olitgen connections

die meisten menschen wissen nicht, wo oltigen liegt. dabei war oltigen einmal ein herrschaftliches zentrum europas: grafen, bischöfe, ja sogar ein reichskanzler stammen aus oltigen. jetzt wird wieder alles anders: die nachbargemeinde, wileroltigen, feiert diesen sommer das 1000jährige bestehen. und der stadtwanderer beendet im oltige-träff, der einzigen gastwirtschaft in oltigen, seinen diesjährigen betriebsausflug! doch wo nur liegt oltigen?

der untergang des königreichs (hoch)burgund

im jahre 888 ging das fränkische kaiserreich unter. Auf dessen trümmern entstanden zahlreiche neue königreiche, so auch das königreich hochburgund. rudolf, der abt des klosters st. maurice, wurde von den bischöfen in genf, in lausanne und in sitten zu deren könig erhoben, der bald die ganzen gebiete dies- und jenseits des juras beherrschte.


politische landkarte um 900 nach chr., oltigen befindet sich genau dort, wo aare und saane zusamenfliessen, also bei e von haute-bourgogne

anfänglich war die aare die nordöstliche grenze des königreichs hochburgund zum herzogtum schwaben. 922 verlegte der burgundische könig rudolf II. nach einem eroberungskrieg die grenze an die reuss. bümpliz (pimpinugum), das befestigte, ursprüngliche herrschaftliche zentrum am grenzfluss, verlor dadurch seine bedeutung. da man beidseits der aare zum gleichen herrschaftsverband gehörte, reichte nun auch ein flacher übergang über den fluss. und das bekam man dort am einfachsten, wo aare und saane zusammenfliessen, – in oltigen!

die geschichte des ortes geht mit der strategischen bedeutung des übergangs über die aare auf und ab. die besten jahre waren zwischen 1074 und 1125, als die salischen kaiser in personalunion im reich und in burgund regierten. ihr stellvertreter vor ort war der graf von oltigen.

oltigen als ort im niemandsland

oltigen leitet sich wie üchtland vom althochdeutschen uochta ab. im heutigen sprachgebrauch würde man alles mit ödland übersetzen. oltigen sind die leute, die in diesem ödland leben. deshalb gibt es ja im juragebiet auch weitere oltigen, so in baselland, aber auch im grenznahen elsass. an der aare meinte man damit jenes wenig besiedelte gebiet, das zwischen der romanisierten burgundischen bevölkerung links und der alemannischen rechts der aare frei geblieben war, um streitigkeiten, wie sie im 7. jahrhundert aufgekommen waren, zu vermeiden. geografisch kann man das mit dem spickel zwischen aare und saane eingrenzen, an deren zusammenfluss das ödland aufhörte und oltigen ist.

erstmals erwähnt wird oltigen mit dem niedergang des burgundischen königreiches. 1006 nannte man es in lateinischer sprache ottingin oder oltingin. die namensnennung ist mit der feudalisierung des burgundischen königreiches zu verstehen. die rudolfinische königsfamilie war im 19. jahrhundert bis in neu erstandene kaiserhaus aufgestiegen, während die in burgund an bodenhaftung verlor. rudolf III., der letzte burgundische könig wurde sowohl von den bischöfen arg bedrängt, die hand auf die klöster gelegt hatten, als auch von den grafen von savoyen, eigentlich beamte, welche die alpenübergänge kontrolliert, sich jedoch durch einheirat in die königsfamilie wie die herrscher selber gaben. im mittelland wirkte sich beides nicht aus; von neuenburg aus regierte der könig, doch hatte auch er an den wichtigstens strategischen orte königshöfe, so in bargen, wo ein pfalzgraf die statthalterschaft inne hatte.


politische landkarte um 1000 nach chr., oltigen befindet sich genau dort, wo aare und saane zusamenfliessen

die grafen von oltigen

dieser kono gilt als erster graf von oltigen. er ist bis ins jahr 1019 bezeugt. vielleicht war er der cousin des königs. dieser vermachte schon vor dem tod sein reich dem kaiser. zwar starb er erst 1032, doch begann der krieg um die erbschaft von vorher, was man im grenzgebiet spürte. denn es intervenierten die bischöfe, welche eudes de blois, einen grafen aus der champagne, der ebenfalls mit dem burgundischen königshaus verwandt war, auf ihre seite zogen. dieser belagerte 1032 neuenburg erfolglos und verwüstete anschliessend weite teile des seelandes, so auch die burgundische pfalz in murten. ihm stand der deutsche könig gegenüber, konrad II., aus dem hause der salier, der auf dem weg war, seine geschlecht in die kaiserschaft zu führen. er verstärkte den einfluss des alemannischen lagers rechts der aare.

schliesslich sollte konrad diesen krieg gewinnen und sich in payerne zum burgundischen könig krönen lassen. eudes machte er zu seinem stellvertreter vor ort, ohne dass dadurch ruhe eingekehrt wäre. bis 1048 sind kriegerische auseinanderansetzungen im grenzgebiet bekannt. so war es erst konrads sohn und nachfolger, heinrich III., der freiden an die aare brachte. in solothurn führte er meinen einen reichstag durch, der die verhältnisse neu ordnete. rektor oder königlicher verwalter von (hoch)burgund wurde graf rudolf von rheinfelden, der rechts der aare begütert war.

offensichtlich war der oltiger aareübergang jetzt wieder interessant. links und rechts stehen jetzt burgen, je eine in oltigen und eine in wileroltigen, die von bukko beherrscht werden, der als graf von oltigen amtet. sein nachbar in fenis, dem heutigen vinelz, war ulrich, ursprünglich herr auf der hasenburg, dann auch herr von neuenburg, der sich jetzt graf ulrich I. von fenis nennt.

auf der höhe der macht

die hohe zeit dieser grafen war während den streitigkeiten zwischen dem papst und dem kaiser, die in den 70er jahren des 11. jahrhunderts entbrannten und unter dem namen des investiturstreits in die europäische geschichte eingegangen sind. es ging um die frage, wer die bischöfe einsetzen könnte. papst gregor VII. berief sich auf die laufende kirchenreform, wonach bischöfe kirchliche würden träger seien, die ihr amt nicht erkaufen dürften. deshalb müssten sie vom papst eingesetzt werden. er forderte auch, dass bischöfe nicht heiraten durfen, denn nur so konnte die kirche die verzettelung ihres grossen besitzes verhindern. gegen diese kirchenreform wehrte sich der junge deutsche könig heinrich IV. er liess es sogar auf einen bruch mit dem papst gregor VII. angekommen.

in diesem streit fielen die herzöge von schwaben, von bayern und von kärnten vom deutschen könig ab, und machten gemeinsame sache mit papst greogor VII. dieser belegte den widerspenstigen könig mit dem kirchenbann und zwang ihn, innert jahresfrist sich bei ihm zu entschuldigen, um wieder in die christliche gemeinschaft aufgenommen zu werden. den weg nach italien schnitten ihm aber die alpen-herzöge ab. so bliebt heinrich iv., der mit dem hause savoyen verheiratet war, nicht anders übrig, als durch das ehemalige königreich burgund, über genf und den mont cenis nach süden zu ziehen. den papst traf er, wie man weiss in canossa, wo der könig drei tag im büsserhemd vor verschlossenen türen wartete, bis er um vergebung bitten durfte.

was man in der regel nicht weiss, ist, dass die burgundischen grafen wie urlich von fenis und kuno II. von oltigen mit von der partie waren. sie hatten zwischenzeitlich ihre macht bis nach lausanne (haus oltigen) und nach basel (haus fenis) ausgedehnt und besetzten im entscheidenden moment die beiden bischöfsämter mit verwandten. beide lehnten die päpstliche forderung aus machtgründen ab, nicht zuletzt aber, um den rektor über ihnen, der sich auf die papstseite geschlagen hatte, loszuwerden. von ihren verwandten auf den bischofssitzen wurden sie unterstützt, weil sie verheiratet waren, und nicht gedachten, diese verbindung aufzulösen.

bukko von oltigen, besser bekannt als bischof burkard von lausanne, war sogar an engster stelle auf heinrichs seite tätig. Er wurde nach dem gemeinsamen gang nach canossa mit dem titel „kanzler von italien“ bedient, das heisst er vertrat die königlichen interessen im süden. dies wurde umso bedeutsamer, als der gestärkte heinrich nach dem tod seines gegners, rudolf von rheinfelden, nach italien zog, um papst gregor vii. vom stuhle petri zu stürzen. ein ihm genehmer papst sollte den deutschen könig zum kaiser krönen. burkard stieg ebenfalls einen rang auf; er wurde reichbannerträger und begleitete den kaiser mit dem reichsadler in der hand in seine schlachten. als dieser 1089 gegen die aufständischen sachsen kämpfte, war auch der oltiger dabei, kam dabei aber selber ums leben.

der niedergang von oltigen

in oltigen regierte weiterhin sein bruder kono II., der treu dem kaiser diente. dieser war bestrebt, sich mit der katholischen kirche, insbesondere mit seinem taufpaten, dem abt des burgundischen klosters von cluny, zu versöhnen. so förderte er den cluniazensischen orden nach massen. auch im seeland begann sich der orden, ausgehend von payerne auszudehnen. wichtigester klostergründer im seeland war graf wilhelm III., ein sohn von regina, der tochter von kono II., die mit dem grafenhaus von besançon-macon verheiratet war. wilhelm III., selber deutschsprachig, dürfte nach dem tod seines vaters 1102 im kreuzzug vorwiegend in oltigen gelebt haben, und er war es denn auch, der die klöster bellmund und auf der petersinsel gestiftet hatten.


politische landkarte um 1100 nach chr., oltigen befindet sich genau dort, wo aare und saane zusamenfliessen

1122 regelten der papst und der kaiser, heinrich V., sohn von heinrich IV., in worms den investiturstreit. dieser hatte rund 50 jahre gedauert und die zwillinge im reich, den papst und kaiser, gründlich entzweit. in deutschland galt die vorherrschaft des kaisers, und in italien und burgund sollte die päpstlich oberherrschaft gelten.

nur drei jahre später starb heinrich V., der stets schirmherr in olitgen gewesen war, kinderlos, und so brachen wieder unsichere zeiten an. im seeland wurde man sich dessen schnell gewahr: wilhelm III., der klostergründer, starb auf der petersinsel eines gewaltsamen todes. es verschwindet auch der graf von oltigen, der nach 1125 nicht mehr bezeugt ist.

der neue kaiser, lothar von supplingenburg, förderte die als papsttreue verschrienen adeligen, die im gefolge von rudolf von rheinfelden in schwaben wirkten: es schlug die stunde der grafen von zähringen, die vorübergehend herzöge von schwaben und kärnten gewesen waren, 1098 aber als kaiserfreindlich all ihre güter rechts des rheins verloren hatten. zwischen emme und aare blieben sie jedoch die herren. da sie auch den titel der der rheinfelder, das rektorat über burgund 1123 erhalten hatten ,dehnten sie sich ihrerseits über die aare hinaus aus, machten freiburg und murten zu ihren stützpunkten, die sie jetzt als städte förderten, welche die strassen nach süden unterhielten.

aus den einst mächtigen oliger grafen wurden jetzt kleine freiherren, und aus ihren burgen an der aare verloren an stragegischer bedeutung. verwaltet wurde der posten nicht selten durch auswertige grafen, gegen die sich die bauern vom frienisberg 1410 erhoben. 1412 kaufte das aufstrebende bern das darniederleigende städtchen oltigen und machte wohlen zum neuen regionalen zentrum. nach den burgunderkriegen von 1475/6 kam das ganze seeland in bernische hand, und wurde gründlich germanisiert.

neues leben in oltigen

dass oltigen heute bedeutungslos ist, hat mit dem aufstreben berns zu tun. zwischen bern und aarberg konnte keine stadt überleben, die nicht eine strategische bedeutung hatte. dennoch ist die erinnerung an die geschichte wach geblieben. (wiler)oltigen feiert im juli ihre 1000jährige geschichte. leider bin ich bei der premiere des theaterstückes zum volksaufstand von 1410 in den ferien und nicht dabei. umso mehr freue ich mich über die neuentwicklung, die das dort mit dem oltiger-treff nimmt. walter und agathe blunier hatten den mut, im untergegangenen herrschaftszentrum ein gartenwirtschaft zu eröffnen. fern ab vom grossen geschehen. nicht einmal die fussballweltmeisterschaft, die am 9. juni beginnt, interessiert hier: – ein idealer ort also, um des stadtwanderers betriebsauflug zum untergegagnenen burgunderreich zu beenden.

stadtwanderer

quellenangabe:
otto arn: oltigen. ein stück seeländer geschichte, biel 1962

oltige-träff

wileroltigen (mein dorf – 1000 jahre)

kopflos – berner kuriositäten (2)

kopflos? – nein, das ist kein selbsterfahrungskurs, bei dem man seine gedanken abstellen muss, um die sprache des herzens zu erfahren. nein, das ist sodann auch nicht ein fun-film, bei dem ein zauberer mitwirkt, und aus menschen zerlegbare maschinen machen. nein, das ist schleisslich auch kein altertümpicher gerichtsplatz, bei dem ein körper gerade um einen kopf gekürzt worden ist.

“kopflos” ist in bern eine kuriose plastik, die der künstler luciano andreani geschaffen hat. jeder hat sie schon gesehen, und ist wohl etwas kopflos daran vorbei gezogen.


foto: stadtwanderer (anclickbar)

der kleine “kopflos” ist ziemlich symapthisch. er besteht nur aus füssen und beinen. kein kopf. nur eine verbindung, damit das linke bein dem rechten nicht davon rennt. eigentlich ist er auch ziemlich elegant, die schwungvoll formen, die dynamik und der wille, die stadt unter die füsse zu nehmen, sind speziell.


foto: stadtwanderer (anclickbar)

wie alle kunst in bern seit der reformation hat auch der kuriose “kopflos” eine erzieherische absicht. die plastik erinnert gross und klein daran, nicht kopflos über die strasse zu gehen. denn das kann dumme folgen haben: ein tram oder bus kann einen anfahren, ein privatwagen oder ein fahrrad einen rammen. so sicher ist die stadt nun auch wieder nicht.


foto: stadtwanderer (anclickbar)

für uns stadtwanderer ist die bedeutung von “kopflos” vielfältiger: “kopflos” ist gleichzeitig eine einladung, die stadt zu erwandern, und gleichzeitig eine aufforderung, die stadt nicht einfach zu konsumieren: bewusst leben, bewusst sehen, bewusst berichten, ist das motto der stadtwanderer. eben: nicht kopflos sein.

daran erinnert uns die berner kuriosität stets.

stadtwanderer

mit dem chefanalytiker unterwegs

klar, der spannendste abstimmungssonntag war der 21. mai 2006 nicht. der neue bildungsartikel in der bundesverfassung wurde angenommen, – mit einem 86 prozentigen ja-anteil und der zustimmung durch alle kantone. mangelnde spannung heisst nicht, dass an diesem tag politisch nichts geschah, wie der studiowanderer zu berichten weiss. der chefanalytiker der srg erzählt dem studiowanderer exklusiv, was ihm den tag hindurch durch den kopf ging.

Vorspiel: lohnt sich die abstimmungssendung überhaupt?

die erwartungshaltung war von beginn weg eindeutig. „nicht wirklich“, antwortete ulrich schlüer, einer der drei nationalräte, der gegen das bildungsrahmengesetz gestimmt hatte, als ihn der studiowanderer fragte, ob er heute siegen würde. denn auch er wusste es: alle regierungsparteien befürworteten die vorlage. selbst die kantonalen erziehungsdirektoren hatten, mit einer ausnahme, dem artikel ihren staatsmännischen segen gegeben. und schliesslich schlossen sich auch die meisten medien dem allgemeinen meinungstenor an. eine breite bevölkerungsdiskussion gab es nicht.

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foto: studiowanderer (anclickbar)

den chefanalytiker hätte es gefuchst, wäre der abstimmungssonntag ausgefallen. Seit dem 6. dezember 1992 ist er lückenlos im tv-studio gewesen. Immer, wenn es eidgenössische abstimmungen gab. insgesamt rund 50 mal. selbst als er eines unfalls wegens im rollstuhl war, kam es ins studio, und analysierte wie die schweiz sich für den kauf von amerikanischen fa-18 kampfjets entschieden. angefangen hat alles mit dem ewr. der chefanalytiker dazu: “ich war der erste, der es wusste, dass es nein war, aber der letzte, der es merkte.” Das ist wohl typisch: seine meinung ist nicht gefragt, sondern seine analyse. und das weiss er. gefragt sind fakten, wer wie warum stimmte.


foto: sf drs (anclickbar)

doch das allein ist es nicht, was ihn treibt: vor 15 jahren war das abstimmungsresultat jeweils erst am abend bekannt. Es wurde von der bundeskanzlei verkündet und stand oft unvermittelt in der landschaft: vox populi – vox die, sagten selbst die politologen in den 60er Jahren und scheuten sich, den volkswillen zu interpretieren. als kleiner, politisch interessierter junge hat sich der chefanalytiker häufig allein gefühlt. warum?, fragt er sich, etwa als man die demokratisierung des nationalstrassenbaus ablehnte. mit welchen folgen?, wollte er wissen, als man die mitbestimmung in den betrieben ablehnte damals wurde ihm klar: man muss mehr wissen, was geschieht, wenn sich 1,2 oder 3 millionen menschen politisch äussern.

angesichts der erdrückenden ja-bank hätte sf drs fast keine abstimmungssendung gemacht. doch dann entschied man sich des service public wegens zur tat. zu recht: das fernsehpublikum ist träge, will immer den gleichen ablauf. und so machte es an diesem tag sinn zu senden, wenn auch experimentieren: die nachrichten und analysen kamen diesmal nicht zur gewohnten zeit aus dem abstimmungs-, sondern im neuen nachrichtenstudio.

Hauptspiel 1: die knochenarbeit der analyse

die beschränkte spannung am frühen sonntag nachmittag erlaubte es dem studiowanderer, sich auch ein wenig umzusehen. viele lange gänge, ist das kennzeichen des studios leutschenbach. Die generelle angst im haus lautet: „… und esch niemeh umecho!“. Wenn man hereinkommt, muss man kundtun, zu wem man will. so ist man wenigstens registriert, und kann per telefonnummer der sf mitarbeitenden jederzeit aufgesucht werden. Besser wäre es heute allerdings, die handynummer zu verlangen. So würde man auch allfällige verschollene wieder finden!
der studiowanderer hasst übrigens die batches. Hatte mal einen und vergessen abzugeben, irgendwo in den vielen gängen liegen gelassen und nie mehr aufgefunden. Hatte eine lange, bürokratische auseinandersetzung nachgezogen …


foto: studiowanderer (anclickbar)

untergebracht ist das hochrechnungsteam, bestehend aus lukas golder, stephan tschöpe und luca bösch (bild) diesmal im sitzungszimmer der chefredaktion. wenn man reinkommt, hat man trotz aller aufhellung im haus den eindruck, im führungsbunker zu sein. UHHH, ueli haldimanns head quarter, sagen die leute: überall beton, keine fenster, nur kunstlicht! Wahrscheinlich auch hermetisch abgeriegelt, um selbst im notfall geschützt zu sein. Zum arbeiten ist es übrigens ganz angenehm: schön ruhig und kein passantenverkehr!

es wird konzentriert gearbeitet. weil alles schneller klar ist, will man sofort alles haben will: das hochgerechnete ergebnis der abstimmung, die voraussichtliche stimmbeteiligung, die vergleiche mit anderen volksentscheidungen, die analyse des abstimmungskampfes, etc etc. dafür wirkt ein ganzes team im hintergrund des chefanalytikers: sammlung der gemeindeergebnisse via telefon, faxe und web. auswertung dieser nach einem vorgegebenen schema, das extrapolationen erlaubt, die zu annahmen führen, wie die kantone stimmen und wie die schweiz. So weiss man es, bevor man es weiss: auf 1 prozent genau ist das extrapolierte ergebnis im schnitt.


foto: studiowanderer (anclickbar)

doch das ist nicht alles, was an diesem Nachmittag errechnet wird: datenbanken auf internet und des hochrechnungsteams erlauben es, die ergebnisse zu vergleichen: was war je die höchste zustimmung?, was die tiefste beteiligung?, will die tagesschau ohne vorankündigung wissen. man positioniert auch abstimmungen, das heisst, sie werden mit anderen in verbindung gebracht: Analyse der räumlichen konfliktmuster, nennt man das. so erkennt man rasch, in welchem masse ein vorlage als links/rechts-polarisierung erfasst wurde, zwischen den modernen und der traditionellen schweiz teilt, oder präferenzen zum ausdruck bringt, die für eine materialistische resp. postmaterialistische schweiz stehen. Es werden auch bezirks- und gemeindeanalysen gemacht, um parteihochburgen zu untersuchen, wahrscheinliche verteilungen der zustimmungen in den parteilagern zu errechnet und für die kommentierung des abstimmungsergebnisses zu verwendet.


foto: studiowanderer (anclickbar)

Aus dem traum des jungen in den späten 70er jahren ist in den 90er jahren ein politikwissenschaftliches geschäft geworden. der politisch interessierte wird zum schrittweise zum chefanalytiker. ihm passt das ganz gut. politisch im eigentlichen sinne ist er nämlich nicht, politisch interessiert aber weiterhin.

Hauptspiel 2: die analyse vom präsentationstisch aus

nach erledigter basisarbeit verlässt der chefanalytiker sein team. er eilt vorbei an einer fotoserie der wichtigsten köpfe bei sf vorbei ins neue tagesschau-studio. diese wirkt ein wenig wie eine ahnengallerie der lebenden tv-stars. „ja, der ist besonders sympathisch“, denkt er sich, „und die ist ganz speziell“, geht ihm durch den kopf. vom neuen tagesschaustudio ist er beeindruckt. das licht kanalisiert die aufmerksamkeit, – fast schon wie in einer kirche. klar ist, wo jesus gekreuzigt wurde, wo maria und joseph das geboren kind hüten, und wo die apostel das neue verkünden. eine mischung aus krippe und abendmal, wenn man den raum und den tisch miteinander in beziehung bringt.


foto: studiowanderer (anclickbar)

doch der präsentationstisch ist bei genauem hinsehen ein bumerang. und heute ist er speziell besetzt. nicht katja s., und nicht heinrich m., dafür urs l. der die abstimmungssendung moderiert, und catherine m., welche die nachrichten verliest. dazwischen, im winkel des bumerangs, claude l. der die abstimmungsanalysen vornimmt. und er handelt ganz danach: was die leute in die urne geworfen haben, wird ihnen jetzt zurückgegeben.


foto: studiowanderer (anclickbar)

von modernisierungskonsens spricht der chefanalytiker. konfliktlinien hat er, trotz aufwendiger suche, heute nicht gefunden. doch die vorlage ist eine modernisierung der schweiz. die polarisierte aber nicht. selbst in appenzell-innerrhoden, wo carlo schmid, das konservative urgestein der cvp, dagegen war, und im wallis, wo oscar freysinger, der walliser gymnasiallehrer mit beschränktem dichtertalent, für das nein warb, ist man mehrheitlich dafür. also haben auch die föderalisten ja gesagt. nicht mehr das kantönligeist-schulsystem ist gefragt, sondern die leistungsschule schweiz ist gefragt.


foto: studiowanderer (anclickbar)

dann gibt’s noch ein interview des chefanalytikers fürs radio, – heute in schneidekabinen der tv-crews untergebracht. wäre es 20 grad kälter, würde man sich in einem iglu fühlen, das mit modernster technik den anschluss an die welt aufrechterhält. doch wo ist der journalist? „michael, michael“, wo bist du? Kurze aufregung, denn bald ist sendung, und der techniker und der reporter sind weg. sind sie, draussen auf dem grossen leutschenbach-gletscher, in eine spalte gestürzt? – gott sei dank nein, sie kommen gerade noch rechtzeitig. So kommt die analyse auch übers radioiglu in ganz grönland an. der präsident des nein-komitees, bruno nüsperli, wird sich übrigens daüber beschweren. sie sei nicht ausgewogen gewesen. Man habe die ja-tendenz in der berichterstattung klar gemerkt, und auch die freude über das ergebnis sei in den kommentaren zum ausdruck gekommen. da kann der studiowanderer nur noch sagen: die tendenz an diesem sonntag war klar, und auch die erleichterung dürfte bei 8,6 von 10 stimmenden spürbar gewesen sein!

Nachspiel: innensicht der parteipräsidenten, aussensicht der bundestagsabgeordneten

zum schluss geht es doch noch ins abstimmungsstudio. die elefantenrunde der parteipräsidenten bedarf eines round-tables, wie sich der moderator urs leuthard ausdrückt. und dafür reicht der abendmahl-tisch im anderen studio nicht aus. da braucht es schon das gewohnte halbrund.


foto: studiowanderer (anclickbar)

wie gewohnt werden sie in stellung gehen: primo, ueli maurer, der lob für sein interview im tagesanzeiger zur vorschau auf die kommenden parlamentswahlen bekommt, das aber, weil es aus unerwartetem mund kommt, nicht annehmen kann; secundo, hans-jürg fehr, der schaffhauser, der historiker, der intellektuelle, der die heutige sozialdemokratie ruhig und besonnen vertritt; terzio, bruno frick, heute als ersatz für doris leuthard, in aufgeräumter laune und fast schon wie der neue parteipräsident der cvp. ja, und dann, noch fulvio pelli, auch schon mal selbstsicherer, vielleicht auch arroganter gewesen. heute grüsst er jeden im studio, dem er begnet, freundlich, fast so wie wenn er auf der suche nach neuen wählenden wäre! Weiter so!

wenn am abstimmungssonntag die politiker kommen, hat der chefanalytiker seine sonntagsarbeit normalerweise getan. auch heute überlässt er den höhepunkt zum binnendiskurs den parteichefs. doch nicht um nach hause zu gehen. ihn interessiert an diesem tag noch die aussensicht auf das geschehene. er geht noch rasch an die veranstaltung von iri, dem institut für initiative & referendum der universität marburg, denn dieses betreut eine delegation des deutschen bundestages, der zu studienzwecken in zürich weilt.


foto: hotel alexander, thalwil (anclickbar)

dort wir der chefanalytiker auch auf roger de weck treffen. Wie er ein freiburger, doch aus der aristokratie. dem chefanalytiker seine familie ist das einfacher: zuerst staatsangestellte, dann industrieangestellte. doch die beiden so unterschiedlichen freiburger referenten verstehen sich heute bestens. roger de weck spricht von der politischen kultur der deutschen und der schweizer: die deutschen lebten von gegensätzen in der öffentlichkeit, seien aber, davon abgeschirmt, durchaus bereit, kompromisse zu finden. Die schweizer wiederum würden über dem tisch stets die gemeinsamkeit betonen, während unter dem tisch mächtig in alle richtungen gezerrt werde. Zu den gemeinsamkeiten, welche die schweiz zusammen hält, zählt er die geschichte, den reichtum, den integrationswillen der daraus entsteht, und die direkte demokratie. die konservativen im publikum staunen ob dem patriotischen eifer, denn der abkömmlings einer aristokratenfamilie an den tag legt.

eine gewisse skepsis ist bei den gästen spürbar, wenn sie volksabstimmungen hören. im innern läutet es alarm: weimar! Nach aussen zweifeln sie an der legitimität von volksabstimmung mit geringer beteiligung. Doch die jüngeren abgeordneten, linker und grüner, wissen um die die partizipationsdefizite des deutschen parteienstaates, und bewundern die themenoffenheit der schweizer debatte.

der chefanalytiker spannt den bogen zum scheinbar bedeutungslosen abstimmungstag. deutliches ja zur zentralisierung des bildungswesens und modernisierungskonsens in sachen bildungsraum schweiz, sind seine stichworte. und er verweist auf die einigkeit der parteien, die fehlende polarisierung in der bildungspolitik. wenn es um fragen der europäischen integration geht, ist das ganz anders. dann herrscht aufruhr, dann regieren die emotionen, und die beteiligung ist hoch. heute war sie tief, der sockel konstant teilnehmender bürgerInnen entschied heute. dennoch ist das keine krise der direkten demokratie. diese wird im grund von allen akzeptiert. Sie ist die schweizer erfindung. der demokratieimport à la francaise 1798 funktionierte nicht. es brauchte die liberale bewegung, um die verschlossene schweiz zu öffnen, die radikale bewegung, um die herrschaft zu brechen, und die demokratische bewegung, um direkte demokratie auch mit werten zu füllen. In der schweiz ist das seit den 1870er jahren weitgehend unbestritten. Zur gleichen zeit sei deutschland eine verspätete nation geworden. Die schweiz hätte das nie richtig interessiert. Im vielvölkerstaat schweiz kommt der nationebegriff nicht gut an, wie in germanien. Doch habe man seit 1874 die kantonskompetenzen schrittweise zentralisiert. Zuerst bei militär, heute im bildungswesen. Insofern ist er sogar ein wenig historisch, der 21. mai 2006.


foto: studiowanderer (anclickbar)

die deutschen gäste danken den referenten mit einem diplom von des künstlers stüttgen, – dem grossen fan der direkten demokratie in deutschland. der chefanalytiker gibt den dank gleich weiter: bei der einführung der volksrechte in den kantonen seien die unzufriedenen bauern die soziologische basis der direkten demokratie gewesen. das unzufriedene bürgertum sei dann zum politischen vollstrecker geworden. Angeleitet wurde es jedoch durch einen unzufriedenen deutschen. ludwig snell, den die reaktion aus deutschland ausgewiesen habe, und den die revolutionäre in der schweiz als flüchtling aufgenommen haben. Deshalb habe die schweiz heute über die zentralisierung des bildungswesens abgestimmt. hat der deutsche bundestag gleiches schon gemacht?

man sieht es: aus dem traum des jungen politinteressierten in den 70er jahren ist in den 90er jahren ein politikwissenschaftliches geschäft geworden. dieser schritt ist abgeschlossen, doch kündigt sich schon der nächste an. aus dem schweizerischen anlass “volksasbtimmungen” soll ein europäischer werden. der chefanalytiker ist mit der direkten demokratie unterwegs. und wir mit dem chefanalytiker unterwegs.

erstanalyse

onlinebericht

politische kultur zürichs im licht und schatten von alfred escher

ich habe heute einen kleinen versuch gewagt, das polit-kulturell angeregte stadtwandern neu auch in zürich zu riskieren. für fritz und gunda plasser. die von wien und insbruck nach zürich gekommen sind, für eine kommunikationswissenschaftliche fachtagung des ipmz. dienstleister für die demokratie? wurden untersucht. es ging um politische kommunition als werdendes berufsfeld in der schweiz. professor fritz plasser leitete mit seiner weltweiten campaigningstudie die tagung ein.

der spaziergang war anstrengend, aber auch ganz anregend. ich war kaum vorbereitet, der entscheid fiel gestern an der tagung. kurz nacht. doch dann drei stunden zeit, für stadteindrücke, für historische informationen. und für gedankenaustausch. hier mein protokoll.

start: bahnhof, denkmal für alfred escher

bewusst starten wir im schatten von alfred escher. es gibt ja grad eine neue biografie. voluminös. so wie seine leistungen. escher, das ist der pionier. das ist der politiker. das ist der unternehmer. das ist aber auch das schweizerische problem. gelebt hat er von 1819 bis bis 1882. seine familie war bankrott gegangen, hatte aber in übersee neues geld gemacht. er stieg in die kantonale politik ein, wurde nationalrat, war mehrfach parlamentspräsident. er hat das polytechnikum begründet. er hat die ska und die rentenanstalt mitbegründet. er war der eisenbahnkönig. er bestimmte, dass der eisenbahnbau in der schweiz privat geschah. er sollte aber auch daran scheitern. zu hoch waren die kostenüberschreitungen beim gotthardtunnelbau. dessen eröffnung hat er knapp nicht mehr miterlebt.

die fragen seitens meiner gäste, auf dem weg zur ersten station sind direkter: wie viele menschen sprechen rätoromanisch? kaum jemand mehr exklusiv, ist die antwort. gesprochen wird es noch von einigen tauschend menschen. 1938 wurde es landessprache, nicht jedoch amtssprache für die bundesbehörden. in den 70er jahren setzte die bewegung für eine rätoromanische hochsprache ein. daraus entstand das romantsch grishun. ob so der untergang der ältesten sprache in der schweiz verhindert werden kann, ist unsicher. immerhin, microsoft prodziert seit diesem jahre ihre programm auch in dieser sprache.

1. station: lindenhof; thema: römer und habsburger

58 vor christus wandern die tiguriner, die helvetier, die rauracer und die boier aus ihren angestammten gebieten aus. sie weichen vor den nach süden vorrückenden sueben. doch sie treffen auf den römischen statthalter gaius julius caesar, dem sie in bibractae militärisch unterliegen. stark dezimiert, kehren sie in ihre angestammten gebiete zurück. in zürich meint man, es seien die tiguriner gewesen, die hierher zurückkamen. deshalb heisst zürich auf lateinisch bis in 19. jahrhundert nach diesem stamm. heutte weiss man, dass das falsch ist.

richtig ist aber, dass auch in zürich eine galloromanische kultur entsteht, diese im 2. und 3. jahrhundert von der pax romana profitiert. auch dank dem limes zwischen rhein und donau, der die germanen fern hält 260 kommt aber bewegung ins römische kaiserreich. germanische schlägerbanden drängen über den rhein in schweizerische mittelland. sie zerstören, was ihnen im weg steht. mit der neuordnung des kaiserreiches unter diokletian wird dieses mittelland zur totalen provinz.

in diese waldgegend siedeln die römer im 5. jahrhundert die burgunden an, ein ostgermanischer stamm, der sukzessive an den rhein vorgerückt ist. ob die burgunden auch turicum besiedeln, ist nicht nachgewiesen. sicher ist aber, dass die später einwandernden alemannen die kernbevölkerung zürich ausmachen werden. diese werden im 9. jahrhundert hauptteil des herzogtums schwaben, zu dem auch zürich gehört. man nennt sie auch mal die schönste stadt schwabens. halten kann sich dieses herzogtum eigentlich nur bis 1098. dannach zerfällt es als folge des investiturstreits zwischen kaiser- und papsttreuen adeligen. zürich wird jetzt das erste zähringische zentrum (papstpartei), und bei deren aussterben reichsstadt. die einheitliche herrschaft ist weitgehend zerfallen. es regieren die regionalismen. bis heute.

nach dem tod von kaiser friedrich II. streiten sich genau die lokalen grafen um die vorherrschaft. es siegen die habsburger, die nicht von wien, sondern von habsburg bei brugg sind.rudolf I. wird deutscher könig, reorganisiert das untergegangene kaiserreich im osten erfolgreich, im westen scheitert er aber. seine beiden söhne, albrecht und rudolf, werden herzöge von österreich. in wien bleibt aber nur albrecht. der andere sohn stirbt im burgund. auch rudolf, der vater, stirbt 1291. in speyer.

jetzt erheben sich alle, die keine habsburgerdynastie wollen: bischöfe, wie jener in konstanz, grafen, wie jene von rapperswil bis savoyen, unddie reichsstädte zürich resp. bern. und uri. und schwyz. nur von unterwalden gibt es keine nachrichten. albrecht von österreich versucht, den aufstand niederzuwerfen. in zürich kommte es zu einer schlacht, welche zürich verliert. die männer brachten es nicht, dagegen wehrten sich zürichs frauen tapfer. man gedenkt ihnen noch heute mit dem brunnen auf dem lindenhof. dennoch zürich kommt in habsburgische hände, doch wird albrecht umgebracht, von einem verwandten, der eine offene rechung hatte.

der ritterliche adel kann sich in zürich noch bis 1336 halten, doch dann ist ende. es beginnt das zunft-regiment unter dem ersten bürgermeister rudolf brun. mit dem sächsilüüte gedenkt man bis heute an diesen prägenden wechsel. zürich wird 1351 teil der eidgenossenschaft, dieser speziellen form der selbstverwaltung im kaiserreich. es bleibt aber ein unsicherer partner. 1436 geht es mit kaiser friedrich III. ein bündnis ein, doch das führt zum ersten bürgerkrieg unter den eidgenossen. zürich verliert seine länderein. erst als es für immer von habsburg abschwört, bekommt es sie, mit wenigen ausnahmen zurück. mit dem alten zürichkrieg entsteht auch die eidgenossenschaft als bündnissystem, das von habsburg getrennt ist.

die gäste wollen wissen, wann der rütlischwur war? 1291, sagt die offizielle geschichtsschreibung. das sieht man aber erst seit 1891 so. damals schlossen die verschiedenen richtung im bürgertum ein burgfrieden. der konfessionelle gegensatz sollte verschinden, denn man hat einen gemeinsamen feind: die sozialisten! und die feiern den internationalistischen 1. mai! also verordnet der bundesrat den 1. august 1891 als bürgerliche gegenmanifestation in der schweiz. 1941 ist das auch nützlich: der general versammelt angesichts der deutschen bedrohung die gesamt generalität, auf dem rütli, und feiert den geburtstag der unabhängigen schweiz. doch seit dem humanisten gilg tschudi glaubte man, dass der rütlischwur am mittwoch vor martini war, also am 8. november, und das im jahre 1307! man verband sich damals gegen die habsburger, die den tod von könig albrecht ausgehend von königsfelden blutig rächten. 1907 feierte übrigens der bundesrat, der um die terminverschiebung des rütlischwurs wusste, unter ausschluss der öffentlichkeit die 600 jahr feier nochmals nach! doch was solls: eine staatsgründung war es so oder so nicht. es war die beschwörung eines bündnissystems, von denen es zwischen 1240 bis 1393 in wechselnden koalition ganz viele beispiele gibt.

2. station: grossmünster; thema: christianisierung und reformation

die in der völkerwanderung eindringenden germanenstämme werde in unterschiedlichem masse mit der restposten der spätantiken, römischen kultur assimiliert. bei den burgunden im 5. jahrhundert geht es, die langobarden im späten 6. jahrhundert nehmen auch die latinita an. doch bei den alemannen scheitert der prozess vollständig. sie sind ein untertanenvolk der franken, die sich wegen dieser herrschaft christianisieren liessen. bei den alemannen löst es das gegenteil aus, sie bleiben bei den germanischen göttern.

erst im 8. jahrhundert christianisieren die karolinger die alemannen zwangsweise. missionare und herzöge kommen. die alemannen formieren die abwehr. sie verfassen ihre rechte. und berufenn sich auf das untergegangene merowingische königtum, das sie in ruhe gelassen hatte. doch die karolinger setzen sich durch. es entstehen klöster wie die reichenau, wie st. gallen und wie das züricherische grossmüster und fraumüster. jetzt beginnt der kult um die stadtheiligen: felix und regula sollen nach ihrem matryrium im 4. jahrhundert ihre köpfe in den eigenen händen getragen habe, bevor sie ganz umfielen. das soll am ort des grossmünsters gewesen sein.

ob dieses von kaiser karl dem grossen gestiftet worden ist, bleib bis heute unsicher. sicher ist aber, dass sein nachfahre, karl der dicke, hier war. in dieser zeit war alemannien kurzfristig ein karolingisches königreich, und zürich war das letzte zentrum des untergehenden imperiums.

der spät eingeführte katholizismus hält sich in zürich bis ins 16. jahrhundert. doch dann wird er gründlich abgeschafft: wie auch die anderen eidgenossen beteiligt sich zürich an der armee für papst julius II., die für ihn in oberitalien erfolgreich krieg führt. doch nach der niederlage der schweizer in marignano, mag zürich nicht in den eidgnössischen chor miteinstimmen, der sich frankreich anschliessen.

ulrich zwingli ist der soldgegner der ersten stunde. dafür wird er katholischer pfarrer im grossmünster. und er reformiert die kirche erfolgreich. er mischt sich in der politik der stadt tatkräftig mit. nur militärisch ist er unbedarft. 1531 verlieren die reformierten städte gegen das katholische land in kappel. zwingli rückte mit nur 800 getreuen gegen 11000 innerschweizer an, und er findet dabei den tod.

dennoch ist die reformation in zürich nicht aufzuhalten. bullinger setzt sie fort, er arrangiert sich auch mit der zweiten reformationswelle, die jean calvin in genf auslöst. die consensuspolitik unter den reformierten städte entsteht. man wehrt sich so gegen die gegenreformation, welche die katholische verherrschaft mit zentrum luzern stärkt. der zürcher protestantismus bleib, anders als der calvinismus, der weltweit erfolgreich wurde, weitgehend eine lokale erscheinung. immerhin, das protestantische zürich bleibt offen für neues, und entwickelt sich wirtschaftlich.

die reformation hat übrigends dein kult um die stadtheiligen abgeschafft. 1950 wurde er wieder aufgenommen. an ihrem legendären todestag. dem 11. september. dann ist knabenschiessen. es geht um den tapfersten kämpfer der stadt!

die gäste nicken. so kennt man die schweizer. international vernetzt, wirtschaftlich erfolgreich, kriegerisch wacker, europapolitisch jedoch weitgehend abstinent. doch sie wollen den zusammenhang mit christoph blocher genauer geklärt haben; ich muss nochmals etwas ausholen: heute sind zwei zürcher mitglieder in der landesregierung. beide sind protestanten. bei sind pfarrerssöhne. moritz leuenberger repräsentiert den urban-modernen zürcher protestantismus. christoph blocher steht für den rural-konservativen zürcher protestantismus. dieser ist wirtschaftlich potent, während jener vor allem den staat steuert. beide haben unverändert weltlich-religiöse züge. und sind moralisierend, wenn auch in die konträre richtung. man dankt für die klärung! ich empfehle noch das heutige interview von christoph blocher im tagesanzeiger.

3. universität/ethz; thema: geld und geist

die französische revolution bringt neue gedanken in die eidgenossenschft: freiheit, gleichheit und brüderlichkeit werden neu definiert. doch die revolutionierung der alten republiken von oben scheitert. der koalitionskrieg gegen frankreich wird auch in zürich ausgetragen. russen und österreicher tummeln sich auf zürichs strassen. und der wiener kongress bestätigt die alten verhältnisse wieder.

erst mit der zweiten französischen revolution, 1830, fasst der liberale gedanke in zürich fuss. die bürger machen gleiche sache mit den bauern, und deutsche intellektuelle entwickeln die bewegung weiter. der kanton bekommt eine liberale verfassung. um den liberalen schwung zu halten, braucht die bewegung aber ein feindbild: die erzkonervativen jesuiten, seit der gegenreformation, sind das opfer. der katholisch-konservative sonderbund versucht diese zu verteidigen, unterliegt aber in einem bürgerkrieg. die revanche für kappel 1531 ist perfekt.

mit der liberalen bewegung der 1830er jahre entsteht die universität zürich als kantonale hochschule. sie soll den geist der zürcher entwickeln. mit dem freisinnigen bundesstaat wird zürich zwar nicht hauptstadt, aber es erhält in den 1850er jahren das polytechnikum, wie man die heute eth zürich damals nannte. hier wird die technik entwickelt. mustergültig! weltweit immer noch eine spitzenhochschule! nur die entwicklung einer nationalen kultur misslingt, wie man am fehlen einer nationaluniversität sieht. zu gross sind die vorbehalte der sprachlichen minderheiten und der konfessionellen gegensätze, dass aus der schweiz eine nation würde.

immhin, es gelingt der durchbruch bei der industrialisierung. der eisenbahn sei dank. das prägt auch das freisinnige staatsverständnis in zürich: die zivilgesellschaft soll die innovation richten, beschliesst der staat. der kapitalismus dominiert, der liberalismus ist auf siegeskurs.

die gäste sind müde, sie wollen sitzen. etwas trinken! und verschnaufen, ob dem wasserfall an historisch-politisch-kultureller information, der übr sie gespritzt ist! aber sind sind schlicht erstaunt, dass die universitäten in der schweiz erst im 19. jahrhundert entstehen. ja, so war es, ausser in zürich. paris, bologna und wien waren eine sehr lange zeit die ausweichorte für die gscheiteren herren.

4. bürkliplatz; demokratisierung und polarisierung

die machtballung, die unter alfred escher in zürich entstand, führte direkt zur demokratischen bewegung. sie verlangte die beschränkung der macht des freisinns. sie forderte die zivilisierung des entfesselten prometheus. und sie hat erfolg! die zürcher verfassung wird demokratisiert, und die die volksrechts wurden gesamtshweizerisch eingeführt. die schweiz war 1874 die institutionell am weitesten entwickelte demokratie.

im linken spektrum akzeptierte man die bürgerliche direktdemokratie nur als übergang zur gewünschten räterepublik. so karl bürkli, dem gegenspiel von alfred escher an der bahnhofstrasse. er fordert das genossenschaftswesen, die konsumvereine, die utopischen gesellschaftsentwürfe. wie escher war auch er ein mann der tat. aber der tat für die arbeiterschaft! 1918 ist ihr grosser moment: landesstreik. 7 hauptforderungen. und militärische gegenwehr. schliesslich der durchbruch für das linke demokratieverständnis: proporzwahlrecht, später auch sozialstaat, und ganz am ende auch frauenstimmrecht.

doch das proporzwahlrecht hatte nicht nur die erwartete konsequenzen. zwar wurde die sp wählerstärker. auch die bgb, ausgehend von bern, die innert 8 jahre zur nationalen regierungspartei aufstiegt. 1970 wird daraus die svp. und in den 90er jahren sammelt diese, im zerfallenden bürgerlichen lager den gesamten nationalkonservativen protest. unter christoph blocher steigt sie in zürich und gesamtschweizerisch zur grössten partei auf. die polarisierung bricht die vorherrschaft der fdp, die auf elisabeth kopp gesetzt hatte, die den niedergang der swissair nicht verhindern könnte, und sich zunehmend nur noch mit sich selber beschäftigen kann.

die gäste wollen wissen, ob dieses system eu-tauglich wäre. beschränkt, ist wohl die richtige antwort. die direkte demokratie ist schweiz-offiziell kein hinderungsgrund für den beitritt. es bräuchte wohl aber ein opting out. so jedenfalls kann man die jüngsten positionen der schweizer aussenministerin zu deuten. einer sozialdemokratin.

sicher ist, dass die svp nicht mehr als die bisherigen integrationsschritt will. und sie weiss in dieser frage des schweizerischen bankgeheimnisses wegen die zürcher bankenwelt hinter sich. das ist wohl das haupthindernis für einen eu-betritt. ob der je kommt, ist offen. die schweiz hofft wohl, dass es möglichst viele beitrittskandidaten gibt, die ausnahmen verlangen, und aufgenommen werden. bis dahin hat man sich bilateral arrangiert. nicht nur zum nachteil beider seiten.

5. vorläufige bilanz

ja, alfred escher polarisierte. zürich hatte seit dem 14. jahrhundert keine aristokraten mehr. aber alfred escher war wie ein aristokrat. er hatte den übernamen zar von zürich. dafür war er ein pionier sondergleichen. die credit suisse feiert das gegenwärtig mit einer neuen biografie. doch seinerzeit hatte man das gar nicht gern. deshalb sind spuren am lack bis heute geblieben. licht und schatten sind nahe beeinander. in der schweiz.

polit-kulturell symptomatisch entzündete sich die gesamtschweizerische reaktion auf den werdenden nationalstaat genau an alfred escher. und führte statt zum nationalstaat zur direkten demokratie, statt zu machtkonzentration zu machtteilung! das ist wohl die wichtigste lektion. sie hat die dezentralität der schweiz gefördert.

diese hat ihre basis in der herrschaft, die im 11. jahrhundert in hunderte von regionalen kleinreichen zerfiel. in der geschichtsschreibung fasst man das gelegentlich auch als anarchie zusammen. nicht der adel, sondern die städte- und landbünde schafften wieder etwas ordnung. sie verstelbständigten sich als eidgenossenschft innerhalb und ausserhalb des reiches. grosse politik liess sich damit nicht machen, denn die konfessionspaltung lähmte die entschwicklung der schweiz. der nationalismus à la francaise war auch kein erfolgsprojekt. aber er stärkte das bewusstsein für die vielsprachigkeit der schweiz. auf diesen konfliktlinien aufbauend entwickelten sich die bürgerliche demokratie und die industrialisierung ganz ordentlich. die moderisierung des sozialen konfliktes im 19. und 20. jahrhundert führte zur konkonrdanz. diese garantiert, dass parlamentarismus und volksrechte sinnvoll neben einanderbestehen können. ohne den willen zur konsenspolitik ist die schweiz aber wieder schnell blockiert. das ist jedenfalls meine bilanz!

man bedankt sich freundschaftlich für den gedankenaustausch. und dann noch das geschäftliche: auf dem rückweg noch kurze projektbesprechung. wir wollen gemeinsam ein buch schreiben! auch mit professor oscar w. gabriel. es soll die politischen kulturen deutschlands, oesterreichs und der schweiz miteinander vergleichen. sie sollen nicht historisch analysiert werden, wie heute, sondern mit umfragedaten aus den letzten 30 jahren. auch ganz anspruchsvoll! wie heute.

bis ende august sollen die manuskripte stehen. phuu!, fertig stadtwandern. jedenfalls für heute …

stadtwanderer (in zürich)

politisches standortmarketing bern

das politische stadtwandern geht in die nächste runde: heute start der rundgang “demokratiegeschichte der schweiz”. erzählt werden in gut einem dutzend stationen in der stadt, wie aus der alten republik bern die neue republik schweiz wurde, wie die aristokratie durch die bürger abgelöst wurden, wie die liberale bewegung die demokratie erkämpfte, wie intellektuelle diese radikalisierten, wie der freisinn aus der schweiz eine repräsentative demokratie formte, wie die demokratische bewegung diese zur halbdirekten umfunktionierte, wie der parteien den klassenkampf führten, wie das proporzwahlrecht diesen milderte, gleichzeitig aber auch zur gründung der bgb, heute svp, führte, wie die zauberformel als richtlinie für die zusammensetzung der vierparteienregierung entstand, und was sich seither alles ereignet hat.


die gerechtigkeit beschäftigte alles systeme aller zeiten, doch die antworten, die die demokratie darauf gibt, sind einmalig
quelle: gfs.bern (anclickbar)

geladen ist heute eine gruppe von demokratie-freunden aus ungarn und bulgarien, die sich für die weiterentwicklung ihrer demokratien interessierten. organisiert vom initiative & referendum institute in marburg, unterstützt von präsenz schweiz, sind sie bis am sonntag ausbildungshalber in der schweiz, und werden als erste gruppe in den genuss kommen von den berner stadtwanderungen. diese werden heute bianca rousselot und claude longchamp führen. angemeldet haben sich journalistInnen aus dem ausland, politologieprofessoren verschiedener unis, und auch verschiedene vertreterInnen der bundeskanzlei, der wirtschaftsverbände und der interessengruppen in der schweizer werden erwartet. nicht abgemeldet hat sich alexander tschäppä!

die recherchen zur demokratiegeschichte in bern begannen mit einem paukenschlag. die wikipedia, das mass aller dinge in der internetwelt, erzählt ausführlich die geschichte der stadt und des kantons bern. die entscheidende stelle für den anfang der demokratiegeschichte wird indessen weggelassen; originalton: “Der durch die Französische Revolution erwachte demokratische Geist vertrug sich nicht mehr mit diesen Zuständen. Das nach dem bernischen Staatsschatz lüsterne französische Direktorium bot den unzufriedenen Waadtländern die Hand, und indem Bern trotz heldenmütigen Widerstandes unter Karl Ludwig von Erlach und Niklaus Friedrich von Steiger gegen die Truppen des Generals Balthasar Alexis Henri Antoine von Schauenburg bei Fraubrunnen und in der Schlacht am Grauholz sowie des Sieges unter Johann Rudolf von Graffenried gegen die Truppen des Brigadegenerals Pigeon bei Neuenegg am 5. März 1798 der französischen Übermacht erlag, stürzte die Aristokratie zusammen. Durch die helvetische Verfassung wurden Waadt, Aargau und Oberland als eigenständige Kantone von Bern losgerissen. Nachdem die helvetische Einheitsrepublik 1802 im Stecklikrieg untergegangen war, hielt die Mediationsakte von 1803 die Selbständigkeit der Waadt und des Aargaus aufrecht, vereinte dagegen wieder das Oberland mit Bern und gab dem Kanton, der vor 1798 ein Aggregat der verschiedenartigsten Bestandteile mit mannigfaltigen Lokal- und Partikularrechten gewesen war, seine gegenwärtige Einheit.”


die traditionelle sicht auf die helvetik
(quelle: georg kreis)

virtuell noch gar nicht stattgefunden hat die helvetische republik in bern. es kamen die französischen truppen, man vierteilte den bären und war still, bis die einheitsrepublik untergegangen war. so einfach ist das in der wikipedia.

sicher, die helvetische republik basierte auf krieg, auf besetzung, auf fremden truppen. doch wie steht es mit dem bundesstaat. auch er ging aus eine krieg hervor, auch hier ging es nicht ohne militärische aufgebote und einsätze gegen aufständische reaktionäre. dafür machte die helvetische revolution die schweiz mit den gedanken der französischen revolution vertraut. liberté, égalité und fraternité setzten sich zwar nicht sofort durch in bern, die unverrückbaren massstäbe, die sie heute noch abgeben, wurden damals aufgebaut. menschenrechte, für die sich bundesbern heute mit berner professoren in der ganzen welt einsetzt, kamen nicht von alleine hierher. sie wurden von den revolutionären truppen mitgebracht, sie fanden in den patriotischen propagandisten ihre verkünder, und sie prägten die liberale bewegung, die zur gründung des kantons, der universität, des volksschulwesens und der gemeindeselbstverwaltung führte. und wenn das nicht genug an argumenten sind, dann noch dies: gäbe es zeitungen, pressefreiheit und eine öffentliche streitkultur, ohne die demokratisierung der schweizerischen gesellschaft im 19. jahrhundert, die just in der so verpönten helvetik hatte?


jean-jacques rousseau kam in bern nicht an, begründete aber die naturrechtliche philosophie, die auch hier die demokratischen werte begründete
quelle: wikipedia (anclickbar)

wer das alles unterschlägt, verkennt, dass demokratie stets erkämpft werden musste. genauso wie die schweiz war bern bis zur helvetischen revolution keine demokratie im modernen sinne. nötig war die politische philosophie eine jean-jacques rousseau, der auf die ungleichheit in der gesellschaft hinwies, die dekadenz der aristokratischen gesellschaft anprangerte, und den feudalen charakter der patrizischen politik diskreditierte. all dem stellte er das naturrecht gegenüber. er war es, der postulierte, dass jeder mensch, unabhängig von geschlecht, von alter, von ort, vonstaatszugehörigkeit, also nicht durch konvention, sondern allein von natur aus mit unveräusserlichen rechten ausgestattet sei. er war es, der der gesellschaft den blick auf das recht auf leben, auf körperliche unversertheit und auf persönliche freiheit öffnete.


karl ludwig von haller, ein konservativer von europäischem format prägte die gedenkaen der antidemokraten
quelle: wikipedia (anclickbar)

vorübergehend lebte rousseau in berns nähe, in motier und auf der petersinsel. in bern hatte er jedoch vorerst keinen erfolg. selbst nicht, als die bürgerliche philosophin, julie bondeli, mit ihren gelehrten clubs versuchte, seinen ideen den weg zu bahnen. stark genug waren die konservativen kräfte: die aufgeklärte, alte republik propagierte albrecht von haller, selbst ein verdrängter, aber anhänglicher berner. montesquieu hätte er am liebsten in bern umgesetzt. doch auch dazu kam es nicht. sein enkel, karl ludwig von haller mobilisierte gegen die helvetische republik, mit allen kräften, die ihm zur verfügung standen: mit seinem politischen einfluss, mit seinen verbindungen nach wien, mit seinen seinem intellekt als geschichtsprofessor in bern und mit seiner spitzen feder, die in royalistischen zeitschriften zu schärfen wusste. er, ein berner, hat sogar der epoche nach dem wiener kongress den bis heute gebräuchlichen namen gegeben: restauration. restauration der staatswissenschaften war von hallers lebenswerk, womit die säuberung der politischen lehre von den revolutionären gedanken gemeint war. schliesslich restaurierte er auch seine wesentlichen überzeugungen, wandte sich – der nachfahre des berner reformator berchtold von haller – heimlich auch zum katholizismus zurück. als das publik wurde, entliess man den vorkämpfer der reaktion improtestantischen bern kurzerhand aus allen ämtern.


ludwig snell, politischer flüchtling und politischer schriftsteller, prägte die gedanken der radikaldemokraten in bern
quelle: ortsmuseum küsnacht (anclickbar)

von haller bekam auch einen würdigen gegenspieler in bern: ludwig snell, ebenso politiklehrer, nun an der frisch gegründeten universität. deutscher, theologe, gymansialdirektor, flüchtling vor den demagogengesetze war, als er nach basel, zürich und küsnacht kam, wo er die liberalen manifeste für den ustertag von 1830 verfasste, und an der regenerierten verfassung zürich mitschrieb. das alles trug ihm die erste politikprofessur in bern ein. und hier verfasste er das handbuch des schweizerischen staatsrechts, bildete demokratisch gesinnte juristen wie den späteren bundesrat jakob stämpfli aus, schärfte den sinn zwischen wirtschaftlichem liberalismus und demokratischem radikalismus. 1846 trug er wesentlichen dazu bei, das bern eine radikale regierung und eine radikale verfassung bekam, mit der erstmals in bern auch volksrechte institutionalisiert wurden. mehr noch: die führung der berner radikalen in der sterbenden tagsatzung war es, die den sonderbund der konservativen orte für ungültig erklärt, mit militärischer macht auflöste und so den schweizerischen bundesstaat begründete.

“1798” ist aus dieser sicht, nur eine episode, aber eine entscheidende!, für das werden des bundesstaates, – der, weltweit früh und einmalig die entwicklung zur direkten demokratie ermöglichte. die schweiz ist hierfür unverändert ein vorbild. doch schmilzt der vorsprung: überall, in städten, in glied- und nationalstaaten, aber auch auf europäischer ebene befasst man sich mit fragen der demokratisierung, der bürgerInnenpartizipation und der lenkung staatlicher willensbildungsprozesse von unten.


claude longchamp, institutsleiter gfs.bern, vor dem neuen christoffel, dem schutzheiligen der (stadt)wanderer in sachen demokratiegeschichte
quelle: gfs.bern (anclikcbar)

genau diesen prozess zu begleiten, ist die aufgabe des instituts initiative & referendum in marburg. und genau dieses insitut ist es, dass der schweiz neue demokratiefreunde bringt. präsenz schweiz fördert das, und gfs.bern betreibt hierfür ein wenig politisches standortmarketing für bern. ab heute abend! am gerechtigkeitsbrunnen, und anderswo …

stadtwanderer

Die Unterlagen zu dieser Stadtwanderung

linke heimat

wenn linke über heimat reden, kommt selten stimmung auf. zu traditionell, ist der verdacht; zu bürgerlich, die vermutung! doch wenn das postauto 100jährig wird, dann schlägt ihre stunde. fast schon patriotisch werden sie dann, selbst wenn die realität kompliziert ist.

***

auch ich bin befangen, wenn es ums postauto geht. zuerst bin ich natürlich mächtig stolz, täglich auf der ältestens postautostrecke der schweiz zu meinen stadtwanderungen zu fahren. am 1. juni 1906 ging die post erstmals ab, von bern nach detligen. heute, 100 jahre später, fahre ich von hinterkappelen nach bern und retour: rund um den kappelenring, über die berühmte kappelenbrücke, den eymattstutz hoch, dort wo früher die formel 1-wagen die bremgartenring-rennstrecke runter donnerten. dann heisst es abbiegen nach links, vorbei bei der zentralwäscherei des kantons, güterbahnhof der sbb, dem friedhof der stadt, rasch am inselspital vorbei bis zum city west. dort ist normalerweise ende meiner reise, während das poschi, wie man es hier liebevoll nennt, bis an seinen bestimmungsort, den berühmten postautohof über dem eisenbahnhof bern fährt.


foto: stadt- und landfahrer (anclickbar)

ich bin auch ein wenig glücklich, dass “meine” strecke auch eine der rentabelsten strecken der postautobetriebe ist, die es gibt. und vor allem bin ich normalerweise sicher, pünktlich, sicher und ausgeruht im zentrum, überblicke, von meinem leicht erhöhten sitz nicht nur die landschaft, sondern auch den privatverkehr. die nerven deren lenker liegen manchmal schon morgen blank, wärend ich schweigen konnte, wenn ich müde bin, quasel kann, wenn ich gesellig bin, oder auch nur einfach etwas mithören kann, wenn mich das quartierleben interessiert. ja, das poschi ist, gerade an einem ort, wo es keine guten beizen mehr hat, ein art mobile stammtisch.


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schliesslich weiss ich, wie kommunikativ postautos sind. als ich in den 90er jahren in albanien demokratie-aufbauarbeit leistete, war ich mir meiner begrenzten möglichkeiten bewusst. die schweiz, das ist für albanerInnen das land des friedens, des glücks und des reichtums. aber es ist weit weg. demokratie ist für albanien nötig, denn man will in die eu. ob man sie auch verstehen will, konnte ich nie richtig beurteilen. einmal aber, auf einer bergtour mit unseren politikerInnen aller couleur, kam ein postauto um die ecke kam, das gelb-rot-silbrig war: ein schweizer postauto!, das die schweiz albanien geschenkt hatte. da konnte ich punkten, mit einfachen worten: das sei ein teil der schweiz, der direkten demokratie, der kultur des mit- statt des gegegeneinander.


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mit seiner perfektion im design spricht das postauto sogar mich an. sonst bin ich kein ganz grosser autonarr. aber ich sehe unbewusst hin, wenn ich ein postauto erkenne, – je älter desto klarer. und ich höre den dreiklang in den ohren, selbst wenn alles still bleibt. auch das dach wird in meinen gedanken zurückgerollt und ferienstimmung entsteht, wenn ich mir nur schon ein postauto vorstelle. ich kenne selbst die alten steuerräder, mächtig, noch ohne servolenkung, an denen der postautochauffeur, ebenso mächtig, hantiert. und ich erinnere mich an die schlichten geräte neben ihm: ein fahrtenschreiber, der nach 500 m alles vergisst, was er aufgezeichnet hat, und ein oder zwei knebel, mit denen man die gänge ein- und ausschaltet, wenns auf die grosse kurve losgeht. gross und elegant, anspruchsvoll und einfach, formschön und schwer, so sind sie die postautos.

***

diese faszination postauto war es wohl auch, welche bei der jahrhundertfeier in aarberg die ganze linke prominenz anzog. alle waren sie da: verkehrsminister moritz leuenberger, der postchef ulrich gygi, und der sbb-chef benedikt weibel. einer gelb lock entstiegen sie, und standen davor, so, dass einem unvermittelt die drei eidgenossen in den sinn kamen. aber es waren nicht die drei traditionalisten aus dem konservativ-ruralen lager. vielmehr waren es die drei modernisten des öffentlichverkehrs, alle samt von der progrssiv-urbanen fraktion des roten lagers. gelegentlich blasen sie diesem postauto den marsch, doch jetzt hielten inne, und lauschten alle dem eigens für den anlass komponierten postauto-marsch!


foto: stadt- und landfahrer (anclikcbar)

moritz leuenberger war in seiner rede launisch, geist- und einfallsreich, bisweilen fast schon poetisch. er zeichnete gewandt die 10jährige geschichte von der postkutsche zum postauto nach. er erinnerte, dass heute noch fast alle das lied kennen würden “hoch auf dem gelben wagen …”, aber kaum jemand die nationalhymne auch nur annähernd fehlerfrei summen können. er machte sich lustig über frührere bundespräsidenten, die postautos missverstehen würden, wenn sie sie mit einem pudelnassen hunde verglichen hätten, um zu beschreiben, wie ein solches gefährt vor 100 jahren startete.


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doch dann wurde leuenberger auch konkret. er fragte rhetorisch nach, ob es das postauto in der privatisierten, individualisierten verkehrswelt noch brauche? die antwort gab es in einer art politischer liebeserklärung gleich selber: “ja, es braucht dich, sagen alle die schüler und schülerinnen, die einen weiten schulweg zurücklegen müssen. ja, es braucht dich, sagen alte und gebrechliche menschen, die kein privates verkehrsmittel benützen können. ja, sagen alle, die aufs auto verzichten wollen.” die notwendigkeit der grundversorgung begründete leuenberger schliesslich religiös, stehe doch im neuen testament: „wer unter euch der erste sein will, sei der diener aller.” das habe man beim den postautoebtrieben verstanden, aber ins französische übersetzt: “service public”, eben!


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doch leuenberger blieb nicht in anspielungen stecken. etwas nachdenklich und belehrend zugleich erinnert er, dass auch die postautobetriebe wachsen mussten, dass die betriebe wie saurer nicht überlebten, weil serien- nicht mehr einzelproduktionen die erhöhten anforderungen decken mussten. so verschwand selbst die berna, und es kam der volvo. die zukunft der postauto, so der verkehrsminister sei bunt, vielseitig und weitreichend. taxifahren, japanerreisen bedienen würde genau so dazu gehören wie frankreichfahrten. und: was dabei auch immer die farbe sei, dass innere bleibe gelb. und dann kam es: das postauto sei ein fahrendes stück heimat. jeden tag vollbepackt mit erinnerungen. die bleiben lebendig, auch ohne denkmal.

***

die rede war stimmig, stimmiger auf jeden fall als die information hierzu. die gab es nämlich fast nicht: volksautobetriebe müssen auch volksinformationsabteilungen haben. die erlauchte gesellschaft fand sich in detligen ein, mit spezialeinladungen, während die aarberger ihr volksfest vorbereiteten. und die herbeiströmenden gäste mussten sich schon mal nach dem programm durchsuchen, auf internet, im mobilissimo, auf auf dem festplatz: ja, ein plakat habe ich gefunden, auf dem stand, was wann wo sei.

foto: stadt- und landfahrer (anclickbar)
foto: stadt- und landfahrer (anclickbar)

peter hinni, unser held des tages, hat den faux-pas wundervoll aufgefangen. in einem alten schnautzer konnte wird exklusiv zurückreisen, von aarberg über detligen nach hinterkappelen. er kommt von schwarzenburg. früher war er bei der ptt, jetzt ist er, 60jährig, selbständig geworden. geblieben ist jedoch seine berufung: postautochauffeur. das ist er mit leib und seele, bis heute. ein wahrer gentleman unter fahrzeuglenkern. und sein wagen, der rollt, unvermittelt, linke heimatfeiern hin oder her!

stadt- und landfahrer

ps:
da der “stadtwanderer” kein akkreditiertes medium ist, wurde sein reporter nicht in den inneren kreis der geladenen gäste zugelassen.


foto: anonym (anclickbar)

dennoch gelang es ihm (als einzigem), die strengen broncos am eingang zu überlisten, und beim höhepunkt hautnah und inkognito dabei zu sein.

infight um doris l.

doris leuthard bewegt alle! auf dem weg zur arena werde ich schon angesprochen. endlich jemand, den man versteht, was er/sie sagt. endlich jemand, der nicht polarisiert, um im zentrum zu stehen. endlich, jemand der die schweiz gut repräsentiere. das alles weiss der volksmund, im zug, im taxi, an der reception zu berichten. die erwartungshaltung an die sendung ist hoch, auch an die amtsführung von doris leuthard. und man identifiziert sich mit ihr! nicht alles stimmen in den chor ein, aber viele!


foto: studiowanderer (anklickbar)

drinnen geht es schon kontroverses zu und her. urs leuthard hat geladen – zur arena: zuerst die kritiker: urs paul engeler von der weltwoche, peter hasler vom arbeitgeberverband, und dann die expeterInnen: regula stämpfli, die politikwissenschafterin aus brüssel, und claude longchamp, den politikwissenschafter aus bern.

die runde ist munter, es wird debattiert, argumente und gegenargumente kommen in schneller folge. gut, dass vier sprechen, die so kombiniert nicht zum standardrepertoire der meinungsbildenden sendungen gehören!


foto: studiowanderer (anklickbar)

urs paul engeler ist am angriffigsten. in der weltwoche tags zuvor ist er doris leuthard hart (wie nicht anders zu erwarten war) an der karren gefahren. da werden schon mal die spitze ellbogen der kandidatin gesichtet, eine ehrgeizige parteipräsidentin, die sich in die landesregierung drängte, an die wand gemalt, einheitsanschauungen, einheitskandidatin und einheitsapplaus der cvp diskreditiert, säuberungsaktionen wie in der vatikanischen kurie oder einer stalinistischen partei unterstellt, und das alles durch die niete doris leuthard inszeniert!


foto: studiowanderer (anklickbar)

claude longchamp kann dem schritt für schritt nicht folgen: die attakte auf das cvp-programm müsste doch dazu führen, nicht die kandidatin anzugreifen, sondern die cvp ganz aus dem bundesrat drängen zu wollen. da orte er mindestens soviele widersprüche in der weltwoche wie im ausgedruckten cvp-programm. statt innert 48 stunden eine fixfertige, durchwegs negative meinung über die mögliche bundesrätin zu haben, würde man vom führenden intelliganzblatt der schweiz erwarten, dass es die frage stelle, wo die schweiz beim rücktritt von doris leuthrad aus dem bundesrat 2015 stehen müsse, welche zukunftsaufgaben der bundesrat bis dann zu bewältigen habe, und was die parteien, interessenverbände und medien zu an erhellendem leisten könnten. aufbauend könnte die könnte berichterstattung sein, dialektisch gewitzt. wenn die cvp schon kein programm habe, dann könnte die weltwoche schon mal bis zur wahl von doris leuthard am 14. juni 2006 das regierungsprogramm für die nächsten 2 legislaturen skizzieren. und sie daran messen!


foto: studiowanderer (anklickbar)

der zweite kritiker, peter hasler, ist schliesslich keiner. zwar hat er ein inserat entworfen, was ein volkswirtschaftsminister für qualifikationen bräuchte, würde er auf dem freien markt gesucht. da er doris leuthard aber gar nichts ins evd hieven möchte, sondern einen richtigen bürgerlichen dort haben möchte, muss er das dann auch nicht auf die aktuelle bewerberin anwenden. so bleibt er eher bedächtig. vielmehr, so seine folgerung, braucht die landesregierung heute generalisten, die in der lage seien, viele dossiers zu bearbeiten, verschiedene departemente zu leiten, und bei allen themen der landesregierung mitbereichte schreiben können. zweifelnd war er, ob doris leuthard besser im vbs aufgehoben wäre, denn da habe die männliche generalität vor den weiblichen generalisten das sagen.

von regula stämpfli darf leider keine foto gezeigt werden, studiowanderer (enttäuscht)

das provozierte regula stämpfli gehörig. sie outete sich als promovierte militärhistorikerin, als buchautorin, die mit moergerli unter den gleichen deckeln stecke. und sie kommt mächtig in fahrt. der beitrag der frauen zur landesverteidigung werde systematisch unterschätzt. das sei so, wenn die männer die geschichte und die meinungen machten. und da braucht es eine gegenbewegung. das geschlecht sei kein programm, aber eine voraussetzung hierfür. doris leuthard, ist regula stämpfli sicher, könnte das vbs ausgezeichnet leiten, genau so wie das evd! auf jeden fall werde sie bessere bundesrätin als joseph deiss. klare meinung, fulminant und unterhaltsam vorgetragten, sag ich da!

die junge gesellschaft rund herum verfolgt die den kleinen ring in der mitte gebannt! es wird über ihre zukunft debattiert, welche doris leuthard mitbestimmen wird. klar, wenn man im kleinen ring steht, geht man in den in-fight mit den kontrahenten, genauso wie in dieser sendung!

wie nur wäre die sendung verlaufen, wenn die vier helden des kleinen rings 180 grad verkehrt gestanden wären, und jeder den kommenden helden in seinem sektor des grossen rings hätte erklären müssen, was auf die schweiz zukommt, was davon die politik gestalten soll, was für eine landesregierung die schweiz deshalb brauche, und ob doris leuthard ein wenig mehr oder wenig weniger dazu beiträge werde?

eine schlechte sendung wäre das sicher nicht geworden, eine schlechte sendung wars aber auch so nicht. dem reporter vom studiowanderer bekundete die zufriedene sendeleitung: eine flüssige diskussion, abwechslungsreich, mit neuen einsichten, und kontrovers genung, um stets spannend zu bleiben.

als der studiowanderer anderntags am bahnhof aussteigt, und judith stamm vor sich sieht, hält sie nicht mit kommentaren zur sendung nicht zurück. nein, die sendung habe sie nicht gesehen, kaum habe sie angestellt gehabt, habe der engeler das wort gehabt, und so auf die cvp eingedroschen, dass es ihr abgestellt habe. das gleiche hätte sie auch mit dem fernseher gemacht. nachher hätte sie aber viele positive rückmeldungen gehört, es sei genügend richtiggestellt worden. sie sei zuversichtlich, dass doris leuthard mehr erfolg beschieden sein werde als ihr, damals, als sie sich zweimal in kampfsituationen für den bundesrat beworben habe!

studiowanderer

reise in schwarz-weiss. ein berner ortstermin

davor hat es eine geisterbahn. dahinter referiert der autor. die geisterbahn ist ein gruselschiff. der kapitän steht demonstrativ auf deck. der lesende wiederum ist eher schüchtern. er beansprucht nur einen kleinen raum für seine lesung. der kapitän hat einige sklventreiben neben sich. was im schiff selber geschieht, weiss man nicht, man ahnt es nur. der referent ist bloss mit seinem buch und ein paar bildern gekommen. damit will er jedoch klarheit schaffen.

vordergründe banalisieren das schreckliche der vergangenheit
foto: stadtwanderer

das buch

“reise in schwarz-weiss”, heisst das neueste buch von hans fässler. vorgestellt hat er es dieser tage in der berner reithalle, gerade neben der schützenmatt, wo frühlings-chilbi war. fröhlich-ausgelassen wie auf dem fiktiven sklavenschiff geht es aber nicht zu und her bei der berner lesung. denn das thema ist ernst: es geht um echten sklavenhandel.

ja, was soll das, – in der schweiz, möchte man einwenden. “genau, das ist das problem”, erwidert hans fässler präventiv. “die verquickung der schweiz mit dem sklavenhandel wird bis heute ausgeblendet”, ist seine botschaft. und um diese message unter die leute zu bringen, hat er sein buch verfasst. erschienen ist es zuerst für den schweizer buchmarkt, – auf deutsch selbstverständlich. bald soll eine überarbeitete version in paris erscheinen, und frankreich aufrütteln.

der autor hans fässler

besser bekannt ist hans fässler als “provinzkabarettist” (fässler über fässler), als st. galler politiker und gymnasiallehrer für geschichte, der sich für die rehabilitierung von paul grüniger eingesetzt hat. unser wiederholt falsches bewusstsein interessiert ihn am meisten. genau dagegen will er ankämpfen. kein klassenkampf allerdings, sondern ein aufklärungskampf! seine kritiker von der svp beschimpfen ihn als linken miesmacher, und die nzz hält sein buch für ein pamphlet. in haiti jedoch ist er anerkannt, so gut sogar, dass selbst der ehemalige aussenminister antoine, mitglied der regierung aristide, bei der lesung in bern anwesend ist.

als historisch-politisch interessierter stadtwanderer hat mich sein ansatz angesprochen: 19 orte hat er in der schweiz besucht, ist vor allem in den archiven wandern gegangen. ortstermine in sachen schweizer beteiligung am sklavenhandel, könnte man seine arbeit nennen. jedes kapitel beginnt mit einer adresse, ganz nach dem sinn bert brechts, wonach das böse stets einen namen und eine adresse habe.

sein berner ortstermin

“3011 bern”, heisst das nüchtern auf die hiesigen verhältnisse angewandt. angespielt wird auf die beteiligung des staates bern am englischen sklavenhandel. nicht, dass man sich die hände direkt schmutzig gemacht hätte. aber kapitalmässig war man mit der south sea company verbandelt. die berner republik war nach 1723 der grösste aktionär an der gesellschaft, die skalvenhandel betrieb.

hauptangeklagter an diesem abend ist karl ludwig von haller, der enkel des berühmten albrecht von haller. hier – und weit herum in europa – kein umbekannter. in bern war er sekretär des letzten schutheissen, verfasst 1798 noch eine revidierte staatsverfassung, später wurde er professor an der berner akademie. dabei schrieb er sein grundlegendes werk: die restauration der staatswissenschaften, – der konservative wurf gegen die französische revolution, der nach 1815 im europa des wiener kongresses weit herum gereicht wurde, und der epoche, mindestens bis 1830 den heute noch üblichen nahmen gab: die restauration oder wiederherstellung.

karl ludwig von haller war ein intellektueller konservativer. seine wiederherstellung der alten verhältnisse war grundlegend. uns so trat er 1821 auch zum katholizismus über. von haller wurde darauf hin von all seinen berner ämtern entfernt. er ging nach paris, kam nach der julirevolution jedoch wieder in die schweiz, diesmal nach solothurn, wo man unvermindert katholisch-konservativ sein durfte. in bern wäre das mehrfach nicht mehr gegangen.

insofern wirkt der lokalbezug etwas gesucht. aber karl ludwig von haller war in seiner zeit eine europäische grösse. und genau das ist es, was den autor interessiert. solchermassen prominente drängen sich geradezu auf, um zusammenhänge vorzuführen: rassismus prägte das denken der konservativen eliten in der schweiz des 19. jahrhunderts, – und genau dieser rassismus habe den sklavenhandeln legitimiert, ist fässlers these: weisse und schwarze, gottgläubige und heiden, herren und knechte, das war das traditionelle denken vor der französischen revolution, und das pflanzte sich mit der restauration wieder fort. fässler zitiert von haller an diesem abend ausgiebig vor: am liebsten die passagen zur sklaverei, welche von haller rechtfertigte. würden sklaven selber entscheiden können, würden sie genau diese form freiwillig wählen, ist die pointe.

der historische hintergrund

die realität der sklaven im transatlantischen geschäft war deutlich härter. zwischen 1444 und 1888 wurden menschen aus afrika entführt, auf plantagen in übersee verkauft und zu zwangsarbeit verpflichtet. 12 millionen menschen wurde so verschoben. unbekannt ist bis heute die zahl der toten. die uno zählt das zu den menscheitsverbrechen. fässler wiederumschätzt, dass 1.5 prozent des sklavenhandels über den atlantik von unternehmen getätigt wurden, an denen schweizer investitionen beteiligt waren.

verschiedene historiker sind heute dabei, die geschichte der sklaverei neu zu schreiben. fässler gehört dazu, sein tragischer held ist toussaint louverture, dem haitianischen freiheitskämpfer, der nach frankreich verschleppt wurde, persönlicher gefangener von napoléon war, nach pontarlier in den französischen jura verfrachtet wurde und dort im kerker systematisch zermürbt wurde. er starb in französischer gefangenschaft, und heute erinnert in pontarlier ein strassenschild an diese tat. auch dem ist der lokalhistoriker fässler nachgegangen.

hinter den erzählungen, die so entstehen, interessieren sich historiker wie hans fässler vor allem für die strukturellen gründe der sklaverei. sie wollen wissen, wer sich mit geld beteiligte, und wer davon einen nutzen hatte. eindrücklich sind die hinweise, die hans fässler über haiti zitiert: in die unabhängigkeit entlassen wurde das land nur, weil es sich von der sklaverei loskaufte. dafür musste es aber ein dreiviertel jahrhundert frankreich geld abliefern, und die schulden, die es sich so auflud, zahlte haiti nochmals fast eine dreiviertel jahrhundert lang ab. die neue geschichtsschreibung der sklaverei, die sich besonders solchen fragen zuwendet, hat denn auch politisch-ökonomische ziele. sie will die basis schaffen für forderungen von ländern wie haiti zur wiedergutmachung.

intellektuelle und emotionale reaktionen

wer geschichte materialistisch denkt und einsetzt, kommt mit der idealistischen kritik an der sklaverei, entstanden in der aufklärung, in konflikt. fässler zitiert denn auch stimmen aus ländern mit starker sklaverei, welche die bedeutung der menschenrechtserklärung zur abschaffung der sklaverei bestreiten. vielmehr seien es die aufstände der sklaven gewesen, welche die sicherheitskosten in die höhe getrieben haben, und so die skalverei unrentabel gemacht hätten.

im ersten moment reagiere ich irritiert. richtig ist doch, dass der sklavenhandel von europa ausging, aber auch seine abschaffung ihren ursprung hier hat, sagt meine innere stimme. und dann merke ich selber, wie entscheidend die optik für die schlussfolgerung ist. an mir selber erfahre ich in sekundenschnelle, dass ich beide sichtweisen in mir vereinige: ich schätze die aufklärung als wesentlichen kulturellen beitrag europas zur menschheitsentwicklung sehr. jean-jacques rousseau, aber auch seine vermittlerin in bern, julie bondeli, haben mich immer angesprochen. doch das ist meine perspektive von oben, jenes des fortschritts, der so ermöglicht worden ist. als ich dann aber sah, dass bondelis vater nicht nur philosophieprofessor in lausanne war, sondern auch landvogt in echallens, schluckte ich dreimal leer. ausgerechnet der, der meine vorfahren an die französischen könige verkaufte, und so sein pekuniäres glück auf kosten meiner familie machte, ausgerechnet der ist der vater unserer aufklärerin in bern. das ist die perspektive des gleichen von unten.


teilweise ausgeleuchtete hintergründe, ist das verdienst des buches
bild: stadtwanderer

als ich hinausgehe, erinnere ich mich, wie ich selber schon den nachfahren bondeli eine rechnung schicken wollte. prominente empfänger solcher schreiben gäbe es heute noch. krasser muss es sein, wenn ein ganzes volk, ein ganzes land unter den folgen der sklaverei gelitten hatte. das habe ich an diesem abend begriffen. durch meinen eigenen ortstermin.

manchmal ist es gut, hinter geisterbahnen zu blicken. nur zu schnell vergisst man, dass ihre realität nicht der erkaufte schrecken, sondern das verkaufte leben von menschen ist. dies klarheit hat fässler bei mir geschaffen.

stadtwanderer

hans fässler, reise in schwarz-weiss. schweizer ortstermine in sachen sklaverei, zürich 2005, 36 chf.

schweiz und sklavenhandel

go, doris, go (6)

teil 1 der serie “go,doris,go”
teil 2 der serie “go,doris,go”
teil 3 der serie “go,doris,go”
teil 4 der serie “go,doris,go”
teil 5 der serie “go,doris,go”

liebe doris,

da kann ich dir nur noch eins wünschen: go, go, go!

quelle: swisstext.ch (anklickbar)

Rundschaubeitrag mit dem Stadtwanderer

stadtwanderer


ps: vom 14. oktober 2007:
wer hätte das gedacht: eine andere doris klaut voll meinen titel. doris fiala wirbt auf grossflächigen plakaten für sich (ein wenig für ihre partei) und mit markigen sprüchen. zu diesen gehört: “go, fiala, go.” – ein offensichtliches plagiat …

go, doris, go (5)

teil 1 der serie “go,doris,go”
teil 2 der serie “go,doris,go”
teil 3 der serie “go,doris,go”
teil 4 der serie “go,doris,go”

nein, über dem berg ist die cvp nicht. und das bleibt doris’ hypothek, wenn sie geht. denn sie ist angetreten, um die cvp aus dem wellental zu führen, und flott zu machen, damit sie aus eigener kraft wieder zwei bundesratssitze beanspruchen kann. im besten fall sei das 2007 der fall, im schlechtesten 2011, kam die parteileitung jüngst zum schluss.


quelle: keystone

wenn sich doris heute von der cvp verabschiedet, dann ist genau das in gefahr. 15 prozent geben die jüngsten umfragen von gfs.bern der partei. das ist nur wenig mehr als die 14,4 prozent bei den letzten wahlen. abwärtstrend gestoppt, lautet denn auch die bilanz! von aufwärtstrend kann noch nicht die rede sein! oder man hängt einem wunschdenken an.

bei den kantonalen wahlen seit ende 2003 hat die cvp neun mal wählende verloren, – am meisten in schwyz, wo sie 7 prozentpunkte verkleinert aus der urne kam. gewonnen hat sie viermal, – am deutlichesten im aargau. mit + 2.6 prozent gewinnen ist dieses ergebnis denn auch der eigentlich lichtblick.

damit wurde auch der leuthard-effekt geboren wurde. endlich gelang es der cvp wählende und sitze zu gewinnen. symbolträchtig war auch der gleichzeitige verlierer: die svp büsste sein mehr als einem jahrzehnt im aargau stimmen und sitze ein.

doch darf der leuthard.effekt nicht darüber hinweg täuschen, dass die cvp noch fast die gleichen strukturprobleme hat wie 2003. ihre strukturen sind unverändert ausgesprochen dezentral. männer und frauen sind in der cvp wie eigene parteien, und auch die interessengruppen der cvp pflegen die eigentständigkeit. ganz zu schweigen, was die kantonalparteien angeht.

einheitlich zu führen, ist das ganz fast nicht. die exponenten reichen von konservativem katholizismus bis zum religösen sozialismus, und auch liberale-soziale modernisten weiss die cvp in ihren reihen. keine partei hat ein so grosses politisches spekturum zu vereinen.

genau das ist die leistung von doris leuthard als parteipräsidentin. sie hat die partei geeint. sei hat ihr wieder hoffnung gegeben, und sie hat ihr endlich wieder respekt verschafft. was den zahlreichen parteipräsidentInnen vor ihr nicht gelungen ist, wurde durch sie auf einmal möglich. und diese chance nutzte die partei, um die innere stimmung zu verbessern, – und so auch wieder erfolge anzupeilen. denn bekanntlich ist in der politik nichts erfolgreicher als der erfolg.

dabei hatte doris keinen leichten start. während ihrer interimistischen präsidentschaft politisierte die partei zu weit rechts. in nationalkonservativen fragen mag das als gegenwehr zur svp noch gehen. wenn die partei sich aber zu stark an die fdp anlehnt, sich zu akzentuiert neoliberal positioniert, dann gab es fast nur niederlagen. beim steuerpaket musste die cvp ihre grösste niederlage der laufenden legislatur einfahren. und ähnliches erlebte sie auch bei der der 11. ahv-revision. aber auch mit linksliberalen positionen hatte sie 2004 wenig erfolg. die erleichterte einbürgerung, noch von ihrer früheren bundesrätin, ruth metzler-arnold durch parlament gebracht, kam nicht durch.

das alles zeigt, wie klein der gemeinsame nenner in der cvp ist, wie gering der spielraum für markante thematische positionsbezüge ist. und wie hart es für die cvp ist, sich ein einverwechselbares thematisches profil zu veschaffen. das kann man nicht in eineinhalb jahren präsidentschaft schaffen. genau deshalb braucht die partei ein zugpferd (wie) doris leuthard! und genau das setzten die cvp und doris leuthard aufs spiel, wenn sie sich mit ihr für den vakanten sitz im bundesrat bewerben.

politwanderer

da kann ich dir nur noch eins wünschen: go, go, go!

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Rundschaubeitrag mit dem Stadtwanderer

stadtwanderer

teil 6 der serie “go,doris,go”

go, doris, go (4)

teil 1 der serie “go,doris,go”
teil 2 der serie “go,doris,go”
teil 3 der serie “go,doris,go”

von wo kommt eigentlich “leuthard”?

leuthari kennt man als namen seit dem 6. jahrhundert, klar und deutlich ist er mit der alemannischen einwanderung in der heutigen schweiz vorbunden.

vorher war die ganz kultur der heutigen schweiz lateinisch geprägt. die bauern war keltischer herkunft, die herrschaft war römisch.

im 5. jahrhundert wanderten die burgundiones in das gebiet der heutigen schweiz ein. gute römer wollten sie werden, etwas, was der spätantiken römischen gesellschaft ziemlich gleich war. und sie wurden es auch, nahmen als ostgermanen die vulgärlateinische sprache an, und liessen sich christianisieren. als die römer sich gegenseitig umbrachten, zerfiel ihre herrschaft. jetzt übernahmen die burgunden nicht nur die militärische macht, die man ihnen gegeben hatte. sie repräsentierten zu beginn des 6. jahrhunderts im ganzen mittelland die politische herrschaft. und die religiöse, für die st. maurice das zentrum war.

doch war die herrschaft der burgunden schwach, zu schwach um selbständig zu bleiben. mit den ostgoten in italien paktierten die burgunden deshalb. doch dann setzten der byzantische kaiser justinan und die kaiserin theodora auf eine andere karte: die rückeroberung des von den germanen verwalteten weströmischen reiches war angesagt. die ostgoten, mit ihrem königssitz in ravenna, und ihre ausläufern bis ins rheintal, wurden besiegt und vertrieben. die franken, im unteren rheintal ansässig, fürchteten jetzt, ebenfalls erobert zu werden. sie besetzten die burgundia, das königreich der burgundiones, welches das ganze rhonetal umfasste.

diese burgundia wurde unter fränkischer herrschaft in gaue geteilt, und die kamen unter verschiedene fränkische könige. der schweizerische teil wurde von reims aus regiert. dort hatten sich nachfahren des frankenkönigs chlodwig festgesetzt und wachten über die gebiete nördlich der alpen bis genf. südlich dehnte sich die byzantinische herrschaft aus, westlich die fränkische aus dem hause orléans.

so kam das schweizerische mittelland in die hände der am wenigsten romanisierten franken. immerhin, auch sie waren christen geworden, nachdem sie den wenig assimilierbaren stamm der alamannen in zülpich besiegt hatten. mit der niederlage wurden die alamannen fränkische untertanen. und mussten die nördlichen gebiete räumen. der rhein verlor seine bedeutugen als südliche grenze. vielmehr dehnte man sich jetzt über den rhein hinaus aus. zurzach war ein beliebter übergang, und von da aus ging es die aare hoch. so wurde das galloromanische gebiete erneut von germanen besiedelt, und vom benachbarten rätoromanischen abgetrennt.

die alamannische kultur war jedoch ganz anders. die alamannen waren weiterhin heiden, “ziu” ihr kriegsgott, nicht mars. das sieht man heute noch an unserem ziitschtig und ziitschtigslub. afu französich heisst der tag mardi.

fränkisches zentrum in alamannien war jetzt das wiederaufgebaute aventicum, neu wifflisburg genannt. vindonissa, noch unter burgundischer herrschaft ein bischofssitz, wurde dafür geräumt. in wifflisburg sassen die die fränkischen vertreter, die herzöge von alamannien, die dem könig in reims zu gehorchen hatten. der erste von ihnen war leuthari. man weiss nicht, wann er geboren wurde, aber dass er zwischen 536 und 554 regierte.

sein bruder hiess butilin. und gemeinsam dehnten sie ihre herrschaft weit nach süden aus. sie überschritten sogar die alpen, bis nach messina. 553 wurde zu ihrem erfolgsjahr, oberitalien wurde alamannisch. doch dann schlugen die byzantiner zurück. und waren ihrerseits erfolgreich, 554 war ihr sieg, und die niederlage des leuthari.

seither haben die alamannen das gebiet zwischen rhein und alpen fest in der hand, südlich der alpen mussten sie das land den nachstossenden langobarden überlassen. daraus sind zwei kulturen entstanden, die bis heute nachwirken: die alemannische, später doch noch christianisiert, heute die leitkultur der schweiz repräsentierend, und die lombardische, ebenfalls christianisiert, staatlich aber geteilt in italien und der schweiz. die burgundische kultur ist in einem jahrhunderte lange prozess nach westen verdrängt worden.

deshalb hat es in der cvp fraktion keinen bourgonde. aber einen lombardi, und eine leuthard! vorläufig noch …

völkerwanderer

teil 5 der serie “go,doris,go”
teil 6 der serie “go,doris,go”

go, doris, go (3)

teil 1 der serie “go,doris,go”
teil 2 der serie “go,doris,go”

bern (stw-repo). es ist der mittag, an dem sich doris l. entschiedet. wir vom reportageteam des “stadtwanderers” gingen in die stadt, dorthin, wo bern am schwärzesten ist: le mazot, dem walliser! unsere these lautet: glokalisan statt valaisan! wir erläutern uns.


bild: stadtwanderer (anklickbar)

früher war es stark verraucht. das restaurant. heute hat das alles ein wenig abgenommen. der nebel schwindet, stück umd stück. klarsicht! das ist heute angesagt, selbst dort, wo die welt noch ganz schwarz ist. “le mazot” heisst die beiz, wo sich in bern die walliserfreunde treffen. gelegentlich sieht man hohe bundesbeamte hier, mit dem klassischen fendant. häufig hats einfache leute aus dem volk, gegen die hohe politik wetternd. immer mehr bevölkern aber die japaner die wirtschaft. da wird schon mal ein bier gekippt, zur raclette. so ist das, in der multikulti-taverne.

uns interessiert, was man hier und jetzt denkt, an dem mittag, an dem sich doris l. entscheidet, und an dem ort, wo man aus das bundeshaus sehen kann!

zu unserer rechten sitzt ein herr, ganz allein. mit rotem tishi, mit dem aufdruck “suisse”. er wirkt aber nicht so. und er ist gestresst. vor sich das notebook, neben sich die mappe, auf der bank, als schreiunterlage. in der hand … das handy!. ja, er telefoniert die ganze zeit. er kommuniziert. immer auf englisch! kann der überhaupt etwas anderes? eifrig notiert es seine gespräche. business-talk, schätzen wir, die häufigsten worte sind, “yes”, “just”, “if”, “cool”. da kann jeder mithalten! neben ihm kein mensch, aber ein bier, e humpe! dann endlich kommt das essen. walliser rösti, kartoffeln, raclette drüber, salz und pfeffer, ganz schön scharf. ob er gute geschäft gemacht hat, an dem tag, an dem sich doris l. entscheidet, wissen wir nicht. beim essen soll man niemanden stören, selbst solche nicht, die nicht essen, sondern sich bloss ernähren. wünschen würde wir es ihm, dass es satt wird, – und erfolgreich war!

zu unserer linken eine typische biezenrunde. stange vor sich, die gedanken bei sich. endlich werden sie erlöst, es tritt ein gestandener mann aus dem volk hinzu, gegen 60, und gesprächig. sofort beginnt die unterhaltung: “het sie sich scho aagmeldet?”, frage er die schweigende mehrheit. “was, aagmeldet?” – “hej jo, d’doris! si wott sich doch entscheide, höt em morge.” – nein, da sei er falsch informiert, erst am nachmittag, entscheidet sie sich. sie werde wohl ja sagen, einigt man sich. nur der herr ganz links nickt nicht, die anderen aber sind sich einig: “e gueit arbet, wo si macht. und sie gseht guet us.” damit sind die meinungen gemacht. und es ist tagesgespräch angesagt. bls, die guten alten zeiten, also es noch ein berner unternehmen war. jetzt wollen sie expandieren, ins ausland, wenn das nur gut geht. und dann: yb, young boys, unser stadtclub, wieder mal erfolgreich, dank yakin, eigentlich ein türke, aber nötig, damit es wieder aufwärts geht, mit dem stadtclub. und schon sind wir beim nachbarn, lehrer und lehrerin, legten wert darauf, das man das sprachlich unterscheide, und keine vorhänge hätten sie an ihren vorhängen nicht, jeder könne zuschauen! nichts, aber auch gar nichts hätten die beiden … an den fenstern! früher sei er chef firmensport gewesen, wirft der bisher ruhigste ein, viel sport habe man getrieben, heute sie das nicht mehr so, keine zeit mehr für nichts. wir wünschen ihm uns seiner firma mehr mehr zeit und zulauf, – und erfolgreich werde.

“glocalisazion”, analysiert sir ralf dahrendorf, der soziologe die heutige situation. er muss es wisse, er hatte erfolg, – vormals professor im nahem konstanz, einstweilen minister der deutschen regierung, uund dann eu-kommissar. heute ist er nobles mitglied des englischen oberhauses. und er beschreibt unermüdlich die weltgesellschaft. die mediale kommunikation ist global geworden, sie folge der ökonomie, die sich vom haus, vom staat und von der politik verabschiedet habe. die menschen aber können nicht einfach mit ihr gleich ziehen, sie seien keine stukturellen mächte, sie seinen personen, und als solche opfer der globalilsierung, die sich nach dem lokalen sehnte. eben schweizer tishi, und mediale kommunikation gleichzeitig. andere wiederum schwörten auf die persönliche kommunikation. nur sie lasse meinungsbildung zu, verbinde zwischen menschen, kläre, was gelte und was nicht. diese menschen seien opfer der lokalisierung, und sehnten sich nach der weiten welt.

so ist die welt verrissen, an dem tag, an dem sich doris l. entscheidet. ob sies macht oder nicht? die einen befürworten es, den anderen ist es gleich. die meinungen sind hier geteilt. genau so wie die glokalisierte welt. valaisan ist nur noch aussen, innen ist schon lange glocalisan. und das macht es für doris l. nicht leichter.

mittagswanderer

da kann ich dir nur noch eins wünschen: go, go, go!

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Rundschaubeitrag mit dem Stadtwanderer

stadtwanderer

teil 4 der serie “go,doris,go”
teil 5 der serie “go,doris,go”
teil 6 der serie “go,doris,go”

go, doris, go! (1)

teil 2 der serie “go,doris,go”
teil 3 der serie “go,doris,go”
teil 4 der serie “go,doris,go”
teil 5 der serie “go,doris,go”
teil 6 der serie “go,doris,go”

tja, da warten wir alle auf doris! ja, soll sie sagen. genug vom wellental, indem die cvp war, und vom frauenthal, wo hin sich doris übers wochenende zum sinnieren zurückgezogen hatte. ja, soll sie sagen! neue nationalheilige soll sie werden (miss helvetia ist ja schon). und meisterin der inszenierung ist sie auch. ausgerechnet heute erscheint das politikerInnen-rating der zeitschrift “bilanz” zu den mächtigsten in der schweizerischen politik. habs bei kaffee und gipfeli studiert, und ergebnis will ich niemandem nicht vorenthalten:


foto: stadtwanderer (anklickbar)

bilanz-rating der mächtigsten politikerInnen 2006

1. doris leuthard
2. ueli maurer
3. christoph blogger
4. hans-jürg fehr
5. pascal couchepin
6. micheline clamy-rey
7. thomas zeltner
8. felix gutzwiller
9. joseph deiss
10. jean-daniel gerber

da kann ich nur warnen: aufsteigen kannst du nicht mehr doris! wenigstens nicht mehr im urteil der jury, bestehend aus viktor schmid, kenneth angst, regula stämpfli, iwan rickenbacher und dem stadtwanderer. ganz genau beobachten wird dieser die nächsten 36 stunden deinen weiteren aufstieg!

morgenwanderer

teil 2 der serie “go,doris,go”
teil 3 der serie “go,doris,go”
teil 4 der serie “go,doris,go”
teil 5 der serie “go,doris,go”
teil 6 der serie “go,doris,go”

fragen über fragen an benedikt XVI. und moritz leuenberger

ich gebe zu: meine erinnerungen an meine eigene militärzeit sind schlecht. speziell die langen märsche bei der infanterie sind mir nicht gut bekommen, – nicht zuletzt, weil ich, bei all den kilometern, viel zeit hatte, über ihren (un)sinn nachzudenken.

umso grösser ist das staunen des stadtwanderers heute, wenn er hört, wie wackere kerle dieser tage nach rom marschiert sind: 723 kilometer, in 27 tagen! und das obwohl sie nicht weniger als 1,76 m gross sein dürfen, dafür ledig und katholisch sein müssen, und ein echtes schweizer militärmesser ihr eigen zu nennen haben!

denn sonst kann man gar nicht schweizer gardist beim papst werden. und ohne dass konnte man auch nicht mitmarschieren, zur gedenkfeier der sacco di roma, dem 6. mai 1527, um stolz sagen zu können: wie damals, bei der gründung der schweizer garde vor 500 jahren, mit persönlichem einsatz dabei gewesen zu sein!

selber war ich wohl nur 500 m stadtwandern. entschieden zu viel regen heute! mehr als zwei mal um die ecke, lag bei mir einfach nicht drin. beim bier, habe ich dafür umso mehr zeit gehabt, über die berichterstattung zur halben jahrtausend-feier zu sinnieren.

artig, wird da berichtet, wie papst benedikt XVI. dankt, mut und treue verlangt, und moritz leuenberger empfängt, der sichtlich erleichtert ist, dass es nebst den schweizergardisten auch ein paar macher und kluge köpfe im ausland gibt, die weniger durch hellebarden auffallen. alle scheinen sie alle ein wenig gerührt zu sein, selber einen direkten oder institutionellen draht zur kleinsten armee der welt zu haben.

phänomenal, diese aufmerksamkeit für alte traditionen, überholte uniformen und eine armee in taschenformat. warum aber nutzt niemand dieses ereignis, um darüber eine diskussion zu führen? fast alles, was man liesst, stammt von ehemaligen schweizer gardisten selber. und seit julius caesar seinen “de bello gallico” geschrieben hat, weiss man, dass das in erster linie rechtfertigungsschriften für die heimatfront sind. selbst wenn diese schriften nicht falsch sind, sind sie befangen. darum meine nachfragen:

vom papst würde ich, erstens, nicht nur anerkennende worte an die schweizer gardisten erwarten, – sondern auch eine auseinandersetzung mit der frage, was für ein mut die päpste im frühen 16. jahrhundert antrieb, in oberitalien wie ein europäischer kriegsherr aufzutreten? wie es mit der treue von papst clemens VII. stand, als er, nach der plünderung roms, das lager wechselte, die schweizer garde auflöste und die deutschen landsknechte zu seinem schutz nahm?

vom bundespräsidenten hätte ich, zweitens, mehr wissen wollen, wie er das schweizer engagement im ausland im 16. jahrhundert würdigt, wo man doch weiss, dass in erster linie geld die söldner regierte, sie ihrerseits schnell vom papst zum franzosenkönig wechselten, als die opportunität der schlachtfelder das gebot, und genau so den nährboden schafften für den reformator huldrich zwingli, – einem soldgegner der ersten stunde!

vom gardekommandanten elmar mäder hätte ich, drittens, gerne gehört, wie man sich erklärt, dass die armee 1527 gegen den deutschen kaiser verlor, den man zuvor mehrfach besiegt hatte, dass die garde nach der französichen revolution nichts nütze, als napoléon in italien das kirchenwesen aufräumte, und dass der papst 1870 sogar seinen kirchenstaat verlor, obwohl er so gut geschützt wurde.

doch damit nicht genug: von den zahlreichen militärhistorikern würde ich – viertens – gerne eine saubere analyse lesen, ob die schweizer nach marignano wirklich weise wurden und deshalb zur neutralitätspolitik übergegangen sind, oder ob die schweiz nicht doch erst 1815 vom wiener kongress neutralisiert worden ist.

von den wirtschaftshistorikerInnen hätte ich, fünftens, gerne gerechnet erhalten, was der solddienst der schweiz einbrachte, und was die lange wiederkehrende abwesenheit vieler junger männer für die entwicklung der schweizer wirtschaftsentwicklung bedeutete.

sechstens, von den sozialhistorikerinnen möchte ich nur zu gerne erfahren, was das alle für die entwicklung des bildungswesens für konsequenzen gehabt hat, machte es doch keinen sinn, in jungs zu investieren, die sich im ausland für fremde mächte opfern.

und siebstens, von den kulturhistorikerInnen würde ich liebend gerne lesen, ob es eine konstanz des sölderntums von den kelten bis zu den desperados gibt, die mit der wehrmacht nach russland gingen? oder wie man das verstehen soll, dass schweizer gardisten, in die junge schweiz zurückgekehrt, nzz-chefredaktor werden oder als weibel unserer bundesräte dienen?

ja, ein wenig fassungslos sitze ich vor meinem bier, und dem “bund”, mit dem bild, ausgerechnet mit moritz leuenberger und benedikt XVI. und bin enttäuscht, dass mir kein zeitungssemiotiker und keine ethnopsychoanalytikerin genau dieses bild hinsichtlich verdrängter, vergessener und unerkannter symboliken interpretiert.

stadtwanderer

wenn links und rechts nicht gleich heissen – berner kuriositäten (1)

stadtwandern hat etwas mit beobachten zu tun. und wer beobachtet, entdeckt so manch kurioses. darüber will ich berichten in der rubrik “berner kuriositäten”. hier die folge 1.

gewöhnlich heissen strassen auf beiden seiten gleich. nicht so in bern. wenigstens nicht überall.


bild: stadtwanderer (anklickbar)

wer beim weltberühmten zytgloggen steht, von osten her das zifferblatt bewundert, der sieht links oder südlich davon eine apotheke und ein kleines strassenschild: “bim zytglogge”. also heisst die strasse – oder besser: das strassenstück – an dem der zytgloggenturm steht, sinnvollerweise, “bim zytglogge”.


bild: stadtwanderer (anklickbar)

geht man nun durch das tor hindurch (man werfe dort kurz einen blick auf die stadtsage (nicht stadtgeschichte!) von 1601), und kehrt man sich danach gegen rechts oder norden, ist man unvermindert an der gleichen strasse. doch wer glaubt, dass sie vis-à-vis auch gleich heisse, sieht sich getäuscht. vielmehr steht man jetzt vor dem strassenschild “zytgloggenlaube”.


bild: stadtwanderer (anklickbar)

tja, links und rechts der einen strasse ist nicht überall das gleiche, wenigstens in bern nicht …

stadtwanderer

heiraten in bern (und anderswo)

liebe stephanie, lieber rico!

ihr habt geheiratet, in bern. zunächst viel glück für euren neuen lebensabschnitt! für eine österreicherin und einen zürcher braucht es wohl einigen mut, ausgerechnet in bern zu heiraten: vorderösterreichische provinz mag man da und dort denken, und auch morbide beamtenstadt dürfte mitschwingen, wenn ihr bei eurer familie und euren freunden von bern erzählt. aber:

ihr lebt hier!
und es gefällt euch hier!
und ihr habt beide in bern arbeit gefunden!
ihr fühlt euch hier wohl, und
ihr habt einander geheiratet.


bild: stadtwanderer (anklickbar)

es mag sein, dass die kontakte zur einheimischen berner bevölkerung gering bleiben. halb so schlimm, würde ich sagen, denn es geht auch anders herum! bern ist gross genug, um neue leute kennen und schätzen zu lernen, und klein genug, um sich darin nicht zu verlieren. ich kann davon gut berichten: vor 26 jahren kam ich nach bern, habe einen teil meines studiums hier verbracht, habe arbeit gefunden, habe meinen freundeskreis entwickelt, habe eine gebürtige pragerin, die in bern lebte, kennen und lieben gelernt, habe viele jahre in der stadt gewohnt, und bin ihr bis heute als lebensraum eng verbunden geblieben, selbst wenn ich, um etwas mehr ruhe und nähe zur natur zu haben, ausserhalb wohne.

nein, geheiratet habe ich – im gegensatz zu euch – nicht! das heisst nicht, dass ich beziehungslos lebe: “in festen händen”, sagt man im zeitalter der desinstitionalisierten ehe. das heisst, auf persönlicher übereinkunft basierend ist meine beziehung, frei von familiären verpflichtungen, ohne kirchlichen segen und auch mit keinem amtlichen stempel bezeugt.

mein verhalten, oder das meiner generation, hat so seine geschichte. am besten gefällt mir persönlich das beziehungsverständnis, das man in der vorchristlichen zeit, in der fränkischen gesellschaft des frühmittelalters, von der friedelehe hatte: “friudiea” ist die geliebte, und “ewe” ist das recht. die friedelehe ist das recht der liebenden, das sie untereinander vereinbaren, und das für die willensgemeinschaft zwischen mann und frau steht.

ich weiss, das sind alte geschichten, werde ihr sagen, denn ihr lebt mehr in der gegenwart als ich. ich aber sage euch: die gegenwart hat mehr mit der vergangenheit zu tun, als dass ihr denkt.

* * *

in der frühmittelalterlichen gesellschaft dominierte die sippe. ihre anerkannte form der ehe war die muntehe. munt steht dafür für die vormundschaft über die frau, die bei der muntehe vom vater auf den ehemann übergeht. heiraten war ein eigentliches geschäft zwischen zwei sippen, bei dem es, gegen einen brautpreis, um eine frau ging. getraut wurde öffentlich. das brautpaar stand im zentrum, umgeben vom kreis der verwandten. dem sippenoberhaupt oblag die befragung des brautpaares, die zum ja-wort führte. dieses stand gleichsam für die übergabe der frau an den mann. mit ihr folgte die heimführung der braut in der haus des gatten, wo man zunächst das hochzeitsmahl einnahm. damit die ehe rechtskräftig wurde, musste sie auch vollzogen werden, und dem ersten beilager wohnten gewöhnlich zeugen bei. mit der vollen muntübertragung hatte der ehemann das alleinige verfügungsrecht über das eheliche vermögen, das alleinige scheidungsreicht, und die gewalt über frau und kinder inne. dafür war er verpflichtet, seine frau zu schützen.

mit der friedelehe wurde der fränkische ehemann nicht vormund der frau. mann und frau hatten das recht auf scheidung. die ehe selber wurde nicht durch die sippen geschlossen, vielmehr kamm sie durch heimführung, beischlaf und überreichung der morgengabe zustande. einen brautpreis bezahlt der ehemann nicht. kinder aus fiedelehen waren aber erbberechtigt. auch in der fränkischen gesellschaft war die friedelehe mehr als eine kebsehe. “kebse” waren eigentliche nebenfrauen, die immer aus minderwertigen ständen kamen. freien war es erlaubt, mit unfreien frauen, die in seinem besitz waren, eine kebsehe einzugehen, und zwar so oft man wollte. dafür kinder aus kebsehen war nicht erbberechtigt, und sie blieben unfrei: kegel wurden sie geheissen und von kindern klar unterschieden.

nach den schweren erschütterung der fränkischen gesellschaft im 9. jahrhundert machte sich die kirche daran, den aufkommenden adel und die bauersleute von neuem zu christianisieren. jetzt ging es zentral um lebensführung und eherecht. das verbot der verwandtenehe stand an erster stelle, der forderungen der katholischen kirche. kinder sollen aus einer ehe hervorgehen, nicht erbverhältnisse geregelt werden. dafür wurde die beziehung der ehegatten ins zentrum gericht. eheleute sollten nicht mehr bei den eltern des mannes wohnen, vielmehr mussten sie einen eigenen haushalt gründen, der in der europäischen kultur gleichsam stellvertretende für die neue kernfamilie. für diese fordert die katholische kirche das konsensprinzip und die unauflöslichkeit. ehewillige sollen nicht einfach zusammegeführt werden, sondern sich verloben. das stärkte die eigenständigkeit der frau gegenüber der sippe, und eröffnete den eheleuten auch die möglichkeit, ehelos zu bleiben, um der kirche zu dienen. wurde die ehe jedoch geschlossen, galt sie für immer (“… bis dass der tod euch scheidet.”), worüber die katholische kirche zu allen zeiten streng wachte.

kulturell war das ein enormen fortschritt, blieb aber nicht ohne zahlreiche probleme. am wichtigsten problem, dass die katholische kirche nicht lösen konnte, sollte die allgemeingültigkeit ihres ehemodell in der europäischen kultur denn auch scheitern. gemeint ist der priesterzölibat, im 11. jahrhundert verlangte, seit der krise der abendländischen kirche im 14. jahrhundert aber kaum mehr durchsetzbar.

genau daran entzündet sich in der schweiz wie auch im kaiserreich der streit der reformatoren mit der katholischen kirche. sie selber heirateten demonstrativ, und propagierten die priesterehe als mittel, die distanz zwischen klerikern und laien aufzuheben. pfarrfamilien wollten die reformatoren zu lebendigen vorbildern der eheführung machen. kirchliche trauungen waren hierfür nicht nötig, denn das eheversprechen der heiratswillgen alleine schafft das neue. reformierte männer durften mit 20, reformierte frauen mit 18 jahren auch ohne einwilligen ihrer eltern heiraten. neu war auch die möglichkeit einer ehescheidung im falle eines eheburchs, bis zum ende der alten republik durch ehegerichte kontrolliert. angesichts der konfessionellen spaltung interessierte man sich auch für die bevölkerungsentwicklung. hauptzweck der reformierten ehe blieb denn auch die zeugung von kindern; jedoch verbunden mit ihrer aufzucht. dafür stärkten die reformatoren die stellung des hausvaters. arbeitsteilung zwischen ehemann und -frau war angesagt: der mann sicherte die wirtschaftliche existenz der familie, und die frau kümmerte sich um den haushalt und die kinder.

die starke bedeutung der ehe als wirtschaftsgemeinschaft bei den reformierten führte dazu, dass liebe und sexualität auch ausserhalb der ehe gesucht wurden. es sollte die aufgabe des bürgertums im 18. jahrhundert werden, ehe, liebe und sexualität im bürgerliche ehemodell miteinander zu verbinden. die romantische liebe wird jetzt zum einzig gültigen grund einer ehe, die jetzt zur privatsache wird. dafür wird die gutbürgerliche sittlichkeit zur norm, die durch die frau gewahrt, aber auch vom mann verlangt wird. gewalt wird verpönt, und der familiäre kreis wird durch das ‘du’ bestimmt, mit dem sich die ehegatten ansprechen, und das später auch von kindern verwendet werden darf.

die liberale gesetzgebung lässt den einfluss der kirche auf die heirat im 19. jahrhundert schwinden. 1821 wurde die konfessionell-gemischte ehe in der hälfte der schweizerischen kantone erlaubt. rechtlich aufgehoben wurde das verbot jedoch erst 1850, durch den jungen bundesstaat. 1874 wurde schliesslich die zivilehe eingeführt. das patriarchale selbstverständnis der ehe wurde jedoch bis zum heute geltenden, erst 1985 bewilligten eherecht nicht angetastet.

lange blieb die liebesheirat ausserhalb der vermögenden und aufgeklärten bürgerlichen schichten nur ein traum, der durch wirtschaftliche not und manigfaltige einschränkungen nicht realisiert werden konnte. erst die hochkonjunktur des 20. jahrhunderts erleichterte es zahlreichen jungen leute, ihren wunsch nach einer eigenen ehe zu verwirklichen. damit sinken das heisratsalter, gleichzeitig auch der anteil lediger auf historische tiefstwerte. wenigstens vorübergehend schien es so, dass die wünschbarkeit der bürgerlichen ehe nahezu unbestritten blieb.

die bürgerliche liebesheirat bestimmt bis heute das heiratsverhalten, selbst wenn sie der versuch bleibt, feuer und wasser zu mischen. die liebe hat die ehe als zweckgemeinschaft aufgewertet, stellt sie aber auch gleichzeitig als institution in frage. denn die konsequente liebesehe lässt auch ihre auflösung zu, wenn die ihre basis, die liebe, nicht mehr gegeben ist.

seit ende der 60er jahre zerfällt deshalb auch das bürgerliche eheideal. voreheliche sexualität wird wieder populär, aussereheliche sexualität ist verbreitet. die diskriminierungen lediger mütter und ihrer kinder durch das gesetz sind unhaltbar geworden. und der individuelle konsens zwischen partnern ist mit dem neuen ehe- und erbrecht sogar die legale grundlage der heirat geworden.

* * *

für menschen wie mich, die sich die frage der heirat zu beginn der 80er jahren stellten, war das neue ehe- und erbrecht noch keine chance. gesellschaftliche, staatliche und kirchliche eheideale hatten ihren reiz längst verloren. und das recht hindert einen schon daran, ernsthaft ans heiraten zu denken. brüche in der eigenen biografie, berufliche und private, haben zudem den glauben an die bindende wirkung von lebensgemeinschaften schwinden lassen. wenigstens für mich, und meine generation.

für menschen wie euch, die zusammenleben und familiengründung verwirklichen wollen, ist das eine neue chance, die ihr heute packt. dafür bewundere ich euch ein wenig.

ihr wisst, ich wollte euch eine kleine stadtführung in bern und umgebungen schenken. stadt- und kulturgeschichte sollten den rahmen bieten, indem ihr heiraten werden. und besondere ehepaare aus unserer geschichte sollten das verständnis der ehe in ihrer zeit aufzeigen.

alles war so schön vorbereitet! doch sollte es nicht soweit kommen: im regen stehen gelassen haben uns

. die natur,
. der herrgott,
. die beiden landeskirchen,
. der staat (bund, kanton und gemeinde) und
. die ganze bürgerlicher gesellschaft.

auf nichts ist mehr verlass, sag ich da! so mussten wir gestern erheblich improvisieren, abkürzen und weglassen, – bis zur unendlichkeit der geplanten stadtwanderung.

ich hoffe, es ist nicht ein zeichen, für meine skepsis gegenüber der ehe! und weil ich immer auch optimist bin, glaube ich an eure heirat. deshalb habe ich euch, mit meiner karte, die am ballon gen himmel stieg, sonnenschein gewünscht, und wenn ihr den habt, die verpasste stadtwanderung als geschenkt noch nach gereicht.

der (unverheiratete) stadtwanderer

brasil gegen fdp 1:0

brasilianische fahnen zu hauf, beach bar am see und fussballfieber, wo man hinschaut. man wähnt sich mitten in brasilien.


bild: weggiswanderer (anklickbar)

im hotel gibt’s eigentlich nur ein thema: ist die seleçao wirklich so schlecht in form, wie der trainer meint? glauben mag das hier niemand, denn eines ist hier sicher: brasilien wird zum sechsten mal fussballweltmeister!


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die schnurgerade ausgerichteten tulpen vor meinem fenster hätten zwar vermuten lassen, in brasilia zu sein. doch da war ich nicht. ich war in weggis, das park hotel testen, wo die stars vom 22. mai bis 3. juni wohnen werden!


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ich kann sagen: weggis hat nicht nur einen grossen pr-coup gelandet, weggis ist auch gerüstet. mit sack und pack, frau und kind werden sie erwartet. und aus dem kleinen strand die copacabana machen! schön muss das sein, das leicht verschrobenbe weggis wird aufwachen, ein wenig wie rio werden.


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eilends wird auch ein neues fussballstadion gebaut. “vor 10 tagen hat man noch gar nichts gesehen”, sagt mir der taxichauffeur. dank dem guten wetter gibt’s jetzt sogar grünen rasen! und die bilette für die trainings sind alle weg. “anstehen habe man müssen, um eines zu ergattern”, fügt er bei. und 50 stutz hinlegen, um sitzen zu können. das sei ihm dann doch zu viel gewesen, denn der samba werde wohl auch neben dem station sein.


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500 medienstationen werden mit dem weltmeister von 2002 erwartet. die ganze welt wird ihr auge auf weggis richten. da können alle rund herum nur noch staunen: soviel gratiswerbung! 1 kiste habe der lokale unternehmer bezahlt, sagt mir der chauffeur, dass der tschutti-weltmeister vor seinem firma trainieren komme. ungelöst sei aber das sicherheitsproblem in weggis: wann wolle den raum von küssnacht auch abriegeln, das werde ein unglaubliches durcheinander geben. fürs taxigewerbe werde es aber super werden: waren schon mal 2 journalisten aus brasilien da, und hätte gleich dreimal im tag nach luzern gefahren werden wollen. und während den berühmten zwei wochen rechne man mit 2000 journalisten, sind, summa summarum 3000 fahrten nach luzern à 70 chf. wären 210’000 chf umsatz im tag!


bild: weggiswanderer (anklickbar)

gespannt ist man, ob sich die stars überhaupt bewachen lassen, meint der taxichauffeur. “die schweiz ist ja ein tresor, in dem sich allen eingesperrten frei bewegen können”. das würden die bald merken, und sich nicht noch mehr einsperren lassen. seine frau sei brasilianerin, in weggis, und die sei überzeugt, dass hier bald der teufel los sein werde.

das trifft sich gut. weggis stellt sich in seinem buch über sich selber so vor: “ein paradies auf erden, – aber von teufeln bewohnt!” immer habe es lämpen gegeben mit den weggisern, sagt man im dorf. vertragen hätten sie sich nie, mit ihren nachbaren nicht und auch mit den luzernern nicht. und auch heute sei es nicht einfach, als fremder (luzerner!) nach weggis zu kommen, fügt mein chauffeur bei. bis man da als auswärtiger gewerbetreibender akzeptiert werde, brauche es viel. die hotels würden die einheimische konkurrenz bevorteilen, die gäben dann die aufträge weiter, wollten aber eine provision. wer etwas neues aufbauen wolle, habe es schwer in weggis. ein wenig beschaulich, seien sie in weggis, da sind sich alle einige. vielleicht ist der rummel, der jetzt kommt aber die grosse chance: auf jeden fall muss man die dorfgeschichte danach umschreiben. ereignisreich ist sie nämlich nicht, wenn man die website der gemeinde, die jetzt weltweit konsultiert wird, betrachtet. verschlafen ist nur das vorwort!

natürlich war ich in tat und wahrheit nicht des tschutten wegens weggis. dafür bin ich viel zu wenig sport-begeistert, und beim fussball, habe ich einen grundsatz: egal wer gewinn, nur die d. nicht! beim nachtessen liefert ein kultivierter professor für kommunikation die amerikanische definition von fussball. wenn zwei mannschaften mit je 11 männern einem ball nachrennen, und danach “germany” siege, dann sei das eben soccer!

meine kundschaft ist da teilweise viel näher dran, am fussballgeschehen. klar, der städtische effzee und seine mäzenin haben ja auch schon mal ein stück fussball- und sponsoringgeschichte geschrieben! näher dran war meinen kundschaft früher auch an der fdp. da wird heute aus distanz drüber disktuiert. der erzwungenen und erfolgte rücktritt von frau fierz ist anlass genug. neue namen werden herumgeboten, die alle nicht kenne: ausser gutzwiller, der hat aber schon abgesagt, und ausser urs lauffer, der wolle jedoch sicher nicht sein gehalt vierteln, ist man sich rasch einig! die fdp von heute wird kurz gefasst so analysiert: ausdruck der individualisierung. pelli führe den appart, doch der führe sonst niemanden. die partei sei atomisiert, tausende von einzelkämpfer stünden für die partei, die es aber gar nicht mehr gebe. jeder sei seine eigene fdp-ag, die nach autopoetischen grundsätzen funktionniere, politisiere und kommuniziere. ein gravitationszentrum sei nicht mehr zu erkennen. und über den bericht der nzz von heute morgen wird nur maliziös gelächelt: “das ende eines trauerspiels”, nein, die x-te folge, höre ich, und die nächste komme so sicher wie das guetnachgschechtli!

der konkurrent zum jetzigen generelasekretär der fdp schweiz, bei dessen wahl, sitzt beim mittag neben mir. er ist 2002 aus der fdp ausgetreten, aus enttäuschung! seiner steilen karriere in der wirtschaft hats nicht geschadet, derweil guido schommer die stets kleiner werdende schar von getreuen hütet. typischer geht’s nicht mehr, denke ich mir innerlich. eigentlich mag ich beide als gesprächspartner. aber so unterschiedliche wege kann man nicht mehr als einheit verstehen, die das land gestalten wird. wirtschaftsliberale, staatsbegründer und citoyennes, die frühere erfolgsmischung will einfach nicht mehr funktionieren. “verlieren sie die wahlen reihum, – und was machen sie?”, orakelt mein kommunikationsprofessor: “ein neues logo! wir liberale.” das sei ja zum lachen, meinen meinen die manager. bald schon würden abzählreime aufkommen, der positivere: ich liberale, du liberalst, er liberalt, wir liberalen! der negativere: 10 kleine liberale, 9 kleine liberale, 8 kleine liberale ..

war alles bestens organisiert hier. park hotel ist gerüstet für die wm-vorbereitungsrunde, und mein kunde sieht die zukunft auch (einigermassen) optimistisch. empfehlung meinerseits: fantastischer rot-wein, aus dem eigenen (bio)weinkeller! muss jetzt aber arbeiten gehen, unerwartete anfragen aus der potenziellen kundschaft! noch ein blick in mein zimmer! welcher star wird hier hausen, im gleichen bette schlafen, wie ich war? schon beim gedanken, einem alten und neuen weltmeister so nahe zu sein, juckte mir die ganze nacht mein rechtes bein.

und ich träumte: brasil, tor, tor, tor! tönt gut!

wenn sich nur auch die fdp sich anstecken lassen würde:

fdp, sieg, sieg sieg! tönt komisch!

weggis-wanderer

mit der krise der liberalen oder bürgerlichen parteien beschäftigt sich gegenwärtig die halbe politbloggergemeinde; siehe auch:

edemokratie

lieber thomas fuchs

lieber thomas fuchs …

jüngst sind sie wiedergewählt worden, als grossrat des kantons bern. gratualtion!
doch zum ersten platz auf der berner svp liste hats nicht gereicht. sie sind nur nummer 2, platzhirsch ist der schori!
ich habe einen tipp, wie sie sich verbessern könnten: ihre website ist politisch unkorrekt. das geht nicht! hand ausfs herz: blondinenwitze sind echt passé!

thomas fuchs’blondinenwitze

zudem bin ich nicht sicher, wie gut s i e die fragen beantwortet hätten. es stimmt zwar, dass der dreissigjährige krieg 30 jahre lang dauerte. aber der 100jährige krieg dauerte nicht 100 jahre, wie man mit der vereinfachung im alltag suggeriert. das zögern der “blondine” war also absolut berechtigt. begonnen hat der sog. 100jährige krieg zwischen frankreich und england 1337; formell beendet wurde er 1453, – der türken wegen, die byzanz erobert hatten!

echt, hättens sie gewusst? falls ja, stelle ich ihnen die folgende frage: welche auswirkungen hatte der sog. 100jährige krieg auf bern?

ich habe vier antwortmöglichkeiten vorbereitet, bitte wählen s i e die aus, die falsch ist!

1. der sog. 100jährige krieg war ein segen für bern. die franzosen kamen 1444 bei basel vorbei, und haben die eidgenossen provoziert. gut, die franzosen haben bei st. jakob die schlacht gewonnen, bern aber nicht verloren. man hat das beste draus gemacht, und mit dem franzosenkönig ein bündnis geschlossen, das nur vor vorteil war. das ungebildete volk vom land konnte nun als söldner ins französische heer eintreten. in der stadt kam man so zu viel geld, der niklaus diesbach an seine klientel verteilte (wie heute die svp), und kräftig in den münsterbau steckte. die berner wirtschaftsförderung (mindestens so gut wie jene der svp heute) hat also ihren ursprung im sog. 100jährigen!

2. der sog. 100jährige krieg hatte schlimme folgen für bern. die engländer waren chronisch unterbeschäftigt, und so griffen sie zwischendurch auch ins schweizerische mittelland aus. die berner verstanden ihre sprache nicht, und nannten sie vereinfachend gugler. sie konnten aber nicht verhandeln, also wählten sie die sprache, die man auf den schlachtfeldern verstand: sie haben die gugler zwischen ins und nidau übel verhauen, vor allem am weihnachtsabend, denn ihnen gar nicht heilig war, wenns um krieg vor der eigenen türe ging. die gugler sind dann auch nie mehr gekommen, und die stadt bern konnte sich im seeland kräftig ausgebreiten. das wirkt bis heute nach: sonst wäre nicht einmal sicher, ob sämi schmid ein berner oder solothurner geworden wäre, und für auf ihren plakaten werbung machen könnte!

3. der sog. 100jährige krieg war für bern des teufels. am ende des krieges schlossen england und frankreich frieden, doch die burgunder mochten sich nicht einordnen. sie haben herzog philipp den gutenin bern geschickt, um unerlaubte propaganda für ihre sache betrieben, auf die adrian von bubenberg hereingefallen ist. er uns seine frau folgten jeder dieser burgundischen mode, die damals üblich war. adrian wollte mit karl dem kühnen einen kreuzzug unternehmen, und seine frau – eine burgunderin! verwechselte berns gassen schon mal mit dem laufsteg. sie trug als erste körperbetonte kleider und schnabelschuhe bis geht nicht mehr. gottseidank hat ein vorfahre der berner stadt-svp damit remedur geschaffen. schultheiss kistler verbot diesen ganzen unfug, und adrian von bubenberg mit seiner frau verliess die stadt richtung spiez.

4. der sog. 100jährige krieg hatte gar keine auswirkungen auf bern. man war nämlich damals schon neutral und mischte sich nicht in die inneren angelegenheit fremder länder ein. im sog. 100jährigen krieg ist die schweizerische neutralität geboren worden, quasi das programm der mit der svp verbündeten auns, der aktion für einen unabhängige und neutrale schweiz, entstanden. gottseidank!

stadtwanderer

wiborada

klar, sie ist meine lieblingsheilige. denn sie ist die schutzpatronin der bücherfreunde. und bibliophil bin ich ganz sicher.

hier ihre kennzeichen:

. todestag: gestorben am 2. mai 926, also heute vor 1080 jahren.
. todesursache: erschlagen, mit einer streitaxt.
. täter: madyarische reitertruppen.
. tatort: kluse bei der magnus-kirche in st. gallen.
. name: wiborada, die ratgeberin.

wann wiborada geboren wurde, weiss man, wie bei den meisten menschen dieser zeit, nicht. man weiss aber, dass sie dem adel angehörte, der sich im jungen schwäbischen herzogtum, 911 gegründet, um die vorherrschaft stritt. voraussichtlich 912 wurde die einflussreiche frau neutralisiert. sie wurde in eine klause beim kloster st. gallen gesteckt. doch ihr rat blieb teuer und gold wert. als die madyarischen reitertruppen schwaben (und burgund) bedrohten, riet sie dem st. kloster, die wertvollsten kulturgüter ins benachbarte kloster reichenau zu zügeln, da sie dort – auf der insel – geschützer seien. das hat man dann auch gemacht, und wiborada sollte recht bekommen: 926 überfielen die madyaren das kloster st. gallen, und plünderten es. zwei wertvolle bücher wurden gerettet, das älteste in deutscher sprache, 720 entstanden, und das bis heute älteste liederbuch der welt, eben grad um 920 verfertigt. selber kam wiborada beim überfall um. die mönche hatte sich in eine fluchtburg zurückgezogen, und wiborada markierte in ihrer klause das zentrum des widerstandes. deshalb wurde sie auch umgebracht, während das kloster einigermassen überlebte.

die katholische kirche dankte es ihr, 1047 wurde sie als erste frau der kirchengeschichte überhaupt (von papst clemenz II.) heilig gesprochen, und st. gallen wurde 1983 in uno-verzeichnis des weltkulturerbes aufgenommen, nichtzuletzt wegen der wertvollen bibliothek, die wiborada rettete.

hier noch eine kostprobe der ältesten deutschen sprache, die wiborada für die nachwelt gerettet hat. es ist das st. galler vater unser:

fater unseer, thû pist in himilie,
uuîhi namun dînan
qhueme rîhhi dn
uuere uuillo diin, son in himile sôsa in erdu.

prooth unseer emezzihic kip uns hiutu,
oblâz uns sculdi unseero, sô uuir oblâzêm uns sculdikêm,
enti ni unsih firleiti in khorungka,
ûzzer lôsi unsih fona ubile.

alles klar? ein wort ist dabei wohl eine erfindung. für die versuchung (temptatio) gab es im germanischen keine direkte übersetzung. so ist khorungka eine wortschöpfung des übersetzers, angelehnt an kostunga (geniessen) resp. korunga (wählen).

leider ist ihr andenken fast ganz verloren gegangen. in st. gallen gedenkt man ihr noch, am 11. mai, sonst ist der brauch fast ganz verschwunden. nicht so bei mir: wer weiss, was bücher wert sind, und dafür sein leben einsetzt, ist nicht nur eine weise seherin, sondern auch beste schützerin der menschlichen kultur. selber könnte ich kein buch nicht zerstören. selbst weggeben kann ich die dinger kaum. deshalb habe ich auch ein paar, und werde sie auch vermehren, mit einer kleinen erinnerung an wiborada. schön wäre es, wes würde an jeder bibliothek, im eingangsbereich, an wiboradas vermächtnis erinnert.

übrigens: was das für eine zeit war, als sie lebte, als sie eingekerkert wurde, als sie umkam, das erzähle ich später. die beziehung zu burgund ist nicht so schwer herzustellen, jetzt aber will ich bücher kaufen! meine drei lieblingsantiquariate in bern sind:

. menhire (mein grosser favorit für kulturgeschichte und vergessenes wissen)
. hegnauer & schwarzenbach (toll, habe da die ganz alten sachen von diebold schilling erstehen können)
. thierstein daniel (grad eine wundervolle chronik von murten erstanden, werde daraus berichten!!!)

alles an einer strasse, gäbig esch es halt in bärn!

schwaben-wanderer

ps: mein nachträglicher beitrag zum welttag des buches, der soeben war!

die vergessene burgundische tradition des 1. mai

tja, das rote bern feiert, ihren 1. mai, den tag der arbeit, an dem man nicht arbeitet. verbinden soll es das land! in solidarität und linker eintracht. habe einen kurzen blick geworfen, auf die versammlung, zwischen hotel bern (rotes haus), kornhaus (berner merkantilismus) und franzosenkirche(ehemaliges dominikanerkloster, später asylkirche der hugenotten). viele leute hatte es nicht, und ich bekam den eindruck, es sei vor allem das rotgrüne bündnis, das den sozialistischen 1. mai feiert. stimmungsmässiger höhepunkt kam von femden völkern: tanz der kurdischen frauen, glitzernde kleider (muss schrecklich gewirkt haben für die feministinnen), dröhnende musik (war schrecklich für alle alle ohren), und ein wenig ablenkung vom politalltag. so ist war es, am 1. mai 2006.

besonders angezogen hat mich die veranstaltung jedoch nicht, wir von den stadtwanderern sehen im 1. mai nämlich auch einen ganz anderen feiertag: dem gedenktag an burgunderkönig sigismund, der legende nach an diesem tag im jahre 524 verstorben. und das kam so:

könig sigismund, 2. könig der vereinigten burgundia

sigismund war der sohn von könig gundobad, der die verschiedenen königreiche von burgund um 501 geeinigt und ihnen ein einheitliches recht erlassen hatte. regiert wurde von da an die burgundia aus lyon. wann sigismund geboren wurde, ist unklar. 497, er musste wohl 20 gewesen sein, und er empfing – gegen den willen seines vaters, der arianischen glaubens war – die christliche taufe. taufpate war aviatus von vienne, ein seelenführer, der bischof in der stadt im mittleren rhonetal war.

bevor sigismund könig wurde, hatte er als pilger den papst in rom besucht (sein vater war 472 noch an der spitze eines burgundischen heeres als eroberer roms in erscheinung getreten, der den “kaiser” abgesetzt und einen neuen “kaiser” nach seinem willen eingesetzt hatte), und in ravenna seinen schwiegervater, den ostgotenköig theodrich den grossen, ebenfalls arianischen glaubens, getroffen. danach kehrte er ins burgundische königreich zurückgekehrt, das von arles bis langres bzw. von nevers bis an die aare reichte. vereinfacht ausgedrückt umfasste es das ganze rhonetal, samt den wichtigen zuflüssen. von genf aus, wo er als unterkönig residierte, förderte er in agaunum, oberhalb des genfersees, an der rhone gelegen, die katholische kirche. 515 ist das jahr, indem das dortige kloster, heute besser unter dem namen st. maurice bekannt, als eigentliches burgundisches hauskloster gegründet wurde. beabsichtigt war es damit, den wichtigesten übergang nach rom, den grossen st. bernhard, aus burgundischer sicht zu herschaftlich und kirchlich zu stärken.

516 wurde sigismund beim tode seines vater könig von burgund. mit seiner königsherrschaft wurde das königreich erstmals ganz katholisch. das heisst nicht, dass man den alten glauben, germanischen ursprungs nicht mehr anhing; das volk lebte weiterhin mit den traditionellen göttern und nach den alten sitten. sie waren nur soweit angepasst worden, dass sie von der spätantiken gesellschaft in den alten römischen städten, akzeptiert werden konnte. dafür stand vor allem die königssippe, die das mit ihrer zugehörigkeit zum katholischen glauben am sichtbarsten bezeugte.

mit dem übertritt zum katholizismus war man in der brugundia mit den franken gleichgezogen, die könig chlodwig nach seinem sieg über die römer in gallien, geeingt hatte, gleichgezogen. die merowingersippe, die in tournai und soissons herrschte, war stark aufstrebend, und hatte sich weit über francien ausgedehnt. unterworfen wurden von den franken die alamannen am oberrhein und die westgoten in acquitanien, sodass, mit ausnahme burgunds, das alte gallien nach dem untergang des weströmischen ganz unter fränkische herrschaft gekommen war.

sigismund heiratete nach dem tod seiner ersten frau als burgundischer könig ein zweites mal, nun eine katholikin. für sie war sigerich, sigismunds sohn aus erster ehe mit der tochter von könig theoderich dem grossen, stein des anstosses. sie verpfiff 522 den stiefsohn bei seinem vater, er trachte nach der königsmacht, und die vorherrschaft der katholiken in burgund sei in gefahr. sigismund liess sich hierauf zu einer schrecklichen tat hinreisen, und ermordete seinen sohne im affekt.

die krise der burgundischen königsherrschaft

sigismund wurde von seinem taufpaten aviatus unterrichtet, dass eine solche tat mit dem katholischen glauben nicht vereinbar sei. der könig tat darauf busse, zog sich selber nach agaunum zurück, stattete das kloster reich aus, und lebt selbst ein jahr dort. zwischenzeitlich regierte sein bruder godomar die burgundia. die beziehung zwischen burgund und ostgoten, die im namen des kaisers von byzanz ganz italien regierten, kühlten sich jetzt ab, war doch sigericht auch von ihrem blut. theoreich versagte seinen schutz an burgund, was die franken nutzen, um das geschwächte königshaus von burgund zu stützen.

unter führung von könig clodomir griffen die franken nun burgund an. zu seinen truppen zurückgekehrt, konnte sigismund nur noch die niederlage feststellen. er und seine familie fielen den franken in die hände, die sie nach orléans abschleppten. in der burg von coulmiers, wo sigismund, seine frau und seine zwei söhne gebracht worden waren, wurden sie gemeinsam in einem brunnen ertränkt. wahrscheinlicher todestag ist der 1. mai 524.

nun fühlten sich die ostgoten von den ungehemmt expandieren franken bedroht, und sie unterstützen den bedrängte könig godomar wieder. dieser griff in den burgundischen alpen bei vézeronce am 21. juni 524 die franken an, schlug sie, wobei könig chlodomir selber fiel. darauf hin zogen sich die franken aus burgund zurück, doch nur bis 534. nach dem tod des ostgotenkönig theoderich, strebten sie die herrschaft über burgund erneut an, besiegten könig godomar endgültig und unterwarfen die burgundia dem fränkischen königtum.

536 wurden die reliquien von könig sigimund nach st. maurice gebracht, und unter den anhaltenden gesängen (laus perensis), die an den christlichen kaiserhof von byzanz erinnern sollten, aufgebahrt. dort blieben sie bis 1365, wurden danach nach freising und prag überführt, wo sie den von kaiser karl iv. geförderten sigismund-kult in zentraleuropa begründeten, und wo sie heute noch zu besichtigen sind.

suevagotta und die anbindgung an den reimser königshof

was das alles mit uns stadtwanderern in bern und burgung zu tun hat? ganz viel. sigismund verheiratete nämlich seine tochter suevagotta an den ebenfalls fränkischen königshof von reims. dort herrschte theuderich I., genauso wie chlodomir sohn von chlodwig, jedoch aus einer anderen ehe. in reims begründete er eine merowingische königsherrschaft, die sich zusehends nicht mehr gallisch verstand, und dazu tendierte, eine eigene dynasite zu werden, die über die ostlichsten, am wenistens entwickelten gebiete herrschen sollte. die theuderich I. beteiligte sich auch nicht an der eroberung burgunds durch seinen bruder chlodomir, sondern besetzt im gegenzug die reiche auvergne. um einen besseren zugang zu seinen besitzungen zu haben, forderte er, nach godomars tod einen teil der aufgeteilten burgund. als mann von suevagotta griff er nach dem alten unterkönigreich von sigismund, das genf und sein hinterland umfasst hatte. nun geriet dieser teil burgunds, anders als der rest, wenigstens vorübergehend nicht unter die herrschaft, die in orléans ausgeübt wurde, sondern von reims ausging.

unter theuderich wurde das westliche mitteland der heutigen schweiz wieder aufgebaut. aventicum wurde jetzt ein fränkiches zentrum, jetzt wiflisburg genannt, und bekam (vorübergehend) einen eigenes bischof. nach der römischen kaiserherrschaft, der burgundischen königsherrschaft machte sich nun eine fränkische herrschaft breit. und es wurden alamannische siedler, die ausgehend von zurzach zwischen 534 und 555 in ehemals burgundisches gebiet vordrangen, aufgenommen.

die teilung des mittellandes zwischen burgund und alemannien

561 sollte dies, nach dem tod des fränkischen könig chlothar I , der vorübergehend und nur kurz über alle fränklischen teilkönigreich regiert hatte, von entscheidender bedeutung sein. die alte burgundia wurde nun unter dem fränkischen könig gunthar wieder zusammengefügt, und neu dem königshof von chalons-sur saône untergeordnet. der westliche teil des mittellandes kam so wieder zum fränkischen burgund, und zwar als ducatus transioranorum oder eigenes herzogtum mit wifflisburg als zentrum. das katholisch-römische erbe fand damit seine fortsetzung.

das zwischenzeitlich alamannisch besiedelte aaretal dagegen wurde, durch germanische völkerschaften aufgefüllt, im eigentlichen sinne repaganisiert, zum ducatus alemanorum erhoben, und den neu in metz regierenden fränkischen königen von austrasien untertellt. die christianisierung sollte hier noch lange ausbleiben, und erst im 8. jahrhundert unter den karolingern eingeführt werden. auch sprachlich nahm das gebiete seine eigene entwicklung. das alemannische dominierte über das spärlich verblieben spätantike vulgärlatein.

ein kulturelle trennung, die nicht ohne bedeutung sein sollte. die karolinger betrachteten die burgundische und alemannische traditionen sehr unterschiedlich, und als ihre herrschaft im 9. jahrhundert zerfiel, neue adelsherrschaften mit neuen grenzen entstanden, wählte man die grenze von 561 als grenze zwischen dem imperialen mittelreich (bei dem die teile links der aare verblieben) und dem ostfränkischen königreich (zudem die teile rechts der aare nun als herzogtum schwaben) kamen.

die vergessene tradition des 1. mai

heute mutet die teilung des mittellandes, die 561 begann, fast selbstverständlich an. die oberherrschaft ist zwar nicht mehr fränkisch, sondern schweizerisch. die teilung von kulturräumen, heute von sprachräumen, die im 6. jahrhundert entstand, ist aber mit fast unveränderten kulturgrenzen fast allgegenwärtig geworden.

sigismund hat doch vielmehr mit unserem leben heute zu tun, als wir es, die so vergesslich sein, zu glauben vermögen. wer weiss, was geschehen wäre, hätte er suevagotta nicht mit theuderich verheiratet, wären die alamannen nicht eingedrungen und wäre das ganze mittelland 561 wieder burgundisch geworden resp. geblieben.

die schweizer geschichte hat diese zusammenhänge fast ganz vergessen. wenn man sich überhaupt noch der burgunder erinnert, ist das schon viel. erfahren habe ich das weder im geschichtsunterricht, noch in schweizergeschichtsbüchern. erfahren habe ich alles vielmehr nur, weil die katholische kirche den tod von klostergründer sigismund als martyrium sah, und ihn, auch ohne kanonisierung als heiligen verehrt. und genau daran erinnert mich der 1. mai, gerade in bern, das heute wieder brückenstadt über die aare geworden ist!