Offene Beizentour: Wieder Plätze frei!

Am 8. Juni 2023 findet die letzte offene Beizentour vor den Sommerferien statt. Es hat zwischenzeitlich einige Abmeldungen gegeben, sodass es wieder drei Plätze frei hat.


Foto: Kreuzgassbrunnen, unser Treffpunkt im Herzen der Altstadt

Wer gerne neu teilnehmen möchte, melde sich bei mir per Messenger oder Twitter-DM.
Die Wanderung stellt einige typischer Gasthäuser aus den letzten 500 Jahren vor: Gesellschaftsstuben und Herbergen aus dem Spätmittelalter, Weinkeller und Kaffeehäuser aus der frühen Neuzeit, Restaurants, Hotels- und Kulturzentren aus der Gegenwart werden besucht.
Meist bleiben wir draussen und hören, wie sich die Wirtschaften im Verlaufe der Zeit entwickelt haben und was am ausgewählten Ort speziell war.
Dreimal kehren wir auch ein, zum Apero, Essen und Feierabendbier!
Die Tour beginnt um 18 Uhr 15 beim Kreuzgassbrunnen in der Altstadt. Sie dauert alles in allem rund 4 Stunden.
Die Kosten für die Führung belaufen sich inkl. Essen und Trinken auf 100 CHF.
Eine Anmeldung bis am 4. Juni ist zwingend und verbindlich.
Wer gerne neu teilnehmen möchte, melde sich bei mir per Messenger oder Twitter-DM.
Die Zahl der Teilnehmenden limitiert. Anmeldungen werden der Reihe nach berücksichtig.
Wer sich schon verbindlich angemeldet hatte, muss das nicht mehr wiederholen.
Ich freue mich!

Stationen:
1. Kreuzgassbrunnen (spätmittelalterliches Bern)
2. Rathaus (der hohe Staatsgast und seine prekäre Unterbringung)
3. Gesellschaftshaus zu Distelzwang (Geselligkeit in Gesellschaftsstuben)
4. Hotel (vormals Herberge) Krone (Herberge und Rekrutierungsort)
5. Klötzlikeller (Weinkeller) (Apero)
6. Münsterplatz (nichts zu sehen ausser der reformatorischen Ordnung)
7. DüTü (Gesellschaftshaus Hotel de Musique) (das erste Kaffeehaus in Bern)
8. Gesellschaftshaus zu Kaufleuten (die vornehme geschlossene Gesellschaft)
9. Restaurant Zimmermania (Das französische Vorbild) (Nachtessen)
10. Hotel Glocke (Biergeschichten)
11. Restaurant (vormals Rathaus) zum Aeusseren Stand (wo einst Kantons- und Bundespolitik gemacht wurde)
12. Volkshaus 1914 (Treffpunkt der Arbeiterschaft)
13. Cafe de Pyrenées (68er Spunten)
14. Kulturzentrum Progr (Aufbruch der Frauen)

Stadtwanderer

Bericht Bund/BZ zur Beizentour: https://www.stadtwanderer.net/?p=20160

Fernziel Laizismus?

Heute bin ich mit den Freidenkenden unterwegs. Grosses Thema: Ist die gegenwärtige Form der Trennung von Kirche und Staat zeitgemäss?

Die Freidenker-Vereinigung der Schweiz entstand an 12. April 1908. Das war kein Zufall!
Es war auf den Tag genau 110 Jahre nach der Ausrufung der Helvetischen Republik am 12. April 1798. Deren Verfassung postulierte nämlich nicht nur die Gewaltenteilung der französischen Aufklärer, um die staatlichen Institutionen neu aufzubauen. Auch die Menschenrechte fanden erstmals Eingang in die Rechtsprechung.
Die Helvetische Republik propagierte einen laizistischen Staat. Das war ein fundamentaler Bruch mit der vorherrschenden theokratischen Vorstellung von Staatsreligion bei Katholiken und Reformierten. Nicht überraschend gab es Widerstände. Man beharrte ein christlicher Staat zu sein, und Juden weiterhin ausgrenzen zu dürfen.
Bekannt ist, dass die neue Gewerbeschule im revolutionär gesinnten Aarau unsere erste Ausbildungsstätte nach dem laizistischen Muster war. Auch wenn die Helvetische Republik keinen Laizismus nach französischen Vorbild brachte und nach knapp 6 Jahren gescheitert war, blieb gerade die Idee überkonfessioneller Schulen in der Schweiz lebendig. Laizistisch geprägt waren die Hochschulen in Zürich und Bern, die in den 1830 Jahren im liberalen Geist entstanden. Sie waren weltweit ein Novum, den keine kirchliche Instanz stand an ihrem Anfang.
Seit 1874 versteht sich auch der Bund in religiösen Fragen neutral. Das hat der Politik den Boden eröffnet, jenseits religiöser Bekenntnisse nach gemeinsamen Lösungen zu suchen und sie auch zu finden.
Geblieben ist die konfessionelle Grundierung vieler Kantone. Nur die garantierte Glaubens- und Gewissensfreiheit sind ihnen übergeordnet. Einzig Genf und Neuenburg kennen eine strikte Trennung von Kirche und Staat. Die andern bauen auf anerkannten Landeskirchen aus, mit denen der Staat mehr oder weniger eng kooperiert. Bern gehört zu den Kantonen mit starker Zusammenarbeit.
Seit den 1970er Jahren steigt – als neue Herausforderung – die komplette Konfessionslosigkeit in der Schweiz schnell an. Heute gibt es mehr Konfessionslose als Mitglieder in der evangelisch-reformierten Kirche. Nur Katholiken und Katholikinnen sind noch zahlreicher. Die Schweiz, wie sie den Freidenkende vorschwebt, ist schleichend realer geworden.
Heute gibt es zahlreiche gesellschaftliche Diskussionen, wie das Verhältnis von Kirche und Staat den verändern Bedingungen angepasst werden sollen. Der Horizont an Ideen ist weit aber umstritten.
Das aus dem historischen Kontext heraus verstehen zu können, ist die Absicht der morgigen Stadtführung für die Freidenkenden Schweiz. Anschliessend findet ein Podium zur Vertiefung statt.
Ich freue mich!
Stadtwanderer

Stadtwander für die Freidenkenden

Die Freidenker-Vereinigung der Schweiz entstand an 12. April 1908. Das war kein Zufall! Denn es war auf den Tag genau 110 Jahre nach der Ausrufung der Helvetischen Republik am 12. April 1798.
Deren Verfassung postulierte nämlich nicht nur die Gewaltenteilung der französischen Aufklärer, um die staatlichen Institutionen neu aufzubauen. Auch die Menschenrechte fanden erstmals Eingang in die Rechtsprechung.
Die Helvetische Republik propagierte auch den laizistischen Staat. Das war ein fundamentaler Bruch mit der vorherrschenden theokratischen Vorstellung von Staatsreligion bei Katholiken und Reformierten. Bekannt ist, dass die neue Gewerbeschule im revolutionär gesinnten Aarau unsere erste Ausbildungsstätte nach dem laizistischen Muster war.
Auch wenn die Helvetische Republik keinen Laizismus nach französischen Vorbild brachte und nach knapp 6 Jahren gescheitert war, blieb gerade die Idee überkonfessioneller Schulen in der Schweiz lebendig. Laizistisch geprägt waren die Hochschulen in Zürich und Bern, die in den 1830 Jahren im liberalen Geist entstanden. Sie waren weltweit ein Novum, den keine kirchliche Instanz stand an ihrem Anfang.
Seit 1874 versteht sich auch der Bund in religiösen Fragen neutral. Das hat der Politik den Boden eröffnet, jenseits religiöser Bekenntnisse nach gemeinsamen Lösungen zu suchen und sie auch zu finden. Geblieben ist allerdings die konfessionelle Grundierung vieler Kantone. Nur Genf und Neuenburg kennen eine strikte Trennung von Kirche und Staat. Die andern bauen auf anerkannten Landeskirchen aus, mit denen der Staat kooperiert.
Seit den 1970er Jahren steigt – als neue Herausforderung – die komplette Konfessionslosigkeit in der Schweiz schnell an. Heute gibt es mehr Konfessionslose in unserem Land als Mitglieder in der evangelisch-reformierten Kirche. Nur Katholiken und Katholikinnen sind zahlreicher als Menschen ohne Konfession. Die Schweiz, wie sie den Freidenkende vorschwebt, ist realer geworden.
Heute gibt es zahlreiche gesellschaftliche Diskussionen, wie das Verhältnis von Kirche und Staat den verändern Bedingungen angepasst werden sollen. Ihnen öffnet sich ein weiter Horizont an Ideen. Sie aus dem historischen Kontext heraus verstehen zu können, ist die Absicht der Stadtführung für die Freidenker Schweiz vom Samstag 27. Mai 2023.

1. Juli 2023: Offene Stadtwanderung zu 175 Jahre Bundesverfassung von 1848»

2023 feiert die Schweiz 175 Jahre Bundesverfassung. Sie gedenkt damit der Grundsteinlegung der modernen Schweiz. Ich mache dazu eine offene Stadtwanderung zum Thema “Ueli Ochsenbein. Unser Verfassungsvater”

Eine der 1848 zentralen, aber vergessen gegangenen Figuren war Ueli Ochsenbein. Er war der allererste gewählte Bundesrat überhaupt, aber auch das erste, nach sechs Jahren abgewählte Mitglied der Landesregierung.
Der anfänglich radikale Berner Regierungspräsident war vor der Bundesstaatsgründung Präsident der massgeblichen Verfassungskommission gewesen. Er prägte die institutionelle Ausgestaltung des Bundesstaates entscheidend mit, und er hat den liberal ausgerichteten Kompromiss mit der doppelten Souveränität von Bund und Kantonen resp. mit einem Parlament bestehend aus zwei gleichwertigen Kammer auch gegen Widerstände durchgesetzt.

Die Stadtwanderung
Am 1. Juli 2023 führe ich Bern eine offene Stadtwanderung durch, die sich den bewegten Zeiten kurz vor und nach der Bundesstaatsgründung am 12. September 1848 annimmt.
Offen bedeutet, dass alle Interessierten eingeladen sind und die Führung gratis ist. Eine Anmeldung über DM ist erwünscht, aber nicht erforderlich.
Wir starten bei der Berna-Statue vor dem Bundeshaus West, und wir enden vor dem Erlacherhof in der Altstadt.
Die Führung beginnt Punkt 10 Uhr 15, und sie dauert rund 2 Stunden. Interessierte treffen sich danach zu einem freiwilligen Apéro vor dem enline an der Junkergasse 58.

Die Stationen
1. Bundeshaus West (vormals Bundesratshaus)
2. Heiliggeistkirche
3. Manor (vormals Gesellschaftshaus zu Schmieden)
4. Restaurant (vormals Rathaus) zum Aeusseren Stand
5. Du Theatre (vormals Hotel de Musique)
6. Erlacherhof

freiwillig
7. Apéro vor dem eniline

#Stadtwanderung: Trennung von Kirche und Staat – woher und wohin?

Das Thema der neuen Stadtwanderung lautet: “Trennung von Kirche und Staat”. Ich führe den Anlass für die Freidenkenden Schweiz am kommenden Samstag durch.

Theorie
In der Staatstheorie können vier Verhältnisse unterschieden werden:
. die Identität von Kirche und Staat
. die formelle Trennung mit ausgebauter Kooperation
. die strikte Trennung im Sinn des Laizismus und
. der atheistische Staat.

Eine kurze Geschichte
Vor der Reformation gab es in der Eidgenossenschaft nur die Papstkirche mit ihren Orden (Station 1). Danach setzte sich in Bern das evangelisch-reformierte Staatskirchentum durch (Station 2). Wer Berner war, musste sich zum reformierten Glauben bekennen. Das folgte alles dem ersten Modell.
Die liberale Bewegung der 1830er Jahre entwickelte neue Vorstellungen. Landeskirchen entstanden, die sich in die entstehenden Demokratien einfügen mussten, dafür aber privilegiert behandelt wurden (Station 3).
Mit dem Bundesstaat von 1848 blieb das Kirchenwesen in den Händen der Kantone. Religionsfreiheit wurde mit Ausnahmen gewährt (Station 4). Kirchen beider Konfessionen entstanden in den meisten Kantonen (Station 5). Die Juden wurden 1874 den Christen gleichgestellt (Station 6).
Der Bund verhielt sich zusehends konfessionell neutral. Auch die Hochschulen und gewerblichen Schulen folgten diesem Vorbild (Station 7). Eine strikte Trennung von Kirche und Staat wurde aber nicht vollzogen. In einer eidg. Volksabstimmung 1980 lehnte das die grosse Mehrheit der Stimmenden ab.

Wo stehen wird heute?
Von den vier oben erwähnten Modellen entwickelte sich die Schweiz also vom ersten zum zweiten, kam aber schon beim beim dritten nicht an.
Das dritte Modell verfolgt Frankreich seit der Französischen Revolution (Station 8 ). Der Versuch, das in der Schweiz mit der Helvetischen Republik einzuführen, scheiterte schon früh. Auch der Bundesstaat wehrte sich nach 1848 laizistisch zu sein. Nur der Druck Frankreichs, der Niederlande und der USA mit einem angedrohten Wirtschaftskrieg führte dazu, dass die jüdische bis 1874 wie die christliche Bevölkerung behandelt wurde.

Weiterentwicklungen
Heute gibt es aber Tendenzen, dass die Privilegien der Landeskirchen verringert werden. Diskutiert wird, kantonal verschieden, vieles: von der strikten Trennung im Sinne des Laizismus bis zu neuen Anforderungen an die Kirchen, um sie zu entgelten. Verhandelt werden auch neue Ideen, dass beispielsweise alle zivilgesellschaftliche Organisationen solche Aufgaben übernehmen könnten und dafür entschädigt würden. Damit würde das Privileg von Landeskirchen fallen.
Das besprechen wird dann auf einem Podium in der Cinematte mit illustren Gästen.

Ochsentour, Teil 6: Stärken und Schwächen der Schweiz von 1848

Ochsenbeins Leben endete tragisch. An den Fall eines abgewählten Bundesrats hatte man im Voraus nicht gedacht. Ochsenbein verdingte sich zweimal als hoher Offizier in französischen Diensten. Ansonsten betätigte er sich als Schriftsteller. Mehrfach geriet er in einen Rechtshändel, und auch sein versuchter Wiedereinstieg in die bernischen Politik – nun als Konservativer – missriet. Zu allem Elend löste sich auch noch ein Schuss aus seiner Jagdflinte, die seine Frau tödlich traf. 1890 verstarb er vereinsamt.
Die Geschichtsschreibung hat Ochsenbein lange verdrängt. Eine Biografie von Rolf Holenstein, 2016 erschienen, hat ihn aus der Versenkung geholt. Sie ist bemüht, eine korrekte Erinnerung aufzubauen, die sowohl dem Erfinder der modernen Schweiz wie auch der umstrittenen Persönlichkeit gerecht wird.

Wofür steht 1848?
Man hat die 1848 geschaffene Demokratie lange verklärt. Sicher, man war auf dem Kontinent der Pionier, als es um eine moderne Republik ging, die auch Demokratie- und Föderalismusprinzipen berücksichtigte. Das kannte man in Europa nicht. Frankreich startete zwar gleichzeitig, bog aber nach wenigen Jahren wieder Richtung Monarchie ab. Von den anderen Nachbarn muss man hierzu gar nicht sprechen.
Der Bundesstaat ist auch die einzig bleibende revolutionäre Staatsgründung von 1848. Alle anderen scheiterten. Die Monarchen gewannen wieder politisches Terrain zurück und hielten sich meist bis zur Katastrophe am Ende des Ersten Weltkriegs.
Doch war die Demokratie von 1848 unvollständig. Sie entsprach dem Wunsch der Liberalen, die blockierenden Strukturen des Ancien Regimes zu überwinden, eine stabile Rechtsordnung auf übergeordneter Ebene zu schaffen und die wirtschaftliche Entwicklung in Gang zu bringen. In Anlehnung an den EWR von 1989 könnte man auch von einem SWR sprechen, einem schweizerischen Wirtschaftsraum, der 1848 ohne Zölle, mit einheitlicher Währung und wirtschaftlichen Freiheiten entstand.

Mängel von 1848
Eine liberale Demokratie im heutigen Sinne kannte man damals nicht. Es fehlte an gesicherten Grundrechten für alle, klarer Gewaltenteilung und Frauenwahlrecht.
Die Schweiz verstand sich als christlichen Staat und gewährte den Juden in der Schweiz keine Niederlassungsfreiheit. Es brauchte die energische Drohung eines Handelskriegs vor allem durch Frankreich und eine unplanmässige Verfassungsrevision, um hier Abhilfe zu schaffen.
Man schloss auch die Frauen von der Politik aus, denn das damalige Gesellschaftsbild basierte durchwegs auf der patriarchalen Familie, deren männlicher Haushaltsvorstand eine öffentliche Rolle spielen sollte, nicht aber seine Ehefrau.
Auch institutionell hatte die Bundesverfassung Mängel. So gab es 1848 noch kein ständiges Bundesgericht, nur eine ad hoc Schlichtungsstelle bei Streit zwischen Bund und Kantonen.
Aus heutiger Sicht fehlten auch die Volksrechte. Sie waren zwar mit der möglichen Totalrevision der Bundesverfassung kryptisch angelegt. Volksentscheidungen in Grundsatz- und Sachfragen kamen erst 1874 mit dem Gesetzesreferendum und 1891 mit der Verfassungsinitiative hinzu.
Damit hängt zusammen, dass man 1848 stark vom angelsächsisch geprägten Demokratiemodell der repräsentativen Demokratie ausging. Mehr- und Minderheiten hatten sich aus dem Bürgerkrieg ergeben. Doch der parteipolitische Regierungswechsel blieb ganz aus. Die Volksrechte verhinderten da ein zugespitzte Dramatik, waren aber keine vollwertiger Ersatz.
Auch avancierte man mit den festgelegten Amtszeiten für Regierung und Parlament nicht zu einer parlamentarischen Demokratie, wo die Regierung das Parlament und das Parlament der Regierung das Vertrauen entziehen kann.
Vielmehr brauchte es 1918 eine soziale Revolution, um die dauerhafte freisinnige Vorherrschaft im Bund zu beenden, damit auch den 1848er Staat zu transformieren.

Bilanz
Was bleibt? Kurzfristig war die Ueberwindung des Bürgerkriegs entscheidend, mittelfristig zählte der demokratische Lernprozess.
Volksrechte stabilisierten die neuen Institutionen. Sie zwangen zur Entwicklung von Verhandlungskulturen im Parlament. Und die Kollektivregierung förderte die Integration von ausgeschlossenen Gruppen.
Die Bundesverfassung von 1874 stärkte mit Gewaltenteilung, Judenrechten und Referendumsmöglichkeit die Demokratie mehr als die weltweit führende Demokratie. Ueberholt wurden wir dann 1893, als Neuseeland erstmals demokratische Wahlen, Volksrechte und politische Rechte einführte. Zum Paradoxen der Schweizer Demokratisierung gehört, dass wir beim Männerwahlrecht Pioniere, beim Frauenwahlrecht aber Nachzügler waren.

Ochsentour, 5. Teil: Parlaments- und Bundesratswahl ganz im Zeichen des Freisinns

Der Bundesstaat auf dem Papier wurde erst mit der ersten Wahl von Parlament und Regierung greifbar. Die Freisinnigen feierten einen totalen Sieg.

Am Morgen des 6. November 1848 weckten 155 Böllerschüsse die Stadt Bern. 44 galten den Ständeräten, 111 den Nationalräten. Denn es war der Tag, an dem in der provisorischen Bundesstadt des neu gegründeten Bundesstaates die erste Session eröffnet wurde.
Gefeiert wurde das Ereignis mit einem rauschenden Fest, das im Konzertsaal des Gesellschaftshauses „Hotel de Musique“ stattfand. Heute ist es in Bern besser als „DuTheatre“. Bekannt. Leider wurde der Konzertsaal bei der Renovation 1905 ausgehöhlt, sodass der historische Ort nicht mehr existiert.
Das Fest wurde überschwänglich beschrieben. Es soll auch lange gedauert haben. Jedenfalls begannen die Verhandlung anderntags nicht ordentlich um 8 Uhr, sondern nachmittags um 15 Uhr.

Freisinnige resp. radikale Mehrheit
In beiden Kammer hatten die Freisinnigen bei den vorangegangenen Wahlen eine erdrückende Mehrheit bekommen. In der Großen Kammer stellten sie 98 der 111 Nationalräte, und im der kleinen Kammer waren es 38 von 44.
Genau genommen war das nicht korrekt, denn der «Freisinn» war keine Partei, sondern eine Bürgerbewegung mit verschiedenen Strömungen, zusammengehalten durch Gründung des Bundesstaates. 82 der freisinnigen Nationalräte zählten effektiv zu den Radikalen, 10 zu den Liberalen und 6 zu den Demokraten. Im Ständerat waren 30 der 38 Freisinnigen Radikale, 8 Liberale. Demnach hatten eigentlich die Radikalen die Mehrheit in beiden Kammern.
Doch auch das war nicht so sicher. Einig waren sich die Radikalen in der antiklerikalen, vor allem gegen die katholische Kirche gerichteten Grundhaltung. Ein konkretes Programm existierte darüber hinaus nicht. Wie alle Fraktionen war auch die der Radikalen vor allem ein Netzwerke um herausragende Figuren. Zu diesen gehörte der Radikale Alfred Escher aus Zürich, der bald schon als Eisenbahnbaron bekannt wurde, da er das wohl wichtigste Geschäft beeinflusste.
Soziologisch gesehen waren alle Männer, die meisten Teil des aufstrebenden Bürgertums. Viele waren hohe Offiziere, meist Obersten der Schweizer Armee. Starb einer, wurde das in der Todesanzeige vor dem Nationalratstitel vermerkt.

Erste Bundesratswahl
Wichtigstes Traktandum der ersten Session war die Wahl des ersten Bundesrats. Sie fand am Mittwoch der zweiten Woche statt.
Zuerst wurde die fest versprochenen Sitze für die Kantone Bern, Zürich und Waadt bestimmt. Als erster Bundesrat wurde bereits im ersten Wahlgang Ueli Ochsenbein gewählt. Aus dem Kanton Zürich obsiegte Jonas Furrer aus Winterthur, aus der Waadt Daniel-Henri Druey. Alle drei galten als Radikale. Danach wurden die vier freien Sitze bestimmt. Gewählt wurden Friedrich Frey-Herose aus dem Aargau, Martin Munzinger für den Kanton Solothurn, Matthias Naeff aus dem Kanton St. Gallen und der Tessiner Stefano Franscini.
Je drei waren vor der Wahl in den Bundesrat National- resp. Ständeräte gewesen. Regierungsrat Druey wäre auch in der kleinen Kammer gesessen, hätte er die Wahl nicht ausgeschlagen gehabt.
5 der ersten Bundesräte waren reformiert, 2 katholisch, aber keiner aus einem ehemaligen Sonderbundskanton. Je einer vertrat die Sprachminderheiten, fünf die Mehrheit. Bis auf Franscini waren alle Bundesräte in der Kommission gewesen, welche die Verfassung ausgearbeitet hatte. Erster Bundespräsident wurde der Zürcher Bundesrat Jonas Furrer.
Damit war die Schweiz nach damaliger Vorstellung ausgestattet mit Parlament und Regierung und souverän. Es wurde Zeit, den Bundesvertrag von 1848, der immer noch galt, nun aufzulösen.

Bern Bundesstadt
Die Geschäfte der ersten Session waren aber noch nicht erledigt.
Die wichtigsten Entscheidungen des Parlaments betrafen den Sitz des Bundes und die Arbeitsweise das Zweikammer-Parlaments.
Bei der Bundesstadt obsiegte Bern eindeutig über Zürich und Luzern. Verkehrswege, Brückenstadt zwischen Sprachräumen, gute Verteidungsanlagen und eine gemütliche Atmosphäre wurden als Argumente genannt. Im Hintergrund spielte aber mit, dass die radikale Regierung des Kantons Bern Gratislokalitäten offeriert hatte.
Nur hatte sie diese noch nicht! Das heutige Bundeshaus West, vormals das Bundesratshaus konnte erst nach neun Jahren bezogen werden. Es beherbergte Regierung, Parlament und Bundeskanzlei in einem.

Ochsenbeins Sturz
Nicht ganz sicher war und ist die politische Verortung des ersten Bundesrat. Offiziell waren es vier Radikale (nebst den bereits genannten auch Franscini) und drei liberale. Doch zweifelte man von Anbeginn, wo Ochsenbein stand. Wahrscheinlich entschied er am häufigsten wie die Liberalen, aber mit Abweichungen in die radikale und auch konservative Richtung. Das trug ihm schon früh das Attribut eine «Verräters» der «Opportunisten» ein. Vielleicht hätte man in der heutigen Sicht auch ausgleichender Staatsmann sagen können!
Jedenfalls war Ochsenbein der erste Bundesrat, der nach nur sechs Jahren nicht mehr gewählt wurde. Das hatte auch mit dem Wahlsystem zu tun. Es funktionierte ab 1851 nach dem informellen Prinzip der Komplimentswahl. Dafür mussten alle Bundesräte am Ende der dreijährigen Legislaturperiode zurücktreten, für den Nationalrat kandidieren, und nur mit Kompliment der gelungenen Parlamentswahl wieder vor die Bundesversammlung treten.
Ochsenbein scheiterte bei der zweiten Wiederwahl. Die Radikalen hatten seine Wahl in den Nationalrat vereitelt. An seiner Stelle wurde der Radikale Jakob Stämpfli, sein ewiger Gegenspiel aus dem Berner Seeland, neuer Berner Bundesrat.

Ochsenbein, Teil 4: Bundesstaatsgründung zwischen Patriotismus und europäischen Banken

Die Sache war gar nicht so einfach! Bei der Einführung der ersten Bundesverfassung galt noch der Bundesvertrag des Wiener Kongresses von 1815. Der hatte die Schweizerische Eidgenossenschaft begründet, aber auch der Basis eines einfachen Staatenbundes mit souveränen Kantonen. Die Bundesverfassung begründete einen neuen Bundesstaat. Das bedeutete, dass Souveränitätsrechte von den Kantonen zum Bund übertragen wurde.

Einstimmigkeit oder Mehrheit
Doch die versammelte Tagsatzung im Berner Auesseren Stand konnte kein Protokoll mit der Zustimmung aller Kantone zur Kenntnis nehmen, die Bundesverfassung in Kraft setzten und sich auflösen.
Denn nur 15.5 der 22 damals Kantone hatten ihr zugestimmt. Dagegen hatten die Sonderbundskantone Zug, Schwyz, Uri, Ob- und Nidwalden sowie Wallis gestimmt. Hinzu kam Appenzell Innerrhoden, das davor noch neutral gewesen war. Und auch der Kanton Tessin hatte die neue Bundesverfassung abgelehnt.
Zwei Kantone des Sonderbunds waren dafür auf der Ja-Seite. Doch bestanden Zweifel an der Entscheidung. In Freiburg hatte nur das liberal dominierte Parlament zugestimmt. Eine Entscheidung der Bürger lag nicht vor. Luzern hatten zwar korrekt abgestimmt, aber nach der Veto-Regel. Diese zählte die Nicht-Stimmenden automatisch zur Ja-Seite.

Die politische Entscheidung
Es brauchte eine politische Entscheidung. Sie sollte sagen, was Sache sei.
Die Antwort lautete: «gültig».
Das war ein revolutionärer Bruch mit der Tradition, wie namhafte Juristen es bis heute nennen.

Der Durchbruch zu modernen Schweiz
Immerhin hatte man an diesem denkwürdigen 12. September eine neue demokratische und föderalistische Republik geschaffen und die das republikanische Ancien Regime nach einem halben Jahrhundert definitiv hinter sich gelassen.
Man konnte Stolz sein!
Wie wir heute wissen, war es von allen europäischen Umbrüchen im Revolutionsjahr 1848 die einzige bleibende Gründung eines neuen Staates. Diese Republik glich nur der Zweiten in Frankreich, die 1852 definitiv endete. In allen Nachbarstaaten sass die Monarchen ab 1849 wieder fest im Sattel.

Gründe für den Erfolg
Zu den Gründen für die frühe und feste Etablierung einer moderne Republik zählt nach heutiger Auffassung zuerst der Kompromiss zwischen Demokratieprinzip mit der Gleichheit alles Männer und dem Föderalismusprinzip, das die Kantone als teilautonomen Staaten im Bund beliess. Zudem kannte die Schweiz schon lange eine republikanische Tradition, die man mit der aufkommenden Bürgergesellschaft nun erneuerte.
Ein weiterer Grund bestand darin, dass der neue Bundesstaat auf den Aufbau einer Infrastruktur für die Industriegesellschaft ausgerichtet war. Die Binnenzölle verschwanden. Die Schweizer Franken wurde eingeführt. Gegründet wurden die Schweizerische Post. Zudem sah man eine Technische Hochschule vor.

Mit der Eisenbahn ins Industriezeitalter
Eisenbahn und Banken als Motoren der Industrialisierung
Ein Spezialfall war das Eisenbahnwesen. Seit den frühen 1840er Jahre machte die Eisenbahn, die sich von Grossbritannien aus über den Kontinent ausgebreitet hatte, an den Landesgrenzen in Basel und Lindau halt. Die Teststrecke mit der Spanisch-Brötli-Bahn zwischen Baden und Zürich kaschierte den grossen Nachholbedarf nur notdürfte.
Das Eisenbahnwesen gehöhrten vorerst nicht zu den Kantonsaufgaben. Die Kantone vergaben Konzessionen an private Gesellschaften, an denen sie beteiligt waren. Dennoch mangelte es Geld, sodass der Eisenbahnbau vorerst auf europäisches Kapitel angewiesen. Erst mit der Gründung der Schweizerischen Kreditanstalt entstand in Zürich ein eigenes Institut geschaffen, das der neuen
Herausforderung gewachsen war.

Der Uebergang mit zwei Grundgesetzen
All das wäre nicht möglich gewesen, hätte nach dem 12. September eine Intervention des Auslandes stattgefunden. In der anziehenden, antirevolutionären Stimmung, wäre das durchaus möglich gewesen. Vermittelnd auf der Seite der Schweizerischen Eidgenossenschaft stand letztlich nur Grossbritannien.
Als innerschweizerische Garantie der eigenen Souveränität verstand man die rasche Etablierung eigener Behörden. Bereits am 14. September wurden die Kanton angehalten, bis am 6. November ihre Nationalräte zu wählen. Dann sollten sie sich in Bern, der provisorischen Hauptstadt, versammeln und 10 Tage später den ersten Bundesrat wählen.
Bis dann liess man den Bundesvertrag von 1815 in Kraft. Das sollte das Ausland beruhigen. Erst als der Bundesrat vereidigt war, hob man ihn einseitig auf.
Obwohl das im Vertrag des Wiener Kongresses gar nicht vorgesehen gewesen war. Das war nochmals ein Bruch mit der Rechtstradition!

Ochsentour, Teil 3: Die neue Bundesverfassung oder die Geburt des Bundesstaats

Die Vorgeschichte des Bürgerkriegs ist nun bekannt, die gewaltsamen Auseinandersetzung Ende 1847 ebenso. Nun beginnt die Aufbauarbeit am neuen Staat.

Zu den unmittelbaren Folgen des Bürgerkriegs gehörte die Machtübernahme der siegreichen Strömungen in den Kantonen des Sonderbunds. Bis auf Schwyz fand das auf Basis eines Diktats der Sieger statt.

Die Verfassungskommission
Die Sieger drängten, die beschlossene, des Krieges wegen aber nicht aktivierte Verfassungskommission einzusetzen. Um schnell handeln zu können, bildete man keinen Verfassungsrat, sondern eine Kommission mit 23 Vertretern. Sie repräsentierten alle Kantone außer Appenzell Innerrhoden und Neuenburg.
Oesterreich reagierte scharf, der Bundesvertrag von 1815 könne nicht abgeändert werden. Dass Sanktionen dann ausblieben, hatte vor allem damit zu tun, dass im Februar 1848 in halb Europa liberale und soziale Revolutionen ausbrachen, welche die Regimes stürzen wollten, die sich auf den Wiener Kongress beriefen. Der Sonderbundskrieg in der Schweiz war dazu ein Vorspiel gewesen.

Geheime Sitzungen noch geheimere Vorberatungen
Mitte Februar nahm die Verfassungskommission ihre Arbeit in Bern auf. Man tagte im Aeusseren Stand, dem ehemaligen Jugendparlament des Ancien Regimes. Doch war der Blick nicht mehr in die Vergangenheit, sondern an der Ausgestaltung der Zukunft ausgerichtet.
Die Sitzungen waren nicht-öffentlich. Ein Verhandlungsprotokoll gab es nicht, Indiskretionen an die Medien schon. Die Radikalen kritisierten die Geheimniskrämerei, denn sich fürchteten, es käme zu weitreichenden Kompromissen an die föderalistisch gesinnten Vertreter der ehemaligen Sonderbundskantone.
Zwar waren alle Abgesandten freisinnig, doch hatten sie unterschiedliche Legitimationen. Da waren Kantone, die schon während der Regeneration für einen Bundesstaat votiert. Doch waren da auch Sonderbundskantone, der Behörden man gerade abgesetzt hatte.
Entsprechend versammelten sich die katholischen Freisinnigen noch etwas geschlossener. Unter Führung des Oltner Vertreters Martin Munzinger, einem liberal gesinnten Kaufmann, bildeten sie einen inneren Kreis, der die Verhandlung jeweils am Vorabend vorwegnahm, um sie am Folgetag auch als Minderheit beeinflussen zu können. Dafür versammelte man sich regelmässig im Zunfthaus zu Schmieden.
Das Ganze sollte stilbildend für die Schweizer Politik bleiben. Denn die informellen Absprachen sind bis heute wichtig. geblieben.

Ausgestaltung von Regierung und Parlament
Zwei institutionell entscheidende Probleme mussten geklärt werden. Da war die Ausgestaltung des Parlaments resp. der Regierung. In beiden Fällen fand man sich in einer ausgleichenden Position.
Bei der Regierung war der Konsens noch größer. Durchgesetzt hatte sich die Variante mit 5 Bundesräten, gewählt vom Parlament. Mit 9:10 scheiterte ein Vorschlag ganz knapp, der vorgesehen hatte, dass je zwei Bundesräte von Repräsentanten- resp. Ständekammer gewählt werden sollten, während man den fünften in einer Volkswahl erkoren hätte.
Weniger einig war man sich bei der Ausgestaltung des Parlaments. Ursprünglich ging man von zwei Kammer mit asymmetrischen Rechten aus. Dominieren sollte die Repräsentantenkammer. Die Ständekammer sollte nur eine Einsprachemöglichkeit bei Fragen haben, die die Kantone direkt betrafen. Durchgesetzt hat sich aber ein symmetrisches Parlament, wobei sowohl die Beratungen wie auch die Abstimmung separat durchzuführen seien. Uebergeordente Aufgaben wie die Wahl des Bundesrats wurden in einer gemeinsame Versammlung entschieden. Dabei wurde die Ständekammer, die aus der 22köpfigen Tagsatzung hervorging, verdoppelt, um den Kantinen ein grösseres Stimmengewicht zu geben.
Die Mitglieder der Ständekammer bestimmten die Kanton nach freiem Ermessen, während es in der Repräsentantenkammer eine Stimme auf 20000 Einwohnern gab. Ein Bevölkerungswachstum sollte ihre Stimmkraft bei gemeinsamen Entscheidungen stärken. Gewählt wurden sie kantonal, wo kleinere Wahlkreise erlaubt waren. Bestimmt wurden die Repräsentanten nach dem damals üblichen Mehrheitswahlrecht.
Nach 31 Sitzungen in 51 Tagen war das Werk vollbracht. Unter Einflussnahme der katholischen Freisinnigen war es zu einem Kompromisswerk gekommen.
Nun sollten die Kantone darüber befinden. Modifiziert wurde nur wenig. Die beiden Parlamentskammern sollte National- resp. Ständerat heissen. Und er Bundesrat sollte 7 statt 5 Mitglieder haben. Drei Kantone, Bern. Zürich und Waadt, sollten einen festen Sitz bekommen. Die anderen Kantone sollten sich in die 4 verbleibenden teilen.

Der Ja des Kantons Bern
Noch mussten die Kantonsparlamente resp. das Männervolk endgültig entscheiden. Den strenggenommen war man immer noch ein Staatenbund, der auf der Basis des Bundesvertrags von 1815 handelte. Mit Spannung wartete man auf die Entscheidung im Kanton Bern. Denn es war damals der grösste und wichtigste Kanton. Bekannt war auch, dass die Protagonisten in der Regierung unterschiedliche Meinungen hatten. Regierungsrat Jakob Stämpfli, ein veritabler Radikaler, ging in die Opposition. Ihm waren die Kompromisse mit den Liberalen und Föderalisten zu weitreichend ausgefallen. Regierungspräsident Ueli Ochsenbein hielt dagegen. Er vertrat den Standpunkt der Verfassungskommission, die er ja präsidiert hatte, loyal. Doch entfernte er sich damit von den Radikalen.
Vor dem bernischen Großen Rat stießen beide Wortführer aufeinander. Die NZZ schrieb, das sei der Schicksalsmoment der Bundesverfassung. Man erinnerte sich an das entscheidende Nein des Kantons Luzern bei der ersten Revision von 1832/33.
Diesmal kam es anders. Bern stimmte zu, und zwar sowohl in der Abstimmung des Grossen Rates wie auch in den Bürgersammlungen in den Gemeinden.
Das neue Verfassungswerk war geboren.

Ochsentour, Teil 2: die Eidgenossenschaft driftet auseinander

Der Bürgerkrieg ist ein bewaffneter Konflikt zwischen verschiedenen Gruppen eines Staates auf seinem Gebiet. Ziel ist die alleinige politische Macht. Dafür braucht es einen störernden Gegner, der abgesetzt oder vertrieben werden muss.
Bürgerkriege haben eine Vor- und eine Nachgeschichte. Die Nachgeschichte des Sonderbundskriegs ist die Gründung des Bundesstaats 1848 mit dem Prozess des nation buildings bis 1891. Die Vorgeschichte umfasst den Uebergang von 1798 bis 1847, um den es hier geht.

Phase des Umbruchs
Angefangen hat alles mit der französischen Besetzung der Schweiz 1798 und der Gründung der Helvetischen Republik. Der Zentralstaat auf demokratischer Basis wurde erstmals zum Vorbild – wenn auch nur für kurze Zeit.
Bereits 1803 ersetzte Napoleon Bonaparte das durch die Mediationsverfassung. Die Demokratie wich einer Herrschaft der Reichen, Zensusdemokratie genannt. Unterhalb des Zentralstaates entstanden 19 teilautonome Kantone.
Der Wiener Kongress brachte eine stärkere Restauration. Die Kantone wurden souverän, nur durch Konkordate bei gemeinsamen Interessen verbunden. Zur Sicherung der verlangten bewaffneten Neutralität wurde der Aufbau der Schweizer Armee erlaubt. Bei den Staatsformen waren die Kantone frei.

Fünf Regimetypen
Neuenburg gehörte gleichzeitig zur Eidgenossenschaft und zum Königreich Preussen; der Kanton war eine Monarchie. Wichtige Kantone wie Bern, Zürich, Basel und Luzern waren Adelsrepubliken wie vor der Franzosenherrschaft. Die Kantone, die Napoleon schuf, waren mit Ausnahme Graubündens Zensusdemokratien. Teilweise fühten sie auch erste Volksrechte wie das Veto ein. Namentlich die kleinen Kantone wie Uri, Schwyz oder Zug kehrten zur Landsgemeinde zurück. Und das Wallis und Graubünden bildeten ihrerseits eine Föderation, wie die Schweiz als Ganzes eine war.
Man hatte also autokratische Regimes wie die Monarchie oder Adelsrepubliken und halbdemokratische wie die Landsgemeindeorte oder die Zensusdemokratien nebeneinander. Richtig demokratisch war noch kein Kanton.

Die Regeneration
Der massgebliche Schritt Richtung Demokratie folgte 1830. Prägende Figur war Ignaz Troxler, Arzt aus dem luzernischen Beromünster. Er entwickelte sich zur vermittelnden Stimme. Er war katholisch, aber liberal. Er befürworte Demokratie, aber auch kantonale Eigenheiten. Vor allem konnte er zum Volks reden.
Im Tessin feierten die Fortschrittlichen ihren ersten politischen Sieg. Angeführt von Stefano Francini, einem Lehrer, der gegen die diskriminierenden Bildungsvorstellungen der römisch-katholischen Kirche kämpfte, bekam der Kanton eine demokratisch legitimierte Verfassung mit Grundrechten wie Pressefreiheit, einem allgemeinen Männerwahlrecht für das Parlament und eine davon separierte Regierung beziehungsweise ein eigenes Obergericht.
Verschiedene Kantone folgten mit neuen oder regenerierten Verfassungen. Der erste Versuch, darauf aufbauend einen neuen Bundesstaat zu gründen, scheiterte allerdings 1833. Der Plan Rossi der Tagsatzung sah einen liberalen Staat mit dem Luzern als Hauptstadt vor. Das Gremium war jedoch gespalten, als der Kanton Luzern in einer Vetoabstimmung Nein zur Hauptstadtaufgabe sagte und das Projekt beerdigte.

Erstmals Weltanschauungen
Das gescheiterte Projekt hinterliess eine weltanschaulich gespaltene Schweiz mit Radikalen, Liberalen und Konservativen.
Die Radikalen wollten einen laizistischen Volksstaat mit ausgebauten politischen Rechten, um sich gegen die katholische Kirche mit ihren Klöstern durchsetzen zu können. Dafür strebten sie nach einer zentral geführten Republik.
Die Liberalen bevorzugten einen Rechtsstaat für die wirtschaftliche Weiterentwicklung. Ihre Regierungsform war repräsentativ-demokratisch, mit einem Parlament, aber ohne Volksabstimmungen.
Die Konservativen wiederum waren gegen einen übergeordneten Staat an sich, denn die volle Souveränität der Kantone sollte bleiben. Die Regierungsformen in den Kantonen sollten den gewachsenen lokalen Traditionen angepasst sein.
Dahinter verbargen sich unterschiedliche weltanschauliche Vorstellungen von Zentralismus und Föderalismus, aber auch eines konfessionell gebundenen vs. laizistischen Staats.

Die Klosterfrage
Heftig umstritten waren vor allem die Klöster – wie dasjenige von Muri im aargauischen Freiamt. Den Radikalen gelang es via Grossen Rat die Schliessung durchzusetzen. Im Kanton Zürich putschten die Konservativen gegen die liberale Regierung, weil sie via Universität eine neue, rationale Theologie durchsetzen wollte.
In diesem Umfeld wurde auch die erste liberale Regierung im Kanton Luzern abgewählt und durch eine konservative ersetzt. Die holten die streng katholischen Jesuiten zurück, um das Bildungswesen im religiös geprägten Verständnis zu führen.

Der Aufbruch in der Heiliggeistkirche
Was danach geschah, haben wir als Eskalation kennengelernt, die im Bürgerkrieg endete. Ochsenbein geriet dabei zwischen die militärischen und politischen Fronten. Er wandte sich erstmals von der Idee des Einheitsstaates ab und befürwortete wie der Staatstheoretiker Troxler einen Bundesstaat mit geteilter Souveränität zwischen Nation und Kantonen.
Das sollte die Arbeit in der 1848 Verfassungskommission prägen.
Den Startschuss dazu gab eine grosse Feier in der vollbesetzten Berner Heiliggeistkirche, an der die Tagsatzung und Gäste auf die Zukunft anstiessen. Noch hatten sie aber einen Bürgerkrieg vor sich.

Stadtwanderer

Ochsentour, Teil 1: Ochsenbein, der Verfassungsvater

Meine «Ochsentour» geht um die Gründung des Bundesstaates vor 175 Jahren. Die erste Station handelt vom kometenhaften Aufstieg von Ueli Ochsenbein, dem Verfassungsvater der Schweiz.

Der Verfassungsvater
Am 16. November 1848 wurde der Berner Ulrich Ochsenbein als erster Bundesrat der Schweiz überhaupt gewählt. Davor war er Vorsitzender der Tagsatzung gewesen, dem höchsten Gremium der Schweizerischen Eidgenossenschaft vor dem Bundesstaat. Das wurde Ochsenbein, weil er Berner Regierungspräsident war, und sein Kanton den Vorsitz hatte.
Als die Tagsatzung entschied, den verhassten Bundesvertrag von 1815 zu revidieren. Den hatte der Wiener Kongress im restaurativen Geist erlassen.
Ochsenbein sollte neue Verfassungskommission präsidieren. Und die ernannte ihn zum Vorsitzen der Arbeitsgruppe, welche die Institutionen des neuen Staates erfinden sollte.
Man kann ihn zu recht den Verfassungsvater der Schweiz nennen.

Die erste Hälfte des Lebens von Ueli Ochsenbein
Geboren wurde Ueli 1811 in Schwarzenegg oberhalb von Thun. Seine Kinder- und Jugendjahre verbrachte er im waadtländischen Marnand und im seeländischen Nidau. Seine Eltern verlor er früh. Ulrich hatte aber auch Glück: Er gehörte zur ersten Generation, die an der jungen liberalen Hochschule in Bern studieren konnte, wurde in der Studentenverbindung Zofingia politisiert, machte das Examen als Fürsprecher und öffnete bald seine eigene Kanzlei. Er heiratete die Schwester seines Geschäftspartners. Mit Emilie Sury hatte Ulrich acht Kinder.

Wilde Freischarenzüge
Was Ochsenbein als Politiker vollbracht hatte, hätte ihm eigentlich einen festen Platz in der Schweizer Geschichte einbringen sollen. Doch es gibt Gründe, warum statt ihm eher General Guisan als Held der Gründungszeit des Bundesstaates gefeiert wird.
Das hat vor allem mit dem Bürgerkrieg zu tun, der sich in den 1840er Jahren anbahnte. Zwei Freischarenzüge 1844 und 1845 der wilden Jugend aus dem Aargau und Bern, welche die Luzerner Regierung stürzten wollten, stoppten Ochsenbeins Militärkarriere.

Das Gefecht von Malters
In Luzern hatten die Katholisch-Konservativen 1841 die Wahlen gewonnen, die liberale Regierung abgelöst und die Jesuiten an der Spitze des Bildungswesens wiedereingesetzt. Das war für die radikal gesinnte Jugend zu viel, und sie schreckte auch nicht vor einem gewaltsamen Putsch zurück!
Den zweiten Freischarenzug führt der frühere Luzerner Regierungsrat Jakob Steiger politisch an, Ochsenbein war für die militärische Leitung zuständig.
Doch scheiterten sie, wie es schon beim ersten Zug der Fall gewesen war. Das entscheidende Gefecht war bei Malters. 120 Männer starben, davon 104 Freischärler, die auf der Flucht erschlagen wurden.
Das war der erste Tiefpunkt in Ochsenbeins Karriere, der seinen Aufstieg in der Militärhierarchie beendete und eine Neuerfindung der Person Ochsenbein nötig machte.

Der Sonderbund
Der katholisch-konservative Sonderbund war das Kernstück des Widerstands gegen den geplanten Bundesstaat. Er umfasste zunächst die fünf Kantone Luzern, Zug, Uri, Schwyz und Unterwalden. Ihnen schlossen sich Freiburg und Wallis an, nicht aber Solothurn. Der Geheimbund hätte unerkannt bleiben sollen. Doch die Freiburger liessen ihren Beitritt vom Grossen Rat verabschieden, was publik wurde.
Zürich verlangte die Auflösung des Sonderbunds durch die Tagsatzung. Diese war gespalten, sie gab das Signal erst, nachdem die fortschrittlichen Kräfte in Genf und St. Gallen bei Nachwahlen den Sieg errungen hatten.
Beschlossen wurde unter Ochsenbeins Führung, die Jesuiten auszuweisen und den Sonderbund aufzulösen. Verfasst werden sollte eine neue, eigene Verfassung. Das war der Plan zu einem Putsch, denn man schreckte vor militärischer Gewalt beim Umsturz nicht zurück.

Der Bürgerkrieg
Der Bürgerkrieg liess nicht lange auf sich warten. Er dauerte vom 3. bis 29. November 1847. Er ist der erste und letzte Bürgerkrieg in der Schweizer Geschichte.
Zuerst griffen die Kantone des Sonderbunds sowohl das Freiamt im Aargau als auch den Kanton Tessin an. Damit wollten sie die Eidgenossenschaft von Süden nach Norden teilen. Das sollte die Verbindung von Zürich nach Bern kappen, aber auch ausländischen Mächten einen Zugang nach Luzern, dem Zentrum der Reaktion, verschaffen.
Beides misslang, denn die Eidg. Truppen stoppen den Plan und griffen ihrerseits zunächst Freiburg an, das sich ergab, danach Luzern, wo es zu militärischen Kämpfen kam. Doch auch hier obsiegten die eidg. Truppen, sodass sich alle anderen Kantone des Sonderbunds kampflos ergaben.

General Dufour, Ochsenbeins Gegenspieler
Man vergleicht den Sonderbundskrieg gerne mit dem amerikanischen Sezessionskrieg von 1861 bis 1865. Auch da ging es um die Durchsetzung einer zentralen Macht gegen föderale Widerstände. Anders als da gab es aber keine grosse Zahl an Getöten und Verletzten.
Das war das Verdienst von Guillaume Henri Dufour, dem General der verbliebenen eidg. Truppen im Sonderbundskrieg. Er lehrte seine Truppen, gerade in einem Bürgerkrieg nicht gegen Feinde, sondern gegen Brüder zu kämpfen. Entsprechend verhalten fiel die Aktion aus. Am Ende gab es 86 Tote bei knapp 180’000 Mobilisierten. Das waren weniger als im Freischarenzug von Ochsenbein vier Jahre zuvor.

Ueberwindung der gespaltenen Schweiz
Der Sonderbundskrieg hinterliess allerdings eine extrem desintegrierte Schweiz, an deren politischer Ueberwindung die Verfassungskommission der Tagsatzung im Februar 1848 zu arbeiten begann.
Der Politiker Ochsenbein sollte da wieder eine führende Rolle spielen, wenn auch nicht mehr die gleiche wie im Freischarenzug.