berner medienlandschaft: gerüchteküche brodelt weiter

gerüchte sind mitteilungen ohne autorInnen. deshalb verbreiteten sie sich schneller als nachrichten, denn jeder erzählt sie weiter. doch sind sie auch weniger zuverlässig als diese, weil sie keine klaren garanten haben. gerade wenn sie nachrichtenmedien betreffen, wie die zukunft der berner medienlandschaft.

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einst glaubte ich, zwei zeitung in bern seien nötig, dann schwächte sich dieses gefühl mehr und mehr. doch weiss ich immer noch nicht, was kommt und ob das gut ist (foto: stadtwanderer.net)

alles begann am letzten samstag. redaktorInnen des berner “bund” sammelten auf dem bundesplatz unterschriften für ihre aktion “rettet-den-bund”. 13’000 signaturen sollen es zwischenzeitlich sein. eine erstaunliche sympathiewelle.

das sind genug multiplikatoren, wenn es um die zukunft der lokalen und regionalen medien geht. sie verstärken jeden möglichen wind gleich in alle richtungen.

der grosse rat des kantons bern nahm heute das thema auf. christoph stalder von der fdp brachte eine austarierte resolution ein, mit der eine vielfältige, unabhängige presse gefordert wurde, da diese eine wichtige aufgabe im politischen, gesellschaftlichen und kulturellen diskurs zukomme. damit konnte nur das verschwinden einer oder beider der bernansässigen zeitungen, die zwischenzeitlich der tamedia gehören, gemeint sein.

über mittag brodelte die gerüchteküche in den einschlägigen berner bars. dem vernehmen nach werde die chefredaktion des tages-anzeigers heute neu bestellt. res strehle, bisher stellvertretender chefredaktor beim tagi, übernehme gemeinsam mit markus eisenhut, co-chefredaktor der berner zeitung, das ruder in zürich. man kenne sich aus den diversens projekten, die man für den verlag erarbeitet habe, liessen beide über das eilends konsultierte newsnetz im co-interview verlauten. tagi und bz verschmelzen wohl noch in diesem jahr zu einer gemeinsame grossen zeitung, war denn auch das nachmittägliche pausengespräch.

doch was geschieht mit dem bund? darüber rätselte man heute fast überall. am abend nährte dann der blick für die gute nacht die spekulationen: die nzz, vormals schon am bund beteiligt, beabsichtige erneute bei der berner traditionszeitung einzusteigen und eine stadtausgabe der alten tante aus zürich zu lancieren, konnte man auf der heimfahrt der pendlerzeitung aus dem hause ringier entnehmen. von wo das geld nehmen im nzz-verlag?, dachte man unwillkürlich.

unwahrscheinlicher als auch schon erscheint heute abend die fusion bz/bund. eher wahrscheinlich ist tagi/bz. doch was mit dem bund? gibt es den bund bald nicht mehr, als lokalausgabe der nzz oder gar als nur als zusatzbund eines bernzürcherischen tagesanzeigers? alles bleibt gerücht, bis die besitzerin, die tamedia, hier klartext spricht.

eines eindrucks konnte man sich heute nicht erwehren: alles musste an diesem tag in die welt gesetzt werden, selbst wenn es nur gerüchte waren. denn morgen würde man das wohl für einen 1. april-scherz halten.

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hallo kavallerie, ich brauch auskunft, sagt der staunende indianer

auf den ersten blick fällt einem nicht besonderes auf: der netzinformationsdienst, eine website mit politischem inhalt, steht jenen zur verfügung, die in den etablierten medien zu kurz kommen. das sind fast alle. wer davon für den “nid” arbeitet, macht das ehrenamtlich. super!

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Begehrter Blick aufs Berner Bundeshaus (foto: stadtwanderer)

stutzig wird man aber, wenn man den satz liesst: “Der Autor übernimmt keinerlei Gewähr für die Aktualität, Korrektheit, Vollständigkeit oder Qualität der bereitgestellten Informationen.” hatten wir das nicht schon mal, anfangs februar 2009 bei der abstimmung über die personenfreizügigkeit? selbstverständlich gibt sich “der autor” persönlich nicht zu erkennen. einzig ein postfach in schwäbisch hall und eine nichts sagende email-adresse müssen einem als gewähr genügen.

wer sich jetzt schon wieder an die posse zu www.come-to-switzerland.ch zurückerinnert, den kann ich beruhigen. diesmal ist alles transparent. zum beispiel die links der befreundeten organisationen des deutschen netzinformationsdienstes: die dvu (deutsche vaterländische union), die npd (nationaldemokratische partei deutschland) und schweizerische pnos. die rechtsradikale szene tummelt sich auf dem “nid”.

doch gerade deshalb staunt man nicht schlecht, wenn man die gut informierten angaben über die kommende volksabstimmung in der schweiz zu den biometrischen pässen liesst. selbst die autoren der freiheitskampagne gegen den e-pass dürften da erbleichen, werden doch papiere aus dem “off” zitiert, die der normale leser hierzuland nicht zu sehen bekommt. der e-informationsfluss gegen den e-pass scheint jedenfalls grenzenlos zu klappen!

interessant sind beispielsweise die ausführungen zur parlamentarische anfrage von nationalrat oskar freysinger wegen der verquickung von staat und ja-kampagne. die sache ist komplex und vielschichtig. in exentso wird darin der politsiche gegner als feind analysiert: die nähe der protagonisten zum bundeshaus, die professionelle politarbeit der agentur “furrer.hugi&partner”, das scheinkomitee dafür, die geschäftsinteressen dahinter, kurz das unbekannte netzwerk der befürworterInnen biometrischer pässe in der schweiz als verschwörungsszene.

alles zusammengefasst unter dem empörungsträchtigen titel “Skandal in der Schweiz: Wie Regierung, Konzernlobby und Bundesamt für Polizei eine Volksabstimmung manipulieren wollen”. und so frag ich mich: agitiert die gegnerschaft, die nicht frei reisen will, ausgerechtnet von deutschland, der neuen basis der politischen chamäleons, aus. und warum mischt sich eine deutsche website mit verunglimpfungen in den schweizer abstimmungskampf ein?

ich werde mal die kavallerie fragen müssen, sagt sich da der erstaunte

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eine stunde für die sydney – bern – connection

alles begann in australien, und es kam innert kurzer zeit bis nach bern: die “erdstunde”, während der es dunkel wird, damit die welt erleuchtet wird.

QUALITY REPEAT SCHWEIZ EARTH HOUR BERN MUENSTER

gleich wie die usa weigerte sich auch australien, klimarelevante protokolle der internationalen staatengemeinschaft zu unterzeichnen. der wwf australien griff 2007 im wahlkampf dieses thema mit dem ziel auf, die co2-emissionen in der grössten australischen stadt sydney innerhalb von einem jahr um 5 prozenz zu senken.

die erdstunden bildet den beginn der aktion. am 31. märz 2007 wird durch das symbolische löschen der beleuchtung auf die energieverschwendung durch die stadt, durch geschäfter und durch privatleute aufmerksam gemacht werden. restaurants, theater und schulen wurden bewusst miteinbezogen. australienweit findet die aktion grosse beachtung. weltweit wird über die “earth hour” berichtet.

als erstes wird die aktion in grossbritannien übernommen. london schaltet sein licht am längsten tag für eine stunde aus. es folgen san francisco und weitere amerikanische städte. eingang in den deutschsprachigen raum findet die aktion am 8. dezember 2007, parallel zum weltklimagipfel.

nun hat die “stimme der erde” auch bern erreicht. gestern wurde die stadt, wie 13 andere gemeinwesen der schweiz auch, zwischen halbneun und halbzehn abends von licht gesäubert. für das hiesige münster eine dunkle stunde, denn für die welt ist es ein dunkles jahr: unterstützt von der uno meint der wwf: «Es ist höchste Zeit für mehr Klimaschutz, denn 2009 ist das Jahr der Entscheidung.»

der kampf um die erleuchtung hat auch hier begonnen.

stadtwanderer

vom sog. ende der umweltorganisationen

eine auswahl der ergebnisse zur zukunft des naturschutzes in der schweiz war am morgen schon in der presse zu lesen gewesen. am abend wurde das ganze auf einem podium im hotel bern, das zum 100. geburtstag der pro natura stattfand, diskutiert. was dabei herauskam, war erschreckend.

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hatte keinen leichten stand, otto sieber, zentralsekretär der pro natura , während der diskussion der umstrittenen gdi-studie “zukunft der natur”

die studie
wie es mit dem verhältnis von mensch und natur weiter gehen soll, wollte die bodenständigste unter den hiesigen naturschutzorganisationen zu ihrem jubiläum wissen. dafür beauftragte sie das gottlieb-duttweiler-institut, eine zukunftsstudie zu den umweltorganisationen im jahre 2029 zu machen.

nicole lüdi, die autorin aus dem migrospark in rüschlikon, fasste ihre thesen so zusammen: umwelt sei heute keine konstante mehr bindstrich deshalb werde die verarbeitung von umwelterfahrungen immer komplexer bindstrich das überfordere die meisten, weshalb es einfache bilder brauchen werde bindstrich solche böten heute beispielsweise die rezepte wirtschaft bindstrich in einer generation werde es keine naturschützer mehr brauchen, denn das geschäft werde ihre aufgabe bis dann restlos übernommen haben punkt.

das podium
vor lauter staunen hatten die meisten teilnehmerInnen im saal nur noch fragezeigen in ihrem kopf. ruhe bewahrten auf dem podium otto sieber, der zentralsekretär von pro natura, luc recordon, der waadtländer ständerat und sibyl anwander, die leiterin qualität und nachhaltigkeit von coop.

recordon war der meinung, dass wirtschaft, gesellschaft und umwelt einander bedingen würden, weshalb es sinn mache, dass deren organisationen zusammenarbeiteten. doch heisse das nicht, dass man dabei seine identität aufgeben solle. gewerkschaften seien gewerktschaften, und umweltorganisationen würden stets umweltorganisationen bleiben; sie müssten sich nicht wie wirtschaftsverbände verhalten, selbst wenn sie mit ihnen kooperierten.

anwander schüttelte es im innern nur so, als sie die zukunftsforscher immer weider sagen hörte, umwelt fände eigentlich nur im kopf statt. nein, meinte sie, umweltzerstörung ist real. in zwanzig jahren werde es, wenn man nichts ändere, keine fische mehr geben auf der ganzen welt, weshalb natur- und tierschutzorganisationen brauche, die solche katastrophen zu verhindern wüsten; sie sei bereit, daran zu arbeiten, dass auch konsumentInnen das verstehen könnten.

sieber schliesslich, der die zukunftsstudie bestellt halte, ging auf dem podium auf distanz zu den gdi-aussagen. seit den erdgipfel in rio 1992 sei allen beteiligten klar, es brauche eine sammlung aller kräfte, welche die erde erhalten wollten. alte polaritäten seien längst aufgebrochen worden, deren überwindung müsse nicht in zukuftsszenarien durchgespielt werden. er liess auch nicht gelten, dass es den naturschutz in 20 jahren nur noch als grün angehauchtes ökogeschäft geben werde. denn praktische und politische ökologie sei keine technik, sondern werde von menschen gemacht, die aus überzeugungen dafür schauen würden, dass es die richtigen gesetze geben und diese dann auch umgesetzt würde.

karin frick, chefforscherin am gdi, versuchte die studie ihres instituts auf dem podium vorerst noch zu retten. wenn reiche leute natur kaufen und so der zerstörung entziehen würden, dann sei das der beste praktische umweltschutz, für den es keine politik mehr brauche, meinte sie. doch sie merkte bald, dass auch diese botschaft nicht wirklich sass und schwieg sich den rest des abends aus.

die bilanz

schade für die geburtstagsfeier, dachte ich mir. die schweiz als reservat ägyptischer magnate, deren gefolgschaft hier sanfte ferien macht und geschichtsbücher über die romantik des naturschutzes an der schwelle des 20. zum 21. jahrhunderts liesst, blieb mir haften, als ich entsetzt den saal der geburtstagsfeier verliess, um

stadtauszuwandern.

meine bricolage zur lage der schweiz

zu diesem beitrag gibt es keine vorangestellte these. denn er will zum unbefangenen nachdenken über die lage der schweiz anregen.

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bundesräte als elemente der karikatur: doch auch sie machen sich gedanken zur lage der schweiz. eine kleine auslegeordnung

“Im Gerangel um mediale Aufmerksamkeit hat eine Inflation der Unflätigkeiten eingesetzt, welche die Kunst politischer Polemik entwertet hat. Gröbste Anschuldigungen erweisen sich als Übertreibungen und wirken nur noch lachhaft. Die verletzte Ehre, für die vor hundert Jahren noch zum Duell aufgefordert wurde, wird kaum noch geltend gemacht.”

der absatz im blog unseres medienministers moritz leuenberger zum gegenwärtigen zustand ist mir heute am meisten hängen geblieben. denn ich kann nur sagen: wie recht er doch hat!

die wirtschaftskrise hatte in der schweiz nicht zu hysterischen reaktionen in der bevölkerung geführt. besonnenheit blieb die schweizerische tugend. in der politik haben sich jedoch beträchtliche verschiebungen ergeben, die bisher nicht üblich waren. das wiederum hat in den massenmedien zu einer welle von querschüssen aller art geführt, die mir bisher nicht geläufig waren.

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letzte woche, als ich an der grossveranstaltungen der zeitungen “weltwoche”, “neue zürcher zeitung” und “tagesanzeiger” in bern war, an der die zukunft der armee diskutiert wurde, meinte bundesrat ueli maurer, unser verteidigungsminister, in anlehnung an ein zitat seines früheren amerikanischen pendants: wir wissen um die bekannten gefahren schon lange. wir werden seit längerem auch auf zwischenzeitliche bekannte unbekannte in der gefahrenlage aufmerksam gemacht. doch wovon wir keine ahnung haben, ist die unbekannte unbekannte in der bedrohungslage.

eigentlich, möchte ich entgegnen, müssen wird nur die gegenwärtige lage der schweiz betrachten, um zu wissen, was das unbekannte unbekannte ist. wer nur hätte sich vor einem halben jahr einfallen lassen, dass die weltwirtschaft so abrupt einbricht, dass die ubs pleite gehen könnte, dass die finma das bankgeheimnis aufbricht, dass regierung und parlament für neuverhandlungen von steuerabkommen mit den usa und wohl bald auch mit der eu sind? das war doch bis vor kurzem offiziell nicht verhandelbar, nicht vorstellbar in unserem land. eben: die unbekannte unbekannte.

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und um den bogen zum zitat von moritz leuenberger von oben zu schliessen: an der gleichen tagung referierte herfried münkler, der renommierte berliner friedenforscher, unter anderem zu armee und politik im postheroischen zeitalter. das könnte man fast schon als analyse dere zukunft der schweiz nehmen. denn demnach ist der reichtum der grossfamilien durch die armut der singlegesellschaften abgelöst worden, in denen der erwerb von materiellem reichtum die verteidigung der persönlichen ehre überlagert. wenn der geldsegen ausbleiben sollte, so seine pointe, kommt der wunsch, seine ehre wieder zu erlangen, nicht automatisch zurück.

deshalb duellieren sich bundesrätInnen heute nicht mehr mit medienschaffenden, auch wenn ihnen bei ihren wilden ausfällen jegliche form von kollateralschäden gleich sind.

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ein kühlendes bier während einer hitzigen debatte

eine hitzige debatte war das heute. bei der sonntäglichen zeitungslektüre im kleinen, und in der alltäglichen politik im grossen. ich mischte mich (vorerst) nicht in den disput zwischen deutschland und der schweiz ein, trank mein kühlendes bier auf dem bundesplatz und machte mir gedanken für meine ausführungen hierzu morgen.

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“schweiz auf schwarz” vs. “leben in der steuerwüste”, zwei medienbilder aus der aktuellen politdebatte in deutschland und der schweiz, die emotionen wegen, pauschalisierung und kollektive diffamierungen wecken. interessenkonflikte einer lösung zuzuführen, wäre die aufgabe der regierungen, parlament und medien.

“gibt es einen rassismus gegen deutsche?”, lautete die frage, die sich ein artikel in den heutigen sonntagszeitungen stellte. die eidgenössische rassismus-kommission werde morgen darüber beraten. nicht nur, aber auch aus aktuellem anlass. meine beiden gegenüber geraten sich bei dem thema schnell ins gehege. für den einen ist klar, das gibt es nicht. für anderen ist ebenso deutlich, wenn es ihn gibt, ist er berechtigte. wegen denen da oben.

was meine beiden gegenüber nicht wissen: auch ich werde morgen ausnahmsweise an der kommissionssitzung dabei sein. “rassismus” werde ich sagen, “ist zu allererst eine übertreibung. eine form von ideologischem extremismus. er mobilisiert ganz bewusst emotionen. er diffamiert und diskriminiert andere, aus biologischen, ethnischen, religiösen oder nationalen gründen. er rechtfertigt unterdrückung und ausgrenzung von gruppen, die zu fremden gemacht werden. in seiner schlimmsten form legitimiert der rassismus die vernichtung von menschlichem leben aufgrund eben dieser gruppenzugehörigkeiten. rassismus muss man ernst nehmen. denn übertreibungen sind meist fehl am platz. sie werden deshalb nicht bekämpft, indem man selber übertreibt, sondern einsicht in den spirale ihrer entstehung gewinnt, um aus dieser heraus zu kommen.”

rassismen gab es in der geschichte viele. gegen andersfarbige, gegen andere völker. gegen andere religionen. und gegen andere nationen. rassismen tauchten immer dann vermehrt auf, wenn sich unsicherheit ausbreitete, zugehörigkeiten und nicht-zugehörigkeiten nicht mehr klar definitiert waren und die stimmung daraus politisch missbraucht wurde. denn dann bietet der rassismus eine einfache formel für ordnungen an, die er als natürlich ausgibt, weshalb sie, allenfalls auch rücksichtslos, durchgesetzt werden müssen.

diese ordnungen basieren in allen erscheinungsformen des rassismus als polarität zwischen dem eigenen und dem anderem. diese wird über alles andere gestülpt, wobei das eigene überschätzt und das andere für minderwertig erklärt wird.

diese hierarchie im denken ist es denn auch, die den rassismus gefährlich werden lässt, denn was herabgemindert worden ist, darf man bekämpfen, unterdrücken, ausgrenzen, ja vernichten. denn das individuum gilt nichts mehr, es ist bloss noch bestandteil des kollektiv,das wieder zum feind erklärt wird. rassismus ist damit ein teil politischer kulturen. er findet sich in institutionen, und zeigt sich bei menschen. niemand ist davor gefeit, weder im denken noch im handeln.

diese kürzestanalyse, die ich morgen ausgebaut vortragen werde. sie ist denn auch ein schema, um die gegenwärtige debatte zwischen deutschen und schweizern grundsätzlich zu diskutieren. das ist nötig, denn der gegenwärtige diskurs ist deplaziert, medial übersteigert und insgesamt abstrus. zwischen beiden ländern gibt es in steuerfragen interessengegensätze, deren regelung politisch angebracht ist. die vermengung dieses fakts mit einem identitätsdiskurs, wie das gegenwärtig der fall ist, ist weder zielführend noch hilfreich.

er blockiert nur. und genau deshalb gehört er beidseitig umgehend sistiert.

für das, was wir in den letzten tagen erlebt haben, tragen regierungen, medien und politikerInnen gemeinsam verantwortung. wegen und mit ihnen ist es entstanden, und durch sie gehört das ganze auch abgestellt.

die aufgabe der politik ist es, interessenkonflikte so zu lösen, dass allgemeinverbindliche regelungen entstehen. ihre aufgabe ist es nicht, billigen populismus mit der diskreditierung anderer politiker und die durch sie vertretenen staaten und menschen zu betreiben. sonst machen sie sich mitverantwortlich, rassismen zu wecken oder am leben zu erhalten.

soweit sind wir, glaube ich einigermassen gut belegt zu wissen, nicht. es gibt zwar eine erhebliche verstimmung in den staatlichen beziehungen insbesondere zwischen deutschland und der schweiz. emotionen wurden geweckt, hass wurde geschürt. verunglimpfungen im alltag kommen vor, aber kaum über das bisherige mass hinaus. diffamierungen durch verantwortungsträger jedweder art sind aber abzulehnen, denn sie bereiten,den bereich des rassismus vor, der höher- von minderwertigem hierarchisch scheidet, um dann zuschlagen zu dürfen. soweit darf es nicht kommen!

soweit ist es auch nicht. zwischen deutschen und schweizern gibt es eine vielzahl von gemeinsamkeiten, von interessen, die übereinstimmen, von verbindungen, die im wahrsten sinne des wortes wirken, sodass vorhandene unterschiede in der geschichte, in der gegenwart und in der zukunft nicht zu den dominanten begegnungsweise werden.

es ist unsere nachbarschaftliche pflicht, weitere eskalationen zu verhindern. gefragt sind jetzt die besonnenen kräfte. genauso wie das letztlich auch meine tischnachbarn machten, als sie sich den inseraten mit rabattaktionen zuwandten, und ich mich an meinem bier abkühlte.

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fünf neue eidgenossInnen

es war ja so was von kalt an der gestrigen museumsnacht, dass man im freien kaum lange rumstehen wollte. umso mehr freute es einen, im alter 3er-tram durch die stadt fahren zu können, waren doch die holzbänke im wageninnern geheizt, und strahlte die bahn aus frühen jahren mehr charme aus, als alle heutigen trams zusammen.

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der kleine bund bringt heute die fünf prämierten kurzbiografien zu den neuen eidgenossInnen, die nie gelebt haben, aber so gut beschrieben werden, dass die beste davon ins historische lexikon der schweiz aufnahme finden wird.

witzig war gestern abend vor allem die preisverleihung für den besten “nihilartikel” im historischen lexikon der schweiz. 76 “nihilistInnen” reichten eine kurzbiografie zu einer nicht existierenden personen ein, die früher in der schweiz gelebt haben sollte. 5 davon wurden prämiert. der chefradaktor, marco jorio, machte damit aus der not eine tugend: denn er weiss, dass bei einem 13bändigen werk ein jux-artikel fast nicht zu verhindern ist. also rief er wohl als erster herausgeber der welt die öffentlichkeit auf, solche hochoffiziell einzureichen, wobei der von einer jury bestimmte, beste artikel, effektiv ins kollektive gedächtnis der schweiz aufgenommen wird.

die ehre, die beste biografie einer nichtexistierenden schweizerin erfunden zu haben, kommt nun tina maurer zu, die das leben der marie-thérèse zündapp erfand, einer gelernten hebamme aus dem aargauischen villmergen, die in liestal als fachlehrerin wirkte, bis sie, in den wilden 68er jahren, wegen umstürzlerische umtriebe, aus dem schuldienst entlassen wurde. die werdende feministin engagiert sich danach jedoch nicht in der aufweichung harter strukturen der patriachalen gesellschaft. vielmehr wird die leidenschaftliche töfffahrerin präsidentin des bundes gegen helmtragpflicht und engagiert sie sich in militanten aktionen gegen den kreiselverkehr. beim versuch, mit ihrem töff auf die a2 zu gelangen verunfallt sie 1997 in emmen jedoch tödlich. schon zu lebzeiten galt sie als ikone der motorisierten frauenfortbewegung. wey, eine sonst unbekannte autorin, hat 1992 ihr leben im werk “die frau ohne helm” gewürdigt.

davon stimmt zwar kein wort, doch bettet sich die biografie einfühlsame in die jüngste zeitgeschichte, sodass sie mit dem ersten preis, die gesamte ausgabe des historischen lexikons der schweiz, ausgezeichnet wurde. interessant war, dass auch die anderen vier auszeichnungen alle an autorInnen gingen, die bewegte biografien erfanden, so zu johann franz tscheulin, den vergessenen prionier der schweizer wanderwege, zu zigmund zyzowski, den auswanderer nach griechenland, der erfolglos die rotation des alfabeths propagiert hatte, zu hanns zark, den einwanderer aus österreich, der sich literarisch der bienenzucht annahm, und schliesslich zu alexia stoffel, der weinbäuerin aus visperterminen, die in die sozialistische sowjetrepublik kirgisien auswanderte, um dort den weinbau in rekordverdächtigen höhenlagen zu propagieren.

am ende der lesung war einem ganz warm ums herz, fünf neue eidgenossInnen in die gemeinschaft der verstorbenen aufgenommen zu haben, ohne dass sie je gelebt hatten. so warm sogar, dass man sich ganz gerne wieder in die kälte der nacht vom winter in den frühling stürzte, um weiter in echten, erfunden, wiederentdeckten, übetriebenen, inszenierten und persönlichen erinnerungen in und rund um bern zu schwelgen.

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e nacht lang füürland

sollte heute abend jemand in bern noch nichts vorhanben, erwartet ihn, erwartet sie unerwartetes. das nämlich ist das motto der museumsnacht 2009. 34 orte der erinnerung in der stadt bern öffnen sich zwischen 18 uhr abends und 2 uhr morgens fürs publikum, zeigen, was sie wissen, was sie beherbergen und was man schon immer sehen wollte.

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der bundesplatz ist das zentrum der aktivitäten. von hier aus kann alles, was weiter als einen spaziergang ist, mit öffentlichem verkehr erschlossen werden. zahlreiche oldtimerlinien stehen in die aussenquartiere zur verfügung. zudem verkehrt der legendäre rote pfeil zwischen bahnhof und westside.

die genau zahl der veranstaltungen kenne ich nicht. sie ist sehr hoch. es gibt führungen, ausstellungen, filme, musik, performances und bars für jung und alt. beliebt sind führungen durchs bundeshaus, zur jüngsten renovation, zur kunst am bau oder zu den geheimnissen der (sitz)bänke im bundesratszimmer. zu sehen sind aber auch ausstellungen zu schweizer erfindungen, zur berner psychiatriegeschichte oder zur nutzung von brachen in der stadt. spezielle events gibt es zu albert einstein, aber auch rosa luxemburg. und: nicht zu kurz kommen kann in einer museumsnacht die suche nach dem orient, die geschichte des brettspiels und anderes mehr.

am meisten freue ich mich auf die pulisierende “BernShow”, eine neue geschichte der stadt im 3-d-format. besuchen werde ich auch die prämierung des “nihilartikels” für das historische lexikon. und selbstverständnlich werde ich am neuen rundgang von mes:arts, diesmal mit dem gnomologen binsenstein, teilnehmen.

doch was schreibe ich mir da die finger wund: seht selber, was es alles gibt, und kommt, damit an der siebten museumsnacht in bern erstmals mehr als 100’000 eine nachtlang füürland in bern erleben. denn zum frühlingsanfang erwartete einem an der aare unerwartetes.

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nachdenken über politik in der kulturellen moderne

meine erste stadtwanderung ist geglückt. das treffen mit jungen muslimen in der schweiz regte zu vielfältigen diskussionen an. und zum nachdenken über das, was politik in der kulturellen moderne ausmacht.

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gruppenbild im bundeshaus, während meiner ersten stadtwanderung 2009

die meisten der teilnehmerInnen meiner ersten stadtwanderung sind in der schweiz geboren worden. und sie leben mit der absicht, hier zu bleiben. ihren muslimischen glauben wollen sie nicht verleugnen müssen. deshalb fordern sie religiöse toleranz, vielfalt der kulturen.

im bundeshaus debattierten wir mit felix gutzwiller (fdp) und kathy riklin (cvp) über die verhandlungen zur minarett-initiative. selbstredend begrüssten alle die entscheidung im schweizerischen parlament. gerne hörte man auch die botschaften der politikerInnen, sie würden sich im abstimmungskampf auch entsprechend einsetzen.

beim mittagessen, gemeinsam mit der früheren ständerätin monika weber aus zürich, gingen die diskussionen in alle richtungen. meine gäste interessierten sich vor allem für die symbole des bundeshauses. zunächst die fehlenden: dass man im parlamentsgebäude nirgends essen könne, befremdete. ein cafe erschien als schwacher ersatz für gesellige formen, sich mit politikerInnen unterhalten zu können. dann wollte man mehr über die frontseite wissen: die köpfe über den eigangstüren, die wächter links und rechts. viele schweizerInnen dürften sie regelmässig übersehen; nicht so meine gäste mit einem anderen kulturellen auge, denen ich die die hervorhebungen als symbole der einwanderungsgesellschaften, der berichterstattung in der gegenwart und der beurteilung aus historischer perspektive erkläre.

natürlich fielen den passantInnen im bundeshaus und während den stadtführungen die kulturellen unterschiede auch bei unseren gästen auf. einige frauen trug stets ein kopftuch; niemand trank den ganzen tag einen schluck alkohol. einige verschwanden plötzlich, um an einem stillen ort beten zu gehen.

unterwegs, aber auch beim sitzen, waren männer und frauen eigentlich immer etwas separiert unterwegs. gleichstellung der geschlechter in der öffentlichkeit bleibt ein heikles thema. umgekehrt werden religiöse überzeugungen viel sichtbarer in die öffentlichkeit getragen und gezeigt.

es ist nicht so, dass ich mich nicht aufgenommen gefühlt hätte; etwas fremd war mir die gruppe indessen schon. ich bin froh, dass der generalsekretär des dialog instituts, cebrail terlemez, ein gewandter vermittler zwischen kultur ist.

selber ertappte ich mich, auffällig viel von der aufklärung, je von der kulturellen moderne, die auf ihr basiert, gesprochen zu haben. demokratie basiert demnach auf der trennung von politik und religion, auf dem vorrang von weltlicher vernunft vor göttlicher offenbarung. und der überzeugung, dass politik am besten funktioniert, wenn sie auf eben diese vernunft setzt.

sich dafür einzusetzen, mit wem auch immer man unterwegs ist, und wo auch auch immer das stattfindet, lohnt sich!

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le malheure de bonneville

le seyon, der fluss im val-de-ruz, wirkt in diesen frühlingstagen friedlich. fast nicht erinnert einen an die katastrophe von 1301, als die siedlungsstadt bonneville im neuenburgischen tal abging.

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die arche von bonneville im neuenburgischen val-de-ruz

wer die alte kantonsstrasse von valangin nach engollon durchwandert, stösst vor einer krete auf ein merkwürdiges denkmal voller symbolik. unbeschriftet ist es heute, doch man erkennt ritter als teile des universums, die unter sich ein nichts haben.

die geschichte erinnert einen, dass es das denkmal an einem eingangsort einer untergegangenen stadt steht. ausgerechnet “bonneville” hiess die gründung der herren von valangin, die im hochmittelalter unweitüber die enge talschlucht wachten, die von den jurahügeln hinunter an den see führt. sie legten den flecken von 200 mal 80 meter fläche im 13. jahrhundert an, um das tal zu roden und zu besiedeln.

die expansionspläne der seignieurs in halber höhe der bergzüge missfielen den grafen auf der neuenburg gründlich. sie kontrollierten die see- und landwege im 13. jahrhundert der region nach belieben, und die herren von valangin betrachteten sie als ihre eigenen untertanen.

diese wiederum machten, was man damals immer tat, wenn man sich luft verschaffen wollte. sie verbündeten sich 1295 mit dem noch mächtigeren, aber entfernteren bischof von basel, der in den jurabergen reich begütert war. sie vermachten ihm die werdende stadt, um sie von ihm als lehen zurück zu erhalten. der preis des schutzes: sollte die gründung innrt viere jahren gelingen, wollte der bischof sie ab 1299 sein eigen nennen dürfen.

doch das liessen die die neuenburger grafen nicht zu. im frühling 1296 griff rudolf iv. aus ihrem geschlecht valangin und bonneville an. beim heutigen dorf coffrane kam es zur schlacht, bei der sich die neuenburger durchsetzten. den versuch der bischöflichen truppen, den gräflichen einfluss auf das tal dennoch zu beschneiden, vereitelten die neuenburger, indem sie 1301 bonneville direkt angriffen und nun dem erdboden gleich machten.

die chroniken berichten, dass nur frauen und kinder den überfall überlebten und die kleine gemeinde engollon gründeten. der basler bischof liess in der folge die finger vom versuch, das “tal des rudolfs”, le val-du-ruz, nochmals beherrschen zu wollen. dafür gründet er 1318 unten in der ebene am ende des bielersees la neuveville, die neue stadt, das es heute noch gibt.

im val-de-ruz erinnert nur noch das denkmal, an den unheilvollen herrschaftlichen versuch, das tal dem menschen zu erschliessen. die ritter in der kuppel des mahnmals haben bis heute nur gras unter sich.

stadtwanderer

ganz im zeichen der pilze

“filet de boeuf, sauce périgueux”, steht auf der karte der herberge “l’aubier” in montézillon, dem zentrum für nachhaltige entwicklung hoch über dem neuenburgersee. genau das nehmen wir als hauptspeise bei meinem geburtstagsessen. “périgueux“, erklärt uns der ebenso gedrungene wie gewandte kellner, “verweist auf die gegend im südwesten frankreichs, wo es die besten schwarzen trüffeln gibt”. und eben diese auserlesenen pilze dienen dem koch, um das fleisch wunderbar zu verfeinern. damit überzeugt der herr des essens im ökohotel auch uns. das gericht ist frisch, aromatisch und wirkt sich anregend auf die atmosphäre aus.

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mycorama, das weltweit einzigartige pilzmuseum im neuenburgischen cernier ist jederzeit eine reise wert.

am andern morgen machen wir uns auf ins val-de-ruz. denn in cernier, einem bauern- und industriedorf am talrand steht seit 2007 das weltweit führende pilzmuseum. das moderne gebäude besteht aus glas, stahl, beton und holz. im innern des mycoramas bekommt auf drei stöcken alles geboten, was man aus biologie, ethnologie und gastronomie über plize weiss. die aktuelle ausstellung steht unter dem motto “zum teufel mit unseren dämonen!” sie widmet sich menschlichen ängsten gegenüber unerklärlichen vorkommnissen, deren ursachen pilze sind. das antoniusfieber schreckt, das milchmeer fasziniert, und wie die trüffeln aus frankreich schmecken, wissen wir ja bestens.

nach dem intensiven museumsbesuch ruht man sich am besten aus. zum beispiel im benachbarten evologia, dem zentrum für natur und kultur “le piano” heisst das kleine restaurant. wir lassen uns apfelsaft servieren und fragen die gerantin erwartungsvoll nach der spezialität des hauses. heute gibt es alles, ausser pilzgerichte, bekommen wir zur antwort. “das können sie mit uns nicht machen”, erwidern wir ihr. die freundlich-resolute chefin, die ein wenig wie bonneminne aus asterix&obélix wird, zeigt denn auch rasch ein einsehen und tritt selber in der küche an den herd. ihre pilzschnitten mit frischen steinpilzen duften herrlich, wenn sie nur schon aufgetischt werden. und der rest ist noch besser als erwartet.

gestärkt machen wir uns auf den wanderweg ins val-de-ruz, um auf entdeckungsreise zu gehen, selbst wenn es (leider) noch nicht pilzsaison ist …

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bern feiert geburtstage!

14. märz: gerade in bern ein vielfältiger grund, um geburtstage zu feiern!

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denn, am 14. märz …

…1834 beschliesst der berner grosse rat, aus der akademie, die vom patriziat beherrscht wurde, eine demokratisch begründete hochschule zu begründen. die universität bern, die daraus entstand, feiert ihren geburtstag mit dem tag der offenen türe.

… 1853 wird im berner käfigturm ferdinand hodler, sohn der gefängnisköchin geboren. durch sein tellenbild berühmt geworden, avanciert er zum eigentlichen nationalmaler der schweiz.

… 1879 wird in ulm albert einstein geboren, der auf umwegen 1902 nach bern kommt, wo er seine kreativsten jahre verbringt und 1905 sein physikalischen wunderjahr erlebt, bevor der privatdozent an der berner uni, professor in zürich, später in prag, berlin und princeton wird.

… 1898 gründen berner gymnasisten nach einem match zwischen basel und bern den fussballclub young boys als juniorenteam des fc bern. daraus entwickelt sich der traditionsreiche fussballclub “yb”, der seit 2005 im stade de suisse tuschtet, und heute 111 jahre alt wird.

… 1957 erblickt der stadtwanderer da licht der welt. geboren im sputnikschock braucht es eine weile, bis er 2003 seine bestimmung als stadtwanderer findet – und regelmässig darüber berichtet. notabene seit genau 3 jahren

stadtwanderer

der marktplatz des bankgeheimnisses

bern markthalle – für mich so etwas wie der marktplatz in sachen bankgeheimnis. alle geheimnisse darum, die ich bisher bewahrt habe, werden hiermit bekannt gemacht.

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während bundesrat hansrudolf merz die neue politik der schweiz in sachen bankgeheimnis bekannt gibt, bin ich mit ein paar kollegInnen in der berner “markthalle”. und mache mir so meine gedanken, was alles ich auf dem marktplatz der berner eitelkeiten in sachen bankgeheimnis erlebt habe.

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zum ersten mal mit dem bankgeheimnis konfrontiert wurde ich 1976, als das buch von jean ziegler “eine schweiz, über jeden verdacht erhaben” erschien. der genfer soziologe klagte darin die schweiz an, mit ihrem bankgeheimnis systematisch steuerhinterziehungen im ausland, insbesondere in der dritten welt, zu begünstigen und damit zur krass ungleichen verteilung von reichtum und armut in der welt beizutragen. damit machte er politische karriere, die ihn bis ins eidgenössische parlament brachte.

1999 wollte der sp-nationalrat, der von seiner kantonalpartei nicht mehr nominiert worden war, in einer wilden aktion in die volksvertretung entsandt werden, strebte er doch auf diesem weg an, bei der uno als berichterstatter für menschenrechte angestellt werden. ohne partei im rücken, aber mit “le temps” in der hand, vernahm ziegler von meinem damaligen forschungsprojekt zu erfolgsfaktoren bei den nationalratswahlen 1999. er insistierte, sich mit mir über ihn und sein problem zu unterhalten.

die einladung, die erfolgte, brachte uns in der berner markthalle zusammen. dabei erörterte jean, wie man ihnen weitherum nannte, freigiebig die chancen einer kandidatur bei den genfer kommunisten, solothurner grünen oder züricher jungsozialisten. mein ratschlag hierzu blieb bescheiden, denn jean ziegler (“die bankdirektoren an der zürcher goldküste sind die höhlenbewohner von heute”) zog in der hinteren markthalle die halbe besucherschar in seinen bann. das tribunal des wortgewaltigen mit dem er mitten im restaurant die schweizer banken einmal mehr auf die anklagebank setzte, wollte sich letztlich niemand entgegehen lassen.

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vor 6 oder 7 jahren lud mich das eidgenössische finanzdepartement ein, an einem treffen zwischen vertretern der oecd und der schweiz beim mittagessen eine kleine tischrede zum politischen system und zu politischen kultur der schweiz zu halten.

dazu versammelte sich die kleine gesellschaft aus paris und bern in der markthallte. just an dem tisch, an dem ich schon mal mit jean ziegler sass. parliert wurde auf französisch, um den diplomatischen gästen entgegenzukommen.

den versprecher des essens leistete sich ein hoher beamter des bundes. denn er sprach während der ganzen diskussion über das bankgeheimnis. doch war das in seinem munde nicht “le secret bancaire”, sondern “le bancaire secret”.

unsere gäste aus frankreich staunten nicht schlecht, denn wohl genau so stellten man sich in paris die schweizer bankiers vor: verschwiegen bis ins grab, egal um was es geht, doch alles andere als hüter eines gemeinsam entwickeltes rechtes uner der fortgeschrittenen wirtschaftsnationen.

zum eclat kam es damals (noch) nicht. man war, wie es sich in den zwischenstaatlichen beziehungen um die jahrtausendwende noch gehörte, höflich, tauschte sich aus, machte fleissig notizen, und erstellte den bericht, den man etwa erwarten konnte. vielleicht, in den randbemerkungen dazu, schimmerten die gemachten erfahrungen und gesammelten einschätzungen durch. und die waren sich vom schweigsamen bankfachmann aus aus zürich, basel und genf, der in bern gedeckt, letztlich aber nicht verstanden wird, geprägt.

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vor kurzem war ich zum feierabendbier an der bar “mama mia” in der berner markthallte. da traf ich seit längerem wieder einmal stefan sonderegger. der historiker, den ich seit meinen studienzeiten kenne, ist heute koordinator beim historischen lexikon der schweiz.

gerade weil ich sein “hls” so schätze, klagte ich stefan ein wenig über das grandiose werk. denn jüngst, als ich mich auf den entscheidenden tag zum schweizer bankgeheimnisses vorbereitete, entdeckte ich die erste wirkliche lücke im institutionalisierten kollektivgedächtnis der schweiz.

das stichwort “bankgeheimnis” fehlt nämlich im historischen lexikon der schweiz.

der manager der schweizer erinnerung verdreht ob dem fehltritt die augen, zeigte sich aber flexibel. 1992, als man das konzept machte, war das noch realität, nicht geschichte, meint er zu mir. immerhin, es gäbe auswege, sofern das bankgeheimnis falle. wie das ding auf französisch heisse, wollte der gedrungene appenzeller von mir wissen. eventuell könne man den artikel in einem später erscheinende band in einer anderen sprache noch nachholen und via internet wieder allen zugänglich machen.

da kam mit die ganze sache mit dem versprecher von damals wieder in den sinn. “secret bancaire” antwortete ich korrekterweise. was die sache erleichtert, erwiderte stefan. denn der band mit “b” ist schon lange gedruckt, der mit “s” steht noch aus. die chance, dass wir die wahre geschichte des bankgeheimnisses noch erfahren, ist intakt!

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zur geschichte geworden ist das bankgeheimnis ja heute über mittag. die schweiz akzeptiert, wie alle anderen staaten, die vom schwarzen prangerbedroht sind, die oecd-richtlinie in sachen amtshilfe bei steuerhinterziehung. im inland bleibt der kundeschutz bestehen, nach aussen ist wird das bankgeheimnis indessen löchriger als jeder emmentaler.

wie gesagt, während der markt der mächtigen die spielregeln neu bestimmte und die schweiz wie viele andere dominosteine zuvor kippte, war ich wieder am symbolträchtigen ort. in der retrospektive des lokalhistorikers erscheinen jeannot, der ungenannt sein wollende beamte aus dem finanzdepartement und stefan sonderegger allesamt nur als vorboten von dem, was heute geschah, während ich bei ein paar leckereien meine geburtstagsfeier in der berner markthalle einleitete!

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mit dem ubs-präsidenten unterwegs

zürich, hauptbahnhof. ich verlasse den zug von bern. und unterhalte mit mit kaspar villiger, dem designierten ubs-verwaltungsratspräsidenten. zeit und ort, gedanken zum bankenplatz zürich und dem bankgeheimnis auszutauschen.

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seit den zeiten als bundesrat wirkt kaspar villiger fast unverändert. vielleicht ein wenig gealtert. aber immer noch rüstig. letztlich ist er der gleiche eidgenosse geblieben, den ich aus den zeiten kenne, in denen er im bundeshaus ein und aus ging.

ich will wissen, was in bewegt habe, den verdienten ruhestand (versetzt mit zwei verwaltungsratsmandaten) aufzugeben und sich 68jährig für das präsidium der schlingernden ubs nominieren zu lassen. die verantwortung, bekomme ich zur antwort. es gehe um viel, auch um viel geld, erhalte ich nachgeschoben.

ob es eine grpsse herausforderung sei, will ich wissen. oh ja, entgegnet mir der designierte ubs-chef. vertrauen zurück zu gewinnen, sei sein oberstes ziel. zwei drittel der probleme seien so begründet. wie er die chancen sieht, das blatt wenden zu können?, drängt sich jetzt als frage auf. die antwort: der ausgang sei offen, und genau deshalb müsse man mit vereinten kräften daran arbeiten.

kaspar villiger übt sich schon mal darin, den vordermann zu spielen. der reisende hat zwei rollkoffer dabei. er zieht sie höchst persönlich übers perron, was ihn bei mir und den passantInnen sympathisch macht. seine vorgänger jedenfalls habe ich nie im zug gesehen, oder im hauptbahnhof als einer von vielen, die am morgen mit allen andern pendlerInnen zu arbeit geben.

dann braucht der politiker ein einprägsames bild. seine aufgabe bei der ubs sei die eines steuermanns. man könne auf eine ausgezeichnete crew setzen, und man habe zahlreiches fussvolk, das man in die richtige richtung motiviren müsse. doch das alleine bestimme nicht, ob man wie geplant im sicheren hafen ankomme. die winde kämen gegenwärtig aus allen richtungen, und der wellengang sei gewaltig. das ist klar und im übertragenen sinne wohl auch zutreffend.

und das bankgeheimnis?, nimmt mich wunder. es soll ja morgen, freitag der 13., im bundesrat darüber entschieden werden.

einen moment bekomme ich keine einschätzung. doch dann folgt sie. die schweiz brauche ein bankgeheimnis, sagt der finanzminister, der die letzte reform der wichtigsten institution auf dem bankenplatz selber durchgeführt hatte. im inland werde es unverändert gelten. vom ausland her sei der druck mit schwarzen listen gewaltig. in der zukunft werde man konzessionen machen müssen, um schlimmeres zu verhindern. fast wichtiger noch sei ihm jedoch die vergangenheit. was geschieht mit dem vermögen, die schon angelegt wurden?, fragt sich der ehemalige politiker. dafür müsste es eigentlich eine amnestie geben, wenn es deklariert werde.

reicht die zeit, das zu vermitteln?, will ich noch wissen. für die schweiz wäre es gut, wenn sie diese noch hätte. doch das entscheidet nicht sie alleine, bekomme ich mit auf meinen weg. denn jetzt haben wir das ende des perrons erreicht.

ich wünsche, was man in dieser situation wohl braucht: viel glück! und gehe gerade aus, während mein gesprächspartner den weg nach rechts richtung bahnhofstrasse einschlägt.

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im schaufenster der religiösen pluralisierung

die christlichen kirchen entleeren sich, die religionen aber verschwinden nicht. für gegenwärtig pluralisierung der religionslandschaft spricht der rasch wachsende anteil an muslimen in der schweiz. eine übersicht, als hintergrund meiner ersten stadtwanderung 2009 mit muslimischen secondos.

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fakten: die am raschesten wachsende konfessionsgruppe
gemäss volkszählung lebten im jahre 310’807 menschen (4,3%) mit islamischem glauben in der schweiz. neueste schätzung gehen von mehr als 400’000 personen für das jahr 2007 aus.

lässt man die konfessonslosen (rund 11% im jahre 2000) weg, waren die muslime hinter den mitglieder der römisch-katholischen (42%) resp. der evangelisch-reformierten kirche (33%) die drittgrösse glaubensgemeinschaft in unserem lande.

unter allen konfessionen in der schweiz wächst die muslimische gemeinde seit den 90er jahren am schnellsten. vor allem in den grossen städten entwicket sie sich überproportional.

75 prozent der mitglieder islamischer gemeinschaften in der schweiz leben in einer paarbeziehung. geschiedene sind mit 2 prozent sehr selten; zudem ist kein trend zur zunahme feststellbar. die mittlere kinderzahl je frau ist mit 2,4 (mittel 1,4) weit über dem schnitt.

48 prozent der mitglieder islamischer gemeinschaften verwenden zwischenzeitlich eine landssprache als hauptsächliches kommunikationsform; der trend ist hier stark steigend. dabei ist die integration in der romandie am höchsten, in der italienischsprachigen schweiz am geringsten.

12 prozent der muslime in der schweiz besassen bei der jahrtausendwende eine schweizer pass. sind sind damit von allen konfessionsgruppen in der schweiz am zweitschlechtesten integriert. zwei drittel davon wurden eingebürgert, ein drittel in der schweiz geboren.

früher stammten die muslime aus der türkei. in dieser volksgruppe gibt es denn auch die stärkesten ansätze zur ausbildung von secondos: muslime, die hier geboren und aufgewachsen sind, und ihr leben hier verbringen wollen, mit ihrem glauben.

viele der neueingewanderten muslime stammen dagegen aus ex-jugoslawien: sie sind auffallend jung, überwiegend männer. und sie haben häufig keine gute ausbildung, was die integration erschwert.

interpretation: teil des sozialen wandels
der bericht “religionslandschaft in der schweiz” sieht in der präsenz der muslime in der schweiz ein indiz für die religiöse pluralisierung, die heute weitgehend ohne missionierung entsteht. zwei formen der mobilität sind entscheidend: einmal der rasche rückgang von mitgliedern der evanglisch-reformierten kirche gerade in den städten, anderseits die zuwanderung von menschen mit minderheitsreligionen.

festgehalten wird dabei ein tiefgriefender sozialer wandel, weg von der territorial gebundenen und damit überwiegend homogenen konfessionszugehörigkeit, hin zu einer herkunftsmässig oder individuell bestimmten form von glaubensbekenntnissen, die im urbanen gebiet auf engem raum leben.

das wird auch als ursache für die neu entstandenen politischen diskussionen zum verhältnis von gesellschaft und religion. gesellschaftliche gleichbehandlung einerseits, religiöse sonderbehandlung anderseits werden heftig debattiert. dabei sind die städte das schaufenster der veränderungen geworden, durch das auch die landleute auf die veränderungen schauen.

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die neue saison des stadtwanderers

ganz ehrlich, ich kanns kaum erwarten, bis die neue saison des stadtwanderers anfängt. morgen ist es soweit. im programm der frühjahressaison hat es noch platz. interessentInnen sind willkommen!

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seit tagen warte ich darauf, dass sich das wetter bessert. denn bei der kälte, die wir in den letzten wochen hatten, will draussen keine stimmung aufkommen.
doch nun ist es soweit, morgen beginnt die offizielle saison 2009 des stadtwanderers.

meine erste gruppe ist speziell. es handelt sich um das dialog-institut. “dialog” ist ja das neue zauberwort in der schweizer bankkundengeheimnispolitik. doch geht es bei der morgigen führung nicht um finanzen, sondern um kulturen.

meine erste gruppe in diesem jahr sind muslimen in der schweiz. die meisten von ihnen sind secondos mit türkischem hintergrund, die am 11. märz 2009 ihren politik-weiterbildungstag in bern verbringen. sie besuchen am morgen die session, utnerhalten sich mit verschiedenen parlamentarierInnen, haben verschiedene gäste zum essen, und wandern am nachmittag mit mir durch bern.

die wanderung dreht sich wie meistens um demokratie. diesmal geht es mir aber ganz speziell um die politkulturellen voraussetzungen von demokratie. menschenrechte, bürgerrechte, politische rechte werde ich besonders ausführen. ebenso die bedeutung nichtkonfessioneller parteien, freier medien, und der pluralismus der öffentlichkeit.

ich verstehe das durchaus als allgemeiner aufruf, sich der weltweit bedrohten qualität von demokratie bewusster zu werden. mit einem hinweis auf die mehr oder minder (un)erfreulichen entwicklungen in der türkei wie in der schweiz!

stadtwanderer

ps:
das programm der frühlingsession ist durch zwei absagen dieser tage noch provisorisch. das ist die schlechte botschaft, die gute ist, dass es vor allem im mai noch platz für führungen hat. gruppen, die sich interessieren, können sich gerne bei mir melden.

werte, werter, wertes leser

8. märz. internationaler frauentag. gute gelegenheit, wieder einmal über (die eigene) sprache nachzudenken.

untitled1luise f. pusch, feministische linguistin, provoziert seit 30 jahren mit ihren sprachvorschlägen, und setzten sich damit meist irgendwie durch

luise f. pusch, die pionierin der feministischen linguistik im deutschen sprachraum, bilanziert die versuche zur neutralisierung des deutschen als männersprache: “Die feminstische Sprachkritik hat die Grammatik tatsächlich verändert”, hält sie im interview mit dem österreichischen “standard” fest.

in den letzten 30 jahren wurden

. doppelformen (leserin und leser),
. schrägstriche (leser/in),
. das binnen I (leserInnen),
. das sternchen (les*) resp.
. der unterstrich (leser_innen)

eingeführt, um das makulinum als geschlechtsneutrale form von substantiven zu ersetzen.

den ist-stand interpretiert die linguistin als kreative gerangel. keine lösung habe sich in allen gesellschaftsschichten durchgesetzt. doch sei die kritik, dass frauen in der sprache bis vor kurzem nicht repräsentiert gewesen seien, weitgehend akzeptiert.

“Das “in” und “innen” ist im Deutschen gegeben und daran können wir anknüpfen, längerfristig bin ich aber für die Abschaffung des “in”. Ich bin also für folgende Art von Neutralität: die, der und das Antiquar!”

keine angst, das kommt nicht sofort, auch auf diesem stadtwand* nicht. es bleibt beim I, weil es sich von den minuskeln so schön abhebt. nochmals pusch: “Also ungefähr in ein paar hundert Jahren, wenn sich die Menschheit daran gewöhnt hat, dass es auch Frauen gibt. Das muss intensiv in die Gehirne eingeimpft werden, mit viel Gebrauch von “in” im Deutschen.”

immerhin als vorbereitung auf die zukunft: werte, werter, wertes leser, bleiben sie die nächsten paar hundert jahre dran!

stadtwanderer

das ganze interview

der mix aus leidenschaft, verantwortungsbewusstsein und augenmass

das offizielle thema des 4. thuner politforums hiess “top oder flop – was macht erfolgreiche politik aus?”. das inoffizielle drehte sich um das verhalten der schweizer banken und kreiste auch darum, was zu misserfolg im öffentlichen leben führe.

webermax weber, der grosse deutsche soziologe, definierte während dem ende des kaiserreiches von 90 jahren, was einen guten politiker ausmache und wurde am thuner politforum mehrfach zitiert

es schimmerte in einigen referaten, aber in fast jedem persönlichen gespräch durch: die fassungslosigkeit der bernischen politikerInnen zur ubs, zum bankgeheimnis und zum einsatz von staatsmittel in privaten banken. genereller tenor: jahrelang sei die politik arrogant behandelt und gescholten worden zu versagen, und jetzt, wo die banken versagen würden, sei man der willkommene garant für stabilität und müsse mit steuermitteln helfen.

vom einschnitt seines lebens berichtete mir einer der vielen gemeindepräsidenten, als unser zwiegespräch unweigerlich auf die ubs zusteuerte. basses staunen überfällt ihn, weil niemand zur rechenschaft gezogen werde. kleine steuersünder habe man damals in seiner gemeinde gepiesakt, die grossen banditen von jetzt bekämen noch boni, machte er seinem ärger luft.

der gemeindepräsident von lauterbrunnen peter wälchli flechtete gar während seines referates eine unmissverständiche anspielung auf das thema ein. er zahle viel steuern, damit es mit seiner gemeinde und seinem tal aufwärts gehe. würde er sich nur danach richten, wäre er vielleicht nicht an den fuss der jungfrau gezogen. doch die einmalige umgebung, das gesunde leben und die liebe zu den menschen habe ihn dazu bewogen. das seien seine standortfaktoren. bereuen würde er nichts, wenn er sehe, wie der zerfall der werte an der zürcher bahnhofstrasse die menschen bis zur unkenntlichkeit verändert habe.

der beispiele wären noch viele. die meisten stammten von bürgerlichen politikerInnen, für die das verhalten der ubs in den usa, die rechtsbrüche, die steuerbetrügerein schwerer zu verdauen sind als für linke politikerInnen. alex tschäppät, berns sp-stadtpräsident, sagte nam das thema ohne schadenfreude auf dem podium auf. nach dem grounding der swissair habe er auf dem bundesplatz an einer demo eine spontane rede gehalten, in der er die banken als zerstörer schweizerischer errungenschaften angeklagt habe. zwischenzeitlich wisse er, dass er damit recht gehabt habe, auch wenn man sein wort zur falschen zeit damals verabscheut hatte.

an der aufschlussreichen tagung zu dem, was erfolg und misserfolg in der politik ausmache, wurde auch der grosse deutsche soziologie max weber zitiert, der in seiner 1919 erschienen schrift zu “politik als beruf” formulierte, ein mix aus leidenschaft, aus verantwortungsbewusstsein und augenmass mache erfolgreiche politik aus.

zu viel leidenschaft,
keine verantwortungsbewusstsein und
fehlendes augenmass

führten dagegen in die irre!

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glückliches bern im thuner schaudaupark

sie sei mit dem “merz” gekommen, sagte der thuner komiker gerhard tschan, als er bundesrätin widmer-schlumpf ankündigte. den habe sie vor der türe stehen gelassen, denn er sei ein auslaufmodell. die pumpe sei am ende, die einspritzung funktioniere auch nur noch ungenau, und so komme es auch, dass er mehr denn je in sackgassen lande. das zahlreiche erschienen publikum lachte über den geglückten einstieg in die tagung “top oder flop – was macht erfolgreiche politik aus?

1ewsbild: markus grunder

nicht so evelyne widmer-schlumpf. die schweizerin des laufenden jahres sagte trocken, sie sei mit dem audi nach thun gekommen, das sei seit jeher ihr auto. ja, “auto”, lateinisch für “selbst” ist das credo der liberal eingestellten politikerin aus dem bündnerland. “frage nicht, was der bund für deine gemeinde tun könne, sondern was deine gemeinde für den bund mache könne”, rief sie in anlehnung an john f. kennedy in den saal mit 290 gemeindepolitikerInnen. führung von oben sei in der schweiz nur beschränkt möglich, nicht einmal dann, wenn man dafür zahle. denn letzlich funktioniere das land, weil die gemeinden die demokratische basisarbeit leisteten.

kritischer verfuhr reto steiner, professor für verwaltungswissenschaften an der berner uni. er beschäftigt sich beruflich mit gemeindefusion. zwar seien nicht alle geglückt, der trend gehe aber in diese richtung, fasst er seine beobachtungen zusammen. ein wichtiger vorteil daraus sei die stärkung der autonomie auf erhöhten niveau. es steigt auch die qualität der dienstleistungen, damit einher gingen aber auch höhere erwartungen. und dabei bei der verbreiteten forderung nach tieferen steuern, was nicht überall aufgehe und die neigung zu opposition fördere.

einen gegenpunkt hierzu setzte während den verhandlungen der schwyzer kommunikationsberater iwan rickenbacher. die mobilität der menschen bildete den ausgangspunkt seiner analyse. sie erweitere den horizont der menschen, nehme ihnen aber zeit. die freiwilligenarbeit leidet darunter, beschränkte sich heute weitgehend auf den sport. den politik empfiehl der anhänger von landsgemeinden (“wie ein open air”), ihren ursprung zu bewahren, diesen aber mit den neuen möglichkeiten der kommunikation zu erweitern. gemeinschaftbildung fände heute nicht mehr über die kirchen, aber auf facebook statt.

hansueli wandfluh, unternehmer aus frutigen, lobte die anpassungsfähigkeit der hiesigen firmenleiter, beklagte aber die wachsende unsicherheit im rechtswesen. sein thema, die regionalförderung durch die wirtschaft, passte er denn auch der aktualität an. der nationalrat polemisierte gegen die bundesrätliche politik zum bankgeheimnis. ihm sei der unterschied zwischen steuerbetrug und steuerhinterziehung klar; doch wisse er nicht, was grobe steuerhinterziehung sei die feine steuerbetrügler machen würden.

der steuerwettbewerb im internationalen und im interkantonalen bereich war denn auch das thema des letzten referenten. ökonomieprofessor gunther stephan gabe eine sehr ausgewogene beurteilung an. er betonte die vorteile für das steuerniveau, kritisierte aber auch, dass der wettbewerb ohne leitplanken der politik sinnlos sei. vor allem könne es sein, dass nutzniesser tiefer steuerfüsse in vororten seien, und in den städten dienstleistungen nutzten, ohne dort steuern zu bezahlen.

auf dem podium der politikerInnen lobte gerold bührer vormals präsident der fdp den marktwirtschaftlichen ansatz in der steuerpolitik, während ursula wyss, gegenwärtige fraktionspräsidentin der sp, die folgen für den zerfall der öffentlichen dienste beklagte. degressive steuersätze lehnten beide ab, einfachere steuersysteme befürworteten beide. ansonsten unterschieden sich der steuerzahler im schaffhausischen tayngen und die steuerzahlerin in der bundesstadt bern in allen anderen einschätzungen.

genau das nahm eine zugewanderte schaffhauserin, heute in einer bernischen gemeinde lebend, auf. sie zahle hier mehr steuern als vorher, habe hier aber auch mehr lebensqualität, fasste sie ihren wohnortswechsel zusammen. und im kanton bern engagiert sie sich politisch, um das eingenommene geld sinnvoll einzusetzen. der applaus unter den gemeindepolitikerInnen war ihr sicher.

genauso wie das “happy birthday” lied für geburtstagskind hansueli von allmen, thuner stadtpräsident und gastgeber der tagung, in das am abend des ersten tages im schaudaupark alle kräftig einstimmten, um sich als glückliches bern auf die kommenden tag zu freuen.

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der magnet für lokalpolitikerInnen

in kürzester zeit hat sich das thuner politforum zum magnet für gemeinde- und stadtpolitikerInnen im kanton bern und darüber hinaus entwickelt. die vierte austragung, für die sich einige hundert lokalpolitikerInnen eingeschrieben haben, ist am freitag und samstag zum thema “top oder flop – was macht erfolgreiche politik aus?

politfthemen gibt es natürlich viele, die man in bern und umgebung unter dem titel besprechen muss: bern/biel als metropolitanregion, der kanton als marke, die wirtschaftsförderung in der region, steuerwettbewerb, lebensqualitätsförderung, gemeidefusionen, stadtnetze und stadtkränze, der raumbericht des bundes, vernetzung von stadt/kanton und bund, verhältnis medien und politik, polarisierung und kooperation und und und.

einiges davon wird in den kommenden tagen sicher diskutiert werden, und das mit prominenten referentInnen: bundesrätin eveline widmer-schlumpf kommt, die regierungsräte rickenbacher und neuhaus sowie verschiedene stadtpräsidenten sind angesagt, professoren legen ihre expertisen vor und unternehmen und gemeindepolitikerInnen berichten aus der praxis.

auch der stadtwanderer wird, wie schon 2007, in der gegend sein, um sich gedanken zu machen: “polarisierte vs. vermittelnde politik” ist sein thema. und hier schon mal drei thesen, die vor dem aktuellen hintergrund diskutieren will:

these 1: konkordanz ist und bleibt die für die schweiz richtige regierungsform.

these 2: die in den städten praktizierte hat zwar die handlungsfähigkeit der regierungen erhöht, die konkordanzkultur ist dabei aber weitgehend verloren gegangen, sodass tagespolitische polarisierungen das innenleben der stadtpolitik bis zur unregierbarkeit blockieren.

these 3: die herausforderung der städte heute ist, in einem gewandelten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen umfeld zu bestehen und die rolle als stiefkinder der nation abzustreifen. das verlangt in vielerlei hinsicht eine aussengerichtete, weitsichtige und kooperative politik, verbunden mit einer kultur, die in der lage ist, über den eigenen kleinen tellerrand hinaus perspektiven zu entwickeln.

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