das sog. italien auf deutschem grund

unser hotel nennt sich “zur sonne”. die gastwirte heissen esposito. und um die ecke ist das römerbad. doch sind wir nicht in italien, nein, vielmehr in badenweiler, am hang des schwarzwaldes auf ein paar lauschige kurtage. dass man hier in italien ist, liesst man nur in den prospekten für touristInnen. wer selber hierher kommt, lernt die typische lebensart der grenznahe markgräfler kennen und schätzen.

hotelbadenweiler, genau zwischen lörrach und freiburg gelegen, wurde 1756 zum eigentlichen kurort. die vier ersten badhäuser waren die carolsruhe, die krone, der hirschen und eben die sonne, die schon länger stand, und einen eben so wenig katholischen namen hatte, wie zahlreiche der nachfolgenden wirtschaften.

mit ihnen kam auch die reklame ins dorf, was der siedlung ein kleinstädtisches gepräge gab. die gäste, vornehmlich aus dem reformierten basel, die zum baden kamen, wurden fein säuberlich auf einer liste erfasst und hatten der kurpfennig entrichten. denn der obrigkeitlich geförderte wirtschaftsaufschwung in der region sollte neue einnahmequellen für die herrschaft erschliessen.

zwar wusste man der spur nach von den römern. doch deren riesiges bad am fuss des blauen kannte man damals nicht. die erste schriftliche erwähnung von “baden” verdankt der ort den nahen silberminen, die kaiser heinrich II. dem bischof von basel im 11. jahrhundert zur nutzung vermachte. andere quellen sagen, die heilquelle sei bis ins hochmittelalter genutzt, dann aber durch das schreckliche erdbeben in basel eingestürzt. seit 1408 habe es wieder ein gasthaus gegeben, der vorläuferbau der sonne.

geprägt wurde die region in der nach baslerischen zeit durch die gegnerschaft zum habsburgischen vorderösterreich. doch erst die grafen von hachberg-sauseberg begründen im 15. jahrhundert den namen “markgräflerland”. mit ihm wurde aus baden badenweiler, um es vom nördlich gelegenen baden-baden besser unterscheiden zu können.

1525 machten die bauern gegen die herrschaft mobil. die grafen von baden, die 1503 das markgräflerland geerbt hatten, schlossen bald schon frieden mit ihren untertanen, machten sich die sache der reformation zu eigen, was die bevölkerung zusammenschloss, bis der verheerend 30jährige krieg kam, der alles zerstörte. seither steht in badenweiler auch kein schloss mehr, nur noch eine riesige steinruine, burg genannt.

1784 entdeckte der kurort bei neubauten die alte römerquelle. wer sie erschlossen hatte, weiss man nicht. von kaiser vespasian, der das decumatland rechts des rheines für die römische sache zugänglich gemacht hatte, wird häufig genannt. gut sichtbar baute man auch den römischen podiumtempel, dessen entstehen dendrologisch auf das jahr 175 nach christus datiert wird. an seiner stelle steht heut die reformierte kirche.

die römischen funde ende des 18. jahrhunderts lancierten die archäologie und denkmalpflege im markgräflerland, deren anfänge die ältesten im heutigen baden-württemberg sind. populär wurde der name “markgräfler” übrigens erst im 19. jahrhundert, seit ihn die zahlreichen winzer an der weinstrasse zwischen lörrach und freiburg zur vermarktung der region verwenden.

wolfgang abel, ein freiburger soziologie, der seit jahren den südwesten deutschlands bereist und zahllose wander- und gastrobücher geschrieben hat, findet sich in jeder buchhandlung bibliophil aufgelegt. alle kommen bei ihm an die kasse, denn liebevoll-bissig berichtet er erfolgreich aus der und über die breisgau. über badenweiler schreibt er, dem kurort würden einige anzeigekampagnen weniger, finanziert aus der kurtaxe der gäste, gut tun, wenn der ort nur ein ausgiebiges nachleben hätte.

dass genau das fehlt, halte ich dem kenner entgegen, macht den charme des ortes aus. badenweiler ist eben nicht italien auf deutschem grund. wer des nachts eins über die stränge hauen will, gehe doch gleich anderswohin! wer hingegen ruhe sucht, der lässt sich durch die reklame nicht täuschen, und erfreut sich im markgräflerland, das fleissig-aufmerksam, aber auch beschaulich-gemütlich ist. genauso wie wir uns bei der familie esposito freuen, die süditalienische wurzeln hat, im breisgau aber bestens integriert (und und andere) im traditionsreichen gasthaus zur sonne (be)wirtet.

stadtwanderer

wi(e)der die unglaubliche arroganz

zwischenhalt am kiosk. um zu wisssen, was für eine zeit wir gegenwärtig haben, blick in “die zeit”. aufgeschreckt von einem artikel zur schweizerischen eu-politik aus deutscher sicht ein paar zwingende gedanken über politik und wirtschaft jenseits von arroganz.


diese mischung aus eu und schweiz bringt keine verständigung – das aufgeklappe schweizer sackmesser der reinkultur aber auch nicht (bild keystone)

herausgefordertes deutschland
seinen bisher grössten moment hatte der deutsche jorgo chatzimarkakis, als er im september 2007 seine fdp zur bundesweiten fusion mit den grünen aufrief, um eine starke ökoliberale mitte zu bilden und so die polarisierungen zwischen links und rechts in der nationalen politik zu überwinden. selber lebt der politiker diese verbindung schon, wenn er als europaageordneter in brüssel ist. dann wohnt “chatzi”, wie er sich selber gerne nennt, nämlich mit cem özdemir, dem eu-parlamentarier der grünen in einer wg. und das ist nicht ohne, denn chatzimarkakis ist griechischstämmig, während özdemir von türkischer herkunft ist. das ist genau das, was man in brüssel von zypern erwartet.

weniger gut klappt die verständigungsarbeit allerdings, wenn chatzimarkakis auf die schweiz angesprochen wird. da kritisiert der promovierte agrar- und politikwissenschaft mit schwerpunkt europarecht die schweiz: »Ich habe hohen Respekt vor der Schweizer Demokratie. Aber ich habe demokratietheoretisch langsam ein Problem damit, dass schon wieder eine kleine Minderheit 490 Millionen Europäer aufhalten können soll.« Und dann kommt’s faustdick: »Die unglaubliche Arroganz muss jetzt mal ein Ende haben! Die Schweiz wäre längst ein rückständiger Fleck in Europa, wenn sie nicht ihr wunderbares Bankensystem hätte und ihre tollen Ausnahmeregelungen. (…) Wer, bitte, legt denn das ganze Geld da drüben an? Die Schweizer müssen wissen: Sie schaden sich selbst mehr als uns, wenn sie am 8. Februar Nein sagen.«

politik und wirtschaft parallel entwickeln
gerade demokratietheoretisch ist die eu, muss man entgegen, kein ausgesprochenes vorbild. sie ist nicht aus einer revolution hervorgegangen, die neues verfassungsrecht geschaffen hätte, das im sinne der demokratie gelebt würde. vielmehr ist sie aus der schlichten notwendigkeit heraus entstanden, nach den kriegen von 1871, 1914-1918 und 1939-1945 weiteres blutvergiessen mitten zu vermeiden. dabei setzten die gründunsväter der eu auf die hoffnung, gemeinsame industrien und gemeinsmer handel schafften verständigung.

daraus ist zwischenzeitlich zwar mehr als eine reine koordination von wirtschaftpolitiken entstanden, wohl aber kein astarierter gesamteuropäischer staat. unionsbürgerschaft und wahlen können nicht darüber hinweg täuschen, dass die eu vom europäischen rat dominiert und von der kommission geführt wird. weit fortgeschritten ist insbesondere der demokratisierungsprozess nicht, sodass man die eu besser an wirtschaftlich-pragmatischen kriterien misst als anhand demokratie-theoretischer.

und wenn schon, müsste man als politikwissenschafter mit schweizer hintergrund einwerfen, dürfte sich diese nicht auf institutionen der volksrepräsentation beschränken, sondern auch deren erweiterung durch direktdemokratische instrumente in betracht ziehen. mit diesen macht die eu erst zögerlich bekanntschaft. ein teil aus politik und administration sieht in der erhöhten involvierung der bürgerInnen durchaus die chance erhöhter legitimation. er ist deshalb bereit, auf auf bürgerInnen-partizipation einzugehen. ein anderer teil begreift das alles nur als lästige blockierung, die partikuläre interessendurchsetzung zulasten einer einheitlichen politik fördere.

die schweiz sollte sich in dieser debatte weder über- noch unterschätzen, ist meine antwort “zuhause”. unterschätzen würde sie ihre reichhaltige erfahrung gerade mit der bürgerInnen-beteiligung im politischen willensbildungsprozess, wenn sie diese nicht in den eu-aufbauprozess einbringen würde. überschätzten würde sie sich aber, glaubte sie, ihr spezifisch gewachsenes entscheidungssystem in der politik sei das einzig wahre in der politik.

die arroganz hüben und drüben abbauen
hinter beiden steckt eine unglaubliche arroganz im politisch-kulturelle sinne. denn die eu braucht dringend demokratisierungen ihrer technokratischen selbstverständnisses von politikgestaltung. die jüngsten ablehnungen von verfassungsentwürfen in frankreich, den niederlanden und in irland zeigen, wie verbreitet die distanz zu den menschen ist. ganz zu schweigen, dass es auch bedenken auf verfassungsebene in deutschland gibt und sich selbst politikerInnen in polen und tschechien sträuben, wenn die perspektive von unten in der willensbildung vernachlässigt wird. das alles gilt, selbst wenn es kaum ernsthafte kritiken an den wirtschaftlichen vorteilen des eu-projektes gibt.

umgekehrt braucht die schweiz dringend mehr spiegelungen ihres demokratischen selbstverständnisses. entscheidungen, die man einmal getroffen hat, sind verbindlich. gerade zu kalkulierbare wirtschaftliche verhältnisse zu sichern. so gut die schweiz in innenpolitischen fragen damit gefahren ist, dass man alles und jedes immer und wieder in frage darf, so problematisch ist das, wenn es um wrtschaftspolitische partnerschaften mit dritten geht. denn die unverbindlichkeit von zusagen auf der einen seite wird in der regel durch unverbindlichkeit von zusagen auf der anderen seite pariert. das klima des misstrauens, das so entsteht, ist keine basis für kooperation über grenzen hinweg. vielmehr nährt sie die polarisierung, die wir gegenwärtig erleben.

herausgeforderte schweiz
ein ja zur personenfreizügigkeit gäbe es nur, forderte christoph blocher an der albisgüetli-tagung 2008, wenn die eu darauf verzichte, weitere forderungen zum bankgeheimnis zu stellen. wer glaubt, unrealistische vorbedingungen zu verhandlungen stellen zu müssen, kriegt diese mit voller wucht zurück, denn das echo an die adresse der schweiz lautet heute: personenfreizügigkeit ja, wenn ihr die privilegien für euer bankensystem weiter wollt.

jorgo chatzimarkakis will mit seiner ökoliberalen idee die blockierende polarisierungen im deutschen parteiensystem verhindern. gut so, sag ich. wer verantwortung für politik und wirtschaft übernehmen will, muss auch polarisierungen zwischen partner abbauen helfen, füge ich an die adresse aller beteiligten bei.

soviel zur heutigen “zeit”!

stadtwanderer

amateurhafte “komm-in-die-schweiz”-einwanderungshilfe

“20 Minuten” brachte kurz vor dem wochenende die geschichte auf: auf “www.come-to-switzerland.com” würden auswanderungswillige deutsche auf die vorteile der einwanderung in die schweiz hingewiesen. was seither als heimtückische schlepperseite bekannt ist, erweist sich bei genauerem hinsehen als plumper fake im laufenden abstimmungskampf.

deutschland brennt wegen übermässigen sozialhilfeansprüchen, bald ist das auch in der schweiz so, ist die botschaft der neuen kampagnenwebsite

das phänomen ist bekannt die zuwanderung von deutschen in die schweiz hat unter den bedingungen der personenfreizügigkeit zugenommen. es ist namentlich im raum zürich zum gesellschaftlich kontroversen thema geworden. für die schweiz neu ist, dass es dabei zu einer überwiegend hochqualifizierten einwanderung kommt, die ungewohnte ängste auslöst.

einwanderungshilfe für hartz 4 empfänger …
seit dieser woche macht hierzu die website “come-to-switzerland” von sich zu reden. denn sie wirbt, vorerst aufs deutsche publikum fokussiert, für die einreise in die schweiz. angeboten werden dienstleistungen (“tipps und tricks”), wie man sich hierzulande dauerhaft niederlassen könne.

die angesprochenen sind aber keine ärztInnen oder sonstige fachleute, sondern ganz explizit “Hartz 4-EmpfängerInnen”. die formlose aufmachung der plattform und die saloppe sprache (“untige adresse”) verweisen auf eine frustrierte unterschicht in deutschland . ihr werden bei auswanderung deutlich bessere sozialleistungen in der schweiz im vergleich zu deutschland in aussicht gestellt.

das underdog-publikum, das so mobilisiert werden soll, muss jedoch für die beratung 3500 euro hinlegen. das sei, schreibt man, zwar viel geld, werde in der schweiz aber schnell wieder eingenommen. im vergleich zur konkurrenz verfüge man über eine “rundum-sorglos”-hilfe zu festen konditionen.

ungereimtheiten über ungereimtheiten
spätestens hier wird man stutzig. wanderungswillige, die 3500 euro (gut 5000 franken) zahlen können, wird es nicht viele geben. das bemängeln zwischenzeitlich auch andere blogs. da wird man offensichtlich verhökert. wer sich dennoch erwischen lässt, ist selber schuld. denn man bekommt eine unverbindliche kontaktadresse (“keine telefonische Beratung unter dieser Nummer”), aber sichtbar keine unmittelbare antwort. diese erfolge in rund 14 tagen, also nach der abstimmung in der schweiz …

amateurhaft wirkt vor allem das untrstellte übersetzungangebot für ausreiseinteressierte aus 9 eu-länder. ausser englisch und ein wenig polnisch funktioniert nämlich nichts. rumänisch und bulgarisch, heisst es, werde nach dem 8. februar 2009 aufgeschaltet.

eine bekannte firma oder ein seriöses projekt hinter dem angebot findet man ebenso wenig. vielmehr dürfte das ganze nach bekannter manier auf den schweizer blogger “leumund” zielen, beruflich in osteuropa tätig, privat mitglied der svp, der so blossgestellt wurde und sich zwischenzeitlich in der blogosphäre als abweichler von der svp-linie outen musste!

alle klar macht die recherche nach dem verantwortlichen für die plattform. genannt wird markus gäthke aus gladbeck, betreiber einer einmannfirma für websites. dieser bietet einfache und schnelle services für wenig geld an. das geschieht wohl automatisiert, weshalb unter haftungsausschluss ganz gross steht: “Der Inhaber dieser Hompage übernimmt keinerlei Gewähr für die Aktualität, Korrektheit, Vollständigkeit oder Qualität der bereitgestellten Informationen.” das macht sein angebot für vielerlei internetanbieter interessant, bei denen es nicht mit rechten dingen zu und her geht.

guerilla-marketing: medienaufmerksamkeit durch gags gewinnen
so bleibt der starke verdacht, bei der ausreisehilfe handle sich um ein fake aus der schweiz, ganz bewusst 10 tage vor der entscheidung zur personenfreizügigkeit ins netz gestellt, um hier die stimmung. via “20 minuten” ist das guerilla-marketing (“statt geld ausgeben medial wirksame aktionen lancieren”) auch gelungen, und es hat auch einigen hiesigen blogs gelegenheit gegeben, die sache weiterzuspinnen.

so hat www.winkelried.info den artikel aus dem gratisblatt gleich weiterverbreitet, wenn auch um einen symptomatischen absatz gekürzt:

“Was die Sache besonders dubios erscheinen lässt: Der Domain-Inhaber weist jede Verantwortung von sich und gibt keine Informationen über den Anbieter heraus. Es handelt sich also um eine anonyme Webseite, für deren Inhalt sich keiner so recht verantwortlich zeigen will.”

stadtwanderer

schweizer diplomatie und lübecker altstadt

er ist ehrenbürger der stadt lübeck. das hat auch aus lübscher sicht auch gute gründe. selbst wenn man in der schweiz zwischenzeitlich kritischer über ihn denkt, als dies in lübeck der fall ist.

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carl jakob burckhardt lebte von 1891 bis 1974 in der schweiz und irgendwo auf der welt. er lebte fast zeitgleich wie mein grossvater väterlicherseits. der generation meines vaters war er weitgehend noch ein begriff. meiner generation ist er weitgehend vergessen gegangen, nicht zuletzt, weil seine fachkollegen ihn immer kritischer würdigten.

lübeck wurde anfänglich von den kriegshandlungen verschont. doch am palmsonntag des jahres 1942 krachte es gewaltig über der stadt, als englische flieger sie bombardierten. die mächtigen glocken des grossen kirchturms bohrten sich damals in sekundenschnelle in den stadtboden, und sie sind da heute noch zu sehen. der dompfarrer predigte, das sei ein gottesurteil. die nazis verziehen ihm das nicht. er starb, nicht wegen den engländern.

1944 war das geschockte lübeck froh, von der kriegsdiplomatie zur offenen stadt erklärt worden zu sein. das machte sie zum umschlagplatz für lieferungen des roten kreuzes, und zum verhandlungsort für waffenstillstände. und es schützte die bevölkerung vor weiteren bombardierungen.

vermittelt hatte das lübecker abkommen von carl jakob burckhardt. der basler aus grossbürgerlichem hause hatte geschichte studiert und eine grossangelegte biografie von kardinal richelieu verfasst. zuerst wirkte er in zürich, dann in genf als professor für neue geschichte. schliesslich ernannte ihn der völkerbund zu ihrem hochkommissar in danzig. er sollte den speziellen status der freien stadt vermitteln, ohne dadurch einen krieg zu provozieren.

das hat burckhardt im ostseeraum gute beziehungen eingebracht und ihn auch geprägt. mit meiner “meine mission in danzig” hat er sein geschichtsträchtiges wirken gleich selber dargestellt. in lübeck verlieh man dem schweizer diplomaten nach dem krieg die ehrenbürgerschaft der stadt, und der publizist erhielt im kalten krieg auf den friedenspreis des deutschen buchandels. nicht viele schweizer sind in deutschland so geehrt worden!

während meiner eigenen ausbildung als historiker lernte ich die figur burckhardt erstmals kennen. ich schrieb eine diplomarbeit über schweizer aerzte, die mit den soldaten nach russland gingen, um für das rote kreuz tätig zu sein. faktisch waren sie aber ein teil der wehrmacht. das machte ihr humanitäres wirken politisch fragwürdig.

genau in diese schwierigkeit ist auch burckhardt, seit 1945 präsident des ikrks, geraten. in der schweiz kritisierten ihn publizisten und historiker, dass das rote kreuz den rassenmord im dritten reich nicht verurrteilt habe. burckhardts schweigen, seine zwiespältige haltung gegenüber dem antisemitismus sowie seine ablehnung von demokratie werden heute kritisch untersucht. vorgeworfen wird ihm, sein hass auf den kommunismus habe ihn so weit getrieben, den nationalsozialismus als das kleinere übel von beidem zu akzeptieren und sich mit ihm zu arrangieren.

selbst wenn ich das intellektuell auch teile: wenn man heute als schweizer in lübeck in der altstadt, die zum weltkulturerbe der unesco zählt, oder wenn man vor dem carl-jakob-burckhardt-gymnasium der stadt steht, wirkt die kritik schnell relativ.

stadtwanderer

vorhang zu!

nun sind wir also in der lübeck. der hansestadt überhaupt. denn hier fand zwischen 1357 und 1669 sehr häufig der hansetag statt. damit führte man die auf der ost- und nordsee treibenden städte in wirtschaftlicher und militärischer hinsicht. eine würdige kulisse für den abschluss der ferienreise des stadtwanderers!

luebeck-loewenapotheke.jpgdie hanse war ihn ihrem besten tagen eine weltmacht. das machte die stadt interessant. und so haben mehrere kaiser und auch der russische zar ihr (vor uns …) ihre aufwartung gemacht.

karl iv., der von der prager karlsbrücke, beispielsweise lobte lübeck in allen tönen. er hob die stadt an der trave auf die höhe von venedig, und er verglich es in seiner bedeutung mit rom, florenz und pisa.

10 tage hielt sich das gealterte kaiserpaar 1375 in der hansemetropole auf. angereist war man über mecklenburg, wo seine vierte frau, elisabeth, herkam, den einzug in die stadt bereitete man von westen her vor, durch das heutige burgtor.

vor der stadt zog man in st. getruden die reisekleider aus, um in die prunkgewänder zu steigen. der bürgermeister von lübeck überreichte dem paar die stadtschlüssel, einem symbolischen akt der unterwerfung.

karl und elisabeth zogen dann zu fuss bis ins zentrum, in den dom, wo der bischof die messe las. anschliessen ging karl den geschäften im rathaus nach. elisabeth wiederum bezog an der königstrasse die gemächer in der heutige löwen-apotheke. der kaiser und die kaiserin erhielten je eine eigene bleibe, dies- und jenseits der strasse. auf dem 1. stock hatte der stadtrat die häuser mit einer brücke verbunden. und ganz lübeck war gespannt, wer des abends wen besuchen würde.

die legende, die viele versionen kennt, berichtet unter anderem, man habe sich, ordentlich wie man war, jeweils auf der mitte der brücke getroffen, um einander gute nacht zu wünschen.

es mutet fast schon seltsam an. auch wir sind am mittag in die stadt gekommen und haben, ohne es zu ahnen, in st. gertruden parkiert. ich habe dann mein bluttfüsse gegen schuhfüsse eingetauscht. und so sind wir zur brücke beim burgtor gegangen. die messe haben wir ausgelassen, den dom haben wir nun kurz besichtigt. dafür waren wir schnurstracks im rathaus, um uns herrlich zu verköstigen.

leider, leider sind wir aber kein kaiserpaar, und so können wir nicht 10 tage in der stadt von thomas mann und willy brandt bleiben. die pflicht ruft uns in die schweiz zurück! und deshalb müssen wir den autonachtzug in hamburg-altona anpeilen. und sollte es im liegewagen gaffer haben, kann ich sie jetzt schon beruhigen: wir haben kajütenbett, nicht neben-, sondern übereinander, die mit einer leiter verbunden sind. und wir werden den vorhang zuziehen, wenn wir uns gute nacht wünschen!

stadtwanderer

bild: löwen apotheke in lübeck, ältester profanbau in der hansestadt, der noch steht, und absteige der kaiserin elisabeth von pommern 1375

“twieten” in der holsteinischen schweiz

das gebiete zwischen kiel und lübeck heisst holsteinische schweiz. ein naturreservat befindet sich in der grossen ebene. die hat auch zahlreiche seen, und mitten drin die kleinstadt plön.

oben auf dem einzigen hügel steht weit und breit das markante schloss von plön. rund herum liegt das mittelalterlich anmutende städtchen plön. rote backsteinhäuser prägen den charakter der stadt.

2413671374_efa6783da3.jpgund twieten!

das ist plattdeutsch. es meint dazwischen. als twieten bezeichnet man in plön die meist enge gassen zwischen den häusern. bisweil könnte man sie mit eine pw befahren, meisten jedoch reicht es gerade für ein fahrrad.

die twieten geben alle auf den rathausplatz am fusse des schlosses. sie sind nicht nur verkehrs-, sondern auch wasserwege. wenn es brannte, musste man die twieten allgemein nutzen können. die feuerwehr brauchte sie für den wassertransport mit handkübeln, denn natürliche pumpen für wasser auf dem hügel in der ebene versagten ihren dienst.

heute spaziert man gemütlich in den vielen kleinen und kleinsten gassen von plön. für den stadtwanderer eine ausgesprochen interessante angelegenheit, bei der man sich rasch im häusermeer verliert, und verdursten könnte …

stadtwanderer

bild: rossamente

das untruegerische symbol fuer ferien

das weiss steht für reinheit und unschuld. im blau wiederum vermengen sich freundschaft und harmonie. doch es ist nicht schnee und himmel, die sich in der mutter aller cremes spiegeln. vielmehr steht die pharmakologische revolution „nivea“ für den unverkennbaren duft von ferien!

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ferienstimmung total (foto: stadtwanderer)

die firma beierdorf ag in hamburg macht heute 2 milliarden umsatz jährlich. sie produziert eine ganze linie von hautcremes, die uns, wie keine andere, licht versprechen, weil sie uns vor dem licht schützen. die meisten verpackungen sind mittlerweise aus plastik; und ihr deckel reflektiert sein einiger zeit auch das sonnengelb als dritte farbe.

klassisch ist aber die flache dose mit dem eleganten schriftzug auf dem lack, welche die mutter nach dem abwaschen aus dem spiegelschrank nahm, um sie die strapzierte haut zu pflegen.

1925 nahm die globale erfolgsgeschichte der niveau ihren am anfang. auf den markt gebracht wurde die hautcreme drei jahre früher, zuerst in grün-gelb verpackt. erfunden wurde sie von dr. oskar troplowitz, einem schlesischen pharmakologen und philosophen, der die firma beiersdorf 1890 vom desillusionierten gründer erworben hatte.

zuerst formte er eine schlagkräftige forschertruppe. Er führte als den 8 stundentag ein, den mutterschutz und die betriebliche altersvorsorge. Und er bezahlte seinen mittarbeiterInnen den urlaub. damit war die vision des philosophen gesetzt: den menschen zu einem ausgeglichenen und angenehmen leben im alltag zu verhelfen!

1911 erweiterte troplowitz das aufstreibende unternehmen, das er zwischenzeitlich in hamburg angesiedelt hatte, um eine bremer firma. damit gelangte der tüftler an der spitze des unternehmens in den besitz des verfahrens, mit dem man aus wollfett einen emulgator herstellen konnte, der vaseline und wasser verband und damit die produktion stabiler hautcremes versprach. dank seiner eigenen weiterenwicklung entstand bis 1922 nivea als marktreifes produkt aus öl, wasser und wohlfett. Zitronensäure, rosen- und maiglöckenöl geben der creme ihren unwechselbaren duft.

wenn ich heute meine sun milk in die hand nehme, um mich nach dem bad zu pflegen und auf den warmen sommertag vorzubereiten, ist mir der hintergrund nur noch am rande präsent. ich habe ihn in einem buch über erfinder gelesen, dann aber wieder vergessen.

denn nivea steht auch für mich zu einem produkt, das man erfinden müsste, würde man es nicht haben. so selbstverständlich es geworden ist, so jung ist doch die story, die aus der echten sensation in der pharmakologiegeschichte entstand und fast ein wenig wie eine alchemistische revolution wirkt.

ich danke es ihr an diesem sommertag, der so herrlich blau beginnt und meine noch fast weisse haut hoffentlich schön bräunen wird.

stadtwanderer

grenzerfahrungen

überschreitet man die grenze zwischen der schweiz und einem eu-mitgliedsland, erwartet man fast automatisch schwierigkeiten. und siehe da: nichts davon! nimmt man dagegen die fähre von deutschland nach schweden, rechnet man mit einer innereuropäischen grenze, die aufgehoben worden ist. und siehe da: ebenfalls nichts davon!

karte-eu25.jpgeinkaufen in kiel, schleswig-holstein, deutschland, europäische union: „citti“ heisst der riesige supermarkt ausserhalb des stadtzentrums. alles gibt es, was das herz begehrt; und günstiger ist es erst noch, als die schwedische krone es zulässt. schnaps, wein und bier finden hier reissenden absatz. auch unsere aufmerksamkeit ist darauf konzentriert. vor allem auf das tschechische pilsner urquell in dosen, das man in schweden kaum kaufen kann.

doch die kasse im kieler “citti” erweist sich unerwartet als komplizierte eu-binnengrenze: ein pilsner nimmt man nicht mit, wenn man von schleswig-holstein nach schweden (oder norwegen) geht, sondern exportiert es. das wiederum darf man traditionesgemäss nur, wenn man einen gültigen schwedischen (oder norwegischen) pass hat. dann gelten spezielle regelung fuer den ost- und nordseehandel. ohne das exklusive papier gelten diese jedoch nicht. sodass man kein tschechisches pilsner urquell exportieren darf.

weil es anders als auf allen bierdosen auf den pilsner büchsen kein pfand gibt, duerfen eu-passbesitzerInnen (und schweizerInnen) pilsner urquell-dosen nicht von deutschland nach schweden nehmen. denn fuer diese gilt der pfand-zwang. das erklärt uns nicht nur die etwas ungeduldige kassierin, sondern auch der eilends herbeizitierte filialleiter.

selbst das angebot, das pfand von 25 cent pro dose in schleswig-holstein direkt zu bezahlen, lehnt er mit erneutem hinweis auf das eu-recht ab. ohne schwedischen pass oder wenigstens fuehrerschein mit stempel aus stockholm gibt es einfach keine ausnahme!

wir folgern: nur das gute bier können wir mitnehmen, doch die dose rund herum duerfen wir nicht exportieren. so bleibt uns nur die wahl, die 48 dosen pilsner urquells an kasse des kieler citti auszutrinken, oder sie in schlewig-holstein einem schweden für den export von der eu in die eu zu überlassen – nach veraltetem ostseerecht.

echt, eine grenzerfahrung …

stadtwanderer

republikanische suedlichter

„hoch, hoch lebe die republik!“, rief die menschenmenge am 21. september 1848 vor dem rathaus von lörrach. gefeiert wurde an diesem tag und an diesem ort die proklamation der ersten „deutschen republik“.

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im innern des gebäudes hatte gustav struve lörrach zum provisorischen sitz der neuen deutschen regierung erklärt. innert weniger tage verfügte sie über ein territorium von rund 20 kilometer rund um die südliche grenzstadt zur schweiz und zu frankreich.

während monaten hatte sich struve in basel auf diesen revolutionären akt vorbereitet. freiheitsrechte wurden versprochen, sozialer ausgleich ebenfalls, und die verhassten steuern an den grossherzoglichen hof sollten abgeschafft werden.

in lörrach angekommen fackelte struve nicht lange. bereits im märz ´48 war ein erster aufstand der republikanisch gesinnten südlichter gescheitert. das sollte sich jetzt nicht mehr wiederholen! deshalb wollte struve die revolution von oben her erzwingen.

unmittelbar nach der historischen proklamation liess struve in lörrach ein revolutionsheer ausheben, das nach karlsruhe marschieren sollte, um den gedanken der republik auch den etappenweise nordlichtern beizubringen.

nur 9 tage zuvor war in der benachbarten schweizerischen eidgenossenschaft die neue verfassung des bundesstaates in kraft getreten. sie garantierte die ersehnten freiheiten, welche die freisinnige bewegung im sonderbundeskrieg ein jahr zuvor gesamtschweizerische durchgesetzt hatte. das diente im grossherzogtum baden als vorbild.

doch in de schweiz konnte man sich auf die verfassungen in den regenerierten kantone stützen, die zwischen 15 und 18 jahre zuvor im geiste der liberalen französischen revolution von 1830 ausgedacht und eingefuehrt worden waren. diese positive erfahrung fehlte in “deutschland”: die mainzer republik, ganz im geiste der französischen revolution 1793 gestartet, scheiterte bald, und auch die 1830er bewegung erfasste nur die studenten, nichts das volk. diese hatte sich 1832 erstmals im badischen neustadt auf dem hambacher schloss versammelt, um ein republikanisches fest zu feiern. an die schalthebel der politischen macht war es aber nirgends gekommen.

gustav struve schreckte im herbst 1848 nicht davon zurück, mit gewalt der republikanischen bewegung zum durchbruch zu verhelten. die aktion scheiterte schliesslich am widerstand der fürsten rundherum. die anführer wurden zum tod verurteilt oder eingesperrt. es bauchte zwei weltkriege brauchte, um der demokratie in der bundesrepublik deutschland zum durchbruch zu verhelfen.

ein abendlicher spaziergang durch die lörracher altstadt lässt uns dennoch die 48er episode, die hier ihren anfang nahm, erinnern. vielmehr zeit als für dieses zwischenspiel haben wir auch nicht.

denn auch wir kommen aus basel und machen in lörrach nur einen zwischenhalt, um den nachtzug zu nehmen, der uns im schlafwagen von lörrach ueber karlsruhe nach hamburg-altone durch das demokratisch geworden deutschland führt. um ganz zu unseren heutigen nordlichtern zu gelangen …

stadtwanderer

quelle: die strasse der demokratie, ein reisebegleiter auf den spuren der freiheit, kalsruhe 2007