besuch in ebikon, der politischen mini-schweiz

der zufall wollte es, dass ich am letzten samstag in luzern war. tags zuvor hatte ich von ebikon gehört, der gemeinde in der lozärner agglo, die fast immer so stimme wie die schweiz. meine erkundigung vor ort.

ganz neu war mit das nicht. das projekt „predikon“ (vorhersagen mit ebikon) kannte ich schon. denn die forscher der eth lausanne hatten mit unserem institut kontakt aufgenommen. angerufen hatte mich am freitag auch der „tagi“, der wissen wollte, ob die neue erkenntnis die umfrageforschung revolutionieren werde. ich winkte ab. denn die idee, eine region statt der ganzen schweiz zu befragen, stamme aus den 60er jahren des 20. jahrhunderts. damals sei der mythos entstanden, der aargau sei das kleine abbild der schweiz. die wahlforschung zu den nationalratswahlen 1963 konzentrierte sich deshalb auf eine vertiefte analyse dieses durchschnittskantons, um über alle und alles eine aussage zu machen. bewährt hat sich das vorgehen nicht, weshalb man in der folge darauf verzichtet, und zu einer statistischen zufallsauswahl der orte und der personen überging, um repräsentative umfragen zu erstellen. immerhin, ich begann mich für ebikon zu interessieren – mehr als kaledoskop, das die vielfalt der schweiz auf den punkt bringen könnte. also nutze ich die freien stunden in luzern, um die vorortsgemeinde als stadtwanderer zu besuchen.

das erste, das einem an äbike, wie es auf mundart heisst, auffällt, ist die langgezogene hauptstrasse. sie bändigt den autoverkehr zwischen luzern und zug. und sie teilt, vereinfacht gesagt, ebikon in ein traditionelles dorf und eine moderne stadt.
in alt-ebikon ist die kirche das auffälligste. auf einem hügelkamm gebaut, ist sie gut sichtbar. wenige holztreppen führen zu „unserer lieben frau“ hinauf, wie man das gotteshaus nennt. gehalten ist es im baroken stil, gebaut worden dürfte es im 17. oder 18. Jahrhundert sein. auf jeden fall schafft sie sofort identität im ortsbild. der besuch des inneren machte jedoch klar, dass wohl nur noch der chor aus früheren zeiten stammt. denn der rest nüchtern gehalten und erinnert einem an eine renovation in den 70er jahren des 20. jahrhunderts.
wer in ebikons geschichte gräbt, findet erstaunliches. so war der ostfränkische könig lothar II., genannt der deutsche, 853 in der marcha abinchova, um die unterstellung seiner güter unter das fraumüsterkloster in zürich zu regeln. gemeinhin gilt das als die ältestes urkunden über ebikon, denn aus dem lateinischen abinchova wurde im deutschen ebinkofen und im schweizerdeutschen ebikon.
damit nicht genug an ausländischer prominenz vor ort! denn auch könig sigismund von ungarn, der disgnierte kaiser zu seiner zeit, machte 1417 in ebikon halt, um die unterordnung der gegend unter die aufstrebende stadt luzern zu regeln, die zu den eidgenossen hielt. das hatte hand und fuss, denn dort blieb man bis 1848. seither ist ebikon eine eigenen politische gemeinde, die seit neuestem zum wahlkreis luzern-land gehört.

wer heute nach ebikon kommt, merkt von der vergangenheit aber nicht mehr viel. es dominiert die gegenwart. denn neu-ebikon wirkt in vielem, als wäre es es in der retorte entstanden.
verändert hat sich ebikon vor allem nach dem zweiten weltkrieg. mit dem einzug der firma schindler, die aufzüge produziert, setzte die rasche industrialisierung des ortes ein. aus dem stattlichen bauerndorf mit gut 2000 einwohnern wurde in kurzer zeit eine stadt mit 12000 bewohnern. geändert hat sich auch ihre zusammensetzung. gut 20 prozent sind ausländer. die serben stellen die grösste gemeinde. die römisch-katholiken sind immer noch in der mehrheit; an die zweite stelle haben sich aber die gläubigen nicht-christlicher konfessionen geschoben. evangelisch-reformierte gabe es hier immer nur wenige, heute sind jedoch sie noch seltener als die konfessionslosen.
grosser einschnitt in der jungen stadtgeschichte war die verlagerung des autoverkehrs auf die autobahn. 100 millionen schweizer franken investierte der kanton in das projekt. 2011 wurde der tunnel in betrieb genommen, der die zu- und abfahrt regelt. verschwunden sind damit die chronischen verstopfungen der hauptstrasse; geblieben ist aber eine luft, die mir alles andere als frisch erschien.
ohne den pulsierenden verkehr in der mitte fällt einem rechte stadtteil umso mehr auf. ganz anders als das dorF ebikon mit in seinem unverwechselbaren luzerner landstil, wird er durch moderne, funktionale gebäude geprägt. geschäfte aller art finden sich hier, auch restaurants und hotels gibt es. eine identität hat dieses quartier allerdings nicht. denn die häuser erinnert einem an eine irgendwo, nicht an eine hier.

müsste ich ein grösseres porträt ebikons schreiben, hätte es die folgenden kapitel: unbekannte anfänge, der verkehr, die bauern-, industrie- und dienstleistungsgesellschaft, das bevölkerungswachstum – und die prominenten und den anonymen ausländer. der titel hiesse vermutlich. vom dorf zur stadt in der agglo luzern. denn der soziologe in mir erkennt sofort das typische an ebikon für die schweiz – wenn auch die grosse sprung mit der veränderung zur moderne später, dafür schneller einsetzte.
das alles blieb übrigens nicht ohne folgen für die politik. bis zur wachstumsphase eine stammlande der katholisch-konservativen, der vorläuferpartei der cvp. sie ist bis heute die grösste partei vor ort und stellt den gemeindepräsidenten. doch der gemeinderat ist pluralistisch zusammengesetzt. cvp, fdp, sp und svp haben je eine vertretung, parteilose ebenso. polarisierung hätte das politische kapitel in meinem fiktiven buch geheissen. damit wäre in der durschschnittsschweiz weiterhin aus der spur geblieben. doch wäre die spannende fährte hier möglicherweise zu ende gewesen. denn anders als die schweiz als ganzen nahm ich ebikon nicht wirklich politisiert war.
aktuell diskutiert man vor ort die einführung eines gemeindeparlamentes, wie es andere vorortsgemeinden von luzern auch kennen. alle parteien sind dafür, nur nicht die cvp. sie zieht es vor, auf die herkömmliche art und weise die fäden zu ziehen, sprich via kommissionen meinungen zu bilden und dann zu entscheiden. „direkte demokratie“ nennt sie das auf ihren plakaten, denn der bürger habe bei allen entscheidungen stets das letzte wort. die erneuerer sehen das ganz anders. in leserbriefen rufen sie auf, öffentlichkeit zu schaffen, damit man wisse, was komme und mitreden könne. sie beklagen, mit der abschaffung der gemeindeversammlung sei das politische leben in ebikon weitgehend zum erliegen gekommen, sodass es heute mit einem parlament geweckt und demokratisiert werden müsse.

wäre ich nach ebikon gegangen, um mich über die eidgenössische politik zu informieren, wäre ich ziemlich ratlos geblieben. plakate zu ecopop, pauschalbesteuerung und nationalbankgold habe ich während meines kurzes aufenthaltes nämlich keine gesehen. national war ich nicht im abbild der schweiz, eher im niemandsland. das politischste, das ich in der lokalzeitung fand, war der bericht über die gut besuchte versammlung der svp vom vorabend, die über die anstehenden regierungsratswahlen diskutierte und an der christoph blocher referierte. seine partei lobt er als eine mit sinn für finanzen, was im kanton luzern heute am wichtigsten sei. nationale themen sind, gemäss luzerner zeitung, nicht diskutiert worden. schade, denke ich, denn zu gerne hätte ich gewusst, wie die lokale svp zu gold und ecopop steht.
auch in meinen gesprächen in restaurants wurde ich nicht schlüssig. die zwei jungen frauen am ersten tisch büffelten für die lehrabschlussprüfung, die eine stellte fragen, die anderen versuchte zu antworten. politik interessierte sie nicht wirklich. das älteres ehepaar am zweiten tisch meinte, man habe sich seine meinung gebildet, behalte es aber gerne für sich. So liess ich es rasch bleiben. erst am dritten tisch bekamm ich auskunft. ecopop müsse abgelehnt werden, sagte mir ein mann im mittleren alter. die ausländer hätten ebikon stark verändert, ohne sie würde aber hier wie überhaupt in der schweiz vieles nicht mehr funktionieren.
somit blieb mir nur der kurze hinweis des gemeindeammanns auf tagesanzeiger online, der sich ebenfalls in ebikon umgehört hatte. er rechne mit drei nein, so wie es die umfragen auf nationaler ebene auch sagen würde. bingo!

stadtwanderer

das kulturell gespaltene mittelland immer wieder vereinen

seit einigen tagen beherbergt das vindonissa museum eine sonderausstellung zu alten kulturellen grenzen in der schweiz. damit soll das wissen über den “rösti-graben” vertieft werden. das museum möchte, dass dieser als immaterielles kulturerbe der unesco aufgenommen wird.

BKSVM_Ausstellungen_Roestigraeben_Plakat_TeaserImageInpage_25letzte woche referiert gleich zwei spezialisten zum röstigraben in brugg. laurent flütsch erhellte den langen zeitraum des themas, mir oblag es die mittlere und kurze dauer zu beleuchten. der lausanner archäologe hatte 5000 jahre vor augen, ich 500 jahre. beide erkannten wir, dass das mittelland ein durchgangsgebiet war und ist, das man von zwei seiten begehen kann. entsprechend finden sich seit menschengedenken und weit darüber hinaus grenzen im mittelland. sie verliefen nicht immer am gleichen ort, kulturell war die gegen über vielfach geteilt. Namentlich die römer entwickelten darüber hinaus eine herrschaft. ganz einheitlich war auch die nicht. denn das gebiet der heutigen schweiz gehörte damals zu vier verschiedenen provinzen. mit dem rückgang der römischen herrschaft entwickelten sich auch die kulturellen gegensätze neu.

der wiener kongress, der 1815 die grenzen der modernen schweiz festlegte, griff auf den gedanken der herrschaft über den kulturen zurück, und ordnete das mittelland neu. die heutigen kantone entstanden, die 1848 im neuen bundesstaat zusammengefasst wurden. namentlich bei volksabstimmungen von grundsätzlicher bedeutung zeigen sich die unterschiedliche befindlichkeiten und eigenheiten aber mit schöner regelmässigkeit.

mit meinem vortrag bin ich der wortgeschichte der gräben in der schweiz, aber auch des röstigrabens nachgegangen. heute wird immer klarer, dass es ein thema aus der zeit des ersten weltkriegs ist. zu den neuen erkenntnissen gehört, dass die verteidigungslinie, auf die sich die schweizer armee im kriegsfall von westen her zurückgezogen hätte, ziemlich genau der sprachgrenzen verlief.
mich interessiert aber nicht nur, wie der graben zwischen romanen und germanen entstand. ich habe mich auch damit beschäftigt, wie er immer wieder überwunden wird. dazu habe ich drei thesen entwickelt: der verdienst vereint, die periphere lage in den sprachregionen ebenso, und auch die geschichte des raumes, die man sich immer wieder erzählt, bildet ein amalgam zwischen den völkerschaften, die sich zur schweiz zählen.

das vindonissa Museum zeigt zu diesen Themen eine neu konzipierte Ausstellung. es wagt beispielsweise den versuch, die vier gaue der kelten, die caesar so ungenau beschrieb, anhand kultureller spuren zu fassen und in die theorie der spaltungen des mittellandes einzuordnen. es zeigt aber auch, dass selbst die “nationalhymne” der schweiz, auf deutsch und französisch, nach der gleichen melodie gesungen wird, typischer aber nicht nach dem gleichen text. dabei handelt es sich nicht einmal um ein übersetzungsproblem, sondern um unterschiedliche Vorstellungswelten.

auf jeden fall ist ein besuch empfehlenswert.

stadtwanderer