Wir schreiben das Jahr 2018. Teil 9 meiner kleinen Demokratiegeschichte

Soeben hat Italien eine neue Regierung bekommen. Gebildet wird sie aus zwei Parteien, M5S und der Lega Nord. Beide nennt man populistisch, denn sie sind kritisch gegenüber dem europäischen Establishment, seinen Institutionen und dem Euro. Erstmals hat eine nationale Regierung auch einen Minister für direkte Demokratie erhalten. Natürlich sind wir stolz, dass wir immer mehr Nachahmer der halbdirekten Demokratie finden. Ich will allerdings nicht verschweigen, dass Volksrechte in den Händen einer Regierung Plebiszite sind. Volksrechte gehören dem Volk, nicht der Regierung.

Bundesplatz
Bern Bundesplatz, täglicher Treffpunkt für Einheimische, Touristen und PolitikerInnen

Nach dem Zweiten Weltkrieg löste der Uebergang Italiens von einem Königreich zur ersten Republik eine Demokratisierungswelle in Europa aus. 1973 geschah mit Portugal gleiches noch einmal, wenn auch mit Blick auf Lateinamerika. 1989 kam es mit dem Untergang der Sowjetunion zu bisher letzten Schub an neuen Demokratien.
Es hat sich eingebürgert, von liberaler Demokratie als Kombination von Wettbewerb in Wirtschaft und Politik zu sprechen. Liberale Demokratien kennen ein pluralistisches Parteiensystem, wobei sich die grössten Parteien in Regierung und Opposition abwechseln.
Es ist unübersehbar, dass dieses Modell in jüngster in die Krise geraten ist. Die Migrationskrise im Mittelmeer, der Staatskollaps in Griechenland und die globale Finanzmarktkrise wirken nach.
Populisten sind weltweit im Kommen – als Macho, als Grobian, als Machtmensch! Teils wollen sie zum Patrimonialstaat mit möglichst wenig demokratischen Institutionen zurück, teils bevorzugen sie eine Klientelherrschaft mit privilegierten Anhängern. Vor allem aber wollen sie keine Auflagen und Kontrollen der internationalen Staatengemeinschaft mehr. Argumentiert wird, das hänge von der Hyperglobalisierung ab. Denn Nationalstaaten, Demokratien und globale Wirtschaft würden nicht mehr zusammen gehen.

Auch die Schweiz ist von solchen Erscheinungen nicht gefeit, selbst wenn die Konsensdemokratie weniger ausgeschlossene Politiker und Parteien produziert, weil die Volksrechte auch Kritikern des parlamentarischen Systems Aktionsmöglichkeiten gibt. Anderseits ist namentlich die Volksinitiative eine Plattform für Populisten.
Unsere Nationalkonservativen würden liebend gerne auf die Europäisierung der Schweiz verzichten. Ein Teil der hiesigen Linken findet Demokratie zuhause bringe nichts, solange sie europäisch nicht existiere. Und einige Libertäre träumen davon, man könne auf den Nationalstaat verzichten, sich weltweit vernetzen und lokal mit Zweckverbänden das Nötige regeln.

In der Schweiz halte ich das für ein Ueberflussproblem. Uns geht es gut, aber es kommt schlechter, ist eine verbreitete Vorstellung. Ein Teil von uns hat Angst vor dem grossen clash, vor dem Versagen des Staates angesichts Herausforderungen wie Terrorismus, Zuwanderung und Chaos.
An anderen Orten, wie etwa in Russland, herrscht Enttäuschung vor. Denn Demokratie habe Unordnung, aber keinen Wohlstand gebracht. China wiederum strotzt vor Wirtschaftspotenz und denkt nicht daran, das mit individuellen Freiheiten zu verbinden.
Yuval Noah Harari, der Historiker der Zukunft, sieht für die Freiheit schwarz. Die Zeit der Demokratie sei vorbei. Lange war sie überlegen, weil sie Informationen in der Gesellschaft dezentral sammelte. Heute gehe es darum, ob man via Internet zu Informationen der Bürgerinnen komme. Das sei in zentral gelenkten Herrschaftssystem einfacher zu bewerkstelligen.

Angesichts solcher Herausforderungen ringen Demokratiespezialisten um eine neue Definition von Demokratie. Eine, die mir gefällt, hält drei Anforderungen für wichtig: Gleichheit, Partizipation und Deliberation. Demokratie baue auf sozialer Gerechtigkeit, sie entstehe aus der Bürgerbeteiligung, und sie brauche Räume für den steten Austausch an unterschiedlichen Ideen. Das verleiht einer Gesellschaft Kraft.
Ich freue mich, wenn Sie ein Teil davon sind oder werden wollen.

Wir schreiben das Jahr 1971 Teil 8 meiner kleinen Demokratiegeschichte

Soeben ist in der Schweiz das Frauenstimm- und Wahlrecht eingeführt worden. Die Männer haben dem in einer Volksabstimmung zugestimmt. 1959 waren sie noch dagegen. 1971 war auch aus ihrer Sicht die Zeit reif.

Oppenheimbrunnen
Der Brunnen von Meret Oppenheim, einer der wenigen Plätze in Bern, von einer modernen Frau geprägt.

Der US-Politologe Robert Dahl formulierte in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts eine Theorie der Demokratie. Dahl sagte, Demokratie sei das Gegenteil der Monarchie, also Polyarchie. Die hat nicht nur ein Machtzentrum, mindestens zwei. Die Polyarchen stehen in einem Wettbewerb um die Macht zueinander, und über die Verteilung der Macht entscheiden partizipierende BürgerInnen.
Demokratisierung beginnt nach Dahl mit dem Aufbrechen geschlossener Oligarchien. Betont man dabei vor allem auf den Wettbewerb setzen, sodass wettbewerbsorientierte Oligarchien im Kampf um Macht entstehen. Betont man dagegen die Partizipation ohne viel Wettbewerb, entwickeln sich inklusive Hegemonien. Es gibt Beteiligung, aber unter Ausgewählten.

Unser Rundgang durch die Demokratiegeschichte zeigte, dass die Eidgenossenschaft zwischen 1648 und 1798 aus geschlossenen Oligarchien bestand. Die die Helvetische Republik brach dies mit dem Kampf zwischen Aristokraten und Bürgertum auf. Entwickelt hat sich eine schwach wettbewerbsorientierte Oligarchie zwischen Konservativen und Liberalen. Angesichts des Zensuswahlrechts konnte sich eine breite Partizipation jedoch nicht durchsetzen. Das gelang erst mit der Volkswahl des Parlaments resp. den Volksabstimmungen in Sachfragen, ab den 1830er Jahren in den Kantonen, ab 1848 auf Bundesebene.

Der Sprung zur Polyarchie war mit der Einführung des Proporzwahlrechts vorgezeichnet, denn jetzt standen sind 3 bis 4 Parteien im Wettbewerb um die politische Macht gegenüber. Ganz vollzogen wurde er aber wegen der Weltwirtschaftskrise und dem Zweiten Weltkrieg nicht. Schrittweise herausgebildet hat sich die Proporzdemokratie mit vier Parteien, die fast auf sicher in der Regierung vertreten sind. Der Föderalismus, die Volksabstimmungen und das nur unvollständig ausgebildete parlamentarische Regierungssystem haben das bewirkt.

In der Perspektive Dahls sind zwei Ansätze zu Hegemonien geblieben. Zuerst die Vorrangstellung der FDP, 170 Jahr ununterbrochen in der Regierung, was es weltweit sonst nirgends gibt. Immerhin kann man argumentieren, dass die FDP spätestens seit 1959 keine hegemoniale Stellung mehr habe.
Länger gedauert hat jedoch die hegemoniale Stellung der Männer im Regierungssystem der Schweiz. Es gelang, liberales Bürgertum, konservative Katholiken, Bauersleute, Gewerbetreibende und Arbeiter mit dem Bundesstaat zu versöhnen. Doch die Integration der Frauen war beschwerlich. 1959 misslang die Erteilung der politischen Rechte an die Frauen. Es brauchte auch hier einen zweiten Anlauf, vorbereitet von Gemeinden und Kantonen. Erst 1971 war es soweit!
Als erste Frau im Bundesrat schaffte es die Freisinnige Elisabeth Kopp 1984, vor ihr war die SP-Bewerberin Lilian Uchtenhagen gescheitert. Der Einstand blieb vorerst ein unrühmliches Zwischenspiel, musste Kopp doch auf Druck der Oeffentlichkeit anfangs 1989 zurücktreten. So richtig durchbrochen wurde die Männer-Hegemonie erst 2010/11, als die Frauen, wenigstens vorübergehend, eine Mehrheit im Bundesrat hatten.

Ich vermute, das hat viel mit der Armee zu tun. Seit dem Ancien Regime basiert sie auf dem Milizprinzip. Wir sind Berufsleute im Haupt-, Soldaten und Politiker im Nebenamt. Der Ausbau der Volksarmee im 19. und 20. Jahrhundert verlief parallel zur Erweiterung des Wahlrechts. In den Landsgemeinden argumentierte man stets, nur Wehrhafte dürften politisieren. Und bis anfangs der 70 Jahre galt, Frauen, die keine Militärdienst leisten müssen, sollten auch nicht wählen und stimmen können.

Neuseeland war als erstes Land 1893 zum Erwachsenenwahlrecht übergegangen. Die Schweiz folgte fast 80 Jahre später. Doch hat sich in der Schweiz seither viel entwickelt. Die Frauenbeteiligung an Wahlen ist immer noch etwas geringer als die der Männer; die Parteien sind für Frauen eine schwer zu überwindende Hürde. Bei Abstimmungen haben sich die Unterschiede dagegen weitgehend aufgehoben. Es gibt Studien, wonach Frauen heute sogar häufiger die Mehrheit ausmachen als Männer.
Weniger schnell als die Repräsentation änderte sich der Alltag. 1991, 20 Jahre nach der Einführung des Frauenstimmrechts, kam es zum Frauenstreik. Es war die grösste Protestaktion der Schweizer Frauen, die in einer Linie mit dem Landesstreik von 1918 steht. Für 2019 ist ein neuerlicher Frauenstreik angesagt worden.

Wenn ich sage, unsere Polyarchie kenne hegemoniale Züge, meine ich, dass es in der Schweiz viel braucht, bis man privilegiert wird. Und bevor man dazu gehört, riskiert man Diskriminierung. Das wissen in der Schweiz von heute vor allem die Ausländer. Ihre politische Inklusion steht noch weitgehend an. Zu den Herausforderungen unserer Demokratie gehört, dass es Städte gibt, wo mehr als 40 Prozent der Einwohnerinnen keine politischen Rechte haben.

Stadtwanderer

Wir schreiben das Jahr 1918. Teil 7 meiner kleinen Demokratiegeschichte

Soeben ist der grösste Streik in der Schweizer Geschichte zu Ende gegangen. Angeführt hat ihn die Arbeiterbewegung, die angesichts der sozialen Zustände am Ende des Ersten Weltkrieges eine grundlegende Reform des lberalen Staates verlangt hatte. Doch unter dem Druck des Schweizer Militärs geben die Streikenden nach drei Tagen auf, politisch erringen sie aber einen Teilsieg, Denn er liberale Bundesstaat wird auf eine neue Basis gestellt.

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Hotel Bern, wieder Volkshaus genannt, war der Gründungsort der Sozialdemokratischen Partei.

1919 wurde mittels Volksinitiative das Proporzsystem für die Wahl des Nationalrats eingeführt. Damit verteilten sich die Sitze in der Volksvertretung erstmals verhältnismassig zur Parteistärke. Die FDP verlor sofort ihre Mehrheit im Nationalrat. Das Parteiensystem entwickelte sich vom Zwei- zum Mehrparteiensystem. Die SP stieg in kurzer Zeit zur grössten Partei auf und vertrat die Arbeiterbewegung im Staat. Später kam die BGB hinzu, welche die Bauern und Gewerbler repräsentierte. Im neuen Parteiensystem sind damit nicht nur regionale und kulturelle Auffassung organisiert wie noch im 19. Jahrhundert, sondern auch gesellschaftliche Interessen.
Doch sind wir kein wirklicher Parteienstaat wie in anderen Demokratien geworden. Die Macht der Bürger bleibt dank Volksrechten und einer besonderen Form des Proporzwahlrechts. Wir wählen nicht nur eine Partei. Vielmehr bestimmen wir auch die Politiker, indem wie missliebige Vorschläge streichen resp. bevorzugte Bewerber doppelt aufschreiben können. Wir können sogar Parteifremde auf die Liste nehmen. Das hat das Definitionsmonopol der Parteien geknackt.

Bei der Gründung des Bundesstaates sind wir dem amerikanischem Vorbild gefolgt. Wir haben ein Regierungs/Oppositionssystem eingeführt. Nie haben wir jedoch den Bundesrat in einer Direktwahl bestimmt. Deshalb sind wir auf Bundesebene auch kein präsidentielles Regierungssystem wie die USA. Wir haben aber auch kein parlamentarisches Regierungssystem wie Grossbritannien. Dafür fehlt bei uns die Möglichkeit, dass das Parlament die Regierung abberufen kann. Und wir haben auch keine Möglichkeit der Parlamentsauflösung durch die Regierung.
Die Politikwissenschaft klassiert die Schweiz als Regierungssystem mit einer versammlungsabhängigen Exekutive, die als Kollektivbehörde funktioniert. Das alles verweist darauf, dass es auf die Ideen der französischen Revolution beruht. Individuell wirken können unsere BundesrätInnen nur in ihrem Departement und bei untergeordneten Entscheidungen. So sind sie halb Direktoren wie in Frankreich 1795 und halb Minister, wie das die meisten Regierungen kennen.
Weltweit ist das Modell ein Sonderling.

Kontrolliert wird unsere Regierung namentlich durch die Volksabstimmungen. Die haben nicht nur eine unmittelbare Wirkung, auch eine mittelbare. Kurz: Demokratie wird bei uns nicht durch den Wettbewerb um die Macht getrieben, sondern durch Verhandlungen zwischen relevanten Minderheiten.
Das entstand in zwei Schritten: zuerst 1874, weil die Freisinnigen zwar die Mehrheit im Parlament hatten, aber mit dem Veto der Minderheit, dem Referendum rechnen mussten; dann nach 1919, weil sie mit dem Proporzwahlrecht die auch die Parlamentsmehrheit verloren.
Seither verhandelt man nicht nur in der Sache, sondern auch über die Machtverteilung. Entscheidend ist die Parteienstärke. Man nennt das auch Proporzdemokratie. So hat die Politik eine bemerkenswerte Integration sozialer Gruppen geschafft. Begründet von reformierten, liberal gesinnten Bürgertum, kam die die Katholiken, Bauern, Gewerbler und Arbeiter hinzu.
Am besten zum Ausdruck kommt unser Proporzdenken bei der Wahl des Bundesrats, auch wenn es weitgehend ungeschriebene Regeln sind. Seit 1848 waren stets 2 Sitze für die Sprachminderheiten reserviert. Lange gab es auch eine Konfessionsklausel, denn sie Katholiken hatten ebenfalls zwei garantierte Sitze. Die Sprachminderheiten haben aktuell 3 von 7 Sitzen, die Katholiken ebenso.
Die SP stellt seit 1959 stets 2 von 7 BundesrätInnen. Nicht akzeptiert haben, für Bundesratswahlen eine Frauenquote einzuführen.

Am wenigsten ins Konsenssystem integriert ist die Volksinitiative. Sie ist das Gegenteil. Denn neben der Konsensfindung tut es der Schweiz gut, auch Dissens zuzulassen. Die Annahmechancen der meist radikal formulierten Initiativen sind aber gering. 9 von 10 werden in der Volksabstimmung abgelehnt. Bei Referenden ist die Bilanz rund 50:50. Referenden sind eine Bremse geblieben, Volksinitiativen sind aber der Motor.

Volksabstimmungen sind zwar Kampfplätze auch in der Konsens-, Verhandlungs- oder Proporzdemokratie. Aber sie sind auch Momente des institutionellen Lernens. Parteien verhandeln, damit es kein Referendum gibt, Behörden können Initiativen auch einen Gegenvorschlag gegenüberstellen. Und 4 von 10 Initiativen zeigen, auch wenn sie abgelehnt werden, Folgen in der Gesetzgebung.

Stadtwanderer
Stadtwanderer

Wir schreiben das Jahr 1848. Teil 6 meiner kleinen Demokratiegeschichte

Soeben hat sich in Bern die Tagsatzung aufgelöst. Seit dem späten 14. Jahrhundert war sie, mit einem Unterbruch während der Helvetischen Republik, die einige gemeinsame Institution der Eidgenossenschaft. Nach 50 Jahren mit grossen Wirren findet die Schweiz nun zu einer gültigen und stabilen Staatsform, dem liberalen Bundesstaat gegründet.

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Blick auf die Berner Altstadt, vom Platz aus, wo die letzten Todesurteile im Kanton Bern ausgesprochen wurden.

Der Bundesstaat hat neu fünf Organe: das nationale Volk mit dem Nationalrat als Volksvertretung, der Gesamtheit der gleichberechtigten Kantone mit dem Ständerat als Kantonsvertretung, dem Bundesrat als Regierung, gewählt von beiden Parlamentskammern, und dem Bundesgericht, das ebenfalls vom Parlament gewählt wird. Bis heute ist das die institutionelle Grundstruktur der Schweizer Eidgenossenschaft. Etabliert haben sich so die zentralen Institutionen, welche die Aufklärer gefordert hatten, die während der Helvetischen Republik ein erstes Mal eingeführt wurden, sich aber nicht bewährt hatten-

1848 gab es in Europa zahlreiche liberale und soziale Revolutionen. Ueberall setzten sich früher oder später monarchistischen Kräfte durch, ausser in der Schweizerische Eidgenossenschaft. Hier siegte erneut die Republik. Unser Gemeinsames ist aber nicht die Kultur, die trennt uns, wegen den Sprachen und den Konfessionen. Wir sind, was die Staatsrechtler und Politologe heute nennen, eine Staatsnation, zusammengehalten von einem Verfassungspatriotismus. Doch musste sich der erst noch entwickeln.

Ueber die erste Bundesverfassung wurde in der ganzen Schweiz abgestimmt. Das Stimmrecht hatten die erwachsenen Männer. Eine klare Mehrheit der Stimmenden war dafür, auch eine der Kantone. Man hatte aber darauf verzichtet, dass alle Kantone zustimmen mussten.
Nach der Abstimmung standen die ablehnenden Kantone vor einer schwierigen Frage. Sollten sie die Verfassung anerkennen, wie es die Demokratie verlangte, oder sollten sie sie ablehnen, weil sie souverän nein gesagt hatten?
Diese Frage spaltete die Opposition. Uri, Schwyz und Unterwalden verharrten in ihrer souveränen Ablehnung. Die Mehrheit musste sie zwingen, Teil der heutigen Schweiz zu werden, was einer Revolution gleich kam. Die Genötigten bockten ein halbes Jahrhundert lang; sie bildeten den Kern des katholisch-konservativen Ghettos.

Demokratie bemisst sich aber nicht nur an neuen Institutionen. Sie wird auch von geteilten Werten getragen. Beispielsweise von der Abschaffung der Todesstrafe. Begründet wurde diese Forderung von den Aufklärern, welche die Würde des Menschen erfanden und verlangten, auch der Staat dürfe sie nicht einschränken.
Die erste Bundesverfassung untersagte die Todesstrafe erst für politische Vergehen, die zweite von 1874 verbot sie dann generell. 1879 liess man auf Druck der konservativen Kantone Abweichung im kantonalen Strafrecht nochmals zu. Die meisten ausgesrochenen Todesstrafen wurden aber nicht mehr vollzogen, vielmehr begnadigte man die Verurteilten. Die letzte zivile Hinrichtung fand 1940 ausgerechnet in Sarnen statt, dem Zentrum der konservativen Opposition gegen die liberale Demokratie.

1872 drängte sich eine erste Totalrevision der Verfassung von 1848. Im ersten Anlauf scheiterte sie an der Opposition von Konservativen und den Sprachminderheiten. Im zweiten Anlauf 1874 passierte eine modifizierte Fassung, es verschwand die Opposition der Sprachminderheiten weitgehend.
Die neue Verfassung brachte demokratiepolitisch zwei wichtige Neuerung mit sich. Zuerst wurden die Branchenorganisationen der Wirtschaft als Gesprächspartner der Staates anerkannt. Der erste Schritt zum Korporatismus mit Kooperation der Wirtschaftsvertretungen wurde so gelegt. Dann wurde das Verfassungsreferendum eingeführt, Die Kantone kannte es schon länger, und sie hatten damit gute Erfahrungen gemacht.
1891 kam die Verfassungsinitiative dazu. Damit war das Set an Volksrechten, wie wir sie heute noch haben, komplett. Eine Gesetzesinitiative haben wir auf Bundesebene bis heute nicht.
Den Stimmberechtigten kommt via Volksinitiative sehr wohl eine Initiativfunktion zu. Gegenüber der direkten Volksgesetzgebung haben wir uns nicht geöffnet. Es bleibt, bei der Veto-Funktion des Referendums.

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Wir schreiben das Jahr 1830. Teil 5 meiner kleinen Demokratiegeschichte

Soeben hat Paris die “Glorreichen Drei” erlebt. Gemeint sind damit die drei Tage Ende Juli 1830, während denen die wiederhergestellte französische Monarchie erneut gestürzt wurde. Man nennt das auch die zweite französische Revolution oder die bürgerliche Revolution, denn revolutionär gesinnt war nun das Pariser Grossbürgertum, das Frankreich drängte, die Industrielle Revolution wie in Grossbritannien anzugehen.

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Blick auf die Kirchen- und Gemeindedirektion des Kantons Bern – symbolisch für die Dezentralisierung der alten Republik als Voraussetzung der Demokratisierung

Schon im Juni 1830r hatten die Tessiner Liberalen ihre Revolution durchgeführt. Gegen das restaurative Regime von 1815 verlangten sie das Oeffentlichkeitsprinzip, die Volkswahl des Parlaments, das Verfassungsreferendum und die Pressefreiheit.
Diesmal sprang der Funke auch im Mittelland. Es bildete sich der 7er Bundes der fortschrittlichen Kantone, die ebenfalls nach einer Erneuerung ihrer Verfassungen im liberalen Sinne drängten. Bis Mitte 1831 war man soweit. Doch bildete sich mit dem Sarner-Bund ein konservatives Gegenstück in den Innerschweizer Orten.
Die angestrebte Revision des Bundesvertrags von 1815 misslang angesichts der inneren Polarisierung. In der Tagsatzung stimmten die Konservativen dagegen, weil sie nichts wollten, und viele Liberale waren im Nein, weil sie weiter reichende Reformen verlangten.

Die Liberalen setzten in den regenerierten Kantonen erstmals systematisch die repräsentative Demokratie durch. Um das zu ermöglichen, braucht es zusätzlich eine Dezentralisierung des republikanischen Staatskörpers. Erfunden wurde jetzt die Gemeinden, und die Städte, vormals mit Vorrechten ausgestattet wurden auch zu Gemeinden degradiert.

Gegen die Demokratisierung durch die Liberalen gab es Kritik aus zwei Richtungen:
Im Kanton St. Gallen verlangten 1831 die Konservativen das Veto mit der Begründung, man müsse Parlamentsentscheidungen hinsichtlich des Volkswillens überprüfen können. Dieses Veto übte einen Kommission, die nur ja oder nein zu Parlamentsentscheidung konnte. Massgebliche Basis war das Volksempfinden, das allerdings auf Interpretation basierte. Man erkennt darin eine Vorstufe des heutigen Referendums. Doch wurde es nicht von Bürgern ausgeübt, sondern von einem Gremium.
Umgekehrt motiviert war die Kritik der Radikalen in der Waadt. Sie argumentierten, die Bürger sollten selber Gesetze machen dürfen. So wurde 1845 die Initiative geboren, mit denen erstmals auch Bürger Verfassungs- und Gesetzesvorschläge machen konnten. Erfinder war Henry Druey, ein Jurist, der bei Hegel in Berlin studiert hatte, danach Regierungsrat in der Waadt und schliesslich Mitglied des ersten Bundesrates wurde.

Die Regeneration, wie man die liberale Bewegung gegen die Restauration in der Schweiz nennt, wäre ohne die Kantone, die Napoleon 1803 geschaffen hatte, kaum möglich gewesen. Zu denen gehörten die Prioniere der repräsentativen wie auch der direkten Demokratie, namentlich das Tessin, der Kanton St. Gallen und die Waadt. Sie beflügelten die Liberalen in den alten Stadtkantonen, die grösstenteils den demokratischen Neuerung anschlossen. Nur die Kantone Landsgemeinden widersetzen sich. Die bildeten 1846 den Kern eines Sonderbundes. Gegen den intervenierten die Liberalen militärisch. Sie gewannen nach einen dreiwöchigen Bürgerkrieg die Oberhand im ganzen Land. Jetzt war der Weg für den liberalen Bundesstaat. Die Verfassung war schnell gemacht, denn sie basierte auf den Ideen der Regeneration, die sich anfangs der 1830er Jahre noch nicht durchgesetzt hatten.
Die Oeffentlichkeit, die diesem grossen Schritt in der Demokratiegeschichte führte, war noch weitgehend kantonal. Basis bildeten die Wirtshäuser, in denen konfessionell geschieden politisiert wurde. Ansätze einer nationalen Oeffentlichkeit bildete sich über Vereine und Feste, so die Schützen und Turnfeste, im Freien ausgetragen und von viel Volk besucht. Erneut war es das vormals franzosenfreundliche, jetzt bürgerliche Aarau, das da vorausging.

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Wir schreiben das Jahr 1815. Teil 4 meiner kleinen Demokratiegeschichte

Soeben ist der Wiener Kongress zu Ende gegangen. Dabei wurde Europa für die Zeit nach Napoleon neu geordnet. Die Schweizerische Eidgenossenschaft bekam neu Genf, Wallis und Neuenburg sowie das Fürstbistum Basel, dem Jura. Im Westen grenzen wir nun an Frankreich, im Süden an Piemont, im Norden und Osten an den Deutschen Bund. Alle waren Monarchien, wir blieben eine Republik, vorzugsweise Freistaat genannt, um nicht mehr der revolutionären Republik im Banne Frankreichs verwechselt zu werden.

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Haus der Philosophen. Hier wohnte unter anderen Georg Hegel, Hauslehrer der Familie von Steiger, um an seiner philosophischen Doktorarbeit zu schreiben.

Die europäische Epoche von 1815 bis 1848 heisst “Restauration” – Wiederherstellung. Das grosse Thema war die legitime Herrschaft.
Der Begriff stammte vom Berner Staatsdenker Karl Ludwig von Haller. Er galt als Reaktionär, einer, der auf die Aktionäre, die Veränderer, reagierte.
1817 veröffentlichte er ein Buch unter dem vielsagenden Titel “Restauration der Staatswissenschaft oder Theorie der des natürlich-geselligen Zustands dem künstlich-bürgerlichen entgegengesetzt”. Das war auch sein Programm: eine gründliche Abrechnung mit der bürgerlichen Gesellschaft, welche die französischen Revolution befürwortet und den traditionellen Staat zerstört hatte.
Bei von Haller blieb nur noch der souveräne Herrscher bestehen, den die göttliche Ordnung ausersehen hatte. Naturrecht, Volkssouveränität, Verfassungsdenken und Menschenrechte schickte er dagegen ins Pfefferland. Sein Staat war keine moderne Republik, dafür ein Patrimonialstaat, basierend auf Tradition, geführt von Aristokraten, die sich militärisch bewährt hatten und so zum Staatsdienst in der Verwaltung gefähigt waren. Parlamente und unabhängige Gerichte brauchte es in seinem Weltbild nicht.

Auch in Bern herrschten die Patrizier wieder, allerdings umgeben von neuen Institutionen. Stadt und Kanton waren mit der Mediationsakte getrennt worden. Der Kanton verlor die Waadt und den Aargau. Dafür bekam man das Fürstbistum Basel. Darauf hätte man gerne verzichtet, denn die Menschen waren katholisch, gewohnt, von einem absolutistischen Bischof durchs Leben geführt zu werden. Der Wiener Kongress hatte das mit Absicht gemacht, denn er wollte eine Herrschaft jenseits von Konfessionen etablieren. Soviel Aufklärung war trotz Restauration geblieben.

Grosser Gegenspieler von Hallers unter den Staatswissenschaftern von damals war der deutsche Philosoph Georg Friedrich Wilhelm Hegel. Auch er hatte in Bern gelebt, sogar im früheren Hause des Grossvaters von Hallers. Nicht mehr das Streben nach Gott solle die Politik leiten, denn der Fortschritt entstehe aus dem Kampf zwischen These, Antithese hin zu einer Synthese, war seine bahnbrechende Erkenntnis. Die Aufklärung war für ihn eine These, die Revolution eine Antithese. Im Liberalismus sah er eine Synthese, denn der verband das idealistische Menschenbild der Aufklärer mit der Zerstörung überkommender Strukturen, wie es die Revolutionäre gemach hatten Das war fundamental gegen von Hallers göttlicher Legitimationslehre gewendet.
In Berlin wurde Hegel Professor für Philosophie an der neuen Humbolt-Universität. Er glaubte, der preussische Staat sei die Vervollkommnung des Weltgeistes resp. des Fortschrittes, quasi das Ende der Geschichte. Die Idee übernahm sein gedanklicher Nachfolger Karl Marx, für den der Kommunismus das Ende der Geschichte darstellte. Und in der Gegenwart hat Hegel im Politologen Francis Fukuyama einen Nachahmer gefunden, der nach dem Fall der Sowjetunion erneut das Ende der Geschichte ausrief, nun, mit der liberalen Demokratie als unübertrefflicher Regierungsweise.

Hegel sagte von sich, seine wesentliche Gedankengänge hätte er bereits 1796 in den Berner Alpen entwickelt. Zu Lebzeiten faszinierte er in Berlin Studenten aus halb Europa, auch in der Schweiz. Dies sollten für unsere frühe Demokratie-Entwicklung entscheidend werden.

Stadtwanderer

Wir schreiben das Jahr 1798. Teil 3 meiner kleinen Demokratiegeschichte

Soeben haben französische Truppen die Eidgenossenschaft erobert. Die Franzosen nennen uns jetzt die Helvetische Republik. Erinnert wurde so an ein gallisches Volk in vorrömischen Zeiten. Zusammen mit der und der Batavischen Republik in Holland wollte Napoleon Bonaparte da moderne Musterrepubliken für Europa formen. Der Start war verheissungsvoll, doch dann geriet das Projekt ins Stocken, und es endete im Desaster.

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Das Berner Rathaus, und Ort wo die revolutionären Truppen Frankreichs demonstrativ den Freiheitsbaum aufpflanzen.

Die Helvetische Republik bekam 1798 eine Hauptstadt: Aarau, eine ehemalige Untertanenstadt Berns, die sich besonders franzosenfreundliche verhalten hatte. Sie erhielt auch eine Flagge, eine Trikolore aus Gelb, Grün und Rot. Und es entstanden Institutionen, wie sie die Aufklärer in Frankreich gefordert hatten, das Ancien Regime aber nie eingeführt hatte.

In Urgemeinden wählte man nun die Wählmänner der Kantone. Die wählten das Parlament, das aus zwei Kammern bestand: dem Grossen Rat, der Gesetze erarbeiten sollte, und dem Senat, der sie beschlossen sollte. Gemeinsam wählten beide Parlamentskammern ein Direktorium. Das Parlament wählte auch den Obersten Gerichtshof, das erste gemeinsame Gericht der Eidgenossen.
Aus der Franzosen waren wir jetzt kein Sammelsurium der 13 alten Orte mehr, nein, wir waren eine Nation!
Doch das funktionierte nur 2 Jahre. Dann stürzte General Bonaparte nach dem verlorenen Aegyptenkrieg das Direktorium, machte sich zum Konsul und rief aus: “La révolution est finie”. Nun begann die Entwicklung hin zu einer Diktatur Napoleons, die im neuen Empire endete.
Auch in Bern wurde die franzosenfreundliche Regierung, patriotisch genannt, weil begeistert von der “patrie”, mit einem ersten Staatsstreich abgesetzt. Nun kamen Republikaner an die Macht. Sie wollten den Einheitsstaat, aber unabhängig von Frankreich. Zudem sollte das Wahlrecht revidiert: die in Ansätzen demokratischen Rechte, erteilt von den Franzosen, sollten auf vermögende Städte reduziert werden. Angedacht war ein Zensuswahlrecht. Wer zahlt, befiehlt!

Eine Einigung in der Verfassungsfrage gab es nicht, nicht zuletzt weil die nun aufbegehrenden Föderalisten der alten Orte den Einheitsstaat ganz abschaffen wollten. Napoleon intervenierte, er liess über eine Verfassungen mit einem Kompromiss abstimmen. Es war die erste landesweite Volksabstimmung: 72000 stimmberechtigte Männer waren dafür, 92000 dagegen. Die Franzosen sagten: “La constitution est acceptée.” Sie verstanden die Abstimmung als Veto. Es zählte nur, wer gegen sie war. Alle die nicht gestimmt hatten waren wie die Befürworter dafür. “Il semble qu’il sont en concensus avec Nous” hält das Protokoll fest.
Es brach ein Bürgerkrieg aus. Die Föderalisten verdrängten die Franzosen bis nach Lausanne. Napoleon intervenierte nochmals und erliess die Mediationsverfassung, mit der er den Föderalisten nochmals entgegenkam. Abstimmen liess er diesmal nicht mehr.

Das neue Parlament bestand aus der Tagsatzung, welche die Kantone bestimmten, wie das schon vor der Revolution gewesen war. Die Regierung war kein Direktorium mehr. Es bestand aus einem Landammann und zwei Stellvertreter, die sich jedes Jahr in der Leitung abwechselten. Rotiert wurde auch die Hauptstadt, die immer da war, wo der Landammann herkam. Dahinter etablierten die Franzosen einen Kanzler, die Spitze der Einheitsverwaltung. Der Kanzler war fix und nahm die Verwaltungsakten stets mit, wenn der Landammann wechselte.
Neu war aber, dass die Kantone nun gleichgestellt. Zu den 13 alten Orten kamen jetzt 6 Kantone vom Geist der Revolution geprägte neue Kantone.
Die Schweizerische Eidgenossenschaft, wie wir seither heissen, mussten dem Franzosen Söldner liefern. Mit Napoleon gewannen wir Schlachten, wie ihm verloren wir sie auch. 1813 ist die Franzosenherrschaft vorbei. 1815 sollte der Wiener Kongress alles neu ordnen.

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Wir schreiben das Jahr 1712. Teil 2 meiner kleinen Demokratiegeschichte

Soeben sind die Konfessionskriege nach fast 200 Jahren zu Ende gegangen. Es herrscht Parität. Führend sind aber zwei reformierte Orte, Bern und Zürich. Was jetzt kommt, nennt man das Ancien Regime. Es könnte auch das gesellige Jahrhundert heissen. Jedenfalls wenn man in Bern zum streng reformiert eingestellten Patriziat gehört. Für Gewöhnliche kann es unangenehm werden.

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Ecke Kreuzgasse/Gerechtigkeitsgasse, wo während Jahrhunderten vom Schultheiss über Leben und Tod geurteilt wurde.

An der Spitze des bernischen Republik stand ein starker Schultheiss. Er regierte die Stadt und ihrer Untertanen paternalistisch. Man war gütig, solange die Bauern schwiegen, man konnte herrisch werden, wenn sie aufmuckten.
Gewählt wurde der Schultheiss vom Kleinen Rat. Den wiederum wählte der Grosse Rat. Und den bestimmt zum einen der Kleine Rat, zum andern 16 Wahlmänner, die aus der vier Stadtquartieren ausgelost werden.
Das war eine sich selber regierende Oligarchie, seit der Unabhängigkeit vom Kaiserreich Reich als Burgergemeinde organisiert und gegen Migraten hermetisch abgeschlossen. Nur wer einen Stammbaum hatte, gehörte zu den Bürgern, und die unterschieden sich nach feinen Distinktionsmerkmalen in zahlreiche Schichten.
Der Schultheiss wechselte jedes Jahr. Der Grosse Rat wurde ungefähr alle 10 Jahre ergänzt, wenn zu viele der Patriarchen gestorben waren. Effektiv regierte der Schultheiss nur mit einem Teil der Kleinräte, dem Geheimrat.

Das Oeffentlichste im Stadtleben waren Hinrichtungen von Mördern und Räubern. Verurteilt wurde man von Schultheissen mitten in der Stadt. Gerichtet wurde dann ausserhalb – entweder durch Köpfen, durch Hängen oder Ertränken. Am schlimmsten war das Rädern. Die Toten blieben danach eine Weile ausgestellt, als Abschreckung für Zuwanderer, die gegen das Gesetz verstossen sollten.
Samuel Henzi war einer sogenannten Delinquenten. Er gehörte nicht zu einer regierungsfähigen Familie, aber er schrieb Theaterstücke im Geist der aufgeklärten Franzosen. Zum Beispiel eines über Wilhelm Tell, einem Freiheitshelden in der Innerschweizer Legende. Doch formte er ihn um. Er wird zum Ankläger der zerfallenden Moral, namentlich im zwischengeschlechtlichen Verhalten. Das war zu viel. Er wurde zum Tod verurteilt und hingerichtet. Die Intellektuellen in halb Europa waren entsetzt, über die Rückständigkeit der Berner Aristokraten.

Oekonomisch ging es der Eidgenossenschaft gut. Sie hatte kein stehendes Herr, verkaufte aber Söldner beispielsweise an die Frankreich. Das so gemachte Geld investierte man an der Börse in Amsterdam oder in Ländereien in den neuen Kolonien. Historiker nennen das den unternehmerischen Domänenstaat. Sein Vorteil: keine Steuern, nur Abgaben auf Landwirtschaftsprodukten, die man verkauft hatte. Davon lebten die Patrizier. Sein Nachteil: binnenbezogen und selbstgenügsam.

Doch dann brach 1789 in Paris 1789 die Revolution aus. Aus der absolutistischen Monarchie wurde eine konstitutionelle. Aus der ging bald eine Republik hervor und die gleitete in das gefürchtete Regime der Jakobiner. Erst 1795 normalisierte sich die Lage mit einem bürgerlich geprägten Direktorium.
Von dem sollte die alte Eidgenossenschaft lernen. So viel sei jetzt schon gesagt: Institutionell werden die Ansätze für unsere Institutionen gelegt, die heute die Demokratie repräsentieren. Demokratisch war die Franzosenzeit im heutigen Sinne nicht.

Stadtwanderer

Wir schreiben das Jahr 1191. Teil 1 meiner kleinen Demokratiegeschichte

Soeben ist Bern als Stadt gegründet worden. Damit wollten die Herzöge von Zähringen den Aareübergang sichern. Der war für die geplante Strasse durch das westliche Mittelland wichtig. Mit der wollten sie zwischen Rheinfelden und Lausanne Rhein und Rhone verbinden. Der Plan war für damalige Verhältnisse grossartig, aber er scheiterte am Wiederstand des Bischofs in Lausanne. Geblieben sind aber die zahlreichen Raststädten auf dem Weg aus denen mittelalterliche Städte werden.

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Zähringerbrunnen in Bern, an den Stadtgründer Ende des 12. Jarhrunderts erinnernd

Mit dem Aussterben der Zähringer 1218 wird Bern Königsstadt. 1415 wird sie Reichsstadt im Kaiserreich. Man wurde damit ein Stand, der selber entscheiden durfte, ob, für oder gegen wen man Krieg führen solle. Formal blieb das bis 1648 so.
Die Stadt Bern steigt im Mittelalter zu einem der führenden Stadtstaaten im Kaiserreich auf. Das war ausser in den Hansestädten und in Venedig unüblich Denn eine mittelalterliche Stadt ist ein Rechtsbezirk, der die Stadtbewohner vor dem Landadel rund herum schützte.

Die spezielle Geschichte kam so:
Erster wichtiger Einschnitt war die Pest. Sie erreichte Bern 1348/9. Viele Menschen starben. Bern entfremdete sich vom König und entwickelte einen Plan B. Man schloss sich anderen Städten in der Innerschweiz an, die sich zu einer Schwurgemeinschaft zusammengeschlossen hatten. Damit wollte man sich in unsicheren Zeit gemeinsam des Recht sichern.
Noch einmal versuchte der Kaiser Bern an sich zu binden. 1365 bekam Bern herzögliche Rechte und wurde eigentlicher Landesherr im Aaretal. Die Entscheidung fielt Ende des 15. Jahrhunderts. Die Eidgenossenschaft, gleitet von einer Tagsatzung, führte Krieg gegen die Nachbarn, siegte, bekam vom Kaiseraspiranten Autonomie zugesichert. Sie mischte sich in Italien in den Krieg der Venezier und Frankreichs gegen den Papst ein – und verlor. Damit brach die Einbindung in Kaiserreich zusehends auf.

Die Reformation brachte den zweiten Einschnitt. Die Spaltung zwischen Neu- und Altgläubigen lähmte das Land. Selbst die Tagsatzung traf sich zwischen Katholiken und Reformierten getrennt. Die Expansion stoppte Mitte des 16. Jahrhunderts.
Im grossen europäischen Krieg von 1616 bis 1648 verhielt sich die Eidgenossenschaft neutral. Am Ende nahm uns der Westfälische Friede vom Kaiserreich aus. Wir waren nun einen eigene Republik, wenn auch im Schatten Frankreichs.
Der Corpus Helveticum bestand aus 13 souveränen, lose miteinander verbundenen Orte und eine Reihe von Untertanenorten. Souverän waren 7 Stadtaristokratien und 6 Landsgemeindeorte. Von den Stadtaristokratien wurden 4 patrizisch geführt, sprich von reichen Landbesitzern, drei zünftisch, mit reichen Gewerblern an der Spitze.
Nach vier Konfessionskriegen schloss man 1712 Frieden. Die Reformierten sahen sich aber an der Spitze der Entwicklung. Das war die Republik. Demokratie war für sie etwas Hergebrachtes, abgeleitet aus den mittelalterlichen Volksversammlungen in den Länderorten.

Die Französische Revolution sorgte für den dritten Einschnitt. Sie brachte das moderne Staatsdenken in die Eidgenossenschaft, die so wenig dafür vorbereitet war. Deshalb hatte Napoléon zuerst ein leichtes Spiel. Halb Europa hat er neu geordnet, die katholische Kirche dazu. Gescheitert ist er aber am föderalen Denken, der ältesten Staatstradition der Eidgenossen.
Dennoch hat die nachfolgende Staatenbildung bis hin zum Bundesstaat stark beeinflusst. Geändert hat sie auch das Verständnis von Demokratie. Denn die Demokratie des 19. Jahrhunderts basiert im wesentlichen auf den Ideen der Aufklärung, der Revolution und des Liberalismus. Ihre Realisierung wurde zur Basis für den heutigen Bundesstaat.

Stadtwanderer

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