die grafen von habsburg und ananas

venezia ist nicht nur die stadt des carnevale. es ist auch die stadt der träume. das habe ich während meinem aufenthalt in der lagunenstadt zum nennwert genommen und meine träume in venedig aufgeschrieben. hier der kuriososte.

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kaiser rudolf II. aus dem hause habsburg, der einzige aus der familie, der meinen träumen nahe kommt.

ich besuche einen kleinen hof am rande der berge. der weg dorthin führte durch einen wald mit grünen bäumen und wenig sonnenlicht. das passt, denn ich hatte im dunkeln der vorgeschichte einer der bedeutendensten europäischen familien eine wichtige entdeckung gemacht.

ich habe die wirkliche stammburg der habsburger gefunden. sie liegt auf einer riesigen ananas. rudolf von habsburg, der familienbegründer der herzöge von österreich, deutschen könige und kaiser im heiligen römischen reich deutscher nation hiess eigentliche rudolf von ananas.

doch das ist nicht alles an ueberraschung. auf der ananas selber gibt es bis heute einen bauernhof, der schon vor der burg dort stand. das wussten die herren von ananas, als sie sich als habsburger in die europäische geschichte einmischten, und versprachen den bauersleute nie teil ihrer untertanen sein zu müssen, wenn über die wahre herkunft der vermeintlichen adeligen schweigen würden. denn hätten sie aufgemuckt, wären die habsburger gleich doppel gefoppt gewesen. einmal als usurpatoren ihrer heimat, dann als adelige aus exotischen früchten.

nach meiner entdeckung gab ich ein fest. es kamen ein dutzend guter freunde, einige davon stadtwandererkollegen. wir assen an einem kleinen tisch, tranken ein wenig wein, und spielten auf dem hof gesellschaftsspiele. das fest war ein voller erfolg. aber es wollte kein medium von meiner entdeckung berichten. dafür verbreitete sich die neuigkeit von mund zu mund im lauffeuer. ein jahr später kamen 14000 besucher an das zweite fest. der hof war natürlich viel zu klein. es war sehr eng, und es gab drei schulterbrüche.

das kam dann im radio. für die wahre geschichte des falschen adels aus den südfruchtsäften auf dem morgenbuffet interessiert sich aber unverändert niemand.

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venezianische familiengeschichten a gogo

du läufst und läufst und läufst den geschichten über die familie zeno aus venedig nur so hinten nach. am schluss erweist sich alles als gute unterhaltung, ohne dass allzuviel stimmt. und das wiederum passt zu venezia

P1010466P1010426heruntergekommener palazzo der familie zeno, mit dem schild zur pionierhaften nordatlantikfahrt der abkömmlinge nicolo und antonio

giordani und giordano paolo sind nicht zu verwechseln. letzter ist italiens erfolgreichster schriftsteller der gegenwart. und der schreibt schon mal über die einsamkeit der primzahlen. derweil verfasste giordani paolo den speziellsten reiseführer zu venedig. 30 spaziergänge beschreibt er als entdeckungsreise durch venedigs quartiere. jedes fondamenti, je jede gasse, jeder nebenarm und jeder platz bekommt so ein porträit, und hüllt die wanderer in die betriebsamkeit von familiengeschichtsfälschungen ein!

auf den normalen stadtplänen findet man den fondamento zen nicht, sodass man der wegbeschreibung in giordanis stadtführer minutiös folgen muss, um weder im benachbarten (aufgehobenen) gefängnis des quartiers zu landen, noch in der jesuitenkirche, deren bewohner nicht wirklich freier waren.

doch dazwischen ist sie, die ersehnte plattform des zenons-geschlechte. der palazzo stammt aus dem 16. jahrhundert. francesco, ein abkömmling der familie hat ihn erbaut. seit 1538, dem jahr der einweihung, sind aber einige jahre ergangen, und die sieht man dem palast heute auch merklich an.

dafür ist die familiengeschichte der zenons pompös: denn man wähnt sich, nachfahren der oströmischen kaiser leon II. resp. dessen nachfolgers zenons zu sein. äusserlich passt das gut. die stadt der löwen an der adria war stets um vermittlung zwischen römischer und griechischer kultur bemüht. und die namen stimmen überein. doch die belege für die nachfahrenschaft sind nicht wirklich wasserfest: nach padua seien die kaiserkinder gezogen, und von dort auf die insel burano, bevor sie sich im venedig des 9. jahrhunderts niedergelassen hätten. die historiker sehen das trockener, denn zenon hinterliess keine leiblichen söhne, welche hätten auswandern können.

unbestreitbar zenoner sind dagegen die gebrüder nicolo und antonio aus dem späten 15. jahrhundert, zu deren ehren noch heute eine tafel am zen-palazzo zu sehen ist. sie segelten weit hinaus, von der adria ins mittelmeer, und von da in den atlantischen ozean. dabei entdeckten sie nach langer überfahrt labrador.

nur kurz nach dem bau des zeno-palazzos auf der familienplattform veröffentlichte ein nachfahre der segler die sogenannte zeno-karte des nördlichen atlantiks samt briefen aus dem familienarchiv. sie sollten beweisen, dass weder vespucci noch columbus die ehre zugefallen sei, amerika entdeckt zu haben. sondern den venezianer aus dem geschlecht der zenos.

716px-Map_by_nicolo_zeno_1558zeno-karte mit der erfundenen inselgruppe “frisland” aus dem jahre 1558

doch auch hier räuspern die zeitge- nössischen historiker vielsagend. denn die angeblichen reiseberichte erzählen auch vom aufenthalt der zenos auf “frisland”, einer inselgruppe nördlich schottlands, aber südlich grönlands, die etwa gleich gross wie island sei. dabei handelt es sich, wie man heute weiss, um eine fantominselgruppe, die im 16. jahrhundert auf vielen karten verzeichnet ist, so auch auf der zeno-karte. und so gilt diese nicht als autothentisches dokument aus dem 15. jahrhundert, sondern als fake, gebastelt als komilation aus fantasieberichten des 16. jahrhunderts.

bleibend ruhm haben diese familiengeschichten dem zeno-geschlecht in venedig nicht eingebracht. der palazzo ist verfallen, und wird auf den stadtplänen schon mal vergessen. die klingeln klingen auch nicht mehr nach berühmten herrschern und seefahrern. “eberle2 ist auf dem schild zu lesen, was eher nach thurgauischen einwanderern in venedig tönt.

und so mache ich mich auf den heimweg zum hotel ai mori del oriente. das waren berühmte tuchhändler aus vorderasien, welche die geburt jesus christi entdeckt haben und dafür während carnevale stadtherren auf dem campo dei mori sein dürfen …

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auf dem thron attilas

meine beine erreichten den boden nicht, als ich auf dem legendären thron attilas in torcello sass.

P4150389ader stadtwanderer in torcello

anfangs des 5. jahrhunderts änderte das weströmische reich seine strategie für die nördlichen gebiete, indem es dem wanderungsdruck germanischer völkerschaften nachgab. die westgoten alarichs und die hunnen unter attiala drangen von osten her selbst in die gebiete südlich der alpen ein. für die römer an der adria waren die raubenden und sengenden reiterheere ein fluch. mit vorliebe zogen sie sich auf die inseln in der lagune zurück, die mehr schutz boten als das flache, nur schwer zu verteidigende land.

venedig verdankt so seine entstehung. doch das gilt auch für andere städte, die es heute nicht mehr gibt. dazu gehört altinum auf der insel torcello im adria-archipel. bis zu 30’000 einwohner soll die stadt in ihren besten zeiten gezählt haben. und selbst ein eigener bischof ist hier in frühen jahren nachgewiesen. im 13. jahrhundert trug man die stadt indessen ab, vor angst aus malaria. geblieben ist nur noch das kirchliche zentrum aus dem frühen 11. jahrhundert. das langhaus ist gar das ältestes gebäude der lagune, das heute noch steht. nebenan befindet sich ein campanile, ein mischung aus orientierungspunkt und kirchturm, und eine kapelle ist erhalten geblieben. byzantinische mosaike im boden und an den kirchwänden kann man bis heute besichtigen.

attila, der berüchtigte anführer eines reiterheeres aus asien, verbündete sich abwechseln mit dem ost- und weströmischen kaiser, verlangte so tributzahlungen oder reichsteile, die sich der hunnenkönig selber nahm wenn er sie nicht bekam. so plünderte er den balkan, griff er gallien und schliesslich auch italien an.

die kirchengeschichte vermerkt gerne, dass papst leo I. der brutalen kämpfer aus asien entgegen getreten sei, und so die einnahme italien verhindert habe. die geschichtswissenschaft ist das schon vorsichtiger; sie hebt hervor, attila sei nach den kämpfe auf den katalaunischen feldern um gallien so geschwächt gewesen, dass an eine einnahme roms nicht mehr zu denken gewesen sei.

wie auch immer, in der bevölkerung der lagune ist attila als phantom unverändert präsent. und so heisst der aus stein gehauene thron in alten zentrum von torcello attila thron, auch wenn er eher dem örtlichen bischof oder stadtherrn gehört haben dürfte.

ein wenig erhaben sitzt man auf ihm schon, und für normalsterbliche wie mich, ist er sogar ein wenig zu hoch, sodass man gerne den boden unter den füssen verliert und geschichten erfindet …

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kaiser im tetrapack

italia, venzia, san marco, augusti, caesari … im tetrapack!

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tetrarchie: symbol für die vier-kaiser-herrschaft zu beginn des spätrömischen reiches

als ich noch ein kleiner junge war, gab es die milch im tetrapack. das sind vier dreiecke, die so miteinander verklebt sind, dass ein innenraum entsteht. in diesen fuellte man die milch, und wie auch immer man das tetrapack abstellte, es stand mit hoechster sicherheit.

in venedig gibt es kaiser im quasi-tetrapack. wenigstens als statuen. rechts der kirche von san marco befindet sich das kleine denkmal. galerius, constantinus, diocletianus und maximianus bildeten nach der grossen reichsreform von 285 die spitze des reiches. die beiden ersten trugen den titel eines caesars, waehrend die beiden anderen augusti waren. diese waren sie ranghoechsten in ost und west, jene ihre stellvertreter und designierte nachfolger. die doppelte doppelspitze war noetig geworden, denn am rhein lag man mit den germanischen staemmen im permanenten krieg und im alten perserreich hatten die parther die macht uebernommen und schnitten sie die roemer von welthandel ab.

die interpretation des denkmals in venedig unterschied zu meinen schulzeiten staerker zwischen ost und west. die beiden linke kaiser, die sich umarmen, waren, genauso wie die beiden rechten, die repraesentanten der reichtsteile, lernte ich im gymnasium. heute sieht man das anders, denn die vier symbolisieren gemeinsam das reich, und so umarmten sich die beiden augusti genauso wie die beiden caesari.

die vielen besucherInnen auf dem zentrale platz von san marco scheint das nicht gross zu kuemmern. sie ziehen die souvenirstaender moderner art vor, sie lauschen dem piano unter den arkaden, und sie trinken den suendhaft teuren cafe in einem der platzrestaurants. allenfalls fotografieren sie den dogenpalast, oder schauen ihren kindern zu, wie sie im hof von san marco tauben jagen.

dabei geht vergessen, dass die episiode, an die hier erinnert wird, fuer die entstehung venedigs von hoher bedeutung ist. denn die neuorientierung des roemischen reiches, urspruenglich auf rom konzentriert, veraenderte die einw welt, die man vormals war, grundlegend. der oestliche teil sollte den westlichen nicht nur ueberholen, weil er naeher am fernhandel aus dem osten war: er sollte ihn auch ueberleben, sodass das kaiserreich im osten bis zum osmanenanstrum im 15. jahrhundert hielt, waehrend es im westen angesichts der voelkerwanderung im 5. jahrhundert unterging. und an venedig war es, solange das mare nostrum das zentrum der welt war, den handel zwischen ost und west durch das mittelmeer zu organisieren. ohne diese aufgabe waere der reichtum am ende der adria , der san marco, aresenale, rialto und die 500 palazzi am canale grande schuf, nicht denkbar gewesen.

diocletianus, der schoepfer der reichsreform, war uebrigens aus der gegend. 305 trat er als kaiser zurueck, und ging er in seine geburtsstadt split an der adria. seine reform war durchaus als modernisierung im sinne der wirtschaftlichen erholung von den militaerischen bealstungen gemeint gewesen. denn die stellvertreter der erhabenen in ost und west sollten nach seiner reform keine verwandeten sein, sondern besonders befaehigte.

man weiss es, auch im tetrapack haelt die milch nicht ewig, und so geschah es auch mit der reichsreform an der wende vom 3. zum 4. nachchristlichen jahrhundert. denn kaum war der erste der kaiser im osten, diocletian, der dem sonnengott sol anhing, weg von seinem amt, startete constantinus, der sohn des christlichen statthalters in britannien, einen eroberungsfeldzug durch das westreich, der ihn an die spitze des spaetroemischen reiches brachte. sichtbarstes zeichen davon war, dass constaninus konstantinopel am bosporus gruendete und mit seinem soehen zum neuen rom auch fuer die christliche kirche machte. als byzanz sollte diese stadt ausgerechnet fuer venedig zur wichtigsten referenz werden. uns so macht es durchaus sinn, dass denkmal, das heute kaum jemand mehr erkennt, in der lagunenstadt an der adria steht.

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keine autos!

in venedig hat es keine autos. was fuer eine wohltat. doch heisst das nicht, dass die stadt keine probleme mit dem verkehr haette.

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venedigs altstadt, im mittelalter entstanden, bis auf dem letzten meter platz ausgenutzt, bietet einblicke in einen stadt ohne automobile.

der erste eindruck in venedig ist untruegerisch: es hat keine autos! keine parkplaeze! keine tankstellen und keine garagen! das steuert auch die aufmerksamkeit der menschen erheblich, denn strassenschilder mit vorschriftscharakter sind seltern und werbung fehlt mancherorts.

die stadt der 118 inseln in der lagune am ende des adriatischen meeres wuerden den strassenverkehr gar nicht zulassen. die allermeisten der zahllosen gassen sind zu eng, die hoefe ueberall haben keinen ausgang, und die seitenarme vielerorts sind nur da, um entlegene haeuser zu erreichen. an autos, die hier zirkulieren koennten, ist nicht zu denken. das gilt auch fuer velos. die bruecken mit treppen machen selbst ihnen die fortbewegung schwer. und es trifft notabene auch fuer kinderwagen, rollstuehle und schubkarren aller art zu.

die koenige des wassers sind heute die vaporetti, motorbote, welche den verkehr auf dem kanalsystem der stadt venedig steuern. 100, in stosszeiten vielleicht 150 menschen haben auf ihnen platz. wer glueck hat, sitzt auf einem gruenen plastikstuhl, und wer den sechser im lotto gezogen hat, kann sogar aus einem der kleinen fenster auf die palazzi am canale grande sehen. die meisten stehen in der schiffsmitte dicht gedraengt, schauen sich gegenseitig auf die schuhe und zaehlen die stationen und erwarten ihren abgang aufs festland. wer es schneller und privater mag, der oder die ruft nach einem taxi, selbstredend auch ein schiff, nur einiges kleiner als die vaporetti. die unveraendert elegantesten, gleichzeitig aber auch die langsamsten und teuersten schiffe sind die gondole. letztlich sind sie heute nur fuer die touristInnen, fuer den eigentlichen personentransport taugen sie nicht.

ein fuerchterliches gewussel ist es auf den kanaelen, wenn sich schiffe aller art kreuzen, und dennoch sieht man kaum jemals einen unfall. mit autos, toeffs und velos waere das kaum der fall. ein klarer vorteilt. doch wer meint, dank des einfacheren strassenunterhaltes habe venedig weniger ausgaben sieht sich getauescht. denn das wasser sitzt der stadt foermlich in nacken. und bedroht sie taeglich, 1 milliarde schweizer franken gibt man in venedig fuer den wasserschutz, die kanalisation und den erhalt der fundamenti im jahr aus. in zeiten der finanznot eine unsumme, an der stadt fast symbolisch zugrunde geht …

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