kultur i tiomilaskogen (kultur im 100-meilen-wald)

„kultur i tiomilaskogen“ ist der höhepunkt des festjahres, der die menschen im grenzgebiet von värmland und dalarna verbindet. ein stimmungsbericht von der 10. auflage aus dem 100-meilen-wald zwischen hagfors, vansbro und malung.

P7300161meist wirkt die kirche von tyngsjö etwas verlassen. selbst an sonntagen ist die gemeinde im christlichen langhaus am see bisweilen klein geworden. jedenfalls kann man sich dieses eindrucks nicht erwehren, wenn man den grossen friedhof rundherum sieht, der von den zeiten berichtet, als hier die nilssons, olssons, perssons und larssons am alten platz der traditionellen bauernversammlungen noch zahlreich waren.

doch wenn „kultur i tiomilaskogen“ angesagt ist, stehen so viele autos auf dem parkplatz vor der kirche wie sonst nie während des jahres. der frisch renovierte prästgard, das pfarrhaus aus dem jahren 1858, ist unser beliebtester beliebter treffpunkt. waffeln werden draussen gebacken, kaffee und bröd drinnen gereicht. da trifft man schon mal auf einheimische, die, sonst meist verschlossen, an diesem langen wochenende viel zu erzählen haben. Oder man begegnet zugewanderten, die hier in der wildnis ihr glück versuchen, wie meine holländischen nachbarn am tisch in der pfarrstube, die, als sie meine herkunft erfahren, umgehend von der euro ‚08 und der belagerung berns durch die niederländischen fans zu schwärmen beginnen.

im geräteschuppen vis-à-vis ist einer der zahlreichen trödlermärkte, hier loppis genannt. davon gibt es in värmland fast so viele wie seen. doch der in tyngsjö am festival ist einer der erlesensten. die alte kakaobüchse kostet 20, die elegante cola-flasche dreissig und das wiskey-glas glatte 50 kronen. wer es kauft, macht es jedoch kaum des preises wegen, mehr, weil es ihn oder sie an das warme getränk der mutter am morgen, den ersten konsumtripp in die nahe gelegene stadt oder den schlimmen vollrausch mit 18 erinnert.

das kleine haus daneben gehört voll und ganzden künstlerinnen. die jüngere generation, meistens auswandererinnen aus deutschland, präsentieren hier ihre töpferwaren, die sie wärhend der auszeit aus der alltag prdouzieren, um sich selber zu verwirklichen. die preise sind entsprechend urban. Im raum nebenan spricht man indes nur schwedisch, denn da ist die alte generation, die noch mitten im leben steht. nützlich-schön ist ihr handwerk aus wollwaren. hoch im kurs der kinder sind ihre sachen aus schaffällen, in die man sich kuschlig einschmiegen kann.

für uns ist es zeit, sich zu stärken. der zentrale hamburgerstand ist ein eigentlicher familienbetrieb. erhältlich sind skogstofflan och het sulan, heisse teigtaschen mit fleisch oder käsefüllungen, die der junge in seinem schulenglisch anpreist, die mutter liebevoll zu bereitet, nachdem der vater beim schwatz mit besucherInnen alles vorgewärmt hat.

einige strassenzüge weiter ist ein altes, ehrwürdiges ökonomiegebäude um vorübergehenden kulturpalais umgebaut worden. die vielen besucherInnen finden hier kaum platz zum parkieren, denn die wiese ist vom regen der woche immer noch aufgeweicht. der schober selber ist dreigeteilt: in der mitte befindet sich eine fotoausstellung mit schwarz-weiss-bildern aus schweden und der ganzen welt von einer einheimischen fotografin; links davon, im alten geräteteile, gastieren fünf frauen mit ihrem haushaltskram, und am rechten ende ist eine ausstellung mit frischem garn, farbigen seifen und und duftenden ölen. davor trauert ein alter mann ein wenig dem leben nach. er verkauft wassermelonen und summt zu eigenen guitarreklängen ein paar nordische lieder. im wind hängt ein mobile mit trollen, seinen einzigen zuhörern.

am schluss des ausflugs ist der hintersitz unseres autos randvoll. keine gedanken haben wir uns gemacht, wo wir das alles verstauen werden. doch das ist so, wenn man ans kulturfestival geht, denn es ist die seele, die das handeln treibt.

und so freuen wir uns zuhause über unsere grosseinkauf im tjomilaskogen: er bereichert uns um eine schale aus norwegischem zinn zum schenken, vier kaffeetassen mit blumenverziertem untersatz, elf löffeln, einer sauciere, zwei töpfen honig aus värmland, einem frischen quarkkuchen, einem pack tunbröd, einem alten kochbuch mit ebenso alten rezepten, einer kartoffelstampfe, einer schafschere, einem hammer für die sense, vier klungen wolle, einem paar fingerlangen pulswärmerm, einem bund tom & jerry-hefte für die toillete, einem krimi von einem mir nicht weiter bekannten einheimischen autor, 2 t-shirts mit aufgedruckten winterbildern und 5 nistkästen für die vögel, die sich hoffentlich nächsten frühling hier paaren. wenn wir von allem dem etwas nicht gebrauchen können, bringen wir es einfach auf einen loppis und tauschen es an neue liebhabern weiter.

der lutheranische pastor in tyngsjö hätte seine helle freude, würden seine schafe so einfach glücklich!

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saurer regen über uns

die unendliche ruhe im schwedischen wald fand heute morgen ihr jähes ende. seekalken gegen den saueren regen war angesagt.

P7300048punkt sieben uhr gingen ein paar autotüren. durch das offene schlaf- zimmerfenster waren kurz ein paar männerstimmen zu hören. dann zischte eine maschinenzündung. ein greller ton zerschnitt die morgendliche ruhe. es setzte das tiefe brummen eines motors ein. hörbar wurde, wie erste wellen gegen ein schiff schlugen.

heute ist in unserer gegend sjökalkning, seekalken, angesagt. drei männer aus der gegend kamen gestern abend schon mit einem grossen laster und anhänger hierher. darauf waren zwei schiffe, kleinen u-booten gleich, geladen. länglich, gedrungen, mit einem grossen bauch und einem kleinen aufsatz als führerkabine. platziert wurden sie in den regnerischen abendstunden links und rechts des dammes, die nacht hindurch warteten sie auf das signal zum angriff.

heute morgen wurde die aktion gestartet. gerichtet ist sie gegen das seesterben durch algen und schlamm. schuld an allem ist der saure regen, der die vegetation im wasser überschnell wachsen lässt. gemunkelt wird, das alles seien nachwirkungen des reaktorumfalls in tschernobyl. damals kippten die schwedischen seen serienweise hinüber.

unter lautem stöhnen stösst ein lastwagen mit grossen zisternen den geladenen kalk übe r ein langes rohr aus. fixiert ist dieses an den booten, deren grosser bauch abwechslungsweise gefüllt wird, bis sie fast ganz im wasser versinken. dann tuckern sie kampfeslustig auf den see hinaus und sprühen den kalk kanonenartig über das wasser. nach einer knappen halben stunde kommen sie wieder zum damm, um geladen zu werden. einmal ist man links davon aktiv, dann wieder rechts, sodass keine zeit ungenutzt vergeht. schliesslich hat schweden 90000 seen.

jedes zweite oder dritte jahr werden die stillstehenden und damit gefährdeten gewässer so behandelt. die effekte bemerkt man gern; wir beispielsweise haben wieder seerosen in sichtweite des ufers.

das vorspiel dazu ist indessen schrecklich. die ersten vorboten sind zu sehen, wenn sich an ausweichstellen plötzlich kalkberge zu türmen beginnen. dann nimmt der lastwagenverkehr den tag hindurch hörbar zu – und plötzlich ist auch dein see an der reihe. einen tag dauert die übung, während der es faucht und spukt, dampft und nebelt, lärmt und kracht.

der mann auf dem damm nimmt seinen ohrenschutz ab, und tritt zum verwunderten frühaufsteher, der ich soeben geworden bin. er ist stolz darauf, was da unter seiner leitung abgeht. ich bin vor allem erstaunt, wie jäh die ruhe hier gebrochen wurde.

die kreuzung am ende des damms heisst im volksmund „lebensgefährlich“. Erzählt wird, zwei waldfinnen aus der gegend, die in früheren zeiten je ein stück wald bewirtschafteten, seien hier unfreundlich aufeinandern gestossen. dann habe hat es wohl auch gekracht.

mein seekalker meint zu mir: jetzt wisse ich, warum die stelle „lebensgefährlich“ heisse. weil maschinen die naturidylle zerstören, oder sonst der sauere regen das tut, denke ich mir. Als ich auf der veranda stehe, dem treiben aus der ferne zusehe und an meinem kaffee schlürfe, sage ich mir: jetzt weißt du, wie moderne legenden entstehen.

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die berühmteste zugsreise der europäischen geschichte und ihr geheimnis

eine seiner zwölf reisen durch das 20. jahrhundert führte geert mak durch den norden europas. von berlin aus ging es über kopenhagen, stockholm und helsinki nach petrograd. zeitlich ist sie der phase am ende des ersten weltkrieges gewidmet, dem grossen moment der russischen revolution.

LENIN STOCKHOLMlenin in stockholm (mit zylinder und schirm, beim empfang durch den bürgermeister der schwedischen hauptstadt während seiner reise von zürich nach petrograd)

vom sturz des zaren in st. petersburg erfuhr lenin am 15. märz 1917, dem sechsten tag des generalstreiks. mak nimmt das zum anlass, über die isolierung der bolschewiki im exil zu sinnieren. denn selbst die zürcher polizei interessierte sich mehr für seine nachbarn an der spiegelgasse 14, dem cabaret voltaire, wo künstler 1916 das ende der wahrheitssuche in der bürgerlichen gesellschaft verkündet und den dadaismus begründet hatten, als für den flüchtling vladimir iljitsch uljanov.

dass die prawda, die kommunistische wahrheit, 1917 in wenigen wochen von einer zeitung ohne eigene druckerei zu einem massenblatt mit täglich 40 ausgaben und einer gesamtauflage von über 350’000 exemplaren aufsteigen konnte, führt den autor unweigerlich zur frage, wie das finanziell möglich gewesen sei. die antwort darauf findet er im aufenthalt lenins in stockholm während seiner nordlandreise.

die letzte nacht in zürich verbrachten lenin und seine genossen im hotel zähringerhof. danach bestieg man den zug nach berlin, der plombiert durch das kaiserreich fuhr. das sollte garantieren, dass die kommunisten keinen kontakt zum feindesland haben würden.

in der tat hatte man die aber. denn berlin unterstützte die reise durchs kaiserreich, da man in der person von zar nikolai ii. einen gemeinsamen feind hatte. eine revolution in der zentrale des zarenreiches bot die möglichkeit, auf eine ende des zweifrontenkrieges, ja des krieges überhaupt zu hoffen.

nach der ankunft in der revolutionär gesinnten stadt, in der die liberale provisorische regierung die macht übernommen hatte, wandte sich lenin erstmals an seine zurückgekehrten bolschewiken. doch anders als sie es erwartet hatten, empfahl er ihnen mit den april-thesen nicht, die bürgerliche revolution weiter zu unterstützen, sondern gleich eine zweite, nämlich die sozialistische revolution der arbeiter und bauern vorzubereiten und den krieg mit deutschland zu beenden.

der wechsel der strategie in der russlands ist für geert mak so offensichtlich, dass es gründe hierfür braucht. denn in zürich, wo lenin am abend vor der abreise sprach, hatte er sich in seinem „brief an die schweizer arbeiter“ noch skeptisch über die chancen einer sozialen revolution im rückständig gebliebenen russland geäussert. nun wollte er sie im eilzugstempo realisieren.

den für die weltgeschichte entscheidenden moment der neubesinnung ortet der chronist bei den treffen der reisegruppe in stockholm. offiziell war man vom bürgermeister empfangen und von den medien bewundert worden. denn die hoffnung auf ein kriegsende ruhten nun ganz auf lenin. inoffiziell traf sich karl radek, der oesterreichische sozialist in der gruppe, mit alexander helphand, einen multimilionär mit sympathien für die komministen. lenin hatte er 1914, damals noch journalist, kennen gelernt.

nach dem kriegsausbruch war es helphand gewesen, der bei den kommunisten unter dem namen parvus bekannt war, der in berlin auf die gemeinsamen interessen der deutschen monarchisten und der russischen kommunisten hingewiesen hatte. in stockholm nun vermittelte er der radek die finanzielle unterstützung der revolution durch das auswärtige amt des kaiserreiches. die dokumente, die nach 1945 hierzu publiziert wurden, nennen 40 million goldmark, wovon mehr als die hälfte im ersten revolutionsjahr ausgegeben wurden, und der grossteil davon an die bolschewisten als kriegsgegner ging.

demnach kann man nach mak sagen: erst während der berühmtesten zugsreise der europäischen geschichte wurde der plan für die rasche revolutionierung der massen in russland gelegt. die oktoberrevolution und der ausbrechende bürgerkrieg zwangen russland zu einem separatfrieden mit deutschland, ohne dass dieses den krieg gewinnen konnte.

einen einfachen deutschen agenten sieht mak in lenin dennoch nicht. er sei durch und durch ein revolutionär gewesen, der dem kommunistischen umsturz alles untergeordnet habe und dafür bereit gewesen sei, mit dem teufel zu paktieren. seine allianz mit den deutschen sei eine gelegenheitskooperation gewesen, die beiden seiten zu einer bestimmten zeit nutzte, die aber jederzeit wieder beendete werden konnte.

das war dann auch nach kriegsende der fall. das kaiserreich zerfiel, an seine stelle trat die weimarer republik in deutschland, während aus russland die sowjetunion hervorging. revolutionsführer wladimir uljanov selber erlitt 1918 bei einem attentat schwere verletzungen, denen er schliesslich am 21. januar 1924 erlag.

stadtwanderer

elchtest für schwedenfahrer

elche soll man nicht unterschätzten. jährlich gibt es in schweden mehr unfälle mit diesem wildtier als etwa mit wölfen oder bären. dennoch: sie sind herzergreifende gesellen in den schwedischen wäldern.

P7270086(foto: stadtwanderer)

besonders im herbst sind elchbullen gefürchtet. in der brunstzeit können sie schon mal aggressiv auf menschen losgehen, und mit ihren vorderpfoten blitzschnell und zielsicher ins gesicht eines widersachers schlagen. der angriff kann für menschen tödlich enden.

dies – und einiges mehr – lernte ich heute im elchpark von ekshärad. 35 davon gibt es zwischenzeitlich in ganz schweden. der, den ich heute besuchte, ist der erste in värmland.

von einer niederländischen familie mit unternehmerischem flair geführt, ist er seit anfang jahr in betrieb. ein altes bauerngut ausserhalb der kleinstadt wird hierfür stück für stück umgebaut. der empfang mit einem kleinen laden steht schon, ebenso der grosse elchhaag, der bis in den wald reicht.

zwei weibchen und ein männchen, alle drei von klein auf in der ältesten elchfarm schwedens aufgezogen, leben hier als gezähmte wildtiere. bei der fütterung kommen sie normalerweise bis zum hof, und können da von den besucherInnen bewundert werden. für familien mit kinder auf jeden fall ein toller moment.

2 meter schulterhöhe erreichen ausgewachsene elchbullen. elchweibchen werden bis 1,9 m hoch. die drei von ekshärad sind alle noch etwas kleiner, die weibchen sind erst jährig, das männchen ist zwei. 30 kilo futtern sie dennoch am tag. am liebsten grünes, dass energie spendet, aber leicht erreichbar ist.

ungefähr 300’000 elche hat es in schweden. im oktober, wenn während einer woche jagd ist, ist das ganze land aus dem haus – und aus dem häuschen. rund 100’000 elche werden dann erlegt. Neuerdings gibt es ärger unter den jägern, wegen den wölfen. Doch war können schon 1000 wölfe in einem so weiten land gegen die halbe bevölkerung ausrichten, die in der jagdwoche unterwegs ist? Nichts, kann man da nur vermuten.

unsere drei elche kennen das alles nicht – und sie werden es wohl nicht erleben. dennoch bleiben sie uns auf distanz, sodass der wärter kurzer hand den spiess umdreht. Statt die tiere mit dem futter zu den besucherInnen zu locken, lässt er uns durch das gitter passieren, und wir machen uns auf den weg zu den elchen.

ruhiges verhalten ist wichtig, denn elche können leicht erschreckt werden; bewegung in gruppen auch, denn einzelgängerInnen werden zuerst angegriffen. Auf keinen fall sollte man vor ihnen davon rennen, denn das ist das zeichen für alarm.

die kinder in unserer gruppe freut es ganz besonders, auf elchwanderung zu gehen. Im nahe gelegenen wald werden wir an einem schattenplatz auch rasch fündig. Die weibchen streifen ein wenig herum, das männchen ruht am boden.

alle staunen über sein geweih, das im sommer rasch heranwächst, bei schwedischen elchen eine spannweite von einem meter erreichen kann. im september werden die haare und das feld abgestossen, sodass dieser körperteil nicht mehr durchblutet wird. Wer dann das grösste und härteste horn hat, ist der platzelch, mit dem sich die weibchen des reviers paaren. in freier wildbahn, ist das ein harter kampf um fortpflanzung. im tierpark von ekshärad ist die auswahl (vorerst) klein. man hofft dennoch, dass es schon im ersten jahr klappt – und es nächstes jahr bereits jungelche zum besichtigen gibt.

der elchtest im trockenen ist jedem/jeder schwedenfahrer zu empfehlen.

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mähen in ritamäki

so früh sind wir die ganzen ferien nicht aufgestanden. doch es hat sich gelohnt. das gemeinsame mähen auf dem bergbauergut in ritamäki war eine tolle sache.

P7240298der “lohn” der arbeit: muti zum essen, dazu musik von der köchin (foto: stadtwanderer)

leif sieht so aus, wie man sich einen typischen schweden vorstellt: von natur aus stattlich gewachsen, muskulös in den armen, gut genährt im körper und stämmig in den beinen. die glatze ist trotz des erst mittleren alters fortgeschritten, und was an haaren übrig geblieben ist, hat er sich – fast schon modisch – glatt rasiert. in der sonne glänzt so sein kopf hell, was das haupt von der tiefschwarzen kleidung besonders gut abhebt.

ganz anders verhielt es sich an diesem tag mit seinen füssen, die mit absicht in berggänigen laufschuhen steckten.

als wir am samstag leif unsere alte sense aus holzhausen zeigten, brauchte er nicht lange, um zu begreifen, was ihr fehlte. aus einer seiner zahlreichen hosentaschen kramte er einen vierkantschlüssel hervor, wohl aus einem ikea-set, schraubte einmal so, einmal anders herum, und zog an der sichel, bis ihm der winkel zum stiel gefiel. dann fixierte alles, um im hohen gras einige probeschwünge zu machen, die ihn überzeugten, dass das alte gerät wieder brauchbar war.

nun waren wir dran!

denn die wiesen von ritamäki hatten einladend hohes gras, ganz in grün, durchsetzt mit blumen in allen farben, das nur darauf wartete, ebenso glatt wie leifs kopf rasiert zu werden. bärbi hatte jüngst einen kurs im sense-mähen im voralpinen gebiet besucht; sie war es auch, die im internet auf die ausschreibung gestossen war, die zum mähen auf den berghof einlud. selber hatte ich noch keine erfahrungen mit dieser art des grasens gesammelt, machte mir aber nicht wirklich etwas daraus.

am morgen früh hatte uns der wecker in holzhausen wachgerüttelt, füllten wir den thermoskrug mit kaffee, und steckten wir eilends ein paar knäckebrote in den reisesack. fast 100 kilometer waren wir gegen norwegen gefahren, um beim lokaltermin in ritamäki pünktlich dabei zu sein. aus der ganzen region waren vielleicht 20 freiwillige helferInnen gekommen, um, teilsweise fast schon professionell, teilweise laienhaft wie ich, gemeinsam auf traditionelle art die bergwiese zu bearbeiten.

bis 1964 war der hof bewohnt gewesen. seither ist er ein naturreservat. davor hatte er – im weiten finnskogen, dem finnenwald, gelegen – als bergbauerngut gedient, das nach finnischer art geführt worden war.

mitten in der waldlichtung steht bis heute das rauchhaus, wo die bauersleute einfachst gewohnt haben. dominiert wird das holzgebäude von einer mächtigen, weissen feuerstelle, die wärme zum leben, wohl auch zum kochen gab. ueber ihr ist alles schwarz vom russ, der sich seit jahren auf dem holz festklebt. leicht abgesetzt zum rauchhaus steht der stall, etwas weiter weg der erdkeller mit den vorräten für die menschen und den heuschobern für das tierfutter. nicht fehlen konnte auf so einem hof die bastu, die sauna, mit dem steinofen, dem wasserzuber und den holzbeigen.

trotzdem muss das leben hier oben erbärmlich gewesen sein. wasser hatte es aus vereinzelten bachquellen, und schafe und kühe konnten überleben. doch für ackerbau war das gelände auf dem bergrücken wohl zu steinig. vielleicht reichte das eine oder andere stück land, um ein wenig hafer, einige kartoffeln oder rüben anzupflanzen. mehr nicht!

darüber hinaus nährte man sich wohl vor allem aus dem wald, von plizen und beeren, wenn saison war, vom wild, wenn man auf jagd gehen konnte. wenn er nicht zugeforen war, bot sicher auch der nahegelegene lamsjön gelegenheit zum fischen.

die finnen waren über lange jahre hinweg die bevorzugten waldarbeiter in värmland. während generationen lebten sie nach eigenen sitten, mit ihrer eigenen sprache und ihrem eigenen glauben, um ihr wichtigstes kulturgut, ihre finnische identität, zu überliefern.

1964 verliessen henning und beda jansson ritamäki, der als letzter finnenhof nach hergebrachter art und weise bewirtschaftet worden war. drei jahre später kam das gut zum schwedischen heimatschutz, und der verein von lekvattnet, der sich dem erhalt der tradition angenommen hat, unterhält es bis heute als berghütte auf dem finnleden-wanderweg zwischen schweden und norwegen. das grosse sommermähen mit freiwilligen ist eine der attraktionen, die sie für den erhalt finnischer tradition in den nordischen bergen entwickelt haben.

nach drei stunden arbeit, während denen sich meine technik an der sense leidlich verbesserte – sodass ich an diesem morgen vielleicht 20 quadratmeter wiese gemäht hatte, auf die ich voll stolz zurückblicken konnte – wurden die ganze mäherInnen-schar zum essen ins rauchhaus gerufen. muti, ein kräftiges finnisches essen aus speck, hafer und beeren, wurde gereicht. dazu gab es fruchtsaft, und wer noch mochte, bekam waffeln mit einem klecks sahne.

sogar ein paar klänge aus einem akkordeon ertönten, als wie uns zufrieden ins frisch geschnittene gras zum ausruhen legten. schliesslich waren wir seit 6 uhr morgens unterwegs.

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das 20. jahrhundert bereisen

statt ein fachbuch zu schreiben, wie es für einen historiker üblich wäre, riskiert der schriftsteller geert mak, einen reisebericht durch europa des 20. jahrhunderts zu verfassen. und trifft meinen geschmack und meine verständnis von zeitgeschichte voll.

„1999 war das Jahr des Euro gewesen, Mobiltelefone hatten allgemeine Verbreitung gefunden, das Internet war zum Allgemeingut geworden, in Novi Sad hatten die Alliierten die Brücken bombardiert, die Effektenbörsen in Amsterdam und London feierten; der September war der wärmste seit Menschengedenken gewesen, und man fürchtete sich vor dem Millennium-Bug, der am 31. Dezember alle Computer stürzen würde.“

e_214770_67177_xlder essayist geert mak, der diese unaufgeregte bilanz zog, reiste 1999 ein jahr lang als journalist in europa herum. jeden tag verfasste er einen kleinen artikel für die frontseite des niederländischen handelsblatts. behandelt wurde so die befindlichkeit des kontinents am ende des jahrhunderts, das mit der weltausstellung in paris so hoffnungsvoll begonnen, mit der katastrophe der weltkriege indes eine jähe zäsur erlebt hatte.

die gegenwart europas im spiegel des 20.jahrhunderts ist das thema des speziellen geschichtsbuches, das aus diesen reisen entstanden ist. berichtet wird darin nicht aus den archiven der zeitgeschichte, wie man sie sich gemeinhin vorstellt. vielmehr wird die geschichte des bisher letzten saeculum aus den erlebnissen vor ort und den zahllosen zeugen der jüngsten vergangenheit, die nicht demonstrativ, dafür umso unvermittelt auffindbar sind.

paris 1900 – verdun 1916 – petrograd 1917 – münchen 1923 – guernica 1937 – dünkirchen 1940 – berlin 1942 – stalingrad 1943 – budapest 1956 – lissabon 1974 – danzig 1980 und srebrenica 1995 heissen die stationen, die für optimistische weltsichten, verlustreiche materialschlachten, revolutionen gegen monarchien, antidemokratische putschversuche, tödliche bombennächte, unseelige völkerschlachten, totalitäre griffe nach der weltherrschaft, aufstände gegen die sowjetunion, dekolonisierung der welt und die rückkehr des krieges in europa stehen.

„Ein furiose Zeitreise durch ein jahrhundert der Selbstzerstörung und der Wiedergeburt“ nennt „Die Zeit“ das buch, das einen durch mehr als 900 seiten beispielslos fesselt. wer seit auf dieses abenteuer einlässt, gerät in den sog der mitreissenden geschichte, aber auch der spannenden erzählung hierzu.

was und wie der bekannteste niederländische schriftsteller hier berichtet, ist wohl einmalig: flüssig, dicht und relevant zugleich. dabei ist es ganz egal, ob sich mak in einer der grossen europäischen hauptstädte, auf dem schlachtfeld von verdun, in den betriebsamen handelszentren des nordens, im ehrwürdigen reichstag in berlin, in einer pulsierenden südlichen metropole, im traurigen kz auschwitz, in stalingrad, budapest oder brüssel auf den schauplätzen der macht, in zubetonierten tschernobyl oder srebenica mit der grauenhaften erfahrung der krieges in der gegenwart befindet. denn überall begegnet mak menschen, die von ihrer erlebten geschichte berichten. was ein nachfolger des letzten kaisers, offiziere, dissidente, politikerInnen, bauern, bankiers, schriftstellerinnen und taxifahrer erfahren haben, dem weiss der begnadete publizist ein unverwechselbares gesicht zu geben.

geert mak ist für sein buch, das 2004 auf niederländisch, ein jahr danach auf deutsch erschien, auch kritisiert worden. es haben sich fehler eingeschlichen, bemängeln fachleute. und vielen rechten politikern ist der linke chronist suspekt.

das alles trägt dem gesamtwerk „In Europa“ nicht abbruch. mir hat die breite, vorsichtige herangehensweise gefallen. denn gerade bei der zeitgeschichte fallen historische urteile über den charakter eines jahrhunderts schwer. und genau in diese falle fällt der vielgereiste mak nicht.

deshalb empfehle ich es nach durchlesenen nächten all jenen, die sich zur recht beklagen, im geschichtsunterricht alles von den römern, vieles aus der renaissance, das nötigste über die modernen revolutionen, aber nichts über die jüngste zeit gehört zu haben.

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nomophobie

schweden, värmland, ekshärad, moccacino: im café an der zentralen strassenkreuzung des privonzstädtchens bekomme ich einen starken kaffee. und ich nehme mir den “spiegel” zur hand. der leitartikel ist dem neuen ferienproblem (der deutschen) gewidmet: “off” zu sein.

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vorbildlich: meine schwedischen kühe von nebenan verdauen in aller ruhe gemeinsam, was sie eingenommen haben, um im weitestens sinne (wieder) wieder aufnahmefähig zu werden – eben musse haben (foto: stadtwanderer)

von einem neuen menschheitsphänomen ist im deutschen wochenblatt für intelligente die rede: “nomophobie” (no mobile (phone) phobia) heisst sie, die angst, nicht mehr “mobil zu sein”. gemeint ist aber nicht die angst, sesshaft zu werden. nein, es geht darum, angst zu haben, online nicht mehr erreichbar zu sein. beispielsweise, weil man sein handy verloren hat. oder im funkloch sitzt.

natürlich ertappe ich mich, wie ich diese woche im schwarzen loch der mobilfunkgesellschaften dieser welt sitzend, gefragt habe, warum ich keinen anruf aus der schweiz bekomme, nicht einmal eine sms erhalten habe.

bin ich etwa deconnected und verpasse etwas? oder bin ich einfach ganz out? die prüfung der sachverhalte erleichterte mich: ich war stets on, und meine bekufskollegen und familienmenschen kamen ganz einfach eine woche lang ohne mich aus.

bin ich nun krank?, frage ich mich ich denke nein, werde auf jeden fall keinen computerpsychiater aufsuchen. das heisst für mich aber nicht, dass die these des spiegel-essays gar nicht stimmt!

denn maschinen, deren signale eindeutig sind krempeln unser aufmerksamkeitsempfinden nach dem reiz-reaktions-schema um, dass unsere denken ausser kraft setzt und unsere gefühl arg einengt. gefahren blitzschnell wahrnehmen und interpretieren zu können, ist in der wildnis sicher überlebensnotwendig. und chancen intuitiv zu erkennen, mag im alltag von nutzen sein.

doch kündigt nicht jede sms-klingel eine gefahr an, und auch nicht jedes mail ist eine einladung zum spass. deshalb verführen uns die maschinensignale, genauso wie sie uns warnen. gelernt sein will, auszukommen, wie wenn es sie nicht gäbe.

gelernt sein will auch die musse. die römer nannten sie otium. sie meinten damit das dösen, das schmusen und das spielen. das gegenteil davon ist negotium, die arbeit. dabei ist das sprachspiel selber erhellend: der ursprungszustand ist die musse, die durch die arbeit überlagert wird.

wenn, so schliesse ich, die arbeit die musse ganz verdrängt, ist das das problem. und es wird durch die maschinen verstärkt, welche und dabei helfen, ohne das wir uns damit beschäftigen. das lässt dann nomophobie aufkommen: die krankhafte angst, weder geliebt noch gebraucht zu werden, von dem die grosse stille der handys und computer scheinbar künden.

es ist zeit, meinen kaffee im moccacino auszulöfeln, den gedankengang zu beenden und wirklich spazieren zu gehen …

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kleinholzhausen

holzhausen ist ja ein symbolischer name für meinen schwedischen aufenthaltsort während den sommerferien. kleinholzhausen lässt zwei interpretationen zu: als klein-holzhausen, wonach holzhausen wird erweitert oder als kleinholz-hausen, wonach holz gespalten wird. heute war letzteres an der reihe.

P7220041die winter in den schwedischen wäldern sollen hart sein. erlebt habe ich sie noch nie, doch lassen webcam, schnee- und temperaturangaben aus der umgebung hinreichende schlüsse zu. diesen winter hatte es mannshoch weisse flocken, und die temperatur sank auf über 30 grad celsius – im minus selbstverständlich.

wirklich warm sind nur die monate juni bis august. das ist denn auch die zeit, wo man vorräte anlegt für den harten winter. beispielsweise holz, um zu heizen, allenfalls auch zu kochen.

letztes jahr, nach 1999 erneut ein schlechter sommer, haben wir erlebt, wie wichtig das sein kann. An nur drei tagen regnete es nicht, und die temperaturen blieben selbst im juli häufig klar unter 20 grad celsius über mittag. da musste man morgens und abends schon mal gehörig heizen.

die reserve birkenholz, die wir damals angelegt hatten, steht unverändert an die hausmauer gelehnt. jetzt wollten wir sie verkleinern. doch das war gar nicht einfach, denn das getrocknete holz war schon mächtig hart. um kleinholz zum einfeuern zu bekommen, haben wir deshalb das restholz aus dem saunabau verkleinert.

so haben wir wieder drei sorten holz vorrätig: das grobe, 35 centimeter lang, um die wärme zu halten, das feine, eben verkleinerte, um rasch aufzuwärmen, und die astzweige und tannzapfen, die zum einfeuern nützlich sind.

unser schwedenofen übrigens ist ein eichhörnchen. ganz wie diese kleintiere nüsse sammeln und in den backen stapeln, lässt es sich mit allen holzarten füttern. anders als die wirklichen eichhörnchen rennt er dann aber nicht davon, sondern gibt, einmal entzündet in minutenschnelle wohlige wärme ab.

wenn man’s braucht. wo wir in und mit kleinholzhausen heute schon vorgesorgt haben.

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slow motion mode

“tempo, tempo” ist nur das halbe leben. platz und zeit zu haben, ohne zu wissen, wie weit das ist und wie lange man dafür braucht, ist mindestens die andere hälfte!

P7210433wenn du ruderst, bist du alleine. oder fast alleine. am ufer hat es mücken, und hechte schnappen genauso nach ihnen, wie die schwalben, die sich ihre weissen bäuche vollschlagen. auf hoher see begleiten dich dann möven, die seepolizisten, die je nach eingeschlagener richtung stille patroulleure oder laute warner sind, die nach verstärkung rufen.

menschen hat es auf den entlegenen seen in den schwedischen wäldern keine. gott sei dank, denn so hat es auch keine raser!

das gibt einem auch die sicherheit, platz zu haben. nicht eingeengt zu sein, durch andere, die gleiches wollen, und, wenn man dann zu zahlreich ist, einander das vergnügen zerstören.

mein boot ist weiss, wohl aus kunststoff, und deshalb auch so leicht. es reagiert auf jedes kräuseln des sees, das der immer wieder drehende wind erzeugt. und so drehe auch ich mich, durchkreuze das wasser einem slalom gleich.

am ende bin ich dennoch geschafft. der körper ist schön warm, die haut verschwitzt, und der kopf ist durchluftet.

wie weit ich unterwegs war, weiss ich nicht wirklich. wie lange auch nicht. genau deshalb kann ich auch nicht sagen, wie geschwind ich unterwegs war. sicher aber nicht schnell, wohl eher langsam.

wahrscheinlich so, wie wenn man mich gefilmt und in einer zeitlupenaufzeichnung beobachtet hätte.

stadtwanderer

in 84 kapiteln längs und quer durch europa

er wurde am 1. januar 1924 geboren, stieg zum führenden historiker frankreichs auf, und verfasste kurz vor der jahrhundertwende vom 20. zum 21. ein bemerkenswertes bändchen über die geschichte europas. bei einigen regenwolken über dem schwedischen sommer ist die formidable übersicht, die jacques le goff über den stoff bietet, eine ideale lektüre für einen neugierigen.

22807185njacques le goff, einer der wohl renommiertesten, lebenden historiker frankreichs, schrieb 1997 seine „geschichte europas“. gerade mal 110 seiten brauchte er für den wurf, der sich an unerfahrene jugendliche wendet, letztlich aber auch von erwachsenen mit vorteil gelesen werden kann.
geografie und geschichte, mentalitäten und verhältnisse, vergangenheit und gegenwart, das sind die grossen interessen des paris mediävisten. mit 75 verfasste er die kürzeste komplette geschichte europas, die ich kenne.

am liebsten reist er, und erzählt, wie wenn es um ein umfassendes kaleidoskop ginge, was europa ist: wie es, von den griechen zur abgrenzung erfunden wurde, unter der führungen der franken entsteht, zum kaiserreich der christlichen völker wird, wie die renaissance den geist aus den antiken quellen speist, wie sich das weltbild durch die reisen nach amerika verändert, die die konfessionen den kontinent spalten, wie sich die barocke lebens- und bauweise über den ganzen kontinent ausweitet, wie die wissenschaft weltweit einmalige enteckungen ermöglicht, wie napoleons versucht einer einigung europas scheitert, wie die industrialisierung und elektrifizierung den alltag verändern, und wie die so vorteilhaften nationalstaaten internationale ordnungen brauchen, damit sich die katastrophen der weltkriege nicht wiederholen.

bildhaft ist der gereifte gelehrte, der mit leichter und dennoch präziser feder schreibt, wenn er es um kulturen geht. so treffen im mittelalter nicht nur die niedergehende römische und die aufkommend germanische kultur aufeinander. nein, es begegnen sich auch menschen, die wein und brot resp. bier und fleisch bevorzugen. Während durch die verbreitung des getreideanbaus heute fast alle europäerInnen brot essen (und nicht reis wie die asiatInnen, mais wie die uramerikanerInnen oder maniok wie die afrikanerInnen) und die meisten von ihnen fleisch konsumieren, sind die grenzen mit vorherrschenden wein- und biergebrauch weitgehend geblieben. Treffend wirken seine klaren und dennoch nicht simplen sätze, wenn le goff die konfessionen nach der reformation charakterisiert: den protestantismus aus sittenstrenger im alltag, jedoch liberaler im geist, und der katholizismus als larger im tägtäglichen umgang, jedoch konservativer in seinen weltbild.

wer wenig weiss über die entwicklung des kontinents, wird mit diesem buch gut bedient. stets klar angekündigte, thematische kapitel hat das bändchen, die in chronologischer reihenfolge europas geschichte erzählen. das kürzste ist 6 zeilen lang und handelt von der verschiedenheit der europäer, was le goff mit den persönlichkeiten der angehörigen einer familie vergleicht, die darüber hinaus aber eine gemeinsame abstammung haben. das längste ist wohl der schluss, wo der historiker auf drei seiten der frge nachgeht, „welches europa?“ wir europäerInnen brauchen. Ein gegengewicht zur den usa, zu china soll es sein, eine wirtschaftsmacht mit einer gemeinsamer währung, eine zivilisation, die menschenrechte, freiheit, gerechtigkeit und ökologie hochhält.

eindringlich wendet sich der französische europäer an die nächsten generationen. deshalb hat er das buch auch vorsichtig, aber anschaulich illustrieren lassen – genau so, wie man es sich wünscht, um kein gelehrtes gelaber vor sich zu haben, sondern ein handfestes kursbuch zur europäischen kultur, das ausflüge in und aus der geschichte bis in die gegenwart ermöglicht.

sogar über schweden habe ich darin etwas gelernt: vorgestellt wird pehr henriki ling, der anfangs des 19. jahrhunderts die körperliche ertüchtigung der jugend einführte, dafür die (schwedische) gymnastik und (klassische) massage erfand, die es heute noch in schulen, militär und sport gibt.

80 tage brauchte jules verne, um einmal um die welt zu reisen. 84 kapitel benötigte der meister der geschichte, um europa in raum und zeit zu durchqueren.

stadtwanderer

alles nur wegen telia!

ohne die schwedische kommunikationsgesellschaft namens “telia” könnte ich während den sommerferien nicht auf dem stadtwanderer bloggen. wegen telia mache ich gegenwärtig aber auch einen unwiderruflichen identitätswandel durch.

teliain schweden duzen sich alle. das schafft gemeinschaft und nähe, die in einer gesellschaft mit dem gleichzeitigen hang zum eigenbrötlertum und distanz nicht unwichtig sind. wahrscheinlich hat beides etwas mit der eigentümlichen mischung aus bäuerlichem individualismus und sozialdemokratischem kollektivismus in schweden zu tun.

so kennt man von die menschen in schweden mit den vornamen. brigitta, bengt, eric und barbro heissen sie. geschlechtsnamen hat man zwar auf dem pass; im alltag nutzt man sie nicht. die meisten lauten sowieso aus -son und sind ableitungen aus dem vornamen der vorfahren. untereinander weiss man das einfach, man braucht es gar nicht lange zu erwähnen.

bei der schwedischen kommunikationsgesellschaft telia bin ich so unvermittelt zu einem neuen namen gekommen: “claud neversil”.

daran sind zwei sachen bemerkenswert: erstens, dass man meinen lateinisch-französisch anmutendenden namen in der skandinavischen sprachkultur kaum kennt und deshalb auch nicht richtig schreibt. zweitens, dass ich einen neuen nachnamen bekommen habe.

und das ging so: vor einem jahr meldete ich mich in einem euronics laden in der schwedischen provinz, zu der auch holzhausen gehört, an, um ein modem für meinen computer zu erwerben. die gute dame – eine sehr freundlich übrigens, die in ihrem bruchstückhaften englisch mit mir sprach – notierte dafür meinen vornamen. auf ihre art eben. den geschlechtsnamen fügte sie ohne nachzufragen bei. eben auch auf ihre art. denn sie wusste aus dem mit mir gespräch, dass ich mit bärbi in holzhausen ferien mache. bekannt war ich auch, dass bärbis vater, eigentlich ein emigrierter tscheche, der vor 40 jahren in die schweiz kam, sich bisweilen auch in schweden aufhält, “neversil” heisst. und da ich bei der eintragung keinen pass bei mir hatte, aber sagte, ihn beim “schweizer” nebenan deponiert zu haben, wurde aus mir ungefragt “claud neversil”.

einmal in einem computer der führenden kommunikationsfirma eingegeben, hat man, auch in schweden, kaum mehr die möglichkeit, die eintragung zu berichtigen. denn wenn ich meine sim-kartennummer angeben, bin ich unweigerlich “claud neversil”. und wenn ich der netten verkäuferin von euronics begegne, muss ich nur sagen, claud neversil zu sein, sodass sie sofort meine ganzen kundengeschichte erinnert, was bisweilen ganz nützlich ist.

identität ist, sagen die sozialpsychologen, die übereinstimmung von fremd- und selbstbild. vereinfacht die gleichheit von fremd- und eigennamen. doch die ist nicht einfach, vielmehr entsteht sie aus der geschichte der individuen, die miteinander kommunizieren.

auf dem blog, bin ich so erfolgreich zum stadtwanderer geworden. in schweden bin auf die gleiche art schon mal zum claude neversil mutiert. alles nur wegen telia!

stadtwanderer
alias claud(e) neversil (longchamp)

waldrodungen

im mondlicht muss es ganz unheimlich sein. denn selbst bei sonnenlicht haben waldrodungen etwas unheimliches an sich. ein spaziergang in der unwirtlichkeit.

P7180301ganz oben sind der himmel und die sonne, die still zu stehen scheinen. dann kommen die wolken, in denen sichtbare bewegung ist. unter ihnen fegt der wind über das land.

es ist gut, dass der wind kräftig ist. denn wo er herrscht, hat es weniger mücken. Und für solche sind waldrodungen ein sammelpunkt.

wenn der mensch mit seiner list und kraft, mit seinen motorsägen und baggern in den wald eingreift, hat das etwas brutalen in sich. es ist nicht nur ein eingriff ins ökosystem. vielmehr kommt es einer verheerung der natur gleich.

dort, wo alles langsam wuchs, wird alles in windeseile zerstört.

bisweilen stehen noch ein paar birken, als wollte man daran erinnern, was einmal war. selten findet sich auch ein abgebrochener baum, ganz ohne äste, einem totempfahl gleich.

expeditionen in diesen wüsten sind entdeckungsreich. zuerst erlebt man den weichen boden, der einem erinnert, wie dünn der humus sein muss, und wie nahe man einem seespiegel ist. dann die vielen felsbrocken, zeugnisse aus urtümlichen zeiten, als hier noch alles unter einem riesigen nordlandgletscher war. auf ihnen hat es flechten in allen farben, rot, grün, grau und silbrig finden sich in kurzer folge.

die holzfäller haben ihr tageswerk an der strasse aufgestapelt. grossen mengen von holz. das dickere wurde bearbeitet. es wird vom nahe gelegenen stahlwerk bald einmal eingesammelt werden. das dünnere liegt einfach so aufgestapelt.

es ist unglaublich, wie viel harz in diesem holz steckt. wenn man ein wenig auf den beigen herumklettert, wird man von seinem duft ganz eingelullt. eine mischung aus naturdroge und aromatherapie ist das schon.

dem starken wind, der über mir hinwegfegt zum trotz, der auch die wolken treibt. tag und nacht.

stadtwanderer

ps:
fotos folgen, wenn ich eine etwas schneller leitung habe …

lieber fritz, liebe sarah sahli!

die berner realität holte uns gestern auch in den schwedischen wäldern ein. der hof der ökobauern sahli in üttligen brannte vollständig ab.

topelementsms und mail kündeten gestern von der schlechten nachricht. der bauernhof der familie sahli sei abgebrannt, nahmen wir schockiert zur kenntnis. heute gabs dann erste news aus der elektronischen berner zeitung.

auch wenn wir weit weg sind: wir schliessen uns der unterstützung an. Wir werden spenden, sobald wir wieder in der schweiz sind.

ein fest für spenderInnen ist sicher eine gute sache. Dass die bekannten und beliebten ökobauern ihren laden nicht aufgeben wollen, freut uns ganz besonders.

erfreulich ist auch, dass fritz und sarah sahli trotz des schicksalschlages den kopf nicht hängen lassen freut uns. denn wir wissen nicht, wie wir reagieren würden.

schliesslich könnte das gleich in holzhausen auch passieren. Nicht auszudenken, was wir machen würden, so oft, wie wir nicht da sind, und so weit weg, wie wir meistens leben.

wir wünschen viel kraft beim wiederaufbau!

stadtwanderer

desozialisierung

nun bin ich seit dem wochenende in den schwedischen wäldern. und musste heute erstmals wirklich überlegen welcher wochentag es war.

die ersten tage unserer nordlandferien sind voll gepackt mit dem dringendsten: ausschlafen nach der reise, stromversorgung sichern, basiseinkauf tätigen, kommunikation ins internet sichern. dann beginnt schon das wahlprogramm: wiese mähen, sauna instand stellen oder wasser aus de boot schöpfen.

ein wirkliches programm dafür gibt es nicht. und so macht man, was einem wichtig erscheint oder wozu man lust hat.

und so lösen sich arbeitspläne, familienverpflichtungen und medienkonsum langsam aber sicher auf. desozialisierung könnte man das auch nennen.

dazu zählt, dass die zeit sich verändert. In der schweiz glaubt man zwar, dass die zeit etwas physikalisches ist, das sich genau messen lässt. Doch das täuscht. Natürlich bestimmten lebenszeiten und jahresrhythmen unser äussere umgebung, auf die wir nicht viel einfluss haben. Man kann auch den monat hinzu nehmen, der die nächste misste, und die sonne, welche den tag einteilt. doch dann ist fertig.

die wochen, die stunden, vielleicht sogar die minuten sind in erster linie soziale kosntrukte. sie helfen uns die tage der arbeitswoche zu planen, die treffen mit anderen genau einzuhalten, den zug und den bus nicht zu verpassen. Doch ohne das werden sie schnell bedeutungslos.

nirgends erlebt man das so klar wie im wald. was eine woche ist, weiss hier letztlich keine mensch. ich glaube auch nicht, dass der sonntag hier wirklich eine rolle spielt. denn er ist dem montag, dienstag, mittwoch, donnerstag, freitag und samstag so gleich. genauso, dass ich nachzählen musste, welcher wochentag heute ist.

noch bevor ich dazu kam, war mit klar, dass das nur ein restposten meiner sozialisation aus der lebens- und arbeitsschweiz ist.

stadtwanderer

ankomst

gardermoen ist mein bevorzugtes tor zum norden. der flughafen, rund 50 kilometer ausserhalb oslos gelegen, empfängt einem freundlicher als andere seiner art. denn der bau aus holz, stahl und glas wirkt leichter, offener, luftiger.

norway_overviewmit „ankomst“ sind die arrivals oder ankömmlinge gemeint. also die wie ich. Man meint es gut mit ihnen, kurze wege, keine unnötigen schikanen, und eine duty free gleich bei der gepäckausgabe.

das war nicht immer so. zwischen 1912 und 1988 war es der erste militärflugplatz norwegens, der im zweiten weltkrieg schon mal der wehrmacht diente. 1990 brauchte oslo einen neuen flughafen, was die zivile umnutzung und modernisierung von gardermoen brachte.

mein weg in die ferien ist noch weit. holzhausen liegt knapp vier autostunden von oslo entfernt. zuerst kleine regionalstädtchen, dann berge, die reichsgrenze und schliesslich das riesige klarälvtal, an denn abhängen unserer reise ziel ist.

die strassen verengen sich zusehens. auf autobahnen folgen überlandstrassen mit teer, schliesslich waldstrassen auf denen allen fahrzeuge holpern.

in holzhausen muss der urbane mensch in mir zuerst umstellen. Denn nicht der lärm ist üblich, vielmehr ist die ruhe normal. Man muss förmlich lernen, sie zu hören.

unterbrochen wird die ruhe eigentlich nur durch vögel. der specht ist da, flussuferläufer auch, und selbst die schwalben nisten dieses jahr wieder unter dem bootssteg. Freude herrscht!

die ersten arbeiten gelten dem rasen. nicht weil er besonders hoch wäre.der sommer im norden ist kurz, zu kurz, um fette magerwiesen zu bekommen. doch der wald rund herum macht sch bemerkbar; gegen 100 kleine sprösslinge hat es auf unserer wiese zum see. sie alle müssen ausgrissen und glatt geschnitten werden.

selber lasse ich das mit dem rasieren fürs erste – bin und bleibe ein ankömmling.

stadtwanderer

sms und mails wandernd einsammeln gehen

es ist soweit: ich fahre in die (wohlverdienten) sommerferien.

940250553_437ee8688bwo ich ab heute abend schlafen werde … (foto: stadtwanderer)

mit dem flugi geht’s nach oslo, dann mit dem auto über die norwegisch-schwedische grenzen im niemandsland der nordischen wälder bis nach holzhausen. der ort besteht aus einem wunderbaren see, einem damm, einer halbinsel und drei häusern, wo ich, wie seit 1999 immer, meine sommer verbringe.

in holzhausen, dem symbolischen namen meines ferienortes, war ich in den letzten jahren regelmässig im grossen funkloch. das hatte auch sein gutes: keine sms und keine mails kann man nicht empfangen!

immerhin, wenn ich mit handy und netbook auf den anhöhen rund herum ein wenig wandern ging, schwirrten mir die mitteilungen eine nach der anderen zu. und so konnte ich auch ein wenig über via internet das hüttenleben im norden berichten. wenn es nicht schlimmer wird mit dem service public im (zwischenzeitlich) bürgerlichen schweden, werde ich das auch dieses mal bloggend tun!

und sonst: schönen heissen (polit)sommer – bis zu den bundesratswahlen bin ich sicher wieder da!

stadtwanderer

suchrätsel alpenstädtchen

das alpenstädtchen, um das es hier geht, liegt in den südlichen alpen. den namen muss man selber herausfinden.

P7080032alles ging schnell: der röschtigraber erriet sofort, dass es um chiavenna geht. hier das castell, dreh- und angelpunkt bei den eroberungen der italienischen gebiete durch die drei bünden nach 1512 (foto: stadtwanderer)

die berghänge rund herum sind steil. die meisten von ihnen bewaldtet, nur hie und da ragt der fels heraus. dennoch überragen sie das alpenstädtchen, denn es liegt, wie man auf dem bahnhof lesen kann, auf nur 332 metern über meer.

der heutige julitag ist heiss. man könnte meinen, die luft stehe stil. wenn der autoverkehr nicht zu laut ist, hört man sogar die grillen, die im park mit der freiheitsstatue vor dem bahnhof zirpen. diese erinnert an das ende des krieges , heute bietet sie vor allem den vowitzigen spatzen günstige landemöglichkeiten.

aus der einfachen bar, wo es einen starken espresso gibt, der einem an die türkei erinnert, dröhnt das lokalradio. die männerstimme spricht schnell und erzählt die lokale bedeutsamkeiten. wenn die meist schrille werbung ertönt, sprechen auffällig oft frauen. ganz offensichtlich ist das hier wichtig. in der vorstellung sieht man unweigerlich eine blondin vor sich, die zur werbestimme gehört.

vom bahnhof aus erblickt man die strasse, die auf den nahegelegenen stadtplatz mit dem rathaus und der volksbank führt. links sind wohnquartiere, die bürgerhäuser sind maximal zweistöckig, die wohnsilos der einfachen einwohner, die schon mal bis in die fünfte etage reichen. zur rechten hand ist die kirche. alle halb stunden werden die die glockengeschwungen, die in verschiedenen eher dumpfen tonlagen den takt der zeit angeben.

ihre letzte zeit verbringen die älteren männer vor dem bahnhof beim rauchen und diskutieren. die fussballmeisterschaft ist das hauptthema. das aus von frankreich, italien wird immer noch diskutiert. und wie die spanier gestern deutschland aus dem turnier gekickt haben. die geldanlagen in den grenznahmen schweizrbanken folgen als gesprächsstoff auf den fuss. steueramnestie der regierung hin oder her.

ja, wir sind nicht mehr in der schweiz, auch wenn uns das postauto bald zurückfahren wird. vielmehr sind wir in einem grenzstädtchen, wo zwei berühmte alpenüberquerungen auf dem weg nach süden zusammen kommen. schon den römern waren sie bekannt, genauso wie der ort. im mittelalter wanderte hier schon mal der kaiser vorbei, meist frendlich empfangen, gelegentlich mit der militärsperre quer durch das tal bedrängt. friedrich barbarossa soll sich hier schon für geraume zeit aufgelaten haben.

noch gibt die katholische kirche den takt vor, auch wenn rom weit weg ist. zur säkularisierung trug napoléon vor gut 200 jahren wesentliches bei, als er die klöster schloss, um dem bürgerlichen leben zum durchbruch zu verhelfen. schliesslich war auch er es, der es von einem unserer zugewandten orte trennte, die 1512 das örtliche castell zerstörten und das tal zu untertanen machten. 1797 war diese episode zuende, und die orientierung nun nach süden begann sich wieder zu entwickeln.

schade, denke ich mir, als südliches alpenstädtchen mit gutem wein und starken skifahrern hätte sich in der schweiz ganz gut gemacht.

die frage ist, welches ist es nur?

stadtwanderer

thomas maissens schweizer geschichte

ein buch, betitelt mit “geschichte der schweiz” überrascht nicht unbedingt. davon gibt es schonn genug. wirklich ansprochen wird man auch nicht, wenn es rot eingebunden ist und darauf das weisse kreuz prangt. denn das ist das mindestes, was man unter der überschrift erwartet.

CameraBag_Photo_1009grüner tisch, brauner fleck, rotes buch (foto: nathalie wappler)

wenn der autor thomas maissen heisst, dann schaue ich jeodch schon genauer hin. denn erstens gibt es von diesem autor noch keine gesamtdarstellung der schweizer geschichte. und zweitens bin ich gegenwärtig mit thomas “hilfsmoderator” in den “sternstunden geschichte”, die wir unter der leitung von roger de weck aufzeichnen.

genau hierfür hat man das buch mitgebracht. erschienen ist es zwar noch nicht, geschrieben sei es aber, versichert der autor. im einband, den er uns zeigt, steckt einanderes buch, vom gleichen verlag. gründungszeit ohne eidgenossen heisst es, geschrieben vom kürzlich verstorbenen roger sablonier.

was wir vor uns haben, ist also ein fake.

doch eine ganz nützliche fälschung, füge ich bei. denn die sendung über souveränität und neutralität, die wir in der bibliothek des palazzo castelmur aufzeichnen, findet an einem kleinen lesetisch statt. ganz in grün ist er gehalten, leider an dümmster stelle mit einem braunen flecken. denn kriegte die vorbereitungsequipe einfach nicht weg. und eine alternative sitzgelegenheitheit hatten wir. so blieb uns nichts anderes übrig als das buch genau über den braunen flecken zu legen.

eine tolle werbung, die man da eine stunde lang für das buch macht, das noch gar nicht erschienen ist, bei der ausstrahlung der sendung im september 2010 aber sicher verschiedene ankündigungen erleben wird!

natürlich kann man darüber spekulieren, ob in den bestehenden schweizer geschichten flecken brauner farbe übertüncht wurden. ohne zweifel war die nationalgeschichtsschreibung diesbezüglich früher blind. bei thomas maissen nehme ich das jedoch nicht an.

der lhistoriker aus dem bündnerland, lange als nzz-redaktor in zeitgeschichtlichen themen aktiv, heute professor für geschichte in heidelberg mit studienaufenthalt in princeton in den usa, ist eine moderner mensch mit vielleicht etwas konservativen vorstellungen. das schwergewicht seiner forschung liegt in der frühen neuzeit, der epoche also, in der die religionskriege die entwicklung der schweiz blockierten. er beschrieb sie seiner habilitation meisterlich, ging den souveränitätsvorstellungen in theorie und praxis nach, zeigte, wie der souverän in monarchien mit dem starken könig übereinstimmt, der über den konfessionellen parteien steht, während er in republiken wie der schweiz als volkssouverän entsteht, dessen allgemeiner und spezieller wille zur richtschnurr der politischen parteien wird.

dabei ist thomas maissen, der einen schweizer vater und eine finnische mutter hat, alles andere als historiker der dem schweizer sonderfall nachtrauert. liberale gestimmt, ist seine sichtweise auf die schweiz offen. ihre geschichte ist teil europäischen geschichte, ohne die gar nicht denkbar. denn es sind die verarbeitungen der speziellen konflikte, wie der regionalismus, der konfessionalismus und der sprachenfrage, die der modernen schweiz das geprägte als früh industrialisiertes, ebenso so früh auf dienstleistungen im finanzbereich ausgerichtetes land gegeben haben, sodass die topgrafischen nachteile kompensiert werden konnten. mit föderalismus, direkter demokratie und sozialpartnerschaft sind formen der überwiegend gütlichen konfliktregelung entwickelt worden, die dem land mehr vor- als nachteile gebracht haben,

interessant vor allem seine klar betonung, das 1848 nicht nur ein liberal geprägter bundesstaat gegründet worden sei, sondern ein bruch mit der tradition stattgefunden habe, der revolutionären charakter hatte. ganz bewusst habe man mit der vergangenheit gebrochen, denn diese vergangenheit sei nicht mehr in der lage gewesen, auf die veränderten wirtschaftlichen, gesellschaftlichn und politischen umständemitte des 19. jahrhunderts angemessene antowrten zu geben.

nach 4 stündigen sendungen letztes und dieses jahr sind wir zum eingespielten team in der erzählung der schweizer geschichte fürs tv-publikum geworden. umso gespannter bin ich, wie thomas maissen seine sicht der dinge zwischen die zwei schon bestehenden buchdeckel bringen wird- und womit er uns alle überraschen könnte!

stadtwanderer

tv-produktionen im palazzo castelmur

linus von castelmur war, als ich 1977 in murten die rs machte, unteroffizier in der stabskompanie, in der ich als funker eingeteilt war. der sohn eines adeligen galt als scharfer hund, der eine verspätungen und nichts dergleichen tolerierte. als einmal selber verschlief, zitierte ihn der kadi zum gelächter aller füsiliere als linus wobleibstdunur?. diesen übernamen wurde er bis ende rs nicht mehr los.

P7070009palazzo castelmur im bergell (foto: stadtwanderer)

der palazzo castelmur steht südlich von stampa im mittleren bergell auf rund 1000 meter höhe über meer. der fluss trennt das schloss von der durchgangsstrasse. nur eine kleine steinbrücke erschliesst den bezirk des patrizierhauses.

um den bau verdient gemacht hat sich giovanni castelmur, der wie so viele bündner seiner zeit in allen herren länder als zuckerbäcker wirkte. giovanni kam in marseille zu geld und ehre, das er in sein heimattal invesierte. 1723 heiratete er 23jährig anna, seine cousine ersten grades, ohne das aus der ehe kinder entstanden. dafür baute er den früheren palazzo der redolfi mit turmbewehrter fassade aus, der seit 1854 mit leicht maurischem einfluss im bergell steht.

seit 1961 ist der familiensitz der castelmur im besitz der gemeinde. im obersten stock enthält er ein zuckerbächermuseum, genauso wie das bergeller archiv. in den unteren etagen drehen wir heute und morgen die vier sternstunden geschichte. mal im hausgang, mal in der bibliothek, bald im musikzimmer und bald im schlosshof unterhalten sich die drei moderatoren roger de weck, thomas maissen und ich abwechslungsweise mit unserem vier spezialistInnen der schweizer geschichte.

eben war die engagierte diskussion zu die “schweizerinnen und ihre männer”, einem grossen bogen zum hintergrund des 1971 spät eingeführten frauenstimm- und wahlrechtes in der schweiz, der im mittelalter, aber auch den veränderungen der reformation, der bürgerlichen und sozialen revolutionen ursachen für die verspätete einführung des erwachsenenwahlrechts in der schweiz suchte.

linus von castelmur war nicht dabei, denn der historiker, der selbst mal sekretär der bergier-kommission war, lebt zwischenzeitlich als schweizer botschafter in kongo kinshasa. den palazzo castelmur erhielten wird, weil er einer der wenigen repräsentativen orte im bündner land ist, der in diesen tagen etwas verlassen wirkt, weil er kein public viewing der fussballweltmeisterschaft in südafrika anbietet.

stadtwanderer

auf der suche nach den sternstunden der schweizer geschichte

eine frage an alle meine leserInnen: welches sind die schlüsselmomente der schweizer geschichte?

schweizer_geschichte-articlecollage zur schweizer geschichte: doch was sind die wirklichen höhe- punkte?

die sendungen zur “sternstunde geschichte” sind thematisch aufgebaut. der freisinn, die sprachenfrage, die geschlechter und die souveränität sind die hintergründe dafür.
darauf aufbauend sind die zentralen momente, in form von ereignissen, gründungen und katastrophen.

anbei eine liste solcher schlüsselmomente, in umgekehrter chronologischer reihenfolge.
dazu meine frage: was sind – in eurer meinung – die wichtigsten schlüsselmomente der schweizer geschichte, die, mindestens rückblickend betrachtet, eigentliche sternstunden waren resp. sind?

ereignisse
2009 ende des bankgeheimnisses angekündigt
2008 vorübergehender austritt der svp aus dem bundesrat, wahl von ueli maurer als neuer svp-bundesrat
2007 abwahl von christoph blocher als bundesrat, ersatz durch eveline widmer-schlumpf
2005 bilaterale II mit der eu
2003 abwahl von ruth metzler als bundesrätin, bruch mit der zauberformel, christoph blocher 2. svp. bundesrat
2002 beitritt zur uno, swissair-grounding
2000 bilaterale I mit der eu
1992 nein zum ewr beitritt
1984 elisabeth kopp, 1. bundesrätin
1978 gründung kanton jura
1974 konjunktureinbruch, erdölschock
1971 einführung des frauenstimm- und -wahlrechts
1959 einführung der zauberformel für den bundesrat
1939 neutralität im 2. weltkrieg
1934 einführung des bankgeheimnisses
1932 beginn der wirtschaftskrise nach dem börsencrash
1920 beitritt der schweiz zum völkerbund
1918 generalstreik, einführung des proporzwahlrechtes für die nationalratswahlen 1919
1914 neutralität im 1. weltkrieg
1095 gründung der schweizerischen nationalbank
1891 zulassung der verfassungsinitiative zur partialrevision der bundesverfassung
1874 2. bundesverfassung, mit zentralsierungen und gesetzesreferendum
1871 deutsch/französischer krieg, internierung der bourbaki-armee
1849 gründung der schweizerischen post
1848 gründung der schweizerischen eidgenossenschaft, bundesverfassung, volk und stände, verfassungsreferendum, national- und ständerat, bundesrat, bundesgericht
1847 spanisch brötli bahn ist die erste eisenbahnverbindung in der schweiz, sonderbundskrieg, sieg der reformierten orte
1830 liberale bewegung fördert die bürgerlichen freiheiten, die dezentralisierung und die volksschulen, universitätsgründungen in zürich, bern und genf
1815 neutralisierung der schweizerischen eidgenossenschaft, gewährung der grenzen, bundesvertrag, souvernität der 22 kantone, konkordate
1803 mediationsverfassung, 19 kantone, gleichheit der kanton, mehrsprachige schweiz
1802 stecklikrieg
1798 helvetische republik, zentralstaat mit direktorium, grossem rat und senat
1761 1. treffen der helvetischen gesellschaft zur förderung der veränderungen im ancien régime
1712 schlacht von villmergen, religionsfriede
1656 bauernkrieg
1648 unabhängigkeit der eidgenossenschaft vom kaiserreich
1570/4 gegenreformation, besuch von kardinal boromeus, jesuitenschule in luzern
1549 consensus tigurinus als verbindung der zwinglianer und calvinisten
1541 reformation vongenf, calvinismus
1536 eroberung und reformation der waadt, grösste ausdehnung der eidgenossenschaft
1529/31 kappeler kriege
1528 reformation in zürich, bern und basel
1515 schlacht von marignagno, niederlage der eidgenossen
1513 schlacht von novara, sieg der eidgenossen, belagerung von dijon, erweiterung der eidgenossenöschaft zum 13örtigen bündnis
1506 beginn der schweizer garde
1499 autonomie der eidgenossenschaft im kaiserreich nach dem schwabenkrieg
1481 stanser verkommnis, 1. eidgenössische gesetzessammlung legt gleichheit der orte fest
1476 schlacht bei murten, sieg über herzog karl dem kühnen
1450 ende des alten zürichkrieges
1415 eroberung des habburgischen aargaus
1393 beginn der tagsatzung
1351/3 zusammenschluss der eidegenossenschaft zum 8 örtigen bündnis
1349 grosse pest
1339 schlach bei laupen, sieg über burgundische baronie
1315 schlacht bei morgarten, sieg über habsburg
1307 bund von brunnen, unerwalden wird reichsland, innerschweizer eidgenossenschaft
1243 beginn der burgundischen eidgenossenschaft rund um bern
123/40 uri und schwyz werden reichtsländer
1218 bern und zürich werden reichsstädte
1156 beginn der zähringischen städtegründungen
1032 ganzes gebiet der heutige schweiz gehört zum (mittelalterlichen) römischen reich)
888 königreich burgund
800 kloster st. gallen
555 ganzes gebiet der heutigen schweiz gehört zum frankischen reich, einwanderung der alemannen und langobarden
505 kloster st. maurice
451 bischöfe in genf, lausanne, martinach (sion) und basel
443 niederlassung der burgunder
407 rückzug der römischen truppen nördlich der alpen
15 ganzes gebiet der heutigen schweiz gehört zum römischen reich
-56 auszug der helvetier, niederlage von bibractae

bin gespannt!

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