Die Hauptstadt der Schweiz

Die Schweiz hat doch gar keine Hauptstadt. Sie hat eine Bundesstadt, und die ist seit 1848 Bern.
Richtig!
Doch das war nicht immer so.


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Bundesstaat
Erst mit der Gründung des Bundesstaates wurde Bern fester Sitz von Parlament und Regierung. Auf den Titel einer Hauptstadt verzichtete man auf föderalistischen Gründen ganz. Weitere Städte bekamen später Bundesinstitutionen, so Lausanne, Luzern und Zürich. Bis heute kamen noch Bellinzona und St. Gallen hinzu. Mit der Dezentralisierung der Bundesverwaltung wurden weitere Städte bedient.

Restauration
Zwischen 1815 und 1848 lösten sich Bern, Zürich und Luzern in einem zweijährigen Rhythmus als Vorort des Staatenbundes ab, den der Wiener Kongress geschaffen hatte. Der jeweilige Regierungspräsident des Kantons war der Versitzende der Tagsatzung.
Der Versuch 1832, Luzern zur Hauptstadt eines neu zu schaffenden regenerierten Bundesstaates zu machen, scheiterte am Veto des Kantons Luzern.

Mediation
Zwischen 1803 und 1813 teilten sich unter den Mediationsverfassung von Napoleon die sechs Direktorial-Kantone in die Aufgabe. Dies waren die Freiburg, Bern, Solothurn, Basel, Zürich und Luzern. Ihr Regierungspräsident war gleichzeitig Landammann. 1814 ging die Aufgabe an Zürich über, und der prov. Bundevertrag bestimmte eine einen zweijährigen Turnus der Kantonen Zürich, Bern und Luzern.

Helvetische Republik
1798 gab es mit der Helvetischen Republik erstmals eine Hauptstadt auf dem Gebiet der Schweiz. Man folgte damit bis 1803 dem französischen Vorbild. Eigentlich war Luzern als feste Hauptstadt vorgesehen. Aus militärischen und praktischen Gründen wurde Aarau zuerst provisorische, dann definitive Hauptstadt. Indes, die Räumlichkeiten waren zu begrenzt, sodass man im Oktober nach Luzern wechselte, das knapp über Bern obsiegt hatte. Da blieb man bis im Mai 1799. Danach flohen die Behörden nach Bern, da sie sich durch die vorrückenden österreichischen Truppen im 2. Koalitionskrieg bedroht sahen.
Offiziell blieb Bern bis zur Auflösung der Republik im März 1803 Hauptstadt. Allerdings flüchteten die helvetischen Behörden auch hier während dem Stecklikrieg vor den rebellierenden Föderalisten ins franzosentreue Lausanne.
Hauptstädte oder Hauptorte kennen außer Appenzell-Ausserrhodem seit heute alle Kantone. Einige Kantone wie Tessin hatten vorerst mehrere Hauptstädte, dich sich vorerst abwechselten.


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Quelle: HLS

Alte Eidgenossenschaft
Vor 1798 kannte die Schweiz keine Hauptstadt. Man hatte nur Vororte, die eine Tagsatzung einberufen und leiten konnten. Zürich war dabei führend, aber nicht exklusiv.
Denn die Tagsatzung war häufig auch in Baden, eine neutrale gemeinsame Herrschaft der Eidgenossenschaft mit beliebten Bädern. Nach 1712 und der vollen Parität beider Konfessionen war man abwechslungsweise auch im reformierten Frauenfeld.
Seit der Reformation tagten zudem die katholischen resp. reformierten Orte bisweilen auch separat, die ersteren in Luzern, die letzteren in Aarau, das zu Bern gehörte. Vor allem Luzern verstand sich als Vororte der katholischen Schweiz, Aarau war der Ort des Friedens zwischen den Konfession 1712.
Eine besondere Rolle kam danach Bern, Zürich, Luzern und Uri zu, die gemeinsam über den Landfrieden in der konfessionell gespaltenen Schweiz wachen mussten.

Der Vergleich mit dem Ausland
Die Schweiz folgte allermeist nicht dem Muster zentralistischer Staaten wie Frankreich, wo Politik, Wirtschaft und Kultur in Paris konzentriert wurden und damit zwangsläufig eine Hauptstadt als Herrscher- oder Regierungsstadt entstand.
Vielmehr verstand sich die Schweiz als Bündnis zwischen Orten und Kantonen, was politisch nur Vororte begünstigte, zu einem dezentralen Entwicklungsmuster führte und nur spezialisierte “Hauptstädte” wie Zürich für Wirtschaft, Genf für Internationales und Basel für Kultur zuliess.
Bern blieb da nur die Bundesstadt.

D‘Franzose mit de gäle Hose und de rote Finke, pfui, die stinke!

Etwa so wurde ich 1963 von den Nachbarsbuben empfangen, als meine Familie mit ihrem welschen Namen in den Aargau zog. Dort blieb ich trotz dem unfreundlichen Empfang 17 Jahre und absolvierte alle Schulen, zuletzt die Alte Kanti in Aarau.
Zwischenzeitlich mache ich Führungen durch Aarau – und zwar über die Zeit der Helvetischen Republik (1789-1803). Damals war die Stadt, gestützt durch die Revolutionstruppen aus Frankreich, für rund sechs Monate die erste Hauptstadt der Schweiz überhaupt.
Besucht haben wir mit Wanderer Thomas Widmer und seinen KollegInnen die Orte, wo sich die Revolutionsfreunde trafen, und wo die ersten nationalen Institutionen tagten. Sie begründeten im April 1798 das heute noch gültige Zweikammerparlament resp. die Kollegialregierung der Schweiz. Gesehen haben wir auch, wo der Kern der Verwaltung mit seinen vier Ministerien war, den Vorläufern der heute sieben Departemente des Bundesverwaltung.
Am Schluss standen wir auf dem Dach des Aargauer Kunsthauses. Da sahen wir auf einen Blick mit dem kantonalen Regierungs- resp. Parlamentsgebäude und mit der Spitze des (Verwaltungs)Gerichts die drei Gewalten des Staates, die uns basierend auf der Idee der französischen Aufklärung die Helvetische Republik dauerhaft hinterlassen hat.
Allen bösen Kinderreimen gegen die Franzosen und ihren Abkömmlingen zum Trotz!

Stadtwanderer

PS: Heute vor 225 Jahren, am 17. Dezember 1797, begann der französische Aufmarsch im Fürstbistum Basel, dessen südlicher Teil unter dem Schutz Berns stand. Das war der erste Schritt zur Bestetzung der alten Eidgenossenschaft durch Frankreich, welche die notwendig gewordenen Voraussetzung für die Modernisierung unseres Staatswesens wurde. Ich fürchte, es war damals genau so kalt wie heute.

Bilder: Thomas Widmer

Stadtwanderungen 2023: das vorläufige Programm für das erste Halbjahr

Das Programm 2023 für Stadtwanderungen in Bern nimmt schon rasch Gestalt an. Voll ist es noch nicht. S’het, solang s’het!

Fix gebucht sind schon sechs Führungen im ersten Halbjahr. Einige Anfragen sind noch in Bearbeitung.
Hier schon einmal die kleine Uebersicht:

27. Januar: Ochsentour, Chirurgen-Team
23. März: Beizentour, Inlandredaktion Radio SRF
29. März: Auf den Spuren der Ostschweiz in Bern, Ostschweizer Regierungskonferenz (exklusive Spezialtour)
20. April: Jugend und Politik, Feierabendtreff Bern, Männer 60 plus
4. Mai: Barock, Burger und Bourbonen, Kapo Bern
10.5. Konkordanzdemokratie, Heinrich-Böll-Stiftung, Düsseldorf

Kurzbeschreibungen der Führungen finden sich hier.

Und: Ich habe noch Kapazitäten!

Stadtwanderer

Mein Berner Angebot als Stadtwanderer

“Bern erkunden”, ist das Motto meiner Stadtführungen. Sie wollen die Augen öffnen, für das was man gerne übersieht.


Bild: stadtwanderer
Skulptur: Luciano Andreani

Das Prinzip ist einfach: Jede Führung hat ein Thema, das an 6-10 Stationen in der Stadt durchdekliniert wird. Die ausgewählten Orte stehe stets für eine Geschichte. Zusammen ergeben die Geschichte wieder eine Geschichte, meist der zeitlichen Entwicklung des Themas folgt.
Grundsätzlich führe ich nur Wanderungen für Gruppen durch. 8-16 Personen sind ideal. Kontaktnahme wie Twitter DM am besten.
Gelegentlich gibt es auch offene Führungen, die ich hier ankündige.

2023 biete ich in Bern neun verschiedenen Wanderung an. Zwei davon sind ganz neu, sechs schon bekannter.

Barock-Wanderung: Burger, Barock und Bourbonen
Der Berner Barock ist eigen: von der Reformation geprägt, ist er ganz in Sandstein gehauen. So bestimmt er vor allem das Altstadtbild. Im Zentrum der Wanderung stehen die Fassaden der Gebäude, wo es darum geht, was man sieht und was verdeckt wird. Der riesige Einfluss von Louis XIV., der Streit der Franzosen- und der Niederländerpartei in der Burgerschaft kommen genauso zur Sprache wie typische Rundfenster, Dachgiebel. Es mischen sich Architektur- und Sittengeschichte des 17. und 18. Jahrhundert. Garantiert lehrreich und schockierend zugleich.
Zeitbedarf: 1.75 Stunden
Start: Münterplatz
Ende: Hotel de Musique
Charakter: Geschichte

Klimawanderung: von der Eiszeit zur Heisszeit
Wie der Aaregletscher den Raum formte, die ersten Siedler, den Wald rodeten, der Adel Städte gründete, die Pest alles Schöne vermasselte, die kleine Eiszeit Bauernregeln und Kornhäuser entstehen liess und wie die Industrialisierung Wohlstand und Umweltbelastungen brachte. Damit kippt die alte Formel, war gleich gut, denn jetzt wird die Hitze zu Belastung.
Zeitbedarf: 2 Stunden
Start: Rosengarten
Ende: Bahnhofplatz
Charakter: Geschichte und Aktualität

neu!
Beizen-Tour
Gaststätten gibt es seit dem Mittelalter in Bern. Doch lassen sich drei Phasen unterscheiden: die Gasthäuser, vor 1800, die Restaurants und Hotels danach bis 1990 und die zahlreichen Neuerungsversuche, insbesondere in Verbindung mit Kultur, seither. Diese Stadtwanderung ist ganz speziell. Wir kehren dreimal ein, je einmal in einem typischen Beispiel für die drei Phasen, trinken und essen etwas ausgewähltes und enden mit einem Abendbier. Die genaue Auswahl an Oertlichkeiten wird mit Interessierten festgelegt. Strikte nur für Gruppen.
Zeitbedarf: 4 Stunden abends
Start: Mitten in der Altstadt
Ende: vorzugsweise Progr
Charakter: Geschichte und Aktualität
Beginn: März 2023

Jugend&Politik-Wanderung: Jugendstile über die Zeit
1513 stürmten die Jungs aus Köniz die Stadt Bern. Die Klimastreikbewegung ist dagegen vergleichsweise harmlos gewesen. Ich zeige, wo das Jugendparlament im Ancien Regime, die Restaurants der Studentverbindungen, die Debattier-Keller der Non-KonformistInnen und die Buchhandlungen der 68er waren. Klar gemacht wird, wie Jugend als soziologische Phänomen mit dem Jugendstil Ende des 19. Jahrhunderts entsteht und seit dem 20. Jahrhundert (auch von mir) wissenschaftlich untersucht wird.
Zeitbedarf_ 2 Stunden
Start: Zytglogge Turm
Ende: Generationenhaus
Charakter: Geschichte, mit Ausflügen in die Aktualität

Demokratie-Wanderung: Aristokratien demokratisieren
Bern war im 18. Jahrhundert eine Patrizierstadt, paternalistisch regiert, wenn man gehorchte, mit dem Schwert bestraft, wenn man protestierte. Dem setzten die revolutionäre Franzosen und die Demokratie ein jähes Ende. Zur schrittweisen Demokratisierung trugen in der Folge liberale, demokratische und sozialen Bewegungen bei. Ihre neue Rolle fand Bern als Bundesstadt, dem unbestrittenen Politzentrum der Schweiz mit Regierungsviertel und Bundesplatz als Schaubühne für allerlei Opposition im Land.
Zeitbedarf: 1,75 Stunden
Start: Kreuzgassbrunnen /Altstadt
Ende: Bundesplatz
Charakter: Geschichte, mit Ausflüge in die Aktualität

Ochsentour: Unser Verfassungsvater Ochsenbein
Er war Regierungspräsident von Bern. Er war Präsident der Verfassungskommission der Tagsatzung. Er war 1848 erster Bern Bundesrat. Und er war sechs Jahre danach erster abgewählter Bundesrat. Ueli Ochsenbein ist heute kaum mehr ein Begriff, obwohl er der Verfassungsvater des Bundesstaats war. Ich hole ihn mit seiner Geschichte in die Gegenwart zurück, zeige, wo unser Grundgesetz beriet, wo er sich für das Bundesstaatsmodell lobbyierte, wo gewählt wurde und wo er regierte. Die Wanderung ist mehr als nur eine Biografie. Sie zeigt die Stunde Null des Bundesstaats.
Zeitbedarf 1,5 Stunden
Start: Heiliggeistkirche
Ende: Erlacherhof
Charakter: Geschichte, mit Ausflügen im die Aktualität

neu!
Konkordanzdemokratie
Diese Stadtwanderung richtet sich insbesondere an Interessierte aus dem Ausland, die keine Erfahrungen haben mit einer Konkordanzdemokratie. Erklärt werden der Begriff, woran man die schweizerische Form der Demokratie wie Kollegialregierung, Volksabstimmungen, Föderalismus, Frauenvertretung in Regierungen und fehlendes Staatspräsidium erkennt. Konkordanzdemokratie werden gewürdigt, aber auch kritisiert, dass sie nur unvollständig funktionieren, vielsprachigen Ländern wie der Schweiz aber besonders dienlich sind.
Zeitbedarf 1,5 Stunden
Start: Politforum Bern
Ende: Reitschule
Charakter: Zeitgeschichte, Aktualität
Beginn: März 2023

neu!
Föderalismuswanderung
Diese Stadtwanderung konzentriert sich auf die drei Hauptebenen des Schweizer Staatsaufbaus: Bund, Kantone, Gemeinden (Städte). Wir besuchen das Bundeshaus, das Berner Rathaus und den Erlacherhof, der Sitz der Stadtberner Regierung. Dazwischen gibt es einen kurzen Ueberblick über die Geschichte der Staatsebenen, und einen Ausblick auf die Raumentwicklung Schweiz mit ökonomischen Wachstumsgebieten, Regionen mit steigender resp. sinkender Bevölkerungszahlen, Agglomerationsdefinitionen -bildung, Raumplanung und staatlichen Umverteilungsmechanismen. Die Führung ist besonders für Personen aus dem Ausland geeignet, die nicht allzu viel über den Schweizer Föderalismus wissen und sich einen raschen Ueberblick verschaffen wollen.
Zeitbedarf 1,5 Stunden
Start: Bundesplatz
Ende: Erlacherhof
Charakter: Aktualität, Geschichte
Beginn: Januar 2023

Lobbying-Wanderung: Vorhöfe der Macht
LobbyistInnen sind nicht mehr draussen, aber auch nicht ganz drinnen. Sie sind ein Bindeglied zwischen Zivilgesellschaft und Staat. Und sie werden immer mehr. Ich zeige, wie sie auf Parlament, Regierung und Verwaltung Einfluss nehmen, wie sie sich in ausserparlamentarischen Kommissionen einnisten, Clubs für informelle Treffen gründen und für die Grünen genauso wie für Economiesuisse arbeiten und ich stelle die Frage, ob so auch in der Schweiz in den USA der 1970er Jahre diagnostizierte Power Elite entsteht.
Zeitbedarf: 2 Stunden
Start: Hotel Bellevue
Ende: Geheimplatz
Charakter: Aktualität

Stadtwanderer

Bücherliste 2022: Werke zum Lesen und Verschenken

Das ist meine Bücherliste 2022. Rechtzeitig vor Weihnachten fertig geworden. Durchaus als Hinweise für Geschenke zu verstehen. Wie in früheren Jahren habe ich Bücher ausgewählt, die ich gelesen und teils auch besprochen habe. Alle beschäftigen sich mit der Schweiz, von der Gegenwart bis zur tiefen Vergangenheit. Es sind Sach- und Fachbücher, teils aus der Politikwissenschaft, teils aus der Soziologie. Geschichte fehlt auch nicht. 12 haben meine finale Empfehlung.

Natalie Zeindler: Bodenständig und beharrlich. Jacqueline Badrans Weg ins Bundeshaus. Xanthippe, 2022
Badran äussert sich über einschneidende Erlebnisse, ihre politische Motivation und persönliche Mission, über ihr Engagement für die Lex Koller und eine ausgeglichene Wirtschaft sowie über die Klimabewegung, die sie bereits in jungen Jahren erlebt und motiviert hat, unseren Planeten zu schützen.
https://www.xanthippe.ch/buch-details/bodenst%C3%A4ndig-und-beharrlich.html

Silja Häusermann et al. : Wählerschaft und Perspektiven der Sozialdemokratie in der Schweiz. NZZ Libro, 2022
Bedrängt von strukturellem Wandel und neuen parteipolitischen Rivalen ringen sozialdemokratische Parteien in ganz Europa im 21. Jahrhundert um ein zukunftsfähiges Profil, das ihren historischen Anliegen des sozialen Ausgleichs und der Inklusion zu politischer Wirkung verhelfen kann. Auch in der Schweiz wird um die Ausrichtung der SP Schweiz gerungen und debattiert.
https://www.nzz-libro.ch/waehlerschaft-und-perspektiven-der-sozialdemokratie-in-der-schweiz-978-3-907291-79-5

Peter Buomberger, Daniel Piazza: Wer finanziert die Schweizer Politik. Auf dem Weg zu mehr Transparenz und Demokratie. NZZ Libro, 2022
Die Stärke des Buchs liegt in der Präsentation des Zahlenmaterials, das bisher gut gehütet wurde. Verglichen mit bisher publizierten Schätzungen aus Wissenschaft und Medien, ist das ein Meilenstein.
https://www.nzz-libro.ch/wer-finanziert-die-schweizer-politik-978-3-907291-69-6

Hans-Peter Schaub, Marc Bühlmann (Hg.): Direkte Demokratie in der Schweiz. Neu Erkenntnisse aus der Abstimmungsforschung. Seismo Verlag, 2022
Inner- wie ausserhalb der Schweiz werden die Chancen und Risiken von direktdemokratischer Beteiligung mittels Volksabstimmungen sowohl in der Forschung als auch in Politik und Öffentlichkeit immer wieder lebhaft diskutiert. Der Sammelband liefert neue Erkenntnisse zur Funktionsweise der direkten Demokratie, indem er die einzigartige Fülle an praktischen Erfahrungen und Daten aus den über 170 Jahren Abstimmungsgeschichte der Schweiz nutzt.
https://www.seismoverlag.ch/de/daten/direkte-demokratie-in-der-schweiz/

Francesca Falk (Hg.): Der Schwarzenbacheffekt. Wenn Abstimmungen Menschen traumatisieren und politisieren. Limmatverlag 2022
In diesem Buch sprechen Zeitzeug:innen der Schwarzenbach-Initiative über ihr Leben im Provisorium. Sie erzählen von prekären Wohnverhältnissen, zurückgelassenen Kindern, Diskriminierung und Ausgrenzung, aber auch von Freundschaft und Widerstand. Viele von ihnen wurden durch die Initiative politisiert und zu einem Engagement bewegt, das bis heute das gesellschaftliche Leben in der Schweiz prägt.
https://www.limmatverlag.ch/programm/titel/912-der-schwarzenbacheffekt.html

Luzi Bernet: Das Schweiz-Dilemma. 30 Jahre Europapolitik. Hier & Jetzt, 2022
Der Autor legt keine trockene Abhandlung zur Zeitgeschichte vor, sondern eine profunde, leicht lesbare Entwicklungsgeschichte der Irrungen und Wirrungen der Schweizer Europapolitik der letzten drei Jahrzehnte. Hin- und hergerissen steckt das Land seit Jahren im Dilemma zwischen Annäherung und Blockade. Am Ende plädiert Luzi Bernet für einen entspannteren Europadiskurs.
https://www.hierundjetzt.ch/de/catalogue/das-schweiz-dilemma_2200005/

Religionstrends in der Schweiz: Religion, Spiritualität und Säkularität im gesellschaftlichen Wandel. Jörg Stolz et al. Springer, 2022
Diese Publikation beschreibt gegenwärtige Entwicklungen in der Religionslandschaft der Schweiz. Die hier versammelten Beiträge basieren auf der Auswertung aktueller statistischer Daten und bearbeiten Fragestellungen aus der Religions- und Kirchensoziologie sowie aus der Politikwissenschaft.
https://link.springer.com/book/10.1007/978-3-658-36568-4

Regula Bochsler: Nylon und Napalm. Die Geschäfte der Emser Werke und ihres Gründers Werner Oswald. Hier & Jetzt, 2022
Dank hartnäckiger Recherchen kann die Autorin zeigen, wie Firmengründer Werner Oswald mit Hilfe von Industriespionage und ehemaligen Nazis in Ems eine Kunstfaserproduktion aufbaute, eine Flab-Rakete, Minen und Zünder sowie eine Napalm-Variante entwickelte, die in mehreren Bürgerkriegen eingesetzt wurde.
https://www.hierundjetzt.ch/fr/catalogue/nylon-und-napalm_2200022

Nicolas von Passavant: Hemmungen und Dynamit. Ueber das Politische bei Mani Matter. Zytglogge, 2022
Erstmals werden hier die politischen Schriften Matters eingehend besprochen: darunter drei theoretische Artikel, die – lange vergriffen – im Anhang mit abgedruckt sind. Vor dem Hintergrund der dortigen Überlegungen erläutert der Autor politische Bezüge in den Liedern und beleuchtet deren Konzept: Mani Matter verstand seine Chansons als «Modelle für politische Sachverhalte».
https://www.zytglogge.ch/nicolas-von-passavant-hemmungen-und-dynamit-978-3-7296-5100-5

Urs Altermatt : Der lange Weg zum historischen Kompromiss. Der schweizerische Bundesrat 1874–1900. Referendumsstürme, Ministeranarchie, Unglücksfälle, NZZ Libro, 2022
Die Bundesverfassung von 1874 beendete die Periode der repräsentativen Demokratie und bildete mit der Einführung direktdemokratischer Instrumente wie dem Referendum eine Zäsur in der Schweizer Geschichte. Die Bundesräte konzentrierten ihre Arbeitskraft immer stärker auf ihr eigenes Departement. Darunter litt das Kollegialitätsprinzip. Doch der Reformversuch mit einem eigenen Aussenministerium scheiterte nach dem Probeversuch an der Eifersucht im Kollegium.
https://www.nzz-libro.ch/urs-altermatt-der-lange-weg-zum-historischen-kompromiss-978-3-907291-49-8

Thomas Schuler: Napoleon und die Schweiz. NZZ Libro, 2022
Der Autor eröffnet einen neuen Blick auf Napoleon, indem er sich auf Archiv- und Literaturrecherchen und auf Besuche an einschlägigen Schauplätzen stützt.So verknüpft Schuler die spannende Schilderung der Ereignisse zwischen 1789 und 1815 mit unserer Gegenwart und macht deutlich, wie bedeutend Napoleon für die Schweiz war und wie viel aus dieser Zeit bis heute wirksam ist.
https://www.nzz-libro.ch/thomas-schuler-napoleon-und-die-schweiz-978-3-907291-85-6

François Walter, Marco Zanoli: Historischer Atlas der Schweiz. Hier & Jetzt, 2022
Marco Zanoli begann vor Jahren, Artikel zur Schweizer Geschichte zu verfassen und diese mit Karten zu illustrieren. Zu diesen Karten verfasste der Westschweizer Historiker François Walter einschlägige Einführungen, und das daraus entstandene Werk erschien im Oktober 2020 auf Französisch. Nun liegt das Standardwerk leicht überarbeitet und mit einem halben Dutzend weiterer Karten ergänzt auf Deutsch vor.
https://www.hierundjetzt.ch/de/catalogue/historischer-atlas-der-schweiz_2100021/

Claude Longchamp

Berner Beizen Tour!

Meine Berner Polit-Beizen-Tour steht. Der (öffentliche) Tisch, an dem politisiert wurde/wird, steht im Zentrum.

Wegen meinen vorübergehenden Gesundheitsbeschwerden hat die bereits angekündigte Lancierung leider etwas vershoben werden müssen. Neu startet die Wanderung mit Trinken und Essen durch Bern im März 2023.

Die Stationen
Ausgewählt habe ich schliesslich 8 Stationen. 5 Mal gibt es vor Ort Geschichten, je einmal Geschichte und Apéro resp. Geschichte und Nachtessen resp. Geschichte und Abendbier.

Der Zeitbogen
Die Führung zeigt Bern in der frühen Neuzeit (15.-18. Jahrhundert) mit seinen Gast- oder Gesellschaftshäusern resp. Weinkellern. Es folgt die Aera der Restaurants und Hotels (19. und 20. Jahrhundert). Schliesslich kommen Treffpunkte der heutigen Szenen (spätes 20. und 21. Jahrhundert) hinzu.

Der Themenbogen

Das Auswahlkriterium war stets die Politik zu ihrer Zeit, die an diesem Ort gespielt hatte. So stehen die Stationen für die ersten hohen Besuche mit Papst und Kaiser in Bern (Krone), den Gerichtsort mit Entscheidungen über Leben und Tod (Distelzwang), die Vermarktung des Weins aus den Untertanengebieten (Klötzlikeller). Die Entstehung der bürgerlichen Politik in Studentenverbindungen (Zimmermania), die Gründung des Bundesstaats (Aeusserer Stand) und das Hauptquartier der Arbeiterschaft (Volkshaus 1914) bilden den zweiten Teil. Der dritte umfasst Lokale der 68er- (Pyrenées) resp. der Frauenbewegung (Progr).

Der Zeitbedarf
Die Tour richtet sich nur an Gruppen: Sie dauert mit den Zwischenhalts zum Essen und Trinken vier Stunden und findet abends zwischen 1730 und 2130 statt. Verlängerungen sind bis zur Sperrstunde möglich …

Die Qual der Wahl
Ich konnte nicht alle Stationen berücksichtigten, die ich sondiert resp. hier vorgeschlagen bekommen habe. Ich bin gerne bereit, andere Stationen, die von Interessent:innen gewünscht werden, nach Möglichkeit zu einzubauen.

Gespannt auf den kommenden Frühling!

Bilder: Twitter, Der Bund, Werbeprospekte, Historisches Lexikon

Perücken. Fassaden. Festivitäten

Katholiken mögen meinen, den Barock gäbe es nur in St. Gallen, Einsiedeln und Luzern, denn er sei die Kunstform der Gegenreformation. Doch Bern lehrt das Gegenteil: Die Berner Altstadt kennt zahlreiche Barockgebäude, wenn auch deutlich reformierter und nüchterner im Baustil.
Ich hatte gestern großen Spaß, mit dem Informationsdienst der Stadt Bern die Stadtwanderung „Burger, Barock, Bourbonen“ machen zu dürfen und Wirtschafts-, Gesellschafts- und Sittengeschichte hinter den Fassaden nochmals auflebende lassen.
Der Söldnerhändler Samuel Frisching, der Postgründer Beat Fischer, die zum Tode verurteilte Pfarrersfrau Carherine de Wattwyl, Diplomat Johann Friedrich Willading, seine Tochter Anna Margaretha und ihr Ehemann Schultheiß Hieronymus von Erlach, Spion in französischen Diensten, kamen vor und illustrierten, was die barocken Fassade zeigen – und verbergen!

Fotos: Michael Sahli