das politische system berns in der reformiert-etatistischen zeit

wenn zürich die lunge ist, durch die die alte eidgenossenschaft atmete, dann ist bern der kopf, der die geschicke politisch lenkt(e). das schreibt joelle kuntz, die welsche historikerin, die mich zu meiner neuen stadtwanderung inspiriert hat. hier die zweite rede zur entstehung des politischen systems der schweiz aus dem bernischen stadt(staat).

bern rathaus, bis heute sitz der regierung und des parlaments des kantons bern wie auch der berner synode, war in der frühen neuzeit dreh- und angelpunkt des bernischen staates und der bernischen wirtschaft.

soziologen der europäischen parteiensysteme betonen, nebst dem gegensatz zwischen linken und rechten parteien finde man in jedem land auch unterschiede. ursache hierfür seien die spezifischen verarbeitungen zurückliegender konflikte wie die französische revolution, die industrielle und die russische. allen vor gehe aber die reformation und ihre folgen.

in der eidgenossenschaft begann die reformation 1523 in zürich, erfuhr sie 1536 in genf eine zweite welle, und endete sie 1712 nach dem zweiten villmergen-krieg mit dem frieden von aarau. und sie verlief lokal unterschiedlich, denn die eidgenossenschaft der damaligen zeit war eher eine militärbündnis, das sich seit 1499 aus der autonomie vom reich heraus definierte, als ein geführter staat.

ursprünge der reformation waren erfahrungen in den italienkriegen, das leichte leben mit dem schnellen geld, die syphilis aus dem unehlichen geschlechtsverkehr, der tod der eidgenössischen söldner, nicht selten durch andere eidgenössischen söldner verursacht, und der versuch, sich ganz auf die seite des französischen königs zu schlagen. dagegen opponierte der züricher leutpriester, huldrich zwingli, selber feldprediger der glarner in oberitalien. nach den schlachtenniederlagen klagte er, gott, der sich im mittelalter auf die seite der eidgenossen, dem auserwählten volk, geschlagen habe, habe sich von ihnen abgewendet, weil man moralisch verwerflich gehandelt habe.

1523 rief zwingli in zürich zur erneuerung der kirche auf. 1526 hätte er seine ideen in baden verteidigen sollen, doch blieb er dieser disputation fern. dafür nahm er 1528 an der berner disputation teil, die den durchbruch der reformation in bern, dann in basel und anderern städten brachte und zu einem bündnissystem unter den städten des neuen glaubens führte. vor allem zürich nützte das, um gegen die innerschweizer vorzugehen. nur dank durck der berner und vermittlung der luzerner gelang, einen bürgerkrieg zu verhindern. die berühmte kappeler milchsuppe erinnert uns bis heute daran. beifügen muss man allerdings, dass der friede nur vorübergehend bestand ielt. denn 1531 entzündete sich der konflikt erneut an der frage, welche religion die untertanengebiete der gemeinsam verwalteten orte anzunehmen hätten, sodass es zur wirklichen schlacht bei kappel kam, bei der zwingli fiel, die züricher besiegt wurden, und die katholische seite ihre vorherrschaft in der eidgenossenschaft behauptete.

bern hatte auf geheiss des kleinen rates 1529 den reformierten glauben angenommen, und ihn in den eigenen untertanengebieten mit volksabstimmungen und militäreinsätzen durchgesetzt. den krieg der zürcher fürchtete die stadt, weil sie rund herum von katholischen mächten umgeben war. zudem hatte sich die reformation in befreundeten städten wie freiburg und solothurn nicht durchsetzen können, sodass man eine allianz der innerschweizer orte mit den savoyischen herzögen als grösste gefahr ansah. erst als man dieses savoyen unter duldung des franzosenkönigs durch den export der reformation im sinne jean calvin in genf durchsetzt und die waadt okkupiert hatte, fühlte sich in der aarestadt sicher. unter hermann bullinger, dem nachfolger zwinglis, gelang es zudem die verschiedenen reformationen unter eidgenossen angesichts der gegenreformation im consensus tigurinus zu vereinheitlichen, womit eine wichtige achse der städte zwischen genf und zürich entstand, die zu einem konstitutiven element der neuzeitlichen eidgenossenschaft werden sollte.

regierungssystem bern im 18. jahrhundert nach altorfer (2010)

die verfassung der berner stadtrepublik beruhte immer noch auf jener von 1293, die könig adolph von nassau erlassen hatte. allerdings hatte sich ihr charakter mehrfach weiterentwickelt. an der spitze stand der regierende schultheiss, der seine meinung nicht äusserte, ausser wenn er gefragt wurde. er stimmte nicht, ausser bei stimmengleichheit; dann galt seine alleinige entscheidung. gewählt war er auf lebzeiten; allerdings stand ihm ein stillstehender schultheiss gegenüber, mit dem er jedes jahr an ostern das amt tauschen musste. der kleine rat, bestand neu aus 27 mitgliedern. den engeren kreis der regierung nannte man geheimrat, bestehend aus dem stillstehenden schultheiss, den vier vennern, dem deutschsäckelmiester und zwei heimlichen, welche die regierungstätigkeit überwachten. die übrigen kleinräte, zu denen der schultheiss selber auch zählte waren der welschsäckelmeister, der salzherr, der zeugherr und die 15 mitglieder ohne ein eigentiches amt. gewählt wurden schultheiss und kleinrat aus erfahrenen mitgliedern des grossen rates vom grossen rat. voraussetzung war, dass man verheiratet oder verwitwet war. um grossrat zu werden, musste man zu den patrizischen familien gehören; erneuert wurde der grosse rat alle zehn jahre, minimal hatte er 200 mitglieder hatte, maximal 299. diese wahl nahm der 16er vor, die vertretung der gesellschaften, den vier alten vennerzünften und 8 weiteren gesellschaften. die 16er waren selber grossräte, genauso wie der staatsschreiber, der gerichtsschrreiber, der grossweibel und der rathausammann. vor allem aber umfasste der grosse rat auch rund 50 landvögte, die aus seiner mitte mit dem los bestimmt wurden. die landvögte standen den ämtern auf dem land vor, sprachen dort recht, förderten die landwirtschaft, die einnahmen brachte und verkauften die wehrfähigen söhne an die befreundeten königshöfe als söldner. nach erfolgreicher tätigkeit empfahlen sich die landvögte als kleinräte und regierten so die stolze stadtrepublik mit.

im reformierten staat gab es keine klöster mehr. dem bischof von lausanne und dem papst in rom sah man sich nicht mehr verpflichtet. den deutschorden hatte man schon 1484 zurück geschickt. der neue bernische staat verwendete die einnahmen der klöster für das spital- und fürsorgewesen, und er baute die bildinstitutionen aus, insbesondere eröffnete er die berner akademie, die für die theologieausbildung im reformierten sinnen zuständig war. den bauern bot man die gelegenheit, sich von der leibeigenschaft loszukaufen, was den reicheren unter ihnen gelang. zudem legte man sümpfe trocken und bot den landarbeitern in den untertanengebieten an, die entwässerten landstücke in der folge selber zu bewirtschaften. auf diesem weg suchte man die jungen vom soldwesen wegzuhalten, allerdings nur vorübergehend, denn im 17. jahrhundert führte man es flächendeckend wieder ein – für die franzosen, die holländer und venezier.

im 30jährigen krieg übte sich die eidgenossenschaft erstmals in ihre neutralität. denn eine parteinahme für die katholische oder protestantische seite hätte unweigerlich das labile verhältnis im innern ins wanken gebracht. die eidgenossenschaft profitierte wirtschaftlich davon, mindestens bis kriegsende. danach kam es zu geldentwertung und abschottungstendenzen zwischen städtischen oberschichten und ländlichen unterschichten. symbolisch hier waren die grossen schanzenanlagen, die man um bern herum angelegt hatte, offiziell als schutz vor den franzosen, faktisch als hohe mauer gegen die landbewohner. 1653 kaum es deshalb zum grossen bauernkrieg, während dem die bauern beider konfessionen gegen die städter beider konfessionen kämpften. die berner aristokratie reagierte entschlossen und kaltblütig. die anführer, häufig als tellensöhne verkleidet, die gegen die eigenen vögte kämpften, wurden gefangen genommen, verurteilt und hingerichtet.

stefan altdorfer, ein berner historiker, der heute in stadtstaat singapur lebt, nennt das bern des anciern régimes einen surpluse-state, einen überschussstaat. die erklärung des sachverhalts beginnt mit dem für damalige verhältnisse grossen staat, der nach einer heftigen expansion im 15. und 16. jahrhundert abschied vom krieg als mittel der eroberung nahm. tiefe verteidigungsausgaben waren die folge, aus denen budgetüberschüsse resultierten, die staatsschulden zum verschwinden brachten. so entwickelten sich im 18. jahrhundert drei sich ergänzende kreisläufe:

erstens, der milizkreislauf, mit dem die patrizier wie die untertanen ihren dienst an der gemeinschaft, den militärdienst, unentgeltlich erbrachten und auf diesem weg die bürokratie gering hielten.
zweitens, der investitionskreislauf, der zuerst den salzhandel beförderte und einträge brachte, dann zu reserven führten, die in london, amsterdam und schliesslich über verschiedene königshöfen geldbringend angelegt wurden.
drittens, der repräsentationskreislauf, bei dem die untertanen im lokalen autonom und bewaffnet blieben, was von den landvögten rücksichtnahme verlangte, wenn sie mit gewinn nach bern zurückkehren wollten.

nach altorfer bern im 18. jahrhundert ein domänenstaat, der im mittelalter ausgeformt wurde, sich mit der reformation verändert hatte, weshalb der historiker ihn zum “unternehmerischen domänenstaat” erhebt, denn mit salz und finanzen ging der bernische staat im 18. jahrhundert geldbringend um – besser als dies noch bis ins 16. jahrhundert unter der feudalen herrschaft der fall gewesen war. immerhin hält er fest, die leistungen berns blieben unter der der kolonialmächte ausserhalb der eidgenossenschaft, sodass bern gleichzeitig ein fossil wie auch ein trittbrettfahrer war. das grösste problem war, dass er zu gerontokratie verkam, die sich in ihrer selbstergänzung ganz abgeschottet hatte. der letzte grosse rat konnte noch aus 243 familien auswählen, faktisch teilten sich 76 davon die ganze politische macht des stadtstaates.

ironie der bernsichen geschichte im 18. jahrhundert ist es, dass der erwirtschaftete überschuss als ultimo ratio für den kriegsfall galt, denn mit dem staatsschatz wollte man sich im kriegsfall wenigstens akut selber finanzieren. napoléon kriegsführung ohne staatsgeld führte dann aber dazu, dass gerade die staatsschätze reicher republiken wie venedig und bern zu eigentlichen kriegszielen avancierten, mit den die adeligen steuerparadiese jen- und diesseits der alpen ihr ende fanden.

womit wir von der reformatorischen revolution des 16. jahrhundert bei der französischen revolution am übergang vom 18. zum 19. jahrhundert angelangt sind.

stadtwanderer

berns politisches system in der katholisch-feudalen zeit

wie angekündigt arbeite ich mit hochdruck an einer neuen stadtwanderung: der zum politischen system der schweiz von den anfängen bis in die unmittelbare zukunft. schauplatz ist bern, uraufführung ist am 12. dezember, auf den tag genau 4 jahre nach der abwahl von christoph blocher aus dem bundesrat. hier meine rede an der ersten station.

der legende nach ist bern 1191 von den zähringern gegründet worden. egal, ob die jahreszahl stimmt oder nicht, bern ist eine der charakteristischsten zähringerstädte, die sich vom schwarzwald bis in den gros de vaud gibt.

eigentlich waren die zähringern adelige. im 11. jahrhundert bewarben sich die grafen aus der nähe der heutige stadt freiburg im breisgau als herzöge von schwaben. der plan missriet nach anfangserfolgen, denn die stauffer kamen ihnen zuvor. da machten sich die zähringer daran, strassen zu bauen, wie zu römerzeiten und unterhielten sie mit stadtgründungen. ihre vision lautete: rhein und rhone auf dem land verbinden, um so über die einfachste nord-süd-verbindung auf dem kontinent zu herrschen. die zähringerstrasse begann in freiburg, und sie sollte in lausanne enden. da stiessen die schwäbischen bauherren allerdings auf einen mächtigen bischof, ganz in der burgundisch-katholischen tradition verhaftet, tagsüber einflussrfeicher grundherr an den gestaden des lac léman, in der nacht herr über die seelen seiner untertanen. an ihm scheiterte der zähringische plan, doch prägte er das westliche mitteland von herzogenbuchsee, über burgdorf, bern und freiburg mit seitenarmen nach murten und thun nachhaltig.

berchtold v., der stadtgründer berns, war der letzte in seinem geschlecht. als er 1218 verstarb, legte kaiser friedrich ii., der spektakulärste unter den stauffer-herrschern, seine hand über zentrale orte des zähringischen herrschaftsraumes, während er den rest unter die adeligen der region verteilte, unter der voraussetzung, dass sie ihre sippen verheirateten, damit adelige wie die kyburger und savoyer keinen krieg um das erbe entfachen würden. bern, als stadt am sichersten aareübergang von strategischer bedeutung, machte er zu königsstadt. 1223 entsandte der kaiser, der mehrheitlich in süditalien lebte, seinen sohn, könig heinrich, nach bern, um den ort in seinen besitz zu nehmen.

mit könig heinrich kam auch der deutschorden nach bern, die geistigen herrscher über die stadt. gegründet hatte man diesen ritterliche kampftruppe für die kreuzzüge gegen die ungläubigen an der ostsee. jetzt bekam er in der berner pampa eine neue aufgabe. zum zentrum des deutschordens wurde köniz erhoben, die berühmte kirche mit dem chorherrenstift, welche die gegend an der aare beherrschte, bevor es die stadt gab. noch heute haben die könizer das emblem des deutschordens in ihrem stadtwappen. in bern setzte der könig einen schultheissen ein, dem vier venner, quartiermeister könnte man sagen, zur seite standen; das wort leitet sich ab von schuld heisschen, spricht vom steuereintreiben. denn der schultheiss war in der ursprünlichgen absicht der oberste königliche beamte, der in der königsstadt geld für den herrscher beschaffte – und das niedere gericht sprach, also gemeine verbrecher direkt verurteilte. die stadtgründungsfamilien stellten in der regel den schultheissen selber. nun im konfliktfall wurde ein auswertiger berufen, um zu vermitteln. dem schultheiss stand der rat für alle fragen des alltags zur seite, in dem die bubenbergs und die anderen ritterlichen familien berns das sagen hatten.

bern war damals eine ganz kleine stadt. man schätzt, dass in der gründungsstadt 500, vielleicht 1000 personen hausten. wenn sie an trachselwald oder schangnau denken, dann haben sie eine gute vorstellung von der grösste der damaligen stadt. bis 1450 wuchs bern auf die grösse von immerhin 5000 einwohnerInnen an, was dem heutigen aarberg entspricht. 1293 kam es zu wichtigsten verfassungänderung: die unsicheren statuten aus der gründungszeit wurden durch eine verfassung von könig adolph von nassau ersetzt; sie sollten bis zum einmarsch der franzosen 1798 gültigkeit behalten. mit der neuen verfassung wurde der rat der 200 begründet, bestückt auf je 50 häupter in den vier quartieren. bestimmt wurden sie vom 16er, einer jährlich erneuerten versammlung von je 4 vertretern der vier quartier, die entlang der längs- und quergasse entstanden waren. in jedem viertel hatte ein gewerbe das sagen: die metzger, die bäcker, die gerber und die schmiede bildeten die handwerkselite.

als versammlungslokal dienten die kirchen, anfänglich die kleine leutkirche, die es heute nicht mehr gibt, die aber an der stelle des münsters stand. im 13. jahrhundert kamen nebst dem deutschorden zwei weitere kirchliche orden nach bern: die dominikaner und die franziskaner. erstere ordneten die ritterfamilien, zweitere die gewerbetreibenden. die franziskanerkirche steht nicht mehr, sie war dort, wo heute das casino ist. die dominikanerkirche, 1269 begründet, gibt es immer noch. wir sind mitten in ihr; sie wurde mit der reformation im 16. jahrhundert aufgehoben, im 17. jahrhundert, als die hugenotten als flüchtlinge mitunter nach bern kamen, der französisch-reformierten gemeinde zur verfügung gestellt, weshalb man sie bis heute franzosenkirche nennt.

anders als in städten wie zürich, gelang es dem lokalen gewerbe in bern nicht, im 14. jahrhundert, die politische macht den gründungsfamilien zu entreisse. vielmehr behielten sich die junker vor, das in eigener sache zu erledigen. entsprechend kann man in bern nicht von einem zunftregime sprechen, der durch den rheinhandel bestimmt war. vielmehr regierte hier ähnlich wie in freiburg, solothurn oder murten der landadel, der mit den mittelalterlichen stadtgründungen aufgestiegen war. von zünften spricht man bern auch weniger, eher von gesellschaften, die für das soziale leben von belang, die stadtwache und das militärische aufgebot von bedeutung waren.

zu den lebensgrundlagen bern zählte die verwaltung des landes, eine eigentliche berner erfindung, um den hohen adel aus schwaben und burgund auf distanz zu halten. berns expansion auf das land begann bereits im 13. jahrhundert mit dem schutz über das kloster interlaken. 1365 erhob kaiser karl iv. die königsstadt, indem sie königsgut auf dem land selber erwerben, verwalten und verkaufen durfte. 1415 wurde bern reichsstadt; mit allen insignien eines standes im kaiserreich ausgestattet: so auch dem hohen gericht und damit der entscheidung über den tod in stadt und land. 1499 erreichte das unabhängigkeitsstreben der berner seine bisherigen höhepunkt: bern erkämpfte sich die unabhängigkeit vom könig im schwabenkrieg, akzeptiert von da an keinen oberherrschaft mehr in der stadt an der aare.

das leben in bern war im 15. jahrhundert alles andere als konfliktfrei. seit der grossen pest war die autorität der kirche und der ritter angeschlagen. 1405 brannte ein drittel der holzstadt in einer nach nieder. und mit zürich lag man jahrelang im krieg. 1450 ist ein eigentliches wendejahr. die kaufleute, die mit dem handel von lebensmitteln und tüchern reich geworden waren drängten an die macht. der landadel bekam durch den geldadel konkurrenz. dieser dachte schon in den kategorien der neuzeit, jener orientierte sich an den höfischen sitte der renaissance. 1470 war einer der seltenen momente, welche die spannungen in der stadt aufzeigte. angesichts der streiterein in der berner obrigkeit wurden ein metzger zum schultheissen bestimmt. der legte sich gleich mit dem landadel an; das tragen eleganter kleider, wie es die frauen der ritter gerne hatten, wurde kurzerhand verboten. die junkerlichen familien schmolten und zogen sich auf ihre landsitze zurück. der geldadel wieder verstrickte sind in kriege mit den burgundischen herzögen in dijon. schliesslich musste die verfeindeten lager in bern zusammenstehen, um die unabhängigkeit der stadt und ihrer ländereien zu retten.

das bern 1476 in der schlacht von murten siegte, hatte auch mit der eidgenössischen unterstützung zu tun. am bündnis der waldstätte orientierten sich die berner seit 1323. 1353 trat man ihm bei. seit 1370 suchte man in militärischen und kirchlichen fragen die autonomie unter eidgenossen zu erhöhen. dazu setzte man die tagsatzung, das eigentliche leitungsorgan der eidgenossenschaft, ein. nach der schlacht von murten war es praktisch soweit: das stanser verkommnis regelte, dass jeder ort, ob stadt oder land, gleich bedeutend sein solle. die stadt bern ging noch weiter: sie schüttelte den ungeliebten deutschorden ab und begründete die berner landeskirche, die nun einen direkten draht nach rom hat.

die aarestadt trat damit in die neuzeit ein, symbolisiert durch die italienzüge zwischen 1494 und 1513 – der zeit des schnellen geldes, der zitronen, der syphilis und der inneren konflikte, aus dehnen ein neues politisches system, fern ab vom katholischen feudalismus des mittelalters entstehen wird. davon an der nächsten station.

stadtwanderer

die abWahl

ich habe wenig geschlafen. denn ich las das buch “abwahl” von andrea hämmerle. der zufall wollte es, dass ich dem autor heute über mittag in der stadt begegnete. das protokoll.

als hämmerle vor 20 jahren nationalrat wurde, kannte ihn niemand. seines vornamens wegen reihten ihn die parlamentsdienste beim garderobeköstchen bei den frauen ein.
heute weiss ein jeder und eine jede, dass andrea bei den bündner glatt als männlicher namen durchgeht. denn andrea hämmerle gilt landauf, landab als der verbindungsmann zwischen eidgenössischem parlament und frau eveline widmer-schlumpf, als sie nachfolgerin von christoph blocher im bundesrat wurde.

genau darüber hat hämmerle, der kleinbauer in den rängen der sp, ein buch geschrieben. die idee hatte er diesen sommer, das letzte kapitel verfasste er nach den nationalratswahlen.
vorgestern stellte der alt-nationalrat, der hämmerle jetzt ist, sein buch den medien vor – und löste eine beträchtliche aufmerksamkeit aus. heute traf ich den autor, zufällig, im berner restaurant “diagonal” beim apéro.

ob es stimme, dass er in der entscheidenden nacht vor der berühmt-berüchtigten wahl im bett lag, wollte ich als erstes von andrea wissen. jawohl, er habe sich erklätet gehabt, sogar seine stimme verloren, gibt er zur antwort. gut für ihn, dass man im parlament stumm wählt, denn sonst hätte eveline widmer-schlumpf am 12. dezember 2007 vielleicht eine der entscheidenden stimmen gefehlt, um bundesrätin zu werden. manch solchen ausfall hätte es nämlich nicht leiden mögen, denn die bündner svp-regierungsrätin erhielt im massgeblichen zweiten umgang 125 stimmen, 124 waren für das absolute mehr nötig gewesen.

hämmerle zeichnet im neuesten buch zur politschweiz die ereignisse rund um die abWahl nach. das entscheidende telefonat am samstag morgen vor der gesamterneuerung des bundesrates. so erinnert er an das vorprellen von darbelley, der sich in der sonntagspresse, offensichtlich nichts ahnend, gleich selber zum bundesratskandidaten machte; das treffen der fraktionsspitzen von sp und cvp am montag, die entscheidenden fraktionssitzungen am dienstag, in die auch die grünen eingeweiht waren, der patzer des kommunisten joseph zysjadis, der vor der wahl als einziger widmer-schlumpfs name nannte, dann die wahl selber am mittwoch morgen, und den plan b mit urs schwaller als alternative, für den fall, dass widmer-schlumpf die erfolgte wahl nicht annehmen würde.

hämmerle legt wert auf distanz zur damaligen finanzministerin seines wohnkantons. klar, man habe sich gekannt, von gemeinsamen sitzungen her, sei aber nicht befreundet gewesen. insgesamt drei mal will der verbindungsmann mit der künftigen bundesrätin in den heissen tagen telefoniert haben, und eine mail sandte er ins bündnerland. die frage, ob seine landsfrau eine allfällige wahl annehmen oder ablehnen würde, sei nie erörtert worden, schreibt hämmerle. weder habe seine gesprächspartnerin das je bestätigt, noch je dementiert.

das buch zum besten polit-krimi der letzten jahre habe er nicht als rechtfertigung verfasst – auch nicht als wiederwahlempfehlung, sagt mit urheber autor am stehtisch im berner diagonal. ein wenig aus verantwortung für das was passiert sei und noch geschehen werde, sei es aber schon geschrieben worden. immer sei es ein wendemoment in der jüngsten geschichte der schweiz gewesen, der dem akteur und autor viel bedeutet.

das merkt man den buch auch an. vielleicht hat es nichts aufregend neues darin, denn vieles wurde zu dieser wahl schon gesagt. zu vieles meint hämmerle, der sich bisher nicht wirklich zur sache geäussert hatte – auch nicht im berühmte dokumentarfilm zur abwahl. mit dem buch gleichen namens hat er das nachgeholt – in auffällig ruhigem stil, als wolle er das feuer, das damals entstand und unverändert aufflackert, löschen helfen.

das buch liesst sich in den dunkeln abendstunden mit erhellender leichtigkeit. es startet mit einem porträt über christoph blocher und den aufstieg seiner svp – zwei unschweizerischen erscheinungen in der schweizer politgeschichte. dann geht es über zur lageanalyse, welche die sp im sommer 2007 vornahm, nach der wahlniederlage aber verwarf, um mit unmittelbarer nähe zum wahltag dem höhepunkt zuzusteuern. was folgt ist eine zwischenbilanz aus eigener sicht, bei der hämmerle klar macht, die strategInnen hätten mit verdeckten karten gespielt; das sei indes nötig gewesen, weil sich die svp geweigert, der bundesversammlung die ausWahl der svp kandidaten zu überlassen. originell ist der schluss, der der stützung der these dient. denn hämmerle zeichnet in wenigen strichen die bündner parteiengeschichte seit dem ersten weltkrieg nach, die auch eine sippengeschichte der gadients, der schlumpfs und der planta-hämmerles ist, die eigenständig politisierten, bei den demokraten, der svp, der fdp und der sp, meist aus distanz, gelegentlich als zweckgemeinschaft.

andrea wird in bern nicht mehr so häufig zu sehen sein. in der geschichte der bundesratswahlen wird man um den bündner hämmerle und seinen coup vom 12. dezember 2007 nicht herum kommen – egal ob man es als weiteren verstoss gegen die konkordanz oder als anfang zu einer neuen ära der regierungsbildung in der schweiz interpretieren wird. denn das macht das buch “abwahl” auch deutlich: an diesem 12. dezember 2007 wurde nicht nur eveline widmer-schlumpf bundesrätin, vielmehr hielt eine bürgerlich-offene frau einzug in die bundesregierung, die bewegung in die schweiz, die parteienlandschaft und den bundesrat brachte, wie das zeit seit dem berühmten wendemoment zeigt.

stadtwanderer

de la volonté contre tous

ich war am wochenende in ermatingen. der verein für zivilgesellschaft hielt auf dem wolfsberg seine zweijahrestagung ab. die fragestellung lautete: wer regiert die welt?


mein verständnis von öffentlicher meinung: wassertropfen, durch innere übereinstimmung und äussere abgrenzung bestimmt. öffentliche meinung als ein einziger, riesiger wassertropf trifft das wesen des instabilen phänomens nicht.

es gab viele verschiedene antworten. auf die will ich hier gar nicht einzeln eingehen. denn verschiedenes, was zum volk, zum national/bundesstaat, zu massenmedien, zu ngos und internationalen organisation gesagt wurde, hat mich angeregt. das wird in meine kommenden posts einfliessen.
aufgeregt hat mich jedoch das einleitungsreferat zum zweiten tag. gehalten hat es norbert bolz, professor für medienwissenschaft an der tu berlin.
sein auftritt war zwar phänomenal. er sprach 30 minuten frei, wanderte locker auf der bühne von rechts nach links und von links nach rechts. und machte rhetorisch keinen fehler, weder in sprache noch im auftritt.
falsch war, meines erachtens, seine diagnose als ganzes. demnach ist die demokratie nämlich am ende, denn sie verkomme zur demokratischen diktatur, so die professorale these.
gemäss bolz werden wir total beherrscht, von formal gewählten regierungen und von dümmlichen massenmedien, zusammengehalten durch demoskopie. diese trias bilde die neue macht, egal wo. ihr hauptzweck sei es, politik von den bürgern fernzuhalten und umgekehrt: die bürger auf distanz zu den mächtigen abzusperren. das geschehe, indem die heutigen intellektuellen nicht mehr intervenierten, um die herrschaft zu fordern, sondern definierten, was politisch korrekt sei, um das volk ruhig zu halten. und wer sich nicht mehr äussern dürfe, getraue sich nicht einmal mehr zu denken.
es war eine art rousseau à l’envers, die wir präsentiert erhielten. die volonté de tous habe sich verkehrt in die volonté contre tous!
politisch dominierend sei immer noch die linke, die jedoch vor ihrem ende stehe, und die rechte aus der öffentlichkeit ausschliesse, um die kulturelle hegemonie zu verteidigen. gegen diese seien nur wenige immun: unternehmer, techniker und (unabhängige) wissenschafter.
nicht alle symptone, die norbert bolz beredet beschrieb, sind meines erachtens falsch. ärgerlich war mehr ihre auswahl – und ihre kombination.
wer von den teilnehmenden politisch ganz rechts stand, hatte seine freue, als der professor erläuterte, es gäbe zwischenzeitlich empfehlungen für disseratationen, frauen würde mit vorteil nur frauen zitieren, denn männer machten umgekehrtes auch. linke wiederum empörten sich, weil da einer ideologie in reinkultur produziere. frauen gehörten an den herd, der klima wandel finde nicht statt, und neger soll man neger nennen dürfen, waren die einschlägigen provokationen.
manche, die ihren analysen keinen festen weltanschaulichen standpunkte unterlegen, waren schlicht erstaunt, wie reduktionistisch ein wissenschafter die welt erklären kann. vielleicht, könnte man einwenden, wer einmal designkommunikation gelehrt hat, kennt keinen anderen anspruch.
mich zum beispiel hat vor allem geärgert, dass er an einer schweizer tagung vor allem zur deutschen politik- und parteienverdrossenheiten sprach und von aus unreflektiert verallgemeinerte. was hier sache ist, interessierte den potsdamer gar nicht. denn da wären einwände gegen die schöne these zuhauf gewesen: erstens, zu den vorteilen des politischen systems gehört es, dass es keine so absolute trennung zwischen volk und behörden gibt, wie das in deutschland der fall sein mag. zweitens, die politische partizipation beschränkt sich hierzulande nicht auf das wählen und zwischendurch auf das schweigen; wir können regelmässig abestimmen und den politische kurs von regierung und parlament periodisch korrigieren. drittens, der gelebte förderalismus führt dazu, dass wir viele kantonale, städtische und kommunale laboratorien haben, in denen wir mal etwas austesten können, wenn es zu nichts taugt ohne aufsehen wieder abschaffen können, wenn es aber gut ist, rasch schule macht.
das sind nur einige elemente, die sich aus der zivilgesellschaft ergeben und positiv auf diese zurückwirken. so ist die staatsverschuldung in der schweiz weit unter dem schnitt anderer länder, und wenn sich dies zu ändern droht, realisieren wir eine schuldenbremse, die weltweit keinen vergleich zu scheuen braucht. so ist der bürgerInnen-sinn in der schweiz verbreiteter, dafür sind die parteien schwächer und mit ihnen auch der staat.
mehr noch, ich zweifle auch, ob der befund hinter der these von bolz mehr als eine karikatur selbst in deutschland ist. die sarazin-debatte, die wohl grösste kontroverse um das gesellschaftliche leben der letzten jahre, will so schlecht zu dem passen, was und der medienprofessor glaubhaft zu machen versuchte. denn sie zeigte: es gibt intellektuelle, die, wie es ihre aufgabe ist, intervenieren. es gibt möglicherweise politische korrektheit, die das nicht fördert, anders als diagnostiziert, aber auch nicht verhindert.
frontal gegen bolz gewendet ist meine, in der literatur gut abgestützte, (pluralistische) definition von öffentlicher meinung. die tendiert nämlich, anders als vorgetragen, nicht dazu, einheitlich zu sein. daran glauben nur autoritäre. vielmehr ist es gerade ihr wesen, immer wieder in teile zu zerfallen, je mehr man sie mainstreamen will. das ist nicht nur die voraussetzung für die demokratische meinungsbildung; es ist auch ihre sicherung! entgegen den behauptungen der antidemokraten, die demokratie als totalitär verschrien.
wie gesagt, eine antwort auf die frage, wer die welt regiert, ist auch das nicht. eine klärung zu einer fehldiagnose schon.

stadtwanderer

die originale bdp-fliege

ich war gestern in seedorf. in der propevollen mehrzweckhalle. geladen hatte die bdp des kantons bern, um rückschau zu halten auf die wahlen.

zur eröffnung meiner analyse in referatsform outete ich mich: ich sei im zweifel gewesen, welche fliege ich heute tragen solle. zum beispiel meine eintagsfliege, denn viele glaubten nicht, dass die bdp eine zukunft habe. und wer meint, das sei der fall, sehe momentan vor allem das cvp-schwarz. doch trug ich auch meine trauerfliege nicht, sondern eine gelb-schwarze. die hatte ich vor 5 wochen an, als ich, in einem anflug von politischer naivität, in st. gallen einen vortrag zu den wahlen hielt, und das svp-nahe publikum eine politische botschaft dahinter witterte, die ihr gar nicht gefallen wollte. seither weiss ich, die fliege kann ich nur noch bei der bdp tragen.

meine botschaft vor der gestrigen mitgliederversammlung war klar: mit 5 prozent kann man national wahlsieger sein. wenn eine dreijährige partei das schafft, muss man ihr zu allererst respekt zollen. profitiert hat die bdp von der unzufriedenheit im regierungslager, bei svp, fdp und sp, die zu überzeichneten polarisierungen neigten. gewählt wurde die bdp wegen eveline widmer-schlumpf, den kandidatInnen und der grundhaltung. harmonisierung sei heute angesagt. übervertreten ist die bdp bei den rentnerInnen und der landbevölkerung. im wahlkampf gelang es ihr aber, in den städten, bei jungen und frauen einen gegenpunkt hierzu zu bilden. zu den schwächen der partei gehöre das noch weitgehend fehlende themenprofil. daran müsse die bdp arbeiten, wolle sie sich über die gründungskantone, zürich und aargau hinaus nahmhaft ausdehen.
meine zweite botschaft war weniger optimistisch. denn auch mit fünf prozent wählendenanteil ist man in der bundespolitik ein non-valeur, riskiert man unterzugehen. ein anspruch, eine regierungspartei zu sein bestehe nicht. die grosse herausforderung sei, auch bei den anstehenden bundesratswahlen einen erfolg verbuchen zu können. gesichert sei da nichts. auf kantonsebene könne ich dem alleingang der neuen kraft einigen sinn abgewinnen, auf bundesebene sei das aber harakiri. oder anders gesagt: es brauche keine fusion mit der cvp, aber eine fraktionsgemeinschaft der neuen mitte, bestehend aus der cvp, der bdp und der evp. zusammen gibt das 20 prozent-wähleranteil und die fraktion dürfte, im national- und ständerat zusammen, die zweitgrösste unter der bundeskuppel sein. der anspruch auf zwei bundesrätinnen sei so gegeben.

hans grunder, der protagonist des alleingangs auch auf bundesebene, sass im publikum, verliess die versammlung aber vorzeitig. der spitzbube habe die botschaft gehört und die auseinandersetzung gefürchtet, bekam ich zu hören. schade, sage ich da, denn in den vielen diskussionen beim apéro mit den normalen bdp-leuten spürte ich die mischung aus zuversicht und nachdenklichkeit. man freut sich über den tollen wahlsieg, stellt sich aber sehr wohl die frage, wie man die erhaltene kraft ins bundesparlament einbringen wolle. der moment sei fantastisch, die zukunft tatsächlich ungewiss.

gefreut habe ich mich, dass auch die bdp auf meine fliegen-frage aufmerksam geworden ist. denn ich erhielt die erste, einzige und originale bdp-fliege geschenkt. ein solches unikat ist natürlich viel wertvoller als das übliche honorar. ironie der geschichte ist, dass es ist meine 124. fliege ist – genau die zahl, die eveline widmer-schlumpf am 14. dezember braucht, um bundesrätin zu bleiben.

mauluege!

stadtwanderer

das regierungssystem der schweiz, von seinen anfängen bis in die nahe zukunft

für 2012 lanciere ich eine neue stadtwanderung, die dem regierungssystem der schweiz gewidmet ist. historisch-politologisch interessierte gruppen können sich bei mir melden, wenn sich sie im nächsten jahr von mir ins thema bei einem gang durch bern einfuchsen lassen wollen.

auf die idee gekommen bin ich bei der erneuten lektüre der schweizer geschichte der welschen hisorikerin joelle kuntz. im buch, in dem sie über die schweizer städte schreibt, kommt sie in sachen bern zum schluss: die schweiz ist nicht nur territorial wesentlich aus bern hervorgegangen. auch kulturell haben die muster, die sich im ancien regime in der stadtrepublik an der aare entwickelten, auf bundesebene schule gemacht.

meine neueste stadtwanderung ist dem schweizerischen regierungssystem von den anfängen bis in die unmittelbare zukunft gewidmet. konkret verfolge ich damit drei fährten:

. die katholisch-feudale tradition
. die reformiert-etatistische tradition und
. die säkular-moderne tradition.

am beispiel berns, dem stadtstaat, der kantonshauptstadt und der bundesstadt, lässt sich das sehr schön exemplifizieren.

einen staat im heutigen sinne gab es bei der stadtgründung nicht. bern war eine zähringerstadt, dann eine königsstadt. beziehungen zu den führenden herrscherhäusern im kaiserreich waren entscheidend. formal war der adel entscheidend, faktisch kontrollierte die (katholische) kirche mit ihren stadtorden das leben an der aare. ihr mann vor ort war seit 1223 der schultheiss, anfänglich ein königlicher beamter, während die gründungsfamilien im kleinen rat, der stadtregierung, das sagen hatten. die gewerbetreibenden bevölkerten den rat der 200. die gesellschaftliche legitimation der herrschaft ging von den quartiervereinen aus, angeführt durch die venner, eher militärisch-administrativ von belang, als politisch. sie bestückten jährlich den rat der 16 neu, der, kombiniert mit dem los, für die erwahlen in den kleinen und grossen rat zuständig war. beziehungsnetze waren das a und o, und war kirchlich, militärisch und gesellschaftlich. mit der verfassung von 1294 wuchs die stadt über ihre physischen grenzen hinaus. man verwaltete königliche kirchengüter, und nahm zunehmend das niedere gericht auf dem land wahr. wer unter die fuchtel der stadt kam, war unfrei, leibeigen, hatte nur durch aufnahme in die stadt chancen, seine stellung zu verbessern. schrittweise zwischen 1365 und 1415, erreichte man einen neuen status, wurde reichsstadt, über die sich unabhängigkeit vom reichsadel ausdehnte, bis diese 1499 für die weiterentwicklung bern unwesentlich wurden.

mit der reformation im 16. jahrhundert bildet sich erstmals ein staat heraus, der vom patriziat regiert wurde. damit unterschied sich bern von den entwicklungen in den landsgemeindekantonen der alten eidgenossenschaft, die in der katholisch-feudalen tradition verhaftet blieben. man grenzte sich aber auch von der ausrichtung an den zünften ab, denen in basel, zürich und schaffhausen der durchbruch gelungen war, der zu einem eigenen regierungssystem in der frühen zeit führte. ähnlich wie bern wurden luzern, solothurn und freiburg regiert, mit der grossen ausnahme, dass sie katholisch blieben. die reformiert-etatistischen tradition bildete sich damit genuin in bern aus, wohl auch im entfernten genf. schrittweise entsteht hier eine classe politique, die diesen namen verdient, denn der stammbaum wurde zum entscheidenden kriterium, ob man zu den patrizierfamilien gehörte und vorrechte hatte, oder eine gemeine bürgerfamilie war. denn nur wer zum patriziat zählte, durfte politik betreiben, sprich im namen des staates landvogt in den untertanengebieten werden, was der normale anfang war für eine karriere in der stadt selber, sei es als schultheiss, als kleinrat oder als geheimrat, die beide dem regierenden stadtherrn zur seite standen. die venner waren wichtig, die säckelmeister auch, und die senatoren, die stellvertretend für den grossen rat die geschäfte der regierung überwachten. letzter hatte nur summaerische befugnisse, wurde alle 10 jahre aufgefrischt, vergeiste aber zuseheneds. im hintergrund war die bernischen landeskirche von belang, vor allem für die herrschaft auf dem land, indessen nicht mehr zu vermengt, wie das in der katholisch-feudalen tradition der fall war. kennzeichnend wird die mischung aus fürsorglicher vaterschaft und eisener hand im umgang mit den untertanen.

der ausgeklügelten machtbalance in der oberschicht des ancien regimes setzte die französischen revolution am ende des 18. jahrhundertes ein ende. man kann das auch als geburtsstunde des säkularen staats der modernen sehen. wirtschaftliche wohlfahrt, demokratie und politische partizipation des volkes wurden zu neuen, das regierungssystem prägenden herausforderungen. stadt und kanton werden geteilt, kantonen schliessen sich in sachfragen zu konkordaten zusammen, militärisch zu einem bund, der sich gegen aussen verteidigt. mit der revolution von 1848 entsteht der bundesstaat, zunächst auf liberaler basis, dann auf bürgerlicher und schliesslich weltanschaulich und sozial auf einem übergeordneten fundament. gewaltenteilung zwischen gesetzgebung, gesetzesvollzug und richterlicher entscheidung in der anwendung werden genauso wie die legitimation der herrschaft im souveränen volk von belang. in der zweiten hälfte des 19. jahrhunderts etabliert sich nebst der repräsentativen demokratie auch die direkte. mit dieser kam es zur ausbildung von parteien.- beide prinzipien der regierungsweise vertrugen sich nur bedingt, führten angesichts innerer instabilität und äusserer bedrohung zur konkordanzdemokratie mit verzicht auf machtkämpfe zugunstens von sachorientierter problemlösung, welche die geschicke des landes seit mitte des 20. jahrhunderts prägen.

wir wissen es, die hochzeit des konkordanzsystems ist auch in der schweiz vorbei, knappe kassen, neuen konfliktlinien, medialisierte politik und ideologischen grabenkämpfe zwischen tradition und moderne haben ihr zugesetzt. wie es weiter geht, ist offen. sicher ist nur, die geschichte ist nicht am ende. diesen punkt verständlich zu machen, woher das regierungssystem der schweiz kommt, welche traditionen nachwirken, welche formen heute relevant sind, ist die absicht meiner neuen stadtwanderung. spekulationen unter den teilnehmenden wie es weitergehend könnte, sind beim abschliessenden apéro durchaus erwünscht.

beginnen werde ich mit der tour am 12.12., zwei tage vor der bundesratswahl, mit der wir ins politische 2012 starten werden. das kommunikationsteam des bsv ist mein erster gast bei dem rundgang. ich freue mich, etwas neues unternehmen zu können! weitere interessenten an der historisch-politologischen stadtwanderungen melden sich direkt beim

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die stadtwanderungen zum jahresausklang

das jahresende naht. die letzten stadtwanderungen 2011 auch. drei gruppenführungen stehen noch an, bevor es weihnachtet. eine übersicht, was noch kommt!

an diesem samstag mache ich einen ganz speziellen rundgang. “bern ganz unreformiert” heisst er. es geht um die geschichte der stadt vor 1528, dem jahr der reformation. meine gäste sind alles ehemalige kollegInnen am historischen institut der universität zürich. zum beispiel ruedi jaun, heute professor für militärgeschichte, aber auch anita ulrich, die leiterin der sozialarchivs in zürich, und doris angst, die fachfrau für rassismusbekämpfung. ich freue mich das werden und leben in einer stadt, deren damalige kultur man heute aufspüren muss, mit so ausgewiesenen spezialistInnen zu erwandern.

im dezember sind dann das kommunikationsteam des bundesamtes für sozialversicherungen und der vorstand der hausärzte schweiz meine wandergäste. wenn es kalt sein sollte, habe ich medizinischen sachverstand und expertise zur versicherungsfragen gleich bei mir. die kommleute vom bsv habe ich kurz vor der bundesratswahl bei mir, die ärztInnen unmittelbar danach. klar, das werden politische wanderungen. die staatsangestellten wollen natürlich etwas erfahren zur entstehung der konkordanz – und zu ihrer zukunft, und die doktoren wollen in die möglichkeiten und grenzen der volksinitiative eingeführt werden. für beide muss ich das programm noch entwickeln.

auch ja, und dann gilt es noch auf einen event hinzuweisen. “bern – der film“, an dem ich mitgewirkt habe, erscheint nun als dvd. übers wochenende gibt es spezielle vorstellungen in der berner cinématte. empfehlenswert!

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