die brücke von gümmenen – verhandelt am symposium von holzhausen

alles begann mit den ersten cantarelllen aus den värmländischen wäldern. dann kamen maiskolben dazu, ochsenfilet, erdbeeren und schlagsahne. zusammen ergab das schon am freitag nachmittag ein oppulentes sonntagsessen. und da konnte die gelehrte disputation nicht fehlen.

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die holzbrücke von gümmenen, aus dem jahre 1739. ihre vorläuferbrücke war von höchster imperialer bedeutung, ebenso wie für die die geschichte der eidgenossenschaft.

das heutige symposium im schwedischen holzhausen war verschiedensten themen gewidmet, vor allem aber der brücke der gümmenen. vor ort erscheint sie den bewohnerInnen als überkommene zeugin aus frühern zeiten, längst überholt durch die verkehrsrealität der gegenwart. aus der distanz ist sie ein wahrhaftes zeugnis imperialer politik, betrieben durch karl iv., ihm dienste der böhmischen kirche und mit nebeneffekten für die bernische und eidgenössische politik.

zu beginn flossen wisky und aquavit, importiert aus der duty free in zürich. Hinzu kam ein rotweis aus dem systembolaget in torsby. die hauptspeise bestand aus edlem fleisch aus dem ica, von wo auch die maiskolben kamen. zur nachspeise gab es erdbeeren aus ekshärad, und schlagsahne, geschwungen in holzhausen. da durften die vanillekekse aus der vorratsbüchse und der kaffee aus dem rot krug nicht fehlen.

der themen waren viele. eine spannende diskussion entstand jedoch über die eidgenossenschaft. einig war man sich, dass der prinzip gut sei. selbstverwaltung, verbunden mit selbstverteidigung im ernstfall, jedoch nicht ohne verbindungen mit dem umwelt.

bei der ergründung, warum es eidgenossenschaften ausserhalb der heutigen schweiz kaum gab, stiessen die standpunkte aufeinander.
der eine: das ist eine schweizerische erfindung, von hohem inneren wert, jedoch ohne bedeutung für andere (rechts)verhältnisse.
der andere: die ausdehnung von eidgenossenschaften als landfriedensbünde wurde von kaiser karl iv. gestoppt, weil er statt bündischen adelige verhältnisse vorzog.

die fakten:
erstmals anerkannt wurden eidgenossenschaften 1365 – durch kaiser karl iv. der war von hause aus luxemburger, mit den böhmischen premyliden verheiratet, französisch erzogen, mehrerer sprachen mächtig, der als könig in prag die stadt zur kaiserresidenz machte.

eines seiner politischen ziele war die anerkennung des bistums böhmens durch den papst, denn die abhängigkeit von regensburg und damit von bayern mochte man in prag nicht. dafür galt es, einen sicheren weg nach „rom“, sprich zum papst, zu haben. wäre dieser damals wie üblich in rom gewesen, hätten die eidgenossen in im mittelland zwischen jura und alpen keine rolle gespielt. da er aber in „exil“ in avignon herrschte, führte der weg zum papst mitten durch dieses mittelland. dem kaiser jedoch waren die landfriedensbünde, die an die kaiserlose zeit nach friedrich II. und vor rudolf I. erinnerten suspekt. nur widerwillen lernte er sie zu akzeptieren.

in jungen jahren hatte kaiser karl iv. auf die goldene bulle gesetzt. damit wollte er die rechtsvehältnisse im unüberischtlich geworden reich neu ordnen. denn die adelkriege hatten die ehemalige einheitlichkeit des reichs in die ferne rücken lassen.

zu den übergeordenten zielen der kaiserzeit von karl gehörte, prag, seine residenzstadt zum sitz eines eigene bistums machen zu können. denn die abhängigkeit von regensburg und damit von bayern mochte man in prag nie.

dafür galt es, einen sicheren weg nach „rom“, sprich zum papst, zu haben. wäre dieser damals wie üblich in rom gewesen, hätten die eidgenossen in im mittelland zwischen jura und alpen keine rolle gespielt. da er aber in „exil“ in avignon herrschte, führte der weg zum papst mitten durch dieses mittelland.

das bündnis der zürcher mit den waldstätten nach der pest hatte der kaiser mit krieg auf gelöst. das gleiche der berner akzeptierte er ein dutzend jahre später. denn auf dem weg nach avignon erschien ihm bern unumgänglich.

auf dem weg in die papststadt hauste karl ein erstes mal in bern. die krone diente ihm als absteige, doch kam es noch zu keinem verhandlungsergebnis. erst auf dem rückweg einigten sich die beiden parteien.

von bern verlangte der kaiser, dass die bürgerlichen kräfte, die nach der ersten pestwelle an die macht gekommen waren, den traditionsreichen junkern wieder platz machen würden. die von bubenbergs, zwischenzeitlich im könizer exi,l kehrten in die stadt zurück und übernahmen das amt des schultheissen erneut.

die stadt wurde mehrfach privilegiert. sie erhielt erstmals ein festes kaufhaus und wurde damit für den überregionalen handel attraktiv. um ihre stellung in der umgebung zu sichern, erhielt sie die rechte über die hoheitliche brücke bei gümmenen, im grenzraum zwischen dem alten schwaben und burgund.

kaiser karl der vierte anerkannt mit der übertragung der rechte über die brücke zu gümmenen nicht nur die reichsstadt bern, sondern auch ihre regionalen herrschaft. diese galt dem kaiser als garantin für die sichere wege durch die gegend, und damit für die verbindung von prag nach avignon.

das war für die stadt bern, ihre burgundische eidgenossenschaft und die verbindung zu jener der waldtstätte nicht ohne. denn erstmals akzeptierte ein kaiser die rechtsform, die sonst nur ausserhalb geregelter regierungszeiten gültigkeit gefunden hatte.

ausgedehnt haben sich eidgenossenschaft darüber hinaus aber kaum. den sie galten nach wie vor als unordentliche bündnissysteme, von minderem rang, und maximal in übergangszeiten zur rechtssicherung akzeptabel.

der alte aus holzhausen, der selber in der nähe der karlsbrücke in prag lebte, danach nach bern emigrierte und heute in den värmländischen wäldern cantarelle findet, bevor man sie irgendwo sonst bekommt, staunte nicht schlecht, als der die ausführungen vom stadtwanderer hörte. denn wie für jeden prager ist karl iv. für ihn ein vorbild an internationaler ausrichtung, staatsrechtlicher ordnung und lokaler verbundenheit in prag, bern und holzhausen.

in erinnerung an seine fischereiwege ins seeland erhob er in holzhausen seine arme. „ich bin karl der vierte, der weiss, wie wichtig der übergang bei gümmenen ist, wenn man in bern lebt“, rief er am essenstisch aus.

das alles mitten im holzhausener symposion bei cantarellen, ochsenfleisch und erdbeeren, das die juristische anerkennung der eidgenossenschaft am beispiel der holzbrücke von gümmenen klärte.

jetzt fehlen nur noch die karpen im teich und auf dem teller! vielleicht bekommen wir welche bis zu weihnachten in bern …

stadtwanderer

der sturz des königs der tiere

das erste buch, das ich meinen ferien im nordischen holzhausen gelesen habe, ist die grossartige kulturgeschichte zum verhältnis des menschen und des bären, die es bis in harvard-press geschafft hat, bei uns (in bern) bisher aber kaum wahrgenommen wurde.

xals im juli 1969 neil armstrong mit seinem apollo-team zur ersten erfolgreichen mondlandung aufbrach, hatte er einen bären dabei – keine leiblichen selbstredend, aber einen teddybären!

michel pastoureau, französischer spezialist für die geschichte der symbole des europäischen mittelalters, nimmt das „als Zeichen einer sehr langen Geschichte zwischen Mensch und Bär, die auf dem Mond, an der Schwelle zur Ewigkeit, fortgesetzt wird.“

2007 hat der pariser professor ein bemerkenswertes buch über eben diese kulturgeschichte herausgebracht. in de debatten der archäologie, ethnologie und religionswissenschaften zum bär als erstem gott der menschen mag sich der historiker nicht wirklich einmischen. für ihn ist aber klar, in europa war der bär lange zeit der könig der tiere, analog dem löwen in asien, dem elefanten in afrika und dem adler in amerika.

die anfänge dieser tradition sieht in griechenland. artemis (die zwillingsschwester von apollo), ist seine zeugin. in arkadien, dem „land der bären“, war sie nicht nur die göttin der jagd, sondern auch des mondes, des waldes, der berge und der wilden tiere. die mythologie, die um sie entstand, ist nach pastoureau durch die drei verhältnisse gekennzeichnet, die es bei jagenden völkern gegenüber dem bären gibt: durch die verwandlung von menschen in bären, durch die mütterliche bärin, die verloren gegangene kinder aufzieht, und durch den bär als monster, der jungfrauen verführt.

in unseren breitengraden galt der bär lange als unser nächster verwandter – als mensch im fell quasi. seine physiognomie gleicht dem den menschen, wie dieser kann der vierbeiner aufrecht gehen und nutzt er die ganze sohle, wenn er geht. doch nicht genug: er kann schwimmen, rennen, klettern, springen und tanzen, genauso wie wir menschen auch.

im hohen norden, wo es heute noch bärenkulte gibt, ist diese symbiose besser spürbar: nicht nur ist die verehrung des raubtieres im alltag der naturvölker fest verankert geblieben; in der geschichte dänemarks, norwegens und schwedens haben sich könige immer wieder als nachfahren des bären verstanden.

das hat sich in kontinentaleuropa ins umgekehrte gewandelt. pastoureau sieht im römischen historiker plinius dem älteren und im kirchenvater augustinus die frühen feinde des königs im tierreich. als eigentlichen übeltäter denunziert wird jedoch karl der grosse. während seiner feldzüge gegen die sachsen liess er nicht nur heilige bäume fällen, magische steine versetzen, nährendes quellwasser umleiten und traditionelle orte mit christlichen kapellen bebauen, um die heidnischen bräuche auszurotten, nein, er hatte es auch auf den bären als krafttier der besiegten völker abgesehen.

in seinem buch „Der Bär. Geschichte eines gestürzten Königs“ entwickelt passtoureau die these, dass mit der christianisierung zwei strategien zu vernichtung entwickelt worden sind: die treibjagd im wald und die hetzjagd in der literatur. der kulturelle kampf gegen den bären interessiert ihn besonders: denn da wird er im hochmittelalter in raten bekämpft, gezähmt und erniedrigt.

angefangen hat das in frankreich, von wo der bär schon früh verdrängt wurde, in die pyränäen, die alpen und den hohen norden. symbolisch nachgezeichnet werden kann diese nach dem heraldiker pastoureau anhand des aufkommens von wappen im 11. jahrhundert. Speziell mit den kreuzzügen setzte sich in europa die vorherrschaft des löwen als zeichen der macht und als könig der tiere durch.

wenn bern (wie berlin) bis heute dagegen hält, ist dies in diesem gelehrsamen buch ein zeugnis für germanische traditionen, die in gebieten, die erst im 12. jahrhundert erschlossen wurden, länger erhalten blieben, ja bis heute nachwirken. Knut, der weissbär, und finn, der braunbär sind beredete zeugnisse daf^ür.

andernorts setzte sich schneller durch, was im ausgehenden mittelalter allgemeingut wurde: der bär wird aus dem wald gezerrt, in den werdenden städten auf den marktplätzen angebunden und domestiziert im zirkus aufgeführt, um ihn letztlich zu verspotten.

seine ehrenrettung findet der bär seither in den fantasien der herrschenden, den museen der naturkundler und als teddybär im kinderzimmer. von wo er als rache bis auf den mond schaffte!

stadtwanderer

wettstein, die eidgenossenschaft und ihre souveränität

johann rudolf wettstein gilt als der mann, der 1648 die unabhängigkeit der eidgenossenschaft vom kaiserreich erwirkte. nun ist seine biografie aus dem jahre 1935 neu aufgelegt worden, die eine kleine kontroverse über die souveränität der schweiz in gegenwart und geschichte ausgelöst hat.

413-Z1kLQnL._SL500_AA300_1935 veröffentlichte mary lavater-sloman das buch „Der Schweizerkönig“. porträtiert wurde darin johann rudolf wettstein, der legendäre basler bürgermeister, der am friedenskongress zur beendigung des „Dreissigjährigen Krieges“ die unabhängigkeit der eidgenossenschaft verhandelt hat.

neuauflage der biografie

nun ist das buch von der deutsch-schweizerischen winterthurerin 2011 im römerhof-verlag in zürich in leicht redigierter form eben erst neu erschienen. ob ich es zur lektüre empfehlen würde oder nicht, weiss ich nicht wirklich. obwohl aufgrund von quellen verfasst, gleicht die erzählung mehr einem historischen roman als einem geschichtswerk. denn es werden auch geschichten erzählt, die literarischer natur sind, um durch gegensätze spannungen zu erzeugen, die einem beim lesen der biografie vorantreiben soll.
ich weiss aber, dass die buchpublikation vor wenigen wochen eine kleine kontroverse mit grundsätzlichen fragen ausgelöst hat. angefangen hat dies mit dem nachwort, verfasst vom unternehmer und emeritierten zürcher philosophieprofessor georg kohler, dem flugs eine buchbesprechung aus der feder des herrliberger unternehmers und alt-bundesrat christoph blocher in der bücherbeilage der „NZZ am Sonntag“ gefolgt ist.
worum geht es? letztlich nicht um die biografie von johann rudolf wettstein. denn sie ist zu vielschichtig, um in einer politischen debatte der gegenwart eine eindeutige zeugin für eine partei zu sein.
1594 geboren, vermählte sich der 17jährige johann mit anna marie falkner; der ehe entsprangen 9 kinder. der 22jährige setze sich nach einer ehekrise richtung süden ab, trat in venezianische dienste ein, bevor er landvogt und schliesslich bürgermeister basels wurde, ein amt, das er bis zu seinem tode 1666 innehatte. überhaupt, die wettsteins waren alles andere als alteingesessene basler. erst 1579 hatten die zürcher einwanderer das bürgerrecht erworben. auch johann rudolf war nicht in basel ausgebildet worden. seine sporen als kontorist verdiente er sich im waadtländischen yverdon ab. einmal erster bürger seiner stadt, vertrat er jedoch ganz ihre interessen. im bauernkrieg von 1653 vertrat er gegenüber den aufständischen im baselbiet die harte hand der gottgewollten ordnung, liess er doch die anführer des aufstandes, die sich als gute eidgenossen gegen die obrigkeit vestanden, kurzerhand enthaupten. als grosses vorbild für das einfache volk taugt er damit überhaupt nicht.
wettsteins staatpolitische leistungen besteht sicherlich darin, 1646 ohne einladung zum treffen der möchtigen den rhein hinunter nach münster gereist zu sein, und ohne mandat der tagsatzung die sache basels und der eidgenossenschaft mit grossem verhandlungsgeschick vertreten zu haben, sodass er ein jahr später mit einem brief des kaisers und einem vertrag der garantiemächte in seine heimat zurückkehren konnte.

die kontroverse
um das, was das alles bedeutete, geht es in der kontroverse über wettstein und die eidgenossenschaft. doch da hilft die biografie nicht weiter. wie unsere älteren geschichtsbücher interpretiert sie nämlich das vertragswerk des westfälischen friedens als moment des austritts aus dem kaiserreich. das mag für die niederlande richtig und für die weltgeschichte sogar wichtig sein. auf die schweiz trifft es kaum zu, selbst wenn wir alle in der schule gelernt haben, dass sich die schweiz 1499 de facto, 1648 de jure aus dem kaiserreich verabschiedet habe.
kronzeuge für die neuinterpretation ist der schweizerisch-finnische historiker thomas maissen, geschichtsprofessor in heidelberg. er spricht nicht mehr von austritt der eidgenossen aus dem reich deutscher nation, weil das den damaligen eidgenossen gar nicht in den sinn gekommen wäre. 1499 wie 1648 habe der kaiser die eidgenossen von berpflichtungen des reiches ausgenommen, ihnen ihr gewohnheitsrecht bestätigt, und sie privilegiert, indem sie vor neuen verpflichtungen befreit wurden. für basel sei dies wichtig gewesen, denn der status der reichsstadt, die erst 1501 zur eidgenossenschaft stiess, blieb bis zum westfälischen frieden ungeklärt; für die eidgenossenschaft habe es sich mehr um eine bestätigung von privilegien und autonomie gehandelt. auch von einem souveränen afuftritt einer geeinten schweizerischen nation kann man 1648 nicht sprechen, denn die innere feindschaft seit der reformation blieb nicht ein zweidritteljahrhundert über den westfälischen frieden hinaus für die eidgenossen konstitutiv, war auch darin zum ausdruck kam, dass wettstein für die minorität der reformierten am treffen der grossen weilte, nicht aber der katholiken.
die zeitgenossen bejubelten die unabhängigkeit 1648 nicht, wie man das aus gegenwärtigen staatsgründungen kennt. sie verstanden sie auch nicht als das, eher als exemption, als ausnahme von reichspflichten. aus dem reichsverband schied die eidgenossenschaft denn auch erst 1806, bei der auflösung des kaiserreiches, sodass der dtatus der werdenden schweiz 1815 auf dem wiener kongress mit der selbständigkeit, mit garantien für grenzen und mit der neutralisierung des landes mitten in europa verbindlich festgelegt wurde.
1648 wurde die schweiz also alles andere als souverän. das letzte argument dafür ist, dass das konzept hierfür entwickelte der französische staatstheoretiker jean bodin im 16. jahrhundert in das völkerrecht eingeführt hatte, es von den eidgenossen aber erst in der zweiten hälfte des 17. jahrhunderts, als es nützlich erschien, die unabhängigkeit vom reich zu begründen, die jedoch mit dem Preis einer abhängigkeit von frankreich erkauft wurde. denn souverän war in dieser zeit der absolutistische könig frankreich, wie er mit louis XIV. vertreten wurde, während das volk seine souveränität erst mit der französischen revolution erreichte, als der bisherige souverän auf dem pariser marsfeld geköpft wurde.

geschichtspolitikerkritik
so mutet es in vielem als zeitgenössische geschichtspolitik an, wenn vordenker der gegenwart dem neuaufgelegten buch von mary lavater-sloman einen ganz bestimmten sinn abzugewinnen versuchen. hilfreich sind nur die hinweise, dass bürgermeister wettstein in den etappen zur selbständigkeit der Schweiz eine wichtige vollbracht hat; ideologisch mutet es an, wenn ein milliardär in franken den armseligen basler als wahren republikaner preist. hilfreich ist auch, dass das erscheinen der biografie weder 1935 noch 2011 zufällig war. übertrieben wirkt es jedoch, die neuauflage des Buches zum reloading des guten schweizers zu verklären.
denn die eidgenossenschaft erstarkte nicht, weil es solche vorbilder zweifelsfrei gab, sondern weil sich die eidgenossen später entschieden, nicht nur ein verteidigungsbund gegen aussen mit kriegsrat im innern zu sein, sondern auch eine schicksalsgemeinschaft zu werden, die sich stets ihrer selbst vergewissert, ohne zu vergessen, nicht nur sich, sondern auch andern verbunden zu sein. erst diese kombination macht sie souverän.

stadtwanderer

soziologisches who ist who der gegenwart

es ist das aufregendste buch von soziologInnen, das ich seit langem gelesen habe. es stellt sozialfiguren der gegenwart vor, und ist damit einen abstrahierende gesamtschau über das konkrete soziale, in dem wir heute leben. jede(r) findet sich darin wieder, als treiber oder getriebener.

12573“Sozialfiguren sind zeitgebundene historische Gestalten, anhand deren ein spezifischer Blick auf die Gegenwartsgesellschaft geworfen werden kann”, steht in der einleitung der herausgeber. sie beschreiben ein bisher verkanntes phänomen: dass jede zeit ihre eigenen praktiken hat, die aus verschiedenen sphären stammen, sich aber generell durchgesetzen und für eine weile durch die gesellschaft vagabundieren. so gibt es manager nicht nur in firmen, auch in kulturellen institutionen. spekulantInnen trifft man nicht bloss an der börse, auch in medien. und beraterinnen gibt es nicht einzig für familien, auch für die politik.

stephan moebius und markus schroer, soziologie-professoren in graz resp. kassel, habe es sich zur aufgabe gemacht, die sozialfiguren unser gegenwart aufzustöbern, zu systematisieren, und sie in buchform beschreiben zu lassen. herausgekommen ist ein kaleidoskop der ist-zeit, das provoziert, erhellt, zustimmung findet, den köpf schütteln lässt – und dabei immer wieder klar macht, welche typen uns umgeben. die sponti sind nicht mehr dabei, denn sind sind out. genauso wie die tramper oder die yuppies. geblieben und gekommen sie die 34 andere sozialfiguren, die von ausgewiesenen soziologischen beobachterInnen porträtiert werden. hier sind sie:

der amokläufer.
der berater.
der bürger/weltbürger.
der dandy.
der dilettant.
die diva.
der experte.
der fan.
der flaneur.
der flexible mensch.
der flüchtling.
der fremde.
der fundamentalist.
der hacker.
der homo academicus.
der hybride.
der konsument.
der kreative.
der manager.
der medienintellektuelle.
der migrant.
der narziss.
der nomade.
der simulant.
der single.
der spekulant.
der spiesser.
der star.
der terrorist.
der therapeut.
der tourist.
der überflüssige.
der verlierer.
der voyeur.

es fehlt eigentlich nur der stadtwanderer, der ja auch immer mehr mich und andere umgibt … wer wagt dieses porträt?

stadtwanderer

wissenschaft, medien und politik

diese woche wird der historiker walther hofer 90. seiner art, sich als wissenschafter auch in medien zu äussern und in die politik einzumischen, verdanke ich viel. ein rückblick auf die zeit, als ich beim berner professor studierte.

hoferhistoriker mit herz und verstand
inhaltlich hatten wir nicht selten differenzen. so war walther hofer überzeugt, der nationalsozialismus sei das werk weniger gewesen, die man dafür zur rechenschaft ziehen müsse. ich war damals fasziniert von den analysen des deutschen politikwissenschafters reinhard kühnl, der die verschiedenen formen bürgerlicher herrschaft von der demokratie bis zum faschismus untersucht hatte. hofer verwarf die idee struktureller wie auch psychologischer erklärungen vergangener politik und schimpfte, dass ich den nationalsozialismus mit all seinen vernichtungslagern auf die harmlosere stufe des faschismus stellen würde (was ich beileibe nicht tat).

hofer war am besten, wenn er sich provoziert fühlte. dann konnte man seine innere erregtheit von den füssen bis zum kopf sehen, spürte man, wie er seine seelischen kräfte sammelte, die den intellekt befeuern sollten, damit er in einem grossen bogen durch die weltgeschichte die widerwertigkeit der kritisierten aussage vorzuführen. denn dann legte er in vorlesungen sein manuskript weg, dozierte er frei, skizzierte die mächte des 20. jahrhunderts, analysierte er die programm der regierungen und parteien und erzählte er gegenwartsgeschichte, sodass man nur noch staunen konnte. das alles war nicht immer einfach, meist von seinem liberal-konservativen hintergrund geprägt. doch es beflügelte eine ganze historikergeneration, die bei ihm studiert hat. andreas blum, der frühere radiodirektor gehört dazu, erwin bischof, der sekretär des trumpf puur, auch, genauso wie der heutige eda-staatssekretär peter maurer.

meine drei jahre bei walther hofer

meine erstes thema, das ich bei walther hofer nach 1980 zu bearbeiten hatte, war das berüchtigte massaker von katyn, bei dem 1940 mehrere tausend polnische offiziere als teil einer umfangreichen aktion des bolschwestischen volkskommissariats des innern umgebracht worden waren. offiziell waren es die nazis gewesen. als sie die massengräber entdeckten, avancierten die greultaten sofort zu einem der kernthemen der propaganda. die wissenschaft musste sich dem thema stück für stück annehmen, bis der sachverhalt geklärt war und michail gorbatchev 50 jahre danach die beteiligung der sowjeunion klarstellte. die öffentlichkeit wiederum erfuhr davon wohl erst in diesem jahr, als der russische premier vladimir putin und der polinische ministerpräsident donald tusk zu einer gemeinsamen gedenkfeier aufriefen, in deren vorfeld es zum tragischen absturz eines flugzeuges mit fast der gesamten politischen staatsspitze und angehörigen des massenmordes kam.

aus diesem thema heraus entstand auch meine abschlussarbeit als historiker, die den schweizer aerztemissionen an die deutsch-sowjetische front gewidmet war. dabei ging vordergründig um eine mission des schweizerischen roten kreuzes mit 120 aerzten, hintergründig im schweizerischen aussenpolitik, die in berlin koordiniert worden war, schweizerische interessen im falle einer eroberung der sowjetunion gebündelt hatte, und deutschland gegenüber als schweizer beitrag im kampf gegen den bolschewismus deklariert worden war. dank vermittlung hofers erhielt ich den relevanten zugang zu den bisher nicht gesichteten akten, um ein kleines kapitel schweizerisch-europäischer geschichte schreiben zu können, die der mentor für ihre trouvaillen lobte, deren schlussfolgerungen zur anpassung der schweizerischen aussenpolitik zwischen 1940 und 1943 er jedoch zu verallgemeinernd fand. nichts desto trotz erhielt ich dafür den seminarpreis für die beste abschlussarbeit in meinem semester.

wissenschafter, medienmensch und politiker
vielen leuten ist hofer als svp-nationalrat in erinnerung; den journalistInnen vielleicht auch als präsident des hofer-clubs geläufig. seinen schritt von der theorie in die praxis, von der wissenschaft in die politik begründete der parteilose hofer stets mit dem ziel, schweizer aussenminister zu werden. mit seinen professuren in berlin und in new york hatte er hierfür die fährte gelegt, und man spürte in seinen ausführungen, dass der politikwissenschafter henry kissinger als amerikanischer aussenminister stets sein vorbild war.

man weiss es, walther hofer schaffte dieses ziel nicht. leon schlumpf kam ihm als svp-bundesrat zuvor. 1979 zog er sich aus dem nationalrat zurück, 1980 auch aus dem europarat. die klärung des reichtstagsbrandes als element der machtergreifung hitlers, die ihm das deutsche bundesverdienstkreuz einbrachte, und die überführung spaniens von der diktatur francos in einem parlamentarische monarchie, die hofer als vertreter der europäischen staaten vermittelte, blieben seine grössten wissenschaftlichen und politischen leistungen. in der heimat ereilte ihn 1983 ein schicksal, mit dem er kaum gerechnet hatte. seine recherchen über die verbindungen der nazis in die schweiz brachten ihm 1983 eine klage durch nachfahren des rechtsanwaltes wilhelm frick ein, die zu einer breiten solidarisierung unter historikern, gleichzeitig aber auch zu einer bisher nicht bekannten kollektiven verurteilung der geschichtswissenschafter wegen übler nachrede führte. das traf den mann, der sich ein leben lang für forschungsfreiheit als kennzeichen von demokratie ansah.

ein teil des erbes von hofer …
mit dem abschluss der matur 1939, die der sohn des gemeindeschreibers aus dem seeländischen kappelen in biel ablegte, brach der zweite weltkrieg aus. dieser hat den berner wissenschafter angetrieben, politisch wach gehalten, und den historiker geformt, der auf dem lehrstuhl wie auch in seinen zahllosen radiobeträgen stets anregend war. dem geist, welcher einer reifen persönlichkeit entsprang, fühle ich mich seit den 3 jahren, in denen ich bei walther hofer studiert habe, verpflichtet, auch wenn ich danach einen anderen weg eingeschlagen habe, auf dem ich bis heute wandere.

in diesem sinn: herzliche glückwünsche zum 90. geburtstag, walther hofer!

stadtwanderer

dalli-dalli fürs europaweite rauchverbot

europa führte das rauchen ein, europa will es wieder abschaffen.

jean-nicotjean nicot, importierte als erster europäer den tabak, vorerst nur für die oberen schichten, später rauchte auch das volk, sodass man heute etwas gegen die volkskrankheit lungenkrebs unternehmen muss.

die zahl der raucher ist zwar rückläufig, nicht aber bei jugendlichen. in der eu paffen 35 prozent von ihnen. in der schweiz ist der anteil nur unwesentlich kleiner. insgesamt rechnet man mit 650000 toten innert einem jahr aufgrund von lungenkrebs, der durch das rauchen entsteht.

das ist die ausgangslage, auf die sich john dalli, der maltesische eu-kommissar stützt, wenn er nun scharfe massnahmen fordert. in frage kommen für ihn:

giftige und süchtig machende inhaltsstoffe wie nikotin sollen überall deutlich verringert werden.
verpackungen von zigaretten sollen unattraktiv gestaltet werden.
zigaretten sollen in den verkaufsgeschäften nicht mehr sichtbar ausgestellt und schwer zugänglich gemacht werden.
rauchfreie zonen sollen in öffentlichen räumen konsequent umgesetzt werden; in verkehrsmitteln und am arbeitsplatz sollen kippen ganz verschwinden.

starker tobak wird sich da manche(r) sagen. im namen der volksgesundheit werden ihnen da viele antworten. denn die medizin verändert sich rasch: public health ist angesagt, seit man weiss, dass die verbreiteten krankheiten kaum mehr individuell angegangen werden können, sondern nur noch kollektiv.

die eu hat hier eine besondere verpflichtung. denn sie ist die europäische organisation, welche die politiken in den nationalstaaten koordiniert. diese wiederum sind aus dem 30jährigen krieg im 17. jahrhundert hervorgegangen, als schrittweise ablösung der kaiser- und königreiche. und genau in diesem 30jährigen ist das rauchen als volkskrankheit entstanden – aus dem verdruss der soldaten über den krieg.

es hat lange gedauert, bis agiert wurde, doch jetzt soll es dalli-dalli gehen!

stadtwanderer

ordnung und fortschritt – die leitbilder aus dem 19. jahrhundert neu aufgelegt

brasilien, das diese nacht einen präsidenten oder eine präsidentin wählt, übernahm sein motto “ordnung und fortschritt” in die flagge. und ohne ihn hätte die soziologie ihrem namen bekommen. eine kleine hommage an auguste comte, den grossen, umstrittenen, vergessenen und wiederentdeckten wissenschafter aus dem 19. jahrhundert.

DSC00431statue von auguste comte, vor der pariser sorbonne, im gedenken an den begründer des positivismus, was mitte des 19. jahrhunderts noch starkes, wissenschaftliches denken mit wirkungsabsichten meinte.

1815 war in der europäischen geschichte ein wendejahr. kaiser napoléon verlor die schlacht von waterloo. die sieger, der russische zar, der österreichische kaiser und der preussisch könig erklärten die revolution für beendet. basierend auf gerechtigkeit, liebe und frieden leiteten sie die restauration der verhältnisse ein.

august comte, ein junger mathematiker aus montpellier, war mit der schroffen gegenüberstellung nicht zufrieden. er begann eine gesellschaftlehre zu entwickeln, welche die anarchie der moderne heilen sollte, ohne auf die konservativen rezepte zurückgreifen zu müssen: ordre et progès wurde zu seinem lebensmotto.

seine ersten schriften verfasste comte für den radikalen sozialreformer henri de saint-simon. sie setzten auf industrielle – unternehmer und arbeiter – und auf wissenschafter. neue arbeit brachten sie dem jungen mathematiker indessen nicht. denn der alte aristokrat publizierte sie unter seinem eigenen namen.

erfolgreicher war comte zweites werk. 1830 erschien der erste band des “cours de philosophie positive”, innert 12 jahren folgten fünf weitere bände. in ihnen rekonstruierte er drei stadien der menschheitsgeschichte: im ersten, dem theologischen, stellten sich die menschen fragen nach dem grund ihrer existenz; zu ihrer antwort schufen sie gottheiten, die gewissenheiten vermittelten. im zweiten, dem metaphysischen stadium, versuchten die menschen, ohne rückgriffe auf außerweltliche instanzen antworten auf die gleichen fragen zu finden. ins positive stadium treten sie, wenn das warum in den hintergrund rückt, dafür die funktionszusammenhänge entscheidend werden. comte glaubte damit, den leitfaden für den übergang in die höchste phase der menschheitsgeschichte gefunden zu haben.

der führenden wissenschaft für die dritte phase hat er den namen gegeben: er nannte sie soziologie, und er definiert ältere vorstellungen von gesellschaftslehren in seinem sinn um. soziale tatbestände sollten sich auf wissenschaftliche fakten stützen. und wissenschaft sollte stets anwendungsorientiert sein. soziale physik und soziale technik hätte man das auch nennen können. später ging comte noch weiter. im 1851 erschienen “système de politique positive” begründete er die theokratie oder gottesherrschaft neu, denn seine wissenschaft wurde nun zur religion – allerdings mit dem menschen und ohne gott an der spitze der schöpfung.

mit dieser wende spaltete comte seine anhängerschaft: die republikaner, meist französische linke, hielten dem modernen rationalisten comte aus den 1830er jahren die treue. soziologie war und ist für sie die disziplin, die der prognose künftiger gesellschaftlicher entwicklungen dient und politik so auf eine sichere basis stellt. die rechten konservativen wiederum feierten den comte der 1850er jahre, der die soziale harmonie mit hilfe eines neuen glaubens, befreit von alter wissenschaftsgläubigkeit, herstellen wollte.

noch heute steht die statue von auguste comte vor dem eingang zur pariser sorbonne. der umstrittene soziologe ist allerdings weitgehend in vergessenheit geraten. neu gelesen hat ihn jüngst wolf lepenies, der ehemalige rektor der berliner wissenschaftskollegs. er schildert ihn als mischung aus dem griechischen philosophen aristoteles umd dem christlichen apostel paulus. die versuchte klammer über all seine gegensätzlichkeiten habe comte zwischen stuhl und bank fallen lassen, auf denen die gesellschaftstheorien der linken und rechten bis heute ruhten.

régis debray, der frühere mitstreiter von che guevara, hat comte zu seinem 150. todestag wieder auferstehen lassen. anders als marx, meinte er zu seiner hommage an den grossen franzosen in filmform, habe comte das kernproblem der moderne vorausgesehen: die gefährliche illusion, “der Mensch könne sich ohne religiöse Bindungen in der Welt halten.” lepenies selber arbeitet an der zweiten wiederentdeckung comtes: den zeichen, die für die vermittlung von wissen in die massen unabdingbar seien, denn das wort alleine schaffe das nicht.

brasilien weiss das nur zu gut. es hat comtes motto in die nationalflagge übernommen. und brasilien lebt zwischen der hoffnung aus religiöser ordnung und aus materiellem fortschritt. wohl auch diese nacht, wenn der oder die präsidentIn neu gewählt wird, sodass lula da silva für höhere weihen in der weltpolitik aufsteigen könnte. auguste comte hätte es mit sicherheit gefreut.

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was für ein asterix!?

den schlauen asterix kennt man. den starken obelix auch, und idefix, den hund fürs übersinnliche, muss man einfach gerne haben. doch wo für stehen sie eigentlich: für unsere vorstellung der geschichte? für das leben im kulturellen kunterbunt der gallier? oder für frankreich als nation?

die geschichten der unschlagbaren gallier hat man zwischenzeitlich intus. man geht auf reise, irgendwo auf dem kontinent, um im fremden das eigene zu entdecken, und findet sich so nicht nur in der vergangenheit, sondern auch in der gegenwart wieder.

der film
in “asterix bei den olympischen spielen” geht es von der bretagne nach griechenland. alafolix, ein hübscher jüngling aus gallien, will die olympischen spiele gewinnen, um die bezaubernde prinzessin irina aus athen heiraten zu können. asterix und obelix, dem vorhaben gegenüber anfänglich skeptisch, begleiten ihn, unterstützt von miraculix, damit das vorhaben nicht im desaster endet. mit dem abgeschlagenen brutus, sohn von gaius iulius caesar, haben sie indessen nicht gerechnet. denn auch er will sieger der olympioniken werden. auch ihn treibt der gedanke, die venus der griechen zu bekommen. doch sieht er das alles nur als vorspiel für sein lebensziel, dier machtergreifung in rom, gegen seinen vater.

in diesem wettlauf um sieg und ruhm schenken sich die römer und gallier nichts – genauso wenig wie die helden der olympischen spiele der gegenwart. tolle sportliche leistungen werden geboten, doch ist auch doping mit im spiel, und korruption beherrscht die schiedsgerichte. als das speerwerfen an die griechen geht, setzt brutus aufs ganze. vom ringen bis zum rennen – überall gibt es nun gekaufte siege für die römer. das jedoch ist die stunde von des cleveren sternchens aus gallien, das, vom irritierten publikum unterstützt, die schiebungen vor caesar beklagt, sodass dieser einen ultimativen vergleich ausrufen muss. das legendäre wagenrennen im oval des stadions soll alles entscheiden, sodass hochgerüstet wird, mit technik, taktik und dem berühmten trank der druiden. den nutzen diesmal aber nicht die gallier, sondern die römer, die jedoch nicht merken, dass man ihnen so eine fall stellt. denn der siegreiche brutus wird am ende disqualifiziert, abgeführt und in eine galeere verfrachtet, während der zweite alafolix zu seiner erhofften ehre kommt und irina heiratet, derweil idefix mit ihrem pudel kuschelt, und obelix mit asterix von der nächsten wildschweinjagd träumt.

der streifen, vor gut einem jahr erstmals in den kinos, zählt, gemäss prospekten, zu den aufwendigsten produktionen der europäischen filmgeschichte. in der tat erlebt man die welt der antiken metropolen hautnah, sieht man sich riesigen römischen soldatenheeren gegenüber, und das wagenrennen gleicht fast schon einem grand-prix der formel 1. dafür sorgen promis der gegenwart wie michael schumacher, zinédine zidane und adriana karembeu in nebenrollen, während clovis cornillac (astérix), gérard depardieu (obélix), alain delon (jules caesar), benoit poelvoorde (brutus), stéphane rousseau (alafolix) und vanessa hessler (irina) die hauptfiguren spielen. asterix-vater uderzo wurde beim kinostart vorgeworfen, eine seiner populärsten geschichten für einen lächerlichen action film freigegeben zu haben. in der tat, einige der szenen wirken etwas kitischig, doch das stört die hauptaussage des filmes nicht. denn mit “asterix bei den olympischen spielen” wird der ganze mythos der ruhmreichen gallier gegen alle andern aufs trefflichste zelebriert.

der mythos
entstanden ist der mythos, wie die nzz von gestern erinnert, 1858 im second empire von napoléon iii., als seine archäologen den ort entdeckten, wo die gallier 52 vor christus von caesar definitiv besiegt wurden. “alesia” war den lesern der “commentarii de bello gallico” stets ein begriff gewesen, doch war die stelle der schlacht ums ganze vom siegreichen statthalter roms nur ungenau beschrieben worden. luftaufnahmen der 1990er jahren machten klar, dass es sich tatsächlich um alise-sainte-reine handeln muss, genauso, wie seinerzeit vom grabenden kaiser vermutet.

vercingetorix ergab sich seinerzeit angesichts seiner verhungernden gefolgsleute auf dem mont auxois und wurde als kriegsgefangener in rom erdrosselt. napoléon iii. liessen ihm zu ehren eine überlebensgrosse statue, ja den galliern insgesamt errichten. seither kommen weder populärhistoriker noch franzosen an ihren ersten gemeinsamen helden nicht vorbei, – vergleichbar einem karl martell, charlemagne, philipp ii. auguste, jeanne d’arc, louis xiv. und napoléon bonaparte.

die national ausgerichtete geschichtserzählung zieht eine direkt linie von der vergangenheit in die gegenwart, um die zukunft historisch zu sichern. in frankreich hing sie stark mit der rivalität von frankreich und deutschland des 19. jahrhunderts zusammen, die sich zu kriegsförderndenen gemeinschaftsbildung mit herleitungen von den galliern resp. germanen zu legitimieren suchten. dem hat der archäologe und historiker jean-louis brunaux in seinem buch “Nos ancêtres, les Gaulois” entgegnet, es handle sich um sagenhaften geschichte, sich in erzählungen, comics und filmen eingespielt habe, die historische realität aber übel verkürze.

die aktualität
das alles spiegelt sich, wie die aktualität zeigt, bis heute im verhältnis von sport und politik. zidanes weltmeistertruppe stand einmal symbolisch für die erfolge der integrationspolitik im migrationsland frankreich. seit den blamagen der blauen auf dem fussballfeld, dramatisiert durch einen der migranten, der gerne mit den schönen des süden flirtet und sich ebenso wohl in der wärme des staatspräsidenten sonnt, wenn er nicht gerade ausweisungen der romas anordnet, inszeniert man lieber wieder projektionen der reinen und tapfern gallier, die jede einmischung durch fremde zu bekämpfen wissen, und dabei unschlagbar sind.

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die berühmteste zugsreise der europäischen geschichte und ihr geheimnis

eine seiner zwölf reisen durch das 20. jahrhundert führte geert mak durch den norden europas. von berlin aus ging es über kopenhagen, stockholm und helsinki nach petrograd. zeitlich ist sie der phase am ende des ersten weltkrieges gewidmet, dem grossen moment der russischen revolution.

LENIN STOCKHOLMlenin in stockholm (mit zylinder und schirm, beim empfang durch den bürgermeister der schwedischen hauptstadt während seiner reise von zürich nach petrograd)

vom sturz des zaren in st. petersburg erfuhr lenin am 15. märz 1917, dem sechsten tag des generalstreiks. mak nimmt das zum anlass, über die isolierung der bolschewiki im exil zu sinnieren. denn selbst die zürcher polizei interessierte sich mehr für seine nachbarn an der spiegelgasse 14, dem cabaret voltaire, wo künstler 1916 das ende der wahrheitssuche in der bürgerlichen gesellschaft verkündet und den dadaismus begründet hatten, als für den flüchtling vladimir iljitsch uljanov.

dass die prawda, die kommunistische wahrheit, 1917 in wenigen wochen von einer zeitung ohne eigene druckerei zu einem massenblatt mit täglich 40 ausgaben und einer gesamtauflage von über 350’000 exemplaren aufsteigen konnte, führt den autor unweigerlich zur frage, wie das finanziell möglich gewesen sei. die antwort darauf findet er im aufenthalt lenins in stockholm während seiner nordlandreise.

die letzte nacht in zürich verbrachten lenin und seine genossen im hotel zähringerhof. danach bestieg man den zug nach berlin, der plombiert durch das kaiserreich fuhr. das sollte garantieren, dass die kommunisten keinen kontakt zum feindesland haben würden.

in der tat hatte man die aber. denn berlin unterstützte die reise durchs kaiserreich, da man in der person von zar nikolai ii. einen gemeinsamen feind hatte. eine revolution in der zentrale des zarenreiches bot die möglichkeit, auf eine ende des zweifrontenkrieges, ja des krieges überhaupt zu hoffen.

nach der ankunft in der revolutionär gesinnten stadt, in der die liberale provisorische regierung die macht übernommen hatte, wandte sich lenin erstmals an seine zurückgekehrten bolschewiken. doch anders als sie es erwartet hatten, empfahl er ihnen mit den april-thesen nicht, die bürgerliche revolution weiter zu unterstützen, sondern gleich eine zweite, nämlich die sozialistische revolution der arbeiter und bauern vorzubereiten und den krieg mit deutschland zu beenden.

der wechsel der strategie in der russlands ist für geert mak so offensichtlich, dass es gründe hierfür braucht. denn in zürich, wo lenin am abend vor der abreise sprach, hatte er sich in seinem „brief an die schweizer arbeiter“ noch skeptisch über die chancen einer sozialen revolution im rückständig gebliebenen russland geäussert. nun wollte er sie im eilzugstempo realisieren.

den für die weltgeschichte entscheidenden moment der neubesinnung ortet der chronist bei den treffen der reisegruppe in stockholm. offiziell war man vom bürgermeister empfangen und von den medien bewundert worden. denn die hoffnung auf ein kriegsende ruhten nun ganz auf lenin. inoffiziell traf sich karl radek, der oesterreichische sozialist in der gruppe, mit alexander helphand, einen multimilionär mit sympathien für die komministen. lenin hatte er 1914, damals noch journalist, kennen gelernt.

nach dem kriegsausbruch war es helphand gewesen, der bei den kommunisten unter dem namen parvus bekannt war, der in berlin auf die gemeinsamen interessen der deutschen monarchisten und der russischen kommunisten hingewiesen hatte. in stockholm nun vermittelte er der radek die finanzielle unterstützung der revolution durch das auswärtige amt des kaiserreiches. die dokumente, die nach 1945 hierzu publiziert wurden, nennen 40 million goldmark, wovon mehr als die hälfte im ersten revolutionsjahr ausgegeben wurden, und der grossteil davon an die bolschewisten als kriegsgegner ging.

demnach kann man nach mak sagen: erst während der berühmtesten zugsreise der europäischen geschichte wurde der plan für die rasche revolutionierung der massen in russland gelegt. die oktoberrevolution und der ausbrechende bürgerkrieg zwangen russland zu einem separatfrieden mit deutschland, ohne dass dieses den krieg gewinnen konnte.

einen einfachen deutschen agenten sieht mak in lenin dennoch nicht. er sei durch und durch ein revolutionär gewesen, der dem kommunistischen umsturz alles untergeordnet habe und dafür bereit gewesen sei, mit dem teufel zu paktieren. seine allianz mit den deutschen sei eine gelegenheitskooperation gewesen, die beiden seiten zu einer bestimmten zeit nutzte, die aber jederzeit wieder beendete werden konnte.

das war dann auch nach kriegsende der fall. das kaiserreich zerfiel, an seine stelle trat die weimarer republik in deutschland, während aus russland die sowjetunion hervorging. revolutionsführer wladimir uljanov selber erlitt 1918 bei einem attentat schwere verletzungen, denen er schliesslich am 21. januar 1924 erlag.

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in 84 kapiteln längs und quer durch europa

er wurde am 1. januar 1924 geboren, stieg zum führenden historiker frankreichs auf, und verfasste kurz vor der jahrhundertwende vom 20. zum 21. ein bemerkenswertes bändchen über die geschichte europas. bei einigen regenwolken über dem schwedischen sommer ist die formidable übersicht, die jacques le goff über den stoff bietet, eine ideale lektüre für einen neugierigen.

22807185njacques le goff, einer der wohl renommiertesten, lebenden historiker frankreichs, schrieb 1997 seine „geschichte europas“. gerade mal 110 seiten brauchte er für den wurf, der sich an unerfahrene jugendliche wendet, letztlich aber auch von erwachsenen mit vorteil gelesen werden kann.
geografie und geschichte, mentalitäten und verhältnisse, vergangenheit und gegenwart, das sind die grossen interessen des paris mediävisten. mit 75 verfasste er die kürzeste komplette geschichte europas, die ich kenne.

am liebsten reist er, und erzählt, wie wenn es um ein umfassendes kaleidoskop ginge, was europa ist: wie es, von den griechen zur abgrenzung erfunden wurde, unter der führungen der franken entsteht, zum kaiserreich der christlichen völker wird, wie die renaissance den geist aus den antiken quellen speist, wie sich das weltbild durch die reisen nach amerika verändert, die die konfessionen den kontinent spalten, wie sich die barocke lebens- und bauweise über den ganzen kontinent ausweitet, wie die wissenschaft weltweit einmalige enteckungen ermöglicht, wie napoleons versucht einer einigung europas scheitert, wie die industrialisierung und elektrifizierung den alltag verändern, und wie die so vorteilhaften nationalstaaten internationale ordnungen brauchen, damit sich die katastrophen der weltkriege nicht wiederholen.

bildhaft ist der gereifte gelehrte, der mit leichter und dennoch präziser feder schreibt, wenn er es um kulturen geht. so treffen im mittelalter nicht nur die niedergehende römische und die aufkommend germanische kultur aufeinander. nein, es begegnen sich auch menschen, die wein und brot resp. bier und fleisch bevorzugen. Während durch die verbreitung des getreideanbaus heute fast alle europäerInnen brot essen (und nicht reis wie die asiatInnen, mais wie die uramerikanerInnen oder maniok wie die afrikanerInnen) und die meisten von ihnen fleisch konsumieren, sind die grenzen mit vorherrschenden wein- und biergebrauch weitgehend geblieben. Treffend wirken seine klaren und dennoch nicht simplen sätze, wenn le goff die konfessionen nach der reformation charakterisiert: den protestantismus aus sittenstrenger im alltag, jedoch liberaler im geist, und der katholizismus als larger im tägtäglichen umgang, jedoch konservativer in seinen weltbild.

wer wenig weiss über die entwicklung des kontinents, wird mit diesem buch gut bedient. stets klar angekündigte, thematische kapitel hat das bändchen, die in chronologischer reihenfolge europas geschichte erzählen. das kürzste ist 6 zeilen lang und handelt von der verschiedenheit der europäer, was le goff mit den persönlichkeiten der angehörigen einer familie vergleicht, die darüber hinaus aber eine gemeinsame abstammung haben. das längste ist wohl der schluss, wo der historiker auf drei seiten der frge nachgeht, „welches europa?“ wir europäerInnen brauchen. Ein gegengewicht zur den usa, zu china soll es sein, eine wirtschaftsmacht mit einer gemeinsamer währung, eine zivilisation, die menschenrechte, freiheit, gerechtigkeit und ökologie hochhält.

eindringlich wendet sich der französische europäer an die nächsten generationen. deshalb hat er das buch auch vorsichtig, aber anschaulich illustrieren lassen – genau so, wie man es sich wünscht, um kein gelehrtes gelaber vor sich zu haben, sondern ein handfestes kursbuch zur europäischen kultur, das ausflüge in und aus der geschichte bis in die gegenwart ermöglicht.

sogar über schweden habe ich darin etwas gelernt: vorgestellt wird pehr henriki ling, der anfangs des 19. jahrhunderts die körperliche ertüchtigung der jugend einführte, dafür die (schwedische) gymnastik und (klassische) massage erfand, die es heute noch in schulen, militär und sport gibt.

80 tage brauchte jules verne, um einmal um die welt zu reisen. 84 kapitel benötigte der meister der geschichte, um europa in raum und zeit zu durchqueren.

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“schreien nützt nichts!”

sie hielt das beste referat, obwohl sie kein wort sagte. denn helene jarmer, die grüne abgeordnete zum nationalrat aus wien, hörte nichts, spricht nichts, und führte den versammelten politberaterInnen europas trotzdem vor, wie man wahlkämpfe führen und gewinnen kann.

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helene jarmer, gehörlose politikerin in österreich, am kongress der eapc in wien

“ihre angelobung im nationalrat geriet zu vielbeachteten lektion in der gebärdensprache”, sagte helene jarmer am kongress “emotions in politics and campaigning” durch ihre interpretin. vorher habe man im österreichischen parlament das problem der gehörlosen ignoriert. doch seither würden alle sendungen aus dem nationalrat mit gebärdensprache übersetzt. bingo!

“schreien nützt nichts”, war damals ihr slogan. er hat die politikerin landesweit bekannt. dass kommunikation mehr als reden ist, weiss die tempramentvollen sonderpädagogin gut zu vermitteln. den verblüfften politberatern aus ganz europa zeigt sie ohne wenn und aber: ihr standort auf der bühne ist nicht hinter dem rednerpult, sondern mitten im geschehen, was die referentin souverän macht. für den bericht aus ihrem leben braucht sie auch kein manuskript, was gerade nach abgelesenen vorträgen durch professoren erfreut. und schliesslich setzt politikerin jarmel bilder auf der leinwand genauso wie ihre körpersprache viel bewusster als die meisten anwesenden ein, um sich mitzuteilen.

die gebärdensprache, die ihr hilft zu verstehen, was andere sagen und mit der sie geübten interpretinnen mitteilt, was sie andern sagen möchte, ist dabei alles andere als international. vielmehr kennt sie nationale eigenheiten – und sogar dialekte. besondere probleme ergeben sich mit namen, etwa im parlament. wolfgang schüssel, der frühere övp-chef und dann ministerpräsident, habe sie stets mit dem “mascherl” gleichgesetzt, das er früher trug und ihn unverwechselbar gemacht habe. und so zeigte ihre gebärde für ihn schnell mal die form einer fliege. für viele der anderen politikerInnen habe sie aber neue zeichen erfinden müssen, was man sehr geschätzt habe.

“schauen sei gehörlosen ins gesicht, wie allen anderen menschen auch”, gibt die 39jährige wienerin allen anwesenden auf den weg. ohne übersetzung verstehe sie zwar nichts; ohne ihre person müsste man aber auch nichts übersetzen. und so könne sie wenigstens einen teil ihrer emotionen in diskussionen direkt vermitteln. das fällt einem auch nicht schwer zu verstehen. denn: “genauso wie es unter menschen mit gehör langweiler gibt, finden sie solche auch unter gehörlosen.” dass helene jarmel nicht gehört, wird einem rasch klar, wenn man ihr zusieht um zuzuhören.

jarmels botschaft bleibt einem nach dem referat tief sitzen. und trotzdem macht man einen dummen fehler, wenn man herzhaft klatscht. denn auch das hört die gehörlose politikerin nicht. mit den händen in der luft wackeln, bedeutet sie dem publikum, und als es das macht, nimmt sie es mit sichtbarem dank mit auf ihren weg.

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top lebensqualität!

was genau lebensqualität ausmacht, weiss letztlich niemand. weder theologen, noch philosophinnen haben eine verbindliche antwort geben können. dennoch kann man lebensqualität von städten und ländern messen. bei aller unzulänglichkeit der konzepte kommen dabei immer wieder ähnliche rangierungen zustande, die als ganzes sinn machen.

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bryggen, der hafen von bergen, ist der ort, wo ich mich in norwegen am wohlsten fühlte.

zürich, genf, bern. so lautet in der regel die reihung in der schweiz. was landesweit nur nach bronce aussieht, ist weltweit unverändert top. denn bern landete letztes jahr global auf dem 9. platz des renommierten mercier-ranking.

das ist kein zufall, selbst wenn die debatte in bern häufig anders verläuft. denn im innern einer stadt gibt es viele klagen über ihre unzulänglichkeiten. doch das ist nur die eine seite der medaille: sie subjektive nämlich. überwunden werden kann sie, wenn man nicht nur die binnensicht kennt, sondern auch die aussensicht dazu nimmt, die aus dem vergleich entsteht. denn das hilft, die kleinlichkeit der lokalen urteile mit dem globalen massstab zu überwinden.

genau nach diesem motto ist der uno-bericht verfahren, der heute die lebensqualität der staaten vorstellte. norwegen ist hier top. überrascht bin ich nicht, denn platz, sicherheit und reichtum stellen die menschen in norwegen in hohem masse zufrieden. überhaupt: der norden schneidet hervorragend ab: island liegt an dritter, kanada an vierter, irland an sechster und schweden an siebter stelle. nur australien, das gegenstück des teifen südens zum hohen norden, kann da ganz mithalten.

beurteilungskriterien solcher ranglisten sind in der regel die einkommenshöhe, der bildungsstandard und die lebenserwartung eines landes. wenn sie alle ausgeprägt hoch sind, stellt sich lebenszufriedenheit, das subjektive mass an lebensqualität, mit erhöhter wahrscheinlichkeit ein. meist geht das gegenteil mit naturzerstörung, kriegswirren und auswanderung einher.

die schweiz schneidet im ranking des uno-entwicklungsberichtes unverändert an neunter stelle an. auf dem kontinent sind nur die niederland und frankreich, der gewinner des jahres, lebenswerter.

ohne geld gibt es keine lebensqualität, mit geld alleine indessen auch nicht. lernen und sich entwickeln können, und das möglichst lange frei von krankheiten, gehört ohne zweifel zur lebensqualität. seien wir bedacht, dass die natur nicht kollabiert, kein bürgerkrieg die schweiz erfasst und menschen massenweise fliehen müssen, sagt sich auch der

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jean calvin polarisiert noch immer

genf feiert. den 500. geburtstag von jean calvin. und den 450. geburtstag der genfer universität, deren vorläufer, die akademie, von calvin begründet worden. doch calvin hat auch in genf nicht nur anhänger, und er polarisiert in der schweiz unvermindert.

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jean calvin, genfer reformator, ein mann mit vielen gesichtern

kaum eine andere figur steht so für genf wie calvin. der jurist aus frankreich stieg mit der reformation im savoyisch-katholischen genf zur einer theologischen autorität auf. der ausländer konnte kein politisches amt bekleiden, regelt aber mit seiner autorität das gesellschaftliche leben neu, lehrte ein neues, unmittelbares verständnis von gott und begründete die schule neu. er unterstützte die autonomiestrebungen genf gegen der weltlichen und kirchlichen mächten. mit seinen schüler suchte er eine vermittlung gegenübr den reformierten orten der eidgenossenschaft, vor allem gegenüber zürich, aber auch bern und basel. dank seiner intellektuellen autorität strahlte er abr auch weit über seinen unmittelbaren wirkungsort aus. starke einflüsse zeigten sich vor allem auf frankreich, aber auch in italien und in den niederlanden wurde seine stimme gehört und wurden seine schriften gelesen, sodass man ihn nach luther durchaus den zweiten reformator an der schwelle der mittelalterlichen welt zur neuzeit, jedenfalls zur frühen neuzeit nennen kann.

und trotzdem spürt man selbst in genf immer wieder auch skepsis gegenüber dem eingewanderten franzosen, der genf so nachhaltig veränderte. während seiner wirkungszeit kamen zahlreiche glaubenanhänger von calvin in die rhonestadt, deren einwohnerzahl sich innert einer generation auf 20’000 verdoppelte. das hat nicht allen gefallen, und so gibt es immer wieder stimmen, calvin sei den genfern gleich. bei unseren recherchen vor ort erfahren wir, das ein prominentes podium im gedenkjahr zu calvin ausgerechnet von einem katholiken moderiert werden soll. denn eines ist unübersehbar: der reformator waren in seiner zeit umstritten, wurde vorübergehend aus der stadt verwiesen, kam zurück, um die rekatholisierung zu vermeiden, spaltete aber die bürgerschaft in verschiedene, unter sich zerstrittene lager, sodass ihm uns seiner reformation bis heute auch etwas sektierisches anhaften. die zeit selber war eine zeit von katastrophen. so wütete die pest. die anhänger calvins schreckten nicht davor zurück, die ursache hierfür bei ungläubigen zu suchen, die zur strafe nicht selten zu schrecklichen todesstrafen verurteilt wurden.

auch deshalb polarisiert jean calvin bis heute: in genf eher verdeckt, in der schweiz recht offen, weltweit wieder etwas weniger klar. geschichten ranken um ihne herum, die alle eigenschaften von freund- oder feindbildern tragen. zwischen befreier der genfer und taliban der reformation kann man jede einschätzung abrufen. das negative aus der zeit heraus scheint bis heute zu überwiegen, wäre nicht das positive, das er, insbesondere mit den kulturellen grundlagen legte, welche die entwicklung europas seit dem 17. jahrhundert prägten: den wirtschaftlichen aufschwung, den die hugenotten, calvins vertriebene anhänger, die beispielsweise als flüchtlinge in die schweiz kamen einerseits, der aufgeklärte humanismus und individualismus, der sich mit der veränderten ökonomischen situation vor allem in der urbanen, kosmopolitisch ausgerichteten welt zu entwickeln begann.

stadtwanderer

friedensschluss im langen dreissigjährigen krieg

selbstverständlich endete der “kurze” dreissigjährige krieg am 24. oktober 1648. der 1. juli 2009 kommt mir wie eine art friedensschluss im “langen” dreissigjährigen krieg zwischen raucherInnen und nicht-raucherInnen vor.

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der “kurze” dreissigjährige krieg
wie man in der schule lernt, begann der “dreissigjährige” als konfessionskrieg im kaiserreich mit dem berühmten prager fenstersturz. er involvierten in der folge die könige von dänemark und von schweden im protestantischen lager.

durch die intervention des französischen königs, einem katholiken, auf schwedischer seite entwickelte sich der dreissigjährige zum europäischen krieg. am ende war das kaiserreich geschwächt, frankreich die führende macht europas, und wurden die generalstaaten (niederlande) und die schweiz auf französischen druck hin aus dem reichsgebiet ausgenommen.

der “lange” dreissigjährige krieg
mit dem westphälischen frieden beginnt die geschichte der eidgenossenschaft als staaten ausserhalb des kaiserreiches. doch haftet ihr ein geburtsfehler an.

die eidgenössischen soldaten, die – wie die berner – die auf protestantischer seite gekämpft hatten, lernten nicht nur den gräuel des neuzeitlichen kriegs von ganz nah kennen. sie brachten insbesondere aus den niederlanden das dort verbreitete tabakschlucken, -schnupfen und -rauchen zurück.

der krieg fand so seine fortsetzung in der heimat. zuerst unter totaler repression, dann unter privater duldung, schliesslich unter nutzung der einnahmen aus dem verkauf durch den staat. die industrialisierung entfesselte nicht nur den menschen aus der tradition, er brachte dem rauchen den öffentlichen durchbruch. so manchen revolutionär lässt sich seit 1848 als rauchen porträtieren.

die vorbereitung des kriegsendes
die wende kommt erst gegen ende des 20. jahrhunderts. rauchen wird wieder verpönt. aus den schul- und arbeitsräumen wird das rauchen als schutz der nichtraucher verdrängt. werbung fürs rauchen wird kritisiert, überklebt und eingeschränkt. schliesslich wird das rauchen in öffentlichen räumen wieder untersagt.

2004 bereitet der zürcher präventivmediziner felix gutzwiller den schutz der bevölkerung vor passivrauchen politisch vor, gewinnt die kommission von national- und ständerat für seine sache, bleibt aber 2008 während der plenungsdebatte im nationalrat mit seinem anliegen stecken.

zur lokomotive gegen das rauchen entwickelt sich dagegen der kanton tessin. in einer volksabstimmung sagen vier fünftel der stimmenden ja zu einem totalen rauchverbot in öffentlichen gebäuden. 2007 wird dieses verbot auf restaurants, bars und cafes ausgedehnt. weitere kantone, wie auch bern, folgten dem vorbild.

heute, am 30. juni 2009, ist auch im kanton bern der letzte tag ohne rauchverbot in öffentlichen räumen. ab morgen ist alles anders, selbst in den meisten restaurants, die nicht, wie eine kleine minderheit, die flucht in unbediente fumoirs suchen.

der tag des friedensschlusses

es ist ein wenig wie friedensschluss, zwischen rauchern und nichtrauchern. noch ist der krieg nicht zu ende, doch wird er aus geschlossenen räumen, die allen gehören, verbannt.

gut so, sagt sich der stadtwanderer, erinnert sich, dass er im studium gelernt hatte, dass ein viertel der einwohnerInnen europas im kurzen “dreissigjährigen” an krieg und seuchen starb. wie viele menschen der lange “dreissigjährige” tödlich schädigte, hat er nie erfahren.

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heinrich, burgenbauer und falkner mit ausstrahlung bis an die aare, wird könig

auf der höhe seiner herrschaft, schloss er mit den magyaren frieden. um burgen bauen zu lassen, auf denen er nach seinem militärischen sieg über die ungarn feste feiern liess und die falknerei pflegte. am 12. mai 919, heute vor 1090 jahren, erfolgte seine krönung zum ostfränkischen könig.

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ostfränkischer könig heinrich I., dargestellt als reiter und falkner, beförderte den bau von burgen, um die magyaren zu bekämpfen. vorläuferbauten der schlösser von laupen und bümpliz dürften auf diese aktion zurückgehen.

der nachwelt ist heinrich als “vogler” in erinnerung. ob er selber falkner war, ist im strengen wortsinn nicht nachweisbar. aber es passte zu seiner würde als könig der ostfranken, der sich gegen die mayarischen reiter durchgesetzt hatte.

nach dem untergang des fränkischen kaiserreiches 888 waren die verhältnisse unübersichtlich. verschiedene herzöge beanspruchten auf der basis von stammesherrschaften lokale fürstentitel. arnulf von kärnten, der sich selber als kaiser sah, konnte sich nur dank der hilfe der 899 herbei gerufenen magyarischen reiter halten konnte.

nach arnulfs tod verstanden sich die reiter aus dem osten als kaiserliche gerade, die von der panonischen ebene aus eine eigene herrschaft über die vormals karolingischen bauern ausübte und widerspenstige untertanen, vor allem klöster und bischofsstädte schleifte.

919 erhob sich mit ihm erstmals in der geshichte ein sachse als könig der ostfranken. die herzöge von schwaben (919) und von bayern 921) anerkannten ihn von süden aus, und im westen folgten die lothringer (925). als letzte schlossen sich die burgunder dem bündnis an (926), deren könig rudolf II. durch die plünderung der bischofsstadt basel in seinem reichsgebiet geschwächt worden war.

926 schloss heinrich mit den magyaren einen 10jährigen frieden, bezahlte dafür regelmässig, hielt aber so seine gebiete von überfällen frei. seine verbündeten hielt er an, an wichtigen orten burgen zu bauen, die einfachen aus holz, die besseren aus stein. sie sollten mit vorräten ausgestattet werden, um bei angriffen als fluchtorte dienen zu können, in denen man auch eine vorübergehende belagerung überstehen würde.

der friedenvertrag wurde nicht wie beabsichtigt 10 jahre eingehalten. denn 933 schon fühlte sich könig heinrich gerüstet genug, um die tributzahlungen auszusetzen und den kampf zu wagen. in der tat hatte er sich in der zwischenzeit eine eigene reiterei aufgebaut, welche den magyaren paroli bieten konnte. noch im selben jahr kam es bei riade an der unstrut zu einer schlacht, in der der sachse obsiegte.

nun nutzte heinrich die zeit für grössere reisen. er hielt in verschiedenen gegenden hoftage ab und besuchte die burgen, die er hatte errichten lassen. da dürfte er auch der falknerei gefrönt haben, dem egientlichen herrschaftssymbol im mittelalter, das ihm später seinen beinamen eingetragen hat.

in unseren breitengrade dürften mehrere burgen oder motten, wie man sie auch nannte, in diesem zusammenhang entstanden sein. im wieder ist in diesem zusammenhang vom vorläuferbau von schloss laupen die rede. doch auch die burg nydeck in der aareschlaufe zu bern, die später den zähringern als stützpunkt dienen sollte, könnte in diesem zusammenhang entstanden sein.

und auch die ältesten spuren des alten schloss bümpliz verweisen in diese zeit, obwohl von magyarischen reitern hier keine spuren gefunden werden konnten.

stadtwanderer

victorinox zum europatag

genau zum “europatag”, mit dem man dem ende des zweiten weltkrieges am 8. mai 1945 gedenkt, veranstaltete die european association of political consulting in zürich ein mehrtägiges symposion unter dem titel “from local to transnational“. einige eindrücke des stadtwanderers.

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schweizer armeemesser der marke victorinox als referentengeschenk für den auftritt an der eapc-konferenz in zürich

am freitag ging es um die entwicklung lokaler politischer kommunikation und ihrer verfasstheit in spezifischen interessen, nationalen prozessen und sturkturen hin zu europäisch ausgerichteten diskursen, die europäische öffentlichkeit für wahlen, abstimmungen und politischer meinungsbildung erlauben sollen.

am freitag hatten zahlreiche in der schweiz tätige intellekturelle, diplomaten, manager und politikerInnen gelegenheit, den stand ihrer reflexionen hierzu von einem europäisch zusammengesetzten publikum zu diskutieren. thomas fleiner (uni fribourg), hanspeter kriesi (uni zürich), ruedi ramsauer (nestle), michael reiterer (eu-kommission in der schweiz), doris fiala (nationalrätin, europarätin), andreas gross (nationalrat, europarat) und der stadtwanderer (vertreter der berner gassen) machten klar, wo stärken (erfahrungen mit direkter demokratie, mit freidlicher konfliktregelung hohe wirtschaftliche vernetzung) und schwächen (politisch isolierung, mangelnde professionalisierung der internationalen politischen interessenvertretung) der schweiz sind resp. die schweiz vom europäischen umfeld resp. dieses von den schweizer potenzialen lernen oder besser gleich ganz vergessen sollte.

die von der pr-agentur stöhlker (motto: “eurokommunikation statt us-marketing“) vorbereitete tagung, in ihrem gehalt durchaus beachtlich und anregend, organisatorisch durch nicht ganz durchgezogene kohärenz geprägt, brachte den referentInnen aus der schweiz durchaus vorteile, erhielten doch alle als dank für ihren unbezahlten auftritt ein messer geschenkt, marke victorinox und symbol der schweizer armee, wohl auch als zeichen dafür, was von der insel schweiz aus der grenzbesetzung 1939-45 im vereinten europa von 2009 geblieben ist.

stadtwanderer

werte, werter, wertes leser

8. märz. internationaler frauentag. gute gelegenheit, wieder einmal über (die eigene) sprache nachzudenken.

untitled1luise f. pusch, feministische linguistin, provoziert seit 30 jahren mit ihren sprachvorschlägen, und setzten sich damit meist irgendwie durch

luise f. pusch, die pionierin der feministischen linguistik im deutschen sprachraum, bilanziert die versuche zur neutralisierung des deutschen als männersprache: “Die feminstische Sprachkritik hat die Grammatik tatsächlich verändert”, hält sie im interview mit dem österreichischen “standard” fest.

in den letzten 30 jahren wurden

. doppelformen (leserin und leser),
. schrägstriche (leser/in),
. das binnen I (leserInnen),
. das sternchen (les*) resp.
. der unterstrich (leser_innen)

eingeführt, um das makulinum als geschlechtsneutrale form von substantiven zu ersetzen.

den ist-stand interpretiert die linguistin als kreative gerangel. keine lösung habe sich in allen gesellschaftsschichten durchgesetzt. doch sei die kritik, dass frauen in der sprache bis vor kurzem nicht repräsentiert gewesen seien, weitgehend akzeptiert.

“Das “in” und “innen” ist im Deutschen gegeben und daran können wir anknüpfen, längerfristig bin ich aber für die Abschaffung des “in”. Ich bin also für folgende Art von Neutralität: die, der und das Antiquar!”

keine angst, das kommt nicht sofort, auch auf diesem stadtwand* nicht. es bleibt beim I, weil es sich von den minuskeln so schön abhebt. nochmals pusch: “Also ungefähr in ein paar hundert Jahren, wenn sich die Menschheit daran gewöhnt hat, dass es auch Frauen gibt. Das muss intensiv in die Gehirne eingeimpft werden, mit viel Gebrauch von “in” im Deutschen.”

immerhin als vorbereitung auf die zukunft: werte, werter, wertes leser, bleiben sie die nächsten paar hundert jahre dran!

stadtwanderer

das ganze interview

alle reden vom wetter. ich auch.

wo man nur hinhört: alle reden vom wetter. das macht nun auch der stadtwanderer. aber auf seine art!

weather_report_1_175die amerikanische tiefdruckzone, die seit monaten ununterbrochen anhält, erreichte am donnerstag erneut die schweiz. sturm “barack” fegte über das ganze mittelland. sehr starke winde verzeichnete man vor allem im zentrum von zürich, wo es auch zu ausgiebigen schauern kam.

dem rasch anschwelenden hochwasser konnte vorerst niemand herr werden, sodass die überschwemmungen beispielsweise an der bahnhofstrasse selbst teile der obersten etagen der gebäude erreichten. angaben zur schadenssumme liegen noch nicht in verbindlicher form vor, gehen wohl aber in milliardenhöhe.

im verlaufe des vormittages gelang es, das hochwasser zügig abzupumpen, sodass das für alle fälle parkierte rettungsboot “grübel” vom paradeplatz aus die evakuierung der verbliebenen insassen im stadtzentrum vornehmen konnte. das schweizierische rote kreuz nimmt sich den geretteten in gesicherten sozialunterkünften ausserhalb der gefahrenzone an, und die glückkette ruft die ganze bevölkerung auf, spenden für die notleidenden auf das konto “ubs 2009” einzubezahlen.

auch in bern konnten die lawinenniedergänge wieder leicht ab. entwarnung kann jedoch inbesondere im umfeld des bundeshauses nicht gegeben werden, da sich über brüssel ein neues unwetter “ferrero-küsschen” aufbaut, mit dem aufgestauten schnee von gestern und vorgestern niedergehen dürfte. dessen ausläufer werden schon bald jede ecke der schweiz nördlich und südlich der alpen erreichen.

seit mittwoch morgen wird die angespannte lage in der bundesstadt von der task force “ankenplatz schweiz” kontinuierlich beobachtet. befürchtet wird angesichts des freundlichen klimas in ausgewählten butteroasen amerikas, europas und asiens, die wie geschmiert funktionieren, dass der schweizer anken schnell dahin schmelzen könnte. um unnötige verwechslungen dieser neuartigen entwicklungen mit dem allgemeinen klimawandel zu vermeiden, verzichtet man bis ende merz darauf, die intern vorliegenden berichte zur lage der nation mitzuteilen. selbst das wirbelstürmchen “leuthard” der gestern kurz über dem medienzentrum fegte, ändert an dieser prinzipiellen haltung nichts.

die aussichten für die nächsten tagen und wochen bleiben im ganzen land trotz frühlingshafter jahreszeit getrübt. bis anfangs april rechnet man damit, dass sich ein heftige gewitter (das provisorisch den namen “brown” trägt) aus london, paris, berlin und rom die situation in der schweiz neu aufmischen wird. die temperaturen könnten erneut weit unter den gefrierpunkt sinken, und an allen exponierten lagen ist mit anhaltendem glatteis zu rechnen.

bern stadtpräsident alex tschäppät empfiehlt deshalb, eishockey-ausrüstungen zu kaufen, jeden tag fleissig zu trainieren, um den arbeitsplatz bern zu erhalten, und mit einem feierabendbier den konsum nicht absacken zu lassen. am globalen turnier der besten bodychecker im mai dieses jahres werde man dann sehen, dass die schweiz allen stürmen zum trotz der ganzen welt zeigen könne, wer hier der meister ist, sagt der stadtpräsident, und schweigt danach wieder!

stadtwanderer

madame tussauds illusionen

“Um 1765 konnte man, fals uns niemand angelogen hat, in den Gassen der alten und mächtigen Stadt Bern, ein vierjährige Mädchen namens Marie sehen, das Wäsche zur Aare trug, Brot beim Bäcker besorgte und Brennholz die Treppe hochschleppte. Sie unterschied sich in nichts von den anderen Kindern, die zu hunderten durch die Kramgasse, die Gerechtigtkeitsgasse und die Judengasse wuselten und von denen die meisten bald an Cholera, Tuberkolose, Diphterie oder schlechter Ernährung sterben würden. Marie aber überstand ihre Kindheit dank Glück, robuster Gesundheit und zärtlicher Fürsorge und lebte ein märchenhaftes langes Leben.”

450px-marie_tussaudmarie tussaud, die begründerin des wachsfigurenkabinettes in london, in berns gassen ausgewachsen, in ihrer selbstmodellierung

so beginnt der frankreich-stämmige schriftsteller alex capus, heute im schweizerischen olten lebend, sein portrait von madame tussaud, der geschäftstüchtigsten künstlerin aller zeiten und begründerin des museums “Madame Tussauds”, die am 16. april 1850 in london verstarb.

marie’s mutter, anna-maria walder, ein dienstmädchen, zog 1766 von bern nach paris zu dr. philipp curtius, einem wachsbossierer, dem sie ihr leben lang verbunden blieb. bei ihm lernte marie zeichnen und modellieren. in diesem metier talentiert, unterrichtete sie wachskunst bald schon im schloss versailles, wo sie mit vorliebe köpfe von angehörigen des französischen hochadles nachempfand. 1794 erbte sie die wachsfigurensammlung von curtius, heiratete francois tussaud, mit dem sie zwei söhne hatte, bevor sie sich von ihrem trunksüchtigen mann scheiden liess, um sich 1802 in london niederzulassen. 33 jahre später eröffnete sie, nach einigen wanderausstellungen mit ihren skurilen skulpturen, an der baker street ihr eigenes museum, in dem sie ihre wachsfiguren ausstellte. 1842 schuf sie, hochbetagt, ihr eigenes abbild als letzte selbständig modellierte büste für ihr kabinett, das heute an der marylebone road seine türen für unzählige schaulustige öffnet.

capus konzentriert sich in seinem (ersten kapitel zum) portrait von marie tussaud ganz auf ihre zeit während der französischen revolution; er schreibt: “Am Sonntag, dem 12. Juli 1789, konnte Marie die Revolution hören, wie sie trampelnd, krakeelend und singend die Rue du Temple heraufkam, laut und immer lauter wurde und schliesslich vor dem Salon de Cire haltmachte. Drei- oder fünftausend Menschen standen vor der Tür, und sie verlangten die Wachsbüste von Finanzminister Jacques Necker. (…) Zwei Tage später stürmten die Aufständischen die Bastille und eroberten die Schwarzpulvervorräte der Schweizer Garde – und damit hatten sie Paris erobert. Curtius notierte stolz: “Ich kann also sage, dass sich der erste Akt der Revolution chez moi ereignet hat.” die familie blieb den republikanern eng verbunden. die revolutionre zählten zu ihrem freundeskreis. marie soll sogar mit robespierre geflirtet und mit danton gestritten haben. und von marat wird berichtet, dass er, seiner frechen zeitungsartikel wegen polizeilich gesucht, bei marie unterschlupf gefunden habe.

so berühmt madame tussaud durch die erzeugung von illusionen mit ihren werken wurde, so wenig weiss man über ihren erzeuger. in strassburg getauft, hiess sie marie grosholtz. der elsässer joseph grosholtz soll ihr vater gewesen sein, der kurz vor der geburt von marie am 7. dezember 1761 verstarb. alex capus glaubt nicht daran, denn zur zeit der fraglichen zeugung weilte der söldner auf den schlachtfeldern des siebenjährigen krieges. vielmehr vermutet der schriftsteller, philipp curtius, der arzt aus stockach am bodensee, sei ihr vater gewesen. jedenfalls schrieb madame tussaud in ihren memoire, er sei zur stelle gewesen, als ihre mutter in not war, habe die beiden nach bern geführt, und ihm haus untergebracht, in dem seine praxis war.

ausser dass man in bern dieses haus nicht kennt. weil auch das eine von madame tussauds illusionen war?

stadtwanderer

alex capus. himmelsstürmer. zwölf portraits, münchen 2008.

wi(e)der die unglaubliche arroganz

zwischenhalt am kiosk. um zu wisssen, was für eine zeit wir gegenwärtig haben, blick in “die zeit”. aufgeschreckt von einem artikel zur schweizerischen eu-politik aus deutscher sicht ein paar zwingende gedanken über politik und wirtschaft jenseits von arroganz.


diese mischung aus eu und schweiz bringt keine verständigung – das aufgeklappe schweizer sackmesser der reinkultur aber auch nicht (bild keystone)

herausgefordertes deutschland
seinen bisher grössten moment hatte der deutsche jorgo chatzimarkakis, als er im september 2007 seine fdp zur bundesweiten fusion mit den grünen aufrief, um eine starke ökoliberale mitte zu bilden und so die polarisierungen zwischen links und rechts in der nationalen politik zu überwinden. selber lebt der politiker diese verbindung schon, wenn er als europaageordneter in brüssel ist. dann wohnt “chatzi”, wie er sich selber gerne nennt, nämlich mit cem özdemir, dem eu-parlamentarier der grünen in einer wg. und das ist nicht ohne, denn chatzimarkakis ist griechischstämmig, während özdemir von türkischer herkunft ist. das ist genau das, was man in brüssel von zypern erwartet.

weniger gut klappt die verständigungsarbeit allerdings, wenn chatzimarkakis auf die schweiz angesprochen wird. da kritisiert der promovierte agrar- und politikwissenschaft mit schwerpunkt europarecht die schweiz: »Ich habe hohen Respekt vor der Schweizer Demokratie. Aber ich habe demokratietheoretisch langsam ein Problem damit, dass schon wieder eine kleine Minderheit 490 Millionen Europäer aufhalten können soll.« Und dann kommt’s faustdick: »Die unglaubliche Arroganz muss jetzt mal ein Ende haben! Die Schweiz wäre längst ein rückständiger Fleck in Europa, wenn sie nicht ihr wunderbares Bankensystem hätte und ihre tollen Ausnahmeregelungen. (…) Wer, bitte, legt denn das ganze Geld da drüben an? Die Schweizer müssen wissen: Sie schaden sich selbst mehr als uns, wenn sie am 8. Februar Nein sagen.«

politik und wirtschaft parallel entwickeln
gerade demokratietheoretisch ist die eu, muss man entgegen, kein ausgesprochenes vorbild. sie ist nicht aus einer revolution hervorgegangen, die neues verfassungsrecht geschaffen hätte, das im sinne der demokratie gelebt würde. vielmehr ist sie aus der schlichten notwendigkeit heraus entstanden, nach den kriegen von 1871, 1914-1918 und 1939-1945 weiteres blutvergiessen mitten zu vermeiden. dabei setzten die gründunsväter der eu auf die hoffnung, gemeinsame industrien und gemeinsmer handel schafften verständigung.

daraus ist zwischenzeitlich zwar mehr als eine reine koordination von wirtschaftpolitiken entstanden, wohl aber kein astarierter gesamteuropäischer staat. unionsbürgerschaft und wahlen können nicht darüber hinweg täuschen, dass die eu vom europäischen rat dominiert und von der kommission geführt wird. weit fortgeschritten ist insbesondere der demokratisierungsprozess nicht, sodass man die eu besser an wirtschaftlich-pragmatischen kriterien misst als anhand demokratie-theoretischer.

und wenn schon, müsste man als politikwissenschafter mit schweizer hintergrund einwerfen, dürfte sich diese nicht auf institutionen der volksrepräsentation beschränken, sondern auch deren erweiterung durch direktdemokratische instrumente in betracht ziehen. mit diesen macht die eu erst zögerlich bekanntschaft. ein teil aus politik und administration sieht in der erhöhten involvierung der bürgerInnen durchaus die chance erhöhter legitimation. er ist deshalb bereit, auf auf bürgerInnen-partizipation einzugehen. ein anderer teil begreift das alles nur als lästige blockierung, die partikuläre interessendurchsetzung zulasten einer einheitlichen politik fördere.

die schweiz sollte sich in dieser debatte weder über- noch unterschätzen, ist meine antwort “zuhause”. unterschätzen würde sie ihre reichhaltige erfahrung gerade mit der bürgerInnen-beteiligung im politischen willensbildungsprozess, wenn sie diese nicht in den eu-aufbauprozess einbringen würde. überschätzten würde sie sich aber, glaubte sie, ihr spezifisch gewachsenes entscheidungssystem in der politik sei das einzig wahre in der politik.

die arroganz hüben und drüben abbauen
hinter beiden steckt eine unglaubliche arroganz im politisch-kulturelle sinne. denn die eu braucht dringend demokratisierungen ihrer technokratischen selbstverständnisses von politikgestaltung. die jüngsten ablehnungen von verfassungsentwürfen in frankreich, den niederlanden und in irland zeigen, wie verbreitet die distanz zu den menschen ist. ganz zu schweigen, dass es auch bedenken auf verfassungsebene in deutschland gibt und sich selbst politikerInnen in polen und tschechien sträuben, wenn die perspektive von unten in der willensbildung vernachlässigt wird. das alles gilt, selbst wenn es kaum ernsthafte kritiken an den wirtschaftlichen vorteilen des eu-projektes gibt.

umgekehrt braucht die schweiz dringend mehr spiegelungen ihres demokratischen selbstverständnisses. entscheidungen, die man einmal getroffen hat, sind verbindlich. gerade zu kalkulierbare wirtschaftliche verhältnisse zu sichern. so gut die schweiz in innenpolitischen fragen damit gefahren ist, dass man alles und jedes immer und wieder in frage darf, so problematisch ist das, wenn es um wrtschaftspolitische partnerschaften mit dritten geht. denn die unverbindlichkeit von zusagen auf der einen seite wird in der regel durch unverbindlichkeit von zusagen auf der anderen seite pariert. das klima des misstrauens, das so entsteht, ist keine basis für kooperation über grenzen hinweg. vielmehr nährt sie die polarisierung, die wir gegenwärtig erleben.

herausgeforderte schweiz
ein ja zur personenfreizügigkeit gäbe es nur, forderte christoph blocher an der albisgüetli-tagung 2008, wenn die eu darauf verzichte, weitere forderungen zum bankgeheimnis zu stellen. wer glaubt, unrealistische vorbedingungen zu verhandlungen stellen zu müssen, kriegt diese mit voller wucht zurück, denn das echo an die adresse der schweiz lautet heute: personenfreizügigkeit ja, wenn ihr die privilegien für euer bankensystem weiter wollt.

jorgo chatzimarkakis will mit seiner ökoliberalen idee die blockierende polarisierungen im deutschen parteiensystem verhindern. gut so, sag ich. wer verantwortung für politik und wirtschaft übernehmen will, muss auch polarisierungen zwischen partner abbauen helfen, füge ich an die adresse aller beteiligten bei.

soviel zur heutigen “zeit”!

stadtwanderer