ferien(lektüre)

die arbeit ist zu ende. es beginnen die ferien. und die freude auf die ferienlektüre.

für einmal will ich mich nicht vertiefen, in meine spezialthemen. aber ich möchte meinen horizont erweitern, in fachgebieten, in denen ich mich nicht so gut auskenne.
anbei meine übersicht über den bücherkoffer mit 10 ausgesuchten werken für mein reisegepäck!

philosophie:
werner kinnebrock: bedeutende theorien des 20. jahrhunderts. relativitätstheorie, kosmologie, quantenmechanik, chaostheorie. 4. auflage, münchen 2013.

sprachwissenschaft:
andreas unger: von algebra bis zucker. arabische wörter im deutschen. 2. auflage, stuttgart 2013.

geschichte:
martin kaufhold: europas werte. wie wir zu unseren vorstellungen von richtig und falsch kamen. ein historischer essay. paderborn 2013.

soziologie:
bernhard pörksen, wolfgang krischke (hg.): die gehetzte politik. die neue macht der medien und märkte. köln 2013.

politologie:
pierre rosanvallon: die gesellschaft der gleichen. hamburg 2013.

zukunft:
evolution. szenarien für den menschen der zukuft. abstrakt, think tank wire. zürich 2013.

schweiz:
benedikt loderer/stadtwanderer: die landesverteidigung. eine beschreibung des schweizerzustandes. 2. auflage, zürich 2013.

politik:
marina weisband: wir nennen es politik. ideen für eine zeitgemässe demokratie. stuttgart 2013.

lebensweisheiten:
thomas strässle: gelassenheit. über eine andere haltung zur welt. münchen 2013.

unterhaltung:
judith schalanski: atlas der abgelegenenen inseln. fünfzig inseln, auf denen ich nie war und niemals sein werde, 13. auflage, hamburg 2013.

stadtwanderer

die alten und neuen kronenfresser

köniz, 26. juni 2013. die grösste vorortsstadt der schweiz lädt zu einem historischen gedenktag ein. an der türe des gemeindehauses steht: „100 jahre könizer aufstand“. doch am 26. juni 1913 war da nichts, wie ein kleiner gegencheck in google ergibt. viel los war im damaligen dorf jedoch am gleichen tag des jahres 1513. mein bericht der veranstaltung.

gemeindepräsident luc mentha kam gar nicht dazu, alles zu sagen, was er wollte. nur soviel brachte er den weit über 100 anwesenden zuhörerInnen bei: es gehe um den allseits diskutierten stadt/land-konflikt, nicht aus aktuellen anlass, sondern aus einem historischen grund. denn in köniz erhob sich vor genau 500 jahren die jugend an der chilbi zu ehren der kirchweihe gegen die ratsherren aus und in bern. das sei der grund der zusammenkunft, um inne zu halten, nicht um den aufstand zu wiederholen.

dann wurde mentha unterbrochen. schauspielerin satu blanc, verkleidet als magd aus dem 16. jahrhundert, erobert die bühne, um als frau zum damalige geschehen überzuleiten. die männer seien in oberitalien als söldner engagiert gewesen, erläuterte sie, die franzosen habe man erfolgreich aus mailand verdrängt und in novara militärisch besiegt, doch sei der preis hoch gewesen. von 2000 toten habe man gesprochen, und in der bevölkerung der eidgenossenschaft herrsche unruhe, denn niemand wisse, wenn es getroffen habe.

licht ins dunkel der vergangenen ereignisse brachte philippe roggen, spezialist für das söldnerwesen in der alten eidgenossenschaft. denn hans rudolf hetzel, sohn eines angesehenen venners in bern, hatte 2000 junge aus dem bernbiet angeworben. die seien in die picardie marschiert, um dort ausgerechnet dem französischen könig zu helfen, den man tage zuvor mit hohem blutzoll besiegt hatte. grund für den seitenwechsel waren ausgiebige pensionszahlungen: 164 berner ratsherren seien im im solde des königshofes gestanden, geködert mit einer summe, die halb so viel wert war wie der stadtberner haushalt zusammen.

von verrat war die rede, und der unmut habe sich rasch ausgebreitet, erläuterte rogger. dass der dampf in köniz entwich, sei zufall gewesen. denn die wut habe auch in solothurn, luzern und zürich bestanden. doch in köniz marschierten 300 junge männer nach einem feuchtfröhlichen fest ins nahe bern, stürmten die häuser angesehener junker, die im verdacht standen, bestochen worden zu sein. im gegenzug bediente man sich ihrer reichtümer, und machte man so die ganze stadt unsicher.

die eilends herbeigerufenen vermittler aus den anderen eidgenössischen orten schritten zwischen die streitparteien, machten den aufständischen ein angebot, was sie beruhigte. gebrandmarkt wurden die kronenfresser, wie man die geldgierigen ratsherren nannte, namen und höhe der zahlungen öffentlich verlesen worden, und fehlbaren mussten das geld abliefern und von ihren ämtern zurücktreten: mehr als die hälfte des kleinrates war davon betroffen, und ein fast ebenso grosser anteil des grossen rate dazu.

um wieder frieden zwischen stadt und land zu schliessen, vereinbarte man zwischen den parteien den könizer brief, erläuterte historiker roggen gestern: der brachte ein pensionsverbot für berner ratsherren und das konsensgebot bei militärischen schritten zwischen obrigkeit und untertanen.

andré holenstein, bekannter professor für regionalgeschichte an der uni bern, erhellte die grossen zusammenhänge der nicht ganz singulären aktion in köniz. die burgunderkriege hätten die bergler berühmt gemacht und einen söldnermarkt entstehen lassen, mit dem die nachfrage aus frankreich, aus dem kaiserreich und selbst seiten des papstes nach kampfeslustigen burschen aus der eidgenossenschaft rasch gestiegen sei. zwischen der wilden und der organisierten reisläuferei habe konkurrenz bestanden. bis die tagsatzung herr der lage geworden sei, habe es viele einzelkämpfer gegeben, die in ihre eigene tasche gearbeitet hätten – wie eben die berner familie hetzel.

der waffendienst für fremde herren habe sich zur wichtigen einnahmequelle entwickelt, bilanzierte der erfahrene historiker, weshalb aufständische wie die könizer nie aufs ganze gegangen seien. die streiterein hätten sich aber negativ auf die identität der verschworenen gemeinschaft aus früheren zeiten ausgewirkt. von einem bund im heutigen sinn könne man nicht reden, von einer kollektiven sicherheitsregelung schon.

dann wurde holenstein noch grundsätzlicher: den eidgenössischen kleinstädten habe die politische erfahrung gefehlt, um die militärische schlagkraft aussenpolitisch einbringen zu können. vom kaiserreich unabhängig geworden sei man erst wenige jahre zuvor geworden, und die macht der neuen eliten sei letztlich prekär gewesen. deshalb habe man immer wieder auf die zustimmung der untertanen zu aktionen für fremde herren setzen müssen, wie eben im könizer brief.

die reformation 1528/9 setzte der reisläuferein ein vorläufiges ende. bern kehrte erst 1582 zum söldnerwesen zurück, nachdem sich die landschaft in ämteranfragen noch in den 1560er jahren insgesamt unschlüssig gezeigt hatte. der druck aus frankreich, gerade auch der hugenotten, sei schliesslich entscheidend gewesen, bilanzierte holenstein, denn nur wer mit dem französischen könig verhandelt habe, sei berechtigt geweseb, forderungen zu glaubensbrüdern zu stellen.

das bei all dem der bernische alltag des 16. jahrhunderts nicht vergessen ging, lag an satu blanc und ihren regelmässigen einlagen. da war, wie ihre selbst verfasste schilderung eindrücklich aufzeigte, die realität des todes ganz nahe bei den leuten; da ging es um verrohte jungs, die sich nach den erfolgreichen feldzügen in der heimat nicht mehr einordnen mochten, und da kam auch das menschliche zum zuge. man habe zwei verheiratete beim liebesspiel in einer scheune entdeckt, indes nicht mit ihrem ehepartner, sondern über alle erlaubten grenzen hinweg, meinte die magd zum schluss der veranstaltung. das werde im dorf viel zu reden geben – applaus!

am ende des gelungenen abends in köniz 2013 gab einiges zu reden, dass der gemeinderat des veranstaltenden ortes die herren und damen notablen der andern gemeinden zum anschliessenden apéro im benachbarten restaurant lud, nicht aber das gemeine volk. von den “neuen kronenfressern“ war da schon mal die rede, als ich mit dem publikum das gemeindehaus verliess.
für die eilends ausgesprochene einladung an meine adresse, auch zum apéro zu kommen, bedankte ich mich freundlich, nahm sie aber nicht an. zu aufschlussreich war der abend gewesen, über oben und unten im alten (und neuen) bern …

stadtwanderer

der höhe- und tiefpunkt

so wie die schlacht von marignano vom 13./14. september 1515 das ende der grossmachtpolitik der eidgenossenschaft im ausgehenden mittelalter bedeutete, bildet die schlacht von novara den eigentlich höhepunkt eben diese expansion der schweiz mit ihren söldner. geschlagen wurde vor genau 500 jahren.

die schlacht von novara
wir schreiben das jahr 1513. es ist der 6. juni. in den morgenstunden greifen eidgenössische söldern das feldlager des französischen königs, angeführt vom burgundischen general louis de la trémoille, im lombardischen novara an. die überraschung gelingt. zwar wehren sich die landsknechte im solde von louis xii, doch den gascognern gelingt es nicht, rechtzeitig zu reagieren, und das ritterherr bleibt im morastigen boden stecken. den eidgenossen, unter eigenen hauptleuten kämpfend, gelingt es in stellung gebrachte artillerie zu unterlaufen und sich ihrer zu bemächtigen. damit werden die fremden truppen beschossen. schon nach zwei stunden ist die schlacht vorbei; 9000 leben kostet sie. befreit wurde auf diese weise der vertriebene und in novara herzog massimiliano sforza, der nach mailand zurück kehren konnte.

der grosse venezianische krieg
was war geschehen? seit 1494 kämpften verschiedene europäische herrscher in italien; es ging zuerst ging es um neapel, dann um venedig. der grosse venezianische krieg begann 1508. gegen die reiche stadtrepublik an der adria kämpften der könig von frankreich, der kaiser, unterstützt vom papst und von den königen von aragon, von ungarn und von england. zusammengeschlossen war man in der liga von cambrai. doch dann änderten sich die verhältnisse schlagartig. nachdem der französische könig mailand erobert hatte, rief der papst mit der neu gegründeten heiligen liga zur befreiung italiens von den zu stark gewordenen franzosen auf. ihm folgten die venezianer, nach und nach auch die könige von aragonien, von england und der schliesslich selbst der kaiser.
eine wichtige rolle in diesen auseinandersetzungen spielten die seit der schlacht von murten so begehren eidgenössischen söldner. ursprünglich waren sie auf französischer seite in der liga von cambrai. dann folgten sie dem wechsel von papst julius II., und bekämpften sie mit mit der heiligen liga den franzosen. 1512 kam es zu einer vorentscheidung in pavia, die zugunsten der eidgenossen ausging; 1513, bahnte sich die eigentliche entscheidung an, denn frankreich hatte mailand zurückeroberen können, sodass sich deren herzog in novara versteckten musste, um den gegenangriff vrozubereiten. doch dazu kam es nicht, denn franzäsischen truppen kesselten ihn und 4000 getreue eidgenossen in der stadt einkesselten.
da entsandte die tagsatzung weitere 8000 söldner in den süden, wo sie als sieger aus der schlacht vor den toren novaras hervor gingen.
die arg dezimierte truppe von de la trémoille verliess danach italien. denn der general war gleichzeitig stadtherr von dijon, und er fürchtete, seine stadt könnte das nächste angriffsziel sein.
das war nicht ohne grund: der französische könig wurde in pas-de-calais von kaiserlichen und englischen truppen angegriffen, sodass die eidgenossen die gunst der stunde nutzten, unterstützt von kaiserlichen truppen, dijon, die alte hauptstadt burgunds, anzugreifen. louis de la trémoille kapitulierte nach wenigen tagen belagerung im herbst 1513, nachdem er gesehen hatte, dass er einem artillerieangriff nicht würde standhalten können.
im friedensvertrag mit der eidgenossenschaft erfüllte der burgunder die forderungen seiner gegner: frankreich verzichtete auf die städte mailand, cremona und asti, und leistete eine kriegsentschädigung von 400000 kronen. die eidgenossen akzeptierten den papierfrieden und begannen mit dem rückzug. doch hatten sie die rechnung nicht mit frankreichs könig gemacht, denn der erklärte den von seinem vasallen geschlossenen vertrag für nichtig. vermittlungsversuche scheiterten, sodass die kriegerischen auseinandersetzungen in der lombardei 1515 erneut in voller härte ausbrachen, diesmal aber mit der niederlage der eidgenossen in marignano marignano endeten, was frankreich die chance bot, ihnen 1516 den ewigen frieden anzubieten, verbunden mit dem verzicht auf einen eigenen grossmachtpolitik anzubieten.

die folgen für die eigenossenschaft
in der schweizer geschichte stellen die jahre 1511 bis 1516 höhe- und tiefpunkt dar. nie waren die eigenen söldner so erfolgreich wie an diesem 6. juni 1513. nie war ihre niederlage so folgenreich, wie zwei jahre später in marignano. die wende fand in dijon statt, wo die uneinigkeit unter eidgenossen es dem könig von frankreich erlaubt, die niederlagen in italien in einen sieg ebenda umzumünzen.
der ewige frieden hatte weitreichende folgen für die eidgenossenschaft. denn an der frage, wie man mit frankreich umgehen solle, entzündete sich der zwist zwischen bern und zürich. bern war dafür, zürich dagegen. sturm lief daselbst der leutpriester huldrich zwingli, vormals feldprediger in italien, der sich gegen das soldwesen wandte und die damit die reformation der katholischen kirche in der eidgenossenschaft auslöste.
bern hatte schon vor einen konflikt der eigenen art zu bestehen. die jugend von köniz begehrte während der kirchweih von 1513 mit dem vorwurf auf, die berner hauptleute hätten sich den rückzug aus oberitalien bezahlen lassen, was die herren in der stadt bevorteile, die jugend auf dem land aber um ihre einkünfte brachte.
und noch eins hat die schlacht von novara mit auswirkungen bis heute gebracht: im gepäck aus der lombardei brachte die berner söldner einen bären mit, dem sie auf dem heutigen bärenplatz eine erste bleibe einrichteten. seither hat bern ununterbrochen sein wappentier als lebendes exemplar in der stadt.

stadtwanderer

walther hofer, verstorbener historiker des nationalsozialismus, zum gedenken

besonders wenn er seine manuskripte weglegte, war er als hochschullehrer umwerfend. nun ist walther hofer nicht mehr. ein monent der persönlichen erinnerung an einen meiner mentoren.


walther hofer, bei seinem 90. geburtstag (quelle: der bund)

wenn sie den namen “hofer” hören, denke viele schweizerInnen, vor allem ältere, an walther hofer. in der öffentlichkeit war er bekannt als nationalrat und als medienwächter. die berner bgb, dann die kantonale svp vertrat er in der grossen kammer unter der bundeskuppel, und der srg machte sein hofer-club regelmässig beine, mehr im sinne seiner partei zu berichten, statt linken ansichten zu huldigen. vielen linken und journalistInnen dürfte er deshalb der kalte krieger gewesen sein.

der historiker
in vielen veranstaltungen, die ich zwischen 1980 und 1983 an der uni bern bei walther hofer besuchte, habe ich einen anderen menschen kennen und schätzen gelernt. ein typischer liberaler aus dem berner seeland war er, der als wissenschafter forschungsfreiheit gegenüber staatlicher und gesellschaftlicher einflussnahme stets verteidigte. ein historisch-politischer denker und autor war er zudem, der mit ausgewählten federstrichen das wesentliche am 20. jahrhundert aufzeigen konnte. vor allem aber war er ein leidenschaftlicher debattierer. bei kaum einem anderen professor konnte man damals so gut lernen, seine ansicht zu entwickeln und zu begründen, wie mit walther hofer.
im kolloquium zum abschluss meines geschichtsstudium behandelten wird eines der hoferschen spezialgebiete: den nationalsozialismus – und seine erforschung. dass ich dabei über faschismustheorien vortragen wollte, missfiel ihm; der verdacht, das historisch einmalige am nationalsozialismus negieren zu wollen, lag wie ein schatten über der veranstaltung. natürlich lag mir nicht daran, in die bekannte falle tappen zu wollen, hitler mit mussolini gleichzusetzen, menschliche barbarei mit zweitrangigen machthabern zu vergleichen. dennoch ging es mir um übergeordente kategorien der analyse von phänomenen, welche die welt nach dem ersten weltkrieg in atem hielten und der ersten hälfte des 20. Jahrhunderts ihr gepräge gaben. das begriff schliesslich auch der professor, der sich im schwelenden historikerstreit gegen die historisierung des dritten reichs gestellt hatte, die gegenpositionen aber sehr gut kannte.
nach der veranstaltung zitierte mich hofers damaliger assistent, peter maurer, der heutige ikrk-präsident, in sein büro, um sich mit mir zu unterhalten. von wo ich mein wissen habe, wollte er wissen. aus büchern, die ich gelesen hätte, die von wolf wippermann bis reinhard kühnl, antwortete ich. der eine autor gefiel, der andere weniger. ob ich interessiert sei, meine abschlussarbeit als historiker über die zeit der schweiz im zweiten weltkrieg zu schreiben, schob hofers adlat nach. spontan willigte ich ein.
das war 1981. 36 jahre zuvor war der zweite weltkrieg zu ende gegangen. 35 jahre danach öffnete das bundesarchiv seine ordentlichen quellenbestände aus der umstrittenen zeit für die forschung. dank walther hofers engagierter vermittlung erhielt meine studentInnen-generation als erstes zugang zu den heiklen beständen des politischen gedächtnisses der schweiz. aus meiner hand enstand eine umfangreiche arbeit über die schweizer ärztemission an die deutsch-russische front. es ging um das schweizerische rote kreuz, das in russland aktiv geworden war, von der wehrmacht aber missbraucht wurde und nur deutsche verwundete pflegen durfte. es ging um den anführer der ärztemission, eugen bircher, legendärer chirurg aus aarau, später bgb-nationalrat, der für seine deutschfreundlichkeit bekannt war und die grenzen politischen wirkens und ärztlicher verpflichtung vermischte. und es ging auch um minister frölicher, dem damaligen schweizer botschafter in berlin, der die wirtschaftsverhandlungen zwischen deutschland und der schweiz eingeleitet hatte, als diese eingekesselt war, und, der zur aufweichung der fronten, die idee einer rotkreuzmission aus der schweiz an die ostfront ins spiel gebracht hatte. zur vorbereitung eben dieser aktion schickte man bircher, mit führenden mediziniern wie sauerbruch nach berlin. nach seiner rückkehr im mai 1941 berichtete er, wie der streng geheim gehaltene krieg gegen die sowjetunion vorbereitet wurde, wie das die lage in europa ändern würde und was das für die schweiz hiess. wenn nicht als soldaten, so doch als kriegsmediziner sollte ein kleiner teil der schweiz bei dieser grossem moment dabei sein, folgerte bircher. einen durchschlag seines aufschlussreichen memorials schickte er general guisan, dessen persönliches exemplar ich in archivschachteln fand und auswertete. hofer war bass erstaunt, nannte das bisher unbekannte dokument eine trouvaille und liess mir nach abschluss der arbeit den seminarpreis für die genannte entdeckung aushändigen.
genau das war es, was ich am historiker hofer schätzte: seine unabhängigkeit im geist, seine leidenschaft für die sache, und sein credo für die freiheit, selbst wenn das alles einen seiner parteikollegen in nicht eben vorteilhafter weise betraf. denn das besagte dokument war nicht nur von interesse für die armee, es war auch ausdruck der unkritische nähe schweizer persönlichkeiten zu den nazis.

der hochschullehrer

sein ganz grosses ziel, schweizer aussenminister zu werden, erreichte walther hofer nicht. dennoch schwang in seinen seminaren ein hauch von weltpolitik mit, und man wähnte sich, ein wenig der schweizer henry kissinger vor sich zu haben. unübertrefflich war hofer in seinen veranstaltungen, wenn er sein meist austrariertes manuskript weglegte und frei dozierte. denn dann kam sein esprit zum zug, sein holismus, das wesentlichen im ganzen zu erkennen, aber auch seine fähigkeit, angehende historiker mit dem feuer für die geschichte zu beseelen. das war meist dann der fall, wenn es sich eben über einen fachkollegen in deutschland geärgert hatte, der, aus welcher optik auch immer, versucht war, die bedeutung adolph hitlers für das geschehen im 20. jahrhundert zu relativieren. dann blühte walther hofer förmlich auf. scharf in der analyse, behände in der rhetorik und geschickt in der mischung aus vermittelnder didaktik und herausfordender provokation konnte er die argumente seiner gegner einführen, um sie dann mit dialektischem können stück für stück zu widerlegen. war man als student damit nicht einverstanden und widersprach man ihm, steigerte er sich fast bis zur extase, meist um so mehr, je deutlicher und je mehr man ihm entgegnete.
1983 nahm der stilsichere lebemann sein ganzes seminar an studentInnen mit auf seine reise nach berlin. “50 jahre reichstagsbrand” war das thema des grossen kongresses in den klirrend kalten wintertagen des neuen jahres. hofers lieblingsthema quasi, denn mit der untersuchung eben dieses ereignisses samt den folgen für die machtergreifung hatte sich der junge berner historiker einen ruf in deutschland geschaffen, der ihn professor an der freien universität werden liess. der bekannteste geschichtsforscher aus der schweiz in seiner zeit, wurde er genannt, denn sein standardwerk wurde x-fach neu aufgelegt, in mehrere sprachen übersetzung und es fand eine unglaubliche menge an leserInnen. mehrfach, bisweile mit den höchsten preisen ausgezeichnet wurde hofer für sein schaffen in der bundesrepublik. und wenn er nach berlin kam, zollte man ihm respekt: minister verschiedener parteien waren zugegenen, als der berner in der schweizer botschaft an der spree, politiker und diplomaten, gelehrte und lernende, deutsche und schweizer zusammenbrachte, um über das wesen des nationalsozialismus zu sprechen.

der weltzugewandte
sicher, das bild zu walther hofer wäre unvollständig, würde man ihn nicht auch für seine dezidierte ablehnung des bolschewismus zu würdigen. denn die kommunistische sowjetunion war dem anhänger der totalitarismustheorien ebenso suspekt wie das nationalsozialitische deutschland. doch hielt den (welt)offenen historiker, publizisten und politiker auch das nicht ab, linke wie rechte studierende in seinen veranstaltungen abzuziehen und sich mit ihnen zu streiten – intellektuell notabene! so waren seine kurse wahre fundgruben für forschungsergebnisse aus der zeit von 1933 bis 1945, aber auch orte der geistigen auseinandersetzung mit den grossen strömungen des 20. jahrhunderts, welche eine ganze generation angehender historikerInnen an der universität bern prägten. und sie waren eine unverzichtbare vorbereitung für eine aktives leben in der schweizerischen und europäischen zeitpolitik, die ich nicht missen möchte.

claude longchamp