erhellen soll.


legende „,mensch und raum (I)“:
wiege der menschheit – wahrscheinlich beginnt alles an einem ort und erfasst von da in einer million jahre den raum der ganzen erde, abbildung von oldoway (bild anclickbar)


legende „menschen und raum (II)“:
land genommen – überwindung der erde durch die eroberung des weltalls durch die usa, abbildung des fusstritts von armstrong (bild anclickbar)

so gut das ist, so einseitig ist es auch. Denn die historiker haben den zusammenhang von raum und zeit weitgehend vergessen. vielleicht überschreiten wir erst jetzt, mit der globalen kommunikation, die gebundenheit an den ort, sodass wir die bewegung als zeit erleben. vielleicht werden wir uns dessen dafür auch gerade jetzt wieder bewusster. das losgelöste hat seinen platz im internet, weil es ubiquitär ist. doch selbst da vermuteten man neuerdings örtliche bezüge und gibt atlanten der philosophie heraus. da mag es nicht überraschen, dass auch die raumgeschichte heute in blüte steht.

die kritik an der gegenwärtigen geschichtsschreibung

zum gewohnheitsrecht der historischen zünftler sei es verkommen, geschichte nur entlang der zeit zu erzählen, kritisiert karl schlögel. postmarxist genug, fordert er die beschäftigung mit dem sein wenn’s ums bewusstsein geht. das wird zwar nicht mehr materialistisch gedeutet, aber dennoch als kampf. denn schon fernand braudel sagte in seiner meditéranée, der raum sei der „Feind Nummer eins“ des menschen. und daraus leitet schlögel ab: menschliche geschichte ist ein kampf gegen den horror vacui, sie ist die unentwegte anstrengung zur bewältigung des raumes, seiner beherrschung, seiner aneignung und seiner überwindung. bis dahin ist es aber ein weiter weg, der zum programm der geschichte erklärt wird.


legende „islam und christentum (II)“:
expanison des fränkisches reich bei der krönung pippins, 751, bis zum tode seines sohns karl, 814, gestoppt durch das emirat von cordoba (bild anclickbar)


legende „islam und christentum (I)“:
expansion des kalifats vom tode mohammeds, 632, bis zu den rückeroberungen durch die macedonische dynastie das byzantinische reich, 867 (bild anclickbar)

selber hat der osteuropa-historiker schlögel „seinen“ Faum x-fach bereist. 48er Jahrgang, hat er noch in „Moskau“ und dem damaligen „Leningrad“ studiert. 1990, nach der wende, wurde er ordinarius in frankfurt an der oder. und er ist ein fan von herodot! wie dieser den raum des vorderen orients kannte, kennt schlögel russlands raum, über den er als journalist, essayist und wissenschaftler berichtet(e ), aus dem effeff. ja, er ist medienschaffender, künstler und professor in einem, der dem konkreten in all seinen facetten zugewandt ist. die zeit, schreibt er, erfasse die menschliche existenz nicht ganz. hierfür brauche es auch den raum. sein und handeln, tun und lassen sind immer konkret, was eine gleichzeitige reflexion über zeit und raum bedinge. und hierfür zitiert er friedrich ratzels satz: „Im Raume lesen wir die Zeit“, der dem buch den titel gegeben hat, das hier angezeigt werden soll.

einheit von ort, zeit und handlung wieder ernst nehmen

karl schlögel will herausfinden, was geschieht, wenn man geschichtliche vorgänge immer auch als räumliche und örtliche denkt und beschreibt. er versteht die welt, die er vorfindet, als ein grosses und einzigartiges geschichtsbuch, das zu lesen er bestrebt ist. lesen bekommt dabei einen neuen sinn: gelesen werden mit diesem band zwar vorwiegend texte wie in andern büchern auch. die texte schlögels sind aber nicht gelesene texte, die andere autoren zu anderen autoren verfasst hatten. sie sind gegenwärtig. denn sie sich aus der eigenen anschauung entstanden. die fast 50 versuche, die der band vereinigt, sind im wahrsten wortsinn originell. und sie sind, so der autor, die paradigmatische form der erkundung und erschliessung.


legende „bedrohung und befreiung der europäischen zivilisation (I)“:
niederlassung der magdyaren in pannonien, streifzüge zwischen 899 mit der schlacht von brenta bis 970 mit der schlacht von arcadiopolis als ost/bewegung (bild: anclickbar)


legende „bedrohung und befreiung der europäischen zivilisation (II)“:
auswirkungen der französischen juli-revolution 1830 auf belgien, hannover, braunschweig, hessen, sachsen, die schweiz und parma, modena und bologna und polen als west/ost-bewegung (bild anclickbar)

schlögel schreibt zu seinem innovativen unterfangen: „Immer wieder erweist sich der Ort als der angemessene Schauplatz und Bezugsrahmen, um sich einer Epoche in ihrer ganzen Komplexität zu vergegenwärtigen.“ denn nur der ort verbürge komplexität. deshalb habe er ein vetorecht gegen die von der disziplin und von der arbeitsteiligen forschung favorisierte parzellierung und segmentierung der historischen themen. o-ton des autors: „Der Bezug auf den Ort enthielt insgeheim immer ein Plädoyer für eine histoire totale – wenigstens als Idee, als Zielvorstellung.“ daraus ergeben sich, so schlögel, neue darstellerische register und narrative, die der einheit des topos geschuldet seien.

topografisch zentrierter geschichtsschreibung gefordert

topografisch zentrierte geschichtsschreibung leitet sich direkt aus dem gestand ab. dafür hat schlögel einen neuen quellenbegriff geprägt: die antworten auf seine fragen findet er zunächst in fahrplänen und adressbüchern, auf landkarten und grundrissen. mit denen erkundet er seine städte und landschaften, jedoch nicht als tourist, der informationen sucht, sondern als historiker, der die repräsentationen des raumes, der distanzen und der zentren zu entziffern gelernt hat. sie beinhalten für ihn wie symbolbilder auch momente der geschichte und vorstellungen der herrschaft. sie sind darstellungen der kultur. und darum geht es in der raumgeschichte.


legende „konventionelles und unkonventionelles leben (I)“:
pilgerwanderungen auf den jakobswegen seit dem mittelalter, mit santiago de compostella als ende an der peripherie (bild anclickbar)


legende „konventionelles und unkonventionelles leben (II)“:
casanovas reisen durch das europa des 18. jahrhundert, als netzwerk der städtischen zentren (bild anclickbar)

eingeleitet werden sie durch das kapitel „Die Wiederkehr des Raumes“, welches die absicht und das vorgehen des buches ausführt. dann kommen die neuen formen des historischen arbeitens an die reihe: „Kartenlesen“ und „Augenarbeit“ heissen sie. den repräsentierten raum im grafisch zu erkennen und ihn mit dem wissen des historikers wieder erstehen zu lassen, ist sein ding. Denn es geht ihm um erinnerung an gesehenes, aber nicht nur als touristenerlebnis, sondern als zivilisationsgeschichte. diese sieht er namentlich im letzten kapitel des buches, „Europa diaphan“ genannt, in bewegung. dabei geht es ihm um das entstehen der geschichtsschreibung, die den nationalstaatlichen rahmen hinter sich lässt und den kontinent als ganzes zu denken beginnt. generationen von historikerInnen werden auf diesem platz arbeiten, bis sie europas zeit im europäischen raume lesen können, prophezeit der historiker.

ein juwel in herodots sinn

zu diesem anregenden Buch schrieb (ausgerechnet) die „Zeit“, es sei „von tiefem Ernst und grosser Leichtigkeit, ein Pamphlet und eine Spurenlese, dicht und werthaltig. Nur zu glänzen, ist schon ein Menge; dieses Buch glüht von innen.“ und das ist nicht zu viel versprochen, selbst wenn die glut nicht ohne vorsicht angerührt werden sollte. denn mit diesem Juwel der neuen geschichtsschreibung muss man zuerst umgehen lernen. „Uebungen“ schreibt der meister hierzu, und fügt gelegentlich auch „Anläufe“ und „Aussichten“ bei, wenn er sein unterfangen beschreibt. und er bleibt im bild: die lektüre gleiche der seefahrt ins ungewisse. sie orientiere sich an den ufern, an den kaps und an den bergen, denn einen kompass der raumgeschichte gibt es noch nicht. deshalb, so der autor, verkündet das buch auch keine lehre, keine methode und keine ergebnisse. doch das macht nichts aus! man legt es, gelesen, zur seite und ist voll von anregungen, was im raume alles steckt, wenn man sich nur genügend bildet, um ihn endlich zu verstehen.


legende „traum und wirklichkeit (I)“
jahrtausendwende – ort und stelle der zerstörung des american dreams, abbildung von ground zero am 11. september 2001 (bild cnn, anclickbar)


legende „traum und wirklichkeit (II)“
allzeit – unaufhörliche ausbreitung des christentums zur bevölkerungsreichsten kirche, abbildung vom petersdom in roma (bild anclickbar)

in seiner letzten übung, der vorläufigen krönung, zitiert schlögel dann herodot. nicht als uebervater, auch nicht als anachronismus führt er ihn ein. vielmehr bereist er mit ihm sein moskau. mit dem pater historiae gleichsam auf dem roten rplatz rekapituliert er seine these: ein eigenständiges werk habe dieser geschaffen, aus einem hauptstrang mit vielen verzweigungen bestehend, die über das zentrale register der geschichtsschreibung zusammengehalten werde: über den augenschein. Geschichte sei bei ihm immer in raum und zeit erzählt worden, weshalb er die kernbegriffe des historischen könnens nach herodot aktualisiert: „istorie“ sei das eigene erkunden, „autopsia“ das eigene anschauen, „idein“ wiederum ist das schauen und „theoria“ die anschauung.

des stadtwanderers kleine würdigung


der raum lebt vom konkreten. doch er wird in den historischen quellen repräsentiert. auch wer keinen augenschein genommen hat, darf das nicht vergessen! deshalb muss man auch quellen sezieren, lernen karten lesen, bilder zu deuten und grafiken entziffern. erst dann sieht man, was war, und kommt so zu einer bildlichen vorstellung der vergangenheit. genau das lehrt, die einheit von raum und zeit wieder zusammen zu denken und zu beschreiben, – anders als es die historischen zunft heute tut. so das spannende lesebuch von karl schlögel.


Legende „fluss in der landschaft“
der fluss steht still, doch das wasser fliesst. bewegung entsteht erst, wenn die elemente wie das wasser des flusses, wie die handlungen der menschen auf raum und zeit bezogen werden. ohne dies ist alles statisch, gibt es keine geschichte (bild anclickbar)

à suivre. stets und überall.

Schweden-wanderer

Karl Schlögel: Im Raume lesen wir die Zeit. Ueber Zivilisationsgeschichte und Geopolitik, Fischer Taschenbuch Verlag 2006 (Erstausgabe: Carl Hanser Verlag, München/Wien 2003)

illustrationen: schweden-wanderer

wenn der rhein erzählt – und burgund hinhört

brilliant, wie er formuliert.
frappant, wie er alle lügen straft.
eklatant, wie wenig er bei uns gelesen wird.

das alles trifft auf lucien febvre zu, den französischen historiker, der von 1878 bis 1956 lebte und professor am collège de france war. gemeinsam mit marc bloch gründete er 1929 die heute berühmte historische zeitschrift “annales”, mit der die herausgeber zuerst die französische geschichtsschreibung, dann aber auch das historiogrphie weltweit revolutionierten. mit den annales haben die zahllosen autoren, die darin publizierten, die geschichte zur „histoire totale“ gemacht. dabei war febvre vor allem für die neuere geschichte zuständig.


portrait des historikers lucien febvre, 1878-1956 (foto: schweden-wanderer)

doch lucien febvre hat sich nicht einfach an die vom deutschen christian keller (cellarius) propagierte einteilung in alte, mittalterliche und neue geschichte gehalten. er hat auch skizzen gemacht, wie die historie totale diesen dreiklang neu eintönen muss. dabei verlangte er viel: er schrieb ein buch zu „Das Gewissen der Historiker“ und eines zu „Der neugierige Blick“. und beides ist programm, das er in seiner bemerkenswerte „Geschichte des Rheins“ ausführte: der fliesst nicht erst seit der reformation von luther und co.; er wurde nicht erst ein bedeutsamer strom, als karl der grosse die länder links und rechts von ihm beherrschte, und er trennt menschen nicht erst, seit caesar romanen und germanen schied. der rhein verlangt geradezu die totale: ueber die zeit, über den raum, und über die kulturen hinweg!

das beispiel der annales schule

lucien febvre hat das buch 1931 geschrieben. zunächst war es eine auftragsarbeit für eine bank. dann wurde es zum exemplarischen text der annales-schule, und heute ist es, auch ins deutsche übersetzt, als buch greifbar. wer sich für synthesen interessiert, kommt hier voll auf die rechnung. geboten wird zivilisationsgeschichte. geklärt wird das verhalten der kirche, der klöster, der städte, der herrscher, der nationen. geschrieben wird über das leben in einer zeitspanne von mehr als 2000 jahren. in diesem buch wird gezeigt, wir der rhein eine strasse ist, eine natürliche grenze, die mal rassen schied, auf deren basis die romania und die barbaria entstanden. doch dann kamen fermente, die im wahrsten sinn des wortes die gegensätze überbrückten: die kirche, die städte und die fürsten, die nach macht streben, – und es kamen die nationalstaaten, die die alte natürliche und kulturellen grenzen wieder auferstehen liessen.


foto: schweden-wanderer (anclickbar)

dem buch gerecht zu werden, ist gar nicht so einfach! denn sein thema entzieht sich allen gängigen gliederungen. es fliesst geradezu. so wie nur die ufer den strom begrenzen, begrenzen zwei buchdeckel den inhalt. so, wie der rhein immer wieder neuen raum erobert, erobert sich das buch immer neuen themen. zwar hat es eine feste form, und doch ist der inhalt immer wieder neu.

lucien febvre nannte das buch eine skizze: eine kurzform der geschichte. weil sie komprimiert werden musste, schrieb er demonstrativ keine zusammenfassung. alles, was das steht, ist nötig, um die geschichte eines naturphänomens, eines gesellschaftsfaktors und vieler menschenleben zu erzählen. erzählen ist dabei das richtig wort: all jene, die glauben, erzählte geschiche komme in der histoire totale nicht mehr vor, straft er lügen. seine rheingeschichte ist in recherche und bericht über kultur, wirtschaft, gesellschaft, politik zugleich, die durchwegs brilliant erzählt wird. man staunt, dass dieses buch nicht bekannter geworden ist, nicht mehr gelesen wird von chur bis utrecht.

die kostprobe der erzählkraft

ein kostprobe kann ich mir nicht verkneifen. eine wunderbare erzählung will ich hier wiedergeben, nicht zuletzt, weil die begebenheit bis nach bern ausstrahlte, um 1470 zum zweikampf zwischen adrian von bubenberg und niklaus von diesbach, zwischen dem burgunder- und der franzosenpartei führte. es ist ein portrait von philipp dem guten, der selbst in berns gerechtigkeitsgasse defilierte. doch es ist keine lokalgeschichte, denn bern liegt nur am zubringer des rheins und febvre schreibt totale geschichte. so ist es ein wurf zur geschichte des rheinlandes im späten mittelalter, eine sequenz der europäischen geschichte, die einschneidend so vieles andeutet, ohne es einlösen zu können. man ist am ende des 100jährigen krieges, der wie kein anderer die energien zwischen dem französischen und englischen königshaus band. als er endlich vorbei war, schuf man neue konzepte für europa. kreativ war das haus valois, das das herzogtum burgund beherrschte und von hier aus ausdehnte. schon kündete das alte mittelreich aus fränkischer zeit seine rückkehr an, und schon stellte man sich die frage, wer der neue kaiser sein sollte. der arme habsburger in wien, der hinterlistige könig in paris, oder die herzöge aus dijon? um seine antwort zu entwickeln, nimmt lucien febvre das gemälde „die anbetung der heiligen drei könige“ aus der bayrischen staatsgemäldegalerie hervor, das von rogier van der weyden, dem burgundischen hofkünstler, gemalt worden ist. und dann erzählt er in einem fluss …


bilderläuterung als erzählkunst, eine kostprobe des könnens von lucien febvre am beispiel der anbetung der heiligen drei könige, dem gemäldtevon rogier van der weyden für philipp den guten, herzog von burgund (foto: schweden-wanderer, anclickbar)

ueber herzog philipp den guten und das rheinland (S. 136-139)

„Am Ende des 15.Jahrhunderts hatte ein ironisches Schicksal ein letztes Mal den rheinischen Ländern den trüben Spiegel einer fernen Vergangenheit vorgehalten – und ihnen ein Angebot zugeflüstert. Mit der Stimme mächtiger und reicher Fürsten – nämlich der jüngeren Valois-Linie:; Philipp der Kühne, Johann ohne Furcht, Philipp der Selbstsichere und Karl der Kämpferische, die sich von ihren älteren Vettern, den Königen von Frankreich, so arg unterschieden -, vor allem aber mit der Stimm des „guten Herzogs“ Phillip hatte das Schicksal den politisch uneinigen, aber eine grundlegende kulturelle Einheit verspürenden Stadtbürgern einen ruhmreichen Namen zugeflüstert – den einzigen, unter dem die verschiedensten Länder am Rhein jemals zusammengeschlossen waren: Und es wiederholte ihn: Lotharingen.

Zu dieser Zeit schien die Nachfolge der Habsburger, die seit Albert II. an der Spitze des Reiches standen, offen. Dem steinreichen Herzog von Burgund gehörte das blühende Flandern; er besass die kostbarsten Gewänder und Geschmeide, und er verstand es am besten, sich eindrucksvoll in Szene zu setzen: darüber hinaus besass er eine kräftige Armee. Der träge und genussreiche Friedrich III., der beim Morgengrauen verschämt aus den Städten floh, die ihn empfangen hatten, weil er seine Schulden nicht bezahlen konnte, hatte dem nicht entgegenzusetzen. Seine einzige Macht lag in Oesterreich, sein Hauptquartier war Innsbruck, und seine Alpenroute ging über den Brenner. In den Augen der rheinischen Bürger, die von den Handelsbewegungen zwischen Lombardei und Nordsee lebten und sich ganz selbstverständlich am Septimer, am Gotthard und auch am Sankt-Bernhard orientierten, sprach dies alles gegen ihn.

Der Herzog von Burgund hatte alles, um zu gefallen. Und er gefiel auch allen. Den Rittern, die wehmütig ihren Niedergang kommen sahen, bot er berühmte Turniere, triumphale Waffengänge und altmodische Formeln, also ein etwas abgenutztes, völlig künstliches Ideal, das sich jedoch wie selbstverständlich im ritterlichen Gründer des Ordens vom Goldenen Vlies verkörperte. Für die zugleichmystischen und realistischen Stadtbürger spielten drei Dinge eine Rolle: Zunächst einmal die devote Religiosität des Burgunders, seine Fastenzeiten, seine Almosengaben, sein leidenschaftlicher Marienkult. Dann seine Vorliebe für derbe Ausdrücke, für die erzählten und erlebten Cent nouvelles nouvelles. Und zu einer Zeit, da die Menschen vom Ueberfluss träumten und alle ihre Phantasien auf den verführerischen Orient gerichtet waren, da sie den reichen Marco Polo zu den Wundern Asiens begleiteten oder mit Gadifer de la Salles und Jean de Bethencourt zu den Kanarischen Inseln segelten, zu einer Zeit, da Pilger vor der Alterwand von Gent ein Lamm verehrten, das mitten in einem realen oder imaginäre Wald voller wunderschöner Palmen, Zypressen und Pinien stand (so dass man unwillkürlich an einen Märchenwald dachte, „wie in Indien“, in dem merkwürdige Tiere lebten, während der grosse Herzog Philipp mit seinen Anhängern den „Fasanen-Eid“, das Kreuzzugsgelübde gegen die Türken, ablegte); in dieser Situation griff der Burgunder nun den Gedanken des Kreuzzuges wieder auf und schickte Hugo de Lannoy und Bertrandon de las Broquière aus, um ihn vorzubereiten. Dadurch erboberte er sich das übermütige Brügge und die Herzen aller Ritter, die von wilden Jagden träumten, ebenso wie die aller Bürger auf der Suche nach hohen Gewinnen.

Wer nie die Macht der Gewohnheit und die Festigkeit der Bindungen bedachte, die sich im Alltag zwischen den Menschen herausbilden, konnte nun am Rhein für einen Augenblick seiner Phantasie freien Lauf lassen und glauben, dass in Kürze am Bergfried die Stunde des Burgunder fröhlich schlagen würde.

Als er dann erschien, als er 1454 in Begleitung seiner Gesandten die Verbannten in die Städte zurückführte, Konflikte beilegte und schlichtete, begann ein Triumphzug durch Deutschland. Kein Stadtbürger, der jetzt nicht in seiner eigenen Sprache wiederholte, was auch die Schaulustigen von Paris murmelten, wenn sie diesen schönen Reiter an der Spitze eines goldenen Zuges sahen: „Das ist mal ein menschlicher Fürst! Er sei gesegnet, und alle, die ihn lieben ebenso! Was ist dagegen unser König, was für ein armer Mensch, der sich nur mit einem grauen Rock kleidet und nichts so sehr hasst wie die Freude!“

Erinnern wir uns hier an die Anbettung der Heiligen drei Könige, die Rogier van der Weyden für Sankt Kolumba zu Köln malte. Der alte krieende König, der auf diesem Bild ehrerbietig die Füsse des Christuskindes küsst, ist nämlich kein anderer als Philipp der Gute. Und der junge starke König in seinem weiten Mantel, der sich hinter ihm verbeugt und wunderbares Geschmeide in beiden Händen hält, ist sein Sohn Karl der Käümpferische (le Bataillard), den wir den Kühnen (le Téméraire) nennen. Märchenhafte Könige also, die an die Ufer des Rheins, in die grosse Handelsstadt kommen, um ihre Schätze darzubringen. Berühmte Könige, die das alte Wort der Karolinger wieder aussprechen, das den Rheinländern so lange am Herzen lag: Lotharingen.

Als nun Philipp der Gute von Friedrich III. ein Königreich dieses Namens forderte, hatte er nicht die Absicht, mit dem Schwert einen bunten Flickenteppich zu schneidern, also die am ganzen Rhein verteilten Herrschaften unter ein burgundisches Joch zu zwingen. Das war eher eine moralische als eine territoriale Frage. Da der Burgunder, wie Chastellain sagte, „zwar kein König war, aber den Mut eines Kaisers hatte“, wünschte er sich einen Titel, der ihn sowohl aus der Lehnsabhängigkeit von Frankreich befreite, als auch seinen Vorstellungen von Rittertum und Kreuzzug entsprach. Es ging im nicht nur um eine Krone; als man nämlich die Möglichkeit eines Königreichs Brabant erwähnte, lehnte er hochmütig ab. Er wollte einen Titel von historischem Gewicht, einen Titel, der eine Hegemonie legitimierte und auch dem Kaiser gegenüber etwas darstellte – eben darum ging es dem Burgunder. Seine Herrschaft sollte vor allem eine moralische und mythische Dimension haben. Ihre Grenzen mochten verschwommen bleiben, und ihre Anwendung sollte leicht fallen. So würden auch die Rheinländer eher zu gewinnen sein. Obwohl der Herzog sie von zwei Seiten her, von Norden (den Niederlanden) und von Süden (dem Oberelsass), unter Druck setzte, bedeutete sein Lotharingen für sie nicht bloss eine stärkere rechtliche und politische Bindung, sondern in erster Linie eine Ausstrahlung einer gemeinsamen Kultur:; französisch genug, um reich und geachtet zu sein; aber auch rheinisch genug, damit die Menschen am Rhein ihre uralten Lebensweisen und Gefühlswelten darin wieder erkannten.
Dieser Traum währte nur kurz …“

ganz schön dramatisch, wenn lucien febvre den rhein zu sprechen bringt, wenn er die geschichte des burgunders erzählt, der grossartig lotharingen wieder auf erstehen lassen wollte und dessen sohn ebenso unglaublich daran scheiterte …
stadtwanderer

schweden-wanderer

Lucien Febvre: Der Rhein und seine Geschichte. Herausgegeben, übersetzt und mit einem Nachwort von Peter Studer, Campus Verlage, Frankfurt/New York 1995

herodot – vater der geschichtsschreibung

geschichte soll lehren, meinte der grieche herodot, und verfasste vor fast 2500 jahren erstmals nicht nur ein epos oder eine chronik, sondern ein philosophisch inspiriertes geschichtswerk. der weit gereiste historiker, geograph und völkerkundler in einem beeindruckt bis heute, selbst wenn seit den römern bis heute vielfältige kritik an seinen historien aufgekommen ist. eine erste kleine auseinandersetzung mit der prioniertat der gelebten geschichtserzählung, – aus den ferien des stadtwanderers, – folge 1!

gelebte geschichte, egal ob erzählt oder geschrieben

als ich geschichte studierte, kam er nicht vor. die geschichte der geschichte begann mit dem historismus, der deutschen form der geschichtsphilosophie. dieser entstand anfangs des 19. jahrhunderts als abgrenzung zum wirken napoléons. für die historiker des historismus sind die staaten und männer die treibenden kräfte in der geschichte. diese ist denn auch in hohem masse politische geschichte. anders als in frankreich und england hat sich die geschichte in deutschland lang nicht mit der sozial-, wirtschafts- und kulturgeschichte befasst, die ich im verlauf des studium doch noch kennen lernte.

seit wann man geschichte hat, erzählt und schreibt, interessierte mich ebenfalls gegen ende des studiums, und so begann meine beschäftigung mit der theorie der geschichte. ich wählte das sogar als prüfungsfach bei walther hofer. auch er war ganz dem historismus verpflichtet, wenn auch in modernisierter form. und mit ihm konnte man so herrlich streiten, und in dieser dialektik wurden einem these und antithese bewusst, egal wer sie vertrat. Damals war meine ablehnung des historismus klar, und das führte mich in anlehnung wie in den späten 70er üblich von der historischen sozialwissenschaft zur soziologie und schliesslich auch zur politikwissenschaft und meinungsforschung.

das interesse an diesen fragen ist bis heute wach geblieben. und dabei gegnete ich ihm doch noch: herodotus, dem vater der gelebten, erzählten und geschriebenen geschichte, der von 484 bis 425 vor unserer zeitlebte, und der mit seine historien eine neue gattung in der griechischen literatur begründete. Wohl ist er nicht der begründer der geschichtswissenschaft, aber er ist der begnadete erfinder des weltlichen geschichtsverständnisses.

leben, werk und würdigung von herodot

schon herodots leben war für seine zeit spektakulär: er wurde in halikarnassos in kleinasien (heute bodrum in der türkei) geboren. schon als junger mann unternahm er viele und lange reisen nach persien, aegypten, babylonien und ans schwarze meer. dort lernte er die vorderorientalische welt kennen, die ihren höhepunkt schon hinter sich hatte. mit dem ganzen erfahrungsschatz, den er so gesammelt hatte, schloss er sich einer gruppe von stadtgründern an, welche das süditalienische thurioi entstehen liessen. um 450 verliess er seine gründungsgemeinschaft, um als gelehrter nach athen zu gehen, wo er mit den grossen seiner zeit, sophokles und perikles, in kontakt trat. hier – oder in thurioi – ist er auch gestorben.

seine lebenserfahrungen fasste herodot zunächst in kleinere, in sich zusammenhängende geschichten, später logoi genannt. diese trug er als erstes in der öffentlichkeit vor, sprach auf athens plätzen so, dass er interessierte zuhörer fand. seine anhänger waren ihm wichtig, und ihre reaktionen auch, denn sie lehrten ihn, den geschichten eine form zu geben, die lebendig und fest zugleich war. so entstand ein geschichtswerk aus der praxis, als sammlung von eigenen ansichten und traditionen, mit denen herodot gross geworden war. bis heute ist sein 9bändiges lebenswerk im buchhandel und (teilweise) auf internet gefragt.

cicero, der grosse rhetoriker, der führende politische gegenspieler von caesar und der glücklose verteidiger der römischen republik, lobte herodot als „vater der geschichtsschreibung“, tadelte ihn aber auch als „erzähler zahlloser märchen“. diese ambivalenz in der würdigung des weltreisenden, des stadtgründers und des gelehrten herodots ist bis heute geblieben. niemand kommt an ihm vorbei, wenn man die geschichte der geschichte ausrollt, doch alle rümpfen ein wenig die nase.

der philosophierende tausendsassa

warum das? herodot war zunächst ein tausendsassa, ein pionier in vielen gebieten. er befasste sich mit politischen fragen, verglich verfassungen und gab ratschläge, was gut und schlecht ist. er verstand sich auch als geograph, der vorgab, wie die welt und ihre karte auszusehen haben. und er war ein völkerkundler, der seine, aber auch fremde kulturen durch eigene anschauungen kannte. das alles machte er mit verve, was in seinem erzählerischen talent bis heute zum ausdruck kommt.


karte: die welt als insel, gezeichnet nach den vorschlägen herodot, im 5. jahrhundert vor unserer zeit. die konturen und proportionen rund um das östliche mittelmeer und das schwarze meer, die herodot von seinen reise her kannte, stimmen auffällig gut. wo der augenschein jedoch fehlte, stimmen auch die angenommenen verhältnisse sichtbar schlecht.

sodann verfasste herodot seine geschichte nicht als epos und wirken der götter oder als chronologie und gedächtnis der herrschenden. nein! erstmals verband mit herodot ein historiker seinen bericht mit einem philosophischen thema. Denn es ging ihm um die frage, wie es kommen konnte, dass persien, dass über dem alten vorderorientalischen gleichgewicht der mächte in aegypten, babylonien, medien und lydien zu einer imperialen grossmacht aufgestiegen war, in der schlacht von marathon gegen den stadtstaat athen verlor.


karte: verlauf des persischen krieges in griechenland, der mit dem überraschenden sieg athens endete, und der herodot zum verfassen seiner historien veranlasste. der marathonlauf erinnert bis heute an den sieg der athener 490 vor unserer zeit in der schlacht von salamis

philosophie war damals in hohem masse morallehre. und genau darum ging es herodot. dem bedenkenlosen handeln stellte er das bewusstsein für das eigene tun gegenüber. das war (und ist) nicht selbstverständlich, sondern der anfang aller selbstreflexion. seine lehre war eine art corporate governance, denn sie beinhaltete vorschriften über verantwortung, aber auch über leistung, erfolg und schuld. und: seine morallehre war eine grosse warnung vor hochmut. der gescheiterte aufstieg der perser stand für ihn sinnbildlich dafür; während athen noch rein war. doch es musste gewarnt werden, gleiches wie in den zerfallenden reichen des orients zu begehen.

herodot aus sicht des stadtwanderers


heute ist man vorsichtiger mit aussagen, wie sie herodot machte. man treibt wissenschaft; dafür kann man auf den schultern anderer stehen, die vor einem ihre lebensweisheit in den grossen diskurs um sinn und wahrheit eingebracht haben. man muss auf all dies vorher erbrachten leistungen referieren, und man kennt auch alle enttäuschungen, welche die wissenschaft ausgelöst haben.

ob die geschichte uns etwas lehrt, wird heute überwiegend bezweifelt. den moralisten und optimisten stehen skeptiker und pessimisten gegenüber. da passt herodot nicht mehr so richtig hinein.

und dennoch ist herodot, der nie geschichte studiert hat, der geschichtsschreibung wie kein anderer begründet hat. Seine kritierInnen hat er allesamt überlebt, weil er geschichte gelebt hat. Weil er sie selber verkörpert hat. Weil es sie vortragen konnte. und weil er ihr eine literarische form gegeben hat. das ist mehr, als viele gescheite chronisten heute können, oder theoretiker je zu denken wagen.

vielleicht ist das auch das unergründliche geheimnis der geschichte, die sich allen versuchen zum trotz immer wieder gegen die verwissenschaftlichung gesperrt hat. mich jedenfalls hat das schon im studium überzeugt, bei meinen damaligen lehrern walther hofer und erich gruner genauso wie bei meinen späteren vorbildern unter den schweizer historikern, walter burkhardt und jean-rudolph von salis. ohne es damals schon zu wissen: sie alle war für, während oder nach meinem studium herodots schüler, die auf mich wirkten.

für herodot waren seine historien erkundungen. er war reisender. er war wanderer. stadtwanderer. er besuchte führungen, und verwickelte seine mitmenschen in klärende gespräche. damit hat er wie kein anderer die klassisch-griechische geschichtschreibung begründet. durch ihn hat die geschichtsschreibung eine bis heute nachwirkende form erhalten. doch er überzeugte schon zu seiner zeit. er hat die alten kräfte der geschichte, die götter und die helden der vergangenheit und der gegenwart, nicht geleugnet. er hat ihre kunde jedoch mit den eigenen anschauungen verbunden, die er mündlich und schriftlich weiter gegeben hat. seine bleibende leistung ist, pionierhaft die reichhaltigkeit der kulturellen erklärungen, die seine zeit anbot, persönlich gesammelt und für die nachwelt festgehalten zu haben.


grafik: vorstellung der entwicklung der menschheit, wie sie im 20. jahrhundert karl jaspers als philosoph des westlichen und technischen zeitalters entwickelt worden ist, und zahlreiche weltgeschichtliche betrachtungen heute noch prägt.

gelebt hat herodot in einer zeit, die karl jaspers als einschnitt in der menschheitsgeschichte interpretiert hat: der achsenzeit: die alten hochkulturen, die aus den ersten zivilisationen hervorgegangen waren, hatten, wie in aegypten, ihren höhepunkt erreicht. der hellenismus griechenland war die kulturell aufstrebende kraft. mit ihm entwickelte sich gerade im 5. jahrhundert die dialektik von orient und occident, deren synthese europäische imperien entstehen liess, während ihre aufsplitterung religiöse welten begründete. Das kulturelle erwachen in der achsenzeit, das kunst, religion und philosophie veränderte, weckte herodots neugier, die ihn zu seinen geschichten antrieb, ohne zu ahnen, was aus der welt und seinen historien werden würde.

selbst einstein und der stadtwanderer zähl(t)en herodots werk zu ihrer bevorzugten lektüre. ueber sein (und ihr) grosses thema, dem krieg und dem frieden, hielt herodot für seine leser in zwei sätzen, die prägnanter nicht sein können, fest:

im frieden begraben söhne ihre väter. im krieg väter ihre söhne.

stadtwanderer

Literatur
Herodot: Historien. Ditzingen 2002

weltgeschichtliche betrachtungen

manchmal erschliesst sich einem sogenannt bekanntes ganz neu, wenn man es in der Ferne sieht. so erging es mir gestern, als ich das zähringerwerk im westlichen mittelland der heutigen schweiz in der bibliothek von ekshärad, einer mittelschwedischen, wirtschaftlich bedrohten kleinstadt, als teil der grossen weltgeschichte beschrieben sah.

die bibliothek von ekshärad


wer glaubt, wir lebten hier in värmland ganz in der pampa, der irrt! gut, im wald ist man fast für sich, und stark mit dem eigenen (ueber)leben beschäftigt. viel zeit bleibt da nicht, und grosse vorräte über den nächsten winter hinaus anzulegen. doch nur schon in ekshärad, der nächstgelegenen kleinstadt von unserem feriendomizil aus, sieht es schon anders aus. eine supergute bibliothek haben sie. da kann ich mich nach tagen voll von waldblättern wieder mal im blätterwald der bücherwelt verweilen.


bibliothek von ekshärad erinnert an die guten zeiten der schwedischen sozialdemokratie, bevor sich die folgen der globalisierung in ekshärad auszubreiten begannen (foto: schweden-wanderer (anclickbar))

diesmal hat es mir die 15bändige weltgeschichte „bra böckers världshistoria“ (weltgeschichte der guten bücher) angetan. reich illustriert ist die serie, populär geschrieben ist sie, und dennoch auf dem stand der deschichtswissenschaft. 1984 wurde sie verfasst, und sie basiert in wesentlichen teilen auf der cambridge world history. in der tat, es ist eine Weltgeschichte, – nicht einfach eine erweiterte landesgeschichte, die zu mehr stilisiert wird. die entwicklungen in asien, in afrika und in der neuen welt werden minutiös nachgezeichnet, und die europäische entwicklung ist gut eingebettet.

zu gewohntes in ungewohntem licht


grosse augen habe ich dann im band 5, bearbeitet von knut helle, gemacht. auf seite 162 ist mir eine karte entgegen gesprungen, die ich doch nur zu gut kannte. in der tat: abgebildet ist unter dem titel „zähringarnas städer i nuvarande schweiz“ (zähringerstädte in der heutigen schweiz) das gebiet zwischen neuenburger- und thunersee. und bekannte orte sind aufgeführt: burgdorf, thun, bern, oltigen, gümmenen, laupen, murten, freiburg und moudon. unglaublich!

ich lese in diesem kapitel von der europäischen entwicklung im 12. Jahrhundert. zur sprache kommen das Städtewachstum und das so ausgelöste wirtschaftliche und kulturelle wachstum: erzählt wird von carcassonne, der ersten befestigten, mittelalterlichen stadt, die es zur hohen blüte brachte, bis sie von den katholischen heeren wegen ketzertum halb zerstört wurde. beschrieben wird auch san gimignano, die stadt in der toskana, die man von weitem an den vielen türmen erkennt. und vorgestellt wird das alterwürdige köln, das in nur 75 Jahren seine bewohnte fläche vervierfachte. von diesen Einzelbeispielen europäischer musterstädte ihrer zeit geht es direkt über zu den grossen städtegründungen in england nach 1066, zum fernverkehr von frankreich zwischen paris und orléans, der zahlreiche stationsstädte entstehen liess. und man wird lückenlos nach bern und umgebung versetzt.


meine entdeckung: das zähringerwerk in der weltgeschichte besonders gewuerdigt (foto: schweden-wanderer anclickbar))

das werk der zähringer, die zwischen 1157 und 1191 den landesausbau zwischen emme und broye vorantrieben, wird da exemplarisch ausgeführt. die tatvolle kraft des schwäbischen adels, der sich anders als die welfen und staufer nicht mit sippenkriegen unter eingebildeten begnügte, wird da schon mal gelobt. hervorgehoben wird, dass die wenig besiedelte sprachgrenze zwischen der deutschen und französischen schweiz viel platz bot, um sie tatkräftig mit strassen und städten zu erschliessen. und nicht unerwähnt bleibt, dass das für die region und das land handfesten, wirtschaftlichen segen brachte.

selbstverständlich profitierten die zähringer davon, stiegen so zu mächtigen und reichen herzögen auf, die es bis zur schwelle der deutschen königwürde brachten, bevor sie ausstarben. hervorgehoben wird, dass das das erwachte mittelatlerliche stadtleben privilegien mit sich brachte, menschen aller art anzog, von alter abhängigkeit befreite, neue lebensformen ermöglichte, das wirtschaftliche leben stimulierte, zu neuen handelmöglichkeiten führte, und ein wenig luxus in die aufblühenden gegenden verbreitete. der Vorsprung der europäisch führenden städte in der lombardei und in flandern begann zu schmelzen. Wahrlich, eine prioniertat, in einer zeit, wo es in europa nicht einmal schubkarren gab!

wessen mosaikstein einmal zum blühen gebracht wurde, dessen wünsche gehen an alle anderen mosaiksteine!


manchmal ist es gut, das bekanntes aus unbekannter sicht und in neue umgebung zu sehen. die städtegründungen von burgdorf bis murten von oltigen bis moudon als weltgeschichtliches momentum, – das habe ich mir selber nie überlegt! zu stark ist unser fortschrittgeprägtes auge davon geprägt, dass das leben bei uns früher mühsamer war! Zu wenig sind wir mit dem blick geübter historiker ausgestattet, die auf die ganze erdenrund schauen, und die kleinen, aber wesentlichen veränderungen in einer ecke der welt erkennen.

es ist gut, aufmerksam gemacht zu werden, wie prionierhaft die 9 städtegründungen der zähringer in 34 Jahren waren; wann und wo geschieht das heute noch? in zwei generationen haben die verkannten Schwaben, (trotz einigen späteren Ausfällen) fast nur bleibendes geschaffen, und waren damit mindestens nochmals 35 jahre allen anderen adeligen in der umgebung voraus, die mit nachziehenden stadtgründungen im ganzen mittelland versuchten, ihre schwindende macht wieder zu festigen. wir in bern und umgebung profitieren von der früheren prioniertat bis heute ein wenig davon! denn unser mosaikstein wurde einmal von fremden geputzt, bis dass er glühte.


die kriche von ekshärad erinnert an den alten pilgerweg nach nidaros (trondheim) und an bessere zeiten fuer die kleinstadt (foto: schweden-wanderer (anclickbar))

und es ist schön, in ekshärad daran erinnert zu werden, – eine stadt in der provinz, kaum grösser als die meisten mittelalterlichen städte! gerade wenn man nach tagen aus dem wald kommt, kann man erahnen, was für ein toller sprung auch nur schon eine heutige kleinstadt bedeutet. man würde es ekshärad und seiner bibliothek gönnen, dass auch sie etwas vom wirtschaftlichen aufschwung durch städtegründungen spüren wurden, denn die globalisierung macht der region zu schaffen. es ist nicht einmal sicher, ob die bibliothek noch nächstes jahr da steht, wo ich meine kleine ent-deckung wenig erinnerter zusammenhänge gemacht habe.

danke für die möglichkeit einer kleinen tagesüberraschung, – und jetzt schon viel kraft, dass euer mosaikstein die krise überlebt und von neuem glänzen wird!

schweden-wanderer

bruno und edmund. von problem-bären und problem-politikern

der tod von bär bruno beschäftigt mich immer noch. in schweden, wo ich gegenwärtig meine ferien verbringe, gibt es fast ueberall bären. das hat auch vorteile: man hat es nicht verlernt, mit ihnen umzugehen. in der schweiz, und in bayern!, weiss man das nicht mehr! deshalb verhält man sich auch ziemlich barbarisch, wenn ein bär auftaucht. die analyse des aktuellsten problemfalls aus der zivilisierten optik.

vernünftig bleiben

seit einigen Jahren leben in värmland wieder braunbären. sie sind vom norden her gekommen, und sie haben sich hier niedergelassen. die jungen männchen brauchen ihr eigenes revier, und deshalb dehnt sich die wachsende bärenpopulation auch räumlich aus. zwischenzeitlich sind es sogar mehrere bären in unserer gegend.

>

gesehen haben wir die bären noch nie, weder in natur, noch medial. letzten herbst hat man hier erstmals offiziell zwei bären zum abschuss freigegeben. man wollte verhindern, dass sie sich weiter nach süden ausdehnen, – ins dichter bewohnte gebiet von schweden. ein ganz normaler vorgang für die menschliche zivilisation, die ihren lebensraum mit bären teilt.

als man die ersten bären hier wieder bemerkte, war das schon ein bisschen ein thema für die lokalpresse. doch das verhalten blieb sachlich: keine sensation, keine touristenströme, auch keine medien- und politikeraufmerksamkeiten. vielmehr erinnerte man sich an das normale verhalten gegenüber bären: an sich sind die bären eher scheu, und sie meiden den menschen. erst wenn man sie bedroht oder verführt, werden sie aggressiv. so verliess man sich darauf, dass es in schweden seit 200 jahren keine unfälle mehr mit bären gegeben hat. seit 1806 ist nie mehr eine zivilperson einem bären zum opfer gefallen. wenn es seither zu zwischenfällen kam, dann nur durch falsches verhalten, – in der regel von ungeschickten jägern.

deshalb hat man die bevölkerung bei der wiederkehr des bären auf die zentralen verhaltensregeln aufmerksam gemacht:

keiner bärin mit jungen zu nahe kommen;
keine lebensmittel unbewacht liegen lassen oder aufbewahren, und
keinem bären bedrohlich entgegen treten oder ihn erschrecken.

wenn man einen bären sieht, weiss er es in der regel schon, dass man in seiner nähe. deshalb gilt: kuehlen kopf bewahren und nicht davon rennen. geräusche von sich geben, ohne ihn erschrecken, und langsam davon davon laufen.

klar, ich weiss nicht, ob so kaltes blut hätte, wuerde ich einem bären begegnen, aber ich bin froh, solche verhaltensregeln schon mal zu kennen, wenn die möglichkeit besteht, mit einem bären in kontakt zu kommen!

schweiz: eine bären party draus machen

letztes jahr, als wir in die schweiz zurück kehrten, hatte man gerade eine riesengaudi mit dem verirrten bären aus slowenien. die sonntagspresse war voll davon, als wir in zürich landeten, und wir konnten die welt nicht verstehen. statt zurückhaltendem umgang wurde da ddie grosse bären-party gefeiert. das spektakel um den bären verführte übermütig gemachten menschen gar zur unvorsichtigen bärenpirsch. selbst gestandene vjs erlagen der versuchung: jede bewegung des bären wurde medial dokumentiert; ja, man konnte den jungbären live schritt auf tritt verfolgen. die touristenströme zur bärensafari ins engadin blieben denn auch nicht aus. die lokale 1. august-feiern verblassten, angesichts der überraschend ausgebrochenen fete.

>
engadin: der bäre auf der flucht vor den fotojägern

nicht nur die medien bemächtigten sich des bären. auch die politiker mussten sich damals zu diesem und jenem äussern, obwohl niemand eine ahnung im umgang mit bären hatten. expertenstimmen wurden zwar zitiert, gingen aber angesichts des politmedialen gross-events fast ganz unter. lernprozesse wurden kaum ausgelöst. geendet hat das fest erst, als der bär unser land verliess.

bayern: endlich ein bärenfäll verteilen können

doch seine geschwister kamen wieder: technisch gesprochen als „ jj-1“, populär als „bruno“. damit beginnt der unterschied des barbarischen umgangs mit bären zum zivilisierten. nie hätte ein bär in schweden eine journalistische taufe erlebt, nie wurde er medial „personalisiert“, und nie zur lebenden ikone stilisiert. doch damit tappte der arme „bruno“, ohne es zu merken, in die moderne bärenfalle: der bär, den jetzt jede(r ) kannte, musste staatlich-administrativ erfasst werden: ein flüchtling? ein rebell? oder gar ein sozialfall?


bayern: eines der letzten bilder des bären

nein! „bruno“ mutierte umgehend vom schad-bär, wie man bären nennt, die andere tiere reissen, zum problem-bär, das heisst, zu einem tier, das auch für menschen gefährlich ist. und das war das signal, dass alle dämme der zivilisation brechen liess: jetzt brauchte es retter, die in der not, die menschheit vor grösserem schaden bewahrt!

keiner war in bayern, wohin sich bruno verirrt hatte, so prädestiniert, zum bären-helden aufzusteigen wie edmund stoiber:

er, der 2002 das fell des bären schon verteilt hatte, bevor das tier erlegt war.
er, der sich bei den damaligen bundestagswahlen schon mal als sieger feiern liess, um dann zu merken, dass schröders koalition ein paar stimmen mehr als seine hatte.
er, der 2005 wiederum siegesgewiss die latte für merkel auf über 50 Prozent legte, um auch ohne die fdp von münchen aus über berlin regieren zu können, um dann mit ansehen zu müssen, was für ein bumerang daraus gerade auch in bayern wurder.

er, der danach trotz päpstlicher unterstützung in der versenkung seiner eigenen csu verschwunden war, hatte nun die grosse chacne: dank „bruno“ nochmals zu einem grossen auftritt zu kommen. o-Ton stoi-bär: „Nun ham wir ähm ‚n normal verhaltende Bär lebt im Wald, geht niemals … äh … raus, und, äh, reisst vielleicht, äh, ein bis zwei Schafe im Jahr. Aeh … wir haben dann einen Unterschied zwischen dem normal sich verhaltenden Bär, dem Schadbär, und dem, äh, Problembär. Und … es ist ganz klar, dass … dass … dieser Bär … ein Problembär ist.“

rhetorisch wenig brilliant, sag ich da! aber kommunikativ ein glatter treffer! was dann kam, ist bekannt: der bär musste erlegt werden! und: endlich bekam edmund mit brunos haut ein bärenfell zum verteilen, ohne dass es eine demokratische wiederrede geben konnte!

die moral von der geschichte

ich bin froh, dass wir hier in schweden nicht so aufgebracht reagieren, wenn ein bär auftaucht. und dass wir, „äh, … keine politiker haben, … äh, die sich, … äh…, wegen ihren eigenen fehlern, ähm, noch etwas beweisen müssen, und … äh, so, … ganz klar, … zu problem-politikern werden!

bären-wanderer
(mit nägeln in der blechbüchse, wenn er allein im wald wandert)

bären in schweden (dt/sw)

mit meinen neuen favoriten unterwegs

habe viele bemerkungen gekriegt, zu meiner rubrik “mit meinen neuen favoriten unterwegs”. betroffene haben sich bedankt, ausgelassene haben sich empfohlen, und interessierte haben es als interessante dienstleistung an die blogosphäre verwendet. werde deshalb meine favoriten auch inskünft immer anfangs monat festlegen, und wie in meiner jugendzeit, als ich noch hitparaden hörten, aufzeigen, wer welche position inne hat resp. im vormonat inne hatte!

1. weiach (1)

unverändert unschlagbar das beste, was es für politisch-historisch interessierte stadt- und dorfwanderer gibt. ich bewundere die gabe, auf fast nichts, nichts weniger als eine täglich spannende kolumne schreiben zu können.

weiachblog

2. blogkritik.ch (neu)

hatte ja ein kleines intermezzo mit der redaktion von blogkritik. niemand mag sie, und doch schauen alle hin. denn es gilt in der kleinen bloggerszene das gleiche wie im literaturzirkus: schlimmer noch als verrissen zu werden, ist es ignoriert zu werden. weiter so, blogkritikerInnen, sie schaffen mit ihren rezensionen hilfreiche orientierungen in der szene!

blogkritik

3. ignoranz.ch (3)

interessante seite zur politisierung des alltag, nicht der hohen politik, aber der alltagspolitsich. wohl eher links, letztlich aber unkonventionell erfrischend. gegen ignoranz gerichtet, und voll von spannenden anregungen gegen die trägheit im alltag.

ignoranz.ch

4. blogwiese (7)

sprachsensibilität entwickelt man meistens dann, wenn man eine sprache erlernen muss. hier ein aufmerksames, einfallsreiches und höchst aktuelle sblog zu helvetismen aus deutscher sicht. selbst ich lerne da noch viel, was woher kommt und was es eigentlich meinte!

blogwiese

5. kulturstattbern (4)

bern – langweilig! nein, sag ich da. nicht wegschauen! hinschauen! dies ist der beste blog über das kulturleben in bern. kinokritiken, künstlerkritiken, stadtkulturkritiken. und viele bilder. meist gebrauchsfotografie. aber auch spezialfotografie über orte, die man sonst übersieht. von der zeitung “der bund” gesponsort (gegenwärtig ohne chefredaktor)

kulturstattbern

6. wanderer von arlesheim (neu)

wurde mit empfohlen, zurecht! geboten werden skizzen zur arlesheimer kultur, geschichte und natur. es wird gewandert, geschaut, und gefunden. und darüber wird berichtet. mein aufsteiger des monats!

wanderer von arlesheim

7. rhetorik

unverändert die beste seite zur (politischen) kommunikation. fast tägliche updates, aktuell, geistreich, gepflegtes layout. hohe kunst der instant vermittlung von informationen, eigentliche pflichtlekütre für alle, die insbesondere die medienrhetorik durchschauen wollen.

knill+knill kommunikationsberatrung

8. marcel bernet (neu)

bin per zufall, der aber system hat, darauf gestossen. gut gemacht, aktuell und informativ. klar, eine werbeplattform für die eigene firma, aber eher diskret. man kann sich auch verweilen, ohne kaufen zu müssen. marcel bernet hat mich wegen seinem neuen buch zum interessenten gemacht.

marcel bernet

http://www.bernetblog.ch/

9. edemokratie (8)

höchst anspruchsvolle seite, mit vielen informationen und kurzanalysen eines politikwissenschafters (aus bern!), der sich der politsichen kommunikation via intrnet verschrieben hat. gelegentlich etwas brav, gelegentlich aber auch experimentell. offener, liberaler geist, der die debatte sucht.

edemokratie

10. medienzirkus

medien bestimmen, was uns bestimmt. und sie verändern sich schnell. gut, dass es da blogger gibt, die versuchen, genau die veränderungen der bedingungen unseres alltagsdenkens zu beschreiben. medienzirkus der beste davon, den ich kenne.

medienzirkus

stadtwanderer

alles zu: “mit meinen favoriten unterwegs”

eiertanz der historiker

um dieses bild aus der berner geschichte machen die allermeisten historiker einen weiten bogen. diebold schilling hat es in seiner chronik veröffentlicht, und auch kommentare dazu geschrieben. doch seither schweigt man über den grössten skandal im mittelalterlichen bern: es duellieren sich zwei menschen, ein mann und eine frau, und der sage nach hat die frau den mann besiegt. was nur ist geschehen?


quelle: diebold schilling, spiezer chronik (um 1480)

der chronist schilling nimmt eine alte geschichte zum anlass für dieses bild. um 1288 soll es in der stadt zahlreiche veränderungen gegeben haben. es belagerte der deutsche könig rudolf I. bern, da man sich, eingebunden in eine burgundische opposition, weigerte, steuern zu bezahlen. rudolf erschien im sommer zweimal vor bern, belagerte die stadt vom heutigen krichenfeld aus, setzte über die aare in die matte, die damals noch nicht zur stadt gehörte, und versuchte, die holzstadt von westen her in brand zu stecken. das alles misslang vorerst gründlich, und könig rudolf musste erfolglos von dannen ziehen. ein jahr später kam jedoch sein sohn rudolf, der sich herzog von schwaben nannte, erneut nach bern, lockte die übermütigen städter auf der schosshalde in eine falle und besiegte die trutzige stadt im handstreich ausserhalb der mauern. bern musste nun die steuerschulden begleichen, blieb aber reichsstadt.

in bern kam es zu tumulten, wohl auch zu totschlägen gegen eigene leute. um die kriegsschulden bezahlen zu können, borgte man sich geld bei den ansässigen juden; diese bezichtigte man jedoch schon bald darauf, einen rituellen knabenmord begangen zu haben, und man verwies die juden der stadt. die schuldscheine, die man bei ihnen hatte, wurde vernichtet, und so waren die steuern indirekt bezahlt worden. erst 1293, nach fünf turbulenten jahren, gab der neue deutsche könig, adolph, der stadt eine neue verfassung, die es ihr erlaubte, aus den aufständen heraus zu kommen, und im namen des deutschen königs eine eigene bündnis- und territorialpolitik zu entwickeln.

was nun aber wird mit dem bild dargestellt? zunächst eine schöne starke frau, die einen schwachen ritter besiegt. doch was war damit gemeint? was ist der anlass? was ist das aussergewöhnliche? was waren die folgen? über all das weiss man wenig!

sicher hat der chronist schilling die personen aus seiner zeit, dem ende des 15. jahrhunderts, dargestellt. nur schon die frauenkleidung verweist darauf. 1288 wäre es undenkbar gewesen, dass frauen in bern eng anliegende und auszeichnende kleider getragen hätten. das kam erst mit dem frivolen 15. jahrhundert auf. und war selbst 1470 noch ein skandal. die burgunderin, jeanne de la sarraz, die frau des schultheissen adrian von bubenberg kleidete sich so, und sie wurde vor ein sittengericht zitiert. unbotmässig ihr freches verhalten?

der anlass für den zweikampf, der nach damaligem selbstverständnis immer auch ein gottesurteil brachte, muss aussergewöhnlich gewesen sein, dass ein chronist rund 300 jahre später die begebenheit in der matte erneut erzählt. vor allem aber, dass sich eine frau gegen einen mann durchgesetzt hat, scheint sich tief in die berner seele eingeprägt zu haben.

waren die frauen stärker als die männer, oder mutiger als die männer, oder vernünftiger als die männer? all das weiss man nicht. eiertanzen, das lernen die meisten historiker, wenn sie vor solchen bildern stehen!

also frage ich: was nur ist geschehen, 1288 in bern?

ich weiss es auch nicht! ich hoffe aber, dass sie, geneigte leserin, geneigter leser, sich in der sommerlichen hitze einmal zeit nehmen, und ihren kommentar zum speziellsten bild aus berns geschichte schreiben! werde aus der ferienferne beobachten, was für inspirationen das bild hergibt. und welchen beitrag wir leisten können, dass die historikerInnen bern zu einem erkenntnisfortschritt kommen!

stadtwanderer

tromp loeuil – berner kuriositäten (3)

ja, bern hat viele kleine gassen. da kann es schon mal sein, dass man keine sonne abbekommt. dass es einem zu dunkel ist. und dass es einem zu eng wird.

gerade in der ferienzeit habe ich viel verständnis dafür. und ich habe mein auge auf die sonne, die die enge nicht erreicht, ausgerichtet.

keine angst, es gibt keine grosse reportage über die innere und die äussere enge mehr, auch nicht über die mattenenge und das mattenenglisch. das alles folgt später.

die ferienkuriosität in berns gassen, die am besten zu meinem heutigen interesse passt, findet sich in der postgasse.


sieht man hinein oder hinaus? das ist die frage, schaut man in der postgasse an die wand.
foto: stadtwanderer

da eröffnet sich einem an der hauswand ein grosses fenster, und man blick über die dächer in die ferne.

ist man jetzt drinnen oder draussen? man wähnt sich in einem haus, und schaut hinaus, doch ist man draussen, und schaut – eben nicht hinein!

das ganze ist eine witzige augenstäuschung. nichts stimmt hier, und dennoch bekommt man das bild gern. man blickt nur an einem hauswand, die bemalt ist. der ganze rest ist einbildung. fata morgana in bern, oder heimischer ausgedrückt: ein tromp d’oeuil.

das ist vielleicht viel ernster gemeint als es tönt. denn städte sind räume. städte grenzen sich ab, vom umland, früher durch mauern, heute durch umfahrungsstrassen. städte haben eine gesetze, früher durch privilegien, heute durch die urbane lebensweise. schliesslich lebte es sich in städten gedrängter als auf dem land: früher durch die trutzige bauweise, heute durch die vielen menschen.

man sagt auch: in die stadt gehen, in der stadt sein. stadtleben, das ist drinnen, nicht draussen.

und weil ich soviel drinnendraussen bin, wenn ich stadtwandere, tausche ich sie für einen monat mit der weite der schwedischen wälder.

waldwandern statt stadtwandern ist angesagt!

schöne zeit in der schweiz! keine angst, ich schreib gelegentlich, über bären, wölfe und elche, und wie man ganz ordentlich in ihrer nähe leben kann, hoffentlich …

der (ferienhungrige) stadtwanderer!

aufmerksamer stadtwanderer

nun schreiben die zeitungen darüber. dass der berner justitia die hand abgehackt worden sei. weil die sda berichtet hat. und weil die stadt informiert hat. doch aufmerksamer als die medienprofis war der stadtwanderer. fast schon ein lehrstück in medienkommunikation, der umgang mit dem fehlenden schwert.

chronik der geschichte

ich habe die altstadt gern, und ich schaue sie mir immer wieder von neuem an. bekanntlich halte ich mich auch gerne in der begegnungszone der unteren altstadt auf. darüber habe ich ja schon berichtet.

da wirft man schon mal ein auge auf den gerechtigkeitsbrunnen, nicht zuletzt, weil meine stadtwanderung zur demokratiegeschichte genau dort startet.

und so habe ich dienstags gesehen, dass der justitia das schwert fehlt. die waage und die augenbinde sind noch da, doch das dritte zeichen der unabhängigen justiz ist verschwunden. also bin ich genauer schauen gegangen.


foto: der bund

ich sah zu meinem schrecken, dass auch die rechte hand weg war. ausgerechnet, die schwurhand, hätte man im mittelalter gesagt, ein böses zeichen! amputierte gerechtigkeit in der stadt bern?, war meine etwas zeitgemässere interpretation der symbolik.

die kleine anfrage

ich verfasste eine e-mail an die stadt bern. da der stadtpräsident selber häufig in der altstadt anzutreffen ist, dachte ich mir, sei schon alles paletti. ich bekomme ein klar auskunft. also schrieb sich der kommunikationschefin beatrice born:

liebe beatrice

bin heute durch die stadt gewandert, habe gesehen, dass die iustitia kein schwert mehr hat. hat das eine besondere ursache, die mir entgangen ist, oder ist etwa die gerechtigkeit in bern amputiert?

danke für die nachhilfe!

gruss

stadtwanderer

gleichentags erhielt ich folgende antwort. so wusste ich, dass sie es nicht wussten! schlecht beobachtet, alex!

Lieber Claude

Nein, nein, der Gerechtigkeit wird nachgelebt…..Aber: tatsächlich – ein Augenschein bestätigt, dass das Schwert immer noch fehlt. Ob das Schwert der Brunnenfigur in Reparatur ist, oder gar Vandalen am Werk waren, sind wir am abklären. Wir geben Dir umgehend Bescheid.

Besten Dank für den Hinweis.

P.S. Käme gerne einmal an eine Deiner Führungen, sie wurden mir sehr empfohlen. Wann geht die nächste über die Bühne?

Lieber Gruss, Beatrice

die kommunikationschefin der stadt bern auf meiner tour? das ist eine referenz. da hat sich die anfrage schon mal gelohnt! und schnell und nett war die antwort auch, bis auf eins …

zwischenruf: ist das politisch-historisch korrekt

doch wer war nun der schäder? der scherenschleifer von bern, der die gerechtigkeit wetzte? schon möglich, den gerechtigkeitssinn könnte man aber andern orts besser schärfen! also wenig wahrscheinlich.

die vandalen, wie die stadtkommunikation vermutet? daran glaube ich eigentlich nicht!

die vandalen sind, wie meine vorfahren, die burgunder, ein ostgermanisches wandervolk. sie waren im norden, dem heutigen grenzegebiet zwischen deutschland und polen sogar nachbarn gewesen. im 5. jahrhundert kamen teile beider völker an den rhein. wahrscheinlich im jahre 407 überschritten sie ihn massenweise. die burgunder war nicht so reiselustig, sie bleiben grad auf der anderen flusseite, bei worms, während die vandalen die frühen mittelmeerfahren par exellence sind. schnurstraxs wanderten sie quer durch frankreich, zur grossen überraschung der spätantiken senatoren, bischöfe und latifundienbesitzer. die germanen galten generell als invasoren, als barbaren, als ungepflegte.

sie blieben nicht in gallien, hinterliessen dort aber einen mächtigen eindruck. vorübergehend sesshaft wurden sie erst in südspanien, woran andalusien (arabisch für: vandalisch) heute noch erinnert. schliesslich setzten sie bei gibraltar über, eroberten nordafrika, vertrieben dort den kirchaeti augustinus und bildeten unter ihrem könig geiserich einen eigenen herrschaftsbereich. das eroberte karthago machten sie zum hauptsitz ihres königreiches.

dass sie dabei in bern vorbeigekommen wären, ist historisch nicht belegt. das also spricht gegen die vermutung aus der stadtverwaltung. und solange fehlt das schwer garantiert nicht. zwar tappt man im dunkeln, wer es war, wann es geschah. doch wurde es 2006 schon mehrfach bezeugt.

also doch vandalen?

die vandalen gingen 555 im krieg gegen den christlich-byzantinischen kaisers justinian unter. sie sind aber 1237 jahre später wieder auferstanden. in unseren köpfen.

kaiser justinian griff zu den üblichen mittel der diffamierung von volksgruppen, gegen die man krieg führte. das ist heute noch so, wenn auch leicht abgewandelt, wenn man miteinander tschuttet.

so setzte sich der eindruck fest, nur sie seinen unbändige germanen gewesen. nur sie hätten in halb europa geplündert. und nur sie hätten sich an tollen orte des römerreiches ohne kaiserliche erlaubnis niedergelassen. gipfel der stigmatisierung: sie seien menschenfresse gewesen!

ich will gar nicht bestreiten, dass sie das alles, das eine oder andere gemacht haben. ich bestreite aber, dass sie sich ganz anderes verhalten haben als die kelten (menschenopfer), als die römer (schlachtenopfer) und als die christen (ketzeropfer).

ich will die vandalen als ein geschichtsvolk, das im 6. jahrhundert wegen seinen fähigkeiten, schiffe zu bauen und zu führen sowie korn anzubauen und zu verkaufen das ganze westliche mittelmeer beherrschten.

auf ihren seit justinian notorisch schlechten ruf sind 1792 die reaktionäre zurückgekommen. die französischen revolutionäre hatten ihre lieblingsfeinde in der geschichte, die sie stellvertretend für die damalige aristokratie lächerlich machten: die merowinger, insbesondere könig dagobert musste daran glauben. man sang das lied des blöden dagos, der nicht mal in der lage war, seine eigene hose richtig anzuziehen, und am liebesten auf einem ochsenwaagen umherzog, von einem bordell zum andern. da gaben die reaktionäre mit gleicher münze zurück: die vandalen seien die vorbilder der revolutionäre gewesen. wiederum schlug man das geschichtsvolk, meinte aber mit jedem satz die damaligen revoluzzger, die in paris zum terror und zum königsmord übergegangen waren.

waren also revolutionäre hier? haben sie justitia geschändet. und sitzt die reaktion wieder im erlacherhof. ist wieder 1831? kommen die verschanzten aristokraten wieder hervor? führen sie krieg gegen die liberalen?

nein, nein, bern ist heute friedlich. die schweiz ist aus der wm ausschieden. vorühergehend sorgte das für ausgelassene stimmung in der stadt. doch seither ist es für berna-normalbewohnerInnen wieder viel zu heiss.

nach meiner meinung kann nur sein, dass sich die stadtverwaltung verschrieben hat, ein politisch inkorrekter raus gerutscht ist.

fortsetzung der chronik der geschichte

ich bedanke mich per mail höflich für die antwort, – bei der kommenden kundschaft!

hej

ja, das ist gut so, und auch gut, wenn ich bescheid weiss. ich wurde nämlich schon gefragt, denn eine meiner touren beginnt ja tatsächlich bei diesem brunnen, und dann muss halt alles stimmen.

wegen führungen: ich gehe am freitag bis am 1.8. nach schweden, waldwandern statt stadtwandern! also gibt es nichts von mir geführtes in bern.

im august habe ich zwei führungen, sie sind aber mit geschlossener gesellschaft resp. ausgebucht, und die übernächste ist sicher am 22. september. da hats auch platz! das ist aber die kleine tour (demokratiegeschichte), zirka 17 30 bis 20 00. wenns irgendwie geht, mache ich am 2.9. eine grosse tour, durch die ganze stadt, von 9 bis 17, und da wärst du natürlich auch eingeladen, quasi ehrengast.

gruss

stadtwanderer

so, nun habe ich das auch gleich allen interessierten mitgeteilt, wann ich weg bin und wann ich was mache. fast schon ein wenig ein kommunikationskünstler!

anderntags, also gestern, erhielt ich dann folgende, offizielle mitteilung der stadt.

Sehr geehrter Herr Longchamp

Herzlichen Dank für Ihr Mail und Ihre Information zum Gerechtigkeitsbrunnen.
Die Stadtbauten Bern als Besitzerin des Brunnens ist seit letztem Montag über das fehlende Schwert informiert. Sie werden in Kürze Strafanzeige gegen Unbekannt einreichen. Der Schaden soll raschestmöglich behoben werden. Die Stadtbauten werden deshalb die Figur demnächst wieder in Stand stellen.

Mit freundlichen Grüssen
Marcel Cuttat
Abteilung Kommunikation

tja, unglaublich, da war jemand noch schneller informiert als ich. und glaubte, man müsse das nicht mitteilen, es werde unter dem deckel bleiben. weit gefehlt!

die geschichte wird publik

immerhin, ich war nun offiziell informiert, bevor man offiziell die sda informierte, und die offiziell die öffentichkeit informierte.

gestern abend war dann auf dem ticker von www.espace.ch mächtig was los:

Justitia erneut geschändet
Der Justitia auf dem Gerechtigkeitsbrunnen fehlt die rechte Hand mit dem mächtigen Schwert. Die Behörden tappen im Dunkeln.
Noch ist nicht bekannt, was genau passiert ist. Klar ist nur, dass von der abgeschlagenen Hand und dem langen Schwert jede Spur fehlt, war bei der Medienbeauftragten Stadtbauten Bern, Dagmar Boss, zu erfahren. Man habe bei der Stadtpolizei Anzeige gegen Unbekannt eingereicht.

gut, so knapp und korrekt wie nur möglich!

der bund wurde gleichenorts noch etwas genauer.

… grrrrr!

Vor 20 Jahren wurde die Göttin vom Sockel geholt. Der damalige Anschlag erregte in der ganzen Schweiz Aufsehen. Die jurassischen Jungseparatisten (Béliers) bekannten sich nicht direkt zur Tat, begrüssten aber, dass die «Berner Justiz zu Fall gebracht wurde». Zehn Jahre später wurden die kleineren Figuren des Brunnens beschädigt.

tja, ist der patzer wieder, die vandalen, die schänder, kaiser justinian, die reaktionäre, könig dagobert, die unterhosen, die revolutionäre (sans-culotten) und die königsmörder! das alles funktioniert als assoziationskette einfach wie am schnürchen!

immerhin ein paar nützliche tipps zur geschichte der figur bekam man dann mitgeliefert:

Nach dem Anschlag von 1986 wurde die 443 Jahre alte Originalfigur in minuziöser Kleinarbeit zusammengeflickt. Sie ruht seither wohl verwahrt im Museum.

bravo, sag ich da!

die moral der geschichte

so, und heute nun melden sie, die zeitungen und die blogger. alle sind empört!

ich auch! aber schreibe nicht einfach anderen journis ab. vielmehr gehe ich wandern. in der stadt bern. da erfährt man jeden so viel. ich behaupte sogar: stadtwandern ist die beste recherche! werde das am maz – der journalistenschule, wo ich unterrichte, verbreiten müssen.

mit etwa geschick werden aufmerksame stadtwanderer sogar zu informanten der stadtverwaltung. und wenn die kommunikationsabteilung es weiss, informiert sie ordentlich, und dann funktioniert das bekannte spiel. agenda.setting nennt man das schon mal!

und am ende hat man dabei sogar noch mögliche kundschaft gemacht.

hej, journis: sitzt weniger an eurem computer, recherchiert weniger in andernen zeitung. macht selber mehr beobachtungen, kommt mit, beim stadtwandern!

bitte lasst auf jeden fall die untergegangenen völker wie die vandalen in ruhe!

stadtwanderer

quelle: harald haarmann: lexikon der untergegangenen völker, beck verlag, 2005

die quelle: harald haarmann: lexikon der untergegangenen völker, beck verlag, 2005

ritter oder staatsmann, diplomat und pleitier: wer nur war dieser adrian von bubenberg

bis heute ist die würdigung von adrian von bubenberg nicht einfach: für die einen ist er ein vertreter einer privilegierten junkerfamilie geblieben, die unter ihm im wirtschaftlichen bankrott endete. kein staatsmann also, aber ein haudegen, der bern vor dem burgundischen überfall bewahrt hat. für anderen ist er der wahre ritter, burgunder aus gesinnung, der sogar gegen seinen jugendfreund karl der kühne kämpfte, als dieser bern militärisch bedrängte, dann aber auf deeskalation der krise setzte und die beziehungen zu den diversen schlachtengegner pflegte. was nun stimmt?

die begegnung mit dem biografen

seit jüngstem bin ich mitglied des berner historischen vereins. so bin ich auch an die 160. jahresversammlung nach ins gegangen und bin als erstes karl f. wälchli. was für eine ehre! der ehemalige kantonsarchivar, der verfasser vieler schriften über den kanton bern, einer der besten kennen der hiesigen geschichte, dem stadtwanderer direkt gegenüber sitzend!

habe natürlich sofort zu schwärmen begonnen, von köniz, wo wälchli lebt, das heute sein burgundisches geheimnis bewahrt. da hatten wir schnell ein gemeinsames thema: selbst wälchli sagt, man sei der alemannen-story in bern erlegen, und man habe das burgundische in bern vergessen gemacht. es sei heute einfach nicht mehr präsent!

uns verbindet aber noch mehr: adrian von bubenberg. ich bin angezogen, weil ich mein büro gleich neben dem denkmal habe und am morgen gelegentlich mit ihm über gott und die welt rede; karl wälchli ist interessiert, weil er 1979 eine biografie über den stadtadeligen und berner schultheissen schrieb.

bubenbergs lebensweg

adrian von bubenberg verstarb im august 1479, also nur drei jahre nach der schlacht von murten. wann er geboren wurde, ist bis unklar. meist wird das jahre 1434 angenommen.

sein vater heinrich war schultheiss von bern gewesen, und seine mutter anna war von rosenegg. adrian war zweimal verheiratet gewesen, zuerst, 1454, mit jacobea von neuenburg-valangin. 1457 folgte die ehe mit jeanne de la sarraz, – beides frauen aus dem spätburgundischen lokaladel! vor allem jeanne war bekannt dafür, die sitten der burgundischen höfe bestens zu kennen.

mit jeanne hatte adrian auch einen sohn, adrian II., der ebenfalls bernischer politiker und heerführer wurde, dann aber den familienbesitz verkaufen musste und den rest seines lebens in morges lebte.

adrians ritterschlag und politikerkarriere

adrian war bernischer politiker und heerführer in einer entscheidenden phase der stadt- und staatsentwicklung. noch heute ist er eine der bekanntesten historischen figuren der stadt. sein sieg in murten hat ihn unvergesslich gemacht. der weg führte allerdings überhaupt nicht direkt dorthin.

1455 wäre adrian, bereits mitglied des grossen rates und vorübergehend auch landvogt auf der lenzburg, am liebsten gegen die türken losgezogen. zum kreuzzug gegen sie hatte niemand anders als herzog philipp der gute von burgund aufgerufen. adrian hob eigens hierfür bernische truppe aus, die er nach dijon führte. dort lernte er auch karl, philipps sohn, kennen, dem er jahre später als kriegsgegner in murten gegenüber stehen sollte. doch schin das jugendprojekt der beiden missriet: der kreuzzug musste mangels beteiligung abgesagt werden.

10 jahre später, beim tod seines vaters, stieg adrian dafür in bern die karriereleiter empor. zunächst wurde er (frei)herr von spiez, dann auch mitglied des kleinen rates zu bern. um all seine jugendsünden – er war gelegentlich sogar eingekerkert – vergessen zu machen, pilgerte er als bernischer politiker nach jerusalem. am heiligen grab empfing er den ritterschlag. dreimal wurde adrian zum schultheissen in bern bestimmt. 1468 erstmals, 1473/4 erneut, und 1477-79 als schlachtensieger von murten.

adrians verbannung

doch adrian war seit seines lebens nicht unbestritten. sein grosser gegenspieler war niklaus von diesbach, ein nobilisierter kaufmann, der gleichzeitig mit ihm in die stadtpolitik eingestiegen war, der die bürgerlichen interessen wahrnahm und eine streng französische politik verfocht. im twingherrenstreit von 1470, dem eklat in der bernischen politik des spätmittelalter, gerieten die beiden protagonisten fremder interessen heftig aneinander. adrian unterlag seinem widersacher. dieser führte ab 1474 eine aggressive politik gegen savoyen, die schliesslich in den burgunderkrieg mündete.

adrian von bubenberg hat diese politik nie befürwortet. er war immer für einen ausgleich mit savoyen gewesen. am 10. juli 1475 wurde er deshalb auf betreiben von niklaus von diesbach aus dem kleinen rat zu bern verstossen. das weitere politisieren in seiner vaterstadt wurde ihm gar untersagt, sodass sich die von bubenbergs von bern angewiedert nach spiez zurückzogen.

vorübergehend schien die partie gelaufen. niklaus von diesbach schloss mit dem hause habsburg einen verbindlichen frieden. doch machte er dies nicht, um die eidgenossenschaft von weiteren kriegen zu befreien. vielmehr lag ihm daran, sie in den offensivkrieg frankreichs gegen den rivalen burgund zu führen. sichtbarstes zeichen hiervon war die kriegserklärung an das haus savoyen.

niklaus von diesbauch überlebte seinen krieg nicht. schon nach wenigen monaten wurde er in blamont beim montbélliard, nahe der heutigen französisch-schweizerischen grenze verletzt. er verstarb nur kurze zeit später in pruntrut.

adrians rückkehr aus spiez

nach der schlacht von grandson, welche die berner vorerst von einem angriff burgunds befreit hatte, brauchte es einen erfahrenen mann an berns spitze. dieser konnte nur adrian von bubenberg heissen, der aus der verbannung gelöst und als besatzer nach murten geschickt wurde.

nach seinem schlachtensieg in murten, wurde er in bern vollständig rehabilitiert. er stieg zum dritten mal zum bernsichen schultheissen auf. er führte seine aufstrebende vaterstadt so, dass ein ausgleich im innern wie nach aussen möglich wurde.

1479 verstarb er nach kurzer krankheit als amtierender schultheiss.

das andenken bern an adrian von bubenberg

sein andenken war schon damals nicht ohne schaden. die feindschaft zur familie diesbach liess sich nicht mehr begradigen. die parteiischen ansichten standen sich diametral gegenüber, aber auch die ökonomischen interessen waren unterschiedlich. die diesbachs lebten von den geldern des franzosenkönigs, hielten sich ihre klientel in bern und waren ein mächtiger lokaler wirtschaftsfaktor. demgegenüber befand sich der alte landadel auf dem abstieg, konnte den aufwendigen lebensunterhalt in schlösser wie spiez kaum mehr leisten, und musste für die eingekauften waren und dieste überall anschreiben lassen.

auch die bubenbergs erlitten wirtschaftlichen schiffbruch. zwei jahre nach adrians tod wurde die familie gar als schuldner angeklagt und erneut gebannt. selbst der papst mischte sich deshalb in die bernische politik ein. in den verhandlungen um die anerkennung des st. vinzenz-stiftes erwog dieser sogar, das ehrenhafte begräbnis adrians im chor des berner münsters aufzuheben. immerhin, das wusste der berner rat zu verhindern.

diese kontroverse um adrian von bubenberg riss jedoch bis in die jüngste zeit nicht ab. selbst am ende des 19. jahrhunderts, 500 jahre nach adrians tod, führte ein wettbewerb für eine bubenberg-denkmal zu einem aufflackern der gegensätze. streitpunkt war, ob er als unbestrittener ritter auf dem pferd oder als staatsmann zu fuss dargestellt werden solle. schliesslich entschied man sich für letzteres, wie man an der 1897 eingeweihten statue erkennen kann.

dank an den biografen

wer also war dieser adrian von bubenberg? meine these ist: er war der schlachtensieger, er war ein wahrhafter ritter, er war auch ein staatsmann und diplomat sondergleichen, und er war ein pleitier. er hatte nicht nur viele gesichter. er war vor allem eine der charismatischen persönlichkeiten berns, die bis heute strahlt. das hebt ihn von anderen ab. auch für mich.

mein dank geht an klar f. wälchli. er hat bubenberg in seiner biographie nicht verherrlicht. andere haben ihn idealisiert. er hat ihn aber auch nicht dämoninisert. er hat ihn in seinem historischen stellenwert beschrieben.

nur böse zungen können behaupten, die wälchlis hiessen eigentlich “wauche”, was auf alemannisch so viel wie (fremde) “burgunder” meint!

burgund-wanderer

karl f. wälchli: adrian von bubenberg, bern 1979

lurtigen – ein erfolgsfaktor der eidgenossen in der schlacht von murten

bass erstaunt waren die kramers, rolf und sabine. sie hatten mir soeben erklärt, dass sie von lurtigen seien; ich würde das sicher nicht kennen, denn es sei eine kleine gemeinde, abseits der welt.


die dorfstrasse von lurtigen, heute 178 einwohnerInnen fassend, vor einem halben jahrtausend durchgangsort für 24’000 eidgenössische soldaten
foto: burgund-wanderer (anclickbar)

da hatten die kramers die rechnung ohne den historiker in mir gemacht. klar, kenne ich lurtigen an der freiburgisch-bernischen grenze. es ist der wald, der das bauerndorf fast ganz umgibt, der mich an lurtigen denken lässt, und es ist die schlacht von murten, vor genau 530 Jahren, die mich dorthin zieht!

die vorgeschichte der schlacht

der burgunderkrieg begann offiziell am 14.Oktober 1475. bern und rreiburg, seit 1448 auf eidgenössischer seite miteinander verbündet, schickten dem grafen von romont den fehdebrief, was einer kriegserklärung gleich kam. die war nicht ohne, denn der graf von romont war der bruder des herzogs von savoyen, und dieser war verbündet mit dem mächtigsten herzog seiner zeit, mit karl dem kühnen. der war drauf und dran, sich die kaiserkrone zu sichern.

nur zwei tage nach dem fehdebrief die berner und freiburger von den toren von morat. sie begehrten, angeführt durch petermann von wabern und roll von wippingen, einlass.

die überraschung im savoyischen städtchen muss an diesem samstagabend gross gewesen sein. selbst die frauen beteiligten sich an der tumultösen versammlung, die über das schicksal zu entscheiden hatte. danach schied der bürgermeister rossel mysteriös aus dem leben, und der schultheiss de lavignies machte sich mit dem pferd aus dem staub.

murten ergab sich nun kampflos und kam so, am 1. november 1475, ins bernisch-freiburgische bündnissystem zurück, jetzt aber nicht mehr als zähringerstadt, sondern auf eidgenössischer seite.


die eigenossenschaft zur zeit der burgunderkriege (1474-1476/
quelle: die burgunderkriege. militärgschichte zum anfassen, bern 1999

nach der schlacht von grandson, bei der herzog karl im frühling 1476 zwar stadt und schloss erobern konnte, bei concise jedoch das feldgefecht gegen die verbündeten eidgenossen verlor, rechnete man in bern mit ein zweiten angriff der burgundischen Truppen.

adrian von bubenberg besetzt deshalb am 8. April 1476 murten, das als schwächster durchgangspunkte von lausanne nach bern galt und begann unverzüglich mit der verstärkung der stadtmauern.

nur einen monat später, am 9. mai 1476, präsentierte der burgundische herzog karl der savoyischen herzogin yolanda seine neuen truppen in lausanne. am 27. des monats war abmarsch, und am 8. Juni traf die vorhut in avenches ein; der herzog selber liess sich gleichentags in payerne nieder.

in wiflisburg, wie die berner avenches nannten, kam es zum ersten militärischen zusammentreffen, den besatzer adrian von bubenberg wagte einen ausfall seiner truppen gegen die burgundische Vorhut. nicht verhindern konnte er damit, dass diese kurz darauf vor murten stellung bezogen.

in der stadt hatten sich die berner truppen unter adrian von bubenberg und die freiburger delegation unter wilhelm d’affry verschanzt. verstärkt wurden sie durch kanoniere aus dem befreundeten strassburg.

doch vor morat stellten sich gleich drei truppenkörper auf: im nordosten die getreuen von graf jacques de romont, den löwenberg, den aderahügel und altavilla kontrollierend, im südwesten die hauptharst des burgundischen heeres samt den mitgebrachten diensten und auf hügel vor courgevaux liess sich der herzog mit seinen verbündeten aus dem italienischen und englischen adel nieder.


besetzung murtens durch die berner und freiburger truppen, die anschliessend von den burgundischen heeren belagert werden
quelle: die burgunderkriege. militärgschichte zum anfassen, bern 1999

die burgundischen truppen besetzten gleichzeitig mit morat auch Chiètres. doch dann mussten sie feststellen, dass die aareübergänge von Ins über gümmenen bis laupen fest in bernischen händen waren. also zogen sie sich wieder zurück, um murten zu stürmen.

der angriff auf die stadt wurde bald von graf jacques gegen das untere tor angeführt. dort war die stadtmauer zwischen turm und kirche am schwächsten. den Hauptstoss versetzen die belagerer der stadt am 18. Juni.

adrian von bubenberg nützte die ganze zeit die ganz besondere Lage murtens. auf dem land war er gegen die burgundische truppen machtlos. vom rathaus aus, über den see hinweg, gelang es ihm jedoch, vereinbarte feuerzeichen auszusenden, die dann von verbündeten gelesen und nach bern gebracht wurden. so war man in adrians vaterstadt informiert über die absichten der eingekesselten berner. diese rieten angesichts der übermacht mit dem angriff zu warten, bis die eidgenössischen truppen vor ort seien.

die besatzung muss hart gewesen sein. adrians berühmter spruch wurde hier geprägt. auf die damaligen verhältnisse übertragen, meinte er: wer aufgibt, wird von hinten erschlagen.


entgegen der burgundischen absicht, gelang es nicht, die schlacht auf dem plateau zu halten, sie verlagerte sich zum see, wo die burgundische reserve bei meyriez im see ertrank.
quelle: die burgunderkriege. militärgschichte zum anfassen, bern 1999

in der tat löste der sturm auf murten den bündnisfall ein. in einem gewaltmarsch kamen die ostschweizer unter dem zürcher banner von hans waldmann zum sammelplatz. die schlacht konnte beginnen.

wandern in lurtigen

ich bin heute morgen früh los. um 6 Uhr, zuerst nach bern, dann nach gümmenen. Ich bin bis dahin nicht marschiert, habe poschi und regionalbahn genommen. doch dann gings zu Fuss weiter, genauso wie am 22. Juni 1476, als die letzten eidgenössischen truppenteile in der nacht vor der schlacht bei Gümmenen übersetzten und nach ulmiz gingen, wo man sich versammelte.

von da aus verteilten sich die Krieger im staatswald oberhalb lurtigen, gut versteckt, und bei weitem nicht alle auf einem haufen, um nicht erkannt zu werden. 24’000 mann sollen sich übers wochenende im wald zwischen ulmiz, salvenach und lurtigen verkrochen haben, eine fast unvorstellbare zahl haben. es zeigten sich immer nur so viele vor salvenach, dass die burgunder glaubten, die schlacht beginne und in stellung gingen. doch dann kamen die eidgenossen nicht, und liessen den feind im dauerregen stehen. zermürbungskrieg!


einzig bäri begrüsst mich in lurtigen am morgen früh!
foto: burgund-wanderer (anclickbar)

heute ist nichts mehr zu spüren von krieg in lurtigen. es ist ausgesprochen friedlich. es hat auch nicht mehr so viele leute wie damals: 178 einwohnerInnen zählt das bauerndorf. als ich vorbeischaue, schlafen alle noch. einzig Bäri begrüsst mich vor dem dorfbrunnen.

auch bei den kramers ist noch alles zu und ruhig. schade, hatte mich auf einen kleinen Kaffee gefreut! dafür überholt mich gerade vor ihrem haus ein töffahrer, mit sturmgewehr am rücken. der will wohl ans Feldschiessen in murten. mit kommt er vor wie der letzte, verspätete eidgenosse, der aufs Schlachtfeld will!

die hauptgeschichte der schlacht

um mittag des 22. Juni 1476 hatte es endlich aufgehört zu regnen. am morgen noch hatte man auf burgundischer seite mit dem angriff gerechnet, dann jedoch mangels gegner die schlacht abgesagt.


hier verliessen die eidgenössischen truppen den galmwald richtung schlachtfeld
foto: burgund-wanderer (anclickbar)

als die letzten zürcher im wald ob lurtigen aufgerückt waren, griff hans von hallwyl, ein erbrobter deldherr aus bern, an. die eidgenossen stürmten mit geheul aus dem birchwald, übers salvenachfeld auf die feindlichen stellungen zu. 5000 betrug allein die vorhut. Ihr stellte sich, etwa dort, wo heute die strasse von salvenach nach Murten geht, ein Grünhag entgegeben. das dornengebüsch bot den burgundischen truppen, die sich auf der ganzen breite von salvenach bis burg oberburg aufgestellt hatten, etwas schutz.


vor dem wald, zwischen den heute freistehenden bäumen stand die burgundische vorhut
foto: burgund-wanderer

in der tat erlitten die eidgenossen hier ihre grössten verluste. doch gelang es der vorhut, den grünhag und die burgundischen eeihen zu durchbrechen, und die oberländer und entlebucher organisierten den aufmarsch des hauptharstes unter dem zürcher hans waldmann. Jetzt stürmten die 25’000 mann aufs feld. man war jetzt in der klaren überzahl, denn die burgunder hatten ihren hauptharst noch gar nicht mehr aufgestellt.


vermeintlicher schutz durch die natur: der 30 meter tiefe burggraben, der von den schwyzern flugs durchschritten wurde, was zum angriff von hinten führte
foto: burgund-wanderer (anclickbar)

schlimmer noch. die burgundische reiterei, bei salvenach bereit, wurde durch eine ungewöhnlich hohe zahl von kavalleristen auf eidgenössischer seite überrascht, welche die lothringer und österreicher stellten. Und beim burggraben, der als schwer überwindbar galt, setzten die schwyzer über, und griffen die dort postierte artillerie von hinten an.

das burgundische heer konnte die stellung auf dem feld ob der stadt nicht mehr halten, und wich nach hinten aus. flucht! den hang hinter! ins hauptlager! und auf die strasse nach avenches,


endlich: der blick auf murten, nachdem die front barrage gefallen war uns sich die schlacht richtung belagerer verschob
foto: burgund-wanderer (anclickbar)

hertenstein, der militärführer der innerschweizer, verliess das schlachtfeld. er folgte den fliehenden truppen nach wiflisburg, um ihnen den weg noch vor dem seeende abzuschneiden. so waren zahllose burgunder eingekesselt. ihnen blieb nur noch der sprung in den see, und in den sicheren tod! am abend war die Schlacht vorbei. jacques de romont hatte von altavilla aus gar nicht richtig eingreifen können, und musste über grosse moos mit seinen truppen fliehen.


karl der kühne hat vom holz aus gute aussichten über das geschehen, doch blieb ihm nach einem taktischen fehler nur die flucht richtung westen
foto: burgund-wanderer (anclikcbar)

man hat wenig verständnis gezeigt für das verhalten von herzog karl. non den eidgenössischen truppen im wald düpiert, von den eigenen truppen im stich gelassen, stand er auf dem bloi dominigue. die übersicht war gut, hinunter auf die stadt, aber auch nach vorne auf das salvenachfeld. Doch was sich ihm da bot, war ein riesiges desaster. er soll noch versucht haben, die ritterrüstung anzuziehen, als die schlacht am frühen nachmittag schon in vollem gang war. doch auch das kam zu spät. auch ihm blieb nur die flucht nach lausanne.

12000 mann seiner truppe soll er in murten verloren haben, während die eidgenossen 500 tote beklagten. friedenschluss zwischen der eidgenossenschaft und savoyen war am 16. august 1476. mehrere burgundische städte gingen damals in eidgenössischen besitz über.

die gefahr für die eidgenossenschaft war am abend des 22. Juni 1476 abgewendet. die eidgenossen waren die prächtigen sieger gegen den kaiseranwärter. und wurden mächtig reich dabei. für die burgunder herzöge war es die wende ins nichts, für die eidgenossenschaft die wende zum aufstieg!

adrian von bubenberg, populär gesprochen der schlachtensieger, war nicht auf der seite der plünderer und mörder. er rief zur vermittlung auf. dass ihm zahllose seiner soldaten nach nancy, wo er karl der kühne auch umkam, folgten, teilte der berner stadtadelige nicht.

st. urban bei lurtigen – wo nur stand die kapelle?

der wald ob lurtigen hat es also in sich: er war der erfolgsfaktor bei der schlacht von murten. ein menschenmenge, grösser als eine mittelalterliche stadt kann man darin verstecken, die burgundischen spione kann man so geschickt täuschen, dass die voraussetzung für einen schlachtensieg mit europapolitischer bedeutung möglich wird! tja, wer kann da noch denken, lurtigen sei abseits …

zu gerne hätte ich an diesem morgen noch herausgefunden, wo die kapelle st. urban stand. damals, am sonntagmorgen des 22. Juni 1476 hielten die 24’000 eidgenossen ihren feldgottesdienst ab, und wurde zahlreiche von ihnen zu Rittern geschlagen.


werde zurückkehren und die geschichte zu ende erzählen …
foto: burgund-wanderer (anclickbar)

leider ist das auf keiner karte mehr verzeichnet. und in lurtigen schlief noch alles, als ich zur kapelle wollte. werde wiederkommen müssen. auch um meinen kaffee bei kramers zu bekommen …

schlief adrian von bubenberg gut?

ob er gut geschlafen hatte, weiss ich nicht. als adrian von bubenberg vor genau 530 jahren erwachte, war er jedoch nicht mehr nur alt-schultheiss von bern und ritter von spiez. er war der gefeierte schlachtensieger von murten. er hatte den mächtigen herzog von burgund, karl den kühnen, besiegt. die eidgenossenschaft hatte 1476, erstmals gemeinsam, ihr bedrohtes territorium verteidigt, und riesige beute gemacht. mehrere hundert kanonen eroberten die eidgenossen in den burgunderkriegen, auch die luxuriösen tappiserien, die der herzog auf seinen feldzügen mitführte, kamen in ihren besitz, und nicht zuletzt wurden auch einige tausend waschfrauen, bisher als marketenderinnen in burgundischen diensten, damals “eidgenössisch”. das dürfte das nachtleben vom 22. auf den 23. juni 1476 kräftig beeinflusst haben.


adrian von bubenberg, vor genau 530 jahren schlachten sieger in murten. doch wer war die kriegsheld wider willen eigentlich?
foto: burgund-wanderer

ob soviel neuerwerbungen mussten sich die eidgenossenschaft neu organisieren, verpasste aber den aufstieg in oberste liga der europäischen mächte. dafür legte sie 1481 im stanser verkommnis fest, was heute noch vielorts unter dem namen föderalismus schule macht: selbständige orte, die zum schweizer bündnis stehen, sollen unabhängig von der grösse (damals oder der militärishen schlagkraft) gleichberechtigte behandelt werden.

adrian von bubenberg, dessen denkmal ich jeden tag sehe, wenn ich arbeiten gehe, war ein kriegsheld wider willen. denn eigentlich stand er auf der burgundischen seite, war mit karl dem kühnen sogar seit jugendzeiten befreundet gewesen. doch hatte er die macht in der stadt bern gegen das aufstrebende kaufmannspatriziat abgeben müssen. und dieses, streng auf französischer seite stehend, hatte dem mit burgund verbündeten savoyen den krieg erklärt, und bern so in eine militärische auseinandersetzung mit ungeahnten folgen verwickelt.

schon im ersten kriegsjahr starb bern wichtigster vertreter der politisierenden kaufleute, niklaus von diesbach, sodass adrian von bubenberg, gegen seine überzeugung, aber angesichts vorrückender burgundischer truppen zur verteidigung seiner vaterstadt ansetzte, – und gewann!

eigentlich ist es merkwürdig: ein burgundischer stadtadeliger mit bernischem stammbaum versetzte, ohne es gewollt zu haben, 1476 dem burgundischen herzogtum, genau in dem moment, als es auf dem besten weg war, zum zentrum eines neuen kaiserreiches zu werden, den entscheidenden schlag. burgund hörte nur ein jahr danach auf, als selbständiger verband zu existieren. so waren es berner burgunder, welche die über 1000 jahre dauernde, wechselvolle burgundische herrschaftsgeschichte beendeten.


viel schatten liegt heute über der figur adrian von bubenberg, dem katholischen adeligen, dem burgundischen freund, der bern nur vor den fremden truppen, nicht vor den burgundischen herzögen retten wollte.
foto: burgund-wanderer

doch auch adrian starb nur drei jahre später, und mit ihm ging die burgundische tradition in bern zu ende. niemandem, vielleicht ausser mir, kommt es heute in den sinn, bern als spätburgundische kapital zu verstehen. vielmehr begann nach adrians tod berns aufstieg in der alten eidgenossenschaft.

in sich zerstritten, konnte die siegreiche eidgenossenschaft ihre militärische kraft nie in eine politische ummüntzen. vielmehr verkauften die kriegsgewinner die eroberten gebietsgewinne gegen gutes französisches geld, und behielten sie nur randpositionen im westen, um wenigstens die zentralen strassen zu kontrollieren. regiert wurde die schweiz bis zum einmarsch der napoleonischen truppen in bern durch die tagsatzung, dem vorläufergremium des ständerates, das nicht prospektiv und aussenorientiert dachte, sondernn binnenorientiert handelte, auf der basis tradierter vorrechte der am eidgenössischsten orte unter den eidgenossen.

ob adrian von bubenberg besser geschlafen hätte, hätten seine burgunder am 22. juni 1476 gewonnen und wären sie – und mit ihnen die berner – ein bestandteil eines neuen königreichs burgund geworden, weiss ich nicht.

ich weiss auch nicht, ob europas schicksal anders verlaufen wäre, wenn nicht der dualismus zwischen wien und paris nach den burgunderkriegen die geschicke während anbrechenden neuzeit bestimmt hätte, sondern der burgundische könig mit einem mittelreich von brügge bis venedig, zu dem wohl die ganze eidgenossenschaft gekommen wäre.

“kleine burgunder geschichten” – eine serie des burgund-wanderers will die passanten des denkmals mal zum denken bringen
foto: burgund-wanderer

ich weiss nur, dass heute, den 23. juni 2006, niemand, der bei adrians denkmal in bern vorbeizog, sich darüber gedanken machte. die welle über dem berner bahnhof verlassend, haben sie sich, wie ich, der arbeit zugewandt, ohne erinnert zu werden, was entscheidendes hierfür vor gestern vor 530 jahren geschah. deshalb helfe ich ein wenig nach, – mit einer serie der kleinen burgundischen geschichten, die morgen beginnt!

sollten sie eine folge verpassen, blättern sie in meinem blog und finden sie den burgundischen faden wieder!

burgund-wanderer

schnelle kommunikationswelt

ich bloge gern. aus und über bern. und ich suche mir zusammen, was andere dazu schreiben. in meiner stichwortliste blieb ich vor kurzem bei “bernetblog” hängen und begann zu lesen. aus versehen. denn mit “bern” hat das blog eigentlich nichts am hut. es befasst sich mit der medienarbeit im netz, der online-pr in der globalen kommunikation.


quelle: www.bernetblog.ch

kurzweilige präsentation der medienarbeit im netz

dennoch habe ich mit das dort empfohlene buch “medienarbeit im netz” gekauft. aus beruflichen gründen. ich könnte ein kunde von marcel bernet public relations werden. denn ich bin institutsleiter, politanalytiker und online-kommunikator.

vom buch war ich sofort angezogen. ich habe es in einigen nachtstunden gelesen. obwohl ich viel zu tun habe, beruflich, und privat eben auch mal bloge.

das allein ist schon eine empfehlung, die mehr wert ist als jede rezension!

mehr noch: ich habe ein buch mit einem klar umgrenzten thema gelesen.
“bravo” für den autor!
das buch trifft einen nerv der zeit. nochmals “bravo” für das timing!
und es liesst sich schnell. gleich nochmals “bravo” für die machart!

ein buch zum netz, nicht ein netz zum buch

die schnelle lektüre des buches ist allerdings auch nötig. denn es wird schnell veralten. der autor selber geht davon aus, dass wir uns an der schwelle zum internet 2.0 befinden: dem partizipativen internet mit unendlich vielen treibenden. sie alle werden das netz revolutionieren.

autor marcel bernet schätzt, dass die wesentliche veränderung der arbeitswelt der letzten 10 jahre in ihrer beschleunigung bestehe. und dem setzt der autor ein buch entgegen, das entschleunigen soll. innehalten ist angesagt, um zu verstehen wo wir sind und wohin wir gehen.

das buch selber ist keine website, aber wie eine. es hat viele einzelteile. keine 200 seiten, aber 20 kapitel. es hat eine art homepage mit viel lob für die potenziellen leser als einstieg. und es hat anhänge zum auftanken, begriffe begreifen, und das hilfreiche umfeld des autors kennen zu lernen. jedes kapitel wiederum beginnt mit einer kurzübersicht. fast wie eine e-mail. was dann kommt, ist knapp gehalten, fast wie ein communique. dies ist auch gut geliedert und hilfreich illustriert, fast wie eine website. schliesslich bekommen auch die angestrebten leserInnen-typen des buches zahlreiche einstiegsmöglichkeiten. traditionalistInnen lesen es von vorne nach hinten. optionalistInnen greifen nur das raus, was sie gerade interessiert. und blogger erschliessen sich den text über das grosse register.

das massgebliche kommt erst gegen schluss …

die ersten sieben kapitel beschäftigen sich mit den trends in der heutigen pr. sie sind analytisch nicht tiefschürfend, aber äusserst praktisch angelegt. es folgen die kapitel 8 bis 14 zu den instrumenten der online-kommunikation. zur sprache kommen e-mail, sms/mms, mediencorner, podcast, weblog (2) und wiki. das meiste hiervon findet man auch unter wikipedia auch, weiss es selber, oder kennt es aus der rezeptliteratur der pr-branche.

doch das ist gar nicht das entscheidende: zum buch wird das buch nämlich erst mit dem kapitel 15. es stellt die frage: was gebrauche ich wofür? erstmals werden hier zwischen zwei buchdeckeln die einzelnen instrumente der online-kommunikation im verbund vorgestellt. und das macht sinn: kaum eine firma hat ein blog, aber keine e-mail. selten sind kommunikatoren, die podcasts zu nutzen wissen, aber auf sms/mms verzichten.

das buch ist im letzten drittel eine übersichtliche standortbestimmung der online-kommunikationskanäle. diskutiert werden push- und pull-strategien in der netzkommunikation. rss und tags werden als neue landkarten der unübersichtlichen netzwelt vorgestellt. dass alle kann man jedoch erst richtig nutzen, wenn man ein umfassendes netz-monitoring hat. um dieses zu bewirtschaften, schlägt der autor vor, die instrumente in einem ich-verlag zu organisieren.

online-kommunikation als vorhof der massenkommunikation

online-medien werden im buch medienarbeit im netz als vorhof der etablierten medien verstanden, die ihrerseits ins netz diffundieren. gleichzeitig treffen sie dort auf die relevanten anbieter. und genau das muss die online pr-beratung mit dem ich-verleger bewirtschaften. das ist denn auch d e r neue begriff, den ich bei der lektüre gelernt habe!

die instrumente werden hierzu in zwei richtungen aufgeteilt: nach der geschwindigkeit und der reichweite. am schnellsten sind die foren; doch nutzen sie bloss wenig. thematisch websites sind deutlich langsamer als das, aber besuchter. weblogs wiederum haben mehr beuscher und sind schneller. deshalb interessieren sie heute am meisten.

das ist wohl auch der grund, weshalb die vorläufig bekannten grundlagen des ich-verlages speziell ausgeführt werden: relativ günstig, unheimlich rasant und global verhängt. wer das zu nutzen weiss, kann den nachrichtenfluss auf den kopf stellen. das wunderwort ist der “dialog von unten”.

das netz selber entwickelt sich fast unverändert schnell. deshalb muss rene decartes’ berühmter satz neu geschrieben werden: “ich google, also bin ich.” und wer auf google nicht kommt, ist gar nicht mehr vorhanden. das virtuelle sein hängt vom ruf ab.

den hat man.
oder den man auf baut.
oder den man aufbauen lässt.

damit schliesst den autor den bogen, denn er einleitend eröffnet hat: die medienarbeit mit der e-kommunikation ist eine der neun unterschiedenen modi der heutigen pr-kommunikationen. sie ist, so die undiskutierte annahme des buches, die kommende. und genau deshalb braucht es trendsetterbücher wie “medienarbeit im netz”.

meine würdigung

aus meiner erfahrung als “ich-verleger” stimme ich dem meisten im buch von marcel bernet zu. ausser der ausführlichen linkliste im anhang. die hätte ich nicht gebraucht, denn die veraltet noch schneller als die tipps. ein einfacher link auf www.pronline.ch hätte da genügt.

dafür hätte man die zentralen annahmen gerne besser belegt gehabt. zum beispiel:

nimmt medienarbeit im netz weltweit und in der schweiz wirklich zu?
gerne hätte man auch die argumente ausserhalb der pr-firma marcel bernet communications gelesen!
schliesslich hätten auch die finalen thesen, die ich hier vorgestellt habe, eine ausführlichere diskussion verdient!

über strategie und zufall zu wenig gründlich nachgedacht!

marcel bernet, der autor hat mir seine grundannahme so eindrücklich wie nur möglich vorgeführt. sie lautet: in der heutigen netz-kommunikation entstehen neuen kerne der kommunikation, welche die alten der massenmedialen welt ablösen, die ihrerseits die ursprünglichen der personalen kommunikation verdrängt haben.

das stimmt! wir marcel bernet unterrichte ich am maz, am zfu und an der zürcher hochschule winterthur. doch bin ich marcel bernet nie begegnet. ich habe noch nie mit ihm gesprochen. und sein buch habe ich erst gekauft, nachdem ich ihn und sein thema im netz gefunden habe.

allerdings nicht strategisch, wie er meint, sondern aus versehen! das könnte auch ein symptom sein: vieles von dem was sie heute in der kommunikation entwickelt, geschieht nicht teleologisch, sondern zufällig, vor allem aufgrund der wachsenden möglichkeiten der online-kommunikation.

genaus so wie bei mir: denn eigentlich wollte ich stadtwandern. dabei entdeckt man halt immer mehr, als man erwartet!

internet-wanderer

die werbung zum buch

des scharfrichters sohn vorzüglich aufgeführt

geschichte boomt. man will wissen, wie es war. seinerzeit. man will hören, wer grosses geleistet hat. früher. und man will erfahren, wo die dunklen seiten sind. damals. doch der geschichtsboom bringt uns heute nicht nur eine erweiterung des bewusstseins auf der zeitachse. nein, die geschichte entdeckt endlich auch den raum: nur bei hegel war es der weltgeist, der geschichte machte. bei fast allen anderen, sind es orte, an denen geschichte passiert.


matthias zurbrügg, alias simon, der sohn des scharfrichters (regie: christine ahlborg)
foto: mes:arts

jeder ort hat seine geschichte. so auch bern. und genau diese geschichte beginnt auch zu boomen. tägliche führungen. vom tourismusverband, von stattland, vom stadtwanderer. wir alle boomen, weil einheimische und zugezogene wissen wollen, was hier war. seinerzeit. weil immer mehr touristInnen hören wollen, wer hier grosses geleistet hat. früher. und weil auch berner und bernerinnen erfahren sollen, wo hier die dunklen stellen waren. damals.

die stadt bern als theater

gesellschaftskritik ist das programm von met:arts, dem jünsten mitglied unserer kleinen geschichtsdarstellergilde. met:arts ist ein verein, gegründet von matthias zurbrügg und christine ahlborn. sie sind selbständige und unabhängige theaterkünstler. ihr thema ist berns geschichte. ihr ort ist die altstadt bern.


sehr verehrtes publikum: start des theaters auf dem rathaus
foto: copyright by b. käser

ihr theater braucht keine bühne. denn die stadt ist die bühne. geboten wird so in einem eineinhalbstündigen aussergewöhnlichen spaziergang vom rathaus über das münster in die matte und hinaus zum casino gute und lehrreiche unterhaltung. die ironie könnte treffender nicht sein: als bern 1766 das erste theater bekommen sollte, verbot die obrigkeit das unterfangen. denn bern war wohl geordnet, und dem theater ging der ruf vor aus, reichlich ungeordnet zu sein. das hatte seinen grund: samuel henzi, ein emporkömmling aus bümpliz, war dem schultheiss ein dorn im auge. er schickte ihn in die verbannung. doch da lernte der berner nicht die einsamkeit, sondern das französische theater als kunstform kennen. und schrieb selber ein stück: grisler ou l’ambition punie. es ging um machtmissbrauch, um sexuellen missbrauch durch die macht.

niemand im alten bern bekam das stück henzis, je zu sehen, denn es wurde wie das theaterhaus auch verboten. und der theatermann henzi rebellierte dagegen, verlangte, was heute selbstverständlich ist: bürgerlichen freiheiten und ein demokratisiertes wahlrecht. dafür wurde er erneut verurteilt, diemal zum tode, denn der berner scharfrichter, schlecht, aber recht vollzog.

empört über das schicksal eines intellekturellen unter der gnadenlosen herrschaft der gnädigen herren zu bern, mobilisierte die entstehende europäische medienöffentlichkeit gegen diese hinrichtung, und gotthold ephraim lessing, der deutsche aufklärungsliterat, widmete dem ganzen ein theaterstück, das unter dem titel “ein trauerspiel” als theaterfragment bis heute erhalten geblieben ist.

mes:arts erste produktion zur stadtgeschichte

des scharfrichters sohn endet nicht mit samuel henzis tod am 17. juli 1749, sondern beginnt hier. der sohn des berner scharfrichters, simon, will wissen, was sein vater tut. dann erfährt er, wie die folter menschen schändet. wie des vaters schwert des schultheissen spruch richtet. und er entschliesst sich, nicht in des vaters fusstapfen zu treten. die lechzende menge bei den hinrichtungen will er durch das interessierte publikum ersetzen, das auf den gaukler sieht, der jetzt selber theater spielt.


die stadt als grosse bühne, spazieren gehen und theater spielen
foto: copyright by b. käser

matthias zurbrügg, alias simon, spielt im theater von christine ahlborn, gleich alle rollen mit- und hintereinander. gut macht er sich als stolzer schultheiss niklaus von steiger, der mürrisch hinabsieht, wenn er von seinen untertanen spricht, der seine spitzel ausendet, um seine position zu erhalten, und der willkürliche entscheidungen trifft, wenn er will. n’importe quoi! besser noch ist zurbrügg als kecker napoléon, der vorgibt, volkes stimme zu kennen, der mit dem degen angreift, wo er kann, und der die schweiz revolutionieren will, wo auch immer er ein aristokratisches nest wittert. doch damit nicht genug: der schauspieler zurbrügg schlüpft auch in die rolle von casanova bei seinem besuch in bern, er spielt gar julie bondeli, die rousseaus gedanken im noblen könizer club vermitteln will, und er ist einer der grafenrieds, der nach new berne ausgewandert, um dort ein neues leben, auf sklavenarbeit basierend, zu beginnen.


casanova lacht alle gefängniswärter dieser welt aus, und erfreut sich an der holden weiblichkeit auch in bern
foto: copyright by b. käser

so zeichnet das stück berns geschichte station für station nach: die besuche der prominenz von aussen, die verpatzte aufklärung im innern, der einmarsch der französischen truppen vom grauholz her, der stecklikrieg gegen die besatzer in der nydegg, und die liberale bewegung in berns schummrigen gassen. sie alle kommen in des scharfrichters sohn ausgiebig zur sprache.

vorbildliche geschichtslektion für die jahre 1749 bis 1831

die texte des theaterstücks sind knapp und fliessend, die sprache ist abwechslungsreich und verständlich, und die dramaturgie ist interessant, ohne mit unnötigem abzulenken. wer sich wenig mit berns geschichte befasst, bekommt ein einfach gestaltetes schauspiel vorgesetzt, die faktentreu und unterhaltsam zugleich ist. er/sie sieht die hochwohledlen auf dem rathaus, er/sie erlebt, wie die kollaborateure das system stützen, und er entdeckt die revolutionären vorbilder bei der befreiung der gefangenen in der bastille. aber auch kenner der geschichte berns kommen beim scharfrichters sohn auf ihre rechnung: denn sie erhalten eine bildhafte vorstellung dessen, was sich wo abgespielt hat. dabei bleibt man nicht bei der erzählung, denn das ganze ist ein erlebnis. auf der bubenbergtreppe kann in der vorabendstimmung schon mal etwas atmosphäre aus dem ausgehenden ancien régime aufkommen!


hoch-wohl-und-edel: nikolaus von steiger oberserviert seine untertanen
foto: copyright by b. käser

der kern der erzählung bezieht sich auf die zeit von 1749 bis 1831. es ist die zeit des grossen umbruchs, der in bern bis heute nachwirkt. die reaktionäre verlieren den kampf, doch die revolutionäre gewinnen ihn nicht. selbst wenn man das im theaterstück als fussballberichterstattung hochspielt. aus dem unentschieden entsteht berns politkulturelle mischung im frühen 19. jahrhundert: als sieg der liberalen klasse über die konservative bastion.

unverständliche verkürzung des wegs zur gegenwart

das alles ist löblich. weniger löblich ist dagegen, wie der bogen zur gegenwart gesucht wird. 1831 ist der geschichtenfluss an der aare im “der sohn des scharfrichters” wie zu ende. simon entschwindet, und mit ihm gehen auch die anderen figur ab, die einem so schön haften bleiben.


der funke springt nicht über: sturm der bastille, aber nicht des erlacherhofs
foto: copyright by b. käser

wo man eine erfrischende pause und dann den zweiten akt erwartet hätte, geht es dann im schnellschritt durch ein kurioses sammelsurium von zusammenhangslosen stationen: so zum bundessstaat, der fälschlicherweise schon bei der gründung zur direkten demokratie erklärt wird. die notwendig gewordene demokratisierung der liberalen wird weggelassen, obwohl erst sie die freiheitsvorstellungen von heute in der bürgerlichen welt entwickelt hat. und die soziale bewegung kommt schon gar nicht vor! obwohl auch sie einen nicht individualistischen freiheitsbegriff, den des kollektivs, geprägt hat. dafür landet man unvermittelt bei der alternativen bewegung: “zaff, zaff, zaffaraya”, das gefällt den theatermachern besser, denn so ist man wieder bei der kritik des etablierte, in der nähe der fahrenden, bei den gauklern und bei der anarchischen kultur.

dürrenmatt als finale nur dramaturgisch gelungen

dramaturgisch ist der schluss genial. unter der krichenfeldbrücke angelangt, lässt der schauspieler sein staunendes publikum hinter sich und entschwindet hinter einem gitter im brückpfeiler. dort rezitiert er friedrich dürrenmatts parabel von der schweiz als gefängnis und schlägt so den bogen zu simons freiheitswillen.


kampfeslustig interveniert napoléon b(u)onaparte in der schweiz
foto: copyright by b. käser

doch das publikum fragt sich beim applaus: ist simons freiheitsprojekt missraten? ist bern ein museales gefängnis, immer noch von den alter patrizierfamilien observiert? oder ist es bloss die bühne der aussenseiter, die theater spielend bern auf die schippe nehmen?

nein, sagt die innere stimme, denn eigentlich weiss man aus berns moderner geschichte mehr, als am schluss erzählt wird: bern ist im 19. jahrhundert bürgerlich geworden, hat – im theaterstück unerwähnt – die todesstrafe abgeschafft. bern hatte im 20. jahrhundert eine starke arbeiterbewegung, welche die gerechtigkeitsfrage neu gestellt hat, und bern war 1975 so etwas wie der ursprung der frauenbewegung, die zur ersten frauenmehrheit in einer europäischen stadtregierung geführt hat.

der berner friedrich dürrenmatt hielt seine rede zur schweiz als gefängnis 1990, äusserlich für den tschechischen dichter-präsidenten vaclav havel. in der schweiz brodelte damals der fichenskandal, der der der staatlichen überwachungsmaschinerie ein ende setzte. “schengen/dublin” ist nicht, wie angetönt, die fortsetzung des krieges gegen die bürger mit anderen mitteln!


dürrenmatts parabel vom der freiheit, dem gefängnis und der schweiz, grad unter der kirchenfeldbrücke
foto: copyright by b. käser

überhaupt: bern ist heute friedlicher, als es im henkerstück erscheint. es hat gerade in jüngster zeit einen starken soziokulturellen schub erlebt, ist nicht mehr sture beamtenstadt, sondern flanierzeile mit zahlreichen strassencaffees, einer vielzahl von zellen des individualisierten lebens, und ein multikulturelles pflaster mit touristen, politikerinnen und künstlern, wohin man hinschaut.

wann folgen des scharfrichters enkelInnen?

schade, dass die freiheit der gegenwart im stück von ahlborn und zurbrügg so wenig reflektiert wird. für ein historisches theaterstück wäre auch das ein must gewesen. vielleicht ist das aber das thema im folgejahr, wenn mes:arts dann “die enkelInnen des scharfrichters” enkelInnen unterhaltsames und erhellendes theater aufführt! zu räten wär ihr das, denn brilliant gespielt, gekonnt getextet, subtil inszeniert, kann man sich das neue theaterduo im historischen stoff noch verbessern. der besuch schon in diesem sommer lohnt sich dennoch!

der stadtwanderer

am 23. mai 2007 wird das programm wieder aufgenommen. mehr dazu unter: met:arts

bilanz der mächtigen

rating sind eine beliebte sache geworden, vor allem bei den medienschaffenden. sie wollen heute regelmässig wissen, wer top ist, und wer flopt. das schönste an ratings sind aber die veränderungen. nicht nur oben und unten interessiert, sondern auch besser und schlechter. das erhöht die spannung! doch was macht macht aus? wer macht macht-ratings? und noch viel allgemeiner: was eigentlich ist macht? der stadtwanderer macht sich dazu gedanken …

die machtfrage

die zeitschrift bilanz will regelmässig erfahren, wer am mächtigsten ist in der schweiz. sie will wissen, wer der fürst ist, den niccolo di bernando dei machiavelli anfangs des 16. jahrhundert beschrieben hat, um als sekretär der republikaner bei den wieder installierten medici in florenz gehör zu finden.


macht ist die möglichkeit, seinen willen durchzusetzen, selbst gegen den willen anderer (anclickbar)

wer über macht philosophiert, darf nicht nur die perspektive der mächtigen einnehmen. macht ist auch die möglichkeit, widerstehen zu können. wer sich überall anpasst, ist letztlich ohnmächtig, selbst wenn er an die macht kommt. wer dagegen sich selber bleibt, wird mächtig, wie uns der einsame mensch auf dem pekinger tien an mien platz lehrte, der die panzer der macht in die schranken wies.

klar, die bilanz macht sich das einfacher: sie legt kein grundsatzwerk über machttechnik vor, das die welt auch 500 jahre später noch diskutieren wird. sie recherchier auch nicht über den wiederstand. eher noch zeichnet sie machttheorien nach, welche die machtaufteilung zwischen staat, wirtschaft und gesellschaft aufzuspüren, wie es die moderne systemtheorie für die moderne welt leistet.

anders als die abstrakten theoretiker hat die bilanz aber einen konkreten zugang: macht, das haben die wirtschaftsführer, das findet sich bei politiker, und das gibt es unter den kulturschaffenden. um diese macht zu bestimmen, lässt die bilanz verschiedene jurien bilanz ziehen, über das vergangene jahr. diese darf personen nominieren, die bewertet werden sollen. und sie bewertet die personen, die nominiert worden sind.

ich kann nicht allgemein beurteilen, was ratings wert sind. doch bin ich gelegentlich in solchen jurien dabei, und gelegentlich werde ich auch bewertet. muss ich meine bewertung abgeben, mache ich das nie spontan. denn dann sitzt einem der letzte eindruck zu stark im nacken. ich wähle immer jene aus, die für mich top sein können, und informiere mich nochmals, was sie gemacht haben, in den medien, in meiner erinnerung und in meinem umfeld. dann erst mache ich meine beurteilungen einzeln, und am schluss erstelle ich meine reihenfolge, wie wenn ich allein juror wäre. wenn es möglich ist, vergleiche ich das mit früheren, gleichen übungen, und korrgiere meine allfällig überzeichneten eindrücke. meist wird mir erst dann bewusst, was da den ausschlag gibt: medienpräsenz, gute, schlechte presse, aber auch besondere ereignisse und manchmal sogar schleichende trends! das ist dann auch für mich interessant, ohne dass ich das im detail preisgeben würde.

was da so raus kommt, kann man in der zeitschrift “bilanz” von heute lesen. bei den politgrössen, war ich auch dabei, bei den anderen kann ich nichts dafür… dafür können sich alle leserInnen vom stadtwanderer frei dazu äussern:

die mächtigen der gegenwart

rubrik wirtschaftsmacher:

1. daniel vasella (1)
2. marcel opsel (2)
3. peter brabeck-letmathe (4)
4. peter wufli (3)
peter spuhler (6)

sonderrubrik paragrafenkönige (wirtschaftsanwälte, erstmals bewertet, nicht vergleichbar)

1. peter böckli
2. rolf watter
3. peter nobel

rubrik politgestirne

1. doris leuthard (2)
2. ueli mauerer (1)
3. christoph blocher (9)
4. hans-jürg fehr (11)
5. pascal couchepin (9)

rubrik kulturgiganten

1. jacques herzog und pierre de meuron (1)
2. peter von matt (4)
3. claude nobs (2)
4. alexander pereira (3)
5. folg fehlbaum (-)

rubrik abc-schützen (medienunternehmer/schaffende)

1. michael riniger (-)
2. peter hartmeier (3)
3. peter rothenbühler (6)
4. andreas durisch (12)
5. werner de schepper (2)

rubrik einflüsterer (meinungsmacher, erstmals separat bewertet, deshalb nicht vergleichbar)

1. frank a. meyer
2. roger de weck
3. gerhard schwarz

rubrik sachkämpfer (interessenvertretung)

1. jakob kellenberger (2)
2. serge gaillard (6)
pierre triponez (8)
4. simonetta sommaruga (-)
5. paul rechsteiner (9)

rubrik weichensteller (wissenschaft)

1. patrick aebischer (2)
2. alexander zehnder (3)
3. ernst hafen (-)
4. bruno s. frey (-)
5. silvio borner (-)

was macht macht aus

macht, hat die bilanz festgelegt, erkennt man an vier indikatoren:

. dem einfluss im eigenen bereich,
. dem einfluss über den eigenen bereich hinaus,
. dem mass, in dem die eigene position befestigt ist, und
. der möglichkeit, sich notfalls gegen den willen anderer durchzusetzen.

letzeres ist unzweifelbar max weber, dem deutschen soziologen zu beginn des 20. jahrhunderts, entlehnt, der in “wirtschaft und gesellschaft formulierte: macht ist “jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel, worauf diese Chance beruht.” weber interessierte sich also nicht, ob macht durch zwang entsteht, ob sie durch geld steuert, ob sie durch sex verführt, oder ob sie durch wissen einfluss nimmt. ihm ging es gerade nicht um die ressourcen der macht, sondern um ihre strukturen: eben, um die einflussnahme durch akteure, die in beziehungen zwischen menschen, zwischen gruppen oder zwischen gesellschaften führend sind.

die definitionsmacht der definitionsmächtigen

nicht in der bilanz stand es, dafür hat es aber die sonnstagszeitung herausgefunden: definitionsmacht haben in der heutigen zeit vor allem medienakteure. also die konzepter für redaktionen, die chefredaktöre und ihre sufflöre, die paradiesvögel unter den journalistInnen, die es verstehen, gelesen zu werden, und die expertInnen, die von ihnen immer dann eingesetzt werden, wenn sie einen standpunkt vertreten, einen erklärungsansatz präsentieren, eine idee lancieren, die in die these eines artikels oder in das konzept eines e-formates passen. die am häufigsten von der presse und der arena zitierten analysten politischer, gesellschaftlicher und medialer trends in der schweiz sind:

1. franz jäger
2. thomas held
3. claude longchamp
4. iwan rickenbacher
5. andreas ladner

die idee und das konzept solcher ratings für die sonntagszeitung hat übrigens regula stämpfli entwickelt, selber an 13. stelle der einflussreichsten analystInnen. verwendet wird das rating von der soz jedoch ohne autorenangaben. zu ihr schreibt marco morell: sie sei auf dem besten weg, den etablierten arena-tauglichen männern den rang abzulaufen, denn sie werde stetig präsenter. definitorisch heisst das einflussreicher, in den journi-jargon übersetzt jedoch häufig: gefährlicher. so schrieb die weltwoche typisch schweizerisch und ganz unverblümt, der auf dem platz drei befindliche politologe sei der “einflussreichste, und deshalb gefährlichste meinungsmacher” … so ist es halt: die journalistischen definitionsmächtigen haben ihre lieblinge unter den wissenschaftlichen definitionsmachtigen, sie kupfern bei ihnen ab, aber nur genau das, was ihnen gerade passt, und in der form, wie es ihnen gerade passt!

die macht des stadtwanderns

nun, wir von stadtwanderer wissen, dass das journalistische heute stets zugespitzt ist, aufgebauscht wird und übertrieben ist, um aufmerksamkeit beim staunenden publikum für die eigene schreibe zu generieren. wir wissen, dass die politikwissenschaft la science du pouvoir ist, und das das ins deutsche übersetzt zwei wendungen ergibt: die wissenschaft der macht, aber auch die wissenschaft der mächtigen. also bleiben wir ein wenig auf distanz, zu macht der mächtigen, und zur definitionsmacht der definitionsmächtigen.

wir sind einfach auch gelassener! nicht zuletzt, weil man bundesräte, wirtschaftskapitäne, stararchitekten, chefredaktoren und professoren ganz einfach auf berns strassen spazieren sieht. wir wissen denn auch, was die treffendste definition der macht ist: jede Chance, innerhalb einer stadt unbemerkt zu bleiben, gleichviel, worauf diese Chance beruht. werde mich mal achten, wen ich unerkannt alles vor die schuhe resp. vor die linse kriege!

stadtwanderer

bilanz-rating (nur für abonennten frei zugänglich, was ja auch eine machtfrage ist)

auf der suche nach dem paradies

hauterive ist speziell. ein kloster, nicht oben auf dem berg, sondern unten am fluss. gegründet wurde es, um lokales feudalgut vor dem zugriff der zähringer zu schützen. daraus entstand eine klostergemeinschaft, die nach den regeln der zisterzienser funktionierte, und ihren höhepunkt im 13. jahrhundert kannte. im 19. jahrhundert dienten die klostergebäude vorübergehend als lehrerseminar, bevor es, 1939, wieder ihrer ursprünglichen aufgabe zugeführt wurden. 2006 ist der klostergarten im kreuzgang neu gestaltet worden, und er soll das paradies auf der erdeninsel hauterive wieder erstehen lassen.

annäherung an eine fremde welt

meist sind die klöster am auf einem berg oder am ende eines tals. das passt vor allem zu den zisterziensern, die einfach und von ihrer arbeit leben sollen. so hat diese burgundische klosterbewegung aus dem 12. jahrhundert viele gebiete neu erschlossen. auch in hauterive ist es so, selbst wenn das kloster ganz ungewöhnlich liegt: in einem tobel umgeben von hohen felswänden, nahe der sarine/saane, in einer grossen flusschleife.


foto: stadtwanderer (anclickbar)

man nähert sich der weltlichen insel im göttlichen dienste nur blick für blick. das ist gut so, denn so kommt man der fremden welt, die sie heute noch oder wieder ist, bloss schritt für schritt näher.


foto: stadtwanderer (anclickbar)

wer zum kloster hauterive wandert, steigt vor allem hinab. zunächst geht es noch über feld, durch wald und entlang von wiesen. doch dann werden die wege immer steiniger, und sie sind gelegentlich auch steil. weit unten erkennt man einer einer waldlichtung und in einer flusschleife ein paar dachfirste, dann einige häuser, schliesslich ein ganzes kloster.


foto: stadtwanderer (anclickbar)

wie alle zisterzienerklöster ist der bau streng quadratisch angelegt. die klosterkirche bildet die eine seite. der kreuzgang ist das zentrum, und rund herum hat es die gebäude für die priester, vis-a-vis für die brüder und dazwischen für die verwaltung. wenn man vor dem kloster angekommen ist, sieht man auch die nebengebäude: gästehäuser, die über dem tiefgelegenen kloster stehen. zu diesem führt im leichten bogen eine kleine strasse hinab. schöner ist es aber, für die letzten höhenmeter die gedeckte treppen direkt nach unten zu nehmen.

von der spätburgundischen gründung zum höhepunkt unter den neuenburger grafen

das kloster kennt, obwohl es immer im katholischen umfeld war, eine wechselvolle geschichte. die ursprünge reichen bis ins 12. jahrhundert zurück. 1125 ging die salische dynastie im kaiserreich zu ende. der kaiser war damals gleichzeitig könig von burgund, zudem das gebiet von hauterive gehörte.

insbesondere der tod von kaiser heinrich V. brachte unsichere zeiten. zwei adelige stritten um die deutsche krone: es setzte sich lothar von supplingenburg durch, der weit im norden, in sachsen, lebt und seine hausmacht hatte. im süden stützte er sich auf einer stellvertreter, der gegen den konkurrenten aus staufischem hause herrschen sollte. dies waren die herzöge von zähringen, denen der könig das rektorat über burgund, eine art vizekönigtum, vermachte.

die zähringer waren im üchtland, wie man den streifen zwischen sarine und aare nannte, wenig beliebt. sie galten als eindringliche. ihnen fehlte der imperiale glanz des kaisers, und sie kompensierten dieses manko mit machtpolitik, die in der eroberung und erschliessung des burgundergebietes geschah.


foto: stadtwanderer (anclickbar)

zwischen 1132 und 1138 stiftete wilhelm von glâne, ein burgundischer seignieur oder freiherr, kurz vor dem erlöschen seines geschlechts, das kloster hauterive. er stattete es mit grundbesitz aus. so versuchte er, seinen besitz dem zugriff der zähringer zu entziehen. 1138 weihte der bischof von lausanne das klosters, und der papst bestätigte seine existenz 4 jahre später.


foto: stadtwanderer (anclickbar)

1157 setzten sich die zähringer mit der stadtgründung an der sarine, nur 6 kilometer luftlinie von hautrive entfernt, im üchtland fest. mit freiburg entstand ihre erste stadt auf burgundischem boden, die nach dem vorbild von freiburg im breisgau, ebenfalls zähringisch, geführt wurde.

allen versuchen, die eigenständigkeit zu sichern, zum trotz, kam hauterive jetzt ebenfalls unter zähringische herrschaft. die herzöge nutzten das kloster als machtbasis, das so zu neuem besitz und neuen rechten kam in der näheren und weiteren umgebung kam.

mit dem aussterben der zähringer 1218 kam hauterive unter die schirmherrschaft der grafen von neuenburg, später der grafen von aarberg. es war die blütezeit des klosters, das ländereien vom jura bis in die alpen, und von der sarine bis an den genfer see hatte.

städtische territorialbildung und abstieg zum staatlichen lehrerseminar

als die städte ihre territorialpolitik auszubilden begannen, setzte der abstieg des feudalen klosters ein. bern griff nach westen aus, provozierte damit dem gümmenen- und laupenkrieg, indem zahlreiche burgundische adelige ums leben kamen. das verunsicherte selbst die position von hauterive. nach 1341 sicherte die habsburgische stadt freiburg das kloster. 1387 wurde es, im sempacherkrieg der innerschweizer gegen habsburg von bernern geplündert, und 1448, im krieg berns gegen savoyen, wurde es in ebenfalls mitleidenschaft gezogen. 1452 kaum die abtei erneut unter die hohheit der stadt freiburg, die jetzt aber im radar berns war, und 1481, auf berner vermittlung, eidgenössisch wurde. aus hauterive wurde jetzt altenryf.


foto: stadtwanderer (anclickbar)

das kloster ging seinen aufgaben weiter nach, kam aber 1618 zur oberdeutschen zisterzienserkongregation. 1798 litt altenryf unter dem zusammenbruch des alten regimes, und 1848 wurde es von den liberalen behörden des kantons aufgelöst und in ein lehrerseminar umfunktioniert.

neubegründung des streng klösterlichen lebens

1939, bei ausbruch des zweiten weltkrieges, siedelten sich wieder mönche aus dem zisterzienserkloster in bregenz an der sarine an, und errichteten 1973 die heutige abtei heuterive neu. durch diese abtei führt uns heute catherine waeber, die vor genau dreissig jahren ihre dokotroarbeit über die architektur des klosters hauterive gamacht hat. und es erklärt uns auch ein bruder, der im kloster lebt, wie das leben in der gegenwelt ist.


foto: stadtwanderer (anclickbar)

wir erfahren vom strengen tagesauflauf, der auch heute um 4 uhr beginnt, und um halbneun endet, und der durch die gebete, das essen und die arbeit gegliedert wird. hinzu kommen noch die lesungen, für sich, und alle miteinander, wenn die priester und brüder auf den bänken im kreuzgang dem wort jesu lauschen.

meist ist es aber stil im kloster. man spricht nicht, wenn man isst oder arbeitet, um mit gott im dialog bleiben zu können. die zeit des sprechens ist klar geregelt und beschränkt. mit der aussenwelt ist man zwar in kontakt, aber auch das ist kontrolliert und beschränkt. das kloster verlassen die mönche gerade mal 4 tage im jahr. entweder gehen sie dann auf verwandtenbesuch, oder aber sie pilgern zusammen auf eine alp, die dem kloster gehört. die gemeinschaft ist hier deutlich spürbar über dem individuum. und seine erfüllung findet der mönch auch 2006 nur in dieser gemeinschaft.

berner plünderer und berner kulturfreunde

berühmtheit erlangte hauterive durch sein scirptorium, das seit der gründung im 12. jahrhundert bestand. es war ein ort des schreibens, damit die heilige schrift bekannter wurde. nur wer seinen gott kennt, kann ihn lieben, ist heute noch die losung. offiziell ist man heute französischsprachig. das klosterleben lässt aber auch die deutsche und italienische sprache zu, und das latein bleibt die sprache für die meisten gesänge.

die zutiefst römisch-katholisch-burgundische kultur kam 1387 in einem jähen kontakt mit der alemannischen. die berner plünderten das kloster; sie hatten es vor allem auf die klosterbibliothek abgesehen, die 1578 zusätzlich durch einen brand verwüstet wurde. trotzdem verfügt hauterive heute über ein der herausragendsten handschriftenbestände der klöster in der westschweiz. zudem sind 40’000 bücher in der klosterbibliothek greifbar.


foto: stadtwanderer (anclickbar)

auch unsere besuchergruppe kommt auch aus bern, ist aber friedlich. sie ist nicht unter der führung eines schultheissen. vielmehr hat verena hegg eine friedliche carfahrt durch die gärten freiburgs organisiert. die teilnehmenden sind auch keine soldaten, vielmehr sind sie fast alle mitglieder der schweizerischen gesellschaft für gartenkultur. und ihnen hat sich der stadtwanderer angeschlossen.

geheimnisvolles dunkel in der kirche, helles licht im klostergarten

zuerst lauschen wir den täglichen gesängen der brüder in der klosterkirche notre-dame-de-l’assomption. sie wurde zwischen 1150 und 1160 errichtet, und sie ist ein gutes beispiel für die frühe architektur der zisterzienser. ganz im geiste des heiligen bernard von clairvaux gehaltem, besitzt die dreischiffige romanische kirche ein querschiff und einen rechteckchor, aber keinen kirchturm. einzig ein kleiner reiter ist der kirche aufgesetzt. das licht in der kirche ist spärlich, und wird durch die, im 14. jahrhundert eingesetzten, farbigen fenster noch gebrochen. so entsteht die spezielle atmosphäre einer kirche in der flusschleifen, die einem so vorkommt, als wäre man in ein u-boot gestiegen.


foto: stadtwanderer (anclickbar)

krasser könnte der gegensatz nicht sein, wenn man dann in den romanisch gehaltenen kreuzgang hinauskommt, der aus dem 12. jahrhundert stammt und auf drei von vier seiten erhalten ist.


foto: stadtwanderer (anclickbar)

mitten im kreuzgang ist 2006 eine neue gartenanlage entstanden. der belgische gartenarchitekt jacques wirtz stand hier vater. er hat in gelungener art und weise moderne elemente mit traditionellen materialien mitten ins kloster gebracht. die alte waschanlage ist heute offen, dargestellt durch einen quadratische wanne. ihr gegenüber ist ein runder brunnen. leicht erhöht sammelt er alle wege im klostergarten. symbolisiert wird dadurch das paradies.

begegnung mit einer eigentlich bekannten welt

hauterive kannte ich lange nicht. bei meinen recherchen über (spät)burgundisches leben in der schweiz bin ich natürlich auf dieses bijou der übergangszeit in die schwäbisch-alemannische welt gestossen, und habe mich für das leben in hauterive zu interessieren begonnen. irgendwie ist es wie ein stück burgund, das in einer andern welt überlebt hat.

diese einsicht hätte ich sogar ganz einfach haben können, hätte ich nur meinen vater gefragt. in der gegend aufgewachsen, hat er als junge regelmässig die mitternachtsmesse in der klosterkirche von hauterive besucht, – mein seinen kollegen von der jungwacht. ganz unten, in der flusschleife der sarine, wo das zisterzienserkloster steht, in dessen mitte der kreuzgang mit dem paradies ist.

stadtwanderer (auf landwegen unterwegs)

kloster hauterive

gartenjahr

also, was ist ein blog? – eine herausforderung für dr. blog-blogicki …

Sehr geehrter Herr Longchamp

Seit einigen Tagen vertreibt sich “Dr. B. Blog-Blogicki”, seines
Zeichens Blog-Kritiker, einen anständigen Teil seiner Zeit mit dem Lesen
des STADTWANDERERS. Er möchte ihn gerne bald rezensieren, hat Spass daran.

Der Stadwanderer hält sich bedeckt und signiert seine Einträge nicht mit
eigenem Namen. Ausser den ersten Eintrag, wo “Dr. B. Blog-Blogicki” auf Ihren doch wohlbekannten Namen stiess. Ja, die meisten Blog-Surfer schenken den ersten paar Einträgen kaum Beachtung. Obwohl Sie manchmal so viel über den oder die VerfasserIn verraten.

Ich möchte Sie nun anfragen, ob dies ein Versehen Ihrerseits war (den
ich natürlich noch so gerne ausschlachten würde), und Sie weiterhin nur
unter Stadt-, oder Burgund-, oder WeggisWanderer blogizieren möchten.
Dann schlage ich vor, Sie überarbeiten die erste Autoren Angabe und
lassen es mich wissen. Dr. Blog-Blogicki wird es respektieren, weil es
ihm sein Anstand ge”bier”t… oder so.

Mit freundlichen Grüssen

Peter A. Ziermann

guten morgen herr ziermann

tschuldigen sie die dauer meiner antwort, ich war gestern beruflich unterwegs, und dann war es zu heiss, um zu wandern, also ging ich duschen (ohne doris) …

es freut mich, dass sie interesse haben an unserem stadtwanderer – endlospapier. klar, das ist nicht einfach ein blog, also ein stipvisite, wie sie vielleicht meinen, das ist es eine richtige wanderung, und da kann es schon vorkommen, dass man etwas mehr von seiner zeit dafür braucht! schön, wenn sie seit jüngstem mitwandern wollen. seien sie herzlich willkommen!

nun, die stadtwanderer.redaktion ist ein kleines eingeschorenes team. man zeichnet mit der jeweiligen identität, das heisst, dem fremdbild, das man beim wandern abgibt, und dem selbstbild, das man beim wandern von sich selber hat. wenn beides zusammen passt, ist man ein stadtwanderer, weggiswanderer, burgundwanderer, internetwanderer, etc.

das ist ja heute alles komplexierter, als man denkt. wenn ein mensch mit medienbekanntheit kommt, wird er meist erkannt. wenn sein zwillingsbruder kommt, gibt es schon die möglichkeit, dass dieser unerkannt bleibt, oder es zu lustigen verwechslungen kommt. je nachdem weiss man aber schon jetzt ein wenig, jedenfalls in bern, dass da gewandert wird, um realitäten politisch unbefangen, historisch informiert und kulturell neugierig neu zu entdecken. und so kommt es vor, dass wir helfer und helferinnen bekommen, bewusst und unbewusst, die dann mitberichten, aber nicht jedesmal grossartig in einem impressarium erscheinen wollen.

das gibt dann durchaus die möglichkeit, dass sich neue identitäten entwickeln, das alles also ein offener prozess ist. die klare fixierung auf eine person und eine identität, wie das in den meisten blogs – leider, leider!! – der fall ist, ist, also, beim stadtwanderer, an sich, erschwert, mehr noch, gerade nicht da ziel. so ist es, wiederum also, kein versehen, dass die stadtwanderInnen, anonym bleiben, das heisst entwicklungsfähig, genauso wie eigentlich das junge medium des weblogs.

alle bernisch-welschen-burgundischen stadtwanderer sind bestens bekannt mit den firmennamen von turn- und wanderschuhen. wenn dann aber um die neuesten internettechniken geht, gibt es schon mal benekliche probleme. helfen sie uns das! denn gelegentlich fragt man sich, in der stadt.wanderer-redaktion, was rss ist, wie man texte schön editiert, und wie man die kommentare kommentiert, die kommentarweise ist die kommentarfelder gesetzt wurden. zum beispiel von ihnen, sodass sie auf slug erscheinen, dann aber nirgends greifbar sind. einfach weg, im niemandsblog. neidisch, sind wir schon ein wenig, dass sie das können, wir aber nicht!

sie sehen, wir sind neu im geschäft. verzeihen sie also, wenn wir jede der szenen-normen, die es schon mal geben soll, nicht kennen, ja sogar dagegen verstossen sollten.

doch, sehr geehrter herr prof. dr. beob. watch-watchinski, wenn ich sie schon “am draht” habe, können sie mir erklären, was also überhaupt ein blog ist. wikipedia, und auch die gescheite literatur über die google-world drücken sich darum, eine brauchbare antwort zu bieten. eine internetplattform, die regelmässig erneuert wird, ist ja wohl doch unter ihrem nivo, als definitionsversuch. bin also gespannt, ob sie uns weiter helfen können, denn für uns stadtwanderer ist ein blog so etwas wie der horizont:

das, was man vor augen hat,
das, wohin man will, und
wenn man dann wandert, sich immer wieder verändert.

am ziel ist man nie.

und nun erlauben sie eine kritische bemerkung: kritiseren kann man blogs demnach gar nicht, wie sie das tun, denn das setzt einen festen standort voraus, von dem aus man ein feld, wie ein feldherr überbloggt, und von wo aus man weiss, wohin die wanderer gehen sollen.

karl der kühne, war mal, vor murten, unserer lieblingskleinstadt, auf einem solchen hügel, und wollte mit einem schlachtensieg über die eidgenossen burgundischer könig, am liebstengleich kaiser alles länder, werden.


foto: murtenwanderer

da oben stand karl der kühne vor genau 530 jahren, liess murten beobachten, griff an, scheiterte an adrian von bubenberg, stellte sich neu auf, und wurde in die flucht geschlagen. sie sind halt scharfe beobachter, die murtemer!

bin gespannt, auf ihren kommentar. und hoffe, ich finde ihn dann.

(kritischer) definitionswanderer

Was ist denn nun ein BLog?

Ein BLog ist ein BLog ist ein BLog…
würde wohl Gertrud Stein sagen, oder auch nicht,
geehrter Herr Institutsleiter Longchamp
(Stein…habe ich mir natürlich angelesen).
Aber, keine Angst, so einfach werde ich es mir nicht machen, lieber Herr Longchamp.

Mensch spricht gern mit sich selber. Ständig.
Der innere Mono- manchmal wohl auch Dia-Log (weil man widerspricht sich auch gern des öfteren), welcher, wenn Mensch Kleinkind, irgendwann anfängt zu laufen, und erst wieder aufhört, so sagt man, wenn das Gehirn erkaltet ist.
Da haben wir also schon zwei Logs, jedoch noch keinen BLog.

B wie Beziehung,
L wie Lautbarkeit,
O wie m”Oh!”nolog (oh!-minös…),
G wie Gesellschaft.

Was? Lautbarkeit? Förmliche Erklärung vor Gericht? Da kann etwas nicht stimmen… Aber doch! Lautbarmachen heisst ja auch “Äussern”

BLog also die veräusserlichte Form des inneren Mono- oder Dia-Logs?

*abschweif*

Haben Sie Wim Wenders “Himmel über Berlin” (Wings of Desire) gesehen? Ein wunderbarer Film. Was mich beeindruckte, waren die Szenen, in welchen die Engelsgestalten einfach nur dem inneren Monolog der Menschen zuhörten. Das muss ein spektakuläres Surren ergeben, wie in einem Bienenstock, was da abgeht in den Gehirnen (oder vielleicht Seelen) der Menschen.
Der englische Titel gefällt mir übrigens besser. Warum? Er enthält das Wort “Desire”. Mal ganz abgesehen von “Wings”…

*zurückschweif*

Oh, da haben wir ja noch einen Aspekt des Bloggens beim Abschweifen gefunden: “Desire”. Babelfish übersetzt es mit “Wunsch”, doch damit bin ich nicht zufrieden. Es ist nicht stark genug. “Greed”? Babelfish übersetzt es als “Habsucht” hingegen wäre ZU stark. Etwas dazwischen wohl, das deutsche Wort fällt mir momentan nicht ein.
Apropos fish… Blogist-INN-en fischen ja öffentlich. Sei es um Anerkennung, materiellen Vorteil, oder auch nur Komplimente.
(BlogistIn erscheint mir übrigens ein eleganteres Wort statt BloggerIn)

Und “Wings”?
Bloggen verleiht Flüüügel (c) ?
In gewisser Weise ja. Denn wenn ich blogge, dann bin ich nicht nur auf meiner Strasse im Dorf (oder Stadt), sondern auf der ganzen Erdkugel zu hören (podcasting), zu sehen (vlog), oder auch nur zu lesen (blog).
Dann kommt nämlich auch die zwischenmenschliche Kommunikation in’s Spiel. Die Kommentarfunktion! Aber davon berichtet dann Teil 2

Hier schalten wir gewitzt eine Werbepause:
(welche noch immer nicht funktionieren will..hallo google schweiz? HELP…)

Also… Als erste, und nicht etwa vollständige, Zusammenfassung:

Ein Blog ist eine technologische Variante dessen, was Mensch schon immer tat. Mit sich selber sprechen (BLOG), und mit seinen Artgenossen kommunizieren (KOMMENTARE).
Angefangen hat’s mit Grunzlauten… so sagt man…

apropos grunz… kennen Sie den George Gruntz?

Fortsetzung folgt…

VPS(vor post scriptum): Übrigens, Herr Longchamp, eigentlich bin ich Rezensierer (Rezensör?), und kein Kritiker. Aber meine bruchhaften Erinnerungen an die schulischen Marketing-Lektionen vor zehn oder zwölf Jahren, liessen mich BLOGKRITIK.CH wählen, statt BLOGREZENSION.CH. Es ist halt irgendwie “snappier”, besser verkaufBAR…
Oder etwa nicht?

Herzliche Grüsse! Und bis zur Fortsetzung.

Dr. B. Blog-Blogicki

Peter A. Ziermann
Irrer Blog-”Küntsler”, und blog-enfant-terrible.. oder so…

nöö.. ich schau’s mir gern mal an.Ihr Teil..
in Bern oder so.. Hundeli kommt mit.. natürlich!
und Sie begleichen dann unsere SBB-Kosten (anderthalb billet retour),
und laden uns zum Z’Mittag ein, und ich mach dann Vorschläge..

wie ein richtiger Web-DINGSBUMS..

Konsultant!!!..

SAPPERLOTT..

Sonst kosten tut es Sie nix..
Als Iväuler bin ich eh schon vom Staat bezahlt

paz

guten tag herr konsultant!

dieser begriff wird jedoch häufig falsch verwendet, ich kenne das. siehe nzz folio. die haben mir schriftlich versichert, mit als politforscher zu bezeichnen. im heft stand dann politberater. so schnell geht das mit diesen begriffen.
klar lade ich sie gerne ein, und ihr hundeli. vor meinen ferien am 1.7. reicht es aber nicht mehr, ich kehre am 1.8. zurück, dazuwischen mache ich einen monat frei, wandere in den nordischen wäldern, und wohl ohne labtop. dann wirds halt nix mehr gehen, zum lesen. endlospapier findet dann einen – vorläufiges – ende.

wünsche schöne zeit, gruzz
cl.

Durch Stadt, und über Land

Jetzt, da ich die Herausforderung Claude Longchamps, des Chamäleons, so das NZZ Folio, angenommen habe, und ihr auch schon teilweise entsprach, komme ich natürlich nicht umhin, endlich auch seinen Blog zu besprechen, zu rezensieren.

Ein Endlospapier, nennt er es. Und in der Tat. Ein Scroll-Fest für Scroll-Hungrige. Die Beiträge eines ganzen Monats werden auf einer Seite gelistet, und alles ist klein geschrieben. Nichts wird Kapitalisiert… Da hat er etwas gemeinsam mit dem Dorftrottel (der Link blos als ein Beispiel), der Herr Longchamp. Wie wohl auch das Chamäleon-Sein…

(Den “Burzel-Tag”, den der Stadwanderer mit dem Genie Albert Einstein teilt, kann Dorftrottel jedoch nicht “toppen”. Ihm gereicht’s blos dem des grossohrigen englischen Thronfolgers, welcher den englischen Thron wohl nie besteigen wird. Oder dem des Sir’s? Richard Burton, selig?)

Die Doris fasziniert ihn. Mich auch… Die wohl schönste Bundesrätin bisher. Mit Silberblick zuweilen, und geschmeidiger Eleganz. Ein perfektes Lächeln.
Kein Wunder, träumt er wohl davon, mit ihr duschen zu gehen…
(-;
Und so findet man auf dem Stadtwanderer auch ausgiebige Beschreibungen sowie politische Analysen über die Leuthard, ja sogar anfeuern, tut er sie: “go, doris, go!”

Aber wer nun denkt, der Stadtwanderer sei nur ein Politblog, täuscht sich.
Was mich fasziniert, und spannend dünkt, sind seine Geschichten und Berichte über Orte. Er bewandert die Schweiz und das alte Burgund, bringt uns ihre Geschichte näher, und kann sie auch einem Unbedarften schmackhaft machen, die Historie. Er schreibt flüssig, in einem angenehm erzählerischen Ton.

(Wobei hier zu bemerken ist, es wäre noch viel angenehmer, wenn die kurrante deutsche Rechtschreibung -Gross/klein- angewandt würde. Kleinschreibung ist, für mich jedenfalls, angenehm zu lesen, wenn die Artikel kurzgehalten sind. Bei längeren Berichten verliert man doch oft den Faden, verirrt sich in den Zeilen, und es ergibt ein “CHrüsimüsi”.)

Herrlich sind die Fotos des Stadtwanderers. An”klickbar”, und die Wandererberichte äusserst schön illustrierend. Auch interessantes Kartenmaterial, und sogar historische Gemälde werden gezeigt. Ein Ooh! und AHA-Erlebnis.

Des Stadtwanderers Blog macht grosse Lust, selbst wieder auf Wanderschaft zu gehen. Zu Reisen auf Schusters Rappen und mit der SBB… Und sich vielleicht zuvor ein bisschen zu bilden, Geschichtlich, Soziologisch, wasauchimmer, über den Ort, den man sich anschauen geht.

Wunderbar, der Stadtwanderer.
Danke, Herr Longchamp!

Dr. B. Blog-Blogicki

der stadtwanderer:
was für eine rezension! wunderbar, wenn einer, der mal im rollstuhl sass, andere zum wandern animiert!
stadtwanderer, schnell-, lang- und kleinschreiber vom dienst

Kommunikation.

Zwei(Mehr-)weg-Kommunikation, sofern es von der blogisierenden Seite gewünscht wird.

Einerseits ein bisschen wie, wenn beispielsweise ein Briefwechsel über eine Zeit lang aufgehoben wird. König Soundso, der Fünfte, mit seiner dritten Mätresse (oder Matratze). Nur: Anstatt dass die Dritte Dame den plombierten oder wachsversiegelten Schmachtfetzen unter ihrem Mieder am Busen trägt, bis er schweisszerfressen zerfällt, dürfen nun die Untertanen, das Volk, auch ihren Spass daran haben. Obwohl, der König Soundso, der Fünfte, schreibt unter Umständen (sehr wahrscheinlich sogar) unter einem Pseudonym, und das Volk übersieht’s…

Na ja, die Zeiten ändern sich. Oder nicht einmal so die Zeiten, sondern blos die gebräuchlichen Technologien sowie der Bildungsgrad des Volkes. Ich hörte/las ja schon sagen/schreiben, ein Blog sei nichts anderes als die technische Fortsetzung des Pamphletenschreibens.

EinE jedEr darf sagen/schreiben/publizieren, was freut, gut ist, oder ärgert, oder ob er/sie grad eine Revolution anzetteln will… vor Wut.

Das Pamphletenschreiben jedoch war damals der gebildeten Schicht vorbehalten. Schule war ja nicht obligatorisch, und die meisten Leut konnten eh nicht lesen. Doch auch für dieselben wurde gesorgt. In der Form von gezeichneten oder gestochenen (radierten) Bildern. Vorläufer der politischen Cartoons (oder Podcasts, oder Bildblogs, oder Vlogs).

Man brauchte damals halt auch eine Druckerpresse, oder Zugang zu einer. Wenige Privilegierte hatten dies.

Doch kam es eh nicht so draufan. Das Volk tratschte und klatschte sowieso bei jeder Gelegenheit. Auf dem Dorf- oder Marktplatz, in der Schenke oder im Gasthaus, beim Jahr- oder Viehmarkt, vor der Kirche. Und die Neuigkeiten drehten ihre Runden. Ob wichtig oder unwichtig, sie drehten ihre Runden.

Auch heute finden wir markante Unterschiede zwischen weltbewegenden und völlig profanen Blogs. Blogs, welche eine Menge Menschen anziehen, und weit verbreitet werden, und solchen, die von einer eher kleinen Gruppe gelesen werden. Ich tönte es schon an, der Blog als Vereins- oder Marktplatz-Ersatz.

Neu ist jedoch, dass ich bei dem Klatsch und Tratsch, aber auch bei den weltbewegenden Neuigkeiten, nicht mehr persönlich dabei sein muss, um meine antwortende Stimme auch dem Verbreiter derselben hören zu lassen. Respektive meinen Kommentar, meinen Senf dazu, sofort der ganzen Leserschaft zu präsentieren, und ihn veröffentlichen kann.

Jaaa…aber, höre ich jetzt sagen: Dafür würde auch ein Forum reichen. Im Prinzip ja, sagt Radio Eriwan, aber Foren werden nie so persönlich gestaltet wie Blogs. Auch ein grosser römischer oder griechischer Orator hätte wohl einen Ort für seine Ansprachen gewählt, an welchem er von den richtigen Leuten gehört würde. Cicero hätte wahrscheinlich einem persönlichen Blog gegenüber einem Forum den Vorzug gegeben. Aber auch der heilige Franz von Assisi.

Da kann ich mich aber auch irren…

BlogistIN hat immer die Leser, welche er/sie verdient. UND: Wer sucht, der findet…

Fortsetzung folgt.

Dr. B. Blog-Blogicki

reto nause, der verpackungskünstler, von doris leuthard

die spannung war mässig. doch die vorfreude war gross. der bundesplatz war orange, und selbst das tschutti-ergebnis von gestern interessierte hier und heute niemand, als doris leuthart zur neuen bundesrätin gewählt wurde. nur 133 stimmen, aber im ersten wahlgang! der stadtwanderer hat den bundesplatz von links nach rechts und von oben nach unten abgeschritten. und den wahren sieger gesucht: reto nause, der verpackungskünstler, ist der heimlich star des events, quasi der mann, der hinter Der frau steht!


foto: stadtwanderer

schon am morgen früh gab es nur eine frabe: orange-orange-orange! obwohl der gleichnamige telefonanbieter nicht da war und obwohl die oranier die niederländische nationalmannschaft nicht unterstützen mussten. dennoch: wohin das auge reichtE, sah es orange hemden, orange röcke, orange haarbändel und orange tishis. die migros, mit baldachinen vor ort, hatte glück, die farbe des tages schon lange für sich gepachtet zu haben. doch selbst die stadt bern war heute im trend. ihre schlepper der infrastrukturabteilung sind aus sicherheitsgründen ebenfalls orange. wahrlich: es war der tag der cvp-farbe!


foto: stadtwanderer

eine orangene revolution wie in der ukraine fand heute auf dem berner bundesplatz nicht statt. dafür fehlte in diesen wochen die politische kontroverse. es mangelte an medialer auseinandersetzung ebenso wie an einer gegenkandidatin zur topfavoritin. deshalb mochte heute, anders als bei der bundesratswahl 2003, niemand von richtungswahl sprechen.


foto: stadtwanderer

vielmehr dominierte das harmoniebedürfnis der cvp. es war ihr wunsch, eine würdige bundesratswahl zu erhalten. dem 14. juni einen neuen sinn zu geben. den frauenstreiktag nicht vergessen zu machen, ihn aber in den hintergrund zu rücken, denn das symbol gehört den linken. vergessen gehen sollte heute auch die nicht-wahl von christiane brunner in den bundesrat, die eine der frauenstreikführerinnen war, und die eine diffamierungskampagne über sich ergehen lassen musste, als sie in den bundesrat wollte. der makel dieser nichtwahl hängt unvermindert der rechten an. und zu beiden polen will die cvp gute beziehungen, aber auch klare distanz. denn sie will die mitte, möglichst für sich allein. und dafür mobilisiert die partei neuerdings mit erfolg. viele freiwillige sind heute auf dem platz, um doris eine herzliche feier zu bereiten.


foto: stadtwanderer

weniger herzlich war der umgang der medien mit doris leuthard. einerkandidaturen mögen sie definitiv nicht. zu wenig spannung, zu viel selbstdarstellung. also muss man kritisieren. alles konnte man lesen und hören: weder weiss, noch schwarz, sei sie. den nationalratsaal verwechsle sie mit dem laufsteg der modeschauen, musste sie lesen, und beim abstimmen passe sie in heiklen momenten, stand da geschrieben. zu oft rechts sei sie, monierten die linken blätter, während die rechten sie zur linken machten. da unterschied sich nur der blick von der negativberichterstattung, der sie flugs zur königin doris I. kürte, und damit gleich selber gegenstimmen provozierte. schliesslich sind wir eine demokratie, die anderen werten verpflichtet ist als die monarchie.


foto: stadtwanderer

das alles flimmerte heute morgen nochmals über die grossleinwand auf dem bundesplatz. doch es interessierte kaum jemanden. politische demonstrationen gegen “unsere doris” war für die leute sur place fehl am platz. viele von ihnen waren aus merenschwand. jüngere frauen und ältere männer. sie kennen doris. auch ihren charakter. dafür brauchen sie die weltwoche nicht. ihre kinder sind mit doris in die schule gegangen, ihre schwestern haben mit doris im turnverein geturnt. und seither gehört sie ihnen, und so sind sie auch alle per du mit ihr geblieben. und mit der populärität ist doris leuthard auch ihr liebling geworden. im freiamt jedenfalls ist doris die königin der herzen.


foto: stadtwanderer

die cvp nutzte die gunst der stunde, um ihren neuen wahlkampfstil zu propagieren. nichts mehr mit plakaten. nichts mehr mit inseraten. nichts mehr parteiprogrammen. das alles ist passé! zu statisch, zu konventionell, zu abgenutzt. unter ihrem generalsekretär, der zum schweizerischen vermarktungskünstler nummer 1 avancieren will, soll die cvp dynamisch auftreten, unbekannte sachen machen und unkonventionell auftreten. nur das verschafft einer partei die nötig aufmerksamkeit.


foto: stadtwanderer

besser hätte reto nause die kulisse nicht wählen können. jeanne-claude und christo grüssen die berner uns schon mal von plakaten. das bundeshaus ist seit wochen fast ganz eingepakt, nur die helvetia lugt noch raus. und jetzt muss doris noch richtig verpakt werden, um geradeaus in den bundesrat zu gelangen. deshalb setzt die cvp neu auf ereignisse, die spass machen. stimmung braucht die partei, die schweiz verdient es, auf sich, seine vergangenheit und seine zukunft stolz zu sein, – und genau das soll die cvp verkörpern.


foto: stadtwanderer

die cvp profilierte sich heute auch im windschatten des aargaus. es kam einem vor, als würde sie den kanton alleine repräsentieren. die fdp, die kantonsgründerin, musste es innerlich geschüttelt haben, um das nach aussen zu zeigen, ist sie aber zu schwach geworden. auch die sp machte nur gute miene zum schlechten spiel. die chancen ihres favoriten für die nachfolge von moritz leuenberger, der aargauer nationalrat urs hofmann, sind heute etwas geringer geworden.


foto: stadtwanderer

bei so viel neuem selbstvertrauen in der cvp konnte der heimatkanton der kandidatin nicht passen. aufgeräumt werden soll mit dem image, alle aargauer würde weisse socken tragen. der kanton präsentierte sich im neuen kleid. und auf der grossleinwand. als kulturkanton. als kanton mit wohnqualität. als kanton mit historischer substanz, und als kanton mit starker wirtschaft. wäre das eine politische aussage, wäre sie heute gar nicht erlaubt gewesen. denn politische demonstrationen auf dem bundesplatz sind während der session nicht erlaubt. doch eben: es ist nauses event, nicht nauses bekenntnis.


foto: stadtwanderer

und alle wollten dabei sein, wenn doris wahlannahme erklärt. die srg ssr idee suisse ist vor ort, sogar telezüri kam nach bern. sie sorgen für die grosse aura landesweit. die viele fotografen rundherum sind für die kleine aura da, für das nach-safari-erlebnis zu hause. bis es soweit ist, fallen aber vor allem die zaungäste auf, die trittbrettfahren auf nauses palttform.


foto: stadtwanderer

subversiv ist die aktion des politischen gegners. die junge alternative, dem grünen bündnis nahestehend, ist flux in organene tishis geschlüpft. bisweilen aber mit dem eigenem aufdruck: “ja”, – junge alternative! und sie sagen nein, zum neuen asyl- und ausländerrecht. es stört sie, dass doris leuthard, die cvp-präsidentin, die mittepolitikerin im fahrwasser der blocher-reformen mitschwimmt. dagegen wollen sie ihre stimme erheben. weil man diese aber auf dem platz nicht hort, erheben ihre plakate. nein, nein, nein, liesst man überall. die verwirrung ist perfekt.


foto: stadtwanderer

derweil würdigt der nationalratspräsident den scheidenden bundesrat joseph deiss. ausgesprochen ausführlich: deiss, der lokalpolitiker aus barbereche. deiss, der wirtschaftsprofessor aus fribourg. deiss, der preisüberwacher aus der verwaltung. deiss, der am knappesten gewählte bundesrat. schliesslich: deiss, der aussenminister, der die schweiz in die uno führte, und deiss, der volkswirtschaftsminister, der den wiederaufschwung in die schweiz gebrachte. die rede ist zurückhaltend, präsidial. dafür ist deiss direkt, anders denn als bundesrat. er erinnert sich nur kurz, er dankt, vor allem babette, seiner frau, um dann deutlich zu werden: die schweiz ist blockiert, dagegen müsse sie ankämpfen, und sie müsse der eu beitreten! “endlich”, denken einige, murren aber andere: “endlich sagt er, was wir immer von ihm hören wollen resp. wussten.”


foto: stadtwanderer

danach ist die reihe an den einzelsprecherInnen. die linke demonstriert gegen die rechte leuthard, die mehr schuhe habe, als alle arbeiter in reconvilier zusammen. und fundamentalen christen sind gegen säkularisierten christen, und selbst therese frösch taucht aus dem bundeshausweiher auf, damit man die grüne empörung genügend hören kann. die fraktionsssprecher rücken die bühne wieder ins zentrum. sie alle sind für doris leuthard. sie soll die cvp in der landesregierung repräsentieren. sie sei die klare favoritin, deshalb habe man der einer kandidatur diesmal zugestimmt. die svp legte die latte rasch noch höher: bei so viel konsens rund um die kronfavoritin müsse sie heute wohl 170 stimmen machen. da muss iwan rickenbacher schon mal korrigieren. der bestgewählte im jetzigen bundesrat habe 146 stimmen gemacht.


foto: stadtwanderer

endlich ist es soweit. die stimmenzähler kehren in den nationalratssaal zurück, und die fotografen auf dem platz gehen vor der abordnung aus merenschwand in stellung. es spricht claude janiak, der die bundesversammlung souverän leitet. “gewählt ist, mit 133 stimmen, frau nationalrätin doris leuthard. ich gratuliere frau leuthard zur wahl in den bundesrat.” doris leuthard lächelt, etwas verhalten.


foto: stadtwanderer

auf dem platz ist der jubel gross. das publikum ist entspannt. obwohl es nicht richtig gespannt war. es ist erfreut, obwohl es schon lange freudig war. das resultat ist zwar mässig. doch die stimmung ist gut. reto nauses konzept ist haarscharf aufgegangen. doris leuthard ist am 14. juni 2006 zur neuen bundesrätin gewählt worden. sie erklärt öffentlich annahme der wahl. die partei, die sie so nötig hatte und die sie jetzt verlässt, hat ihr event gehabt. soviel orange wird man in bern so schnell nicht mehr sehen. doch das macht nichts, denn: die stimmung ist gut, und das ist das ziel. selbst wenn die wahlresultate der cvp inskünftig mässig bleiben werden. das prinzip hoffnung ist heute tief verankert an der cvp-basis.


foto: stadtwanderer

“wer wird neuer cvp-parteipräsident?”, will der stadtwanderer vom neuen star des politmaketings in der schweiz wissen. “ich”, sagt reto nause. “zu recht”, denkt der stadtwanderer, “denn der verpackungskünstler ist der wahre sieger heute, vor dem bundeshaus.” drinnen ist selbstverständlich seine doris die siegerin!

stadtwanderer

begegnungszone in der unteren altstadt

endlich, es ist sommer! die stadt erwärmt sich. und man kann draussen sitzen. am liebsten bin ich momentan in der gerechtigkeitsgasse. viele restaurants habe ihre tische und stühlen nach draussen verlegt. die stadt nennt das im amtsdeutsch schon mal “begegnungszone”. das tönt komisch, ist aber richtig. der verkehr ist hier stark beruhigt worden, und die fussgänger regieren wieder. und unter denen trifft man ganz verschiedene, – zur kleinen begegnung.

letztes jahr war an bern rückgrad, der kram- und gerechtigkeitsgasse, tote hose. eine riesenbaustelle den ganzen sommer. für die restaurants und läden war es die grosse flaute. die touristen wurden richtig gehend abgeschreckt. doch jetzt ist alles ganz anders: der stadtbach in der strassenmitte ist wieder sichtbar. die brunnen stehen, und die pflastersteine sind eingesetzt. vielleicht sieht alles ein wenig zu ordentlichaus, aber wenn kümmerts: seit dieser woche ist auch der sommer da. fertig mit den kalten tagen, ende regen, schluss mit wind, finito tutto!


foto: stadtwanderer (anclickbar)

die restaurants haben ihre herzen nach aussen gekehrt. die flanierende gästeschar wird eingeladen, gleich draussen platz zu nehmen. tische und stühle fast überall, und macherorts sogar fest bänke. die untere gerechtigkeitsgasse hat es mir diesen sommer besonders angetan. sie ist so schön wie noch selten. sanft fällt die strasse ab zur nydegg. schön ist die aussicht auf den obstberg. vor einem plätschert der stadtbach in seinem neuen bett. einige der häusser würden es zwar ertragen, renoviert zu werden, um zur neuen gerechtigkeitsgasse zu passen. doch insgesamt stimmt das bild einfach. besonders wenn die sonne untergeht.


foto: arlequin

früher war ich vor allem in der wäbere und etwa im commerce. doch das ist lange her. seit ich stadtwandere ist die krone wieder in mein blickfeld geraten. guter service! sie alle haben ihre gaststube in eine gastgasse verwandelt, nutzen die lauben, teilweise auch die strasse, um mann und frau, kind und kegel zu bedienen. und die hunde freuts auch. dieses jahr habe ich das arlequin entdeckt. die tische sind gleich fix draussen, samt bänken, die ebenfalls fest eingebaut sind. das gibt eine spezielle atmosphäre. manchmal ein wenig eng, doch immer bereit, um zu empfangen. und das bier schmeckt hier besonders gut.

ich liebe die aussicht auch nach westen. regelmässig kommt der rote bus die kramgasse runter gefahren. schön langsam, wie es sich gehört. man ist ja jetzt in der begegnungszone. und da sieht man aller art leute: aus dem quartier, aus dem ausland, solche mit tieren, und solche mit jogging-schuhen. sie alle schätzen es, dass das leben die strasse wieder zurück erobert.

die stadtpolizei hatte mühe, den verkehr zu beruhigen. 20 kilometer darf in der stunde noch fahren. und es wird einem mit leuchttafeln angezeigt, ob man zu schnell ist. doch der durchgangsverkehr ist verschwunden. gut, es hat immer noch viele anstösser, und solche, die nur rasch “etwas abladen” müssen. für die buschauffeure muss es streng sein. fussweg und strasse sind nicht mehr klar getrennt. wenn links und rechts parkiert wird und je ein bus von oben und von unten kommt, kann es rund um den stadtbach schon mal eng werden.

jüngst war in der zytung zu lesen, dass alle zu frieden seien. die wohnqualität in der altstadt sei gestiegen, die beruhigten gassen seien für die fussgänger attraktiver geworden, und sogar die geschäftsleute seien jetzt einverstanden. ursula bischof scherer, die präsidentin des kramgastleist ist sogar überschwenglich: “Es gibt wieder eine gewisse Grandezza» …


foto: kanton bern

und meine begegnungen? gestern zum beispiel, habe ich schon mal mit einer alt-regierungsrätin gesprochen. einfach so, beim kühlen bier. und erfahren, dass frau nicht svp-präsidentin werden will. dafür eine eigenes, kleines unternehmen führen möchte. es sei aber alles noch offen, angebote habe sie viele erhalten, vor allem von beratungsfirmen. vorerst geniesse sie die freiheit. sie sei gerad in brüssel gewesen. die stadt habe sie immer interessiert, nur bleiben hätte sie als berner regierungsrätin nicht können. schön, dass elisabeth zölch das jetzt als kann!

stadtwanderer