Das doppelte Bondo due

BAFU Direktorin Kathrin Schneeberger in Bondo/Bregaglia

Am 31. August 2017 krachte der Berg. Die Nordflanke des Piz Cengalo fiel in die Tiefe. Doch blieb der Stein nicht wie meist auf dem Gletscher liegen. Vielmehr schmolz ein Teil des Eises unter dem Druck, sodass viel Stein und Wasser ins Tal gleichzeitig donnerten.
Bondo im Bergell war am meisten betroffen. Doch auch andere Ortsteile der Fusionsgemeinde Bregaglia litten. 8 Personen, die wandernd unterwegs waren, wurden ganz begraben.

Die erinnerte Katastrophe
Fast auf den Tag genau vier Jahre nach dem Ereignis, das national bemerkt wurde, fand heute der erste Spatenstich für das Projekt Bondo II statt. Der Schutz vor Naturkatastropen soll damit verbessert werden.
BAFU-Direktorin Kathrin Schneeberger (Bild) und der Bündner Regierungspräsident Mario Cavigelli waren vor Ort, um mit dem amtierenden Gemeindepräsidenten von Bregaglia den Startschuss zu geben. Denn Gemeinde, Kanton und Bund teilen sich in die Kosten von rund 43 Mio CHF – gelebter Föderalismus könnte man sagen!
Einen sicheren Zusammenhang mit dem Klimawandel kennt man nicht. Doch ist klar, dass die erhöhten Sommer-Temperaturen dem Permafrost zugesetzt und Bergstürze erleichtert haben. Ob auch die plötzliche Gletscherschmelze damit zusammenhängt, muss noch geklärt werden.

Die vergessene Katastrophe
Die grösste Katastrophe im Bondo war allerdings 1621, also just vor 400 Jahren. Damals wurde das ganze Dort eingeäschert. 428 Häuser verschwanden.
1618 waren die Bündner Wirren ausgebrochen. Die konfessionelle Spaltung war der Hintergrund. Das Bergell war bereits 1552 von Verona aus reformiert worden und gemeinsam dem neuen Glauben beigetreten.
1618 brauch auch der 30jährige Krieg mit einer europäischer Dimension aus. Auslöser war den berühmte Festersturz in Prag. Böhmen, dann Dänemark, später Schweden und am Ende auch Frankreich stellten sich gegen den Kaiser. Auch da ging es anfänglich um den richtigen Glauben.
Dem benachbarten Herzogtum Mailand, streng katholisch und unter spanischer Herrschaft, das reformierte Leben im benachbarten Bergell gar nicht. Eine spanische Truppe intervenierte 1621 und zerstörte Bondo ganz. Über die Zahl der Opfer weiß man bis heute nichts Genaues.
Nationalrätin Anna Giacometti (FDP), während des Bergsturzes von 2017 Gemeindepräsidentin, erzählte mir, sie wisse, dass es damals eine Katastrophe gegeben habe. Dokumente oder Erinnerungsorte gäbe es aber in Bondo nicht. In der Schule habe man dazu nie etwas erfahren. Auch sonst werde leider nicht darüber geredet.

Zwei Neuanfänge
Bondo II meint also nicht nur das Leben mit den verstärkten Schutzmaßnahmen. Bondo due ist auch das zweite Leben der Gemeinschaft nach der Dorf-Zerstörung von 1621.

Bild: Barbora Neveršil

Aktiver Herbst 2021: Mein Programm

Corona-bedingt ist dieses Jahr vieles in den Herbst verschoben worden. Jetzt hoffe ich, dass alles realisiert werden kann.


Bild: Aargauer Zeitung

Hier mein Programm:

September
8. September: Stadtwanderung “Demokratie” mit SP-Bundesangestellten
13. September: Input-Referat an Fachtagung “Europa” der Grünen Schweiz
14. September: Stadtwanderung “Ochsenbein, Verfassungsvater” mit BR Karin Keller-Sutter
15. September: Rede zu “Parteiisch oder parteilos?” am Fest “Politik, Kultur, Sprot”, Wald (SG)
16. September: Kursmodul “Regierungskommunikation” an der Berner FH (mit Sarah Genner)
17. September: Rede “Standortbestimmung”, Mitte St. Gallen
22. September: Stadtwanderung “Klimawandel” für Läbigi Stadt, Bern (1. Runde)
24. September: Beginn Forschungsseminar “Abstimmungsprognosen” an der Uni Bern (alle 14 Tage)
26. September: Analyse eidg. Abstimmungen für BlickTV

Oktober
18. Oktober: Stadtwanderung “Die Niederlande in Bern” für SP Stadt Bern
19. Oktober: Laudator am Swiss RE Milizpreis
23. Oktober: Referat “Stadt und Land”, Strategietag VCS
25. Oktober: Stadtwanderung “Murten” für Parlamentsdienste
27. Oktober: Stadtwanderung “Klimawandel” für “Läbigi Stadt”, Bern (2. Runde)

November
22. November: Einleitungsreferat “Bundesratswahlen: gestern, heute, morgen”, Historikerkommission der Bundeskanzlei
28. November: Analyse eidg. Abstimmungen für BlickTV

Bild Aargauer Zeitung

Stadtwanderung zum Klimawandel: Das neue Buch zum Thema “Klima und Gesellschaft”, Haupt-Verlag

Wie Klimawandel, Bevölkerungsentwicklung, Agrarproduktion und Verschwörungstheorien zusammenhängen, erhellt ein neues Buchs aus dem renommierten Berner OeschgerCentre.

Vor wenigen Tagen erschien das neue Buch «*Klima und Gesellschaft in Europa». Es ist ein eigentlicher Meilenstein in der historischen Klimatologie Europa, die mit der der Wirtschafts-, Gesellschafts- und Kulturgeschichte unseres Kontinents verknüpft wird.
Verfasst haben es der Historiker Christian Pfister und der Geograph Heinz Wanner. Beide waren bekannte Professoren an der Uni Bern und sind ausgewiesene Fachleute in ihrem Gebiet. Heute forschen sie am renommierten Berner OeschgerCentre für Klimawandel.
Die Grafik gibt die relevanten Entwicklungen wieder, die das Buch nachzeichnet. Sie beziehen sich auf Temperaturen, Gletscher, Bevölkerung, Agrarproduktion, Wahrnehmungen der Witterung und Einzelaspekte.

Sechs zentrale Ergebnisse
Was lernen wir so? Das 400seitige Buch ist nicht einfach zusammenzufassen. Herausgegriffen seien hier sechs Punkte aus der Bilanz.
Erstens, das Wetter war immer wieder veränderlich. Die kältesten Jahre im letzten Jahrtausend waren 1077, 1364, 1573 und 1830. Dagegen war 1290 der wohl wärmste Winter überhaupt. Der wärmste Sommer war vermutlich 1947.
Zweitens, Sommertemperaturen und Winterniederschläge beeinfluss(t)en die Gletscherentwicklungen. Auffällige Rückzüge sind um 1260, 1420 und 1560 bekannt. Grosse Vorstösse registrierte man zwischen 1640 bis 1725. «Jahre ohne Sommer» gab es immer wieder. 1816 ist das bekannteste überhaupt. Hauptursache waren wiederkehrende Vulkanausbrüche mit Folgen für die Temperatur, die zurückging.
Drittens, einen ersten systematischen Schub des Bevölkerungswachstums registrierte man ab 1170. Er dauerte bis ans Ende des 13. Jahrhunderts. Heute geht man davon aus, dass sowohl technologischen Neuerungen wie auch Klimaschwankungen entscheidend waren. Ein zweiter Schub war zwischen 1530 und 1560, nun vor allem klimatisch und durch verbessertes Saatgut bedingt. Wendepunkte zum Schlechten in der Bevölkerungsentwicklung waren zuerst die 1340er Jahren. Erheblich waren in der Folge die Preisstürze für Getreide. Sie begünstigten die rasche Ausbreitung der Pest. 1571 brach wetterbedingt eine grosse Hungersnot aus. Auch sie war der Anfang einer langen klimatischen Abkühlung. Krieg und Seuchen im 17. Jahrhundert verringerten die Bevölkerungszahlen weiter.
Viertens, im 18. Jahrhundert beginnt sich die Bevölkerungsentwicklung vom Klima abzukoppeln. Erwähnenswert sind drei Modernisierungen der Landwirtschaft als Ursachen: die organische Modernisierung mit Düngungen; die mechanische Modernisierung mit der globalen Arbeitsteilung in der Industriewelt; und die technologische Modernisierung mit günstige Fossilenergie, neuen Pflanzensorten und dem massiven Einsatz von Pestiziden. Das verbesserte die Unabhängigkeit der Demografie vom Klima wurde durch einschneidende Weltkriege gebrochen..
Fünftens, Wetter und Klima wurden in den 1000 Jahren verschieden wahrgenommen. Animistische, religiöse und rationalen Konzepte überlagert sich. Ab dem 15. Jahrhundert mobilisierte namentlich die katholische Kirche mit Hexenprozessen eigentliche Verschwörungstheorien. Sie waren namentlich in Phasen der klimatischen Abkühlung wirksam. 40-60000 Frauen fielen ihnen zum Opfer. Erst die Aufklärung beendet diese «Schauer»märchen.
Sechstens, der Staat selber wurde ab der Mitte des 17. Jahrhunderts aktiv, um das Bevölkerungswachstum zu heben. Seuchenbekämpfungen zählen dazu, aber auch Heiratsförderungen und Armenbekämpfungen. Das verringerte die Sterblichkeit und trug zum Wachstum der Bevölkerung bei.

Was ist heute aus alledem geworden? Die Geschichtsschreibung beton seit längerem die Dreiteilung der letzten Jahrhunderts, wenn es um klimatische Einflüsse gibt: das warme Hochmittelalter, das kalte Spätmittelalter samt der Neuzeit, und die warme Gegenwart. Neu ist, dass die Autoren die kleine Eiszeit bis ins 20 Jahrhundert dauern lassen. Erst die letzten 30 Jahren haben eine beschleunigte Erwärmung der Temperaturen gebracht.
Das neue Buch folgert: Wir seien auf der einen Seite vom Diktat des Klimas befreit worden. Auf der anderen Seite würden wir zunehmend Opfer des neuen Klimas, das der Mensch bestimmt.
Schon die erste Durchsicht hat meine Ueberlegungen für die kommende Stadtwanderung zum Thema beeinflusst. Vieles sehe ich nun deutlicher. Ich werde vieles berücksichtigen.
Man kann gespannt sein!

Christian Pfister, Heinz Wanner: Klima und Gesellschaft in Europa- Die letzten 1000 Jahre. Hauptverlag, Bern 2021

Stadtwanderung zum Klimawandel 6. Station Restaurant zum “Goldenen Schlüssel”: Wetterextreme und Klimawandel

Ganz alte Häuser in der Berner Altstadt sind selten. Das Rathaus ist von 1415. Auch das Münster stammt aus dem 15. Jahrhundert; fertig gestellt jedoch erst im 19. Jahrhundert.
Das Restaurant zum «Goldenen Schlüssel» rühmt sich, die älteste Gaststube der Berner Altstadt zu sein. Man schätzt ihr Alter auf ein halbes Jahrtausend. Es hat die Französische Besatzung 1798 erlebt, den Konfessionsfrieden von Aarau 1712, den Bauernkrieg 1653 und die Reformation 1528.
Und war schon ein Restaurant, als das Jahr ohne Wasser war.


Bilder: 1. Bild “1540”, 2. Bild “1816”

Das Jahr ohne Wasser
1540 gilt meteorologisch als Ausnahmejahr. 300 zeitgenössische Chroniken aus Europa und der Schweiz berichten einheitlich von einer ausserordentlichen Dürre. KlimahistorikerInnen rechnen übereinstimmend mit 11 Monaten, während denen es kaum oder gar nicht regnete. Selbst die Klimawissenschaft spricht von Megadürre und Jahrtausendsommer.
Christian Pfister von der Uni Bern beschreibt die Ausnahmesituation so: „Die Temperatur lag fünf bis sieben Grad über den Normalwerten des 20. Jahrhunderts, verbreitet muss die Temperatur im Hochsommer über vierzig Grad geklettert sein. Unzählige Waldgebiete in Europa gingen in Flammen auf, beißender Rauch trübte das Sonnenlicht, im ganzen Sommer 1540 wurde kein einziges Gewitter registriert. Schon im Mai wurde das Wasser knapp, Brunnen und Quellen fielen trocken, die Mühlen standen still, die Leute hungerten, das Vieh wurde notgeschlachtet. In Europa starben im Jahr 1540 schätzungsweise eine halbe Million Menschen, die meisten von ihnen an Durchfallerkrankungen.»
Angefangen hatte es 1539 in Südeuropa. In Spanien betete man, Gott möge es endlich regnen lassen. Italien kannte während des ganzen Winters von 1539 zu 1540 Temperaturen wie sonst im Juli.
Ausgelöst wurde das Ganze durch ein ungewöhnlich stabilen Hochdruckgebiet, das die atlantische Luft blockierte. Europa erwärmte sich, während dem in Russland ein anhaltendes Schauerwetter mit tiefen Temperaturen herrschte.
2016 erschien eine Studie, gemäss der eine Wahrscheinlichkeit von 20 Prozent besteht, dass es 1540 sogar wärmer war als 2003. Für uns ist das das der unvergessliche Jahrhundert-Sommer mit Temperaturen von mehr als 40 Grad Celsius.
Doch es gibt auch Unterschiede. Damals war das Ereignis ein Phänomen von 1 bis 3 Jahre je Region. 1542 ist in der Schweiz als kältester Sommer des bisherigen Jahrtausend bekannt.
Deshalb stören sich die Klimaforschenden heute auch nicht, dass 1540 mitten in der kleinen Eiszeit war. Es war eine krasse Anomalie, kein Klimawandel.

Das Jahr ohne Sommer
Das pure Gegenteil erlebte die halbe Welt übrigens 1816. Betroffen waren insbesondere der Nordosten Amerikas und der Südosten Europas.
Berichtet wird von schweren Unwettern mit ganzjährigem Schnellfall selbst in mittleren Lagen von 800m über Meer. Auch in der Schweiz schneite es im Juli an fast allen Tage bis in tiefe Lagen. Im ganzen Alpengebiet gab es katastrophale Ueberschwemmungen. Ernteausfälle waren verbreitet. Der Getreidepreis stieg, insbesondere in Schweiz.1817 zahlte man für Korn das Dreifache – vergleichen mit 1815.
Hungersnöte brachen vor allem in den Voralpen aus. Man soll da die «unnatürlichsten, oft ekelhaftesten Sachen gegessen haben, um den Heißhunger zu stillen, berichtet ein Chronist. Selbst Kinder habe man wie Schafe weiden sehen, um zu essen.
Zudem brachen Seuchen wie Typhus aus. Die Uebersterblichkeit stieg. In der Schweiz soll sie 20% über dem Mittel betragen haben.
Zeitgenossen bemerkten eine verbreitete Endzeitstimmungen. Man sprachen von «Achtzehnhundertunderfroren».
Die Ursache ist hier klarer. In Indonesien brach im April 1815 der Vulkan Tambora aus. Er wird als heftiger eingestuft, denn der des Vesuvs 79 nach Christus, als im Golf von Neapel die Stadt Pompeij in nur einem Tag unterging.
Rund um Tambora herum starben 1815 70000 Menschen. Ausgeworfen wurden 150 km3 Staub und Asche. Sie legten sich als Schleier um den Erdball. Der so ausgelöste Temperatursturz war bis 1819 beobachtbar.
Nicht zufällig gilt das Jahrzehnt von 1811 bis 1820 als das kälteste seit der Eiszeit überhaupt.

Einige Learnings
Was lernen wir hier?
Erstens, Extremwetter gab es in der Geschichte immer wieder.
Zweitens, Extremwetter haben erdgeschichtliche oder meteorologische Gründe.
Drittens, Extremwetter wirkten sich meist nur einige Jahre aus.
Viertens, erst das gehäufte Auftreten von Extremwetterlagen sind ein Zeichen für eine Klimawandel.
Heute sagt man, anhaltende Verschiebungen über mindestens 30 Jahren sind die Voraussetzungen für die Verwendung von Klimawandel.
Weder 1540 noch 1816 war das so. Wetterextreme verdichten sich erst seit 30 Jahren, werden wir noch kennen lernen.
Bilder: 1. Bild “1540”, 2. Bild “1816”

Stadtwanderung zum Klimawandel 5. Station: die kleine Eiszeit, die Pest und das Berner Rathaus

Wir schreiben das Jahr 1348. Die Pest erreicht die Stadt Bern von Süden her. Es war seit acht Jahrhunderten die erste Pandemie in unserem Gebiet.
Niemand weiss bis heute, wie viele Menschen damals krank wurden und starben.
Aus dem etwas grösseren Genf berichtet man, dass es bis zu 60 Tote pro Tag alleine in der Rhonestadt waren. Im Wallis besagen Schätzungen, dass an zentralen Stellen wie dem Kloster St. Maurice bis zu 30 Prozent starben.

Die globale Pandemie aus China
Die Weltgeschichte weiss heute, dass der Ursprung der grossen, spätmittelalterlichen Pest im entfernten China in den 1330er Jahren war.
Mit dem sog. Mongolensturm breitete sich die Krankheit innert einem Jahrzehnt bis ans Schwarze Meer aus. Bei der Eroberung der Stadt Kaffa setzen die Mongolen erstmals Bio-Waffen ein. Sie katapultierten von der Pest Verstorbene über die Mauern in die Stadt, um sie gefügig zu machen.
Wer konnte, der floh. Dazu gehörten auch die italienische Händler.
Doch so verschleppten sie die ausgebrochene Pest in die Hafenstädte des Mittelmeers. Von da aus drang die Seuche nach Norden, auch ins Gebiet der heutigen Schweiz.

Die erste Pest-Theorie und ihre Folgen
Man nahm damals an, dass die Fäulnis im Körper über die Nahrung oder die Luft in das Innere des Menschen gelangte. Massnahmen waren der Aderlass und verschiedene Brechmittel. Gesicht und Hände wurden zudem mit Essigwasser desinfiziert.
Die erste Pest-Theorie formulierte der italienische Arzt Gentile die Foligno. Er schrieb, krankmachende Ausdünstungen seien vom Meer und Land in die Luft gezogen, erhitzt und weiter verteilt worden. Alles habe am 20. März 1345 begonnen.
Werde der Pesthauch von Menschen eingeatmet, verdichte er sich in Herz und Lunge zu einer Giftmasse, zerstöre die Organe und werde durch Atmung auf Familienmitglieder und Nachbarn übertragen.
Vom schwarzen Tod befallene Menschen wurden vom Dr. Schnabel, Aerzten mit Masken, meist isoliert und hoch gelagert, damit nicht weitere Menschen krank wurden. Ihre verlassenen Räume wurden stark durchlüftet, massiv befallene Orte ganz verlassen. Später versuchte man, durch Schaffung von Plätzen die Luftzirkulation in den engen mittelalterlichen Städten zu verbessern.

Religiöse Proteste und jüdische Sündenböcke
Die Pest ist ein epochaler Einschnitt. Sie schwächte, wer bisher das Sagen gehabt hatte: den Kaiser und die Kirche. Die spätmittelalterliche Krise beginnt.
Namentlich entlang der Städte machten sich schon gegen das Ende der Pestwelle religiöse Bewegungen breit. Sie wurden Geissler genannt, denn sie peitschten sich vor den Toren demonstrativ aus, um ihre Reue zu zeigen, sündhaft gelebt zu haben. Denn es war Gott, der die Menschen mit der Pest bestrafe, lehrten sie. Wer sich auf einen besseren Weg aufmachen wolle, solle ihnen folgen.
Sündenböcke waren vor allem die Juden, die sich als Geldleiher in den Städten einen teils umstrittenen Namen gemacht hatten. Im besseren Fall wurden sie in die Verbannung geschickt, im schlechteren auf Scheiterhaufen verbrannt. Davon versprach man sich Reinigung.

Bern in der Pestzeit
In Bern dauerte die Pest bis Ende 1349. Ganz verschwand sie in der Eidgenossenschaft erst in den 1660er Jahren.
Im 14. Jahrhundert kannte man eine Reihe der genannten Erscheinungen auch hier. So wurden die Juden mehrmals als Schuldige angeklagt, ausgewiesen und verbrannt.
Der Kern des Inselspitals wurde kurz danach gegründet. Anna Seilerin war die Spitalstifterin, die bis heute mustergültig für die Pflege von Kranken in Bern steht.
Der Flächenstaat entsteht
Die Bevölkerungsgrösse erreichte den Stand vor der Pest erst im 15. Jahrhundert wieder. Erst dann begann die die Gründungsstadt auch flächenmässig wieder wachsen.
Schnell angewachsen waren dafür die Untertanengebiete ausserhalb der Stadt. Um 1420 hatte sie ein Umland geschaffen, das der heutigen Grösse des Kantons Bern entsprach. Zu dieser Zeit starben auch die mächtigen Grafen von Kyburg aus, einst die Nachfolger der Zähringer. Trotz Verkäufen von Städten wie Thun und Burgdorf an Bern konnten sich die Kyburger ihren totalen Niedergang nicht verhindern.
Das Rathaus und sein Platz werden gebaut
Das Gegenteil sieht man bis heute in der Stadt Bern. Zu den Anomalien der Altstadt Bern gehört der Platz rund um das Rathaus. Das aus Stein gebaute Rathaus selber grenzte sich früh von den vorwiegend aus Holz erstellten und eng ineinander verschachtelten Häusern der Gründungsstadt.
Der Platz, auf dem wir hier stehen, musste erst erstellt werden. Er war die die damalige Stadt einmalig. Er hat zunächst repräsentative Funktionen. Doch könnte das auch eine Folge des Städtebaus nach der Pest gewesen sein.

Zwei Entwicklungswege
Bern wurde 1415 von König Sigismund zur Reichsstadt erhoben. Man hatte nun einen Sitz im Reichstag, gleich wie der kirchliche und weltliche Adel. Man konnte selber über Leben und Tod der Stadtbewohner und Untertanen entscheiden, und man war frei, Krieg zu führen und zu beenden.
Genau nach der Pest beginnt aber auch der politische Plan B der Stadt: die eidgenössische Politik. 1415 eroberten die Städte Bern. Luzern und Zürich das Verbindungsstück entlang von Aare und Limmat, das den Habsburgern mit ihrer Stammburg in Brugg gehörte. Der neue Bund verfügte erstmals über ein geschlossenes Territorium im Mitteland. Geführt wurde er von einer Tagsatzung, welche die neuen Untertanengebiete verwaltete.
Der Aufstieg Berns in den ersten Jahrzehnten nach der Pest ist eindrücklich.

Alles im Schatten der kleinen Eiszeit
Doch bleibt die Frage, was das alles mit dem Klimawandel zu tun hat?
Die Pest wurde nicht durch den Klimawandel ausgelöst. Ihre Ausbreitung gerade in unserem Gebiet wurde aber durch die Klimaabkühlung begünstigt. Ab 1342 berichten die Quellen plötzlich von stark zunehmenden Regenfällen. Die Ernten gingen zurück. Die Bevölkerung hungerte. Die Pest verschlimmerte die bereits vorhandene Krise.
Die Klimaforschung weiss heute, dass es nicht nur eine vorübergehende Laune des Wetters war. Es war ein epochaler Klimawandel, denn das Klima kühlte sich erstmals seit der Völkerwanderung wieder langfristig ab. In Zyklen strebte das der bisher kältesten Zeit zwischen 1850 und 1860 zu, weshalb die Geschichte von der Kleinen Eiszeit.

Die Neuzeit meldet sich an
Das Ende der mittelterlichen Warmphase brachte auch das Ende der Stadtgründungswelle aus dem 12. Jahrhundert. Nur werden auf dem Gebiet der Schweiz fast 500 Jahre keine neuen Städte mehr entstehen. Erst die Industrialisierung wird ein warmes, ja heisses Klima bringen. Und neue Städte.

Meine Laudatio zum Politics Award 2021

Ich glaubte, ich hätte geträumt! Vielleicht ein sonderbarer Traum.
Ich träumte, das Bundeshaus sei das Gebäude mit den meisten verschiedenartigen Gesteinsarten in der Schweiz. Alles sei im Hauptgebäude des Bundesstaates inkludiert worden.
Das machte mich neugierig, und ich begann zu recherchieren. Und merkte, gut geträumt zu haben.
Erstaunt las ich später, dass es im Bundeshaus effektiv 26 Steinsorten gibt: Sandsteine, Kalksteine, Marmore, Granite und einiges mehr. Sie kommen aus den Alpen, dem Jura, dem Mittelland, ja aus Italien, Lothringen und Belgien.
Gemeinhin gilt das Bundeshaus aus dem Jahre 1902 als das öffentliche Gebäude des Schweiz mit der grössten Diversität an Bausteinen.
Um so überraschender ist es, das die gesellschaftliche Inklusion harzte. Der Anfang war gut. Bürgerliche Männer bestimmten, wer im Parlament war. Katholiken, Bauernschaft und Arbeiter wurde schrittweise integriert. Doch dann ging es nur im Schneckentempo weiter. Frauen wurde erst vor 50 Jahren ins Bundeshaus gelassen wurden, um zu politisieren. Auslandschweizer:innen haben bis heute keine direkte Vertretung unter der Bundeskuppel. Und die Chancen von Jungpolitiker:innen, auf einer eigenen Wahlliste gewählt zu werden, sind praktisch null. Migrant:innen ohne Einbürgerung, Jugendliche und Kinder schenkt man Gehör.
Immerhin, die politische Vielfalt bricht durch: Seit 2019 ist das Parlament so weiblich wie noch nie. Auch der Altersdurchschnitt ist gesunken. Behrinderte haben nun einen barrierefreien Zugang bis zum Rednerpult. Und das Leben im Bundeshaus wird bunter.
Mit ihrer Hilfe kann die Schweizer Politik in drei Wochen noch etwas farbiger werden.
Es ist Zeit, mit dem Politics Award auf die endlich waschsende Diversität in der Schweizer Politik aufmerksam zu machen und eine Vorkämpferin hierzu ganz besonders zu ehren.
Die Nominierten dafür sind …