4. Station: Lobbyismus – Prozessmanagement, nicht Feuerwehr

Nun sind wir in der Mitte des Regierungsviertels der Schweiz. Links ist das Parlament, hinter uns der Regierungssitz. Vor uns ist der gesamte Komplex als Miniatur.

Institutionell sind Regierung und Parlament getrennt, wie es die Gewaltenteilung will. Vom Prozess der Gesetzgebung her sind sie aber eng verzahnt. Man müsste eher von Gewaltenverschränkungen reden.

Politische Entscheidungen als Prozess
Der Berner Politologe Wolf Linder hat die Stationen der Entscheidungsfindung in einem Rad-Diagramm nachgezeichnet. Er zeigt, wie Parlament und Regierung verschränkt sind und unterscheidet die vorparlamentarische Phase, die Entscheidungsphase und die nachparlamentarische Phase.
In der vorparlamentarischen Phase sind verwaltungsinterne Arbeitsgruppen und externe ExpertInnen aktiv. Das mündet in eine Vernehmlassung bei betroffenen Organisationen. Daraus entsteht die Botschaft ans Parlament.
Das Parlament bestimmt einen Erst- und Zweitrat. Zuerst beraten jeweils die Kommissionen, dann ist das Plenum an der Reihe. Kommen beide Kammern zu unterschiedlichen Schlüssen, ist eine Differenzbereinigung nötig. So oder so endet diese Phase mit der Schlussabstimmung.
Wenn eine Nachentscheidung des Volkes verlangt wird, folgt die BürgerInnen-Beteiligung mit der Volksabstimmung. Geht das zugunsten der Behörden aus, beginnt die nachparlamentarische Phase mit Verordnungen und Massnahmen. Allenfalls kommt es wieder zu einer Vernehmlassung bei den Betroffenen.
Eingriffsmöglichkeiten des Lobbyings
Transparency International hat die möglichen Eingriffe durch das Lobbying systematisiert. Hotspots sind
. Expertenkommissionen und Vernehmlassungen,
. parlamentarischen Kommissionen
. Referendumsabstimmungen
. Verordnungen.
Generell hat sich die Auffassung durchgesetzt, die Führung des Prozesses sei wichtiger als punktuelle Eingriffe. Eine geglückte Einflussnahme im vorparlamentarischen Prozess bedeutet nämlich keinen gesicherten Erfolg im Parlament, und eine Mehrheit in beiden Räten garantiert keine sichere Mehrheit in der Volksabstimmung.

Prozessmanagement ist gefragt
Meine Folgerungen: Gute LobbyistInnen sind keine Feuerwehrsleute, um Brände zu löschen. Vielmehr sind sie in erster Linie Prozessmanager. Sie müssen in der Lage sein, fachlich vertiefte Vernehmlassungen zu begleiten. Sie müssen einen direkten Draht ins Parlament haben. Und sie müssen einen Abstimmungskampf führen können.
Das grosse Programm zur Steuersenkung in den 00er Jahren des 21. Jahrhunderts war so ein Beispiel. Es dauerte Jahre, und es betraf nicht den Bund. Wer das steuern muss, betreibt Campaigning. Das ist zielorientiertes Handeln mit den Mitteln der Kommunikation, egal welche Arena gerade relevant ist. So etwas bewältigen kann zum Beispiel economiesuisse, der Dachverband der Schweizer Wirtschaft.
Das Richtige im richtigen Moment an der richtigen Stelle in der richtigen Form einfliessen zu lassen, macht eben den Unterschied zwischen gutem und schlechtem Lobbying aus.
Für Einzelmasken unter den LobbyistInnen ist Campaigning zu anspruchsvoll. Einfacher haben es da Agenturen, die fachlich spezialisiert sind und breite Kompetenzen haben.

Den Lebenszyklus einer Konfliktthemas kennen
Lobbyisten müssen, so meine zweite Folgerung, auch den «Lebenszyklus» eines Konfliktthemas kennen. Der muss nicht identisch mit institutionellen Entscheidungen sein.
Alles beginnt mit einer Erwachensphase, wenn ein Themen neu auftritt. Es folgt die Wachstumsphase, wenn das Thema öffentlich wird. Allenfalls mündet das in eine eigentlichen Krisenphase mit einer politischen Kontroverse. Abgeschlossen wird alles mit einer Regulationsphase, in der verbindliche Entscheidungen getroffen werden.
Die Öffentlichkeit interessiert sich meist nur für die Krisenphase. Ganz anders müssen LobbyistInnen vorgehen. Früherkennung ist ihr wichtigstes Stichwort. Sie wissen, dass man in den frühen Phase viel mehr erreichen kann als in den späten.
Ein Beispiel: Die Entscheidungsschwäche des Bundesrats zum Rahmenabkommen hat ein politisches Vakuum entstehen lassen. Genau in dieses fährt gegenwärtig die Agentur Farner ihre Kampagne gegen das InstA. Sie formiert aus der Opposition einzelner Unternehmer eine Allianz und verlangt schon mal den Übungsabbruch. Die Befürworter sind überrascht und wirken gelähmt. Das hat mehr mit geschickter Kommunikation als mit geschickter Politik zu tun.

Und weiter …
So, wir wissen nun, warum das Prozessmanagement wichtiger ist als Interventionen im Parlament. Weiter geht es mit dem Lobbyismus in der vorparlamentarischen Phase.
Das ist Sache der Exekutive – gleich hinter uns.

3. Station: der direkte Draht ins Parlament

Über uns ist die Wandelhalle des Nationalrats. Vereinfacht gesagt ist das der Treffpunkt für LobbyistInnen. Im Saal sind die InteressenvertreterInnen.

Die Polarisierung verändert das Lobbying
Die Polarisierung der politischen Landschaft hat die Parlamentsarbeit verändert. Durchwegs zugenommen hat die Geschlossenheit der Fraktionen. An den Polen war sie schon immer hoch. Jetzt ist es auch im Zentrum so. Um Gewicht zu haben, muss man en bloc abstimmen.
Das verändert das Lobbying. Ein regelmässig publiziertes Rating der “SonntagsZeitung” zeigt, wer zählt. Gold ging jüngst an Christian Levrat, den Freiburger Ständerat, vormaligen SP-Präsidenten und Schachspieler. Silber erhielt Pirmin Bischof, Ständerat aus Solothurn, und Bronze bekam Thomas Aeschi, Zuger Nationalrat und Fraktionspräsident der SVP.

Interessenvertretung im Parlament
Man nennt unser Parlament Arbeitsparlament. Das steht im Gegensatz zum Redeparlament wie in England. Dreh- und Angelpunkte eines Arbeitsparlaments sind die Kommissionen. Das sind Arbeitsausschüsse. Ihre Zusammensetzung folgt der Stärke der Fraktionen.
Am bekanntesten sind die Sachkommissionen. Davon gibt es neun. Die prestigeträchtigste ist die WAK, die Kommission für Wirtschaft und Abgaben.
Nirgends wird die Interessenvertretung deutlicher als da. Eine Bachelorarbeit ergab: Wenn sich WAK-Mitglieder treffen, sitzen 150 bis 200 mandatierte Interessen mit am Tisch.
Total zählt man im Bundesparlament knapp 2’000 Interessenbindungen, verteilt auf 1’700 Organisationen. Mindestens 17 Branchen haben so einen direkten Draht ins Parlament. An erster Stelle stehen Hilfswerke, Nonprofit-Organisationen und soziale Institutionen. Es folgen Medien, Telekommunikation und Kultur. Als Drittes kommt die Bauwirtschaft, knapp vor Bildung und Forschung.
Durchwegs sind es Wirtschaftszweige, die auf Subventionen angewiesen sind.
Die zentrale Rechtfertigung leitet sich aus dem Milizprinzip ab. Unsere ParlamentarierInnen seien gewählte Bürger- und KantonsvertreterInnen, dank denen Wirtschaft und Gesellschaft direkt in die Gesetzesarbeit eingebunden werden.

Die Elite der InteressenvertreterInnen

Gemäss politikwissenschaftlichen Untersuchungen setzen unsere die PolitikerInnen rund 80% einer normalen Arbeitszeit für ihre politische Arbeit ein. Im Ständerat sind es eher mehr, denn die Kommissionsmandate sind da auf weniger Personen verteilt. Im Nationalrat haben die Mitglieder häufiger Ämter für die Partei. Die Website des Parlaments spricht denn auch von einem «Halbberufsparlament». Das Milizparlament ist adé.
Mitglieder der grossen Kammer verdienen im Schnitt knapp 150’000 CHF für ihre Parlamentstätigkeit und rund 30’000 CHF zusätzlich aus ihrer politischen Arbeit darüber hinaus. Ständeräte stehen besser da. Die mittlere Entschädigung beträgt rund 175’000 CHF; im Schnitt kommen noch 110’000 CHF hinzu.
Eine Langzeituntersuchung zeigt: Einträgliche Mandaten sind im bürgerlichen Lager häufiger als im linken. Langjährige Volks- und Kantonsvertreter, die rechts stehen, bilden die Parlaments-Creme.
Der Politologe Wolf Linder hat das auf eine griffige Formel gebracht: MilizpolitikerInnen, die ein Leben lang politisch viel gearbeitet und wenig verdient hätten, würden dazu neigen, mal wenig zu arbeiten und viel zu verdienen.

Badges für das Direkte, parlamentarische Gruppen für das Indirekte
Bis hierher ging es gar nicht um Lobbying. Das kommt erst mit den Badges ins Spiel, die Externen Zutritt zum Parlamentsgebäude verschaffen. Aktuell kann jedes Mitglied des eidgenössischen Parlaments zwei davon vergeben. Anteilsmässig am meisten Badges hat die glp im Umlauf, am wenigsten die SVP. Gemäss NZZ sind die LobbyistInnen die hauptsächlichen NutzniesserInnen, gefolgt von persönlichen MitarbeiterInnen und weiteren Gästen.
Badges haben übrigens auch alt ParlamentarierInnen, Vertreter der Bundesverwaltung und der Kantone. Total haben knapp 500 Personen einen freien Zugang zum Parlament.
Vernachlässigt werden so aber die überparteilichen parlamentarischen Gruppen, die sich einfach aus den Interessierten an einem Thema bilden. Sie tagen meist einmal pro Session etwa im Hotel “Bellevue” und werden nicht selten von einer entsprechenden Lobbyorganisation geführt.
Noch lockerer ist das Verhältnis von informellen Schnittstellen am Rande des Parlaments. Sie bilden sich um spezifische Interessen und bereiten häufig parlamentarische Interventionen unter Gleichgesinnten vor.
Das System ist praktisch nicht reformifähig. Denn der Graben geht zwischen “haves” und “not-haves”. Viele möchten einmal haves werden und belassen deshalb die geltenden Regeln.

Bilanz: pluralistisch, allgegenwärtig und ungeregelt
Bilanziert man das Lobbying im und gegenüber dem Parlament, kann man festhalten:
Die Grenze zwischen per Wahl mandatierter Interessenvertretung und externer Einflussnahme durch Lobbyisten ist in der Schweiz fliessend.
Was erlaubt ist und was nicht, ist weitgehend ungeregelt.
Lobbying betreiben eigentlich alle gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Interessen und Fraktionen.
Kurz: Das Muster der Beziehungen zwischen Politik, Wirtschaft und Gesellschaft ist nirgends so pluralistisch als hier.

Und weiter …
Man muss sich trotz allem fragen, ob das Parlament der zentrale Ort der Machtausübung ist. Die meisten Politikwissenschafter sind skeptisch. Davon gleich mehr.
Weiter geht’s!

2. Station Demokratie und Macht – ein Spannungsverhältnis

Wir stehen auf dem Bundesplatz. Manchmal ist er voll von Menschen, die demonstrieren. Dann fällt einen weniger auf, dass die Gebäude rund herum fast alle Banken sind. Wie steht es um das Verhältnis von Demokratie und Macht?.

Unsere Demokratiegeschichte ist institutionell geprägt und vielen bekannt: Der Bundesstaat wurde 1848 gegründet. Die Volksrechte wurde 1874 erstmals eingeführt. Die Zauberformel datiert von 1959. Nur beim Frauenstimmrecht wurde es 1971.
Eine weniger bekannte Interpretation von Demokratie habe ich Ende der 1970er Jahren während meinem Studium an der Universität Zürich kennen gelernt. Man las «The Power Elite» von Charles Wright Mill. Der Soziologe analysierte die USA nach dem Zweiten Weltkrieg. Er hielt fest, dass der Staat, das Militär und die Wirtschaft zu einer Superballung von Macht zusammengewachsen seien, welche die Demokratie bedrohe. Ausgerechnet Dwight Eisenhower machte daraus den «militärisch-industriellen Komplex», kurz MIK.

Ergebnisse aus der Forschung
Heutige TheoretikerInnen der Demokratie sprechen kaum mehr vom MIK. Will man die enge Beziehung von Wirtschaft und Staat benennen, verwendet man den Begriff «Korporatismus». Gemeint ist die Integration dieser Interessen in die staatlichen Entscheidfindung. Genau genommen spricht man vom Neokorporatismus oder liberalen Korporatismus. Denn die Mitgliedschaft in Wirtschaftsorganisationen ist heute freiwillig, anders als es etwa führen mit den Zünften war. .
Hanspeter Kriesi, der Schweizer Wright Mills, schrieb vor diesem Hintergrund seine wegweisende Habilitationsschrift. Aufgrund von Experteninterviews erstellte er eine Rangliste der zugeschriebenen Macht für die Schweiz der 1970er Jahre. Sie sah den Gewerkschaftsbund an der Spitze, gefolgt vom Vorort (Schweizerischer Handels- und Industrieverein), der Vorläuferorganisation der economiesuisse. An dritter Stelle war der Gewerbeverband, womit sich alle drei vor dem Bundesrat, weiteren Branchenverbänden und den politischen Parteien einreihten. Das war Neokorporatismus pur. Der Bundesrat regierte mit dem ‘big business’ unter Einschluss der Gewerkschaften.
Pascal Sciarini, Kriesis wichtigster Schüler, wiederholte die Studie 30 Jahre später. Sein neuer Hauptbefund: Der Verbandseinfluss war gesunken. Nur economiesuisse konnte sich auf der Höhe des Bundesrats halten. Vor beiden lag mit der SVP eine erneuerte Regierungspartei. Hinter ihnen kommen alle anderen Parteien im Bundsrat. Sie rangieren noch vor den weiteren Verbänden und neu den Spitzen der Finanzverwaltungen in Bund und Kantonen. Die Forschenden Sciarini, Fischer und Traber hielten auch fest, nicht mehr das vorparlamentarische Verfahren entscheide heute; vielmehr seien die Kommissionen im Parlament massgebend.
Eine eigene Studie mit direktem Bezug auf das Lobbying bestätigte einiges hiervon. Dafür liess ich LobbyistInnen die jeweils anderen LobbyistInnen einschätzen. So erfuhr ich Allerlei zum heutigen Thema. Mein Hauptergebnis war, dass der Einfluss des Lobbyings steigt, je intensiver er betrieben wird. Mein Ranking sah economiesuisse, den Dachverband der Wirtschaft, an der Spitze, umgeben von Umwelt- und KonsumentInnenverbänden. Der Bundesrat kommt selbstredend nicht vor, aber die Parteien, die Verwaltung und die Kantone erscheinen plötzlich als wichtige Lobbygruppen.

Popularisierungen in den Medien
Solche Erkenntnisse sind zwischenzeitlich als Populärwissenschaft in den Massenmedien angekommen. Zu Zeiten Kriesis war das der Tages-Anzeiger-Journalist Hans Tschäni. Für ihn waren die 300 GeneralistInnen und SpezialistInnen der Schweizer Politik, recht gut abgeschottet, unsere Machtelite.
Gut 30 Jahre danach gab ein Schweizer Autorenkollektiv, das für die deutsche Zeitung «Die Zeit» recherchierte, eine andere Antwort. Sie nahmen an, auch in fortgeschrittenen Demokratien gäbe es eine Entwicklung zur «Postdemokratie». Die Institutionen würden weiter bestehen, aber Experten hätten die Macht übernommen. Sie würden Entscheidungen so gestalten, dass der Demos beherrscht werden könne. Immerhin stellen die Autoren bezogen auf die Schweiz eine typische Reaktion auf die Herrschaft der Technokraten fest. Hier sei es nämlich zu einer «Retrodemokratie» mit aktiver Zivilgesellschaft und Massenmedien im Zentrum gekommen. Diese würden Demokratie inszenieren. Hauptdarsteller sei der Volkstribun Christoph Blocher mit seiner SVP. Er bilde in der pluralistisch gewordenen Demokratie mit vielen Playern das eigentliche Machtzentrum.

Wahlen und Corona zeigen in verschiedene Richtungen
Heute kann man erneut die Frage aufwerfen, ob diese Deutung noch stimmt. Die Polarisierung durch die Rechte und Linke hatte wohl 2015 ihren Höhepunkt. 2019 verloren SVP und SP die eidg. Wahlen. Auch die grossen Medien verlieren ihr Publikum zusehends, und es gibt vielerorts populistische Expertenkritik. Schliesslich haben zahlreiche Interessengruppen ihre Vertretung im Parlament bei den letzten Wahlen eingebüsst. Dazu gehören gerade die Sozialpartner, aber auch die GesundheitspolitikerInnen.
Politische Macht gewonnen haben die VertreterInnen der Grünen und die Frauen. Sie erreichten im Jahr der Klima- resp. Frauenwahl Spitzenwerte. Das alles spricht für wieder mehr Pluralismus in einer sich ändernden Gesellschaft.
Bis COVID-19 kam! 2020 erlebten wir eine massive Neubelebung des neokorporatistischen Arrangements. Denn seit der «zweiten Welle» sind Verbände der Wirtschaft und der Freizeitindustrie, aber auch Fachleute wie EpidemiologInnen und Massenmedien von zentraler Bedeutung, wenn es um Einflüsse auf den stark geforderten Bundesrat geht. Ist das schon ein Neo-Neokorporatismus?

Und weiter …

Auf geht’s, zur Suche, wo die Macht im Regierungsviertels versteckt ist!

1. Station: Was ist Lobbying? Definitionsversuche


Wir stehen von dem Hotel Bellevue Palace. Es ist ein Hotspot des Lobbyings in Bundesbern. Und gerade richtig, um darüber nachzudenken, was Lobbying ist.

Erste Annäherung
Die populärste Umschreibung von Lobbying meint, LobbyistInnen seien noch nicht Teil der staatlichen Institutionen, aber auch nicht mehr Teil des Volkes.
Was tun solche Intermediäre? Das Cambridge English Dictionary schreibt: “[Lobbying is] the activity of trying to persuade someone in authority, usually an elected member of a government, to support laws or rules that give your organization or industry an advantage.” (Cambridge Dictionary 2020)
Es geht also um Überzeugungsarbeit, um Mitglieder des Regierungssystems und um Vorteile für die eigene Organisation.
Weitere Definitionen
Während meinen 25 Jahren als Dozent für Lobbying am Verbandsmanagement Institut der Uni Freiburg bin ich weiteren Definitionen begegnet:
. Zuerst der recht undifferenzierte Umschreibung von Lobbying: Sie sagt, dass ParlamentarierInnen wie LobbyistInnen seine InteressenvertreterInnen. Das stimmt, aber sie machen nicht das Gleiche. Deshalb werde ich die Definition hier möglichst vermeinden.
. Sodann die Definition vieler Kommunikationsfachleute. Für sie ist Lobbying Kommunikationsmanagement, um politische Entscheidungen zu steuern. Das ist schon treffender, aber recht allgemein. Ich werde sie nur da nutzen, wo sie passt.
. Schliesslich die interessante Version von Fritz Sager, Politologie-Professor am Kompetenzzentrum für Public Management der Universität Bern. Er schreibt: «Lobbying bezeichnet die Vertretung von politischen Interessen [bei Berufs- und Milizlobbyakteuren im Rahmen ihrer Mandate] und die Beeinflussung von politischen Entscheidungsprozessen durch diese Interessen» (Sager und Pleger 2018). Damit kann man in der Schweiz arbeiten!
Sagers Analysen im internationalen Vergleich legen zwei weitere Eigenheiten des Lobbyings in der Schweiz nahe: Es ist an ParlamentarierInnen ausgerichtet und finden medial vermittelt statt. In angelsächsisch geprägten Politsystemen wird es stärker durch Geld getrieben, und findet personalisiert-schriftlich statt.

Formen und Träger
Meine Beobachtungen zum Lobbying in Bundesbern haben mich gelehrt, Lobbying nicht auf Prozesse der Gesetzgebung zu reduzieren. Häufig geht es um deren Umsetzung.
So um Ausnahmen von Gesetzen. Etwa bei Corona-Maßnahmen.
Oder um Subventionen. Etwa in der Landwirtschaft.
Oder um Grossprojekte. Etwa der Gotthart-Tunnel.
Oder um öffentliche Beschaffungen. Etwa bei Kampfjets.
Oder um Transferzahlungen. Etwa im Sozialversicherungsbereich.
Unter Beobachtenden herrscht weitgehende Einigkeit: Lobbying findet in der Schweiz statt. Weitgehend konsensual ist auch, dass es unterreglementiert ist, sodass sich erwünschte Funktionen mit unerwünschten mischen.
Transparency International gibt dem hiesigen Lobbying im europäischen Vergleich eine mittelgute bzw. mittelschlechte Gesamtnote.
Am besten schneiden wir wegen des eher offenen Zugangs zu Behörden ab.
. Im Mittel ist die Integrität des Lobbyings.
. Am schlechtesten bewertet wird die Transparenz des Lobbyings in der Schweiz!
Es mangle vor allem an Offenlegungspflichten für LobbyistInnen, die hinreichend überwacht würden. Und es gebe keinen legislativen Fussabdruck, sagt TI. Davon später mehr!

Lobbying wird öffentlich
Als ich 1995 begann, Lobbying zu unterrichten, wussten die meisten StudentInnen nicht, dass es das gab. 1998 änderte sich das mit dem nachrichtenlosen Vermögen. Wir lernten, dass ausländische Organisationen Einfluss auf unser Bankengeheimnis nahmen. Damals stand Botschafter Thomas Borer auf Seiten der Verteidiger der Schweiz. Die Kasachstan-Affäre 2015 war ein zweiter Einschnitt. Betroffen war unsere damalige Nationalratspräsidentin Christa Markwalder und erneut Thomas Borer, nun aber Lobbyist für das Ausland. Mittlerweile sind die Verfahren hierzu eingestellt. Aber wir wurden uns des Lobbyings bewusster.
Heute kann man drei Arten der Lobbykritik ausmachen:
. Die sehr gemässigte Kritik aus der Branchenvereinigung SPAG, die Zugang zum Parlament durch Akkreditierung wie in der EU möchte.
. Die Anhänger der liberalen Demokratie wie Fritz Sager, für welche Lobbying zwar nichts Anrüchiges hat, solange dieses transparent und geregelt erfolgt.
. Die starke Kritik meist von links, bisweilen aber auch von rechts, die Lobbying mit verdeckter Manipulation und Korruption gleichsetzt.
Viele LobbyistInnen wissen darum. Deshalb ziehen sie andere Begriffe vor: Netzwerker, Kommunikationsfachperson oder einfach GeschäftsführerIn.

Und weiter …
Wir haben vor dem “Bellevue” begonnen, damit es uns eine schöne Aussicht auf das Thema vermittelt. Aber wir bleiben nicht hier stehen. Wir machen einen Rundgang durch das Regierungsviertel mit allen wichtigen Institutionen und Akteuren.
Los geht’s!

Ab morgen: meine neue Stadtwanderung zum Lobbying

Eigentlich war alles Monate im Voraus bestens vorbereitet. Am 4. Februar 2021 wird in Bern der Kongress der Schweizerischen Vereinigung für Politikwissenschaft eröffnet. Im Vorprogramm hätte ich meine neue Stadtwanderung zum Lobbying machen sollen.
Doch dann kam Corona, 1. Welle, 2. Welle: Der gesamte Kongress wird deshalb „nur“ virtuell stattfinden.
Auch meine Stadtwanderung!
Statt mit den bekannten PolitologInnen durch Bundesbern ziehen zu können, mache ich das nur im Internet, beispielsweise hier auf dem Blog und auf Twitter.
Ein gekürzte Fassung des Manuskripts erscheint ab Morgen Donnerstag jeweils um 0900 unter dieser Adresse.
Jeden Tag eine Station!
Der ganze, reichlich bebilderter Text wird dann auf der Kongresswebsite publiziert. Da wird man ihn auch am Stück runter laden können.

Und das sind die Stationen:

1. Hotel Bellevue Palace: Was ist Lobbying? Definitionsversuche
2. Auf dem Bundesplatz: Demokratie und Macht – wenig bekannte Seiten des Themas
3. Miniatur Bundeshaus: die Gesetzgebung angesichts Gewaltenverschränkung
4. Unter dem Parlamentsgebäude: fast ungeregelte Einflussnahme von allen Seiten
5. Bundesterrasse: wie Lobbying gegenüber den Departementen funktioniert
6. Eidg. Finanzdepartement: die Wiedergeburt des Korporatismus unter Corona-Bedingungen
7. Büro ElCom: bisherigeausserparlamentarische Kommissionen und neue Formen der Politikberatung
8. Hotel Schweizer Hof: gediegene Clubs und ihre Beziehungspflege
9. Haus der Kantone: die Gliedstaaten als neueste Lobby-Gruppe
10. Sekretariat der Grünen: von der sozialen Bewegung zum digitalen Alleskönner
11. Economiesuisse: die Kunst des Steuerns des Dachverbandes
12. Loeb-Ecke: vom unaufhaltsamen Aufstieg von Kommunikationsagenturen
13. Irgendwo im Regierungsviertel: Lobbying zwischen Allgemeinwohl und Partikularinteressen

Bin selber gespannt!

Kongressadresse: https://www.svpw-assp.ch/de/jahreskongress-2021/

Meine Erinnerung an alt-Staatsekretär Franz A. Blankart

Gescheit, gescheiter, gescheitert. Das sagt der Volksmund. Und meint damit Leute wie den eben verstorbenen Staatssekretär Franz Blankart. Zurecht oder zuunrecht? Ein Nachruf.

Der Philosoph
Eigentlich war Franz A. Blankart ein weiser Philosoph. Er kannte auf noch so viele Fragen noch so überraschende Antworten. Das machte ihn bewundernswert.
Zudem war Blankart belesen wie kaum ein anderer. Er debattierte stets mit Brillanz. Aber er war auch eitel, je länger desto mehr.
Das Studium der Philosophie schloss er 1964 in seiner Heimatstadt Basel ab. studiert hatte er davor auch in Paris, Exeter und Bern.
Zehn Jahre danach wurde er Dozent an der Uni Genf. Seine akademische Laufbahn beendete er 2002 als ausserordentlicher Professor am renommierten Institut universitaire de hautes études internationales. Europa wurde zu seinem Thema.

Der historische Urahne
1992 hatte ich das Glück, die herausragende Persönlichkeit an einer Bruchlinie der Zeitgeschichte während eines halben Jahres von nah und fern begleiten zu dürfen.
Ein wenig kam mir Blankart stets wie Ignaz P. V. Troxler vor, dem praktischen Philosophen aus Aarau. Der hatte 1815 am Wiener Kongress persönlich interveniert und 1848 massgeblich geholfen, den Bundesstaat mit Volk und Ständen aus der Taufe heben.
Beide, Troxler und Blankart, waren ihrer Zeit weit voraus.
Troxler hatte begriffen, dass sich Europa nach dem Untergang Napoleons veränderte. Man brauchte feste Grenzen und eine neue Staatsform zwischen Staatenbund und Nationalstaat.
Blankart wiederum sah, wie sich die nationalen Märkte im Sog der Globalisierung veränderten. Der Binnenmarkt mit durchlässigen Grenzen für Waren und Personen wurden das Gebot der Stunde.
Blankart, der überzeugten Europäer, warb für den Zwischenweg aus europäischer Isolation und EU-Beitritt.

Der geborene Staatsdiener
Franz Blankart war zeitlebens ein geborener Diener des Schweizer Staates. Das FDP-Mitglied war zuerst Privatsekretär den beiden SP-Bundesräte Willy Spühler und Pierre Graber. Dann avancierte er zum engen Mitarbeiter von Staatssekretär Paul Jolles, der 1972 das Freihandelsabkommen der Schweiz mit der EU vorbereitete. Schliesslich wurde 1986 selber Staatssekretär, eng an der Seite von Bundesrat Kurt Furgler (CVP).
Selbst im Kriegsfall hätte der Oberst der Schweizer Armee als Adjudant des Generals die Rolle des Denkers und Strategen im Hintergrund einnehmen sollen.

Die grosse Mission
Doch wenigstens einmal wollte der ewige Staatsdiener selber im Zentrum stehen!
Keiner hatte die EWR-Verhandlungen zwischen der Schweiz und der Europäischen Gemeinschaft (heute EU) so geprägt wie Franz Blankart.
Lengendär ist sein Diktum, die Schweiz müsse beitrittsfähig werden, um nicht beitreten zu müssen.
Wäre es nach dem Chefunterhändler gegangen, hätte die Schweiz die einmalige EWR-Chance nutzen müssen, die Jaques Delors offeriert hatte. Neu begründet hätte sie eine veränderte, aber dauerhafte Position im europäischen Konzert finden sollen.
Man weiss es, daraus wurde nichts. Zwar war das Volks-Nein knapp, das Ständemehr aber umso deutlicher. Troxler aus der Staatsgründungszeit liess grüssen.

Der Abstimmungskampf eskalierte

So unendlich viel Blankart auch wusste und konnte, eines verstand er nie: die Schweizer Demokratie mit ihren Volksrechten.
Trat der Chefunterhändler im Abstimmungskampf auf, sprach er selbst vor der SVP des Kantons Zürich hochdeutsch – genauso wie in gelehrten Seminaren. Nur war das vor einem Publikum, das ihn nicht bewunderte, sondern offen rebellierte.
Solche Auftritte trugen dem Karrierediplomaten den bleibenden Ruf ein, elitär zu sein. Der gelernte Kavallerist wirkte wie ein Heerführer aus vergangenen Tagen, ohne Macht über seine Truppe.

Die wechselseitigen Vorwürfe
Der gekränkte Blankart überwand die grösste Niederlage seines Lebens nie. Er hatte dauerhaft mit dem Vorwurf zu kämpfen, die Niederlage befördert zu haben. Im Gegenzug beschuldigte er seine ehemaligen Vorgesetzten, mit dem angekündigten EWG-Beitritt das Geschirr zerschlagen zu haben.
So erfolgreich alles bisherigen Paarungen mit Franz Blankart gewesen waren, er und FDP-Bundesrat Jean-Pascal Delamuraz harmonierten nicht. Christoph Blocher, seinen Widersacher im Abstimmungskampf verschonte er übrigens auffällig.
Blankarts Karriere als Spitzendiplomat endete, als der Bundesrat Jakob Kellenberger zum neuen Chefunterhändler mit der EU berief.

Der vorzeitige Abgang
62-jährig verliess Blankart den Staatsdienst vorzeitig, um sich anderen Leidenschaften wie der Vermögensverwaltung in der familieneigenen Firma zu widmen. Und er pflegte das Mäzenatentum der Kunst. Seine Bewunderung für das grazile Ballett im hohen Alter wurde sprichwörtlich.
Man wünscht ihm die Harmonie des Himmels.

Zuerst erschienen in Aargauerzeitung, 18.1.2021, hier die leicht überarbeitete Fassung