vom versuch, den sonnenuntergang zu sehen

was haben wir in schweden sonnenunter- und -aufgänge gesehen! in der schweiz ist das schon mal ganz anders …

zürich flughafen: wir besteigen den zug nach bern. etwas erschöpft sitzen wir im erstbesten abteil ab. die sonne steht noch hoch im fenster. in schweden würde man sagen, noch zwei bis drei stunden bis zum untergang. hier geht jedoch alles schneller. also stellen wird uns auf eines tolles tagesende ein.

ausfahrt hb zürich: vorortszüge rasen unmittelbar vor uns an uns vorbei. bei dicht gefüllte taktfahrplan den sonnenuntergang sehen zu wollen, ist wohl vermessen. was bleibt ist ein langgezogenes sbbbbbbbbbbbbbbbb.

dietikon: im grossen siedlungsbrei endlich etwas aussicht. die limmat mischt das ghrün der bäume mit dem gelb der strahlen. dann wieder häuser, strassen, unterführungen, lagerhallen, überführungen, sogar ein laster, zahlreiche autos und eine autobahnbrücke. viel schatten liegt über uns.

heitersbergtunnel: nomen non est omen. schlagartiges einnachten. das fenster reflektiert unsere teebecher. schemenhaft sehe ich bärbi, meine sonne für alle fälle, ohne sie anzusehen.

lenzburg: nach der herofrabrik sehen wir die sonne erstmals für eine weile am stück. im innersten erscheint sie weiss, dann gelb, schliesslich goldig. mit dem braun wird ihre aura schwächer. dann wieder nichts. brücke, rampe, strassenbord, wenigstens etwas grünlich.

rupperswil: die abstimmung in der tiefstehenden abendsonne ist toll. die strommasten funkeln, selbst die stellstehenden güterwagen wirken ganz erwärmt. die ferrumfabrik liegt schon etwas im schatten, doch sprüht die sonnen licht zwischen die häuser. am schönsten ist das gelbe haus im gelben himmel. dann bäume, bäume, bäume, in dichter folge.

aarau: “schöööööni” und “dreiiiiiier” im huckeack – ich weiss, wir streifen kurz aarau. hier würde ich jeden winkel kennen, aus jugendzeiten, wenn sie nur nicht überbaut wären. der neue bahnhof glänzt, grau, hellgrün, hellgelb, fast schon seiden. doch braust ein gegenzug an uns vorbei “verschwommenes abendrot in der moderne” könnte das bild heissen. dann wieder tunnel.

gösgen: der rauch aus dem atomkraftwerk steigt weit über die skyline hinaus auf. er wird von der untergehenden sonne fast schon gespenstisch erleuchtet. zuunterst dunkelgrau, dann immer heller, zuoberst fast schon weiss, das sich im himmel auflöst.

olten: die sonne ist untergegangen. der tag ist vorbei. sein nachhallen spiegelt sich noch im bahnhofsdach. was für eine attraktion! danach will ich das auge fast schon abschalten, genauso wie den fotoapparat. doch wäre das alles viel zu früh gewesen. denn die lieblichen momente beginnen erst. pastellfarben, die ganze auswahl!

kurz vor bern: die sonne zeigt sich noch einmal, was für eine schöne überraschung. es ist fast wie im hohen norden, die nächte scheinen ganz kurz zu sein. die weite besticht, der himmel ohne wolken, der jura in der abendlichen finsternis, die fensterscheibe leicht errötet. ein tolles bild! doch dann eine baumgruppe – und weg ist die sonne und mit ihr die hoffnung, dass es schon wieder morgen wird. obwohl bärbi ihre schminkdose hervorkramt, um sich frisch zu machen.

bern: endstation. auch für unseren heimreisetag.

stadtwanderer

marco polo in mir

die aquavitflasche ist seit vorgestern leer, der ferienschnauz wurde gestern rasiert. und den rasen haben wr heute ebenso glatt geschnitten. denn es ist zeit, holzhausen für 2011 auf wiedersehen zu sagen – und sich auf das nächste mal zu freuen.

macopolo1die letzten tage waren warm, sehr warm. bis zu 30 grad zeigte das termometer am schatten. und doch änderte sich etwas. das licht ist fahler geworden, und der wind kräuselt die birken immer häufigen. das alles sind untrügerische zeichen, dass sich der spätsommer in holzhausen ankündigt.

auch unsere schwalben scheinen den wechsel zu merken. Sie schwirren nervöser durch die lüfte, sind weniger auf futtersuche für die jungen aus, davor halten sie ausschau nach anderen familien, die mit ihnen die grosse reise in den süden antreten werden.

das gilt ja auch für uns. in weniger als 24 stunden versammeln wird uns mit anderen auf dem flughafen – vor oslo. fragen stellen sich, zum beispiel, man im airport gardermoen etwas von der traurigkeit spürt, die das land erfasst hat, nachdem es einen teil seiner kinder verloren hat. zu gerne würde man auch wissen, ob mit der jugend 2011 eine neue generation entstehen wird, die radikaler ist, sei es in sicherheits- integrationsfragen angeht.

von der schweiz habe ich nicht viel, aber einiges via internet und die gelegentlichen mails meiner leute mitbekommen. es scheint mir, gespannte ruhe vor dem wahlherbst zu herrschen. niemand will sich zu früh exponieren oder gar vorausgaben, doch merkt man, wie die parteien in den startlöchern sitzen.

was ich mir für die kommenden monate, ging mir heute beim finalen rasenmähen durch den kopf. „nichts!“, war meine erste antwort, denn in meinem alter weiss man: gute vorsätze sind gut, doch werden sie selten eingehalten. dann viel meine innere befragung inhaltsreicher aus: mehr auf die gesundheit achten. nach dem langen winter geht es meinem linken fuss deutlicher besser, jedoch liegt mir der bauch wörtlich auf dem magen, und ich muss meine ohren kontrollieren lassen. unübersehbare stresssymptome, sagte die nette ärztin aus österreich, die ich in hier einmal aufsuchte. mehr musse haben, weniger essen, und alles ein wenig verlangsamen, empfahl sie mir. Typsisch schwedische lebensweiseheiten, dachte ich mir, und ich werden mir diesen rat zu herzen nehmen. Ein paar pfunde habe ich ja bereits abgenommen.

wenn ich mein traumbuch während den ferien durchgehen, merke ich, der jetzigen schweiz ziemlich ambivalent gegenüber zu stehen. ich brauchte gut zwei wochen, um mich zu lösen. heftig träumte ich von bern und freiburg. schlüsselfiguren waren regula stämpfli, die umtriebige kolumnistin, aber auch lukas golder, einer meiner führenden mitarbeiter. immer wieder war ich an sitzungen, wo wichtiges entschieden wurde. roger de weck, der generaldirektor der srg, und heinz däpp, der pensionierte berichterstatter aus dem bernischen grossen rat, haben mich am meisten beeindruckt. überrascht war ich, dass auch cindy craford vorkam, die einen werbejob für die angeschlagene bundesverwaltung übernehmen sollte. und selber marco polo tauchte aus seiner versenkung in venedig in meinen träumen auf.

überhaupt vieles drehte sich um bahnhöfe, zugfahren und reise in ferne länder. fast macht es den eindruck, ich bereit mich innerlich auf einen umbruch vor. königsberg, die stadt des aufklärers immanuel kant, aber auch peking, der ort des grossen aufbruchs ins 21. jahrhundert, und L.A., wo die amerikanische dekanz unveränderte ihre geniale produktionsstädte hat, würde mich reizen. vorerst bleibe ich aber auf dem bisweilen harten, immer wieder aber abwechslungsreichen boden der berner pflastersteine. ein wenig freue ich mich schon auf das leben in hinterkappelen, die arbeit in bern, zürich und st. gallen, und das stadtwandern, wo auch immer es sich ergibt.

mit gelassenheit haben wir heute gepackt. die traditionelle pizza zum frühstück am reisetag steht schon bereit, und der filter im trichter, um kaffee zu brauen, warten bereits auf seinen einsatz. bis dann feiern wir mit den kindern, die auf besuch waren, einen vorgezogenen 1. august mit feuerwerk über dem see.

stadtwanderer

der loppis von tyngsjö und der wandel der generationen

unser heutiger besuch galt dem loppis von tingsjö – dem trödlermarkt am alten versammlungsort am see, wie man das ganze auf deutsch nennen würde.

der loppis von tingsjö ist fast schon legendär. einer der abwechslungsreichsten, eine vielfalt an möglichkeiten und ein bijou an gefühlen, sagt ich nur. letztlich ist er auch eine reichhaltige informationsquelle über die konstanz und den wandel des schwedischen familienlebens.

der raum zum handeln ist nicht gross, vielleicht misst er fünf mal sechs meter. in der mitte ist ein grosser tisch, rund herum hat kleine ausstellungsbänke und -gestelle. die beiden fenster auf den seiten und die ausgangstüre am ende geben ein wenig licht in den dunklen, dafür umso spannenderen raum.

meine höchste aufmerksamkeit geniesst die werbung aus den 50er jahren des 20. jahrhunderts in der hinteren ecke rechts. email-plaketten, wie sie auf dem land so typisch waren, verkünden den lebensstils der frühen nachkriegszeit. es dominiert das aufkeimende freiheitsgefühl der amis im schwedischen bauernsozialismus. ein leicht vergilbter zeitungsartikel über das neueste bei chrylser und dodge bringt einen in stimmung. dann geht es um vespas und mopeds, um jünglinge, die bei ihrer verehrten vorfahren, um geburtstagsgeschenke, vielleicht zur volljährigkeit, die den staunenden jungfrauen überreicht werden. den etwas gereifteren frauen empfiehlt man, in septischen tönen, lange, elegante abendroben, wie man sie in schweden auf dem land kaum gesehen haben dürfte. da passt das prächtige schild für den väterlichen herrn zu neuartige jagdpatronen deutlicher besser in die landschaft. nicht vergessen wurden die kinder von damals, für die cacao aus übersee angeboten wurde.

die praktiker unter den besuchern verweilen in der ecke hinten links, wo sich gerätschaften aller art findet. hammer, klein und gross, zangen für jeden zweck, aber auch harte sachen wie schwere beile oder holzklemmen bekommt man hier. mehr fürs feine sind die holzschnitzer fürs birkenholz oder die pinsel zum lackieren. was dann fertig ist, kam vielleicht in einen der kupferkessel oder wurde auf der messinggplatte mit stolz gezeigt.

wäre da nicht das alte radio, würde man sich in der steinzeit wähnen. denn in dieser ecke bekommt man den eindruck, dass sie eigentlich nie etwas geändert hat. das radio mit seinen hunderten von vorprogrammierten stationen setzte dem ein ende. jetzt konnte man modern sein, die nachrichten aus halb europa hören, oder aber traditionell bleiben, und auf einen schwatz in die küche gehen, die im loppis von tingsjö in der ecke vorne links repräsentiert wird.

da überragen die gewürztöpfe alles. der für kardamom steht thronend zuoberst. es folgen im zweiten tablar die für schwarz-, weiss- und kräuterpfeffer. nicht fehlen dürfen diverse behälter für nüsse, muskat und nelken im dritten rang. die getränkeauswahl erschliesst sich einem aus den sets daneben. ohne zweifel kostete man bereits viel tee, aber auch kaffee gab es. der bierkrug wiederum, ein wenig germanisch wirkend, ist in seiner form unverkennbar, während in den einfachen gläsern saft, wohl aus waldbeeren, gereicht wurde. die kleinen gläser mit ständer und umgekehrtem zylinder präsentierten den aquavit mit sicherheit gleich wunderbar wie heute. und wer gut gegessen und getrunken hatte, der rauchte wohl noch eine selbstgedrehte zigarette, deren tabak man in einer der reich verzierten dose aufbewahrte.

der tisch in der mitte ist eine welt für sich. über allem eine kleine, wohlgeformte lampe – wer weiss, vielleicht aus glas, das man in venedig geformt hatte. sicher ist, dass das grosse gschirrset aus china kommt. da können figuren aus allen herren länder nicht fehlen. ein elephant aus schwarzem holz findet sich, genauso wie ein elegantes pferd aus glas, zwischen allem. und es sieht dich ein bittender neger wie in der sonntagsschule an, während die balettänzerin aus porzellan vor dir durch die lüfte zu schweben scheintt. leichtigkeit vermitteln auch die schüsseln aus grünem glas, das bemalte teeset und die blumenvase, die in die höhe schiesst wie langstilige rosen.

zu guter letzt ist man in der rechten vorderen ecke angelangt, wo man zahlen kann. irgend etwas zwischen 20 und 200 kronen wird der einkauf schon kosten. das sind dann 3 oder 30 schweizer franken. was man dafür bekommt, ist auf jeden fall mehr wert. denn im loppis zählen nicht nur die erstandenen gegenstände, es sind die lebenswelten und –stile, die man hier genauso mitnimmt wie vergessen geglaubte erinnerung und melancholische gefühle.

für realitäten sorgen die beiden damen zum schluss. sie könnten mutter und tochter sein, so sind ihre gesichter ähnlich. nur, dass die ältere viel sanfter wirkt, die jüngere viel härter. die zeigt dir schon mal die kalte schulter mit dem tattou, wenn sie einpackt. wärmer wirkt ihr tiefer ausschnitt, denn er gibt ihren busen mit dem feuerzeug in der mitte frei, während sie leicht gebeugt das gewünschte in zeitungspapier rollt, in eine blaue tüte steckt und mit einem coolen lächeln überreicht. fürs schlicht pekuniäre ist die schicke dame im landlichen lock vergangener tage zuständig, welche die geldscheine fast schon streichelt, bevor sie sie in die kasse versorgt.

so ändern sich generationen, denke ich mir beim hinaustreten – und sage: beybey whiskeyglas, tschüss ambos, au revoir waschbrett und hejda loppis.

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svenska rallyt (schweden rally)

wenn bärbi mit sicherer hand durch die wälder von holzhausen braust, entsteht bei mir schon mal das gefühl, bei der schweden rally dabei zu sein.

es ist bekannt. mit meinen autofahrkünsten ist es nicht weit her. umso mehr bewundere ich jeden und jede, die dieses handwerk gründlich beherrscht.

zum beispiel bärbi, meine kundige führer- und fahrerin über die strassen von holzhausen.

im normalfall fährt sie ganz normal. für unsere hauptstrecke zum einkauf braucht sie dann etwas weniger als 30 minuten. wenn sie auf die tube drückt, kann es schon mal sein, dass wir in gut 20 minuten am ziel sein.

bisweilen hebe ich mit ab, wenn bärbi mit schuss über die landstrassen rollt. geteert sind die die waldverbindungen nur ganz nahe der ortschaften. der rest ist schotterstasse. wo diese durch die vielen lastwagen wirklich flach gedrückt ist und keine schlaglöcher hat, kann man schon mal mächtig in fahrt kommen.

im abfallenden gelände braucht es nicht einmal das gaspedal. der leerlauf genügt, um auf gerader strecke schnell 60, 70 oder auch 80 sachen drauf zu haben. dann flitzen die bäume nur so an uns vorbei. schaut man weit nach vorne, kann man sie einzeln fixieren und das tempo an ihrer wachsenden nähe ablesen. blickt man dagegen auf die seite, sieht alles unbestimmt aus, einfach dunkelgrün, selten durchsetzt mit etwas sonnenlicht.

ich mag es, mit offenem fenster zu fahren. Wahrscheinlich würde ich sogar ein cabriolet schätzen. Ausser bei regen. so ziehe ich unseren mietopel mit dach vor. mit vorliebe spiele ich aber bei heruntergelassener scheibe mit der ausgestreckten hand im wind. da spürt man, wie es wäre, ein flügel zu sein, dessen flossen der pilot im cockpit minutiös steuert.

alles, was flügel hat, kann auf den schwedischen waldwegen zum problem werden. die waldtauben sind bei solchen fahrten die grösste gefahr. Vom wagenlärm erschreckt, fliegen sie vom boden auf, können aber nicht steil aufsteigen. so nutzen auch sie die strasse als flugraum, bisweilen nicht viel höher als ein auto. einmal flog eine der waldtauben hunderte von meter vor uns her; erst als die nächste abzweigung kam, bog sie sauber nach links ab und machte uns so den weg frei.

wenn es geregnet hat, sind tempofahrten in holzhausen fehl am platz. dann ist es besser, ganz vorsichtig die holprige strasse zu meistern, denn die pfützen können sich innert tagesfrist bemerkenswert tief in die strasse einfressen.

vorsicht ist auch in den kurven angesagt, denn nicht überall kann man problemlos ausweichen, sollte mal gegenverkehr sein. immerhin, alle 100 meter ungefähr hat es ausbuchtungen der wege, die es erlauben, gefahrenlos zu kreuzen. da lernt man den charakter der anderen fahrerInnen am besten kennen. denn die rücksichtsvollen halten in den ausweichstellen ihrer seite an, wenn sie einen erblickt haben; die rücksichtslosen blochen ohne zu zögern vorbei und zählen ohne gruss darauf, dass das gegenüber ganz nahe ans strassenbord geht.

das kann schon mal ins auge gehen, denn da kann der weg unterspült sein, abrutschen, im schlimmsten fall schon mal einbrechen. an einer stelle mitten im wald erinnern wir uns bis heute bei jeder durchfahrt, einem bedrohlich schräg in der landschaft stehenden laster begegnet zu sein.

wenn die fahrer der grossen holztransporter mit ihren gefährten abgeladen durch die gegen fahren, erreichen sie bald einmal geschwindigkeit am oberen ende des erlaubten.
das laute scheppern der anhänger und der ladebrücken kündigt sie jedoch schon weit im voraus an; und die staubwolke, die sich hinter ihnen bildet, lässt einen sicher sein, dass da erst gerade einer war.

zu unserem glück ist der verkehr in holzhausen gering. als durchgangsstrasse taugt der weg nicht wirklich. es sind die zubringerfahrten der holzarbeiter, die zählen. selten verirren sich töffahrer – genagelte schmetterlinge, wie wir sie nennen – hierher. einmal, als wir an einem tag mehrere passanten auf vier rädern zählten, beklagten wir uns lauthals, der verkehr nehme unerträgliche ausmasse an! und lachten über uns selber …

in unserer weiteren umgebung findet immer im februar die svenska rallyt statt. ihr zentrum ist hagfors. ein grossen plakat mitten in der kleinstadt kündigt das main event aller autofans in värmland an. wenn bärbi ihrem wagen freie fahrt gewährt, kann es schon mal sein, dass auch ich meiner fantasie freien lauf lasse, und unsere fahrt durch die schwedische wälder wie ein radioreporter an der lokalen strassenrundfahrt kommentiere.

in bern würde ich mich dafür schämen!

stadtwandere

die hölle und das paradies

gemäss den letzten verfügbaren informationen sind dabei 91 menschen ums leben gekommen, 84 alleine im sommerlager der sozialdemokratischen jugend.

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aus dem paradies sei die hölle geworden, sagte heute morgen jens stoltenberg, der norwegische ministerpräsident, im radio, als er zum schrecklichen doppelattentat im regierungsviertel von oslo und auf einer vorgelagerten insel stellung nahm.

nach augenzeugenberichten ist der attentäter kurz nach der bombenexplosion in der norwegischen hauptstadt als polizist verkleidet und mit gesicherter waffe auf die insel mit dem camp gefahren. dort gab er vor, einen sicherheitscheck vornehmen zu müssen. die rund 600 jugendlichen wurden gerade versammelt, um über die tat in der hauptstadt informiert zu werden, als der attentäter unvermittelt in die menschenmenge schoss. es scheint, dass der erste anschlag nur dazu genutzt wurde, die stimmung herzustellen, welche die eigentliche tat erst ermöglichte.

obwohl örtlich so nahe, sind wir hier in holzhausen so fern den schrecklichen ereignisse. das internet verbreitet sie zwar in windeseile; nur eine halbe stunde nach dem ersten anschlag waren wir über das wichtigste informiert. Auch über das radio bekommt man etwas von der erschütterung des nachbarlandes mit, die in der nachkriegszeit ihresgleichen sucht.

doch wirkt dies alles so unrealistisch: „ausgerechnet norwegen!“, denkt man sich. so reich, so zivilisiert. ausgerechnet die sozialdemokratische jugend, die sich für eine besser welt versammelte, könnte man nachschieben. und man muss sich fragen, warum das ganze?

antworten sind schwer zu finden. natürlich, man weiss um die attentate auf olof palme und anna lindh in schweden. doch die galten sozialdemokratischen politikerInnen, deren einfluss auf die welt nicht allen passten. das setzte die bekannte kritik an der linken politik ab, die für die mehrheit politisch bleibt, bei extremisten aber batürliche hemmschwelle gegenüber gewalt senkt.

dennoch, das ganze hat eine bis gestern unbekannte dimension. betroffen ist das friedliche norwegen. getroffen hat es junge menschen, voller ideale, aber ohne macht. wahllos wurden sie erschossen, einfach, weil sie da waren.

zuerst hiess es, es seien islamistisch motivierte anschläge, um den rückzug norwegens aus afghanistan zu erzwingen. ganz unplausibel wirkte diese hypothese nicht, denn nach der liquidierung von osama bin laden durch die usa hatte man immer wieder gehört, die neue al quaida werde sich rächen. doch passt der hergang des geschehen sowenig zu den ereignissen.

passender wirkt da, die multikulturelle politik der linken norwegischen regierung sei der auslöser. in rechtspopulistichen kreisen gilt sie als schandtat, als verrat am eigenen land. zwar gehört, so liesst man, der attentäter nicht zur norwegischen neonazi-szene. doch habe er über facebook konservative, christliche und nationalistische kritik betrieben, bevor er zur eigenen tat schreitet.

anomie nennen das die soziologInnen: orientierungslosigkeit angesichts des auseinanderfallens von zielen und normen, von wünschen und verhältnissen. die kann politisch verschiedene, auf jeden fall unüblich folgen haben. dazu gehört das ausrasten, als einzelner, als kleine gruppe. eine politische gemeinschaft ist defür nicht einmal nötig.

doch wie gesagt, dass geschehene ist real, erleben kann man es hier nicht. so bleibt, dass der bericht vor allem ein virtueller ist, bei dem vorsicht angesagt bleibt. denn im paradies von holzhausen wirkt das an sich sehr, sehr irreal.

stadtwanderer

sunrise in the nature

lange schon wollte ich wissen, wie sie stimmung ist, wenn elche ins bett gehen. und so stehe ich heute ganz unüblich früh aus meinem auf.

es ist vier uhr, als ich die kanadagänse störe, die ganz in unserer nähe übernachtet haben. als sie mich erspähen, zieht die leitgans ohne zu zögern davon, und die anderen acht tiere folgen ihr in einer eindrücklichen v-formation. die bilden sie automatisch, ohne einen laut von sich zu geben. bald schon werden sie darauf angewiesen sein, dass der verbund klappt, um gemeinsam über den atlantik zu fliegen.

so früh am morgen ist es im schwedischen urwald ganz still. dazu passt, dass der himmel in grauen schwaden schläft. genauso wie die beiden boote, die man vor langer zeit hier parkiert hatte. das eine war noch gewendet worden; sein bauch ist schon mit moos überzogen; dass andere versinkt im schweren wasser, dass sich in eben diesem bauch sammelt, stück für stück.

erst wenn die sonne ihre ersten strahlen schickt, erwacht der himmel in allen farben. direkt über über den hügeln dominiert weiss, dann folgt fahles hellblau, schliesslich glänzendes blau. die wolken der nacht haben sich aufgelöst, was bleibt, wirkt wie der letzte schlaf im gesicht eines kindes.

über dem see bilden sich die ersten nebelschwaden. sie steigen auf, vielleicht einen meter hoch. es ist, als würden sie auf der bühne aus wasser tanzen. so bleibt nur ein schluss:

der tag ist da!

jetzt schimmert das erste gelb der sonne vom horizont. die leuchtende kugel geht direkt über einer baumgruppe auf einer kleinen insel im see auf. sie wirkt unheimlich kräftig, scheint ganz güldern.

es will mir scheinen, dass die seerosen ihre köpfe recken. auf dem schilf funkeln die tropfen des taus, und die birkenblätter glitzern im ersten wind.

der see gleicht einem erleuchteten spiegel. jeden baumwipfel sieht man in ihm verdoppelt. und jede wolke bekommt ihr geschwister. selbst einen zweiten mond hat die erde jetzt. nur das holz, das im wasser schwimmt, findet sich am himmel nicht. das ist gut, denn so weiss man unverändert, was oben und unten ist, wenn die natur einem den kopf verdreht.

von den alten völkern im norden sagt man, sie glaubten, die toten vorfahren im wasser würden in solchen momenten auferstehen und nachsehen, was ihre nachfahren aus dem wald gemacht haben. wenn es gut war, schickten sie wärme, luft und regen, sodass alles weiter gedieh. wenn es jedoch schlecht war, zogen stürme, blitze und donner auf, vor denen niemand sicher sein konnte.

heute glaubt man nicht mehr an solche geschichten. mystisch ist die stimmung während der geburt eines neuen tages trotzdem. unweigerlich streckt man die arme in die höhe, um die kraft des morgens in sich aufzunehmen!

doch fährt das erste auto voll von waldarbeitern vor, sodass die waldtauben erschreckt davon fliegen. für mich ist es zeit, ins hüttchen zurückzukehren. eine schale ekologiskt cornflakes aus dem ica mit frischer milch samt banane gibt es noch, bevor ich wieder unter die decke krieche.

genauso wie sich die elche in ihre büsche zurückziehen, bis sich das spektakel unter dem sonnenlicht wieder legt.

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zum beispiel ekshärad

stadtwandern in värmland: zum beispiel in ekshärad im klarälvtal. ein porträt aus zuneigung.

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wenn man in die stadt rein fährt, könnte man sich ein wenig im mittleren westen der usa wähnen. linker hand bietet ein grillkoch steaks, würste, hamburger in einer umgebauten flachdach-garage zwischen einfamilienhäusern an. und auf der rechten seite findet sich, zwischen tankstelle und tante-emma-laden eine grosszügige pizzeria, deren eingang inszenierte gemeinschaftliche stimmung verheisst.

wären da nicht die auffahrtrampen für behinderte, welche die eigene vorstellungswelt einholen und einen unweigerlich nach schweden zurückführten, wo man gesellschaftlichen diskriminierungen gegenüber besonders sensibilisiert ist.

ekshärad ist ein landstädtchen in vrämland, das ganz und gar von durchgang bestimmt wird. weiland waren es die pilger auf dem weg nach nidaros, dem heutigen trondheim in norwegen, die der mächtigen klarälv gen norden folgten. heute sind töffahrer mit schweren monturen, welche die reise in die weiten landschaften wagen, oder touristen aus dem süden, die in den naturgegenden der umgebung fischen, wandern oder radeln wollen.

die einen kreuzen eksährad in wenigen minuten, die andern bleiben, bisweilen tage, aber auch jahre. holländer waren trendsetter im tourismus; deutsche, vor allem aus dem osten, sind in der holzwirtschaft und im gewerbe tätig, während schweizerInnen wie wir im abgelegenen holzhausen eine stuga, ein sommerhäuschen, haben.

ekshärad ist auf diese erneuerung dringend angewiesen. seit 1970 verliert der ort einwohnerInnen. bedrohlich nahe an der 1000er grenzen sei man ende 2010, hiess es in einem bericht der värmländischen zeitung. die eigenständigkeit als kommun hat man schon länger verloren; heute wird man von hagfors aus verwaltet.

mit folgen: selbst die angesehene gemeindebibliothek wurde vom gemeindehaus im zentrum ins schulhaus an der peripherie verfrachtet. vom kommunhuset, wie das ehemalige gemeindehaus heute angepriesen wird, ist nur noch die rote hülle geblieben. Innen haben die kaufleute des ortes das sagen: sie haben hier ihre büros für buchhaltungen und sonstigen schriftverkehr eingerichtet, ohne dass viel geschäftigkeit entstanden wäre. die nordea bank beispielsweise kündet mit einem türschild an, bis ende september in der ferien zu sein. Das alles ist symptomatisch, denn ohne geld auch in der schwedischen provinz nicht viel, was man an der ökonomischen infrastruktur schnell erkennt.

geblieben ist ekshärad das kirchliche zentrum. die stattliche kirche stammt aus dem 17. jahrhundert, der aufbruchszeit schwedens als europäische grossmacht, und sie dient heute noch für taufen, heirat und beerdigungen. im friedhof finden sich zahlreiche eiserne lebensbäume, dem traditionellen kunsthandwerk des ortes. besichtigen kann man heute auch frühere kirchen, diejenige aus dem 16. jahrhundert, des wilden flusses wegen aufgegeben zeigt noch ihre grundrisse, ganz unten im tal, und die stabkirche aus der pilgerzeit ist oben, auf den weichen hügeln. das ist ist mehr für das gesetzte publikum, das jüngere zieht da den elchpark vor, der vor jahresfrist eröffnet wurde und gleich zum renner für ferienfamilien geworden ist.

eigentlicher star in ekshärad ist jedoch das ica, der grosse einkaufsladen im zeichen des kleinen bären. die lokalen produzenten bieten hier ihre frischwaren feil. bemerkenswert ist zudem die bäkerei mit spezialitäten aus dem donauraum. Interessent ist sind auch die ställe des heimatwerkes, gleich vis-à-vis, und selbstredend empfehle ich vor ort das moccacino, das cafe mit südlichem einschlag, das jacqueline und ralph aus leipzig hier seit einigen jahren führen.

wer ekshärad kennen lernen will, dem empfehle ein wenig mehr geduld, als man im mittleren westen der usa haben dürfte. denn die strasse von nord nach süd und umgekehrt ist nur der durchgang. auf dem hört man vor allem die lauten tucker. ein eigentlicher zugang zu den leisen radfahrerInnen ergibt sich so nicht. wer den sucht, muss sich etwas zeit nehmen, muss eintauchen wollen in den kleinod im nördlichen värmland, und darf sich ruhig beraten lassen. zum beispiel bei der sympathischen und kundigen josephine ba(ec)ker im örtlichen touristenbüro.

stadtwanderer

gegen den strom

in einer woche brechen bruno und elisabeth kaufmann zu einer grossen reise nach südostasien auf. sie feiern ihren zwanzigsten hochzeitstag mit einer grossen schiffahrt den mekong hoch. „gegen den strom“ lautet das vielsagende reisemotto, das auch ein lebensmotto sein könnte.

arboga. schwedische kleinstadt mit eigenem stadtwanderer. sommerresidenz der familie kaufmann. nichts fürstliches, aber frisch geräumtes, wohliges ferienhäuschen im wald. bruno, elisabet, wanja und nina und die beiden neuen meerschweinchen sind wie jeden sommer da.

indes, in wenigen tagen werden die weltbummlerInnen über den halben erdball verteilt sein. die beiden töchter fahren ins bündnerische s’canf in ein sommerlager für auslandschweizerInnen, und die eltern fliegen nach vietnam, wo sie ihren 20. hochzeitstag mit einer reise den mekong hinaus feiern wollen.

„gegen den strom“ ist nicht nur der titel der reise in südostasien, unter dem nordland-korrespondent bruno kaufmann für das schweizer radio drs 2 berichten wird. „gegen den strom“ ist auch eine art lebensmotto für den politikwissenschafter aus zofingen, der seit jahren in schweden lebt.

in der schweiz war er in jungen jahren aktivist bei der gsoa. dann machte er beim verlag eurotopia mit. schliesslich stiess er zum initiative&referendum institut, dessen europäischer ableger er heute präsidiert.

immer ging es um einen seiner träume, der noch nirgends verwirklicht war.
für eine schweiz ohne armee.
für eine europa mit einer transnationalen bürgerschaft.
und für eine partizipatorische demokratie weltweit.

in falun, wo die kaufmanns normalerweise wohnen, ist bruno zwischenzeitlich mitglied der stadtregierung. sein ressort: wahlen und verfassung. sein ziel: volksabstimmungen einführen in der traditionsreichen bergarbeiterstadt schwedens.

profitieren kann bruno nicht nur von der weltanschauung der grünen, die er im stadtrat vertritt, die ganz auf bürgerInnen-nähe der politik setzt. einen nutzen zieht er auch aus seinem weltweiten netzwerk mit förderen von volksrechten.

ich solle seine neueste broschüre kommentieren, sagt er zu mir, während er mit joe matthews in kalifornien skypt. und während ich ihm meine bemerkungen mitteile, streckt er mir einen leitfaden zur bürgerinitiative in der europäischen union entgegeben, und ein buch zu volksabstimmungen in schweden. an beiden publikationen hat er massgeblich mitgewirkt.

fast könnte man den eindruck gewinnen, der unermüdlich kämpfer für die demokratisierung der demokratien schwimme gar nicht mehr gegen den strom, sondern schon längst mit ihm. nicht weil er, bruno, seine richtung geändert hätte, er weil der strom nur bergauf fliesse.

doch dann führt er mich auf den punkt zurück,der ihm wichtig ist. seinen reisebericht über schwimmende dörfer am mekong, strahlt drs 2 am 23. oktober 2011 aus – dann wenn ich, wohl mit dem strom schwimmend, die wahlen ins eidgenössischen parlament kommentieren werde, wird seine stimme gegen gegen den strom ankämpfen.

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aquavit

sollte dir ein essen einmal nicht bekommen, gibt’s nur eines: einen aquavit trinken. im norden geniesst man die spirituose aber auch so, als getränk zum wohlbekömmlichen einheimischen essen.

xmas_janssonsder name sagt eigentlich alles. aquavit heisst auf deutsch nicht weniger als lebenswasser. weil es gut schmeckt, stark ist, und einen auch bewegt. ein wenig wie die lebenskräuter im lebkuchen, nur flüssig.

der alkoholgehalt des aquavit beträgt 40 prozent. das feuert einen schon mal kräftig an. verfeinert wird das getränk durch die beigemischten gewürze. allen voran kümmel – aber auch anis und fenchel. ersteres muss beim nordischen lebenswasser vorherrschend sein.

zuhause würde ich fencheltee trinken, wenn mit ein essen nicht bekommen wäre. in schweden kippt man einfach einen – oder auch zwei aquavit aus dem schnappsglas hinten nah.

anis erinnert mich unweigerlich an frankreich. nur schon in gedanken liegt ein hauch von pastis, einer bar und paris in der luft. die vorstellungen sind auch in holzhausen verführerisch.

doch damit nicht genug. aquavit ist der wohl beliebteste schnapps im norden. getrunken wird er von den einheimischen zu muscheln, räucherlachs und gereiften käse.

marktleader in schweden ist der aquavit von o.p.anderson. die marke gibt es seit 1891. das wasser dazu auch. neu auch mit bio-zutaten.

kaufen kann man den anderson vor allem in dutyfree shops an flughäfen oder in zollfreiläden in schiffen. das habe ich auch diesmal bei der anreise nicht ausgelassen, und ich werde mir auf der heimreise einen kleinen vorrat für die zeit in hinterkappelen anlegen.

skal!

stadtwanderer

den nordischen prachttaucher vor augen

nun bin ich wieder in holzhausen – meinem schwedischen sommerdomizil.

19251084unser flug ab zürich war schrecklich. eng, laut und stressig. ich merke, dass ich älter werde. an einem wochenende aus der arbeits- in die ferienwelt, ist nichts mehr für mich.

von oslo aus ging es nach schweden. in kongsvinger, der letzte grösseren stadt vor der grenze, gab es den ersten sonnenuntergang. im norden wirken sie anders als bei uns, weil sich die sonne nur langsam dem horizont nähert. der himmel wird durch das viel heller, eher gelb denn blau.

auf der fahrt durch die schwedischen wälder bestanden wir den elchtest schon am ersten tag. denn in der abenddämmerung begegneten wir gleich zwei mal den königstieren des nordens. einmal gaben sie sich von der scheuen seite, einmal von der interessierten. es tut gut, die prachtsviecher in der nähe zu wissen.

in holzhausen genossen wird die phänomenale nachtruhe. es macht schon etwas aus, keine durchgangsstrassen in der nähe zu haben. dafür begrüssten uns die möven – mit ihrem typischen gekreische. so wissen wird, dass uns die quartierpolizei des grossen naturreservates registriert hat.

die funkverbindungen in den värmländischen wäldern haben sich heuer deutlich verbessert. zwei bis drei striche sind die regel. da kann man nicht nur handyfonieren, es liegt auch einiges in sachen surfen und bloggen drin.

mit telia hatte ich indessen am montag meine probleme. das schwedische modem hat, so schien es, im winter den geist aufgegeben. ein ersatz musste her, in der pampa nicht ganz einfach zu organisieren. zwischenzeitlich habe ich ein neues. und wie man sieht, klappte es.

der erste tag war sonst zum kontakten da. zum beispiel im moccacino, unserer lieblingsbeiz in ekshärad, wo uns jacqueline und ralph schon mal herzlich begrüssten. auch bengt, unser autohändler, war erfreut, uns wieder zu sehen. für dieses jahr hat er uns einen kleinen weissen opel breit gestellt.

jetzt machen wir uns daran, holzhausen zu erkunden. die wälder, die wege, die seen, das boot und die tiere. ein seeadler jagte einen graureiher, der ihm sein revier streitig machen wollte. ausgang offen. am besten gefiel uns der nordische prachttaucher auf dem see vor holzhausen, mit seinen eleganten überwasserfahrten und seinen ausgiebigen tauchkünsten.

es sind sommerferien. werde bisweilen berichten.

stadtwanderer

soll ich nun für die weltwoche schreiben?

ich habe ein angebot, neuerdings für die weltwoche zu schreiben. hier das dispositiv meiner noch ausstehenden entscheidung.

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wie man ihn kennt: cr roger köppel. was man jedoch nicht weiss: er will den stadt- wanderer anheuern.

es ist bekannt: auf der redaktion der weltwoche mag man mich nicht wirklich. und ich bin kein freund des weltwache-journalismus, der auf alles schiesst, was ausserhalb der svp um einen kopf aus der menge herausragt.

umso erstaunlicher war es für mich, als mich nach der letzten “arena”-sendung, an der ich teilnahm, mein experten-nachbar und wewo-chef roger köppel ein angebot machte, über historische themen für seine gazette zu schreiben. verlockend für mich, einer meiner starken neigungen noch etwas mehr als bisher nach gehen zu können – verlockend aber auch für ihn, mich von der analyse der gegenwart abzuhalten.

für meine sommerferien im schwedischen holzhausen habe ich mir mal ein arbeitsthema gegeben: “axel ochsenstierna beitrag zur staatenbildung der schweiz”.

den meisten mag das gar nichts sagen. denn kaum jemand dürfte den namen des schweden während des 30jährigen krieges von 1618 bis 1648 je gehört haben, der sich bei den verhandlungen für den westfälischen frieden so tatkräftig gegen den kaiser und für die sache der reformierten hervor getan hatte. auf den französischen könig war in dieser sache nämlich kein grosser verlass.

meine these lautet: die reformierten in der schweiz haben ihre gleichstellung mit den katholiken nicht nur in den villmerger kriegen von 1712 erkämpft. die emanzipation der gläubigen in zürich, schaffhausen, basel, bern und lausanne von der vorherrschaft der katholischen orte wurde vom schwedischen reichskanzler tatkräftig vorbereitet. insofern ist der aufstieg der reformierten städte in der schweiz im 18. jahrhundert nur ein vorspiel ihrer isolierten stellung, die aus einer vernetzung mit dem ausland hervorging. der urbane protestantismus in der schweiz ist damit seit seiner gleichberechtigung aussenorientiert-europäisch, nur hat er das vergessen!

die formulierung gewagter thesen habe ich ja als kritischer wewo-leser gelernt. entweder kann ich sie nicht bestätigen, dann schicke ich roger köppel wohl nur eine postkarte aus den ferien. denn unbestätigte thesen gehören nicht in ein politmagazin. oder es gelingt mir der dialektische schritt, und dann schicke ich am 1. august 2011 mein ochsenstierna-manuskript an die chefredaktion der wewo.

mauluege was de sommer so aues brengt!

stadtwanderer

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von der sog. schönheit in der politik

mein letzter “essay” vor der sommerpause.

die letzte email vor meinen sommerferien erkundigte sich zum thema schönheit in der politik. es ging um eine stellungnahme zuhanden eines tagesmediums.
ganz berufen fühlte ich mich im thema zwar nicht, der temperatur der tage aber erschien mit eine direkte antwort auf das unübliche aberdurchaus angemessen.

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“guten abend

eigentlicher trendsetter bei den männern war wohl christoph eymann, der frühere liberale basler nationalrat, mit viel sexapeal. das sorgte parteiübergreifend für erregte aufmerksamkeit. auf der frauenseite begeisterte doris leuthard mit dem anmut einer prinzessin jedenfalls der männerherzen. beides brachte glamour in die bisweilen triste realität der schweizer politik.

im ihrem windschatten ist ein neuer typ politikerInnen auf die bühne gelangt. denn mit der generation bruderer hat sich, sagen wir mal, einiges verändert. die jüngste nationalrätin musste damals nicht lange warten, bis sie reden durfte und in den zeitungen kam. sie war medialisiert, bevor sie sich in der fraktion etabliert hatte. es störte sie nicht, aufgrund ihres attraktiven äusserlichen bewertet zu werden. für die gestandenen linken frauen war das ein fürchterlicher tabubruch. indes, er war nötig und seither haben wir zahlreiche bruderer und schwesterer in der politik.

das alles ist toll!. denn es spricht für ein gesteigertes selbstvertrauen unserer politikerInnen. das ist im härter gewordenen nationalen und internationalen wettbewerb auf jeden fall ein neuer standortvorteil. die veränderung steht auch für einen der wichtigsten kulturwandel der gegenwart: jede(r) darf oder muss sich jederzeit selber erfinden. es lebe der erwartungshorizont der möglichst schönen!

den männern fällt das noch schwerer. parfüm und schmuck zur veredelung des körperlichen ist seit der französischen revolution verpönt. seither muss man etwas nach miststock riechen, karrenschmiere an den händen haben oder bürgerlich gekleidet sein. alles adelige, das vom edlen käme, ist ja seit 1789 anrüchig.

alle versuche, beispielsweie das so begründete nachrevolutionäre kleidungsritual im parlament von liks her zu überwinden, sind gescheitert. der pullover über den schultern von andy gross schrieb nicht wirklich geschichte. und das patriotische schweizer kreuz auf der brust von anita fetz ist auch recht rasch verschwunden.

trotzdem, hier haben es die frauen einfacher. wer politikerin werden wollte, muss mit der tradition von kirche-küche-kinder gebrochen haben. individualisierung gehört da quasi zum politischen programm. deshalb drückt es sich auch leichter im eigenen schmucken kleiderstil aus, wie bundesrätin sommaruga das zeigt, entspricht das gesicht schneller dem einer miss schweiz wie bei nationalrätin nathalie rickli oder folgt der ganze habitus dem der gängigen schönheitsideale der gegenwart wie bei nationalrätin isa-belle moret.

dahinter steht der medienwandel mit dem pictural turn, der mit dem strengen politkultur der nzz im geiste zwinglis (“es gilt nur das gesprochene wort”) brach und die vorreformatorische bildlichkeit des heiligen wieder aufleben lässt. denn das fernsehen lebt vom bild, das internet auch. (selbst mein blog funktioniert so, denn ohne icons fehlt den text die rahmen in unserer vorstellungswelt.)

das gute dabei: die aufmerksamkeit steigt. das schlechte: das bild wird zum kommunikationskern, das bild der politikerInnen auch, was nicht unproblematisch ist.

denn jetzt geht es um die gretchenfrage: was schönheit ist, ist kaum zu definieren. selbst umberto eco brauchte zwei bücher dazu, eines über schönheit in der geschichte und eines über hässlichkeit. demnach ist schönheit seit der griechischen antike idealisierte körperlichkeit, inszenierte kleidung und ausstrahlung nach mass. in der moderne kommt hinzu, dass alles eine folge des geschmacks wurde, wie wir seit den analysen von jürgen habermas über den strukturwandel der öffentlichkeit wissen.

die gegenwärtige postdemokratische wende der politischen schönheit stammt aus italien. denn aussehen steht hier vor ideologie, ohne zu verstecken, vielmehr um sie zu kommunizieren. seit längerem weht da ein hauch von dolce vita, sexueller eruptionen und fatalen skandalen nicht nur durch die regierungsgemächer von silvio berlusconi bis mara carfanga, nein, das alles dehnt sich auch über die alpen auf halb europa aus.

die rezeption in der schweiz erfolgte sprachkulturell differenziert: marina masoni gehörte im tessin zu den frühen nachahmerinnen, und francine jeanprêtre in der romandie war in einer vergleichbaren prionierrolle. hauptgrund für die rasche adaptation: das flair der lateiner für das urban-modisch-bewusste, das sich in der rural-unauffällig-gleichgültigen deutschen schweiz nur mit bedacht nachvollzogen wird.

immerhin, selbst die wissenschaft beschäftigt sich zwischenzeitlich mit fragen der schönheit in der politik: regula stämpfli, die einzige in der politologInnen-gilde, die über die dreiecksbeziehung von sex-macht-politik philosophiert, ist, wie man erwarten konnte, angewidert vom zerfall der der politischen kultur. ihr antipode, georg lutz, steht dagegen auf schönheit. er hält sie für wichtiger bei der wahl, als es die internationale literatur eigentlich zulassen würde. denn in der us-amerikanischen wahlforschung gilt vorteilhaftes aussehen als genau ein von 49 erfolgskriterium für die politikerInnen. lady deut-piece aus alaska ist ja der beste beweis dafür.

denn es gilt: allem erotic capital von typen wie sarah palin in der politischmedialen kommunikation zum trotz bleibt politik politik. und das ist ein wenig mehr als show. das weiss man sogar bei der vergabe des swissawards im leutschenbach, und man sollte es in den redaktionsstuben nicht ganz vergessen!

ich bin überzeugt, dass ihre fragestellung typisch ist für die gängige mediengesellschaft. deshalb bin ich auch nicht ganz sicher, ob das diskutierte phänomen ausserhalb der virtualität wirklich real ist. ausser ein paar hübschen blumen bleibt viel äusserlicher durchschnitt im parlament. ganz nach dem motto, unkraut verdirbt nie! das ist auch gut so, denn es beweist bei aller luftigkeit der medialen politik die bodenhaftung der politik vor ort.

so, gehe jetzt nach schweden. anna lindt war nicht nur eine tolle frau, sie war auch eine starke persönlichkeit und herausragende politikerin. das ist mir immer noch lieber. bin halt noch älter als sie (54). leider ist mit ihr auch mein schönheitsvorbild (aus)gestorben!

claude longchamp
alias stadtwander

die wiedergeburt des löwen in illiswil

wenn es so warm ist wie dieser tage, gibt es nur eins: raus aus der stadt, hinaus auf das land in eine kühle gartenbeiz. ich empfehle den wieder auferstandenen löwen in illiswil.

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achtung, was sie hierzu lesen, ist werbung. einseitig. subjektiv. und treffend!

am wochenende feiern alexandra und martin gerber ihr einjähriges jubiläum als wirtepaar im illiswiler löwen. vormals war er aufstrebender küchenchef in gümligen, und sie arbeitete als tatkräftige leitende dentalassistentin an der berner uni. gemeinsam meldeten sie sich auf ein inserat in der wirtezeitung – und bekamen zum glück den zuschlag!

seither ist wenig zeit verstrichen, aber viel gegangen. über mittag und abends reserviert man besser, wenn man im einzige illiswiler restaurant essen will. denn die stammkundschaft ist zahlreich, und die laufkundschaft ist mächtig im aufschwung. schliesslich ist es nur einige kilometer mit postauto oder fahrrad in den berner vorort, und wer in wohlen mit dem beizangebot hadert, weicht gerne in den nahegelegenen weiler aus.

vor den gerbers sah der “löje”, wie der gasthof im volksmund heisst, einige magere jahre. nicht weniger als drei pächter wechselten im jahresrhythmus oder noch schneller. wegen unvermögen, wegen lauter musik und wegen üblen geschichten. die gäste blieben zusehends aus, sodass ein wirklicher schnitt im gasthof nötig wurde.

beliebt sind heute die flammkuchen für den kleinen hunger oder ein stroganov für den grossen. wer es gerne scharf hat, nimmt das cordon-bleu mit einer paprikawurst. legendär ist der vielseitige löwensalat, und viel gefragt sind die leichten sommerteller. das roastbeef mit sellerie-, karotten- radischenbeilagen ist mein favorit.

der service ist flink und freundlich, und wenn es viel besuch hat, lässt man sich nicht stressen, bestellt man schnell ein cardinal und vertreibt sich die kleine zeit mit den sprüchen auf den bierdeckeln. überhaupt, im 200jährigen ehemaligen bauernhaus, das zum heimeligen gasthaus wurde, kann man die zeit leicht vergessen.

denn im löwen lässt es sich leben, fröhlich sein und geschichten hören. und wer möchte das schon verpassen. keine grossfamilie nicht, kein rentnerpaar nicht und keine frischverliebten nicht!

seit neusten herrscht wieder viel betrieb in den gaststuben. den traditionsgäste gehört die zentrale stube mit der theke. das geht es bei einem kaffee oder einem glas roten schon mal politisch zur sache, und sieht man nicht selten auch jassrunden. essen kann man im säli oder stübli, und im sommer wird auch eine kleine freiluftbar bedient. von da aus kann man die umgebung geniessen, die berge, die landschaft und die tiere. pferde und ponies auf der weide hähren das auge, und die schwalben und sonstigen vögel die ohren gaumen.

es sind viele tolle stunden, die ich hier verbracht habe. den 50. geburtstag habe ich da gefeiert, damals noch beim legendären caesare aus norditalien als wirt, und auch meine stadtwanderung quer durch die romandie für charlotte und jürg begann im gemütlichen illiswiller treffpunkt.

wer im sommer nicht in die ferien geht und wem das klima in der stadt schlicht zu heisst wird, dem oder der empfehle ich wärmstens einen ausflug bis in den löwen vor ort.

stadtwanderer

vermessene lebensqualität der berner städte

rankings fasizinieren mich immer, auch wenn ich ihnen gelegentlich misstraue. so auch beim städte-ranking der zeitschrift bilanz.

bern-panoramabern hat nicht nur touristisches zu bieten, sagt das neueste städte-ranking der bilanz.

als ich vor einigen jahren nach der veröffentlichung des bilanz-städterankings bei der redaktion nachfragte, wie die reihung zustande komme, herrschte schnell mal aufregung. einen termin für ein gemeinsames treffen wollte man nicht vor sechs monaten haben. dabei zweifelte ich nicht an der richtigkeit der einzelnen bewertungen, doch wurde mir nicht klar, wie diese zum gesamtindex führten, mit dem man lebensqualität messen wollte.

2011 sind die forscher bei wüest&partner selber über die bücher gegangen. sie haben aus den 117 indikatoren 11 neue dimensionen erstellt, und verrechnen diese neuartig miteinander. generell fand eine verlagerung von harten faktoren der lebensqualität (wie dem steuerfuss) zu weichen statt. neu erfasst werden beispielsweise die besonderheiten einer stadt, und der unbrauchbare übernachtungsindex wurde durch die einkaufsinfrastruktur ersetzt.

das ist denn auch der grund, weshalb zahlreiche städte im aktuellen rating ganz anders rangiert sind als noch vor jahresfrist. beschränkt man sich auf die bernischen, lautet die reihenfolge neu:

1. bern: stärken: arbeitsmarkt, soziales, besonderheiten, bildung, kultur/freizeit und einkaufsinfrastruktur, mobilität/verkehr

2. köniz: arbeitsmarkt, soziales, gesundheit/sicherheit, bildung als stärken

3. biel/bienne: bildung, kultur/freizeit

4. thun: arbeitsmarkt, soziales, besonderheiten

5. muri: soziales, arbeitsmarkt

6. ittigen: arbeitsmarkt, bildung

7. burgdorf: bildung, soziales, erholung

8. langenthal: keine (am ehesten bildung)

9. münsingen: soziales

10. ostermundigen, spiez, worb: ohne spezifische angaben

was die berner städte also auszeichnet: das soziale, der arbeitsmarkt, die bildung, kultur/freizeit und ihre besonderheiten. real hat sich einiges verbessert, verändert sind die platzierungen aber wegen der neuen methode.

die hat erhebliche konsequenzen für die rangierung der berner städte. bern zum beispiel verbesserte sich im nationalen spiegel von 19. auf den 4. rang, köniz vom 73. auf den 34., biel/bienne vom 80. auf den 36., thun vom 78. auf den 45. und langenthal vom 111. auf den 45. platz. rückschläge gab es für muri (vom 47. auf den 70. rang), ittigen (vom 59. auf den 75. platz), während sich die andern hielt.

man sieht es, je spezifischer man lebensqualität auf pekuniäres reduziert, desto eher haben städte, die auf steuerpolitik setzen, vorteile. wenn man das konzept jedoch umfassend versteht, haben grösse, differenzierung und vielfalt der entwicklungen eine deutlich höheres gewicht. das bekommt im nationalen rating auch zug zu spüren – die beiden letzten jahre spitzenreiter. neu liegt zürich an erster stelle, vor zug und luzern – und eben bern.

stadtwanderer

weg womit?

gut heisst er. was er heute bietet, ist schlecht.

bundesrat

hätte es noch eines beweises bedurft, dass das vulgäre an (fast) keiner mediums- grenze mehr halt macht, dann wäre er spätestens heute erbracht worden. denn in der nzz karikiert peter gut wie immer samstags den entscheid des bundesrates in sachen atomausstieg mit den vier bunderätinnen, einzig mit einem kühlturm bekleidet, in aufreizender pose. untertitel ist: “weg damit!”

selbstverständlich fragt man sich womit?

mit der kernenergie?
mit dem feigenblatt?
mit den bundesrätInnen?

machen wir uns nichts vor, in der 162jährigen geschichte der schweizerischen eidgenossenschaft ist das der erste spektakuläre entscheid, den eine frauenmehrheit im bundesrat gefällt hat. nicht nur der ausstieg ist von historischer tragweite, auch der zusammensetzung von mehr- und minderheit gebührt die würdigung. “weg damit” unterstellt, die vier zustimmenden bundesrätinnen hätte es sich leicht gemacht. in einer art kurzschlusshandlung entschieden, die folgen nicht bedacht. das sind die worte der kritikerInnen, die ehrenswert sind, solange auf die sache zielen. diese darf dabei aber nicht verstellt werden. beschlossen wurde ein geordneter, mittelfristiger ausstieg. niemand will akws sofort abstellen, denn alle wissen, dass die sicherheit der versorgung, aber auch der menschen über allem stehen muss.

war mit weg damit gemeint, unsere bundesrätinnen müssten ausgezogen, wie sklavinnen auf dem jahremarkt der belustigungen vorgeführt und einmal tüchtig gezüchtigt werden? der visuell übersättigten mediengesellschaft ist das durchaus zuzutrauen. gerade politikerInnen werden seit ruth metzler auf ihr äusseres reduziert, teilweise mit widerstand, teilweise mit augenzwinkern und teilweise auch mit kalkuliertem gewinn. wie andere formen der personalisierung ist das alles ambivalent. es kann die aufmerksamkeit für politische botschaften erhöhen, es kann sie aber auch bis zur unkenntlichkeit überlagern. das ist namentlich dann der fall, wenn politikerInnen, ja bundesrätInnen, zu sex-objekten für die männerbünde in der politöffentlichkeit werden. die aufregung war gross, als jüngst die juso die spitzen der internationalen wirtschaft in der schweiz sinnbildlich entblöste, um sie für ihre politisches anliegen ohne rücksicht auf minimalstes sittliches empfinden zur schau zu stellen. die justiz musste einschreiten, um remedur zu schaffen. bleibt abzuwarten, was mit der durchaus vergleichbar unschicklichen nzz-karikatur geschieht.

denn weg damit kann in der postfeministischen äre der politischen diskurse auch bedeuten, dass man sich der frauen im bundesrat entledigen sollte. mindestens eine ist ja schon seit ihrer wahl auf der abschussliste. von einer zweiten sagt man, ihre karriere stehe im herbst des politikzyklus’. bei den beiden anderen war man bisher noch vorsichtiger. denn mindestens in den umfragen der sonntagspresse sind sie nicht nur die mitunter bekanntesten politikerinnen, sondern auch die beliebtesten im land. soll sich das nun alles vorbei sein? haben die magistratinnen mit ihrer atomentscheidung den politischen kredit verspielt? bei der wirtschaft, sagt man jedenfalls, um beizufügen, dass auch ihre sozialmoralische integrität in der gesellschaft in frage gestellt sei. wer so skandalisiert, will wohl eines: dass die bundesversammlung der frauenförderung in der politik endlich den riegel zu schiebt und wieder männern in die höchsten posten des staates wählt.

ich habe diese woche eine längeres gespräch gehabt mit einem kollegen – einem schweizer politikwissenschafter, der lange in den usa lebte, unserem land aus der distanz eng verbunden blieb. er erzählte mir davon, wie er mitbekommen habe, dass ein präsident einer nationalen partei in der beiz schlechte witze über ein der bundesrätinnen erzählt habe. das alles war vor fukushima und der kritisierten karikatur. mein gegenüber sagte mir, er habe den parteipräsidenten zur seite genommen, sich vorgestellt, als spezialist für konkordanz und gesprächskultur, um sich über den dramatischen zerfall der schweizerischen politkultur zu beklagen, in der nicht mehr der kampf um gegensätzliche standpunkte zähle, sondern die möglichst offen zur schau gestellte respektlosigkeit.

sexistische herabstufungen politisch andersdenkender ist kein fortschritt in der entwicklung der schweiz, für den mindestens in meiner vorstellung die nzz noch steht. es ist ein rückschritt, der nicht besser wird, wenn er mit gut signiert ist. denn das bild und seine symbolik sind und bleiben schlecht.

stadtwanderer

erinnerungsorte und erinnerungshorte

niemand mehr, der oder die das 19. jahrhundert selber erlebt hat, ist heute noch auf der welt. das saeculum ist stück für stück von der erfahrung in die erinnerung gewandert. doch selbst das änderte sich mit dem 19. jahrhundert historisch. denn kein jahrhundert zuvor ist schon zu seiner zeit medial so verewigt worden wie eben das 19.

die-verwandlung-der-welt-id4600019jürgen osterhammels buch “Die Verwandlung der Welt” ist seit dem erscheinen 2009 in den allerhöchsten tönen gelobt worden. als meilenstein der deutschsprachigen geschichtsschreibung hat man es gefeiert, und es dauerte kein jahr, da gab es für den konstanzer historiker preise und ehrungen zuhauf.

zu osterhammels originellen beiträgen über das 19. jahrhundert zählen seine ausführungen zur selbstbeobachtung und gedächtnis, die sich zwischen französischer revolution und erstem weltkrieg geändert haben.

zahlreiche städte aus dem mittelalter wurden im 19. jahrhundert drastisch verändert. es fielen die stadtmauern mit ihren toren, hinzu kamen eisenbahnschienen, bahnhöfe sowie industrie- und wohnquartiere. das alles kann man heute noch sehen. hören kann man das 19. jahrhundert in der oper. zwar schon früher entstanden, wurden gerade die europäische wie die chinesische oper zur führenden kunstform auf der bühne, die heute noch nachhalt.

zur gleichen zeit wurde das archiv der staaten populär, es entstanden vielerorts die bibliothek und das museum. geboren wurde die weltausstellung als neue form der selbstbeobachtung. mit der industrialisierung und der urbanisierung nahm nicht nur das symbolische, auch das schriftliche zu. die sozialreportage wurde erfunden, es multiplizierten sich die reisebeischreibungen. die literatur wurde realistisch, die welt vermessen und kartiert, und die soziologie als diagnose der gegenwarten entstand in paris.

zahlreiche volkszählungen haben ihren ursprung im häufiger werdenden nationalstaat. mit der demokratisierung der republiken und monarchien entstand die presse, die sich zum informationsmittel der massen und zum nachrichtenwesen rund um den globus entwickelte. last but not least ist das 19. jahrhundert die zeit des bildes. mit viel pomp wird die meschheit mit der fotografie beglückt, und genau zum ende der zeitspanne entsteht mit dem film das bewegte bild. das entfernte kam so ganz nah, und ins reale mischt sich das fiktionale.

vordergründig ist es nur ein sprachspiel, das jürgen osterhammel in sein monumentales werk über die verwandlung der zeit einfügt. demnach hat das 19. jahrhundert nicht mehr nur seine erinnerungsorte. in einem bisher unbekannten masse wird es auch durch erinnerungshorte geprägt. hintergründig trifft die metapher die entwicklung der damaligen zeit genauso wie die schätze, die sich mit der zweiten welt der medien für die historie eröffnen, von denen man für frühere zeiten nur träumen kann.

eine tolle anregung, neu durch bern zu wandern, um das 19. jahrhundert zu hören, zu sehen und zu lesen.

stadtwanderer

aussteigen

berns schülerInnen, die gestern lautstark durch die stadt zogen, nahmen die historische entscheidung des tages vorweg. denn heute hat der bundesrat beschlossen, dass sie schweiz aus der kernenergie auszusteigen soll.

HBWh4WVs_Pxgen_r_900x592drei szenarien hatte die bundesregierung heute vor augen: weiterfahren wie bisher, moratorium für den bau neuer kernkraftwerke und ausstieg aus der kernenergie. sie entschied sich nach einer vierstündigen diskussion für letzteres. aussteigen heisst für den bundesrat aber nicht abschalten. das wurde in den letzten wochen klar. keine ernsthafte partei forderte das auch heute. es heisst aber, dass in der schweiz kein neues kernkraftwerk mehr gebaut wird. die bestehenden bleiben am netz solange ihr betrieb sicher ist, dann werden beznau, mühleberg, gösgen und leibstadt schrittweise abegschaltet und die stromversorgung aus der kernenergie läuft aus.

nach fukushima fühlten sich die umweltorganisationen, unterstützt von den rotgrünen parteien mit ihrer akw-kritik bestätigt. sie mobilisierten die anti-akw-bewegung neu und drängten auf den ausstieg, je schneller, desto besser. massgeblich war aber der schwenker der bdp, denn erst das hatte die bürgerliche mitte unter druck gesetzt und die mehrheitsverhältnisse aufgeweicht. bei der cvp scheint das eine wirkung im gewünschten sinne gezeigt haben, bei der fdp nicht.

die wirtschaft, vertreten durch economiesuisse, wollte sich die zukunft nicht verbauen, wie sie es sagte und optierte für eine fortsetzung der kernenergie, wohlwissend dass auch zentrale akteure in der energiebranche der meinung sind, ein neues kernkraftwerk könne nach dem unfall in japan nicht mehr gebaut werden. denn dafür wird ein volksabstimmung nötig sein, bei der man ohne klar veränderte rahmenbedingungen kein ja zur kernkraft erwarten könne.

wer heute wie gestimmt hat, weiss man nicht wirklich. am wochenende noch wurde in der presse heftig darüber spekuliert. calmy-rey, sommaruga und widmer-schlumpf galten als befürworterInnen des ausstiegs, maurer, burkhalter und schneider-ammann als gegner. unbekannt war die position der volkswirtschaftsministerin leuthard. ihr wechsel ins uvek im letzten herbst wurde immer wieder damit begründet, sie müsse der schweiz die atomzukunft sichern. umgekehrt war nach fukushima klar geworden, dass sie es war, welche das laufende verfahren für die neuen rahmenbewilligungen sistierte. so wie die cvp den entscheid kommentiert, hat die energieministerin heute für die energiewende votiert, was heissen würde, die vier frauen im bundesrat war fürs aussteigen, die drei männer dagegen.

so wie ich die schweizerInnen einschätze, wird die versorgungssicherheit ein wichtiges thema bleiben: stromausfällen und und energierationierung steht sie negativ gegenüber. doch heute ist die sicherheitsfrage nicht mehr alleine eine der kraftwerksbetreiber. denn ihre vision der technologie ist mit jedem unfall verblasst. die bevölkerung selber blieb stets zurückhaltend.für das nachdenken über alternativen fanden sich mehrheiten, für den ausstieg nie. ungelöst blieb (und bleibt) die endlagerfrage. vor die wahl gestellt, freiwillig auf ein akw in mühlberg verzichten, sagte vor wenigen wochen noch eine knappe mehrheit der bernerInnen nein. nach fukushima lehnte aber kantone wie die waadt ein tiefenlager für radioaktive abfälle deutlicher noch ab. andere, wie der kanton jura, sistierten entsprechende abstimmungen, wissend, was dabei herausgekommen wäre.

den trend in der ausstiegsdebatte setzten die grossen städte. eine um die andere beschloss in regierung, parlament und mit volksmehr den ausstieg aus der kernenergie auf zeit, ähnlich wie es der bundesrat jetzt tut. der ist klarer in der frage der investitionen. die energieeffizienz muss gesteigert werden, und das geld für neubauten soll in erneuerbare energieträger geleitet werden.

die schülerInnen, die gestern mit ihrem streik und mit ihrem protest die stadt aufrüttelten, wussten das. ob sie auch wussten, dass die schweiz, vertreten durch ihre regierung, heute einen ausstiegsentscheid fällen würde, kann bezweifelt werden. wohl hofften sie es, und wohl dachten sie auch, dass es wieder nicht reichen würde.

nun soll alles anders kommen. der bundesrat wird gefordert sein, seinen entscheid sauber zu begründen und ihm taten folgen zu lassen. das parlament wird noch in seiner alten zusammensetzung im juni 2011 darüber beraten, und da wird sich zeigen, wie stabil die politischen verhältnisse in dieser frage sind. nicht zuletzt ist jetzt damit zu rechnen, dass auch die wahlen vom herbst zum gradmesser werden, wie sich die schweiz ihre zukunft vorstellt – jetzt ohne atomenergie.

stadtwanderer

20 minuten für ein bild und einen text

zuerst war ein plakat. dann ein spannungsaufbau. und jetzt die lösung. mit exklusivem bericht beim “stadtwanderer”.

topelement
offizielle version der rätsellösung gemäss 20 minuten – die inoffizielle gemäss stadtwanderer folgt …

seit einigen tagen hängt an bester lage beim berner hauptbahnhof ein plakat. gezeigt wurde ein mann – von hinten. die gepflegte frisur, das dunkle haar mit wenig grau meliertem dazwischen erinnert einen – an einen bildschnitt aus dem “club”. doch auf dem plakat findet sich kein name. dafür reichlich politisches. “spannungsaufbau” nennt man das in der politwerbung.

***

das seien seine kernbotschaften im nationalratswahlkampf, erklärte gestern mittag matthias aebischer dem reporter von “20 min“. der wollte über den unbekannten auf dem bild berichten, denn heute soll das rätsel aufgelöst werden. kandidat aebischer will sich um 180 grad drehen (nicht politisch) und seinen wählerInnen inskünftig direkt in die augen sehen.

mit dem stadtwanderer haben die beiden kommunikationsfachleute jedoch nicht gerechnet. aufgefallen war mir das plakat ende letzter woche, und es war mir klar, dass ich daraus eine geschichte machen werde. schliesslich ist meine “ali kebap” geschichte immer noch die meist gelesenste auf dem stadtwanderer.

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“früh, sehr früh” starte die kampagne, gebe ich dem fragenden reporter zur antwort. denn personenentscheidungen würden in der regel erst im herbst fallen, “in den 6 wochen vor der wahl.”

er habe nur ein kleines budget zur verfügung, kontert aebischer, deshalb wolle er auffallen, bevor es alle anderen auch versuchen, begründet er seinen auftritt wider den mainstream.

“hält er das durch?”, will der reporter wissen.

sicher bin ich mir nicht. werberisch wäre das nur mit einer grossten stange geld möglich. doch das schafft nicht einmal c.b. aus h. publizistisch kann man es mit einer ereignishaften wahlkampagne versuchen, die früh aufmerksamkeit erheischt, und das interessen dann journalistisch hoch hält.

dass man das risiko eingeht, hat wohl mit der situation auf der sp-liste zu tun: andre daguet tritt vorzeitig zurück, macht damit platz für seinen wunschnachfolger. lumengo, der ausgetretene, kandidiert wieder, aber auf einer eigenen liste. und auf der männerliste der berner sp hat es drei promis, die einsteigen wollen: alex tschäppät, der stapi, jacques de haller, der ober-arzt, und eben matthias aebischer, der mann, den man vom tv kennt.

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ich habe verschiedene tv-mitarbeiter kennen gelernt, die ihre bekanntheit für eine politische karriere nutzen wollten. der erste war toni schaller, in den 90er jahren chefredaktor. er verrechnete sich, als er der wählerschaft kurz und bündig mitteilte, “ich bin kandidat”. weder wurde er für den landesring zürcher regierungsrat, noch scahffter er es in nationalrat. sein scheitern begründete gar das ende des ldu. besser machte es filippo leutenegger, ebenfalls chef der leutschenbach-redaktionen, als er sich für ein nationales parlamentsmandat bewarb. er hatte bemerkt, dass es nicht nur um bekanntheit, sondern auch um positionierung geht, wenn man gewählt werden will. vermutet hätte man, dass er für die svp antreten würde, effektiv fand man ihn auf der fdp-liste wieder. um sein liberales credo zu kommunizieren, erzählte der quereinsteiger allen von seinem privat initiierten kinderhortprojekt. familie ja, aber ohne staatsknete, kam da rüber.

äbischer, heute bekanntlich nicht mehr beim fernsehen, dafür lehrbeauftragter für tv-journalismus in freiburg und winterthur und hausmann, setzt noch deutlicher auf themen: familie, bildung, öv und erneuerbare energien sind seine schwerpunkte. rhetorisch fragt er, wer sich dafür einsetze. er und sein sp kann man ab heute auf dem gewendeten plakat nachlesen.

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übrigens, mein überraschender kurzauftritt während der fotosession sorgte für eine kleine aufregung. spätestens mit meinem schnapschuss aus meiner kamera wurde allen klar, dass ich hierzu bloggen werde. eigentlich ganz gut in einer ereignishaften kampagne, dachte ich mir. doch dem berichterstatter von der geschriebenen presse wurde sofort klar, dass ich schneller sein könnte, der primeur damit futsch sein könnte. denn mehr als 20 minuten brauche ich nicht, um ein foto aufs web zu bringen, und einen text dazu zu stellen. damit die kirche im dorf und matthias im gespräch bleibt, einigte wird uns auf eine einvernehmliche publikationsabfolge …

stadtwanderer

stell dir vor, es ist europatag, und einer denkt dran!

der heutige 9. mai ist europatag – gedenktag der gründung der (vorläuferorganisation der) eu im jahre 1950 und seit 1985 offiziell begangen. ein geeigneter moment, die scheuklappen der helvetischen politik in dieser sache abzulegen.

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dieter freiburghaus, bei sich zuhause in solothurn, während des interviews zum verhältnis schweiz – europäische union für die unternehmerzeitung

vor einige tagen schrieb ich, zu den kommunikativen folgen des atomunfalls von fukushima gehöre, andere themen von der agenda verdrängt zu haben. damit meinte ich insbesondere, dass es keine eu-debatte mehr gäbe, weder von befürworterInnen noch von der gegnerschaft, aber auch nicht von den bilateralistInnen. ganz zu scheigen von den politexpertInnen.

mit einer ausnahme: dieter freiburghaus, vormals professor für politikwissenschaft am lausanner idheap, nimmt in der unternehmerzeitung kein blatt vor den mund – und stimmt offenbar mit mir überein: “Don’t ask, don’t tell”, zitiert er einen grundsatz der amerikanischen armee. denn sie hätte gewusst, auf schwule in ihren reihen angewiesen zu sein, es aber nie aussprochen.

das schweizerische tabuthema sei, dass die souveränität auch mit den bilateralen leide. die schweiz sei wirtschaftlich auf die integration im eu-binnenmarkt angewiesen. alles andere, wie vermehrte exporte nach china, sei angsichts der grössenordnungen, über die man spreche, augenwischerei. 1992 suchte man mit anderen eine institutionelle lösung über das ewr-abkommen, das in der volksabstimmung scheiterte. 2000 kam es zum abschluss der bilateralen verträge, die 2005 durch die bilateralen II erweiterte werden konnten. bei den bilateralen III steht die schweiz in brüssel indessen an. nach eine vorwarnzeit von rund zwei jahren.

“Wir können der EU beitreten, wir können am EWR teilnehmen, oder wir können die institutionellen Fragen bilateral verhandeln”, bilanziert der eu-experte, der jahrlang die kader des bundes und der kantone in fragen der europäischen union ausgebildet hat. für ihn ist klar: ein eu-beitritt würde scheitern – sicher an der mehrwertsteuer und an den jährlichen kosten. anderseits sieht er die bilateralen in der sackgasse. über den sektoriellen abkommen bestehe die eu auf einer generellen lösung für die übernahme ihres rechts und die schaffung eines schiedsgerichts für die bereiche, in denen man einen gemeinsamem vertrag wolle. doch sei dafür in den sektoriellen abkommen kein wirlicher platz.

aus sicht des politikexperten spricht alles für den ewr. der habe institutionelle lösungen realisiert, die der schweiz entgegen kämen. bei den entscheidungen sei man als nicht-eu-mitglied nicht dabei, bei ihrer vorbereitung jedoch schon. die gegenwärtig lösung sei schlechter, denn das eu-recht fliesse über verordnung in die schweiz – am parlament und volk vorbei.

blockiere die schweiz die von der eu-geforderten institutionellen regelungen wieter, werde es, prophezeit freiburghaus, zu einer ähnlichen situation wie beim bankgeheimnis kommen. über nacht werde man unverhandelbares aufgegeben müssen und damit eine innenpolitische krise ausgelösen. bis es soweit sei, werde der druck auf die schweiz zunehmen, etwa bei der holdingsteuer oder bei den doppelbesteuerungsabkommen.

freiburghaus, im bernischen laupen geboren, studierte in bern, st. gallen und berlin mathematik, ökonomie und politik, bevor er in bern eine eigene forschungsstelle für angewandte politikwissenschaft unterhielt, die ihn zur professur am genfersee führte. während jahren bot er mich in seinen kursen auf, seinen studierenden meine analyse des europabewusstseins der schweizerInnen zu unterbreiten. dabei habe ich einen in der literatur bewanderten, eher nüchtern kalkulierenden menschen kennen gelernt, der das, was ist, nicht einfach für gut hielt.

jetzt, wo er pensioniert ist, sagt er es den schweizer unternehmen unverblümt. “Der EWR wäre in meinen Augen eine schnelle und einfache Lösung.” dafür spreche, dass die gegenwärtigen streitpunkte in einem halben jahr vom tisch wären. dagegen streube man sich aber nach dem trauma von 1992. denn seither hoffe man, unterhalb des ewr-integrationsniveau vergleichbare vorteile zu erhalten, ohne nachteil zu haben. das sei eine illusion, an die bundesrat und parlament weiter glaubten, die von der svp verteufelt werden – und die der analytiker durchschauen müsse.

gerade am europatag!

stadtwanderer

kompetenzzentrum für menschenrechte in bern gegründet

seit 1993 verlangen die vereinten nationen von ihren mitgliedsstaaten unabhängige menschenrechtsinstitutionen. die schweiz, seit 2002 mitglied der uno, macht jetzt einen ersten schritt hierzu und gründet in bern ein kompetenzzentrum für menschenrechte. ein zweiter schritt wird folgen müssen.

walter_kalin_unhcrprof. walter kälin, leiter des zentrums für menschenrechte in bern

walter kälin ist weder in bern noch in new york unbekannt. der 60jährigen jurist aus hinterkappelen wirkt seit einem viertel jahrhundert an der berner universität als professor staats- und völkerrecht. nach 2003 vertrat er während fünf jahren die schweiz im menschenrechtsrat der vereinten nationen.
nun ist walter kälin zum ersten leiter des eben eröffneten kompetenzzentrum für menschenrechte in bern ernannt worden.

“Wir sind kein akademisches Institut, sondern ein praxisorientiertes kompetenzzentrum, in dem wir unser akademisches Wissen für ganz konkrete Fragen zur Verfügung stellen”, umriss kälin seine neue aufgabe gestern vor den medien. vorgesehen ist eine fünf jährige pilotphase, nach der entschieden wird, ob man den zweiten schritt macht.
bis dann will man einen informations- und beratungsbedarf decken, der aus der umsetzung internationaler verpflichtungen entsteht. vor augen hat man behörden, private organisationen und firmen der internationalen wirtschaft, denn sie werden regelmässig kritisiert, von der schweiz akzeptierte empfehlungen für menschenrechte nicht genügend umzusetzen.
beraten will man vor allem eidgenössische kommissionen, wie jene für rassismus-, migrations- oder gleichstellungsfragen. die haben zwar direkten zugang zum bundesrat und verwaltung, es fehlt ihnen aber an denkfabriken, die sie informieren und aufklären. koordinieren will man auch die entsprechenden aktivitäten der kantone und die diversen initiativen an den universitäten.

die erste leitung des kompetenzzentrums will auch selber aktiv werden. sie will selber klären, wo beispielsweise volksinitiativen mit der europäischen menschrechtskonvention in konflikt stehen. oder sie will präventiv aufzeigen, wie weit forderungen, die man in der schweiz an fremde erhebt, im ausland gegenüber fremden, zu den wir gehören können, erhoben werden. damit will man zu einem realistischeren bild der weltgesellschaft und weltpolitik beitragen.
zu den ersten beabsichtigten aktivitäten des zentrums zählt, den menschenhandel, insbesondere mit frauen, als moderne form der sklaverei anzugehen. dazu fehle es in der schweiz schon an aussagekräftigen statistiken, betonte kälin bei der eröffnung.

der erste schritt ist auf initiative von bundespräsidentin micheline calmy-rey gemacht worden. der zweite wird 2016 erfolgen. bis dann muss die schweiz entschieden, ob sie für die jetzige initiative ein gesetzesgrundlage schafft, das insbesondere auch das monitoring für menschenrechtsverletzungen regeln würde. verabschieden müsste das das parlament in einem referendumsfähigen entscheid.

der stadtwanderer begrüsst die entwicklung. gerade im internationalen recht wächst der bedarf an angemessener beratung, in ehtischer, kultureller und juristischer hinsicht. die schweizerische friedensstiftung und die denkfabrik foraus haben das wichtige pfade geebnet. nun kommt ein weiterer hinzu, der klar international ausgerichtet ist, aber gut zu den gouvernementalen funktionen einer hauptstadt passt.

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