vaux (vaud)

spaziergang in vaux, hoch über dem lac léman. nicht ohne grund. denn in keiner gemeinde ist man heute im schnitt so reich wie im ehemaligen bauerndorf in der waadt.

la morges – das ist der fluss, oder besser der bach, der sich mit vielen richtungswechseln die hänge des arc lémanique runterschlängelt, um schiesslich schnurgerade im genfersee zu enden. comte louis de savoye baute an der mündung 1286 eines der charakteristischen schlösser aus seinem hause – heute von der waadtländischen kleinstadt morges umgeben, in der die touristInnen gerne flanieren gehen.

auf der anhöhe mochte es damals vor allem wald gegeben haben. valdus hiess er im vulgärlatein des mittelalters, und daraus machte man vaud. bis heute ist das auf französisch der name des kantons waadt, und mit leicht modifizierter schriftweise auch der gemeinde vaux, die, um ja nicht verwechselt zu werden, den zusatz sur-morges angenommen hat.

geschichte hat man in vaux-sur-morges kaum geschrieben. die analen erzählen nur davon, wo man zugehörig war. bei den benachbarten herren von monnaz, in der bernischen vogtei morges, im kanton léman während der helvetischen republik und im kanton waadt seit dessen gründung 1803.

doch dann kam der knaller: 2006 verzeichnete die gemeinde mit weniger als 200 einwohnerInnen das höchste versteuerte durchschnittseinkommen aller schweizer kommunen: knapp 350’000 schweizerfranken im schnitt! gerne hätte man den grund in vaux für sich behalten, bis “le temps” dem geist der zeit folgend, zu recherchieren begann. jüngst hat die nzz nachgedoppelt – nicht nur zur freude der zurückgezogen lebenden einwohnerschaft in vaux, wie der journalist erfuhr.

fünf bauernbetriebe hat es heute noch in vaux – und eine kleine siedlung mit einfamilienhäuser im pierrafuz, ausserhalb des weilers. gelbe rapsfelder prägen das frühlingshafte bild auf dem plateau. einige reben schmücken die abhänge gegen den see, und im tobel der morgen mampfen zahlreiche kühe gemütlich vor sich hin. doch damit nicht genug. die einfamilienhäuser in pierrafuz sind zwar stattlich gebaut, von luxuriösem umschwung kann aber eigentlich nirgends die rede sein. der reichtum muss anders als über subventionen und arbeitsfleiss begründet sein.

nouveau-vaux wäre heute nicht nouveau-vaux, hätte sich da nicht auch andré hoffmann in der gemeinde niedergelassen. sprecher der roche-erben ist er, vizepräsident des firmenverwaltungsrates zudem. medizin in genf und wirtschaft in st. gallen hat er studiert. in london hat er karriere gemacht, bevor er bei nestlé in vevey einstieg. jetzt investiert der milliardär am liebsten in seine eigenen unternehmungen – und trägt mit seinen gewinnen und vermögen 90 prozent der (tiefst)steuern von vaux.

jüngst wurde spekuliert, hoffmann habe gar moritz sutter die kaufsumme für den mysteriösen baz-deal vorgeschossen. die osterpresse von gestern erschien angereichert mit recherchen hierzu. das dementi aus vaux kaum schnell und bestimmt. das würde nicht in die strategie passen, liess der sprecher des sprechers verlauten.

irgendwie glaubt man das auch, wenn man auf der alten bank am dorfplatz von vaux sitzt. wer die unruhe der medien sucht, braucht einen zentraleren standort, um die ereignisse und trends just in time mit zu erleben. denn wer hoch über dem genfersee um sich schaut, merkt davon nicht viel. das kapital der gegend ist die ruhe, die einen dauerhaftigkeit und weitsicht lehrt.

genau das wissen die bauersleute von vaux zu schätzen. für einige neuzuzüger haben sie sich geöffnet, für ihre grandiosen neubaupläne brauchen sie aber kein musikgehör zu haben. der gemeinderat gehört den neuen, der boden den einheimischen. nicht die menge der steuerzahler macht den reichtum der gemeinde aus. entscheidend ist der mix. und da reicht ein milliardär, der in die roche und in den wwf investiert – gerade weil da kein neues savoyerschloss günstlinge und auswertige anzieht wie unten in der stadt.

stadtwanderer

le malheure de bonneville

le seyon, der fluss im val-de-ruz, wirkt in diesen frühlingstagen friedlich. fast nicht erinnert einen an die katastrophe von 1301, als die siedlungsstadt bonneville im neuenburgischen tal abging.

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die arche von bonneville im neuenburgischen val-de-ruz

wer die alte kantonsstrasse von valangin nach engollon durchwandert, stösst vor einer krete auf ein merkwürdiges denkmal voller symbolik. unbeschriftet ist es heute, doch man erkennt ritter als teile des universums, die unter sich ein nichts haben.

die geschichte erinnert einen, dass es das denkmal an einem eingangsort einer untergegangenen stadt steht. ausgerechnet “bonneville” hiess die gründung der herren von valangin, die im hochmittelalter unweitüber die enge talschlucht wachten, die von den jurahügeln hinunter an den see führt. sie legten den flecken von 200 mal 80 meter fläche im 13. jahrhundert an, um das tal zu roden und zu besiedeln.

die expansionspläne der seignieurs in halber höhe der bergzüge missfielen den grafen auf der neuenburg gründlich. sie kontrollierten die see- und landwege im 13. jahrhundert der region nach belieben, und die herren von valangin betrachteten sie als ihre eigenen untertanen.

diese wiederum machten, was man damals immer tat, wenn man sich luft verschaffen wollte. sie verbündeten sich 1295 mit dem noch mächtigeren, aber entfernteren bischof von basel, der in den jurabergen reich begütert war. sie vermachten ihm die werdende stadt, um sie von ihm als lehen zurück zu erhalten. der preis des schutzes: sollte die gründung innrt viere jahren gelingen, wollte der bischof sie ab 1299 sein eigen nennen dürfen.

doch das liessen die die neuenburger grafen nicht zu. im frühling 1296 griff rudolf iv. aus ihrem geschlecht valangin und bonneville an. beim heutigen dorf coffrane kam es zur schlacht, bei der sich die neuenburger durchsetzten. den versuch der bischöflichen truppen, den gräflichen einfluss auf das tal dennoch zu beschneiden, vereitelten die neuenburger, indem sie 1301 bonneville direkt angriffen und nun dem erdboden gleich machten.

die chroniken berichten, dass nur frauen und kinder den überfall überlebten und die kleine gemeinde engollon gründeten. der basler bischof liess in der folge die finger vom versuch, das “tal des rudolfs”, le val-du-ruz, nochmals beherrschen zu wollen. dafür gründet er 1318 unten in der ebene am ende des bielersees la neuveville, die neue stadt, das es heute noch gibt.

im val-de-ruz erinnert nur noch das denkmal, an den unheilvollen herrschaftlichen versuch, das tal dem menschen zu erschliessen. die ritter in der kuppel des mahnmals haben bis heute nur gras unter sich.

stadtwanderer

ganz im zeichen der pilze

“filet de boeuf, sauce périgueux”, steht auf der karte der herberge “l’aubier” in montézillon, dem zentrum für nachhaltige entwicklung hoch über dem neuenburgersee. genau das nehmen wir als hauptspeise bei meinem geburtstagsessen. “périgueux“, erklärt uns der ebenso gedrungene wie gewandte kellner, “verweist auf die gegend im südwesten frankreichs, wo es die besten schwarzen trüffeln gibt”. und eben diese auserlesenen pilze dienen dem koch, um das fleisch wunderbar zu verfeinern. damit überzeugt der herr des essens im ökohotel auch uns. das gericht ist frisch, aromatisch und wirkt sich anregend auf die atmosphäre aus.

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mycorama, das weltweit einzigartige pilzmuseum im neuenburgischen cernier ist jederzeit eine reise wert.

am andern morgen machen wir uns auf ins val-de-ruz. denn in cernier, einem bauern- und industriedorf am talrand steht seit 2007 das weltweit führende pilzmuseum. das moderne gebäude besteht aus glas, stahl, beton und holz. im innern des mycoramas bekommt auf drei stöcken alles geboten, was man aus biologie, ethnologie und gastronomie über plize weiss. die aktuelle ausstellung steht unter dem motto “zum teufel mit unseren dämonen!” sie widmet sich menschlichen ängsten gegenüber unerklärlichen vorkommnissen, deren ursachen pilze sind. das antoniusfieber schreckt, das milchmeer fasziniert, und wie die trüffeln aus frankreich schmecken, wissen wir ja bestens.

nach dem intensiven museumsbesuch ruht man sich am besten aus. zum beispiel im benachbarten evologia, dem zentrum für natur und kultur “le piano” heisst das kleine restaurant. wir lassen uns apfelsaft servieren und fragen die gerantin erwartungsvoll nach der spezialität des hauses. heute gibt es alles, ausser pilzgerichte, bekommen wir zur antwort. “das können sie mit uns nicht machen”, erwidern wir ihr. die freundlich-resolute chefin, die ein wenig wie bonneminne aus asterix&obélix wird, zeigt denn auch rasch ein einsehen und tritt selber in der küche an den herd. ihre pilzschnitten mit frischen steinpilzen duften herrlich, wenn sie nur schon aufgetischt werden. und der rest ist noch besser als erwartet.

gestärkt machen wir uns auf den wanderweg ins val-de-ruz, um auf entdeckungsreise zu gehen, selbst wenn es (leider) noch nicht pilzsaison ist …

stadtwanderer

mit denis de rougemont nach st. gallen unterwegs

war heute in st. gallen. seit neuestem unterricht an der hsg “empirische politikforschung in der praxis”. und ich will demnächst als stadtwanderer in der gallus-metropole beginnen!


denis de rougemont in seiner studierstube, heute mein unglücklicher zugspatron, der mich zum nachdenken anregte

doch schon in zürich blieb ich heute auf dem weg von bern nach st. gallen stecken. musste unerwartet aus- und umsteigen. so hatte ich ein wenig mehr zeit zum nachdenken.

die lokomotive meines alten zuges war “denis de rougemont” gewidmet. “ausgerechnet!”, reif ich aus. dem konservativen schweizer politphilosphen aus dem neuenburgischen, der 1985 verstarb.

denis de rougement war zeit seines lebens ein intellektueller, – in der schweiz nicht gerade etwas häufiges. er war europäer. auch das eher etwas seltenes.

aber de rougemont war kein grosser anhänger eines vereinten europas. ein wenig wie jean-françois bergier, dem grossen schweizer historiker der gegenwart. de rougemont war ein überzeugter vertreter des europas de kulturen.

in der nachkriegszeit lebte de rougemont zuerst in genf, dann in paris. über schob er kulturelle begegnungszentren für menschen unterschiedlicher herkunft an. in seinem lebenswerk, “die zukunft ist unsere sache” betitelt, dass erst 1977 erschien, bilanziert er “sein” 20. jahrhundert: nation, technik und wachstum waren seine grossen themen, die er kritisch anging. sie hatten für den denker aus der westschweiz etwas gefährliches an sich, denn sie wirkten (und wirken!) seiner auffassung nach wie eine religion. und sie kennen die gleichen erscheinungen wie die institutionalisierten religionen: homogenisierung der kulturen und konzentration der macht.

dagegen empfahl der schweizer politische philosoph des 20. jahrhundert die dezentralisierung: das europa der kulturen, denn nur dieses erlaube bürgerbeteiligung und -mitbestimmung.


die lok “denis de rougemont”, die in zürich stehen blieb (foto: stadtwanderer)

doch dann musste ich mich beeilen. die technische panne ist unlösbar, wir bekamen einen neuen zug. denis de rougemont blieb symbolischen aussen vor. ich fuhr mit dem zug “alice rivaz”, einer welschen schriftstellerin, nach st. gallen.

dort wartete, als ich eintraf, schon der unterricht an der kaderschmiede für die schweizer wirtschaft. einen moment noch staunte ich, dass ausgerechnet die sbb denis de rougemont gedenkt. denn die eisenbahnpolitik der schweiz litt im 19. jahrhundert darunter, dass die schweiz 1848 keine nation, sondern ein bundesstaat wurde. eine nationalen eisenbahnpolitik hat das während jahrzehnten verunmöglicht. erst das gotthard-projekt brachte die gesamtschweizerische dimension in die linienführung der kantonalen eisenbahnen und legte den grundstein für die verstaatlichung der privaten eisenbahnen.

denis de rougemont blieb heute nicht nur symbolisch auf der strecke. doch vielleicht wollte der zugsausfall von heute mir mit auf den weg geben, den neuen managerInnen der schweiz in der globalen welt mitzugeben, nebst aller modernisierung auch die kulturellen eigenheiten der regionen schätzen.

technik braucht grosse räume, um erfolgreich zu sein. doch kultur bleibt gerade in europa regional bestimmt, – und ist genau deswegen erfolgreich geblieben!

stadtwanderer

war sind die longchamps katholisch?

der heimatort der familie longchamp ist malapalud, – ein verträumtes nest, mitten in der waadt. unter bernischer herrschaft (1536 bis1798) gehörte malapalud zu echallens. zwischen 1476 und 1536 war echallens eine bernisch-freiburgische vogtei („gemein(sam)e herrschaft“). 1475 war es durch bernische truppen erobert und im zentrum arg zerstört worden. vor 1475 war man in echallens burgundisch, gehörte den grafen von chalons, die sich ab 1407 über den jura hin ausdehnten. denn man strebte nach oberitalien, und der weg über den jura führt schnurgerade über echallens.

die katholische kirche war damals in einem fürchterlichen zustand. den papst in rom gab es seit 1307 nicht mehr, als bonifatius VIII. nach der ganzen macht in europa gegriffen hatte und einem attentat zum opfer gefallen war. der neue papst wohnte danach in französischer obhut im südburgundischen avignon. die grosse pest von 1347 tat das ihrige, denn die vielen toten liessen den glauben in die schutzmächte aller art schwinden. und als der papst von avignon 1378 wieder nach rom ging, kam es zu eklat: der genfer graf wurde zum gegenpapst und ging seinerseits wieder nach avignon, – und die christenheit war ab jetzt zerrissen zwischen der französischen und der deutschen variante der katholischen kirche. bis 1417 dauerte die spaltung, das grosse abendländische schisma der katholischen kirche, und das kirchenleben zerfiel in dieser Zeit vielerorts. Vollends verwirrlich wurde die situation 1439, als man den damaligen herzog von savoyen, amadeus VIII., ein vater vieler Kinder, in basel zum gegenpapst Felix V. kürte. glücklich wurde dadurch niemand!

eern eroberte 1475 gemeinsam mit freiburg das burgundische echallens. ss ein präventivschlag, wollte man doch dem drohenden karl dem kühnen seine bastion in der waadt wegnehmen. im grossen burgunderkrieg schlugen die vereinten eidgenossen den burgunder herzog in grandson und murten. 1477 starb er in der schlacht von nancy, und burgund kam per erbschaft ans haus habsburg. erzherzog maximilian hatte noch rechtzeitig marie von burgund, die tochter des kühnen, geheiratet. bern und freiburg, welche die ganze Waadt erobert hatten, durften diese jedoch nicht behalten, doch die savoyische herrschaft, die danach entstand, war eher formeller natur. 1536, als bern und freiburg unter oberst jean-françois naegeli mit segen von francois I. in den französisch-habsburgischen krieg eingriffen und die savoyische waadt besetzten, leistete diese kaum mehr widerstand.

doch es machte einen grossen Unterschied, ob man 1475 oder 1536 von bern und freiburg erobert worden war. die waadt wurde reformiert, mit ausnahme der vogteien, die bern und freiburg direkt aus den burgunder-kriegen behalten hatten. in diesen war es 1532, als sich reformierte und katholiken im zürcherischen kappel die köpfe einschlugen und die katholiken die oberhand behielten, folgendes beschlossen worden: die Untertanengebiete, die von mehreren eidgenössischen orten gemeinsam regiert werden, können selber bestimmen, welcher konfession sie angehören wollen. und so entschied man sich in echallens, katholisch zu bleiben, das heisst unvermindert zum (letzten) bischof von lausanne, sébastien de montfalcon, zu gehören. diesen gab es kurz darauf nicht mehr, am 21. März 1536 verliess er seinen sitz st. maire in lausanne, und er kehrte nie mehr dorthin zurück.

so blieben die leute von echallens katholisch. auch die leute von malapalud, die von echallens abhingen. und so auch die longchamps. eigentlich sind wir also unvermindert katholische burgunder! genauso wie adrian von bubenberg, vor meinem büro! habe selber 47 Jahre gebraucht, und zu verstehen, warum meine familie katholisch (geblieben) ist, obwohl wir waadtländer sind.

werde möglicherweise noch 47 brauchen, um zu verstehen, warum ich katholisch (geblieben) bin, obwohl ich in bern lebe. a suivre, à l’an 2053!