nicole mathys, die ausserordentlichste stadtwandererin, der ich je begegnet bin

ich bin tief beeindruckt. nicole mathys macht stadtwanderungen durch bern und bringt einem architektur und geschichte der berner brücken nahe, die sie selber noch nie mit ihren augen eigenen gesehen hat. denn die aussergewöhnlichste stadtwandererin, der ich je begegnet bin, ist blind.

image
nicole mathys begrüsst ihre die gäste zur premiere von “berner brücken”

“berner brücken” heisst das neue thema von stattland, der organisation, die versucht, interessierten mit ausgewählten themenführungen die stadt so zu zeigen, wie man sie normalerweise übersieht.
berns brücken: das sind 8 über die aare, die für den durchgangsverkehr, den handel und die stadterweiterungen essentiell sind. weitere 84 kleinere brücken auf berner stadtboden kommen hinzu, um die verschiedenen stadtteile miteinander zu verbinden. und das ist auch das tiefbauamt der stadtverwaltung, das die stadtwanderung ermöglicht hat.

was nicht alle wissen, jede brücke hat ihre geschichte:
die untertorbrücke, weil sie die erste brücke aus stein war und das zeitalter der holzbrücken enden liess.
die nydeggbrücke, weil sie der versuch des patriziats war, die stadt mit ihrem umland besser zu erschliessen, um es nicht den liberalen zu überlassen.
die kirchenfeldbrücke, weil sie die erste aus eisen war, konzipiert vom erbauer des eiffelturms in paris, nicht ohne einen schalen Beigeschmack zu hinterlassen.
die kornhausbrücke, weil sie die erster brücke war, um die man in der stadt bern abstimmte.
und die lorrainebrücke, weil sie schon kurz nach der fertigstellung durch unterspühlung einzustürzen drohte.

das speziellste an der führung ist jedoch ohne jeden zweifel nicole mathys.
denn die studierte ethnologin ist blind. dennoch führte sie an der heutigen premiere ihr zahlreich aufmarschiertes publikum mit seltener souveränität durch die gassen berns, marschierte sie mit ihnen den aarewegen entlang, und zog sie leichten schrittes über die brücken der stadt. fast ganz nebenbei erzählte sie berners brückengeschichte aus dem effeff.
“sind alle da?”, frage sie, wenn sie allen voraus einen neuen standort erreicht hatte und bilder der nahestehenden brücke aus der grossen tasche zog, um vergangenes wieder aufleben zulassen. “wir gehen jetzt weiter”, sagte sie ohne umschweife, wenn die geschichte fertig erzählt war. und machte sie wieder auf wanderschaft.
unterstützt wird nicole mathys bei diesem rundgang von einem schauspieler, der den aaregeist spielt, den unglücklichen brückenbauer wurstemberger gibt, einen studenten aus paris mimt, den politisierenden arbeiter im abstimmungskampf zeigt und ein aufgeschrecktes pferd durch die das eisenross über die eisenbahnbrücke gekonnt imitiert.
doch auch ohne das wären die 90 minuten unterhaltsam und lehrreich. vor allem aber sind sie beeindruckend. denn die stadtwandererin bringt einem die Geschichten mit wenigen worten so plastisch nahe, als hätte sie sie selber erlebt. sie kennt die namen, die mit jeder brücke in verbindung stehen, aber auch die entwicklung der stadt, welche die brücken erlaubt oder von den brücken ausgelöst wurden, ohne je in einem buch nachzuschlagen.
bewundernswert ist, wie die sympathische stadtführerin das alles vermittelt, obwohl sie keine der brücken selber je gesehen, keinem der menschen, über die sie berichtet, je begegnet ist, und kein bild von ihren objekten und subjekten der erzählung betrachten kann, wenn sie es ausführlich beschreibt.

ein tief bewegtes “danke schön!” meinerseits für die aussergewöhnlichste führung von stattland, die ich bisher erleben durfte.
werde sofort vereinsmitglied und hoffe, alle meine leserInnen machen sich bald auf die spuren von nicole mathys.

stadtwanderer