C&A: Clemens & August Brenninkmeijer und ihr globales Erbe

Die Niederlande in Bern (Teil 8)

Nimmt man den Index der Globalisierung zur Hand, den die Konjunkturforschungsstelle 2019 publizierte, ist die Schweiz das globalisierteste Land der Welt. An zweiter Stelle liegt übrigens die Niederlande. Beide Länder kommen auf 91 von 100 möglichen Punkten.
Die C&A Mode KG ist da ein typisches Beispiel für ein Unternehmen in Zeit der Globalisierung. Gegründet wurde das Unternehmen 1841 in der niederländischen Gemeinde Sneek (heute Zuidwest-Friesland). Heute ist C&A in 24 Ländern mit mehr als 2000 Filialen präsent und beschäftigt alleine in der Produktion knapp eine Million Mitarbeitende.
Der Firmenname leitet sich von den Namen der Firmengründer ab, die Clemens und August hiessen, abgekürzt C&A. Gerade mal 20-jährig hoben sie das Unternehmen aus der Taufe. Bis heute entspricht die Firmenstruktur nicht dem, wie man sich ein globalisiertes Unternehmen gemeinhin vorstellt.
C&A ist bis heute ein Familienunternehmen. Wer Eigner werden will, muss zur Sippe der Brenninkmeijers gehören, einen niederländischen Pass besitzen und streng entsprechend dem römisch-katholischen Glaubensbekenntnis leben.
Zahlreiche Mitglieder der Unternehmensleitung leben in der Schweiz, beispielsweise in ländlichen Gebieten am Aegerisee oder am Albis, aber auch in vornehmen Agglomerationsgemeinden von Zürich oder Basel.
In den 1990er Jahre geriet das Unternehmen in die Krise und wurde diversifiziert. Dabei ging C&A in die Cofra Holding AG über, mit Sitz im steuergünstigen Zug. Zur Holding gehören auch Immobilien-, Finanzdienstleistungs- und Private-Equity-Firmen.
Der Wert der Holding soll heute mindestens 25 Milliarden Euro betragen. Damit gehören die Brenninkmeijers zu den reichsten Europäern überhaupt. Manager müssen sich mit 55 Jahren zurückziehen und Firmeneigner ihre Anteile mit 65 verkaufen. Seit der Restrukturierung in den 1990ern dürfen übrigens auch Frauen FirmeneignerInnen werden.
Immer wieder wird in der Öffentlichkeit, angeheizt durch NGOs, zu skandalträchtigem Verhalten der Unternehmen spekuliert. Das gilt etwa für die Verwendung waschaktiver Substanzen, die die Abwasser belasten, aber auch für den Einsatz von Kinderarbeit zur kostengünstigen Produktion. Mehrfach wurden dem Unternehmen auch vorteilhafte Rankings attestiert.
Unabhängig vom Aktienbesitz sind die Stimmenanteile unter den Teilhabern gleichmässig verteilt. Für uns von besonderer Bedeutung ist, dass die Entscheidungen stets im Konsensverfahren gesucht werden. Ziel ist es, Aufspaltungen der begehrten Firma zu vermeiden. Sollte es dennoch zu Streitigkeiten kommen, hat man ein eigenes Familiengericht.
Der Sitz von C&A in Bern ist durchaus interessant. Denn hier, wo wir jetzt stehen, stand dereinst das Restaurant Falken. An diesem Ort residierte vor der Reformation der Bischof von Lausanne. Bern gehörte kirchlich seit dem 13. Jahrhundert zu seinem Bistum und während er in Bern seinen Geschäften nachging, hatte er im Vorläuferbau des Restaurants Falken seinen festen Amtssitz.
In meinem früheren Leben als Meinungsforscher rund um Abstimmungen bin ich nach der Volksentscheidung über die Aufhebung der Pauschalbesteuerung von Ausländern von der Cofra Holding AG eingeladen worden, eine Abstimmungsanalyse zu machen. Die Brenninkmeijers tagten in den Zuger Firmenräumen und interessierten sich vor allem für meine Einschätzungen zu Steuerregimes in der Schweiz.
Meinerseits interessierte mich, ob die Brenninkmeijers gewusst hätten, dass sich ihre Berner C&A-Filiale just im früheren Amtssitz des Bischofs von Lausanne befindet. Sie waren ganz schön amüsiert, verneinten aber ein Vorwissen.
Mein Ausstieg aus der Geschichte zu den Niederlanden in Bern basiert also auf Zufall. Mit der geraden Linie von der Reformation in der Schweiz, zum Calvinismus in den Niederlanden, der Religionsfreiheit im nachrevolutionären Europa hin zum ausserordentlichen Traditionsbewusstsein niederländischer Katholiken ist es also nicht allzu weit her. Es wäre ja zu schön gewesen…
Fertig!
Foto: Stadtwanderer

Wofür der Holländerturm eigentlich steht

Die Niederlande in Bern (Teil 7)

Häufig werde ich gefragt, ob der «Holländerturm» in Bern eigentlich eine Windmühle ohne Windflügel sei. Gebäudenamen und -formen legten dies jedenfalls nahe.
Ich muss dies regelmässig verneinen!
Das Gebäude stammt aus dem 13. Jahrhundert und war ursprünglich ein Teil der Stadtbefestigung gegen den natürlichen Graben hin, jetzt als aufgefüllter Bärenplatz bekannt. Die Form dürfte von jener einer «Motte» herrühren, einem mittelalterlichen Wehrtürmen, die auch bei uns verbreitet war.
Der beste Beleg für den Irrtum der populären Namenskunde ist, dass der Name «Holländerturm» erstmals erst um 1896 nachgewiesen ist. Davor hiess er «Raucherturm».
Den anfänglichen Namen hatte er von den Offizieren in fremden Diensten während des 30jährigen Krieges. Als sie nach 1648 aus den Niederlanden nach Bern zurückkehrten, waren viele süchtig und suchten nach einen Ort, um ungestört paffen zu können. Dafür erwarben sie den leerstehenden Wehrturm, bauten die Dachkammer aus und nutzen sie quasi als erstes «Fixerstübli» der Stadt.
1891 feierte man Bern gleich mehreres: zuerst 700 Jahre Stadtgründung, dann 600 Jahre Eidgenossenschaft. Der Raucherturm wurde renoviert und verharmlosend in «Holländerturm” umbenannt.
Nun kann man diese Namensänderung auch in einem anderen Kontext deuten. Bestehend bleibt der Bezug zur Niederlande!
1891 wird in der Schweiz der 1. August erstmals als Bundesfeiertag begannen. Freisinnige und Katholisch-Konservative schlossen politischen Burgfrieden. Letztere bekamen einen Sitz im bisher rein freisinnigen Bundesrat, eingeführt wurde die Volksinitiative.
Hintergrund dafür waren die Folgen des 1874 eingeführten Referendumsrechts. Die Freisinnigen, die bis dann alle Wahlen gewonnen hatten, verloren nun zahlreiche Volksabstimmung in Serie.
Das zwang sie, ihr Verhalten im Parlament zu ändern. Statt die Mehrheitsmeinung gegen Widerstände durchzudrücken, waren nun Verhandlungen zwischen Mehr- und Minderheit angesagt, um das Ergreifen des Referendums zu vermeiden.
Die Politikwissenschaft sieht darin den Uebergang zur Konsensdemokratie. Zu deren Eigenheiten gehört, dass die politischen Prozesse auf Kompromisse angelegt sind. Das wird der Wettbewerbsdemokratie gegenüber gestellt, bei der, wie beispielsweise in Grossbritannien oder den USA von Wahl zu Wahl die politische Macht neu verteilt und dann ungebrochen ausgeübt wird.
Nun ist der Erfinder dieser Typologie, Arend Lijphart, ein bekannter niederländischer Politologe. Er hat das alternativen Demokratiemuster anhand der niederländischen Demokratie entwickelt. Geprägt wurde sie durch die konfessionelle Spaltung und die vorrangige Vertretung städtischer Interessen im Staat. Beides hat die führende Rolle liberaler Parteien in der Politik geführt.
Das ist ja in der Schweiz ja nicht gross anders. Und, in beiden Staaten war man bemüht, Konsensregeln zu etablieren und den politischen Konflikt zu mindern: die Parität der Konfessionen und die Inklusion ganzer Gesellschaftsgruppen durch politische Vermittlung. Das Proporzwahlrecht steht sinnbildlich dafür, das eine Mehrparteiensystem, aber auch eine Mehrparteienregierung begründet hat.
Gelehrige AnhängerInnen fand Lijphart nicht ganz überraschend bei den PolitikwissenschafterInnen der Uni Bern. Allen voran hat Adrian Vatter eine schweizerische Version der Theorie der Konsensdemokratie entwickelt. Andere wie Alexander Arens und Rahel Freiburghaus stossen da nach. In ihrem jüngsten Beitrag schreiben sie, dass sich die Schweiz von einer idealtypischen Wettbewerbsdemokratie im 19. Jahrhundert (1848-1891) zu einem Extremfall der Konsensdemokratie (1946–92) entwickelt hat. Seit 1993 ist eine Re-Normalisierung zu beobachten. Dabei folgte man über die Zeit Vorbildern aus der USA “”SisterRepublic”), Deutschland (“Sozialdemokratie”) und der Niederlande (“Konfliktlösung”).
Lijphart bemerkte allerdings einmal, die neuerlich intensive Beschäftigung mit dem Konsensmodell sei eine Folge ihres schrittweisen Zerfalls. Das begann in der Niederlande früher ein als in der Schweiz, wird aber in beiden Staaten sichtbar.
Eine Ursache dafür ist der tiefgreifende Wandel der Religionslandschaft. So ist in den Niederlande seit 2015 die Mehrheit der EinwohnerInnen konfessionslos; in der Schweiz waren es bei der jüngsten Erhebung 25 Prozent, Tendenz steigend!
Dahinter stehen Entkirchlichung der Gesellschaften durch Säkularisierung. das erlaubt individualisierte Lebensläufe. Es trifft die reformierten Glaubensgemeinschaften stärker als die katholische. Ihre Zahl ist denn in beiden Ländern hinter die der Konfessionslosen, aber auch der Katholiken zurückgefallen.
Vielleicht sollte man vor dem Holländerturm über diese Tendenzen des sozialen und politischen mehr nachdenken, als nach den jederzeit inexistenten Windflügel zu suchen. Prominent hingewiesen wurden wir nämlich durch einen niederländischen Wissenschafter.

Der König der Niederlande erzwingt die erste Volksabstimmung in der Schweiz

Die Niederlande in Bern (Teil 6):

In seinen Grundzügen entstand der heutige Bundesstaat 1848. Im globalen Vergleich war die Demokratie, die so entstand, fortschrittlich; heutigen Anforderungen an die Demokratie mag sie nun bedingt genügen.
Das Volk wählte den Nationalrat im Mehrheitsverfahren, die Kantone, in der Regel vertreten durch ihre Parlamente, bestimmten die Ständeräte. Die Bundesrat ging aus einer Wahl in der Vereinigten Bundesversammlung hervor. Ein parlamentarisches Regierungssystem, wie man vermuten könnte, ging daraus jedoch nicht hervor. Weder konnte das Parlament die Regierung vorzeitig entlassen, noch war es der Regierung erlaubt, das Parlament aufzulösen.
Beides regelte die erste Bundesverfassung mi festen, damals dreijährigen Amtszeiten. Die jungen Institutionen sollten so geschützt werden. Vorgesehen war nur ein vage formuliertes Vorgehen für eine Totalrevision, nicht für Partialrevisionen. Denn die damalige Bundesverfassung galt als wichtigste Garant für die Unabhängigkeit des Landes.
Trotzdem musste man die Bundesverfassung verbessern könnten. 1874 war dies mit der ersten zuerst geglückten Totalrevision der Fall. Dazwischen gab es Probleme. Denn man hatte die Menschenrechte, welche 1789 die Französische Revolution deklariert hatte, nur beschränkt umgesetzt. Namentlich fehlte eine Garantie der Religionsfreiheit. Sie galt nach schweizerischem Verständnis nur für beiden christlichen Konfessionen römisch-katholisch und evangelisch-reformiert.
Als sich der junge Bundesstaat anschickte, mit dem Ausland lebensnotwendige Freihandelsverträge abzuschliessen, sollte genau das eine diplomatische Krise auslösen.
Allen voran ging 1863 ausgerechnet das Königreich der Niederlande! Denn die Niederländer hatten mit die Religionsfreiheit bereits fest verankert. Mit dem Hinweis auf die fehlenden Grundrechte der jüdischen Gemeinschaft in der Schweiz verweigerte das Königreich die Ratifizierung des vorbereiteten Freihandelsvertrags. Das Kaiserreich Frankreich doppelte nach, indem es mit der gleichen Begründung auf Verhandlungen mit der Schweiz gar nicht eintrat. Das Veto des Nachbar hatte Gewicht!
Innert Jahresfrist akzeptierte das eidg. Parlament in der Bundesstadt Bern die Bedingung. Vorangegangen war allerdings eine hitzige Debatte zur Niederlassungsfreiheit der Juden resp. der Kantonssouveränität. Schließlich entschied man sich für Ersteres.
Mit der Ratifizierung der Handelsverträge mit Frankreich und der Niederlande begannen die innenpolitischen Probleme jedoch erst. Denn neuen Niederlassungsrechte galten nur für die Juden dieser Länder, nicht aber für alle anderen, auch nicht für die Schweizer Juden. Der Bundesrat lancierte darauf hin das erste eidgenössische Abstimmungswochenende. Entschieden wurden über neun einzelne Vorlagen.
Am 14. Januar 1866 war soweit: Angenommen wurden jedoch nur der neue Verfassungsartikel zur Niederlassungsfreiheit. Er stellte hierzu alle Schweizer Bürger, also auch die jüdischen. gleich. Alle anderen Neuerungen lehnte der Souverän jedoch mehrheitlich ab. Dazu zählte das Stimm- und Wahlrecht für alle Niedergelassene auf kommunaler und kantonaler Ebene, ihre Besteuerung und die generelle Glaubens- und Kultusfreiheit. Erst mit der Totalrevision der Bundesverfassung 1874 wurden diese Einschränkungen aus dem Weg geräumt und die Gleichstellung der Juden auch in politischer und religiöser Hinsicht gewährleistet.
Rückblickend kann man sagen, Wirtschaftsinteressen der Schweiz brachten Fortschritte bei den Menschenrechten, die man bis anhin verweigert hatte. Allerdings war es kein freier Wille, sondern Druck aus dem Ausland, den ausgerechnet zwei Monarchen, allen voran der König der Niederlande, vorbereitet hatte!

1806: Die Niederlande wird monarchistisch, die Schweiz bleibt republikanisch

‪Niederlande in Bern (Teil 5):‬
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‪Mit der französischen Revolution ändern sich aber die Verhältnisse grundlegend: Aus den Niederlanden wird eine Monarchie, die Schweiz bleibt eine Republik.‬
‪Napoleon hatte ein unbekümmertes Verhältnis zu Grösse. Unterworfene Staaten nannte er nach ihren mythischen Ursprungsvölkern. Aus den Niederlanden wurde die Batavische Republik, aus der Eidgenossenschaft die Helvetische Republik. Beides erinnerte an keltisch-germanische Stämme, die nach der Eroberung durch die Römer in einer neuen fränkischen Gesellschaft aufgingen. ‬
‪Die Batavische Republik wurde allerdings nur 11jährig; sie dauerte von 1795 bis 1806. Am Anfang stand ein von Frankreich diktierter Friedenvertrag. Er auflegte den neuen «Bataviern» 100 Millionen Gulden Kriegsschulden, und sie mussten 25000 Soldaten für die französischen Armee stellen. Beide Staaten gingen dafür eine umfassende Militärallianz ein, vor allem gegen Grossbritannien, aber auch gegen Oesterreich gerichtet. ‬
‪Die Staatsform war nun eindeutig zentralistisch. Die frühere Konföderation mit der Provinz Holland als «Vorort» wurde überwunden. Realisiert wurden mit dem neuen Regime Ansätze der Menschenrechte und der Demokratie. Zu ersteren gehörte die neu eingeführte Religionsfreiheit. Um die demokratische Entwicklung zu beschleunigen, kam es 1798 zum ersten Staatsstreich; dessen Errungenschaften wurden jedoch 1801 im zweiten Staatstreich wieder zurückgenommen. ‬
‪1806 beendete er das republikanische Experiment ganz, indem er seinen Bruder Louis als neuen König von Holland einsetzte. Damit war auch die Spur hin zur bleibenden Monarchie gelegt, wie wir heute wissen. Der Wiener Kongress schuf 1815 einzige eine grössere Monarchie mit dem heutigen Belgien, das sich aber 1830 bereits wieder abtrennte.‬
‪1795 verfolgte das regierende Direktorium in Paris noch die Absicht, der modernen Republikform als Alternative zu den vorherrschenden Monarchien den Durchbruch zu verschaffen. Entstehen sollten revolutionäre Tochterrepubliken. Das wollte Napoleon auch, als er 1798 die Eidgenossenschaft besetzen liess. Wiederum sollte eine zentralistisch gesteuerte Tochterrepublik entstehen. Frankreich war auch auf der Siche nach militärischen Verbündete, diesmal allerdings mehr gegen Oesterreich und Russland gerichtet.‬
‪Mit der Helvetischen Republik gingen auch demokratische Neuerungen einher. Alle Erwachsenen Männer der Helevtischen Republik erhielten nun das Wahlrecht. Die Behörden konnten sie zwar nicht direkt wählen, aber Wahlmänner, die ihrerseits das Parlament wählten. ‬
‪Widerstand erfuhr Frankreich bei den «Helvetiern» bei der Realisierung der Religionsfreiheit. Das Parlament der Republik entschied sich, eine christliche Nation zu sein, was sich direkt gegen die Gleichstellung der Juden richtete. ‬
‪In der Helvetischen Republik wurde wie in der Batavischen „geputscht“, hier gleich vier Mal. Am Ende eskalierte alles in einen Bürgerkrieg. Der entzündete sich ausgerechnet an der ersten Verfassungsabstimmung in der Schweiz. Mit der wollte Napoleon einen Ausgleich zwischen Zentralismus und Regionalismus schaffen, erfolglos! Nötig wurde eine weitere Verfassung ohne demokratische Legitimation einzuführen. ‬
‪In der Schweiz wurde das revolutionäre Projekt bereits 1803 nach nur sechs Jahren beendet. Geschaffen wurde jetzt ein Bundesstaat mit ausgedehnten Kantonsrechten. Zu den 13 alten Orten kamen neu auch sechs «napoleonische» Kantone hinzu. Der Wiener Kongress fügte 1815 drei weitere Kantone hinzu und legte erstmals die Grenzen der «Schweizerischen Eidgenossenschaft» fest. ‬
‪Zwangsläufig war die so gefestigte republikanischen Grundstruktur allerdings nicht. 1806, als Frankreich das Königreich Holland schuf, spekulierte man auch damit, ein Königreich Baden aus dem Grossherzogtum Baden im heutigen Südwesten Deutschlands und der deutschsprachigen Schweiz zu schaffen. Diese wäre so in die zähringische Wiege zurückgelegt worden. ‬
‪Nicht auszudenken, was mit uns passiert wäre, wenn dieser Fusionsplan geschaffen worden wäre!‬

Der 11. September (1709)

Die Niederlande in Bern (Teil 4)
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Ihre Heimat war das osmanische Reich, heute vereinfacht gesagt die Türkei. 1592 schrieb der niederländische Gelehrte Carolus Clusius ein Buch über sie, das sie über Nacht begehrt machte. Die Rede ist von den Tulpen aus Holland. Sie sollten Wirtschaftsgeschichte schreiben, und das bis nach Bern.
Angefangen hatte alles mit der Eröffnung der Amsterdamer Börse 1612. Gehandelt wurden da unter anderen Tulpeneinkäufe. Eine eigentliche Tulpenmanie entstand. Namentlich in den 1630er Jahren erreichte sie bisher unbekannte Ausmasse. Sie liess die Preise ins Unermessliche steigen. 1637 stürzten sie jedoch ebenso unermesslich ab.
Geplatzt war damals die erste Spekulationsblase der Geschichte. Nun war nur noch vom Tulpenschwindel die Rede. Selbst in Bern zeitigte er Auswirkungen. Denn auch hier hatte man sich fleissig an der neuen Einkommensmöglichkeit in Amsterdam beteiligt. Verdienen ohne zu arbeiten kannte das Berner Patriziat ja bereits bestens.
Oekonomisch wichtiger und politisch umstrittener waren im 17. und 18. Jahrhundert jedoch die fremden Dienste. Da man selber kein stehendes Heer hatte, könnte man reichlich Söldner liefern. Traditionellerweise war das für Frankreich der Fall. Allerdings gab es kein Monopol, nicht zuletzt, weil Frankreich katholisch war. Die calvinistische Niederlande bot da für reformierte Orte wie Bern eine willkommener Ausweg.
Tragischer Held meiner Ortsgeschichte ist Gabriel von May. Seine Familie war Ende des 15. Jahrhunderts als Zitronenhändler aus Norditalien nach Bern gekommen. Da steig sie wegen des unternehmerischen Talents rasch in die führenden Kreise auf. Das von Mayhaus mit dem prunkvollen Erker zeugt bis heute davon.
Gabriel wurde 1661 als Sohn eines Kleinrats und damit Regierungsmitglieds in Bern geboren. 32jährig trat er auf niederländischer Seite in das Berner Regiment von Müllinen ein. Als dessen Eigentümer avancierte er nach mehreren Feldzügen im Span. Erbfolgekrieg 1709 zum Brigadier.
Da führte er im gleichen Jahr in Malplaquet, heute in Belgien gelegen, sein Regiment in die Schlacht zwischen Frankreich und den Niederlanden. Und er traf am 11. September 1709 auf seinen Vetter Hans-Rudolf, ebenfalls Brigadier, aber für Frankreich arbeitend.
8000 Eidgenossen blieben an diesem Tag für das Königreich resp. die Republik auf dem Feld liegen.
Das Ereignis sorgte für beträchtlichen Wirbel in der europäischen wie auch eidgenössischen Oeffentlichkeit. Selbst die Tagsatzung musste sich mit dem ausserordentlichen Fall beschäftigen und erliess eine Weisung. Fast 100 Jahre kämpften danach Eidgenossen in einer Schlacht nicht mehr auf beiden Seiten.
Gabriels Aufstieg im aristokratischen Bern trug das Desaster jedoch keinen Abbruch. Er quittierte den Militärdienst nach der Schlacht, heiratete Juliana Effinger aus gutem Hause und politisierte als Grossrat. 6 Jahre lang war er zudem Landvogt in Moudon. 1735 wurde er, wie sein Vater es gewesen war, Kleinrat.
Eine richtige Katastrophe für das damals überaus reiche Berner Patriziat ereignete sich noch zu seinen Lebzeiten. Wiederum stand 1720 ein Börsencrash am Anfang, diesmal aber nicht in Amsterdam, sondern in Paris und London gleichzeitig. Das florierende Privatbankenwesen Berns wurde dabei arg in Mitleidenschaft gezogen. Es sollte sich nicht mehr wirklich erholen und ist seither keine führende Branche mehr, wenn es um Geschäfte in Bern geht.
Bild: Schlacht von Malplaquet, 11.9.1709 (Sammlung Online-Belvedere)

Republiken, Republiken, Republiken

Niederlande in der Schweiz (Teil 3)
Zurück zu Teil 2: Wie die Reformation die frühe Niederlande begründete.

Wir stehen vor dem Gerechtigkeitsbrunnen aus dem Jahre 1543. Er steht in seiner ganzen Symbolik für die Reformation, versteckt auch für die Republik. Auf dem Postest steht Iustitia mit verbundenen Augen und der Waage in der Hand. Das meint, das Recht soll unabhängig von der Herkunft gelten. Die Frauenfigur überragt auch alle damaligen Herrscher: den Kaiser, den Papst, den Sultan und … ja, bei der vierten Männerfigur gehen die Deutungen auseinander: Die Geschichtsforscher sehen in ihm den deutschen König, die Lokalhistoriker den Berner Schultheiss. Warum?
1576 war ein einschneidendes Jahr für die damalige Staatstheorie. Zuerst veröffentlichte der Franzose Jean Bodin seine «Six livres de la République». Dann doppelte der Josias Simler mit «De Republica Helvetorium» aus der Eidgenossenschaft nach.
Bodins Werk begründete die neue Souveränitätslehre. Demnach war nicht nur der Kaiser souverän. Vielmehr plädierte er für eine wohlgeordnete Monarchie mit Gesetzen, Republik genannt.
Bodin behandelte auch die Eidgenossenschaft, die er als aristokratischen Staatenbund charakterisierte, entstanden aus einer Liga verbündeter Orte im Kaiserreich. Genau das führte der Theologe Simler mit der ältesten Landeskunde der Schweiz aus.
Traditionell geblieben seien Kantone wie Uri, Schwyz, Unterwalden, Glarus, Zug und Appenzell mit ihren Landesgemeinden. Bern, Freiburg, Solothurn und Luzern waren Patriziate mit Grundbesitzern in den Städten lebten. Zürich, Schaffhausen und Basel wiederum kannten Zunftregimes mit einer gewerblich ausgerichteten Führung der Stadt. Für ersteres verwendete er den Begriff der Demokratie, für letzteres den der Republik.
Simlers Landeskunde erschien, wie es sich noch gehörte, in Latein, wurde aber auch ins Deutsche und Französische übersetzt. Und, man staune,1613 auch ins Niederländische!
Denn nur drei Jahre nach Erscheinen des Buches in Zürich hatten die Niederländer ernst gemacht mit der neuen Staatsform. Wilhelm I. von Oranien, den wir bereits kennen gelernt haben, führte den Kampf gegen die herrschenden Habsburger aus Spanien an. Diese waren selbstredend Katholiken. Die niederländische Opposition hingegen war calvinistisch. Schriften eines reformierten Theologen aus der Schweiz interessierten da!
Die Geschichtsschreibung beschäftigt sich seither gerne mit dem Vergleich der Niederlande und der Schweiz. Denn nach den traditionellen Republiken in Venedig und Genua waren sie die ersten, die mit der neuen Staatsform experimentierten. Zu ihrer Zeit begingen sie also einen Sonderweg.
Die gemeinsamen Ursprünge der neuen Republiken von damals liegen im Unabhängigkeitskrieg gegen Habsburg. Die Eidgenossen fochten ihn von 1315 und 1477 in einem 160jährigen Prozess aus. Die Niederlande brauchte von 1568 bis 1648 halb solange 80 Jahren.
In den Niederlanden verliefen Reichstrennung und Reformation gleichzeitig. Das führte zum Bruch. Anders in der Eidgenossenschaft, wo beides nacheinander geschah. Die Reformation verstärkte nur die Entfremdung vom Reich in ihren Orten. Der westfälische Friede war ein Einschnitt, aber kein gänzlicher Bruch.
1648 entstand die Republik der sieben Provinzen als eigener Staat. Die Eidgenossenschaft bezeichnete der Friedenvertrag als “Corpus Helvetiorum” als “Staatenbund der Helvetier”.
Das hatte auch Gründe im Innern. Die Reformation in den Niederlanden verlief uniformer. Holland war in der Konföderation immer das Machtzentrum. Und die Oranier sahen sich stets in der Rolle eines Quasi-Monarchen. In der Eidgenossenschaft blieben die lokalen Unterschiede, der Regionalismus und die Wachsamkeit, das keine Zürcher oder Bern zu stark werden konnte.
So haben die frühneuzeitliche Niederlande und Eidgenossenschaft durchaus Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede!

Wie die Reformation die frühe Niederlande begründete

Niederlande in Bern (Teil 2)

Ohne es zu wollen, erschütterte Martin Luther 1517 nicht nur die Glaubenseinheit des christlichen Abendlandes. Er machte auch das christliche Bekenntnis in seinen verschiedenen Formen zu einem wirksamen Instrument im Kampf um Einfluss und Macht in Europa.
Alles begann mit seinem Thesenanschlag in Wittenberg. Am Ende setzte sich im Kaiserreich der Grundsatz «Cuius regio, eius religio» (Wessen Gebiet, dessen Religion.) durch.
Die Eidgenossenschaft war ein frühes Zentrum an Reformationen. Zuerst in Zürich, dann in Bern und schliesslich in Genf setzten sich die Ideen der Neugläubigen durch. Das blieb nicht ohne Gegenwehr. 1529 und 1531 fanden die ersten Religionskriege in Europa auf eidgenössischem Boden statt. Das spaltete die Kantone in konfessionelle Lager.
Erst mit den 1550er Jahren trennte man die verschiedenen reformatorischen Kirchen deutlicher. Das war ein Vorwirkung des Augsburger Religionsfriedens von 1555, der die Lutheraner im Kaiserreich anerkennen, die Calvinisten aber verbieten sollte. Dafür breiteten sich die Hugenotten in Frankreich aus, bis sie 1685 definitiv vertrieben wurden und als Flüchtlinge unter anderem in die Schweiz kamen.
In den Niederlanden wurden die Calvinisten zur vorherrschenden Konfession der Gegner der herrschenden habsburgischen Spanier. 80 lange Jahr lag man miteinander im Krieg. 1579 formierten die sieben nördlichen Provinzen den ersten republikanischen Staat der Niederlande. 1648 legalisierte der Westfälischen Friede diesen Status.
Der «30jährige Krieg» davor verwüstete halb Europa. Gleich zu Beginn des Krieges versammelten die niederländischen Calvinisten auf der Synode von Dordrecht Glaubensbrüder. Auch die Schweizer Reformierten waren dabei. Propagiert wurden eine strenge Lehre und ein gemeinsamer Buss- und Bettag.
Die Schweiz übernahm letzteres, entwickelte aber eine eigene Tradition. Denn man blieb von Krieg und der Pest weitgehend verschont. Selbst die hiesigen Katholiken dankten dankten , wenn auch an einem anderen Tag.
Die Niederlande und die Schweiz sind bis heute als konfessionell gemischte Staaten. Anders als in Belgien oder Oesterreich verlor die römisch-katholische Kirche ihre Vormachtstellung. Anders als in England, Schottland oder Schweden etablierten sich aber keine neuen Nationalkirchen.
Das sollte die politische Kultur der beiden Länder prägen. Davon wird noch die Rede sein.

Alles wird Orange (Oranje)

Niederlande im Bern (Teil 1)


© Urs Baumann

Wie hiess der griechische Meeresgott? Poseidon! Das weiss man doch aus den Beschreibungen der Seefahrten Homers.
Aber Arausio? Das war der ligurischen Wassergott, der das Meer des Volkes von Genua mit Ausläufern ins Rhonetal schützte. Seit die Germanen 105 vor Christus in Arausio die Römer schlugen, weiss man auch um einen Ort mit diesem Namen.
Im Mittelalter wird durch Lautverschiebung daraus «Orange», heute im südfranzösischen Departement Vaucluse gelegen. Ein örtlicher Bischof ist seit dem 3. Jahrhundert nach Chr. nachgewiesen, ein Graf seit dem 9. Jahrhundert. Genau auf diese Grafen hatte es Kaiser Friedrich I. Barbarossa abgesehen, als er versuchte, das ehemalige Königreich Burgund im Rhonetal ins Kaiserreich einzubinden. 1163 beförderte sie zum Prinzen von Orange. Damit macht er die neuen Reichsfürsten zum Getreuen des Kaisers.
19 Prinzen von Orange kennt die Geschichte, bevor der regionale Adel ausstarb. Doch es blieb der Titel. Per Erbschaft ging er an das Haus Nassau in den Niederlanden. Der historisch bekannteste Naussauer war Wilhelm I., der sich zwischen 1544 und 1584 Fürst von Orange und Statthalter von Holland nannte. Er gilt als wichtigster Anführer des niederländischen Aufstandes gegen die habsburgischen Spanier, welche damals die Niederlande regierten. Der 80jährige Unabhängigkeitskrieg endete erst mit dem westfälischen Frieden von 1648 mit dem Austritt aus dem Kaiserreich.
Das war die Geburtsstunde der Niederlande. Wilhelm von Orange, niederländisch Willem van Oranje, ist deshalb der eigentliche Stammvater der Niederländer, der die Farbe Orange in den kontinentalen Norden brachte. Daran erinnern heute sowohl das niederländische Königshaus wie auch die niederländische Nationalmannschaft im Fussball. Beide heissen bis dato “Oranje”.
Letzteres weiss in Bern seit der Euro08 jeder Erwachsene. 100000 Fans aus Niederlanden begleiteten ihre Stars in die Bundesstadt, wo sie allerdings im Viertelfinale gegen Russland ausschied, wenn auch erst in der Verlängerung. Die Kornhausbrücke heisst seither “Korenhuisbrug”, selbstredend in oranger Farbe.
Nur der Bezug zu Arausio, dem ligurischen Wassergott, ist fast ganz in Vergessenheit geraten.
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