die herbstsaison des stadtwanderers

ein heftiges gewitter, wie letzte woche, und das jahr mutiert vom hochsommer zum spätsommer. zeit, das programm für die herbstsaison des stadtwanderer bekannt zu geben!auch eine art donnergrollen in den gassen von bern und biel/bienne.

21.9.2012 in der stadt bern
direktdemokratInnen aus uruguay: “demokratisierung der demokratie – erfahrungen der schweiz”

zwei tage vor der eidg. volksabstimmung vom 23. september 2012 führe eine spannende gruppe aus lateinamerika, dem wachsenden markt für direkte demokratie, durch die hauptstadt der schweiz.

27.9.2012 in der stadt bern
kiwanis dornach: “bundesbern – was sie darüber schon immer wissen wollten!”

christian miesch, ex-nationalrat, versorgt mich unvermindert mit gruppen aus dem baselbiet, die sich brennend für bundespolitik interessieren.

1.11.2012 in der umgebung von biel/bienne
regierungsrat kanton bern: “zu ehren von andreas rickenbacher, regierungspräsident des kantons bern”

andreas war mal mein mitarbeiter, jetzt ist er regierungspräsident. extra für seine feier als höchster bern stehe ich morgens sehrsehr früh auf.

3.12.2012 in der stadt bern
schweizerische bankiervereinigung: “geld und geist”

eine wichtige branche der schweizer wirtschaft entdeckt die bedeutung der bundesstadt. ein wanderndes gespräch über vergangenheit, gegenwart und zukunft des verhältnisses von politik und wirtschaft.

14.12.2012 in der stadt bern
kpm executive mba für höhere bundesangestellte: “wie bern zur demokratie fand – und warum das gut ist!”

mein klassiker: vom traditionellen patriziat zu modernen volksabstimmungen, wozu konservative städte (und kantone) fähig sind, und was dabei aus ihnen wird …

hinzu kommt, am 17. oktober 2012, die vernissage zu “wie viel bern braucht die schweiz?” von stephan von bergen und jürg steiner, an der ich im hodler saal des alpinen museums vor dem bild “aufstieg und absturz” eine einführung zum selbstkritischen buch halten werden.

stadtwanderer

thun-panorama öffnen

thun, samstag morgen: die meisten zieht es an diesem heissen spätsommertag wie üblich an den markt im bälliz. ich ziehe den kühlen schadaupark vor, genau genommen das wocher museum.

marquard wochers thun: ausschnitt aus dem ältesten erhaltenen rundbild der welt

7,5 meter hoch ist das wichtigste gemälde des basler künstlers marquard wocher – und 38 meter lang. genau genommen rund. denn das thun-panorama ist ein imposantes bild ohne anfang und ohne ende. mehr noch: es ist das älteste rundbild der welt, das erhalten geblieben ist.

zu beginn des 19. jahrhunderts machte wocher seine skizzen auf einem dach von thun: die häuser, die menschen und die berge fing er dabei probeweise ein. 1809 malte er dann das bild in basel aus der erinnerung, die sich auf seine entwürfe stützt konnte. 1814 war er nach 5 jahren sinnes- und gedankenarbeit fertig.

wie dokumentarische vergleiche vom selben kamin aus zeigen, an den sich wocher seinerzeit gelehnt hatte, ist ein realistisches rundumblick der berner oberländer metropole entstanden. 300 personen der stadt, die damals keine 5000 einwohnerInnen zählte, sind so in ihren stuben, an ihren fenstern und auf den engen strasse porträtiert worden. pferde hat’s, auch hunde und katzen vielerorts. “nur vögel findet man keine auf dem bild”, sagt siegfried schertenleib, der präsident des fördervereins, an der heutigen führung für donatoren, geehrt durch die präsenz des neuen stadtpräsidenten raphael lanz.

ohne das vereins-engagement hätte dem bild das gleiche schicksal gedroht, wie den meisten rundbildern, die seit dem späten 18. jahrhundert beliebt waren, dann aber von der fotografie angelöst wurden. 600’000 schweizer franken hat der förderverein zusammengebracht, um es zu restaurieren und das museum erweitert neu zu gestalten. die stadt thun und der kanton bern leisten ihrerseits je einen namhaften obulus zum erhalt des kleinods.

peter salvisberg, der vize des vereins, weiss den glücksfall mit wenigen worten zu illustrieren. zuerst hing das bild in wochers basel, dann wurde es der stadt thun geschenkt, ging vergessen, lagerte falsch, bis es 1960 dank der gottfried keller stiftung ein erstes mal restauriert und im neuen museumsbau im schadaupark ausgestellt wurde. nun ist die heutige generation gefordert, es der nachwelt aufpoliert zu überlassen.

der breiten öffentlichkeit war das juwel übrigens lange kein begriff – was sich nun ändern soll. denn es ist nicht nur in bälde 200 jahre alt; es hat auch potenzial: altersausflügler aus dem kanton bern könnte es faszinieren, schulklassen aus der ganzen schweiz interessieren, und selbst den internationalen tourismus, der auf natur, geschichte und kunst setzt, könnte es vermehrt nach thun locken.

die öffnung des werkes für die welt ist indes eine herausforderung, die der berühmten quadratur des kreises gleich kommen könnte. denn mit wochers opus wird das weltbild aufkommenden romantik dargestellt, mit dem man sich von dem der moderne abwandte, das zentrum in sich und nicht im andern suchte, was, wie kaum etwas anderes, zum wesen eines jeden rundbildes gehört. und zu thun passt!

stadtwanderer

thomas bucheli erklärt

thomas bucheli, übernehmen sie!, lautete meine aufforderung, mitten im grossen wetterleuchten am donnerstag abend. und der star-meteorologe des sf übernahm. hier seine antwort zum seltsamen nachtspektakel.

Guten Abend Herr Longchamp

Bei Ihren Aufnahmen handelt es sich um eine doch sehr spezielle (sehr schöne) Form von Wetterleuchten. Wetterleuchten unterscheidet sich per Definition vom eigentlichen Blitz-Gewitter dadurch, dass man eben keine “scharfen” Blitze sieht. Die Wolke(n) leuchtet einzig von innen her auf; es gibt (oder man sieht) keine wolkenübergreifenden Entladungen und auch keine Wolken-Boden-Blitze durch den unbewölkten Teil der Atmosphäre; man sieht also keinen eigentlichen Blitz.

Wichtig für das Wetterleuchten scheint – gemäss Definition – auch ist die Tatsache zu sein, dass man keinen Donner hört. Dies ist indes nur möglich, wenn das Gewitter sehr weit (weit genug) vom Beobachter entfernt ist. Dann erreichen die Schallwellen des Donners das Ohr des Beobachters nicht mehr – oder sind viel zu schwach, als dass der Beobachter es noch wahrnehmen kann. Insofern scheint mir Ihr Fall eben besonders speziell, da aufgrund ihrer Aufnahmen die Gewitterwolke doch relativ nahe erscheint. Es ist daher anzunehmen, dass zusätzlich noch ein etwas stärkerer “Schalldämpfereffekt” durch die Wolkenpartikel eine Rolle spielt.

Da die Mehrzahl der Blitz.-Entladungen innerhalb der Wolken stattfinden (und nicht zwischen Wolken und Erdoberfläche) ist die Chance für das Beobachten von Wetterleuchten im Prinzip recht gross. Man muss aber dennoch Glück haben, dass dieses Phänomen sich derart spektakulär und “ausgereift” präsentiert wie Sie es gesehen haben. In den meisten Fällen ist die Distanz zur Gewitterwolke viel zu gross, sodass man die Struktur der Wolke nicht mehr in all ihren Details erkennen kann.

Ich grüsse Sie freundlich

Thomas Bucheli

seltsames nachtspektakel

kein einziges mal donnerte es. dabei blitzte es minuten lang. gibt es in unserem breitengraden wetterleuchten?


bild: bärbi

es war windstill. über der stadt bern hing eine merkwürdige wolke. zuerst war sie rund und klein. sie unterschied sich vom klar himmel deutlich. dann dehnte sie sich aus, immer mehr, immer schneller, bis sie den halben horizont füllte. das beste daran: mitten in der wolke tobte ein gewitter. doch kein blitz tauchte hinunter auf die erde. und kein grollen des donners war zu hören.

das unübliche gewitter dauerte minuten. das nächtliche spektakel war so seltsam, dass man bewundernd dachte, es würde stunden dauern.

von der expandierenden wolke sah man nicht nur das weiss der bällchen, nein, wenn es blitzte, erhellte dies die ganze wolke. wie ein gesicht hing sie dann für den bruchteil einer sekunde am himmel.

und gab keinen laut von sich!

sowas gesehen habe ich hierzulande noch nie. von einem wetterleuchten in unseren breitengraden habe ich auch noch nie gehört oder gelesen.
und so sage ich: thomas bucheli übernehmen sie den fall!

stadtwanderer

wie viel bern braucht die schweiz?

sechs gute gründe propagieren stephan von bergen und jürg steiner von der “bernerzeitung”, wenn es um berns vorteile für die schweiz geht.

was an konkreten antworten kommt, verrate ich hier nicht. denn es steht im vorwort zum buch “Wie viel Bern braucht die Schweiz?”, das die beiden journalisten auf der basis ihrer zahlreichen serien und hintergrundsberichte zum thema bald schon herausbringen werden. ich habe es eben im entwurf gelesen, denn ich soll bis freitag entscheiden, ob ich an der buchpräsentation die würdigung halten will.

ich werde es machen, denn ich bewundere, wie ein historiker und ein geograf berns vergangenheit, gegenwart und zukunft behandeln, wenn sie nicht im stillen kämmerlein forschen, sondern mit aus der aktualität fragen und antworten, die sich stellen und die gegeben werden, in ihre texte verweben. das manuskript hat zug, man liesst es gern, und es ist gespickt mit unterhaltsamer information einerseits, tiefergreifenden gedanken anderseits.

ein wenig bin ich sogar neidisch, dass kein politologe, keine soziologin, kein(e) ökonomIn das wichtige zum thema so klar und deutlich auf den punkt gebracht hat, wie die beiden zeitpunkt-redaktoren. denn da wäre durchaus das eine oder andere zu sagen gewesen – aus den reihen der hiesigen sozialwissenschaften. jetzt ist es zu spät: denn der berner stämpfli-verlag kündigt das erscheinen des buches in der warengruppe “politikwissenschaft” an!

so, jetzt ist aber fertig mit ankündigungen, mehr erst an der vernissage. bis dann kann meine geneigte leseschaft schon mal die eingangsfrage auf ihrer sicht beantworten …

stadtwanderer

ps: wer meint mit bern sei hier bundesbern gemeint, und es gehe um die macht der politik in der schweiz, den muss ich enttäuschen. es geht “nur” um die stadt bern, ihre region und den kanton im föderalistischen gefüge.

bilder bilden.

“Schweizer Geschichte im Bild” heisst das neueste werk von thomas maissen, der damit seinem standardwerk zur schweizer geschichte eine reich illustrierten bildband folgen lässt. eine einladung zum verweilen, gerade am heutigen (bundesfeier)tag.


landsgemeinde im bild, umrahmt von zerknitterten fahnen der schweiz und der eu – thomas maissens neuestes buch zum schweizer geschichte, diesmal nicht in worten, sondern in bildern

vor der fotografie reflektieren bilder in der geschichte vorwiegend bildhafte vorstellungen des vergangenen. denn sie entstanden in aller regel mit zeitlicher distanz zum geschehen, das sie darstellen. mit der fotografie wird das bild auch in der geschichte zum aktuellen bericht, zur abbildung, wenn auch zur perspektivischen, die uns nicht zeigt, wie es war, aber uns heranführt, wie es möglich gewesen ist.

thomas maissen, geschichtsprofessor in heidelberg mit schweizerisch-finnischen wurzeln, besinnt sich in seinem neueste buch auf genau diesen doppelten sinn von bildern. mit seiner „Schweizer Geschichte im Bild“ lässt er der eher trocken gehaltenen „Geschichte der Schweiz“, 2010 erstmals erschienen, heute bereits in der vierten auflage erhältlich, im hier+jetzt verlag einen reich illustrierten band folgen, der sich anhand von 350 bildern aus und über die schweizer vergangenheit mit dem unendlichen thema beschäftigt. selbstbilder sind es in der überwiegenden zahl, fremdbilder in der minderheit, aber auch schaubilder wie karten, auf denen die schweiz peu à peu als teil europas entsteht.

den bebilderten stoff teilt maissen mit kräftigen pinselstrichen in 13 kapitel ein. beginnen lässt er das ganze mit den mittelalterlichen räumen, und es endet mit der gewinnträchtigen und verlustreichen anpassung der schweiz nach dem kalten krieg mit ihrer konkordanz. dabei ist dem historiker nicht der alte kristallisationspunkt der geschichtserzählung wichtig. den 1. august 1291 erwähnt er eher beiläufig, tell und das rütli fehlen ganz. vielmehr stellt maissen, einmal mehr, sein 1450 ins zentrum. denn im fiedensschluss zum alten zürichkrieg, am 13. Juli 1450 in einsiedeln gesprochen, sieht er den übergang vom mittelalterlichen geflecht an bündnissen zu einem bündnisverband, der erstmals anspruch auf exklusivität beanspruchte.

eine staatsgründung sieht maissen indessen auch darin nicht. vielmehr betont er, wie die eidgenossenschaft geworden ist. die grundlagen legten die verkehrswege von norden nach süden, die römischen städte mit den nachfolgenden bistümern, die klöster und der adel, bei dem die habsburger und savoyer herausragten. deren krise führte im 13. jahrhundert zu landfriedenschlüssen, mit denen die städte und länder in die geschichte eintraten, aus denen die eidgenossenschaften hervorgingen. an der schwelle vom 15. zum 16. Jahrhundert enstand die alte eidgenossenschaft im geist des humanismus, die mit ihren schlachtensiegen gefürchtet wurde, ihren militärischen höhepunkt aber rasch wieder verschwinden sah. das und die religiöse spaltung zwangen das militärbündnis nach aussen in die staatenwelt der neuzeit einzutreten und sich nach innen wirtschaftlich zu wandeln. politische reformen blieben dagegen unvollständig, bis die französische revolution mit ihrer helvetischen republik alles auf den kopf stellte. wieder auf die füsse gestellt, entwickeln sich als gegenstück zum konservatismus der liberalismus, als widerpart zum föderalismus, der zentralismus, und zur überwindung der bauernwirtschaft die industrialisierung, die 1848 zur neuen eidgenossenschaft, der confoederatio helvetica führten, dei das bürgertum entstehen liess, aber auch die arbeiterschaft hervorbrachte, die über die beiden weltkriege in erweiterte politischen system der konkordanz eingebunden wurden. das ende des kalten krieges zwang zur neuorientierung, der anpassung an die globalisierung, die wirtschaftliche gewinne und gesellschaftlich verluste mit sich bringt, in den sich die schweiz heute neu ausrichten muss.

zu jedem dieser stichworte liefert thomas maissen treffende bilder: karten, die übersichten vermitteln, museale relikte, die an vergangenes erinnern, zeichnungen aus den alten chroniken, die unterhalten, gemälde der herrschenden, die repräsentieren, fotografien der soziologen, die aufklären, und karikaturen, die beissen. alles zusammen vermittelt einen stimmigen eindruck der schweiz, wie er handlicher nicht sein könnte, und wie er bildender seit langem nicht mehr gewagt wurde. einiges davon ist bis ins populäre geschichtsgedächtnis vorgedrungen, anderes wiederum überrascht, weil es bisher nicht zum geschichtsbild der schweiz beigetragen hat.

genau das ist es, was mir sagte, meinen leser- und betrachterInnen des stadtwanderers, genau heute diesen bildband zum verweilen zu empfehlen, um mit zeit und muse statt raketenknall und pulverdampf sich seiner selbst zu besinnen.

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