Warum der Schweiz ein Konkordanzsystem angemessen ist. Meine Standwanderung hierzu.

PolitologInnen sind sich weitgehend einig:Der Schweiz ist aufgrund ihrer politisch-kulturellen Voraussetzungen ein Konkordanzsystem angemessen. Die Einschätzungen variieren indessen, wie eng resp. wie weit Konkordanz gefasst werden soll und was die genauen Konsequenzen daraus sind. Jetzt setze ich das Thema stadtwandernd um.

Eine eigentliche Systematik der Konsensdemokratie hat der Berner Politologe Adrian Vatter erarbeitet. Im einer Interpretation des Grundlagenwerkes von Arend Lijphart nennt er sechs Kriterien, die sinnvollerweise in eine Konsensdemokratie münden: eine gesellschaftliche Segmentierung, das Vorhandensein informeller Netzwerke, ein ausgeprägter Minderheitenschutz, kulturell autonome Räume und das Proporzdenken für Behörden. Sie führen zusammen zu einem kooperativen Eliteverhalten, was zu Regierungen mit einer überparteilichen Zusammensetzung führt.
Adrian Vatter sieht diese Kriterien für Schweiz gegeben. Entsprechend hält er Konkordanz unverändert für die richtige Regierungsform. Allerdings, verschiedene der Kriterien haben in seiner Einschätzung an Virulenz verloren. So sei die Segmentierung in Teilgesellschaft rückläufig, und die Elitekooperation leide ebenso. Entsprechend spricht er nicht mehr vom Musterfall einer Konsensdemokratie, sondern von einem einem Normalfall. Die institutionellen Zwänge bestehen, auch wenn sich die Eliten vom Ideal der Konsenssuche durch Verhandlungen abgewendet haben. Manchmal nennt er das ausgehölte Konsensdemokratie, manchmal zentrifugales System.
Diese These hat mich inspiriert, meine bestehende Stadtwanderung zu «Konkordanz woher? Konkordanz wohin?» neu zu gestalten. In der aktuellen Form hat sie die folgenden Stationen resp. die nachstehenden Themen:

1. Bärengraben: Einführung «Konkordanz woher, Konkordanz wohin?
2. Untertorbrücke: die dauerhafte gesellschaftliche Spaltung durch die Völkerwanderung (5. Bis 12. Jahrhundert)
3. Zähringer-Denkmal: Stadtgründung, Städtenetzwerke, Eidgenossenschaften (1191-1415)
4. Rathaus: Herrschaftliche Machtpolitik, der Stadt/Land-Konflikt und der Minderheitenschutz (1415-1513)
5. Münster: Reformation, Kleinräumigkeit und Kalenderfrage (1528-1798)
6. Erlacherhof: Französische Revolution – Unitarier vs. Föderalisten und der Bundesstaat (1798-1848)
7. Restaurant Aesserer Stand/Hotel Bern: Dialektik der Moderne – das Staatsverständnis von Freisinn und Sozialdemokratie (1874-1945(
8. Bundesplatz: Entscheiden im Globalisierungskonflikt: Elitekooperation im Zweiten Weltkrieg und neue Polarisierung durch Europa-Frage (seit 1945 bis heute) – Ausblick: Was uns erwartet!

Dauer der Wanderung: knapp 2 Stunden, am besten am Vorabend ab 17 Uhr 30

Interessenten für eine solche Stadtwanderung melden sich unter stadtwanderer@standwanderer.net. Es werden nur Führungen mit Gruppen gemacht, am besten mit 6 bis 20 Personen.

Stadtwanderer

Die Geburt der Moderne in der Schweiz war/ist eine Zangengeburt

Meine neueste Stadtwanderung hat am Freitag Premiere – als Spezialführung für Ursula Wyss, möglicherweise die erste Stapi Berns.

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Angefangen hat die Moderne der Schweiz am 12. April 1798, dem amtlichen Beginn der Helvetischen Republik. Für die Liberalen feierte sie den Durchbruch am 12. September 1848, der Geburt des Bundesstaates. Die Demokraten gedenken dem 18. Mai 1874, als das Referendumsrecht in der revidierten Bundesverfassung verankert wurde. Den Linken wiederum ist der Landesstreik vom 11. bis 14. November 1918 die bleibende Erinnerung. Und für Feministinnen war vor dem 7. Februar 1971, als die Frauen das Stimm- und Wahlrecht erhielten, wenig erwähnenswert.

Ohne Zweifel, die Geburt der Moderne war (und ist) in der Schweiz eine Zangengeburt. Mit der Etablierung einer Republik, umgeben von lauter Monarchien, war man 1848 in Europa ganz vorne dabei. Bei der Einführung des Erwachsenenwahlrechts 1971 bildete man jedoch das Schlusslicht. Den Vorsprung auf die europäische Moderne im 19. Jahrhundert verspielte man im 20. Jahrhundert kläglich. Offen ist die Frage, wem das 21. Jahrhundert Stillstand oder Wende bringt?

Diesen Fragen gehe in meiner neuesten Stadtwanderung nach. Premiere hat sie am kommenden Freitag.

Geführt wird sie speziell für Ursula Wyss, möglicherweise die erste Stapi von Bern, und ihrem Team.

Das Programm lautet:

1. Station Zähringer Brunnen: Crash-Kurs in Berner (und Schweizer) Geschichte
2. Station Rathaus: Der Schock der Moderne oder die Helvetische Republik während der es zu vier Staatsstreichen kam
3. Station Untertorbrücke: Das Plebiszit oder der Bürgerkrieg zwischen Modernisten und Traditionalisten, den Napoléon vermitteln musste
4. Station Erlacherhof: Die Restauration oder die Rückkehr des Ancien Regimes nach Bern
5. Station Casino Restaurants: Der liberale Bundesstaat oder der Durchbruch zu Parlamentarismus und direkter Demokratie
6. Station Aeusserer Stand/Volkshaus: Das Hegelsche Gesetz der Moderne oder der alte soziale Konflikt und seine Befriedung
7. Station Bundesplatz: Männermehrheiten/Frauenmehrheiten oder der neue soziale Konflikt mit etwas offenem Ausgang

Ich freue mich, einen kleinen Beitrag zur politischen Bildung im laufenden Berner Wahlkampf leisten zu dürften!

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