friedensschluss im langen dreissigjährigen krieg

selbstverständlich endete der “kurze” dreissigjährige krieg am 24. oktober 1648. der 1. juli 2009 kommt mir wie eine art friedensschluss im “langen” dreissigjährigen krieg zwischen raucherInnen und nicht-raucherInnen vor.

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der “kurze” dreissigjährige krieg
wie man in der schule lernt, begann der “dreissigjährige” als konfessionskrieg im kaiserreich mit dem berühmten prager fenstersturz. er involvierten in der folge die könige von dänemark und von schweden im protestantischen lager.

durch die intervention des französischen königs, einem katholiken, auf schwedischer seite entwickelte sich der dreissigjährige zum europäischen krieg. am ende war das kaiserreich geschwächt, frankreich die führende macht europas, und wurden die generalstaaten (niederlande) und die schweiz auf französischen druck hin aus dem reichsgebiet ausgenommen.

der “lange” dreissigjährige krieg
mit dem westphälischen frieden beginnt die geschichte der eidgenossenschaft als staaten ausserhalb des kaiserreiches. doch haftet ihr ein geburtsfehler an.

die eidgenössischen soldaten, die – wie die berner – die auf protestantischer seite gekämpft hatten, lernten nicht nur den gräuel des neuzeitlichen kriegs von ganz nah kennen. sie brachten insbesondere aus den niederlanden das dort verbreitete tabakschlucken, -schnupfen und -rauchen zurück.

der krieg fand so seine fortsetzung in der heimat. zuerst unter totaler repression, dann unter privater duldung, schliesslich unter nutzung der einnahmen aus dem verkauf durch den staat. die industrialisierung entfesselte nicht nur den menschen aus der tradition, er brachte dem rauchen den öffentlichen durchbruch. so manchen revolutionär lässt sich seit 1848 als rauchen porträtieren.

die vorbereitung des kriegsendes
die wende kommt erst gegen ende des 20. jahrhunderts. rauchen wird wieder verpönt. aus den schul- und arbeitsräumen wird das rauchen als schutz der nichtraucher verdrängt. werbung fürs rauchen wird kritisiert, überklebt und eingeschränkt. schliesslich wird das rauchen in öffentlichen räumen wieder untersagt.

2004 bereitet der zürcher präventivmediziner felix gutzwiller den schutz der bevölkerung vor passivrauchen politisch vor, gewinnt die kommission von national- und ständerat für seine sache, bleibt aber 2008 während der plenungsdebatte im nationalrat mit seinem anliegen stecken.

zur lokomotive gegen das rauchen entwickelt sich dagegen der kanton tessin. in einer volksabstimmung sagen vier fünftel der stimmenden ja zu einem totalen rauchverbot in öffentlichen gebäuden. 2007 wird dieses verbot auf restaurants, bars und cafes ausgedehnt. weitere kantone, wie auch bern, folgten dem vorbild.

heute, am 30. juni 2009, ist auch im kanton bern der letzte tag ohne rauchverbot in öffentlichen räumen. ab morgen ist alles anders, selbst in den meisten restaurants, die nicht, wie eine kleine minderheit, die flucht in unbediente fumoirs suchen.

der tag des friedensschlusses

es ist ein wenig wie friedensschluss, zwischen rauchern und nichtrauchern. noch ist der krieg nicht zu ende, doch wird er aus geschlossenen räumen, die allen gehören, verbannt.

gut so, sagt sich der stadtwanderer, erinnert sich, dass er im studium gelernt hatte, dass ein viertel der einwohnerInnen europas im kurzen “dreissigjährigen” an krieg und seuchen starb. wie viele menschen der lange “dreissigjährige” tödlich schädigte, hat er nie erfahren.

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mit kanonen auf elefanten schiessen

“mit kanonen auf spatzen schiessen”, lautet ein sprichwort zur unverhältnismässigkeit. das heisst nicht, dass es verhältnismässig ist, mit kantonen auf elefanten zu schiessen. denn das arme tier überlebt den schlag der kanonenkugel nicht.

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bewegte tage in murten: der elefant, der 1866 aus dem wanderzirkus “bell&myers” angehauen war und nur mit einer kanonenkugel gestoppt werden konnte

in den engen gassen der kleinstadt murten wird am 29. juni 1866 eine kanone postiert, mitten in den häusern ein schuss abgegeben – und der elefant war tot.

tags zuvor war das tier bei der fütterung wild geworden, hatte es den wärter getötet und war es aus seinem wanderzirkus abgehauen.

die versuche, den elefanten wieder einzufangen, schlugen alle fehl. nachdem das tier in der stadt für einige schrecken gesorgt und einigen schaden angerichtet hatte, beschloss der zirkusdirektor den elefanten töten zu lassen.

eine kanone aus der freiburger kaserne wurde hierfür angeschleppt und in position gebracht. ein einziger schuss genügte, und der elefant von murten war tot.

der elefantenwärter wurde gleichen tags auf dem friedhof begraben. der zirkus wanderte weiter, und die metzgereien von murten boten für einige tage murtemer elefantenfleisch an …

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das herbstprogramm des stadtwanderers

es ist kaum zu glauben: die sommerferien rücken näher! ich werde in einer woche richtung norden auswandern. ich komme dann anfangs august wieder. dazwischen werde ich fast schon gewohnt gelegentlich aus holzhausen bloggen. jetzt schon ankündigen kann ich das herbstprogramm des stadtwanderer.

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bern im herbst: hier mein (vorläufiges) wanderprogramm für den herbst 2009

23.8. eidgenosse trifft burgunder
ich wandere mit ernst schmid im raum murten. wir kennen uns nicht persönlich, sind aber beide an der murtenschlacht interessiert. der kontakt entstand übr den “stadtwanderer”-blog. eine schlachtfeld-begehung 2.0 steht also an.

28.8. hinterkappelen entdeckt bern

ich lade meine ganze nachbarschaft in hinterkappelen ein, mit mir die stadt bern zu entdecken, zu der wir aussengemeindebewohnerInnen ja alle irgend wie gehören.

11.9. leni robert zu ehren
die berner bildungsdirektorin der jahre 1986-1990 hat meinen werdegang als berufsmass entscheidend mitbeeinflusst. ich möchte ich 20 jahre danach dafür herzlich danken, – mit einer wanderung im grünen teil berns.

16.9. burgdorf mit den augen der neuen stadtpräsidentin sehen

die einzige stadtpräsidentin im kanton bern, elisabeth zäch aus burgdorf, nimmt sich einen abend zeit, mir “ihr” ganz persönliches burgdorf zu zeigen, vergangene geschichten zu erzählen und kommende chance der stadt an der emme zu erläutern.

18.9. nonstop unterwegs in lenzburg

die leiterin des stapfer hauses, sibylle liechtensteiger, wandert mit mir durch die lenzburger ausstellung nonstop. trotz des titels werden wir pausen machen, rasten, und ich werde mir gedanken zu unserer “zeit” machen.

selbstverständlich werde ich über alle anlässe in geeigneter form berichten!

the making of “sternstunde geschichte”
ein ganz besonderer leckerbissen erwartet meine leserInnen zwischen dem 11. und 16. august. gemeinsam mit dem publizisten roger de weck und dem historiker thomas maissen produziere ich eine vierteilige tv-serie unter dem stichwort “sternstunde geschichte“. die sendungen werden im september und oktober jeweils am sonntag morgen ausgestrahlt.

die aufnahmen sind je einem symbolträchtigen thema der schweizer geschichte an einem ausgewählte ort gewidmet.wir drehen in der calvin-stadt genf, auf dem monte verità in der südschweiz, im dem val müstair und im landesmuseum in zürich. auf dem stadtwanderer werde ich exklusiv ber das “making of …” der neuen tv-serie berichten.

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bern wieder kopflos

stets war sie meine lieblingsskulptur in bern. früher begegnete ich ihr regelmässig auf dem weg zum bahnhof. dann musste sie dem umbau des vorplatzes zur grossen schienhalle weichen und verschwand. bern für immer kopflos, dachte ich mir schon!

Casinoplatz Kunstwerkseinweihung Kopflosluciano andreani, der schöpfer von kopflos, mit dem kopf der stadt, stadtpräsident alex tschäppät!

doch jetzt ist sie wieder da. so elegant wie eh und je: es sind nur zwei füsse, die stadtwanderern. und das unverändert mit je vier zehen. zwischen den füssen ist fast nichts. nur eine geschwungene verbindung. kein körper, keine arme und kein hals. da stellt sich die frage nach dem kopf gar nicht mehr.

ja, kopflos, die charaktervollste bronzeskulptur der berner gegenwart, geht seit neuestem wieder durch die stadt: momentan auf dem casinoplatz, – genau dort, wo das blaue bähnli aus worb in bern endet.

bern ist wieder kopflos, welche eine freude!

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züri west organisiert sich

die konturen der metropolitanen schweiz zeichnet sich durch die bildung zwer starken wirtschaftsregionen im osten und im westen ab. eine spannende umgestaltung der grundlagen der schweiz wird greifbarer!

das lies aufhorchen: andreas rickenbacher, regierungsrat des kantons bern, wurde als vertreter der romandie in den vorstand der volkswirtschaftsdirektorenkonferenz gehievt. zwar ist bern zweisprachig, und andreas rickenbacher kommt aus dem seeland, das eng mit der zweisprachigen stadt biel/bienne verbunden ist. doch überraschte die meldung. denn sie nährt die spekulation, dass sich züri west nun ernsthaft organisiert.

topelement10mögliche ausgestaltung von wirtschaftsräumen in einer schweiz der metropolen: zeichnet sich ein starker osten und westen ab?, wie der “sonntag” heute suggeriert?

fakt ist, dass im kanton bern der “espace mittelland” in auslösung begriffen ist. dieser gross angelegte kantonszusammenschluss funktionierte nie richtig; und auch der verein, an dem die kantone bern, solothurn und wallis die letzten jahre als ersatz partizipierten, kam nie ganz auf touren. anfang juni fiel denn auch der auflösungsentscheid. beabsichtigt wird, ein neues gebilde zuschaffen, das sich voll und ganz auf den aufbau eines städtenetzes rund um bern und der stärken der kernagglomeration bern konzentrieren wird.

fakt ist auch, dass am 2. und 3. juli die nächsten konturen der metropolitanen schweiz gezeichnet werden. denn dann treten die beiden grossprojekte im westen und im osten der reihe nach an die öffentlichkeit. ziel ist es, überkantonale wirtschaftsräume zu schaffen, um interessierten investoren im in- und ausland abgestimmte wirtschafträume anbieten zu können.

spekuliert wird in der heutigen sonntagspresse, wohin der kanton bern bei dieser wirtschaftsförderungsmassnahme geht. dem vernehmen nach hat man sich für das westschweizer projekt entschieden, zu dem auch die kanton genf, waadt, neuenburg, fribourg und wallis zählen. informieren will man offiziell noch nicht; doch pierre-françois unger bestätigte der bz-online, dass eine weit fortgeschrittenes projekt in den kommenden zwei wochen den interessierten kantonsregierungen zugestellt werde. erwartet wird auch, dass “greater zurich aera“, das seit 1998 besteht, durch einen wirtschaftsraum der kantone zürich, aargau, luzern, zug, schwyz, schaffhausen, st. gallen und thurgau aufgewertet werden könnte.

der historiker in mir wäre nicht allzu überrascht, wenn es dazu käme. denn unterhalb des bundesstaates mit dem bund, den kantonen und den gemeinden wirken die städte mit ihren verkehrsverbindungen zu wasser und zu land sichtbar weiter. zu zeiten der kelten, der völkerwanderung, der klöster und des adels zeichneten sich immer wieder zwei grössere gebildet ab, je eines im westen und eines im osten, die unter einander stärker kooperierten als mit übrigen partnern.

erst mit der reformation und der daraus folgenden spaltung zwischen konfessionell geprägten räumen trat das in den hintergrund. bis die franzosen und österreicher den eidgenossen erklärten, dass sie auf der basis von kantonen mit ihren kulturellen probleme sprachlicher und konfessioneller natur umgehen lernen müssen. und genau seit dann entwickelten sich durch konkordate ungefähr jene beiden grossräumen wieder heraus, die anfangs juli präsentiert werden dürften.

man kann gespannt sein, wie sich das gefüge der schweiz weiter entwickelt.

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der totengräber (von bern)

fragt man nach den grossen momenten in berns geschichte, erhält man wohl die wahl berns zur bundesstadt der schweizerischen eidgenossenschaft im jahre 1848 oder die besatzung der stolzen patrizierstadt durch die franzosen von 1798 als typische antworten. vergessen gehen dürfte aber der wohl wichtigste einschnitt in der stadtgeschichte überhaupt: die pest von 1349. das könnte sich jetzt ändern.

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nach verschiedenen erfolgen mit historischen themen, die sie in berns gassen als grosse stadttheaterbühne aufführen, haben sich christine ahlborn (skript und regie) und matthias zurbrügg (schauspiel) von mes:arts nun an dieses bedeutsame thema heran gemacht. und eines kann man jetzt schon sagen: trotz des diffizielen themas tod, schaffen sie auch diese aufgabe mit bravour!

ihr “totengräber”, wie ihre neueste szenenfolge heisst, ist als stück abwechslungsreich und spannend, denn als person hat er in den eineinhalb stunden der aufführung alle hände voll zu tun: 60 personen starben in den schlechtesten tagen des jahres 1349 alleine innerhalb der stadt bern, die damals knapp 10’000 einwohnerInnen zählte.

dass es mitte des 14. jahrhunderts seit menschengedenken erstmals wieder soweit kommen konnte, hatte mit der pest aus dem chinesischen kaiserreich zu tun, die sich über handelswege ausbreitete, das schwarze und das mittelmeer erfasste, das rhonetal hinauf kam, zuerst genfs bevölkerung dezimierte, um sich danach in den städten und ländern des mittellandes ausbreiteten.

schneller noch als die bekannte katastrophe machte die kunde über die ursache der pest die runde, was zu vergessenen katastrophe führte: schuld seien die juden, glaubte man im adel und klerus von damals, denen die andersgläubigen stets ein dorn im auge gewesen waren. ausgewiesen wurden sie aus den städtischen gemeinschaften oder mit gewalt umgebracht. so steht das jahr 1348 unverrücktbar für einen judenpogrom, der zum bleibenden einschnitte im verhältnis der religionen hierzulande werden sollte.

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diese dramatischen umstände erlauben es matthias zurbrügg teils historisch abgestützt, teils frei fabulierend, die geschehnisse in der stadt bern behände in verschiedenen rollen schlüpfend als ein-mann-theater aufzuführen. famulus, der berater des schultheissen, die vieles über viele weiss, und einiges darüber hinaus für einige erfindet, ist seine zentrale figur. sie überredet den schultheissen, das geld der juden zu nehmen, um sich dann mit der verbrennung der kreditgeber und ihrer schuldbriefe auf dem scheiterhaufen von der pekuniären schuld zu befreien. sie ist es auch, die den leutpriester vom deutschorden anstiftet, gewalttätig gegen die andersgläubigen vorzugehen. doch sie ist es auch, die nach getanener arbeit miterleben muss, wie dieses sündenbockdenken die pest nicht verhindert, die durch die stadttore einzug hält und nun auch die christen sterben lässt, bis im wahrsten sinne des wortes alles am boden liegt.

matthias und christine wandern mit ihren zuschauerInnen vom berner rathaus auf den münsterplatz, durchziehen die herren- und münstergasse und enden nochmals auf dem münsterplatz. derweil tobt ein kampf zwischen gevatter tod, dem totengräber, den sterbenden, den lebenden und den überlebenden in der berner altstadt, dass es einen als zuschauer immer wieder schauert.

am ende der aufführung kommen alle ritter aus der stadt bern und ihrem umland, die vor angst geflohen waren, in die stadt zurück, um zu feiern, auf ermattete landbwohner überfälle zu verlangen, um sich nach der katastrophe wieder herrschaftlich zu behaupten.

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an diesem mittwoch war die urauffühungen des stückes. die herrliche abendstimmung trug zum guten gelingen bei, das vor allem durch die bewusste themenwahl und ortsangepasste umsetzung überzeugt. von nun an hoffen regiesseurin und schauspieler, jeden mittwoch um 8 soviel publikum wie bei der premiere zu haben.

und der stadtwanderer hofft, dass der schluss bis dann noch etwas verbessert wird. so gelungen die prägnante einführung des schrecklichen ereignisses in die stadtgeschichte unter der statue von herzog berchtold von zähringen im untersten stadtteil ist, so unvermittelt endet die erzähung auf dem münsterplatz. zu gerne hätte ich gehabt, dass man hier einen ausblick gewagt hätte …

… auf das spitalwesen der stadt, das nach der pest beispielsweise durch anna seiler entsteht und mit der “inseln” bis heute in direkter folge weiterlebt;
… auf die (vorübergehende) vertreibung der bubenbergs als schultheissen und die friedensschlüsse im westlichen mittelland, die eine annäherung der nun (vorübergehend) bürgerlichen stadt an die eidgenossenschaft im ganzen voralpengebiet erlaubte;
… auf die vom kaiser beförderte rückkehr des alten stadtadels, der sich mit wirtschaftsförderungsmassnahmen wie dem kaufhaus für die händler spofort und den lauben für das gewerbe etwas später wieder festsetzt und bis jetzt das stadtbild prägt;
… auf die öffnung der stadt für auswertige, lombarden, basler, schwaben, welche die gründerstadt wieder aufblühen lassen, sie kulturell beleben und mit den ideen der renaissance, der bautechnik und des buchdrucks in verbindung bringen
… auf den zerfall der autorität der katholischen kirche, die schutz versprochen, dafür juden umgebracht und trotz alledem die pest nicht verhindern konnte, bis dass die gärung in der kirche in der reformation endete,
… kurz, auf die entstehung der stadtkultur an der schwelle der neuzeit.

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fotos: stadtwanderer

welsch, bilingue, deutschsprachig …

nun haben wir sie wieder, die leidige sprachenfrage, – im raum zwischen bern und fribourg. einige gedanken hierzu aus der tastatur eines mischlings, der zum grenzgänger wurde!

thb_51201mein beitrag zur förderung des mehrsprachigen selbstverständnisses in der mehrschsprachigen schweiz: der hinweis auf die zweisprachige bande-dessinée-veranstaltung in morat/münchenwiller in diesem herbst

ausgelöst wurde die neuerliche debatte ausgerechnet von einem tessiner, der aus taktischen gründen festhält, ein zweisprachiger in einem zweisprachigen kanton ist und bleibe ein deutschsprachiger, wenn er so aufgewachsen sei.

interessant ist dabei, dass der gleich tessiner vor einigen jahren – wiederum aus taktischen gründen – meinte, eine zweisprachige in einem zweisprachigen kanton, die deutschsprachig aufgewachsen sei, könne sehr wohl die französischsprachige schweiz repräsentieren. aber eben, …

ich will hier auch gar keine stellungnahme für oder gegen jemanden machen. aber meiner persönlichen betroffenheit als mischling aus den kanton freiburg will ich selber wohl ausdruck geben.

ja, ich bin gebürtiger friburger, mein vater ist französischer sprache, meine mutter deutscher. mischehen sind in grenzlagen nichts auffälliges. zuhause haben wir, typisch für fribourg, meist französisch gesprochen, doch war ich froh, dass mir deutsch nie fremd war, als wir dann von fribourg wegzogen. heute lebe, rede und schreibe ich überwiegend auf deutsch, bemühe mich aber, das leben im breit verstandenen grenzgebiet in seiner vielschichtigkeit zu verstehen, wie es halt ist.

denn das ist es: wer im herzen einer sprachkultur lebt, sieht nur diese, die scheinbare grenze und den rest. wer indessen an einer sprachgrenze gelebt hat (und letztlich immer noch lebt), sieht die vielfalt der kombinationen, die es da im alltag gibt. der oder die weiss, wie komplex das leben und die identitäten sind, und wie schnell man da mit pauschalisierungen jemanden auch versetzen kann.

bezogen auf kanton und stadt fribourg habe ich immer das französische als vorherrschend, gelegentlich sogar ausgrenzend erlebt. heute versucht man toleranter zu sein, um niemanden zu diskriminieren. es wissen es aber alle: wer im kanton etwas werden will, muss sich auf französisch ausrichten, egal wie man zu hause gesprochen hat. deshalb geht der kanton auch als (zweisprachiger) teil der romandie durch. wer indessen auch ausserhalb der kantonsgrenzen etwas zu werden beabsichtigt, tut gut daran, seine französisch-deutsche zweisprachigkeit zu bewahren und zu pflegen, denn das erhöht die handlungsmöglichkeiten, nicht zuletzt im nahe gelegenen bern!

wer sich also polivalent verhält, erweitert seinen spielraum und sein gesichtsfeld. und solche menschen sollten man grundsätzlich fördern nicht bestrafen. da sind sich letztlich alle einig, nur, wenn es dann um den bundesrat geht, tut man so, wie wenn es nur die kulturen in reiner form gäbe.

der lange rede kurzer schluss: fribourg ist ein zweisprachiger kanton, der zur romandie zählt. das gilt unabhängig davon, aus welchem ort und aus welcher familie man im kanton stammt. wer den kanton vertreten will, muss sich an die vorherrschaft des französischen anpassen, wer darüber hinaus den kanton vertreten will, tut gut daran, das nicht allzu eng zu sehen. wer das macht, sollte in seiner multiplen identität wahrgenommmen werden und als solcher repräsentieren (dürfen), ohne stillschweigend diskriminiert zu werden.

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der stadtwanderer als röschtibrückenbauer

sechs forderungen an die unternehmer nach der finanzmarktkrise

“Die Wirtschaftskrise hat eine Ordnungs- und Werte-Diskussion in Gang gesetzt, der sich die Arbeitgeber stellen müssen”, sagte der berner rudolf stämpfli am heutigen arbeitsgebertag in zürich. und überraschte seine kollegInnen mit sechs forderungen zum verhalten von unternehmen nach der finanzmarktkrise.

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rudolf stämpfli, in der sechsten generation druckereibesitzer in bern und republikanisch gesinnter unternehmer

stämpflis bericht 2009 als präsident des schweizerischen arbeitgeberverbandes wurde mit spannung erwartet. die übliche arbeitsmarktanalyse, gepaart mit einem streifzug durch die nationale sozialpolitik, enthielt dieses jahr eine ausführliche beschäftigung mit den ursachen und folgen der finanzmarktkrise. “Nach Jahren der einseitigen Oekonomisierung sollten wir uns wieder vermehrt um die ethischen Grundlagen der Marktwirtschaft und ihrer Einbettung in eine Gesamtorndung kümmern”, war einer der bemerkenswertesten sätze heute.

sechs forderungen formulierte der oberste schweizer unternehmer an die adresse seiner kollegInnen:

erstens, arbeitgeber müssen die konjunkturellen wellenbewegungen ertragen lernen; sie dürfen sie nicht immer gleich mit einer politik des billigen geldes oder staatlichern ankurbelungsmassnahmen glätten wollen.
zweitens, entscheidungsverantwortung in der wirtschaft darf nicht völlig an modelle delegiert werden; sie muss auch persönlich verankert bleiben.
drittens, arbeitgeber müssen entlöhnungssysteme so gestalten, dass der zusammenhang zwischen leistung, gewinn, verlust und entlöhnung gewahrt bleibt.
viertens, unternehmen müssen sich fragen, ob die forderung nach eigenkapitalrenditen von 15 bis 20 prozent mit einer gesunden entwicklung der volkswirtschaft kompatibel sind.
fünftens, die finanzindustrie darf nicht eigengesetzlich funktionieren, sondern muss wieder näher an die realwirtschaft geführt werden.
und sechstens, die vorstellung, die global players könnten sich vollständig von ihrer nationalen herkunft lösen und nur noch nach den regeln ihrer eigenen liga spielen, ist zu korrigieren.

stämpfli vertrat damit die position eines selbstbewussten unternehmertums, das selbstverantwortlich und gemässigt ist und aus den nationalen realitäten heraus agiert. er rief nach persönlichkeiten, die den wettbewerb in der marktwirtschaft nicht scheuten, dessen grenzen aber auch nicht verkennen würden. am schluss seiner ausführung zitierte er den liberalen nationalökonomen wilhelm röpke mit dem satz, dass es “eine Welt jenseits von Angebot und Nachfrage gibt”. stämpfli wandte sich dezidiert gegen die vorstellung des staates als aktiengesellschaft, denn: “Menschen, die auf dem Markte sich miteinander im Wettbewerb messen und dort auf ihren Vorteil ausgehen, müssen umso stärker durch die sozialen und moralischen Bande der Gemeinschaft verbunden sein, andernfalls auch der Wettbewerb aufs schwerste entartet.”

eine bemerkenswerte rede für einen arbeitgeberpräsident, meinte meine nachbarin, während anhaltend geklatscht wurde. übrigens; der berner stämpfli holten den arbeitgebertag 2010 von der hauptstadt der millionen in die hauptstadt der institutionen. das nächste jahr trifft man sich nicht mehr in zürich, sondern in bern.

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von speziellen vögeln in natur und politik

regierungsrat andreas rickenbacher, der oberste amtliche vogelschützer im kanton bern, ging kräftigen schrittes voraus. ihm folgten in üttligen die 80 gäste, die gekommen waren, um mit dem kantonalbernischen vorgelschutzverein das 20jährigen bestehen des vereins zu feiern – und eine eiche zu pflanzen!

nvwohlendie sektions- präsidentInnen des bvs’ umrahmen regierungsrat rickenbacher (mit panama-hut) und die kantonalpräsidentin theres keller (links des regierungsrates)

eine der zahlreich anwesenden sektionspräsidentinnen meinte während der wanderung, es sei ein wenig wie bei tostoj. zwei brüder dürften sich land nehmen, soweit sie wandern können; doch vor sonnenuntergang müssten sie wieder zurück sein. der erste bruder habe das land mit grossem schritt vermessen und nicht genug bekommen. der andere ging gemächlicher, er kam auch weniger wenit. am abend war er aber rechtzeitig zurück, während der andere, der seine kräfte nicht einteilen konnte, nichts bekam.

die vogelschützerInnen kennen dieses dilemma. einerseits wollen sie, dass wir all etwas gemächlicher gehen, damit wir uns mehr mit dem eigenen lebensraum beschäftigen; anderseits gehen die aktiven immer schneller und weiter, weil es auch nach 20 jahren fleissigster vereinsabreit noch viel zu tun gibt.

auch andreas rickenbacher gab ein beispiel für die aktuellen herausforderungen: ihm sei nicht entgangen, dass raubvögel zwischenzeitlich das stadtleben liebten. die urbane landschaft sei beispielsweise für falken, milane und bussarde geradezu ideal. hochhäuser seien wie felsen, friedhöfe böten platz für ruhige nistplätze, und vor allem der abfall sei im wahrsten sinne des wortes ein gefundenes fressen. das alles sei eine konsequenz der veränderungen in der landschaft, rief der regierungsragt den gästen zu, weshalb der kanton seit 2008 versuche, mit seinem aktionsprogramm “biodiversität” gegensteuer zu den unerwünschten folgen der urbanisierung zu geben.

theres keller, die präsidentin des bvs, doppelte nach: der berner vogelschutz sei vor 20 jahren entstanden, um die augen der ornithologen über das platzieren von nistkästen hinaus zu öffnen. ganzheitliches denken und handeln sei die devise der verbandsarbeit geworden, denn alles hänge mit allem zusammen: mensch und klima, wälder und biotope sowie vogel- und pflanzenwelt!

am ende der wanderung zur hecke, welche der organisierende natur- und vogelschutz wohlen in freiwilligenarbeit zum jubiläum erstellt hatte, pflanzten politiker und vereinsverantwortliche gemeinsam eine eiche, – ganz im sinne des zeitgemässen vogelschutzes: in seinem lebensraum soll man wurzeln schlagen, um ihn mehr zu pflegen, und in der öffentlichkeit müssen kanton, gemeinden, vogel- und naturschützerInnen mehr zusammenarbeiten, um unerwünschte entwicklungen insküftig vorausschauend zu lösen.

2057 werde die eiche einen mehr als einen meter dicken stamm haben, meinte ein baumpflaner, als das werk vollbracht war. das wird dann auch mein 100. geburtstag sein, – und wenn es mich dann noch gibt, werde ich nochmals an die gleiche stelle hinauswandern, um zu sehen, ob sich die speziellen vögel in natur und politik wunschgemäss entwickelt haben.

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es bleibt alles anders

keine leichte kost, die ich gestern in lenzburg vorgesetzt erhalten habe. aber ein anregendes menü, das man am rande der ausstellung “nonstop” geboten bekam. so rasend schnell, dass man am schluss glauben musste, was aufgetischt wurde. bis man selber darüber nachdachte. meine rekonstruktion nach einem nächtlichen zwischenhalt.

rosa180-1228816767das grosse thema der zeitdiagnose von hartmut rosa: zeit ist erdöl. er wird immer knapper und geht uns demnächst aus!

hartmut rosa gilt als der newcomer der deutschen soziologie. der lörracher, seit kurzem professor an der friedrich-schiller-universität in jena, sprach auf schloss lenzburg über das thema “vom rennen an ort und stelle”. damit nahm er das bunbestrittene lebensgefühl viele menschen der gegenwart auf, wonach sich alles immer schneller verändert, ohne das sich überhaupt etwas ändert.

die soziologische analyse des phänomens führte rosa zu drei thesen: erstens, der wandel seit der industriellen revolution hat uns durch technische instrumente unendlich viel zeitersparnisse gebracht, die uns aber insgesamt zu mehr leistung, nicht weniger aufwand geführt haben. zweitens, der soziale wandel lässt die gegenwart schrumpfen. alles veraltet schneller, während die möglichkeiten der zukünfte immer mehr den alltag beherrschen. drittens: die zeit, die man hat, wird immer knapper. wir haben immer mehr güter und dienstleistungen zur verfügung, dafür aber immer weniger zeit, sie alle zu nutzen.

hartmut rosa ortete drei zeittypische auswege auf dieser herausforderungen: alles schneller machen, keine pausen mehr einlegen, oder vieles gleichzeitig erledigen. selber sprach der deutsche während dem vortrag schnell und immer schneller. immerhin, derweil er erledigte keine emails und handy-anrufe! und er liess seinen vortrag vorbildlich durch posaunenklänge mehrfach unterbrechen.

sich selber und das publikum nahm er während des vortrages mehrfach auf die schippe. wir alle würden durch den wunsch nach freiheit bestimmt, durch den zwang der verhältnisse aber eingeschränkt. der freiheitswunsch der moderne gründe in der hoffnung, das leben vor dem tod beliebig erweitern zu können, kritisiert er. der zwang wiederum entstehe durch die verallgemeinerung der wettbewerbslogik. habe sie sich in sachfragen bewährt, zeige sie im sozialen ambivalenzen. wenn es um die zeit gehe, wirke sie sich verheerend aus. denn die erwartungen an uns als individuen nehmen so unerhört zu, sodass wir versagen müsste. “wir alle sind zu schuldigen geworden, wenn wir ins betten gehen”, rief der soziologe in den rittersaal zu lenzburg und haben, anders als im mittelalter keinen anlass mehr, das entschuldigen zu können.

deshalb sieht hartmut rosa drei folgen aufkommen: das anwachsen der depression, die vermehrung des surfens auf jeder neu autretenden welle und den rückzug in den religiösen fundamentalismus. diese befunde sassen!

leider blieb es aber dabei stehen. die fulminante diagnose, mit verve vorgetragen und mit humor vermittelt, blieb letzt unausgelotet. dafür nahm das referat nach den letzten posaunenklängen eine überraschende wende:die politik versage angesichts des beschleunigungstotalitarimus der gegenwart. mobilisiert worden seien die bürgerInnen durch das trügersiche versprechen der freiheit, die mit demokratischen spielregeln gestaltet werde. das alles brauch zeit, die uns aber niemand gibt. deshalb müsse demokratie scheitern.

so wundervoll der grosse bogen des soziologen rose über die zukunft der moderne begann, so platt endete er in in der gegenwart des vollständig verwirrten deutschen betrachters. mit rosa antworte ich rosa gelassen: es bliebt alles anders, als man denkt!

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Hartmut Rosa: Beschleunigung. Die Veränderung der Zeitstrukturen in der Moderne, Suhrkamp, Frankfurt am Main 2005

passt – passt nicht – passt …

es ist fast wie mit dem blümchen, dass uns mit seinen blättern sagt: sie liebt mich – sie liebt mich nicht – sie liebt mich … doch die rede ist hier von einer speziellen liebe: dem stadtbach in bern!

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simson-brunnen mit offenem stadtbach im vordergrund: bald soll dieser in der unteren altstadt wieder offen fliessen dürfen, entschied berns gemeinderat diese woche!

die zähringer hatten den stadtbach recht provisorisch überirdisch in einem holzkanal durch ihre stadt geführt. reinfallen konnte man da noch nicht. doch dann wurde er in den boden versenkt mit stein ausgekleidet. schliesslich deckte man ihn ganz einfach zu. die funktion der strasse hatte sich soweit geändert, dass der stadtbach störte.

im zuge der altstadtaufwertung wurde der berner stadtbach vor 2005 wieder freigelegt. nun passte er, und sollte er nach einer aufwendigen renovation das altstadtbild beleben.

nach einige kleinunfällen mit passanten und fahrzeugen, die in den kleinen graben fielen, passte der stadtbach wieder nicht mehr. er musste 2007 nach stadtparlamentarischen interventionen zugedeckt werden, denn die opposition im vorfeld der gemeinderatswahlen war zu gross geworden.

nun ist 2009 dieser politische akt definitiv vorbei, und die sicht auf den stadtbach passt wieder besser. denn es stört den altstadtleist das gitter, das zum schutze der durchgangsverkehrs montiert worden war das stadtbild. also wird es baldmöglichst wieder entfernt werden.

da bleibt mit nur ein wort: glücklich ist, wer nebst solch grossen stadtprobleme die kleinen anderern reinfälle vergessen kann !

stadtwanderer

bilcken sie durch?

“Gesamtbundesrat bedroht! Schweiz bald führungslos?”, steht in den bekannten grossen lettern auf dem riesenaushang von “Bilck”.

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bilckfang mit falschem blickaushang. nur wer genau liesst, merkt, was nicht stimmt (foto: stadtwanderer)

das plakat am berner bahnhof kann man nicht übersehen. wer es rasch liesst, bekommt mit: wir ins in not! wer dann aufs tram wartet und zeit hat, merkt, dass da was nicht stimmt.

format, farben und schriften täuschen usn ganz bewusst. der trick ist bekannt: wir erfassen die umgebung des textes zuerst und werden konditioniert. die marke, für die geworben wird, erahnen wir dann: “b..ck” steht in diesem umfeld für “blick”. mit nichten: denn es genau genommen um “bilck”.

es ist gar nicht so einfach herauszufinden, wofür “bilck” steht. denn selbst google mag zwischen den beiden wörtern nicht zu unterscheiden, so oft wurde es unwissentlich falsch geschrieben. und so kommt man von bilck direkt zu blick.

aufgefallen sind mit die plakate aber bereits 2007, damals noch illegal. sie zierten den wahlkampf zu den parlamentswahlen 2007. heute hängen die neurlichen plakate an offiziellen wänden. ich vermute, das ist so eine werber-aktion, leicht aus dem untergrund. und gerade recht, um in der werbeflaute die bereitgestellten stellwände zu füllen.

a propos flaute: ein blick auf den wirklichen blick-aushang erhellt wenigstens, wer uns bedroht. denn das zürcher boulevardblatt nahm heute effektiv den bundesrat aufs korn genommen. genau genommen die löhne der mitglieder des bundesrates. bedrolich wirkt doris leuthard. sie möchte sich und den kollegInnen in der bundesregierung den lohn kürzen. um 10 prozent, um ein zeichen zugunsten der arbeitslosen zu setzen.

wir wärs, wenn man auch bei den ausbezahlten bankerboni ein zeichen mit diesem prozentwert setzen würde? jedenfalls wäre es einträglicher und würde meine aufmerksam noch mehr anziehen als das plakat, auf das ich heute fast hereingefallen wäre.

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hans-rudolf merz, die politische kultur und die zukunft der fdp

in den tagen, in denen europa ein neues parlament wählt, macht sich die schweizer fdp gedanken zur nachfolge von pascal couchepin im bundesrat. zeit, den blick zu öffnen, was liberalismus ausserhalb der schweiz alles auch noch ist!

ich habe mich diese woche aus verschiedenen gründen mit den konstanten der politischen kultur der schweiz beschäftigt. föderalistisch, nenne ich in diesem zusammenhang zuerst, demokratisch als zweites. dann fällt mir vor allem der gemässigte, wirtschaftlich-pragmatische, nicht radikal gedachte liberalismus auf, und die ausrichtung am kleinen raum mit klaren grenzen, um den eigenen einfluss zu sichern. keine steht dafür so gut wie unser finanzminister hans-rudolf merz, gegenwärtiger bundespräsident aus den reihen der fdp.

eupartprogrammatische position der schweizer fdp im spektrum der europäischen liberalen (orange punkte): rechts und vor allem national.

gestern nun lass ich eine anhandlung von adreas ladner, professor für politik in lausanne, zu den liberalen parteien in europa. im ganz anregenden programmvergleich der europäischen parteien ordnet er die schweizer fdp weder dem gesellschaftsliberalen, noch dem liberalkonservativen flügel der parteienfamilie zu. vielmehr sieht er die fdp trotz allem reformversuchen als ein eindeutig wirtschaftsliberale partei.

die positionierung der fdp im europäischen massstab zeigt zweierlei: politisch hat man sich am klarsten von der mitte gelöst und ist man nach rechts bewegt. gleichzeitig gibt es keine liberale partei in europa, die so distanziert zum europäischen integrationsprojekt steht.

det radikale venstre in dänemark oder der mouvement démocrate in frankreich, beides mitglieder der europäischenliberalen, sind in europa das klarste gegenteil der schweizerischen fdp. das zeigt sich etwa bei der ökologischen steuerreform, bei der förderung erneuerbarer energien und der verarbeitung des klimawandels, wo die dänischen liberalen klar grünliberal agieren. es kommt aber auch beim gesundheitswesen, will doch die französischen vergleichspartei nichts von privatisierung der spitalwesens wissen will. und es findet sich ein klarer unterschiede bei der zuwanderungspolitik, welche andere liberalen generell offen halten wollen.

die fdp ist da überall eigen. grünliberalen forderung gegenüber hält man sich zurück, sozialstaatliche minimalstandards und wirtschaftsunabhängige gesellschaftspolitik kommen kaum ausgeprägt vor.

der klarste unterschied ergibt sich aber in sachen eu. det radikale venstre geghört uneingeschränkt zu den befürwortern, während sich die fdp gerade um klare positionen drückt. man ist für den bilateralen weg der schweiz, aber gegen ein beitritt. wie ein liberales europa aussehen müssten, diskutiert man in der schweizerischen fdp gar nicht.

liberal, in der gemässigten wirtschaftsorientierten variante, kleinräumig auf die verteidigung der eigenen vorteile ausgerichtet, kommt mir da erneut als prägungen der akteure durch die politische kultur des landes in den sinn.

und so frage ich mich: liegt für eine geschrumpfte partei wirklich nicht mehr drin als ein braves abbild des ganzen zu sein? wie will sich die partei profilieren, um mit der nachfolge auf chouchepins thron wieder zu anziehungskraft zu kommen?

der stadtpräsident bedankt sich

ich sitze in der berner altstadt in einem cafe. ich konzipiere gerade eine neue stadtwanderung zur thema “selbstbestimmung”. weil es so sommerlich schön ist, habe ich an einem drei tische auf der gasse platz genommen.

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geschenk des bernese mayors für ein interview und anstoss für weitere interviews. klaro, das nächste mal aber stosse ich wieder die stadt an, für weitere schritte zu metrobern!

von hinten kommt eine gruppe mit drei männer auf mich zu. der in der mitte ist der grösste. es ist der stadtpräsident, alexander tschäppät. erkennen will er mich nicht gleich. doch einer seiner adlaten bemerkt, wer im schatten der lauben siesta macht.

“da ist ja der stadtwanderer”, sagt er seinem chef.
der stadtpräsident dreht sich sofort um.
“das war ein gutes interview, das du am samstag der bz gegeben hast”, wendet er sich mir zu.
“schön, dass es gefallen hat”, erwidere ich. und denke mir: jetzt müssen taten folgen.
bevor ich mündig werde, machen sich meine gesprächspartner fast schon wie die drei musketiere wieder auf den weg.

bis der stadtpräsident umkehrt, und in seiner jackentasche wühlt. voll von freude streckt er mir ein kleines geschenk entgegen. ein sackmesser. mit dem schweizer kreuz, und dem stadtberner wappen. samt der widmung “the mayor of berne”.
“dafür gibt’s du mir noch ein zwei weitere interviews wie das letzte”, strahlt er mich an. denn das letzte sei sehr gut gewesen.

nun, ja, als meine drei stadthelden definitiv weiter ziehen, schaue ich mir das sackmesser an: gut zum stechen, gut zum schrauben, gut zum schneiden. doch machen muss man das unverändert selber. gut so, denke ich mir. denn metrobern, war meine these, entsteht nur selbstbestimmt. wenn die leute von bern so souverän werden, dass sie das wollen und sie niemand daran hindert!

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der 11. september in baume-les-messieurs

baume-les-messieurs im südwesten der franche-comté ist einer der spektakulärsten orte frankreichs. am 11. september 2009 wird an diesem stillen ort mächtig was los sein!

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(foto: stadtwanderer)

baume-les-messieurs heisst der ort in der franche-comté erst seit der französischen revolution. denn mit dieser wurde das damalige kloster im kerbtal der seille geschlossen, und es verschwand der name baume-les-moines.

heute sind verschiedene teile der gotischen kirche und der angrenzenden gebäude baufällig; doch sie werden stück für stück renoviert, sodass der klosterkomplex unverändert gut erkennbar ist.

viel platz hatten die mönche in baume nie. denn das tal fällt mehr als 100 meter schroffen feldswänden entlang in die tiefe, und es bietet gerade mal dem fluss, einer durchgangsstrasse und eben dem kloster platz.

vielleicht 200 menschen leben das ganze jahre in der ehemaligen klostersiedlung, heute ein dorf in der südwestlichen ecke der franche-comté. an so schönen sommertagen wie gestern hat es aber ein mehrfaches an fremden in baume, denn der ort zieht camperInnen und touristInnen an.

wir sind gestern ein wenig gewandert, um das magische des ortes zu spüren. in der talschlucht kommt es einem wie ein wunder vor, wenn man von sonnenstrahl direkt gewärmt wird, und es wirkt ungemein beruhigend, wenn die seille leise unprätentös durch den spektakulären kessel fliesst.

bewohnt sei der ort seit gallischen zeiten, sagen archäologInnen. kirchenhistoriker schreiben die klostergründung dem wandermönch columban zu, der ein keltisch geprägtes christentum aus irland auf den kontinent brachte. und die herrschaftsgeschichte der franken weiss, dass baume-les-moines mehrfach geplündert, aber auch immer wieder auferstanden ist.

am 11. september wird in baume-les-messieurs übrigens mächtig was los sein. man feiert die trennung des hiesigen klosters; denn mit diesem datum ging abt bernon nach cluny bei macon, um dort ein neues kloster zu gründen, das im hochmittelalter zum einflussreichsten der katholischen kirche werden sollte.

die annalen sind allerdings nur beim tag genau. ob das 910 oder 909 war, weiss man nicht so genau. doch dieses jahr entschied man sich, schon mal den 11. september 909 zu feiern.

es kann gut sein, dass ich dann wieder in baume-les-messieurs sein werden, und auf dem hin- oder rückweg auch baume-les-dames am doubs besuche!

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geisterort arlay

arlay ist ein gottverlassener ort im burgundischen, bei dem man sich fragt: warum denn nur? der bericht von der spurensuche.

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das moderne arlay
für die wenigen einwohnerInnen, die im burgundischen arlay geblieben sind, gibt auf dem dorfplatz keinen teer, aber platanen, die eine allee skizzieren! la mairie, das haus der bürgermeisters, befindet sich da. im gleichen gebäude ist die schule untergebracht. auf der andern seite des staubigen paradeplatzes sieht man, wo das alles endet. im krieg, der von 14-19, der auch in arlay viele tote brachte.

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das spätmittelalterliche arlay

eigentlich gibt es ein zweites arlay, knapp einen kilometer weiter ostwärts befindet sich, umfahren von der landstrasse, “le vieux bourg” aus dem 15. jahrhundert. “stadt” nannte man das sogar im mittelalter. sichtbar sind nur zwei häuserzeilen, mittendurch geht ein weg, wo kaum ein peugeot durchkommen würde, wenn es ihn gäbe. das “quartier au dessus” wird noch von alten menschen bewohnt, “au dessous” ist eigentlich alles ruhig.

das paulanerkloster, das zwischen dem alten und neuen arlay steht, ist längst geschlossen. schwer verriegelt ist die eingangstür; die fenster sind vermacht. bier wird hier keines mehr gebraut. mönche hört und sieht man nicht mehr. ein weingut ist das einzige, was geblieben ist, – und das wird ausgerechnet hermetisch abgeriegelt.

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das herrschaftliche arlay

einst war arlay ein stolzes zentrum. auf dem hügel über dem ort residierte seit dem 11. jahrhundert der seigneur. der herr von arlay wurde graf von chalons, bis er im 13. jahrhundert half, die tiroler günstlinge des kaisers, die pfalzgrafen in der franche-comté geworden waren, zu vertreiben. danach war man in der freigrafschaft selber begütert; der einfluss reichte über den jura bis nach neuenburg. ja, selbst mit den kiburgern ob wintherthur war man verheiratet.

die grafen von chalon-arlay kämpften in den burgunderkriegen selbstverständlich auf burgundischer seite. sie sollten ihr engagement teuer bezahlen. denn nach dem tod des herzogs, der ohne männlichen nachfolger gestorben war, heiratete erzherzog maximilian, der habsburger thronanwärter, dessen tochter marie von burgund. louis xi., könig von frankreich, griff nun militärisch nach den burgundischen ländereien. das herzogtum burgund ging an die krone. die freigrafschaft wurde verwüstet.

die katastrophe von arlay
dieses schicksal wiederfuhr auch arlay, dem stammsitz der grafen von chalon-arlay. die burg auf dem berg wurde 1479 weitgehend zerstört. niemand hatte mehr die kraft, sie wieder aufzurichten.

auch das republikanische frankreich, das die neue kleine siedlung mit der plantanen-allee hervorbrachte, konnte das schicksal nicht mehr wenden. arlay ein dreifacher geisterort: oben, auf dem berg, unten im vieux bourg, und weiter vorne, bei den platanen.

als ich den chef der einzigen auberge frage, ob ich ein glas des hiesigen wein bekomme, winkt er ab. er dürfte nur gäste bewirten, die übernachten. und das wolle niemand mehr, deshalb reiche das geld für eine lizenz für einen offenen barbetrieb nicht mehr.

so wolle es der französische staat, der arlay nicht gut gesinnt ist.

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die andere seite des krieges

wir alle wissen um den sieg der eidgenossen in den burgunderkriegen. in den geschichsstunden bekommt man die nötige portion stolz eingeimpft. doch kriege haben immer zwei seiten: in dole kann man die der verlierer sehen.

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der malerische blick auf das heutige dole lässt einen nicht erwarten, dass die stadt 1479 dem erdboden gleich war

ich war über pfingsten stadtwanderern. die frisch geprüften exkursionsleiterInnen des bernischen vogelschutzes haben in der franche-comté ihre abschlussreise unternommen. während sie die feuchtgebiete in entlegenen flussarmen studierten, habe ich eine führung durch die ehemalige hauptstadt der burgundischen freigrafschaft vorbereitet.

am eindrücklichsten sind die folgen der burgunderkriege in dole. aus schweizerischer sicht weiss man recht klar, worum es geht. aus burgundischer sicht zeigt sich einem aber eine ganz andere perspektive.

1422 erhoben die herzöge von burgund dole zur eigentlichen kapitale der grafschaft. in dole tagten der rat der freigrafschaft und das parlament. und die kleinstadt am doubs erhielt eine eigene universität. die freigrafschaft sollte so zu einem möglichst einheitlich verwalteten gebiet im wachsenden burgundischen staatswesen werden.

in den burgunderkriegen war man selbstverständlich auf der seite der herzöge. das französische königshaus unter louis xi. war der feind. denn der strebte wie die burgunder einen einheitlichen flächenstaat an.

doch der französische könig hielt sich in den kampfhandlungen zurück. die eidgenossen und der herzog von lothringen leisten die schlachtenarbeit. als herzog karl (in frankreich der tollkühne genant) mehrfach besiegt in nancy das leben liess, zogen sich seine truppen in den jura zurück.

1477 besetzten die truppen des französischen königs kurzfristig dole, wurde aber wieder vertrieben. sie kamen 1479 zurück. dole wurde belagert, überwältigt und zerstört.

die letzten widerständler verschanzten sich am 14 mai im strassenkampf in ihren kellern: “cave d’enfer” heisst der berühmteste unter ihnen unmittelbar vor der grossen stadtkirche. ein einfaches schild erinnert daran, dass hier das allerletzte aufbäumen der dolois stattfand. bevor die königlichen truppen zuschlugen.

die stadt wurde in der folge ganz niedergebrannt. ihre männer wurden umgebracht, und den frauen verbot könig louis xi. die stadt wieder aufzubauen. 1481 erlaubte man 50 der vormals 1000 familien in ihre keller zurückzukehren; innert 10 jahren normalisierte sich das leben in der stadt wieder.

als ich am samstag für meine stadtführung recherchierte, musste ich auf ein bier halten. ich machte das im zentrum, um mir ein bier zu gönnen. so müde wie ich war, merkte ich nicht einmal, dass im restaurant cave d’enfer abgestiegen war. erst als ich ging, realisierte ich, an welch geschichtsträchtigem ort ich mich erholt hatte.

jetzt wurde es höchste zeit, noch einen gedanken über die andere seite des krieges zu verwenden.

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